Wir segeln und wandern durch die Welt

New York, Connecticut, Massachussetts, Vermont 27.07 – 24.08.2012

27.07.2012  Kaffee am Vormittag im Visitor-Center. Ein rundum schöner Tag mit abwechslungsreicher Landschaft. Was ein Gegensatz zu Pennsylvania ! Kletterpartien und Balanceakte auf dicken Felsgraten machen heute besonders Spaß. Wir müssen über den Black Mountain und danach noch über den Bear Mountain. Vom Perkins Memorial Tower kann man die Skyline von New York sehen. Von hier sind es nur 32 Meilen bis dorthin. Wir beobachten eine Turkey-Mutter, die ganz aufgeregt ihre Jungen zusammenruft.  Nachmittags führt der Weg durch einen kleinen Zoo am Hessian Lake. Dort im Bärengehege befindet sich der tiefste Punkt des Appalachian Trails. Danach laufen wir auf einer großen Brücke über den Hudson River, ebenfalls sehr eindrucksvoll. Am Abend machen wir eine lange Pause am Appalachian Trail Market, wo es Pizza, Eis und Getränke gibt. Von da aus ist es nur noch gut eine Meile bis zum Graymoor Spiritual Life Center. Auf dem dazugehörigen Fußballfeld darf man kostenlos zelten, außerdem kann man unter Dach in einem Pavillion schlafen. Dort treffen wir Lars ( Trailname Lost ) wieder, den wir Anfang Juni vor Pearisburg verloren haben. Campen auf weichem Rasen, ein sternenklarer Himmel. Wir sitzen noch einige Zeit auf einer Bank am Spielfeldrand und sind sehr zufrieden mit der Welt. Heute haben wir die ersten entgegenkommenden Southbounder ( SoBos ) getroffen. Beide waren sehr schnell unterwegs und hatten keine Zeit zum Reden.

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28.08.2012  Gutgelaunt starten wir mit dem Vorsatz, heute eine ordentliche Tagesetappe zu laufen. Wir begegnen wieder zwei SoBos, diese sind sehr nett und zum Plaudern aufgelegt. Nach 8 Meilen wollen wir endlich Frühstückspause machen, aber da bricht ein heftiges Gewitter mit starkem Regen los. An einem Parkplatz warten wir eine Weile, währenddessen steigen zwei etwas seltsame Männer aus ihrem Wagen und schenken uns ein paar Dosen Bier. Als es nicht aufhört zu regnen, machen wir uns trotzdem auf den Weg. Alles ist matschig und rutschig, nach weiteren 4 Meilen sind wir durch und durch nass und kalt. Also ändern wir unsere Pläne und machen einen Umweg von einer Meile über eine vielbefahrene Straße zum Clarence Fahnestock State Park. Man soll hier eine Nacht kostenlos zelten dürfen. Außerdem gibt es dort eine große Shelter, die man für private Feiern mieten kann. Einige andere Hiker haben ebenfalls den Weg hierher gefunden. Eine russische Großfamilie feiert Geburtstag. Wir bekommen köstlichen Tee angeboten, machen ein schönes Feuer im Kamin und hängen alle nassen Sachen an einer Leine auf. Es ist eigentlich ganz gemütlich, den Tag früh zu beenden und hier herumzuhängen. Unser Zelt bauen wir später am Abend, nachdem die Festgesellschaft gegangen ist, mitten in der geräumigen Shelter auf.

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29.07.2012  Gemütliches Frühstück in der Miet-Shelter. Ein Biber paddelt im See herum und baut eifrig an einem Damm. Nachmittags nochmal ein Umweg zum Mountaintop Market, wo wir schon wieder Proviant einkaufen müssen. Unser Ziel heute ist die Morgan Stewart Shelter. Das Gelände ist angenehm einfach, so dass wir genau 16 Meilen geschafft haben.

30.07.2012  Leichtes Laufen durch ausnahmslos schöne Landschaft. Es geht über grüne Wiesen und Holzstege, vorbei am Nuclear Lake und an der größten Eiche des AT ( mehr als 300 Jahre alt ). Alle Wasserquellen sind ausgetrocknet, aber man darf sich bei Privatleuten an der Straße mit Wasser bedienen. Es schmeckt leider scheußlich nach Seife. Wir kommen an der Appalachian Trail Railroad Station vorbei, die der einfachste und kürzeste Weg nach New York ist. Gleich dahinter steht ein alter, hölzerner Wasserturm. Noch eine Weile führt unser Weg über Wiesen und Felder aber es bleibt nicht lange so idyllisch. Der Wald verschluckt uns wieder, links und rechts nur Bäume, es scheint endlos so weiterzugehen. Da das Gebiet hier mücken- und fliegenverseucht ist, können wir nicht mehr für eine Rast anhalten, sondern gehen 4 Stunden stramm weiter bis zur nächsten Straße. Hier erleben wir die erste und einzige Trail Magic im Staate New York. Das Wichtigste ist ein großer Behälter mit Wasser, ganz frisch, ein dicker Eisklotz schwimmt noch darin. Dazu gibt es eine Dose Getränkepulver mit Lemongeschmack und eine große Thermo-Box mit lauter nützlichen Sachen : Pflaster, das allseits beliebte Duck-Tape, Kabelbinder, Küchenrolle, Mücken-Repeller, Sonnenmilch, Alkohol für unseren Kocher, Landkarten von dieser Region, Pappbecher, Teebeutel. Außerdem noch eine Dose Ravioli für´s Abendessen und eine Tupperdose mit Waffelkeksen für sofort. Das gibt eine schöne Pause ohne größeren Zeitverlust. Anschließend wird der Weg wieder sumpfig und führt weite Strecken über Fußbrücken. Zum Schluß quälen wir uns noch einen letzten Berg hinauf. Mir tun die Bänder und Sehnen weh, das linke Knie sticht heute öfter als sonst. Gegen 20.00 Uhr erreichen wir die Ten Mile Shelter, sind heute 13 Stunden unterwegs gewesen und davon mehr als 9 Stunden gelaufen. Immerhin ein Ergebnis, welches sich sehen lassen kann : 20,5 Meilen geschafft. In der kleinen Shelter finden wir noch überreste von Trail Magic : verschieden Sorten Kekse, Feuchttücher zum Reinigen und Toilettenpapier. Es gibt sogar eine Wasserpumpe und einen Eimer, in dem ich meine schmerzenden Füße kühlen kann. Unser Zelt stellen wir auf einer weichen, frisch gemähten Wiese auf. Sehr schön !

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31.07.2012  Heute überqueren wir die Grenze zwischen den Bundesstaaten New York und Connecticut. Pause auf den Indian Rocks mit superschöner Aussicht. Eine braune, längsgestreifte Schlange ( Garter Snake ?) flüchtet vor uns und schlängelt sich ins Gebüsch. Nach 8,7 Meilen erreichen wir die Straße nach Kent, wo Stadtbesuch geplant ist. Wie immer kostet alles irrsinnig viel Zeit, wir schaffen nur die Hälfte und sind genervt. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit steigen wir noch einen Berg hinauf und zelten verbotenerweise am Wegesrand.

01.08.2012  Frühstück auf den St. Johns Ledges-Felsen, danach führen steile Steinstufen hinunter zum Housatonic River. Der Weg führt eine ganze Weile am Fluss entlang, in dem wir an einem kleinen Sandstück ein Bad nehmen. Die Wasseroberfläche ist schwarz von irgendwelchen Insekten ( Mücken ?), aber wir wagen uns trotzdem hinein, weil die letzte Dusche schon ein paar Tage her ist. Nachmittags laufen wir getrennt, was sich als unangenehme Folgen hat. Ich bin schnell unterwegs und laufe aus Versehen an der nächsten Shelter vorbei, wo wir uns treffen wollten. Bemerke meinen Fehler erst, als die Sonne fast untergeht und ich schon mindestens 4 Meilen zu weit gelaufen bin. Laufe noch eine Stunde mit Stirnlampe weiter und  beschließe dann, oben auf einem Gipfel zwischen glatten Felsen mein Nachtlager mit Isomatte und Schlafsack einzurichten. In der Ferne ist Donnergrollen zu hören, aber die agressiven Mücken sind mein größtes Problem. An Schlaf ist da eigentlich kaum zu denken. Beim Guinea Brook hatte man die Wahl, einen Umweg zu laufen oder die bei viel Wasser gefährliche Variante über den Fluss zu nehmen. Da Thomas nicht wusste, welchen Weg ich gegangen bin, hat er sich große Sorgen gemacht, als ich spätabends immer noch nicht am Treffpunkt war. Er ist 5 Meilen wieder zurückgelaufen, um mich zu suchen, dann wieder zur Shelter. Gegen 23.00 Uhr hat ein anderer Hiker  die Polizei verständigt, was eine nächtliche Suchaktion von Feuerwehr und Polizei zur Folge hatte. Allerdings hat niemand daran gedacht, dass ich so weit voraus bin. Die Suche beschränkte sich auf das Gebiet zwischen dem gefährlichen Guinea Brook und der Shelter. An diesem Tag habe ich 21,5 Meilen zurückgelegt, Thomas durch seine Suchaktion noch ein paar Meilen mehr.

02.08.2012  Das Gewitter ist vorbeigezogen, zum Glück hat es in der Nacht nicht geregnet. Aber mein Gesicht, Hals, Nacken und die Kopfhaut sind von Mücken zerstochen und angeschwollen. Es herrscht dicke Nebelsuppe, alles ist floddernass. Ich kann es gar nicht abwarten, endlich aufzustehen. Als man gerade erahnen kann, dass es hell wird, packe ich mein Zeug zusammen und laufe los. Schon nach einer Meile werde ich von einem Polizisten angehalten, ins Auto eingeladen und 7 Meilen zurückgebracht zu einem Treffpunkt, wo Thomas nach einer schlaflosen Nacht auf mich wartet. Wir beschließen, nur noch die 8,2 Meilen bis ins nächste Dorf zu gehen und den Tag dort zu beenden. Der nette Besitzer von Toymakers Cafe in Falls Village gestattet uns, unser Zelt bei ihm auf der Wiese aufzustellen . Sonst gibt es hier im Dorf wirklich nichts, noch nicht einmal einen Laden zum Einkaufen – ein guter Ort, um zur Ruhe zu kommen und früh ins Zelt zu verschwinden.

03.08.2012  Ausgeschlafen bis um 8.00 Uhr, dann in Toymakers Cafe gut gefrühstückt. Auf dem Weg zum Trail nehmen wir eine kalte Dusche außen an einer von Wein umrankten Hauswand. Wie gesagt, Außendusche, aber so werden Unterwäsche und T-Shirt gleich mitgewaschen. An den Wasserfällen vom Housatonic River lohnt es sich schon wieder anzuhalten und schöne Bilder zu knipsen. Trotz dieser Unterbrechungen haben wir schon nach 2,5 Stunden unglaubliche 8 Meilen bis nach Salisbury zurückgelegt. Eine Extra-Meile bis in die Stadt wird mit Kaffee, Soda und Eiscreme belohnt. Am Nachmittag müssen wir lange und sehr steil aufsteigen, der Lions Head und der Bear Mountain wollen überquert werden. Es geht über Felsen und Geröll, total anstrengend, aber immer mit fantastischer Aussicht nach beiden Seiten. Dieses ist kein Gelände mehr zum “ Gut vorwärts kommen „. In 4 Stunden schaffen wir nur noch 7 Meilen bis zum Sager Ravine Campsite. Ab jetzt befinden wir uns schon wieder in einem neuen Bundesstaat : Massachussetts.

04.08.2012  Wir folgen lange dem Fluss Sages Ravine am Ufer entlang. Dann sind schon wieder Berge im Weg, der Mount Race und der sehr steile Mount Everett. Es ist schweißtreibend und kraftraubend, zudem brauchen wir unbedingt Wasser. Auch der Abstieg gestaltet sich schwierig. Wir müssen schier endlos über hohe Felsstufen nach unten klettern. Aber am Ende erwartet uns ein schöner Parkplatz mit Picknicktischen und der besten Trail Magic der Welt : H²O für alle. Es gibt zwei große Kühlbehälter mit frischen Eisblöcken darin, dazu etwa ein Dutzend weitere Kanister mit leckerem Wasser. Einige andere Bekannte aus den letzten Tagen sind auch schon dort. Während wir noch so dasitzen, essen und Tee kochen, folgt die nächste überraschung. Ein Auto fährt vor, und ein großer Topf mit frischen, noch warmen Maiskolben kommt auf den Tisch. Die Spender erzählen irgendetwas von der Kirche, diese Maiskolben seien übriggeblieben für die Hiker. Tolle Idee, wenn man so die Reste loswerden kann ! Wir freuen uns, es schmeckt richtig lecker. Frisch gestärkt und neu motiviert laufen wir weiter bis zu einem kleineren Parkplatz. Dort macht gerade unser Freund T.P. Pause mit einer Trail Magic der besonderen Art. Ein 6-er Pack mexikanisches Bier stand da, eine Flasche für uns ist noch drin. Ziemlich warm, aber es schmeckt trotzdem. Wir geben T.P. noch einen Liter von unserem Wasser zum Kochen und suchen uns dann im Wald den nächstbesten Platz für unser Zelt. Auf dem Weg schlängelt vor uns eine große Garter Snake an die Seite, viel länger und dicker als alle, die wir vorher gesehen haben.

05.08.2012  Wasser brauchen wir ganz dringend, deswegen steuern wir an der nächsten Straßenabzweigung den Route 7 Grill an in der Hoffnung auf ein leckeres Frühstück. Der Grill hat leider geschlossen, aber wir können an einer Hauswand Wasser abzapfen. Zurück am Trail wartet eine große Thermo-Box mit kalten Getränken auf uns. Daneben liegt ein Zettel mit der Einladung zum Duschen, Küche benutzen, Internet usw. für nur 3,- Dollar Donation. Während wir noch darüber beraten, ob wir das Angebot annehmen und einen Ruhetag in Great Barrington  einlegen sollen, hält ein Auto direkt neben uns an. Bearwalker und Buttons, so heißen diese Trail Angel, füllen die Thermo-Box auf und nehmen uns dann mit zu sich nach Hause. Beide sind Thru-Hiker aus verschiedenen Jahren, kennengelernt haben sie sich aber erst auf dem Long Trail. Seit diesem Jahr nehmen sie Hiker bei sich auf und teilen ihre kleine Wohnung jeden Tag mit vielen Leuten. Beide müssen  zur Arbeit, zeigen uns aber alles und lassen ihre Wohnung für weitere Besucher auf. Nachmittags fängt es heftig an zu regnen, was zur Folge hat, dass immer mehr  Hiker klingeln und Schutz suchen. Alle wollen duschen, die Küche wird immer voller, mir wird das zu eng. Wir verzichten auf den Schlafplatz im Wohnzimmer und stellen unser Zelt lieber im Garten auf.

06.08.2012  Dieser Tag verwöhnt uns mit leichtem Gelände, es geht immer an verschiedenen Flüssen und Seen entlang. Unterwegs treffen wir ein mittelalterliches Paar. Der Mann erzählt uns, dass es sein Traum ist, einmal den Appalachian Trail zu laufen. Er gratuliert uns und fragt, ob er uns die Hände schütteln darf. Ja, bitte. Solch positive Reaktionen erleben wir häufig, etwa dass aus einem fahrenden Auto herausgerufen wird : “ You make a good job. “ Heute erreichen wir unser gestecktes Ziel relativ früh und sind nach 17,6 Meilen an der Shaker Campsite angekommen. Leider ist dieser  Platz ein schmutziges, dunkles Loch, wir müssen unser Zelt im Dreck aufstellen.

07.08.2012  Wieder einfaches Terrain, viele Bäche und Teiche sorgen für Abwechslung . Eine große, dicke Garter Snake kreuzt unseren Weg. Abends erreichen wir “ Home of the Cookies Lady „, wo wir kostenlos auf einer Wiese zelten dürfen. Es ist eine Blaubeer-Farm, ein wunderschönes Haus mit mehreren Schuppen und viel Blumen drumherum. Die Besitzer, Marylin und Roy, sind beide schon über 70 und etwas tatterig , aber stellen ihr großes Grundstück gerne den Hikern zur Verfügung. In einem kleinen Nebenhaus gibt es sogar eine Toilette für uns. Man kann Eis und Soda kaufen, tagsüber gibt es selbstgebackene Kekse, aber dafür waren wir schon zu spät. Hier lernen wir Nooga kennen, der uns großzügig von seiner bestellten Pizza abgibt. Es war ein richtig guter Tag mit 20,9 gelaufenen Meilen. Geht doch !

08.08.2012  Wir stehen schon um 6.00 Uhr auf, das Zelt ist nass vom Morgentau. Keine lange Frühstückspause, wir laufen zielstrebig los, weil wir nach Dalton wollen. Juchhu, der Weg bleibt flach, so dass wir 9,5 Meilen in knapp 4 Stunden schaffen. Ein SoBo hat uns unterwegs erzählt, man könne auf einem Privatgrundstück, genannt “ The Birdscage „, einfach sein Zelt aufstellen. Und wir finden im Vorbeilaufen noch einen Garten, in dem einige Hiker umsonst wohnen. Aber wir wollen nach 5 Wochen endlich mal wieder im Hotel chillen und genießen diesen Luxus in vollen Zügen. Das Shamrock Village Inn hat alles, was wir uns wünschen : ein weiches Bett, eigenes Bad mit warmer  Dusche, Waschmaschine und Trockner, Internet, Fernseher, Kühlschrank, Kaffeemaschine und Mikrowelle. Die Managerin Laura ist ausgesprochen nett und hilfsbereit, außerdem gibt sie uns 10 % Hiker-Discount. Ganz in der Nachbarschaft gibt es einen Coffeeshop, in dem ich Blueberry-Muffins, gegrillt mit Butter, für mich entdecke.

09.08.2012   Schweren Herzens verabschieden wir uns vom Shamrock Village Inn und von Laura. Wir wären gerne noch eine Nacht länger geblieben, aber so kommt man nicht nach Maine. Noch bevor es richtig losgeht, verlaufen wir uns, indem wir einen falschen Weg vom Parkplatz aus einschlagen. Wieder eine Meile umsonst …. aber heute haben wir sowieso keinen weiten Weg vor uns. Wir müssen nur 9 Meilen bis nach Cheshire, wo ein Paket mit Schuhen von Keen auf uns warten soll. Das Haus gehört zur Kirche “ St. Mary of the Assumption Church “ und besteht aus einer großen Turnhalle, Toiletten und zwei kleinen Räumen. Pfarrer David Raymond befindet sich heute noch im Urlaub, aber die Tür steht offen. Wir schlafen in einem leeren Klassenzimmer auf dem Boden.

10.08.2012  Die neuen Schuhe sind da, wir haben an einer Tankstelle gefrühstückt, unsere Rucksäcke fertig gepackt und könnten losgehen. Aber der Morgen beginnt mit Gewitter, den ganzen Tag regnet es immer wieder heftig. So beschließen wir, noch eine weitere Nacht hier im Trockenen zu bleiben. Der Fußboden in unserem Klassenzimmer war bretthart in der Nacht. Außerdem kann man in diesem Dorf gar nichts unternehmen. Selbst die 1-Raum-Bücherei hat geschlossen, es gibt kein Internet. Aber es macht wirklich keinen Sinn, bei diesem Sauwetter loszulaufen.

11.08.2012  Heute steigen wir auf den Mount Greylock, dort befindet sich der höchste Punkt von Massachussetts. Auf dem letzten Stück bergauf fängt es schon wieder zu regnen an. Oben auf dem Top machen wir Mittagspause in der Bascom Lodge. Während wir in der gemütlichen Hütte sitzen, entlädt sich draußen ein heftiges Gewitter. So geht es den ganzen Nachmittag weiter : Donner, Blitz und ergiebiger Regen. Wir laufen mit fließend Wasser von allen Seiten hinunter nach North Adams, wo wir Proviant einkaufen wollen. Leider  gibt es wieder eine Extra-Meile, weil wir an der richtigen Straße zum Supermarkt erstmal vorbeilaufen. Es ist schon 21.00 Uhr und stockdunkel, als wir endlich zurück auf dem Trail sind. Weil es den ganzen Tag nur durch Matsch und Pfützen ging, bin ich barfuß in Sandalen gelaufen. Dabei habe ich mir einen dicken Ast zwischen die Zehen gestoßen und jetzt eine offene Wunde am Fuß. Die schmerzt nun stark, weil die ständige Wasserkühlung aufgehört hat. Deswegen mag ich nicht mehr weiterlaufen, und wir bauen unser Zelt etwa eine Meile vor dem geplanten Campsite auf.

12.08.2012  Wir beginnen den Tag mit einem 3 Meilen langen Aufstieg. Dann überqueren wir die Massachusetts-Vermont-Grenze, ein feierlicher Augenblick. Endlich sind wir in Vermont, ab hier soll es ja sooo schön werden ! Es geht vorbei an vielen Seen und Bächen. Die Gegend ist noch total sumpfig und matschig von den vergangenen zwei Regentagen. Am späten Nachmittag erreichen wir die Congdon Shelter, wo wir eigentlich Wasser nehmen müssen. Aber dieses Wasser kann man nicht ungefiltert trinken, so dass wir 3 Meilen weiter bis zur nächsten Spring gehen und dann dort unser Lager aufbauen wollen. Aber wir laufen zu weit und finden die Quelle nicht. Ruckzuck befinden wir uns in einem steilen Abstieg über lose Steine und Felsbrocken. Mittlerweile ist es schon 22.00 Uhr geworden, aber kein ebener Platz links und rechts. Wir stecken mittendrin und können nur noch nach vorne und bergab klettern. Unten an der Bennington Road stehen schon einige Zelte am Ufer eines kleinen Stromes, dort finden wir einen schönen Platz für unser Zelt. Wir können nicht kochen, weil wir ja die Quelle verpasst haben und nicht genug Wasser haben. Thomas feiert heute seinen 50. Geburtstag, muss aber ohne Essen ins Bett.  Immerhin sind wir  eine gute Tagesetappe von 17,6 Meilen gelaufen und haben die Grenze nach Vermont passiert !

13.08.2012  Es gibt wieder richtige Berge. Mann, ist das anstrengend ! Aber die Landschaft ist wirklich wunderschön. Wir sind voller Zuversicht, unser gestecktes Ziel zu erreichen. Heute schaffen wir 19 Meilen und zelten an der Story Spring Shelter. Dort lernen wir eine neue Gruppe kennen, die Marihuana-Raupe, die wir in den nächsten Wochen immer mal wieder treffen werden. Einer von ihnen ist Mufasa, dem wir einige Tage später in Manchester Center eine Einladung zum Frühstück verdanken.

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14.08.2012  Morgens erwartet uns gleich ein satter Aufstieg, insgesamt 7,4 Meilen bergauf bis auf den Stratton Mountain mit 3936 Fuß Höhe. Dort oben lebt ein Caretaker-Ehepaar während der Saison in einer kleinen Hütte. Nach den ersten Begrüßungsworten überrascht uns die Frau mit der Frage, ob wir Skipper und Walkabout sind. Das deutsche Ehepaar, welches mit dem Segelboot um die Welt reist und nebenbei den Appalachian Trail läuft ?  Auch ein Gruppenleiter mit einer Horde Jugendlicher hat schon von uns gehört und spricht uns sehr interessiert an. Man kennt uns hier, andere Hiker haben von uns erzählt. Wir fühlen uns geschmeichelt. Es gibt einen  Aussichtsturm, auf den wir klettern, um uns die Berge und Wälder aus der Höhe anzusehen. Hier oben hat Benton MacKaye die Idee vom Appalachian Trail entwickelt. Komische Vorstellung, dass ein einzelner Mann sich diesen Weitwanderweg ausgedacht und umgesetzt hat. Nun geht es nur noch bergab, danach wird das Gelände ziemlich eben. Die Landschaft in Vermont beginnt uns zu gefallen : viele Nadelwälder, etwas sumpfig, Bretterstege zum Balancieren. Easy-going ist das heute.. Nach 18,4 Meilen erreichen wir die Spruce Peak Shelter, ein sehr schönes Holzhaus mit Fenstern zum öffnen und einer richtigen Tür drin. Es gibt genug Platz für alle, separate Doppelpritschen, sehr gemütlich. In der Nacht regnet es heftig, aber wir schlafen trocken und gut.

15.08.2012  Nur knapp 3 Meilen bis zur Straße nach Manchester Center, wo wir hintrampen wollen. Und wir haben mal wieder wahnsinniges Glück : Noch bevor wir den Daumen ´raushalten können, hält schon ein Wagen an. Darin sitzen Frank und Mary, die selber den Trail in diesem Jahr begonnen haben, aber leider wegen Verletzung abbrechen mussten. Nun sind die beiden 240 Meilen bis hierher gefahren, um sich mit Mufasa zu treffen, den wir ein kleines Stück weiter an der Straße aufgabeln. Total nett, sie haben eine Kühlbox mit Cola dabei, danach werden wir zu einem superleckeren Frühstück eingeladen. Unser Tag verläuft weiterhin super : Im Outfitter-Store decken wir uns mit Winterkleidung und Regensachen ein, die man unbedingt in den White Mountains benötigt. Als Zugabe bekomme ich ein paar neue Wanderschuhe gratis. Ich bitte, die nette Verkäuferin Kathy, für mich bei der Hotline von Salomon anzurufen und denen von meinen kaputten Schuhen zu erzählen. Sie gibt sich alle erdenkliche Mühe und telefoniert mehrmals lange mit der Firma, bis wir eine tolle Lösung gefunden haben. Da es dort im Laden keinen Ersatz für meine durchgelaufenen Salomon-Schuhe gibt ( war ein Auslaufmodell für 80,- Dollar ), bekomme ich schließlich ein neues, hochwertigeres Paar im Wert von 130,- Dollar. Einfach nur so, kann ich gleich mitnehmen und muss nichts dafür bezahlen. Toller Service ! Danke nochmal an Kathy für ihren Telefon-Einsatz und an Salomon, die den Thru-Hikern so problemlos ihre Wanderschuhe ersetzen.

16.08.2012  Ein ganz besonderer Frühstücksplatz auf dem Gipfel des Bromley Mountain. Hier befindet sich eine Ski-Station mit einer großen Shelter und einer schönen Veranda, die morgens um 8.30 Uhr bereits von der Sonne beschienen wird. Es gibt Holzbänke zum Sitzen, mehrere Skilifte und die Aussicht auf 5 Bundesstaaten der USA ( nicht erkannt, weil überall Wald und alles gleich grün ). Später kommen wir an zwei großen Seen vorbei, in denen wir eigentlich schwimmen wollten. Aber es ist viel zu viel los dort, überall sind Ausflügler. Ausgerechnet zum Abend hin wird das Gelände total schwierig und steinig, so dass wir erst gegen 21.00 Uhr bei völliger Dunkelheit ankommen. Die Greenwall Shelter ist voll mit Leuten, wir bauen etwas abseits unser Zelt auf. Bilanz dieses Tages : 22,6 Meilen.

17.08.2012  Steiler Aufstieg auf den Bear Mountain. Auf dem Weg liegt ein niedlicher, hellgrauer Maulwurf. Leider mausetot, aber unversehrt, ohne sichtbare Verletzungen. Herzinfarkt ? Eine ausgewachsene Garter Snake flüchtet vor uns und verschwindet im Laub. Mittags gehen wir im Swimming Hole vom Mill River baden und waschen unser durchgeschwitzes Zeug aus. An einem kleinen Parkplatz überrascht uns endlich mal wieder eine nette Trail Magic. Ann und ihr Mann Oak waren selber einige Tage auf dem Trail unterwegs. Zum Abschluss stehen sie nun hier mit einer großen Kühlbox voller Getränke, äpfeln, Bananen, Snickers, Nüssen und Energieriegeln. Die Beiden wissen, was man unterwegs vermisst, und wir dürfen ordentlich zulangen. Am Nachmittag müssen wir einen Umweg laufen, weil ein Teil des Appalachian Trails durch den Hurricane Irene im Jahr 2011 stark beschädigt wurde. Komisches Gefühl – gleichzeitig ziehen schwarze Wolken auf, und ganz in der Nähe ist Donnergrollen zu hören, ein Gewitter kündigt sich an. Durch die Umleitung laufen wir weiter als geplant, aber wir erfreuen uns an einem ganz besonderen Kunstwerk : “ 500 miles to Maine “ – diese Worte hat ein Northbounder auf einem geraden Waldstück aus Tannenzapfen gelegt. Das gibt uns nochmal richtig Antrieb, nur noch 500 Meilen, es wird wirklich immer weniger.

18.08.2012  Langer Aufstieg über mehr als 7 Meilen bis auf den Gipfel des Pico Summit, das letzte Stück eine steile Kletterpartie. Aber wir werden mit einem tollen Frühstücksplatz und wunderschönem Ausblick auf die umliegenden Berge belohnt. Wegen der Zerstörungen durch den Hurricane Irenen müssen wir wieder einige Umwege laufen. Kurze Unterhaltung mit einem White Blazer bei der Arbeit, der für uns den Weg markiert. Provianteinkauf in Rutland ist geplant, beim Hinweg nimmt uns ein cooles Paar in einem Jeep ohne Türen mit. Für den Rückweg rufen wir den Trail Angel “ Plans to much “ an, der uns beim Walmart abholt. Leider hatten wir nur 2 Stunden Zeit für unsere Erledigungen, mal wieder Stress in der Stadt. Durch diese Hektik vergesse ich meinen warmen  Kapuzenpullover im Kofferraum des Wagens, und Thomas verliert sein gutes Taschenmesser. Abends kommen wir an einem Wegweiser vorbei : nur noch 158 Meilen bis Kanada, so weit nördlich sind wir jetzt schon. Ein sehr schöner Zeltplatz auf weichem Laub beschert uns eine ruhige, erholsame Nacht.

19.08.2012  Unser erstes Pausenziel ist der Gifford-Woods State Park, denn dort bibt es Toiletten, Münz-Duschen, Picknick-Tische und Abfallbehälter. Gleich am Eingang des Parks werden wir von einem jungen Mann abgefangen, der uns zu seinem Zelt direkt gegenüber einlädt. Streetfighter und seine Freundin Turtle haben sich vor einigen Jahren auf dem Longtrail kennen- und liebengelernt. Inzwischen machen Baby Robbie und Yankee the dog die Familie komplett. Jedes Wochenende stellen sie ihr großes Zelt auf einem anderen Platz auf und erfreuen die vorbeikommenden Hiker mit Trail Magic. Es gibt Kaffee, Käse, Bagles und Avocado zum Frühstück.  Außerdem bekommen wir noch einen geheimen Tipp von einer privaten Shelter, deren Besitzer die Tür für die Wanderer geöffnet  lassen. Nach einer warmen Dusche machen wir uns wieder auf den Weg. Ein kleiner Side-Trail führt uns zur Shelter der Lookout-Farm, eine saubere Hütte mit einem hölzernen Aussichtsturm darauf. Und das Beste daran : die Nacht verbringen wir dort ganz alleine mit einem sternenklaren Himmel über uns. Wir sind froh, diesen einmalig schönen Platz nach 16,5 Meilen gefunden zu haben.

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20.08.2012  Super geschlafen haben wir und klettern zuerst die Leiter auf den hölzernen Outlook hoch. Alles sehr wackelig dort oben, aber wir haben eine grandiose Aussicht und Sonnenschein bereits früh am Morgen. Nach 6 Meilen kann man an einer Straße einen Abzweiger zur “ On the Edge Farm “ nehmen. Dort treffen wir Sweet Potato und Gozer wieder. Nach einem guten Frühstück auf der Farm mit Kaffee und Blaubeer-Muffins geht es frisch gestärkt weiter. Nochmal 6 Meilen, immer hoch und ´runter, dauernd sind Berge im Weg. Unterwegs amüsieren wir uns über den Kommentar eines Hikers auf einem Schild : “ If you are in doubt, the AT goes up. “ Wenn du im Zweifel bist, der AT geht immer bergauf. Stimmt, ich weiß nicht, wie viele Anstiege das heute schon wieder waren. Dabei ist es gnadenlos heiß, aber die Landschaft ist schön und abwechslungsreich. Ohne weitere Pause schaffen wir noch weitere 7 Meilen bis in den kleinen Ort West Hartford. Hier gibt es einen kleinen Einkaufsladen, und wir dürfen auf dem Grundstück von Steve unser Zelt aufstellen. Es war wieder ein langer, anstrengender Tag, 12 Stunden unterwegs. Aber wir sind froh, dass wir trotz der großen Höhenunterschiede unser Ziel erreicht und 19 Meilen geschafft haben. Morgen geht es nach Hanover, Internet und Outfitter stehen auf dem Programm.

21.08.2012  Die Stadt Hanover in New Hampshire bekommt von uns das Prädikat “ Hiker-friendly „. Schon als wir aus dem Wald herauskommen, stehen an jedem 2. Haus Trail Magic-Boxen. Dazu viele nette Angebote, Fahrdienste und Adressen mit Telefonnummern von Leuten, wo man kostenlos übernachten kann. Die Stadt selber hat ein ganz besonderes Flair : sehr viele Studenten, nicht zu groß, aber es gibt alles, was man braucht. Und die Einwohner hier lieben die Hiker ! Beim Outfitter bekommt man ein Gratis-Snickers, in der Pizzeria gibt es ein Stück Pizza für Hiker umsonst, gleich um die Ecke kann man sich einen kostenlosen Donut abholen. Und es gibt viele solcher Angebote, wir konnten gar nicht alles wahrnehmen. Das Seniorenzentrum bietet kostenlose Duschen und Wäsche-Service an. Ein besonderes Lob verdienen auch die Damen in der öffentlichen Bücherei, die unheimlich nett und hilfsbereit waren. Hier gibt es genug Computer für alle, ohne Zeitlimit, keiner schmeißt einen nach 30 oder 60 Minuten ´raus. Hier verbringen wir Stunden, telefonieren über Skype und erledigen unsere Internet-Sachen. Thomas kämpft sich den halben Tag durch Preis-Suchmaschinen und bucht schließlich unsere Flüge nach Deutschland für den 26. September. Von nun an gibt es keine Bummelei mehr, wir machen uns einen Plan für die Tagesdistanzen, an den wir uns soweit möglich auch halten müssen. Wir schlagen unser Zelt ganz in der Nähe in einem kleinen Waldstück auf. Während wir abends noch an einem Picknicktisch vor dem Supermarkt sitzen, läuft ein Stinktier ganz geschäftig über den Parkplatz und kommt dicht an uns vorbei.

23.08.2012  Die ersten  richtig hohen Berge warten auf uns. Der Moose Mountain und der Holts Ledge beeindrucken uns mit ihrer Schönheit. Vor uns auf dem Trail steht ein braunes Reh und guckt uns mit großen Augen neugierig an. Bären gibt es hier offensichtlich auch wieder mehr, wie wir an den Kothaufen auf dem Weg erkennen können. Gegen Abend laufen wir einen Sidetrail zum Grundstück von Bill Ackerly, der laut unserem Buch ein Hiker-Freund sein soll. Er empfängt uns mit einem Eis auf seiner Veranda, wir können Soda bei ihm kaufen und unser Trinkwasser auffüllen. Bill führt ein Register über  seine Besucher, in dem wir uns mit Nr. 692 und 693 eintragen. Ein sehr netter, etwas kauziger ( oder vielleicht betrunkener ) Herr, der ausgerechnet heute seinen 85. Geburtstag feiert. Von dort aus steigen wir nochmal 2 Meilen auf bis zum Flach auf dem Lamberts Ridge. Dort finden wir einen Zeltplatz im Wald auf weichem Laub, zum Kochen gehen wir zurück zu einem Aussichtspunkt mit großen Felsen. Dort kann man herrlich unter sternenklarem Himmel und ohne Insekten sitzen. Tagesziel erreicht : 20,5 Meilen geschafft. Juchhu !

24.08.2012  Der Tag beginnt mit einem anstrengenden Aufstieg auf den Smart Mountain. Wir haben kein Wasser mehr, oben auf dem Summit gibt es leider auch nichts. Ein Aussichtsturm in 3240 Fuß Höhe bietet uns einen lohnenswerten Ausblick. Tief unter uns dicke, weiße Wolken und grüne Bäume, wohin man schaut. Noch 4 Meilen Abstieg, dort gibt es einen Brook mit Wasser. Anschließend eine schöne Kletterei über dicke Felsen bis auf den Mount Cube. Manchmal geht unser Weg jetzt sogar über steile Holzleitern und in den Felsen eingelassene Eisensprossen. Am Abend noch einmal bergauf bis zum Ore Hill Campsite, wo wir ziemlich erledigt ankommen. Die Shelter wurde 2011 durch Brandstiftung zertört, aber man kann zelten, und es gibt auch Wasser.