Wir segeln und wandern durch die Welt

Maine 04.09 – 26.09.2012

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04.09.2012  Wir haben wirklich traumhaft geschlafen auf unserem Zeltplatz am Dream Lake. Lautes Wolfsgeheul in der Nacht, ausserdem koennen wir einen Elch durch das Wasser stapfen hoeren. Bei einem unserer Abstiege gestern habe ich mir eine Zerrung im linken Oberschenkel geholt, die leider heute ordentlich schmerzt. Aber es ist ein ganz besonderer Tag : wir erreichen Maine, unseren 14. und letzten Bundesstaat auf dem Appalachian Trail. Lange haben wir davon getraeumt, seit 4 einhalb Monaten wollten wir  „nach Maine“ laufen. Und nun stehen wir endlich an der New Hampshire-Maine-Grenze. Thomas moechte ein froehliches Foto von mir in Siegerpose machen, aber mir ist nur zum Heulen zumute. So fertig sind wir, muede und angeschlagen, dass mir die Traenen herunterlaufen. Also gibt es kein glueckliches Bild, wir kaempfen uns einfach weiter. Und immer noch keine Entwarnung, das Gelaende bleibt schwierig, die Berge sind zahlreich und steil. Im weiteren Verlauf des Tages stuerze ich  ( etwa das 10. Mal in den letzten 3 Tagen ) und reisse mir die Hand-Innenflaeche auf. Das macht das Klettern auch nicht angenehmer, aber wir muessen vorankommen. Dummerweise haben wir uns selber mal wieder unter Zeitdruck gesetzt, indem wir unseren Flug bereits fuer den 26.09. gebucht haben. Leider hatten wir nicht damit gerechnet, dass wir in den White Mountains und in Sued-Maine nur so kurze Distanzen pro Tag schaffen. Dass wir langsamer werden, war schon klar, aber unsere Etmale werden immer schlechter, dadurch haben wir uns jede Moeglichkeit fuer einen Ruhetag genommen.

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05.09.2012  Wir muessen durch die Mahoosuc Notch klettern, das sind 1,3 Meilen durch wild durcheinanderliegende Fels-Boulder. Beschrieben wird dieser Abschnitt des Weges in unserem Buch als “ the most difficult or most fun mile of the trail „. Spass an dieser Turnerei mit Rucksack und Trecking Poles haben vielleicht die 18-25 jaehrigen Sportler unter den Hikern. Alle, mit denen wir gesprochen haben, fanden es unmoeglich, so eine gefaehrliche Kletterpartie als Wanderweg zu bezeichnen. Noch dazu beginnt es gerade nachdem wir in die Schlucht gestiegen sind zu regnen. Also alles feucht und glatt, bedeutet mal wieder erhoehte Anforderungen ! Ein junger Mann hat die Mahoosuc Notch in 1 Stunde und 25 Minuten geschafft, wir brauchen dafuer 3 Stunden und 30 Minuten. Wohlgemerkt, es sind nur 1,3 Meilen gewesen. Wir sind froh, als wir mit zittrigen Knien, aber unversehrt, dort durchgekommen sind. Aber es ist immer noch keine Entspannung in Sicht, denn wir muessen am Nachmittag noch einen steilen Berg bewaeltigen. Obwohl uns die Schlucht am Vormittag schon sehr viel Kraft gekostet hat, muessen wir noch den Mahoosuc Arm erklettern, ein hoher Aufstieg ueber loses Gestein und steile Felsplatten, immer noch alles nass und rutschig vom Regen. Endlich erreichen wir kurz vor Einbruch der Dunkelheit die Speck Pond Shelter und bezahlen dort gerne die 16 Dollar Gebuehr fuer einen engen, aber trockenen Schlafplatz. Essen und ab in die Horizontale, Fuesse pflegen und die Beinmuskeln entspannen. Neuer Minus-Rekord heute : nur 5,1 Meilen geschafft, obwohl wir uns den ganzen Tag richtig gequaelt haben. Das ist schon sehr frustrierend ! Fuer mich war dieses der bisher schlimmste Tag auf dem Appalachian Trail.
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07.09.2012  Resupply in Andover, kurz und schmerzlos, nach gut 2 Stunden mit Kaffee, Essen und Einkaufen sind wir wieder auf dem Trail. Keine Zeit fuer Internet und Waescherei, wir wollen weiter.
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09.09.2012  Tagesaufgabe heute ist der Saddleback Mountain mit 4120 Fuss Hoehe. Unten am Berg stehen Schilder mit Warnhinweisen. Man darf den Aufstieg nach 12.00 Uhr mittags nicht mehr beginnen, weil der Weg so anstrengend und gefaehrlich ist. Das gilt natuerlich nicht fuer uns Thru-Hiker. Wir nehmen den Saddleback-Mountain noch am Nachmittag in Angriff, was uns erstaunte und besorgte Kommentare von entgegenkommenden Einheimischen einbringt. Etwa auf halber Hoehe sehen wir unseren ersten Elch aus der Naehe, das heisst, zuerst hoeren wir nur ein tiefes Schnauben neben unserem Weg. Die Tiere sind von Nahem riesig gross, wirklich sehr beeindruckend. Leider ist unsere Elchkuh ziemlich scheu und verschwindet schnell im unwegsamen Gelaende. Wir finden es ganz erstaunlich, dass sie sich  hier auf dem steilen Felsanstieg so sicher bewegen kann. Gegen 19.00 Uhr erreichen wir den Gipfel, das Wetter scheint ruhig zu sein, und wir erleben einen schoenen Sonnenuntergang. Aber kaum haben wir unser Zelt dort oben aufgestellt und mit dem Kochen angefangen, da kommt heftiger Wind auf. Es wird immer stuermischer, dazu starker Nebel, der alles einhuellt. Die ganze Nacht durch werden dauernd die nassen  Zeltwaende nach innen und gegen unsere Koerper gedrueckt. Das Ende vom Lied ist, dass wir alle Kleidung uebereinander anziehen, die wir noch dabeihaben. Thomas traegt ueber der ganzen Montur noch seine Regenhose und -jacke, um sich gegen Wind und Kaelte zu schuetzen. So liegen wir frierend im Schlafsack und verfluchen diese Schnapsidee, auf einem so hohen Gipfel zu zelten. Das sollte man nicht machen, es wird die kaelteste Nacht auf unserem Appalachian Trail.
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10.09.2012  Maine ist das Bundesland mit dem meisten Wasser. Fuer die Wanderer bedeutet das etwa 10 Fluss-Ueberquerungen in den naechsten paar Tagen. Heute muessen wir als ersten Ford den Orbeton-Stream  schaffen, was auch prompt schiefgeht. Durch den vielen Regen der  vergangenen Tage ist der Wasserstand im Fluss recht hoch. Beim Versuch, auf Steinen ans andere Ufer zu springen, tappe ich einmal voll ins Wasser und habe einen komplett nassen Fuss. Da man nicht mit nassen Schuhen laufen sollte, machen wir auf der anderen Seite ein Lagerfeuer, trinken Tee und trocknen unsere Sachen. Die Schlafsaecke werden total geraeuchert und stinken noch tagelang. Ein kleines Brandloch vom Funkenflug im Rucksack, ein kleines Loch in meiner Hose, ein paar Socken von Thomas bestehen nur noch aus Loechern – aber meine Schuhe und alle Klamotten sind danach trocken. Da fuer den Abend wieder starker Regen angesagt ist, beenden wir den Tag recht frueh in der Spaulding Mountain Shelter. Kaum haben wir uns dort eingerichtet, schiebt sich eine schwarze Wolkenwand heran, und es giesst  stundenlang. Wir sind froh ueber unsere gute Entscheidung und geniessen den trockenen Schlafplatz, hoeren wieder die ganze Nacht durch Wolfsgeheul und andere fremdartige Tiergeraeusche.
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11.09.2012  Resupply in Stratton. Wir treffen Nooga wieder und erlauben uns eine Nacht im White Wolf Inn.
12.09.2012  Wieder ein grosser Meilenstein auf unserem langen Weg : wir passieren die 2000-Meilen-Marke. Wahnsinn ! Manchmal sind wir selber schwer beeindruckt von dem, was unsere Koerper so leisten. Auch unsere Tagesdistanzen sind wieder akzeptabel, die schlimmsten Passagen liegen wohl hinter uns. Allerdings sind wir auch nicht faul, sondern stehen jeden Tag sehr frueh auf und haben auch die Pausen verkuerzt. Heute laufen wir wieder mit Taschenlampen bis um 21.30 Uhr, dadurch haben wir immerhin 15,3 Meilen geschafft.
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13.09.2012  Ein langer, schoener Tag mit einem erfrischenden Bad im West Carry Pond zur Mittagszeit. Unser Ziel heute ist das Ufer des Kennebec River, wo wir morgen mit einem kleinen Boot uebersetzen muessen. Der Fluss ist breit und hat eine gefaehrliche Stroemung, so dass man ihn nicht einfach durchwaten kann. Der Faehrmann arbeitet jeden Tag von 9 – 11 Uhr und von 14.00 bis 16.00 Uhr, um die Hiker ans andere Ufer zu bringen. Weil wir keine Zeit mit Warten verschwenden wollen, geben wir ordentlich Gas und erreichen bei Einbruch der Dunkelheit die Anlegestelle. Direkt daneben bauen wir unser Zelt auf und freuen uns ueber die geleisteten 21 Meilen ( 33,6 Kilometer ).
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14.09.2012  Klappt alles wunderbar, wie geplant. Der Faehrmann ist ein komischer Kauz, ein Unikat, wie wir ja schon in der Dokumentation ueber den Appalachian Trail gesehen haben. Distanz von 19,1 Meilen heute – wir koennen endlich unsere alte Leistung wieder bringen.
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15.09.2012  Auf dem Tagesprogramm stehen zwei Forde, die laut unserem Buch nach Regenperioden gefaehrlich sein koennen. Der Piscataquis River ist normalerweise knietief, zur Sicherung ist ein langes Seil von einem Ufer ans andere Ufer gespannt. Da verzichten wir aber lieber drauf und suchen uns unseren eigenen Weg ein kleines Stueck flussaufwaerts. Kein Problem ! Ein grosses Wespennest haengt mitten ueber unserem Weg, da haben wir schon etwas mehr Respekt vor. Zum Glueck wurden wir wieder durch Zettel von anderen Hikern gewarnt und bewegen uns sehr vorsichtig daran vorbei. Spaeter muessen wir dann noch einen Umweg laufen, weil Biber ein grosses Gebiet durch ihre gebauten Daemme unter Wasser gesetzt haben ( Beaver Bypass, ausgeschildert und gekennzeichnet durch rosa Baender in den Baeumen ). Am spaeten Nachmittag erreichen wir die Strasse nach Monson, wo sich normalerweise alle Hiker mit Proviant fuer die 100-Mile-Wilderness eindecken. Da aber hier vor kurzem der einzige Lebensmittelladen geschlossen hat, machen wir per Anhalter einen Abstecher ins 14 Meilen entfernte Greenville. Wieder nur Haehnchen, Kaffee, Einkauf und schnell vor Anbruch der Dunkelheit zurueck zum Trail. Das war unser letzter Resupply – morgen geht es in die Wilderness, das ist wirklich der letzte Abschnitt unserer Wanderung. Komisches Gefuehl, das hat schon sowas Endgueltiges.
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16.09.2012  Heute ist ein schwieriger Tag, an dem wir 3 Forde zu bewaeltigen haben. Die Ueberquerung des Long Pond Streams haelt uns lange auf, weil wir nur ein Paar zum Durchwaten geeignete Schuhe haben. Also Wanderschuhe, Socken und Hosen ausziehen, lange Leinen an die Crocs, ausserdem mit kurzen Baendern an den Fuessen festbinden, damit die Stroemung diese nicht mitnimmt. Alles wasserfest verpacken, Rucksaecke und Stoecker gut sichern, Thomas geht zuerst durch den Fluss. Teilweise reicht das Wasser bis zum Po, die Stroemung ist auch ganz gewaltig. Nachdem Thomas am anderen Ufer angelangt ist, schickt er mir die Clogs hinueber, und das ganze Prozedere geht bei mir nochmal von vorne los. Danach alles wieder abbaendseln, aufrollen, die Fuesse trocken, wieder Anziehen. So vergeht schonmal ruckzuck eine Stunde. Zum Glueck ist das Wetter schoen, denn das Wasser ist eiskalt. Am Abend treffen wir Ralph in der Long Pond Stream Shelter, den Theologiestudenten aus Ulm, den wir in der ersten Nacht in unserem Hiker-Hostel kennengelernt haben. Und wir amuesieren uns ueber die niedlichen Maeuse, die von Tag zu Tag aktiver werden. Liegt das an Maine oder vielleicht daran, dass es immer kaelter wird und sie fuer den bevorstehenden Winter Nahrung sammeln ? Auf jeden Fall werden in der letzten Woche dreimal unsere aufgehaengten Futtersaecke durchgenagt. Am Besten schmecken den Maeusen unser Trail-Mix, Schokoladenkekse und Chips. Aber auch am Kaese waren sie dran, sogar das Zitronen-Limonaden-Pulver wurde angeknabbert. Wir teilen gerne mit den suessen Nagetieren, denn in einer Woche werden wir wohl nicht verhungern.
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17.09.2012  Wir starten schon sehr frueh und laufen bis kurz vor dem Dunkelwerden knapp 18 Meilen. An der Suedseite des West Branch River Ford schlagen wir unser Zelt auf, denn am anderen Ufer in Nord-Richtung darf man die naechsten 2 Meilen nicht campen. Erleichtert wird uns die Entscheidung durch einen sehr grossen, interessanten Karton auf dieser Seite des Flusses. Endlich mal wieder Trail Magic, und das mitten in der Wilderness ! Lauter leckere Sachen finden wir : Schoko-Donuts, Trail-Mix, Pringles, Kekse, Erdnuss-Butter, rote Aepfel, Apfelsaft.. Mitnehmen wollen wir nichts, aber Schoko-Donuts, Aepfel und Saft verbessern unsere sparsame Abendmahlzeit heute ganz enorm.
18.09.2012  Wir haben noch 71,9 Meilen bis zum Gipfel des Mount Katahdin vor uns, aber heute koennen wir vom White Cap Mountain aus den ersten Blick auf unser grosses Ziel werfen.  Geheimtipp von Mister Breeze alias Ken : Zeltplatz am Sandstrand vom Crawford Pond. Vor mehr als 2 Monaten haben wir diese Empfehlung bekommen und in unserem Buch markiert, heute moechten wir gerne dort uebernachten. Um dieses Ziel zu erreichen, geben wir nochmal Alles und finden den schoenen Platz auch tatsaechlich nach 21,5 Meilen. Ein romantischer Campingplatz mit sandigem Strand, von Bergen umgeben, sollte es sein. Leider kann man das Wetter nicht planen. Bis wir dort ankommen, ist es bereits stockdunkel. Die letzten 2 Stunden sind wir in stroemendem Regen gelaufen, dazu ist ein heftiger Sturm aufgekommen. Bis das Zelt aufgebaut steht, ist alles nass und matschig, wir kriechen ohne warmes Essen in die feuchten Schlafsaecke. Normalerweise ein Fall von “ total genervt „, aber weil es ja nur noch ein paar Naechte sind, stoert uns das nur noch halb so doll. Nur schade, dass wir diesen Geheimtipp nicht richtig geniessen konnten. Bei schoenem Wetter muss das Zelten hier am Gebirgssee wirklich traumhaft sein !
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19.09.2012  Mittags kommt zum Glueck die Sonne durch. An der legendaeren Jo-Mary-Road packen wir mal wieder unsere ganzen Klamotten aus und haengen Zelt und Schlafsaecke zum Trocknen auf. Diese Strasse ist die einzige Moeglichkeit, auf halbem Wege aus der Wilderness herauszukommen oder sich Proviant bringen zu lassen, wenn man falsch kalkuliert hat. Wir geniessen dort an der Bruecke eine lange Pause und lassen uns von der Sonne durchwaermen. Heute gibt es einen besonders schoenen Blick auf den Mount Katahdin, der jetzt nur noch 47,7 Meilen entfernt ist. Ein weiteres Highlight des Tages ist ein maennlicher Elch, der mitten auf dem Trail vor uns herlaeuft. Weil die Elchbullen ein so ausladendes Geweih tragen, koennen sie nicht so leicht zwischen den Baeumen verschwinden. Dieser massige Elch bleibt also ein langes Stueck Weg immer nahe vor uns und laesst sich ausgiebig fotografieren. Irgendwann moechten wir dann doch ganz gerne weiterlaufen, aber man kommt nicht vorbei. Es dauert lange, bis wir das voellig entspannte Tier dazu bringen koennen, ein paar Meter an die Seite zu treten.
20.09.2012  Wir sind seit Wochen immer am Kaempfen, damit wir rechtzeitig ankommen. So sind wir auch heute schon wieder seit 6 Uhr frueh unterwegs. Dumm ist nur, wenn man sich verlaeuft und einen Berg in die falsche Richtung absteigt. Leider ist mir genau das heute passiert, nur 2 Tage vor dem Ziel, wo doch in unserem Zeitplan sowieso schon alles so knapp ausgelegt ist. Vom Nesuntabunt Mountain, wo wir eine kurze Rast mit Blick auf den Katahdin gemacht haben, steige ich den naheliegendsten White Blaze-Weg wieder hinunter. Thomas war schon vorgelaufen, waehrend ich mich noch umziehen wollte. Ich habe ueberhaupt nicht geblickt, dass ich denselben Weg hinunterlaufe, den wir kurz vorher hochgestiegen sind. Weil ich meinen Mann einholen wollte, bin ich auch sehr schnell gegangen und habe meinen Fehler erst bemerkt, als ich an einer Shelter ankam, wo wir vor 3 Stunden schon einmal waren. Ich konnte es fast nicht glauben, aber mein Eintrag vom Vormittag im Shelter-Buch war eindeutig. Oh Mann, wie aergerlich ! Das hat uns mal eben 5 zusaetzliche Meilen gekostet, die uns leider nicht nach vorne gebracht haben. Froh war ich, dass Thomas mir auf halbem Wege entgegenkam, um mich abzuholen. Sonst haette ich 9 trostlose Meilen alleine bis zur naechsten Shelter laufen muessen, wo unser Treffpunkt gewesen waere. Einen positiven Nebeneffekt hatte mein Extra-Ausflug aber doch : Waehrend wir den Rest des Tages schoen nahe beieinander bleiben, sehen wir gleich 3 Elch-Kuehe ganz nahe am Wegesrand. Sie sind gar nicht scheu, sondern traben ganz langsam einige Meter neben uns her, bevor sie weiter in den Wald hinein verschwinden.
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21.09.2012  Wir verlassen die Rainbow Spring Campsite bereits morgens um 5.30 Uhr. Ja, es wird immer frueher, denn das Ziel ist schon so nah. Ob wir es wohl heute trotz meiner Extra-Einlage von gestern bis zum letzten Campingplatz vor dem Gipfel schaffen ? Wir laufen zuegig und fast ohne Pause. Gegen Mittag haben wir schon 11,2 Meilen geschafft, die 100-Mile-Wilderness liegt hinter uns und die Arbol Bridge mit dem beruehmten Einkaufsladen und Restaurant liegt direkt vor unserer Nase. Wir futtern, was nur hineingeht, Vorspeise, Salat, Hauptgericht – mussten ja lange auf alles verzichten. Dort sitzen bereits alte Bekannte von uns : Tantrum, Slingblade, Bad Penny und Flap Jack, dem wir nun bereits einige Wochen immer 1-2 Tage hinterhergehinkt sind. Grosse Wiedersehensfreude ! Was uns aber am meisten freut ist, dass wir unseren Ranger John wiedertreffen. Wir haben John am allerersten Abend am Campingplatz des Springer Mountain kennengelernt, wo er als Caretaker gearbeitet und Statistik ueber die gestarteten Thru-Hiker gefuehrt hat. Am naechsten Tag konnten wir ihm vor seinem Zelt zum Geburtstag gratulieren und haben dabei Regina Ridgerunner getroffen, die wir ebenfalls spaeter nochmal bei einer Trail Magic wiedergesehen haben. Damals hat er uns erzaehlt, dass er zum Ende der Saison nach Maine versetzt wird, und wir hatten immer gehofft, John irgendwann noch einmal zu begenen. Und – was fuer ein Zufall – nun treffen wir ihn hier am Tage vor unserer letzten Gipfelbesteigung. Nachdem er uns auch endlich einordnen konnte, haben wir uns sehr lange mit ihm unterhalten. Es war fuer beide Seiten eine tolle Begegnung ! Gegen 16.00 Uhr  nehmen wir die letzten 10 Meilen des Tages in Angriff. Dieser Abschnitt des Trails ist dann endlich einmal sehr einfach zu laufen gewesen. Wir sind schnell, obwohl wir noch 2 Forde durchqueren muessen. Ziel ist der Birches Campsite, wo wir leider 30 US-Dollar fuer die Nacht bezahlen muessen. Wir melden uns in der Ranger Station des Baxter State Parks als Thru-Hiker an und bekommen unser Formular fuer die Beantragung der 2000-Miler-Urkunde ausgehaendigt. Am Abend gibt es noch Trail Magic von Flapjacks und Slingblades Eltern. Wir sitzen ganz entspannt mit einigen anderen Hikern zusammen, die alle morgen ihren grossen Tag haben werden. Obwohl wir nach 21,2 gelaufenen Meilen ziemlich muede sind, geniessen wir die nette Atmosphaere an diesem letzten Abend sehr. Ein paar Bier und Hot Dogs gehen schon noch hinein, dann verabschieden wir uns, weil wir sehr frueh aufstehen wollen.
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22.09.2012  Um Viertel vor 5 Uhr stehen wir auf und kochen Tee, weil wir vor Aufregung nicht mehr schlafen koennen. Sobald es hell wird, beginnen wir den 5,1 Meilen langen Aufstieg. Schon bald merken wir, dass ein Wochenende ein ganz schlechter Termin fuer eine Gipfelbesteigung ist, denn es sind schon sehr viele Menschen unterwegs. Wir ueberholen mehr als 30 Wanderer, zum Teil Familien, zum Teil ganze Gruppen. Das nervt uns ja schon voellig. Wie frueh muss man denn wohl loslaufen, um nicht diese Massen um sich zu haben ? Leider wird auch das Wetter immer schlechter. War es morgens frueh noch klar und die Chance auf einen Schoenwetter-Gipfeltag da, so wird es ab der halben Strecke immer nebliger, bis es dann schliesslich richtig regnet. Dazu viel Wind von allen Seiten, so dass wir nach und nach unsere gesamte Schlechtwetter-Montur anziehen. Der Aufstieg auf den Mount Katahdin ist nochmal hammerhart gewesen. Das hatten wir uns einfacher vorgestellt ! Anfangs war der Weg nur steil und felsig, aber dafuer hatten wir ja eine gute Kondition. Aber dann ging es immer mehr ans Klettern, die Abstaende zwischen den Felsen wurden immer groesser, Rucksack und Stoecker stoerten mal wieder beim Bewegen. Dazu dieser feuchte Nebel, die Kaelte und die nassen Felsen – war mal wieder das komplette Programm von allem, was man sich nicht wuenscht. Trotzdem war es ein erhabenes Gefuehl, nach 5 Monaten und 10 Tagen endlich vor diesem langersehnten Gipfelschild zu stehen. Es sind ein paar Traenen geflossen, vor Glueck und vor Erleichterung, dass wir es geschafft haben. Das ist ueberhaupt das Beste daran : Wir haben es zusammen geschafft ! Gemeinsam sind wir stark und koennen alles erreichen ( wenn man sich die Ziele vernuenftig steckt ). Erstaunlich ist auch, was man seinem Koerper so zumuten kann. Eine wichtige Erfahrung fuer uns war, dass man sich immer wieder ueberreden kann. Trotz aller Blessuren haben wir es geschafft, jeden Tag auf’s Neue zu laufen. Blasen, Knieprobleme, Zerrungen, wunde Stellen – alle Problemstellen haben sich trotz weiterer Beanspruchung wieder zurueckgebildet. An dieser Stelle herzlichen Dank an Rachel und Chelsea, unsere beiden Trail-Angel vom 2. Tag, die fuer unsere Gesundheit beten wollten. Hat gut geklappt ! Bis auf einen angeknacksten kleinen Finger ist uns nichts passiert. Die Knie knirschen noch ein wenig, aber auch das wird wieder vorbeigehen. Wir haben auf jeden Fall gesehen, dass wir 2200 Meilen nonstop laufen koennen. Und es hat uns auch noch Spass gemacht, trotz aller Muehen und Strapazen. Wir wollen mehr davon ! Auf jeden Fall werden wir uns ueber den PCT informieren und diesen Trail vielleicht in einigen Jahren in Angriff nehmen. Eventuell sogar den Triple der US-Weitwanderwege schaffen ? Wer weiss …..
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23.-24.09.2012  Nach einer Uebernachtung in Millinocket, wo 3 vorausgeschickte Pakete auf uns warten, werden wir am Sonntag von Ruth abgeholt. Eine liebe Bekannte aus unserem 1. Hiker-Hostel, die gleichzeitig mit uns gestartet ist, aber leider nach 3 Wochen wegen Knieproblemen den Trail verlassen musste. Mit Ruth erleben wir einen wunderschoenen Tag ohne Laufen. Sie zeigt uns ihre Heimat und wir fahren mit dem Auto weite Strecken der Ostkueste Maines ab. Dabei kommt langsam wieder Heimweh auf nach dem Meer und der Walkabout. An einem Aussichtspunkt treffen wir zufaellig den australischen Walkabout und ein weiteres Paar, welches wir ebenfalls auf dem Appalachian Trail kennengelernt haben. Ja, die Welt ist klein. Eine Nacht werden wir noch zu Ruth nach Bangor eingeladen, von wo aus wir dann am Montag mit dem Bus in Richtung Boston starten.
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24.-26.09.2012  Boston entdecken, Treffen mit Tom, Kosmetik, Friseur, neue Hosen kaufen (11 bzw.13 Kilo abgenommen )
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