Wir segeln und wandern durch die Welt

Cherbourg bis Roscoff – Frankreich

Donnerstag bewegen wir unser Boot endlich einmal wieder. Der Wassertank ist voll, die große Wäsche ist erledigt, das Boot geputzt, alles an Deck seeklar festgezurrt. Nur noch die Rechnung in der Marina bezahlen ( Autsch ! ), dann sind wir startklar. Wir möchten ein Stück weiter bis Roscoff, eine Empfehlung von Henning, der die französische Küste wohl sehr gut kennt. Bis dahin sind es nur 130 Seemeilen, bringt uns aber in eine bessere Ausgangsposition für die Biskaya. Temperatur morgens 2° Celsius. Ach ja, es ist Winter. 😉 Der Helly Hansen-Faserpelz wird wohl noch für längere Zeit zu unserer Standard-Ausrüstung gehören ( selbst beim Schlafen ). Der Himmel ist grau, die Windvorhersage spricht von 25-30 Knoten aus Süd-Ost, Tendenz abnehmend zum Abend. Nicht besonders einladend, aber ist ganz okay. Eigentlich hat Keiner von uns so richtig Lust zum Losfahren. Das Ablegen aus der engen Box mit viel Seitenwind erfordert einen genauen Plan, der aber gut funktioniert. Kabbelige Wellen, selbst im inneren Hafenbecken werden wir schon durchgeschaukelt. Dann geht es durch die westliche Einfahrt raus, nur den gewünschten Kurs anlegen und die Selbststeueranlage einstellen. Das Großsegel brauchen wir nicht, eine Reffreihe in die Fock, und Walkabout läuft immer noch schnell. Geschwindigkeit konstant 6-7 Knoten, manchmal zeigt die Logge mehr als 8. Die Wellen sind hoch genug, um fürchterlich auszusehen. Sie laufen kreuz und quer, brechen manchmal, spülen über das Vordeck. Ich bin schon nach einer Stunde seekrank. 🙁
Um 15.00 Uhr nähert sich lautes Motorengeräusch. Ein Militär-Hubschrauber kreist zweimal dicht über der Walkabout und schießt Fotos von uns. Das heißt, eigentlich fotografieren die nur das Boot, denn wir sitzen unsichtbar im Deckshaus.
Wir beobachten einen Katamaran, der ohne AIS unterwegs ist, sehr ungewöhnlich, denn das Teil ist relativ groß und bestimmt mit modernster Technik ausgerüstet. Auf jeden Fall ist das AIS nicht eingeschaltet. Seltsam. Noch seltsamer ist allerdings, dass der Katamaran unbeirrt auf uns zuhält, so als ob er uns nicht bemerken würde. Ja, schlafen die denn da an Bord ? Wohl kaum, denn er fährt mit voller Motorkraft genau gegen Wind und Wellen an. Das ist ein Gehopse, wenn die zwei Rümpfe über die Wellen springen und abheben, es sieht extrem unbequem aus. Wie kann man nur so bescheuert sein und einen dermaßen ungünstigen Kurs wählen ? Wahrscheinlich denken die, dass wir auch nicht ganz frisch sind, weil wir uns bei diesem Wetter auf See herumtreiben. Aber immerhin segeln wir und haben den Wind von achtern, das sieht schon etwas eleganter aus. 😉
16.00 Uhr kommt über Ultra-Kurzwelle eine Starkwind-Warnung der Küstenwache herein. Böen bis zu 45 Knoten sind zu erwarten, das sind mal eben 9 Windstärken. Das war aber so gar nicht angesagt und noch weniger geplant. 🙁
Nur eine halbe Stunde später knallt es ordentlich, und unsere Fock ist entzwei, vom Vorliek bis zum Achterliek waagerecht mittendurch. Und das ist nicht etwa unsere Genua, sondern eine kleinere Fock mit Reffreihe drin. Ist ja schon erstaunlich, was da für eine Kraft im Wind steckt. Als wir im Frühjahr in Faro auf dem Platz der Marina alle unsere Segel zum Vermessen und Inspizieren ausgebreitet hatten, da erschienen sie uns auf den ersten Blick ziemlich gut. Nun ist uns schon das vierte Segel gerissen. 🙁 Bei diesem hilft auch kein Nähen mehr, es ist reif für die Tonne. Das nennt man dann wohl natürliche Selektion. Alles, was nicht stabil genug ist, um unserer Beanspruchung standzuhalten, das muss weg. Nützt alles nichts, der Kapitän muss raus auf’s Vordeck, ein noch kleineres Vorsegel setzen, dann die Fetzen des gerissenen Tuchs bergen. Er bewegt sich da vorne so sicher und geschickt wie ein Affe, während ich mir schon beim Zusehen fast in die Hose mache. 😉 Ich versuche unterdessen, die Wellen gescheit zu nehmen und möglichst ruhig zu steuern.
Natürlich ist Thomas angeleint. Draußen gibt es jetzt mehrere stabile Anpick-Ringe. Bei uns geht Niemand während der Nacht ohne Schwimmweste UND Sicherungsleine nach vorne, dasselbe gilt auch tagsüber, wenn die Freiwache unten schläft. Ich bin auf jeden Fall bei diesem Sauwetter froh, dass ich mich einhaken kann, bevor ich einen Fuß nach draußen setze. Selbst wenn ich nur die Windsteueranlage ein paar Grad verstellen möchte oder die Leinen bedienen muss. Ich kann nicht über Bord gehen, und das ist ein gutes Gefühl. 🙂
18.00 Uhr hören wir auf Kanal 16 eine Sécurité-Meldung. Dieser Sicherheitshinweis warnt vor einem Schleppverband mit 900 Meter Länge, deutlich manövrier-eingeschränkt, er fährt mit einer Geschwindigkeit von 4 Knoten in unserem Gebiet herum. Wenn das doch bloß nicht alles auf französisch wäre ….. Bei der dritten Durchsage haben wir endlich die Position richtig verstanden. Keine Gefahr ! Der Schleppverband befindet sich an steuerbord auf der Schiffs-Autobahn, während wir gerade in 3 Seemeilen Abstand ziemlich knapp die Guernsey-Insel passieren. Guernsey ist die zweitgrößte der britischen Kanalinseln, ihre Lichter an backbord werden uns die ganze Nacht hindurch begleiten. Ich stelle mir vor, wie die Menschen dort gemütlich bei Kerzenschein, Tee und Keksen in ihrer Stube sitzen. Was machen wir eigentlich hier ? Wir gehen dem dichten Schiffsverkehr aus dem Weg, indem wir sehr küstennah fahren. Es ist an der Zeit, die Funke anzuwerfen. Dauert ewig, bis eine Verbindung hergestellt ist, die Bedingungen sind wohl gerade alles Andere als gut. Beim zweiten Versuch schafft Thomas es gerade eben, eine Positionsmeldung durchzugeben, dann geht das Funkgerät einfach aus. Da scheint noch etwas im Argen zu liegen, Überprüfung und Fehlersuche im nächsten Hafen.
Lautes Getöse um 19.00 Uhr. Der Windbagger hat sich aus seiner Arretierung gelöst und fängt heftig an zu orgeln. Produziert gerade ordentlich viel Strom, aber wir können im Moment nicht noch mehr laute Geräusche ertragen. Die Nerven sind so schon angespannt genug. Das Ding muss aus.
Walkabout schaukelt sich ein. Wenn uns eine dicke Welle quer trifft, dann legt sich das Schiff tüchtig auf die Seite, pendelt wieder zurück und nochmal …. Es fliegen Sachen aus dem Regal, die vorher noch nie geflogen sind. Um 20.00 Uhr hat es auch Thomas erwischt – seekrank. Abendessen, obwohl schon im Hafen von Cherbourg vorgekocht, fällt aus.
Stockfinstere Nacht, nur eine schmale Mondsichel steht am Himmel. Es wird ruhiger, die Lage entspannt sich zunehmend. Einmal nur werde ich aus der Koje geholt, weil wir das Großsegel setzen müssen, zunächst mit drei Reffs. Später in der Nacht geht die Windstärke allmählich weiter zurück, auch der Seegang wird gleichmäßiger. Wir können zusätzlich zur kleinen Fock den Klüver setzen und das Groß ausreffen. Der Wind hält sich leider nicht an unsere Wünsche und kommt immer vorlicher, inzwischen fast aus Süd. Wir können unseren Kurs so nicht halten, müssen immer wieder korrigieren und segeln schließlich hart am Wind. Hört sich schlimmer an als es ist. Auf der Walkabout sind die Bewegungen jetzt angenehmer, das Schiff legt sich brav auf eine Seite und rauscht gleichmäßig durch’s Wasser. Endlich kehrt Ruhe ein, bedeutet für mich noch 3 Stunden Tiefschlaf.

Der nächste Tag beginnt friedlich, ca. 20 Knoten Wind, wenig Schiffsverkehr, alles entspannt. Es wird erst um kurz vor 9 hell. Also hell-grau, denn die versprochene Sonne lässt sich nicht blicken. Walkabout ist endlich an den Kanalinseln vorbeigezogen und wird schneller dank mitlaufender Strömung. Im Moment läuft es gerade gut. Schön wäre etwas übertrieben, aber das liegt wohl eher an der Jahreszeit. Wir haben am Nachmittag plötzlich keine Dreiecke mehr auf unserem Plotter. Wenig Verkehr könnte schon gut möglich sein, aber dass da so gar keine Schiffe mehr zu sehen sind, das wundert uns doch sehr. Thomas überprüft unser AIS, die Dioden für Senden und Empfangen leuchten beide. Es scheint also zu funktionieren. Eine Stunde später erscheinen immer noch keine anderen Schiffe auf dem Bildschirm. Das ist schon merkwürdig …. Thomas verfolgt alle Wege bis unter die Bodenbretter und findet heraus, dass sich die Verbindung zwischen Pactor-Modem und Splitter gelöst hat. Das Problem ist schnell gelöst, man muss es nur erst erkennen. Auf einmal sehen wir wieder bunte Dreiecke, es gibt doch ein paar Schiffe im Umkreis. Später erfahren wir vom Kompetenzzentrum Hamburg, dass unser AIS-Gerät die ganze Zeit über nicht gesendet hat. Laut unserem Signal waren wir immer noch in Cherbourg. Nicht gut. 🙁
Inzwischen ist die Strömung gekippt, wir schleichen nur noch mit 2,5 Knoten langsam vorwärts. Kurs hoch am Wind und Gegenstrom, ETA verzögert sich. Ein paar Fischer zu beiden Seiten, sonst keine besonderen Vorkommnisse.
Ein großes Schiff der Brittany Ferries kommt uns entgegen auf der Route von Roscoff nach Plymouth. Die Amorique kann 1500 Passagiere und 500 Autos transportieren. Die Fähre passiert in ausreichendem Abstand. Das ist gut so, noch eine wird wohl heute nicht mehr fahren. Ich entscheide mich dafür, unseren Weg in der Fahrspur der Amorique fortzusetzen, denn da ist das Wasser auf jeden Fall tief genug. Nur noch 8 Seemeilen bis zum Ziel. Ich fühle mich nicht wohl bei der Annäherung an eine unbekannte Küste. Die Sicht ist schlecht, es gibt hier viele Sandbänke, Fels-Formationen unter und über Wasser, kleine Inselchen. Die elektronische Seekarte ist gespickt mit Symbolen von Wracks, beinahe so schlimm wie der Schiffs-Friedhof vor Kap Hoorn. Ich wecke meinen Mann zur Unterstützung. Die Ansteuerung von Roscoff ist eigentlich ganz leicht …. wenn man sich nicht von den herausragenden Felsen und Gefahrentonnen irritieren lässt. Augen zu und durch ! Natürlich nicht, nur nicht nervös werden …. Also die Augen zwei lange Stunden konzentriert auf den Plotter richten und nicht vom Weg abkommen. Der Käpt’n steht währenddessen draußen und hält Ausschau. Er sieht eindeutig mehr als ich von meinem Steuerstand im geschlossenen Deckshaus aus. Tatsächlich ist die Ansteuerung sehr gut betonnt, auch die Einfahrt in den kleinen Seglerhafen ist erfreulich einfach zu finden. Um 19.30 Uhr machen wir die Leinen am Schwimmsteg fest. Nun kann an Wetter erstmal wieder kommen, was will. Nachts prasselt der Regen auf’s Kajütdach, der Sturm pfeift in den Wanten. Laut Wetterbericht gibt es vorerst kein Weiterkommen, wir werden uns gleich für eine Woche einmieten.