Wir segeln und wandern durch die Welt

Duncannon bis Greenwood Lake

Sonntag, 29.06.                                            104. Tag

Der neue Tag fängt sehr gut an. Einer von den ganz jungen Hikern erzählt, dass sein Großvater gleich mit Frühstück für uns kommen wird. Alle warten gespannt, was nun passieren wird. Tatsächlich kommt der Opa mit einem vollgeladenen Wagen und fängt an, vor dem Hostel Spiegeleier zu braten. Normalerweise esse ich kein Fleisch zum Frühstück, erst recht keinen Speck. Aber die Brötchen sind schon mit gebratenem Speck belegt, Spiegeleier drauf und fertig. Ich futtere drei von diesen Brötchen und kann es selber kaum glauben. Die schmecken mir sogar, anscheinend braucht der Körper das. Mein Proteinbedarf für heute ist damit wohl gedeckt. Der Großvater hat Wasser und Gatorate dabei, außerdem eine Wunder-Kiste mit allen möglichen nützlichen Dingen für die Hiker. Jeder darf sich daraus aussuchen und mitnehmen, was er möchte. Ich habe genug an Proviant, aber ein Erdnuss-Riegel, ein Reis-Milch-Snack und eine kleine Tüte Trail-Mix findet doch den Weg in meinen Rucksack. Außerdem eine ganz interessante Flasche : Proteinmilch von Kellogg’s mit Mokka-Geschmack und dem Koffein einer Tasse Kaffee. Das hört sich gut an, muss ich unbedingt morgen früh probieren.

In der Hiker-Box wartet ein nagelneuer Fersen-Stift auf neuen Besitzer. Doppelt so groß und schwer wie der, den ich mir eigentlich kaufen wollte. Aber dafür ist er von der teuren Marke GoldBond, der wird dann doch gerne mitgenommen.

Kurz danach erscheint Miss Janet und nimmt in  ihrem Wagen wirklich ALLE Rucksäcke mit von den Leuten, die gleich loslaufen zum „Fiest in the Forest“. Das bedeutet für mich, heute zum ersten Mal unbeschwert nur mit Handgepäck auf dem Trail spazierengehen. Der ganz große Unterschied : ich schwitze überhaupt nicht.

Zunächst liegt ein langer Aufstieg vom Delaware Water Gap vor mir – was sonst ? „Gap“ bedeutet „Einschnitt, Lücke“ – nach einem Gap geht der Weg immer erst einmal wieder bergauf. Schon bald passiere ich die Grenze zwischen Pennsylvania und New Jersey. Der Weg führt mich um den Sunfish Pond herum, das ist ein großer See, der sehr idyllisch aussieht und zum Baden einlädt. Aber hier ist einfach alles verboten : Schwimmen, Camping, Feuer machen, Alkohol, Rauchen ….. die Liste ist noch viel länger. Aber man darf drumherum spazieren und ihn sich anschauen. Immerhin.

Gegen 14.30 Uhr erreiche ich bereits die Lichtung, auf der das „Fiest in the Forest“ stattfindet. Es sind schon etwa 40 Leute da, Hiker und Organisatoren. Gesponsort wird diese riesige Trail Magic-Veranstaltung von der Gruppe „Hike for Mental Health“. Ich bekomme einen Button geschenkt, den ich jeden Mittwoch anstecken soll. Hintergrund dieser Geschichte : Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass die Selbstmordrate Mitte der Woche sprunghaft ansteigt und die meisten Suizide am Mittwoch begangen werden. Gleichzeitig gibt es Studien, die beweisen, dass die Selbstmordrate unter Long-Distance-Hikern verschwindend gering ist. Die Gruppe „Hike for Mental Health“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit dem Stigma des Suizid-Mittwochs aufzuräumen. Soll wohl bedeuten : Wandern ist gesund – geht lieber in den Wald ! Bei dieser Gelegenheit erfahre ich auch ganz nebenbei, dass gerade Fußball-Weltmeisterschaft ist und dass Deutschland die USA mit 1 : 0 besiegt hat. Das ist mir ja direkt ein bisschen unangenehm. Essen ist super, es gibt ein reichhaltiges Buffet. Ich schaufele mir den Teller voll mit Lasagne, danach gibt es noch zwei Stücke Kuchen und Honigmelone zum Nachtisch. Überwiegend wird schon am Nachmittag Bier getrunken, aber ich nehme nur zwei Cola und ein Mountain Dew. Deswegen schenkt mir Tom Kennedy, einer der Initiatoren, zwei Dosen Bier und einen kleinen abgepackten Möhrenkuchen zum Mitnehmen. Außerdem steht auch hier eine große Kiste, aus der sich alle Hiker bedienen können. Lauter tolle Dinge, aber ich schaue besser gar nicht hinein. Ich brauche nichts, und mein Rucksack ist sowieso schon schwer genug. Habe ja heute wieder gar nichts daraus verbraucht, sondern es sind immer mehr Sachen hinzugekommen. Viele Hiker schlagen ihr Lager in der Nähe auf und bleiben gleich hier bei der Party. Ich verabschiede mich nach etwa zwei Stunden, weil ich gerne noch ein paar Meilen schaffen möchte.

Es ist Sonntag, was immer bedeutet, dass viele Day-Hiker unterwegs sind. Einer der Wanderer, die mir entgegenkommen, sagt im Vorbeilaufen : „Oh, you need new shoes !“ Ja, es ist ganz offensichtlich, meine Schuhe fallen nun wirklich bald auseinander. Ich hoffe doch sehr, dass sie noch die nächsten 10 Tage bis nach Kent durchhalten werden, wo ich dann hoffentlich ein Paket von Salomon ausgehändigt bekomme.

Am Catfish Lookout Tower steht ein Picknick-Tisch, der mich zu einer weiteren Pause einlädt. Auf dem weiteren Weg begegnen mir keine Menschen mehr, nur ein paar Rehe sowie ein männlicher Turkey.

Komme an noch einem weiteren großen See vorbei, der über und über mit Seerosen bedeckt ist. Leider sind die Blüten jetzt um 18.30 Uhr bereits alle geschlossen, sonst müsste das ein atemberaubend schöner Anblick sein.

Es wartet noch eine steile Felswand auf mich, die ich hochklettern muss. Bin etwas erstaunt, denn die war im Profil in meinem AT-Buch gar nicht zu erkennen.

Überhaupt weiß ich am Abend gar nicht so recht, wo ich mich befinde. Meine Beobachtungen stimmen irgendwie nicht mit dem AT-Guide überein. Habe schon lange keine markanten Wegpunkte mehr gesehen. Kurz nach 20.00 Uhr beschließe ich trotzdem, dass Zeit für den Feierabend ist. Mein Fuß pocht trotz Knöchel-Bandage. Links von mir ist eine Wiese mit hohem Gras, das wird ein weiches Nachtlager werden. Ich möchte noch die zwei Dosen Bier draußen trinken, damit ich die morgen nicht weiter tragen muss. Wegen der vielen Stechtiere um mich herum beeile ich mich damit, trinke schneller als gewohnt und kann danach nicht mehr schreiben. Bin nur noch müde.

Und ich bin sehr froh darüber, dass ich Pennsylvania abgehakt habe. Ab heute bewege ich mich in meinem 8. Bundesstaat New Jersey.

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Montag, 30.06.                                                     105. Tag

Zum Frühstück gibt es die Protein-Milch mit Mokka-Geschmack und den geschenkten Möhrenkuchen. Muss dabei an meine Freundin Manja denken, die von „carrot cake“ schon einige mehr in Neuseeland verdrückt hat.

Nur 20 Minuten nach dem Loslaufen passiere ich einen Abzweiger zu den Buttermilk Falls. Das heißt, ich habe so ziemlich auf den Punkt genau mitten in der verbotenen Zone um den Crater Lake gecampt. Das hätte ich nicht gedacht, dass ich schon so weit bin. Es bedeutet auch, dass ich gestern trotz des späten Starts und der 2-stündigen Pause bei der Trail Magic doch noch insgesamt 20 Meilen gelaufen bin.

Es ist wieder unheimlich heiß. Ein Hiker, der mit einem High-Tech-Gerät zum Temperatur-Messen unterwegs ist, erzählt mir von 35 Grad Celsius.

Die Steine auf dem Weg sind leider von gestern bis heute immer noch nicht verschwunden. Aber ich bilde mir ein, dass der Trail langsam angenehmer und die Landschaft schöner wird. Morgens begleiten mich zuerst ein paar Rehe am Wegesrand. Dann sehe ich einen ca. 1 Meter hohen männlichen Turkey mit roten Flecken am Hals. Es geht nun wieder ordentlich hinauf und hinunter, aber alles ist besser als das, was ich in den vergangenen zwei Wochen hatte. Über glatte Felsplatten führt der Weg nacheinander auf drei kleine Gipfel mit Rundum-Aussicht. Sehr schön ! Das erinnert mich stark an die White Mountains, nur dass die Berge dort viel höher sind.

Rechts ein großer See, links davon ein kleinerer See – das ist Branchville, mein nächstes Pausenziel. Aber vorher gibt es noch eine Trail Magic, kurz bevor der Trail auf die Straße zum Dorf mündet. Neben einem dicken Baumstamm liegen zwei Bierkartons. Eine Flasche ist noch drin, die kann man ja mal einpacken für später. Komisch, in ganz Pennsylvania gab es im Supermarkt und an der Tankstelle kein Bier zu kaufen, und hier liegt es einfach neben dem Weg.

Es ist nur ein kleiner Abstecher vom Trail weg, um eine angenehme Mittagspause am See zu verbringen. Diesmal meide ich „Gyp’s Tavern“,  denn die scheinen nicht so viel Wert auf die Hiker zu legen. Unser Buch sagt darüber aus, dass die Hiker nicht an der Bar essen und trinken sollen, sondern draußen im Patio. Es gibt sogar einen extra Eingang durch’s Gartentor für die Hiker, das ist ja diskriminierend. Hier möchte ich nicht einkehren. Freundlicher geht es ein paar Häuser weiter bei „Joe to Go“ zu. Auch hier gibt es ein Schild, dass man die Ladenfront frei von Rucksäcken halten soll. Macht Sinn, das kann ich verstehen. Außerdem hat der Besitzer ein großes Schild angebracht mit Hinweis auf die „Hiker-Bank“ an der Seite des Hauses. Hier darf man sich ausbreiten, kochen, Pause machen, hier gebe ich mein Geld gerne aus. Auf der Hiker-Bank genieße ich Cola, Kaffee, Eis, Banane, zum Schluss noch eine Schoko-Milch hinterher. Nicht, weil ich die so toll finde, sondern weil ich die Kalorien brauche.

Meine nächste Station ist der Sunrise Mountain, auf dessen Gipfel ein Pavillon mit Bänken für die Ausflügler steht. Camping verboten ! Ja, ich weiß, habe auch noch 9 Meilen zu tun bis zur nächsten guten Wasserquelle.

Aber als ich an die nur 3,5 Meilen entfernte Shelter komme, da erinnere ich mich, dass 2012 hier Wasserkanister in der Bären-Box standen. Und richtig – große Fässer mit Trinkwasser lagern im bärensicheren Metallschrank. Also schon wieder eine kleine Pause, ich möchte einen Liter direkt hier trinken und nicht tragen. Schreibe meinen Dank und ein paar nette Worte ins Shelter-Buch. Während dieser Zeit kommt ein Freiwilliger, um die Wasser-Behälter aufzufüllen. Da kann ich mich gleich nochmal persönlich bedanken. Er sagt zu mir : „You smell good. You don’t smell like a hiker.“ Danke für’s Kompliment ! Das muss an meinem Moskitospray liegen, welches ich gerade großzügig verwendet habe. Ich habe nämlich schon wieder drei neue Stiche auf der Schulter. Bin wohl nicht schnell genug gewesen, im Laufen und durch mein T-Shirt hindurch gestochen worden.

Und weiter, jetzt gilt es, eine hohe Felswand zu bezwingen. Dabei stören sogar die Stöcker, denn ich muss mich mit beiden Händen festhalten. Gleich danach geht es auf der anderen Seite wieder steil hinunter. Auch hier in New Jersey ist der Trail anscheinend nicht so einfach.

Um 19.30 Uhr erreiche ich mein Ziel, das High Point State Park Headquarters. Hier spendet ein Trinkbrunnen köstliches Wasser. Als ich für diese Pause meine Kleidung wechsele, da entdecke ich schon wieder eine dicke Zecke auf meinem Hiking-Shirt. Die müssen ja jetzt echt Hochsaison haben. Ich esse gleich hier, damit ich im Wald nachher sofort das Zelt aufbauen und darin verschwinden kann.

Leider ist das Gelände immer noch steil und steinig, ausgerechnet jetzt, wo ich einen Lagerplatz für die Nacht suche. Es wird bereits bald dunkel, die erste flache Stelle nehme ich. Es sind eine Menge Unebenheiten im Boden, aber so spät kann ich nicht wählerisch sein. Da muss ich mich irgendwie drumherum legen. Trinke nur noch mein Trail Magic-Bier, aber auch das ist nicht so entspannend. Es summt und sirrt überall um mich herum, dafür habe ich heute im Zelt keine Insekten.

Dienstag, 01.07.                                   106. Tag

8.00 Uhr morgens, und es ist schon schwül. Ich habe gar keine Lust zum Loslaufen. Schwitze schon, wenn ich nur daran denke. Meine Stiche auf der Schulter sehen übel aus. Die muss ich heute irgendwie abdecken und mir eine neue Trage-Technik ausdenken. Mein After-Bite-Stift ist leer, ich sollte unbedingt sobald wie möglich einen neuen besorgen.

Schon bald komme ich an einer Aussichts-Plattform aus Holz und an einem Steinturm, dem höchsten Punkt New Jerseys, vorbei. Den Abstecher zum Strand kann ich mir sparen, weil dort erst um 12.00 Uhr geöffnet wird.

Am Vormittag liegen zunächst Felsen, spitze Steine und Geröll auf dem Weg. Meine Beine sind schwer, irgendwie habe ich heute gar keine Energie. Muss unbedingt mal wieder einen Tag Pause einlegen. Eigentlich wollte ich nach 8 gelaufenen Meilen einen Abstecher nach Unionville machen, um dort auf der schattigen Veranda von Horler’s Store die Mittagsstunden zu verbringen. Aber ich habe den richtigen Abzweiger anscheinend verpasst. Es wäre sowieso ein Umweg von insgesamt 1,5 Meilen gewesen, wieder zurücklaufen ist kein Thema für mich. Dafür werde ich es heute Abend vermutlich noch vor 19.00 Uhr bis zur Heaven & Hill Farm schaffen. Auch gut. Mache nur eine ganz kurze Pause an einem kleinen Bach, um meinen Flüssigkeits-Level wieder aufzufüllen.

Am Nachmittag wird das Gelände offener, durch Wiesen und Sumpfgebiet komme ich schnell voran. Auf dem Trail liegt eine neue Schlangenart, zierlich mit schwarzen und gelben Längsstreifen. Das ist eine Eastern Ribbon. Wenig später hoppelt wieder so ein braunes Pelztier vor mir her. Ein Groundhog ?

Danach führt der Weg durch das Wallkill-Reservat, immer direkt in der prallen Sonne um ein paar Teiche herum. Ich sehe eine abgrundtief hässliche Wasserschildkröte, die sich ins Gras verirrt hat. Libellen mit komischen schwarzen Vierecken auf den Flügeln jagen sich gegenseitig in der Luft. Und hier gibt es Tausende von Heuschrecken. Jedes Mal, wenn ich einen Schritt mache, springen ein Dutzend Heuschrecken vor meinen Füßen davon. Das ist witzig !

Ein absoluter Höhepunkt auf dem Appalachian Trail ist der „Boardwalk“, der mehr als eine Meile durch ein Schilfgebiet führt. Ordentliche Holzstege, fest miteinander verankert und gar nicht wackelig, verlaufen erst nach Süden, dann nach Norden. Wunderbar einfach zu gehen und dabei total schön anzusehen. Es gibt mittendrin ein paar Bänke und Aussichts-Plattformen, zwei kleine Teiche mit Wasser-Schildkröten und zum Abschluss eine imposante Holzbrücke  über den Wawayanda-Creek. So etwas Nettes möchte ich gerne öfter haben.

Kurz danach habe ich die Straße nach Vermont erreicht, wo mich ein kleiner Umweg pünktlich vor Ladenschluss zur Heaven & Hill Farm bringt. Beim Kleidung-Wechseln, bevor ich den Laden betrete, entdecke ich erneut eine Zecke auf meinem Hiking-Shirt. Und zwar sind das nicht die kleinen schwarzen Punkte, sondern diese Zecken sind bis zu einem Zentimeter groß. Der Vorteil : sie sind gut zu erkennen. Aber wo kommen die bloß alle her ? Ich kaufe mir Cola, Eis, 3 Bananen, 2 Orangen und Blueberry-Muffins für’s Frühstück morgen. Das Obst wird sofort gegessen, ich möchte es nicht tragen.

Nach dieser Abendessen-Pause habe ich noch einen weiteren felsigen Aufstieg auf den Wawayanda Mountain vor mir. Den mussten wir 2012 bei Gewitter und zunehmender Dunkelheit bewältigen. Da habe ich es heute viel besser. Nur eine Meile Kletterei bis zur Wasserquelle, dann den nächstmöglichen Platz für die Nacht herrichten. Den Rest des Aufstieges werde ich morgen früh in Angriff nehmen.

Verziehe mich sofort in mein Zelt. Es sind nur zwei Mücken zu Besuch, dieses kleine Problem ist sehr schnell erledigt. Für „keine Lust“ beim Aufstehen am Morgen sind 21,3 gelaufene Meilen eine ganz passable Tagesetappe.

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Mittwoch, 02.07.                                                 107. Tag

Bin um 5.30 Uhr wach und stehe direkt auf. Es sieht nach Regen aus, und ich möchte das Zelt gerne trocken einpacken. Also schon um 6.15 Uhr unterwegs, ist ja auch nicht verkehrt.

Das bisschen Aufstieg am Morgen hat es in sich. Und genau so anstrengend ist auch der weitere Tagesverlauf. Immer wieder führt der Trail über Felsen steil bergauf. Mehr als einmal sind mir die Stöcker dabei im Weg, und ich werfe sie voraus. Die Abstiege sind auch extrem anstrengend, dabei muss ich so manches Mal rückwärts klettern und vorsichtig den nächsten Tritt ertasten. Das geht zu Zweit irgendwie einfacher, wenn angesagt wird, wo ich hintreten kann.

Gleich in der Frühe habe ich einen Bären voraus, der aber sofort flüchtet. Hier in New Jersey scheint es wieder mehr davon zu geben. Etwas später rennt ein Reh schnaubend vor mir über den Weg. Direkt hinterher kommt ein Jungtier gelaufen. Es ist noch sehr klein, ein niedliches Kitz mit Punkten wie Bambi.

Es sind nur 12 Meilen bis zum Seitenweg, der nach Greenwood Lake hinunter führt. Aber das Gelände ist anspruchsvoll, oder mein Energie-Level ist nicht hoch genug. Ich muss 3 x Pause machen und brauche deutlich länger als gewöhnlich. Zum Mittag hin wird die Strecke nicht leichter, aber sehr schön. Nun laufe ich auf dicken Felsen über sog. Ridges, habe oben immer tolle Rundum-Ausblicke. Und viel Sonne, ich verbrauche den letzten Rest meiner Sonnencreme, die auf den offenen Fels-Passagen dringend nötig ist.

Der Weg ist schwierig zu finden. Es gibt hier keine Bäume mit White Blazes. Manchmal sind Markierungen auf die Steine gemalt, aber da diese weiß marmoriert sind, kann man die Wegweiser nur schlecht erkennen. Ich muss einige Male wieder umdrehen und nach dem richtigen Verlauf des Trails suchen. Schon wieder passiere ich eine Grenze : bin jetzt im Bundesstaat New York. Es geht offensichtlich über jeden Gipfel, der höchste davon ist der Prospect Rock. Dies ist der höchste Punkt des AT in New York, und natürlich weht oben eine USA-Flagge. Im weiteren Verlauf werden die Felswände so steil, dass man über eine fest installierte Leiter nach oben klettern muss. In den Tälern dagegen ist das Gelände sumpfig, da laufe ich über Bretterstege und Trittsteine. Auf jeden Fall sehr abwechslungsreich.

Eine kleine Ringneck-Snake verschwindet vor mir in der Wurzel eines umgestürzten Baumes. Nur ein kleines Stück weiter spazieren zwei Truthahn-Damen gackernd durch den Wald.

Endlich, viel später als erwartet, erreiche ich den Blue Blaze-Trail zum Dorf. Ich deponiere oben meinen Rucksack, Stöcker und Wanderschuhe. Alles wird mit dem Poncho gut abgedeckt und mit Steinen gesichert. Der Weg nach Greenwood Lake hinunter geht heftig bergab und ist steinig, ohne meine Trecking-Poles und nur in Crocs gar nicht so einfach. Nach einer Meile Abstieg bin ich beim kleinen Lebensmittel-Laden angekommen. Der ist genau so schlecht sortiert, unfreundlich und teuer wie vor 2 Jahren. Ich bezahle glatt 6,- US$ für eine große Flasche Orangensaft. Aber muss sein, diese zwei Liter trinke ich sofort und mit Genuss an einem der Picknick-Tische leer. Gegenüber befindet sich die öffentliche Bücherei. Nach Erfragen des Passwortes habe ich gutes Internet und kann sogar nach Hause telefonieren. Mittlerweile ist ein Gewitter aufgezogen. Es donnert und blitzt und regnet in Strömen. Hoffentlich sind meine Sachen dort oben auf dem Berg gut wasserdicht eingepackt. Miss Janet hat eine Unwetter-Warnung für die Hiker bei Facebook gepostet. Heute und morgen soll ein dickes Sturmtief über New Jersey und New York hinwegziehen, ganz genau über dem Appalachian Trail.

Als es nur noch leicht tröpfelt, mache ich mich auf den Weg zum Abendessen bei Subway. Gleich daneben ist eine Apotheke, da kann ich einen neuen Stift zur Behandlung von Insekten-Stichen kaufen. Sonnencreme gibt es nur in großen Flaschen, die möchte ich nicht tragen.

Gegen 19.30 Uhr mache ich mich auf den Rückweg. Mittlerweile regnet es wieder stärker. Es grummelt die ganze Zeit bedrohlich am Himmel, aber diesmal steht mein Zelt vor dem Wolkenbruch. Es wird besonders sorgfältig aufgebaut, gut verspannt und zusätzlich mit dicken Steinen beschwert. Die jungen Bäume ringsherum sehen gesund und kräftig aus, da wird mir nichts auf den Kopf fallen. Mein Rucksack sowie die Schuhe sind trotz des starken Regens unter’m Poncho trocken geblieben. Das Gute an dem Unwetter ist, dass heute kein Feierabend-Jogger oder abendlicher Hunde-Ausführer mehr vorbeikommen wird. Und es gibt keine Insekten !

Bin früh im Zelt verschwunden und mache es mir mit einer Tüte Chips und einer Dose Bier gemütlich. Wenn alles gut organisiert ist, dann mag ich Blitz, Donner und Regen so richtig genießen.

Vorsichtshalber habe ich vorhin noch bei einem Hotel ganz in der Nähe angerufen. Die sollen laut meinem Buch gute Preise für Hiker anbieten. 45,- US$ für ein Einzelzimmer ist ganz okay. Das wäre noch eine Option, falls es in der Nacht oder morgen früh knüppeldicke kommt.

Donnerstag, 03.07.                                                 108. Tag

Gewitter und Sturm sind schadlos über mich hinweggezogen. Eigentlich wollte ich warten, bis mein Zelt trocken ist, aber das ist heute nicht zum Aushalten. Die Mücken sind alle wieder da und setzen sich frech auf meine Hände, während ich packe.

Ich sehe gleich mehrere Groundhogs, die sich hier im Gebiet der Seen und Sümpfe anscheinend sehr wohlfühlen.

Auf der Straße vom Wald zum Dorf hält ein Wagen für mich an. Der Fahrer fragt, ob ich weiß, wo ich hin möchte und ob er mich ein Stück mitnehmen soll. Nein danke, aber sehr freundlich. Ein kleines Stück weiter komme ich an zwei Männern der Müll-Abfuhr vorbei. Die fragen natürlich auch sofort, wo ich so früh schon herkomme. Völliges Unverständnis ! Wie – von Georgia ? Warum nach Maine ? Einer der Beiden sagt, dass er noch nicht einmal von hier bis zur nächsten Ecke laufen würde. Kurz vor der Kreuzung zur Hauptstraße hält das Auto der Müll-Abfuhr noch einmal an. Der Fahrer schenkt mir 5,- US$  für mein Frühstück und wünscht weiterhin gutes Gelingen. Super – Trail Magic „Geld“ hatte ich bisher noch nicht in diesem Jahr. Ich bedanke mich und antworte brav mit „God bless you.“ Man weiß ja inzwischen, was die Menschen hier gerne hören. Schaden kann es nicht.

Eigentlich wollte ich mich vor dem Essen umziehen, aber bei „The Grill“ gibt es keine Toiletten. Auch gut, dann sitze ich eben mit meiner langen Unterhose und meinem Schlaf-Shirt beim Frühstück. In solchen Dingen sind die Amerikaner viel cooler als die spießigen Menschen in Deutschland. Ich darf meinen Rucksack den ganzen Tag hier stehenlassen. Sehr gut, dann kann ich unbeschwert zur Bücherei laufen. Dort kann ich mich auch waschen, mir die Zähne putzen und mich stadtfein anziehen.

Nun habe ich schon meinen 9. Bundesstaat New York erreicht. Schon wieder gelten andere Regeln, Einiges wird noch strenger reglementiert. Zelten ist nur an vorgegebenen Stellen erlaubt, was mich aber herzlich wenig interessiert. Es wird keine Polizeistreife im Wald herumlaufen und das kontrollieren. Außerdem bin ich immer früh wieder weg und hinterlasse keine Spuren. Trampen ist in New York verboten, was natürlich die Einkaufs-Möglichkeiten und die Auswahl der Hostels für mich nochmal stark einschränkt. Auf Dosen und Flaschen wird ein Pfand erhoben, das ist auch neu. Es wird wahrscheinlich nicht viele Raucher hier geben, denn laut den Werbetafeln liegt der Preis für eine Schachtel Zigaretten bei über 9,- US$. Dafür kann man nun wieder locker überall Bier kaufen, ohne dass man seinen Ausweis vorlegen muss. Alles etwas gewöhnungsbedürftig, aber wenn man sich darauf einlässt, dann ist die Vielfalt in den USA wirklich einzigartig.

Der Himmel ist bedeckt, es sieht nach weiterem Regen aus. Ich habe noch keinen Plan für die Zeit nach dem Blog-Schreiben. Mal sehen, ob ich mich wetterbedingt eine Nacht im Hotel einmiete oder am späten Nachmittag wieder zurück auf den Trail gehe ….. Die nächste interessante Station wird ein Umweg zum Tiorati Circle sein. Das ist ein kleines Freibad an einem See, wo man außerdem kostenlos duschen kann. Und es gibt Automaten, die Cola und Eis ausspucken, wenn man sie mit Dollar-Noten füttert. Da muss ich hin !