Wir segeln und wandern durch die Welt

Twin Lakes bis Breckenridge 08.07. – 13.07.2017

In Twin Lakes gelten strenge Geschwindigkeits-Begrenzungen. In der Mitte des Dorfes steht ein Polizei-Auto am Straßenrand mit der Aufschrift „Lake County Sheriff“. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man, dass eine Puppe am Steuer sitzt, die über den Verkehr wacht. Gute Idee ! 😉 Im General Store wird „Oxygen“ gegen Höhenkrankheit verkauft. Sauerstoff in Flaschen für die Gelegenheits-Wanderer, die unbedingt ohne ausreichende Akklimatisierungs-Phase den Mount Elbert besteigen möchten.

Entlang der Seen kann man Rehe beobachten, die sich überhaupt nicht an den Touristen stören. Bunte Kolibris schwirren mit lautem Flügelschlag am Ufer umher. Eichhörnchen und Streifenhörnchen toben durch den Garten, wo unsere Vermieter Schalen mit Sonnenblumenkernen aufgestellt haben.
Am Samstag sind wir morgens noch ganz alleine in unserem schön eingerichteten Haus und frühstücken gemütlich in der Küche. Es gibt Rührei mit Speck auf Toast. Erst als der Teller leer ist, erzählt mir mein Koch, dass ich soeben sechs Eier verdrückt habe. 😉 Twin Lakes ist ein winziges Dorf in exclusiver Lage. Es gibt hier nur ein einziges Restaurant, zwei Motels, eine Hamburger-Bude sowie den kleinen Lebensmittel-Laden, der anscheinend der Mittelpunkt des Ortes ist. Mit seinen Tischen und Stühlen vor der Tür ist der Grocery Store ein Treffpunkt für Hiker, Biker, Motorrad- und Autofahrer, die für einen kleinen Stopp anhalten. Hier treffen wir auch Jonny B. Good wieder, der gestern nur eine Stunde nach uns angekommen ist. Und wir lernen Fixie kennen, die von Denver bis Durango auf dem Colorado Trail unterwegs ist. Am Nachmittag kommen die Beiden mit unserer Verwalterin um die Ecke, während wir draußen auf der Veranda sitzen. Sie teilen sich den Preis für die Übernachtung und beziehen das Zimmer gegenüber. Grund genug für Thomas, ein leckeres Abendessen für Vier zu zaubern. Interessante Menschen und nette Gespräche. 🙂 Der Kapuzen-Pulli von Thomas ist durch, da lohnt sich das Nähen nicht mehr. Meine lange Hiking-Hose muss ersetzt werden, mit Nadel und Faden kann man sie gerade noch zusammenhalten. Bei meinen neuen Schuhen ist schon wieder der Oberstoff kaputt, obwohl diese erst vier Wochen in Betrieb sind. Twin Lakes hat aber keine weiteren Geschäfte, keine Bank, keine Kirche, keine Bücherei, noch nicht einmal eine Post. Ein Besuch beim Friseur wäre auch mal dringend fällig. Aber das muss alles warten bis zur nächsten größeren Stadt ( evtl. Denver ). Eigentlich ist unser nächstes Ziel Breckenridge in 5-6 Tagen. Aber dort in der Umgebung wüten schon seit vergangenem Mittwoch Waldbrände. Wo genau und in welchem Ausmaße, das wissen wir nicht. Wahrscheinlich ändert sich das auch gerade täglich. Auf jeden Fall haben wir gehört, dass der Trail dort streckenweise gesperrt ist und man Umleitungen eingerichtet hat. Wir werden uns nicht vorher verrückt machen und Ausweich-Routen gehen, sondern einfach weiter auf dem CDT Richtung Breckenridge laufen. Falls die Brände noch akut sind, bis wir das Gebiet erreichen, dann werden sicherlich vom Forest Service irgendwelche Informationen bekannt gegeben, wie man die Feuer umgehen kann.
Sonntag starten wir erst zur Mittagszeit, denn wir haben lediglich 10 Kilometer geplant. Natürlich geht es nur bergauf, aber schon gegen 17.00 Uhr erreichen wir die Gabelung, an der ein Seitenweg zum Mount Elbert hinauf führt. Der höchste Berg Colorados liegt nicht auf dem Continental Divide Trail, aber diesen Umweg nehmen wir gerne in Kauf. Viele Sonntags-Spaziergänger kommen uns entgegen, das nervt schon ein bisschen. Einzige Besonderheit ist eine grau-braun-gemusterte Schlange, die regungslos auf dem Weg liegt. Ich bemerke sie gar nicht, sondern laufe dran vorbei. Thomas macht den Test mit einem Stock. Ergebnis : nicht tot. 😉 Relativ früh beenden wir unseren Tag und richten uns so ein, dass wir in aller Frühe von unserem Basis-Lager aus starten können.

 

Am Montag klingelt der Wecker bereits um 5.00 Uhr morgens. Wir haben mehr als 1200 Höhenmeter Aufstieg in einem Rutsch vor uns. Das möchten wir natürlich lieber abarbeiten, solange es noch nicht zu heiß ist. Wir lassen unser Zelt stehen, Schlafsäcke, meinen Rucksack und laufen mit ganz kleinem Gepäck los. Sobald wir die Baumgrenze erreichen, ballert die Sonne schon wieder gnadenlos auf uns herab. Den gestrigen Sonntag haben wir extra noch verstreichen lassen, damit wir nicht die vielen Wochenend-Touristen um uns haben. Aber auch heute ist eine ganze Völker-Wanderung unterwegs. Der Aufstieg ist zwar anstrengend und schweisstreibend, aber technisch nicht besonders schwierig. Deswegen machen sich auch jeden Tag ganze Familien mit Kind und Kegel auf den Weg, um den höchsten Berg Colorados zu besteigen. Wir kommen um Viertel vor neun oben an. Bis dahin haben wir 31 Menschen überholt, die keuchend dem Gipfel zustreben. Hoffentlich haben die alle ihre Sauerstoff-Flaschen dabei. 😉 Mount Elbert gehört zur Sawatch Range und ist mit seinen 14433 Fuß ( 4400 Metern ) der höchste Gipfel der nordamerikanischen Rocky Mountains. Aber wir haben in den letzten Wochen ständig sensationelle Aussichten gehabt von Gipfeln, die vielleicht nur 200 oder 300 Meter niedriger waren. Das Natur-Erlebnis ist um ein Vielfaches besser ohne Menschenmassen, die permanent laut reden oder mit ihren Ohrstöpseln beim Wandern Musik hören. Für uns steht fest : Mount Elbert war eine Enttäuschung, den müssen wir nicht ein zweites Mal erleben. Ganz ähnlich ist es uns mit der Katahdin-Besteigung am Ende des Appalachian Trails ergangen. Damals sind wir um 4.00 Uhr in der Frühe aufgestanden, haben unterwegs Dutzende von Wanderern überholt und auf dem Gipfel statt der erwarteten Euphorie nur den Impuls „Schnell weg von hier.“ verspürt. Und noch eine ähnliche Negativ-Erfahrung beim Te Araroa in Neuseeland, als wir endlich nach 5 Monaten und einer Woche das Ziel erreichen, aber kurz vorher ein Bus ca. 50 Chinesen ausgeschüttet hat, die alle an unserem Wegweiser posieren. Da kann man nur hoffen, dass es an unserem Endpunkt vom CDT einsamer zugeht. 😉 Wir sind schon gegen Mittag wieder an unserem Lagerplatz, essen, bauen das Zelt ab und laufen ein Stück zurück zum Continental Divide Trail. Ab hier geht es erst einmal eine Weile gnädig bergab. Wir spüren unsere Beine ganz gut. Man kann nicht leugnen, dass wir schon einige Stunden hinter uns haben. Hoffentlich werden wir es morgen nicht bereuen, dass wir heute noch ein paar Meilen dranhängen. Wir überqueren einen Wander-Parkplatz, der Autofahrern einen möglichst kurzen Zugang zum Mount Elbert möglich macht. Dahinter beginnt die Mount Massive Wilderness. Mein erster Gedanke: „Hört sich hoch an.“ Und mein Gefühl trügt nicht, der Weg führt wieder nach oben und steigt immer weiter an. Irgendwann stelle ich Thomas die Frage, wieviel Höhenmeter ein gesunder Mensch an einem Tag schaffen kann. Seine Antwort: „Frag doch mal Reinhold Messner.“ 😉 Na toll ! Schon seit dem Mittag haben sich dunkle Wolken am Himmel zusammengebraut. Donnergrollen den ganzen Nachmittag, einmal links von uns, dann wieder mehr auf der rechten Seite. Während einer kleinen Pause sehen wir uns die Karte für den weiteren Wegverlauf genauer an. Wir müssten frühzeitig Wasser aus einem Bach mitnehmen ( mindestens 5 Liter ) und damit zum Abend einen weiteren Aufstieg bewältigen. Nein, danke ! In Anbetracht unserer schweren Beine und der Tatsache, dass wir sehr früh aufgestanden sind, lassen wir es kurz hinter dem Bach gut sein. Feierabend schon um 18.00 Uhr, Zelt aufbauen, Essen kochen. Während wir uns gerade hungrig über unsere Schüsseln hermachen, fängt es an zu regnen. Donner, Blitz, Gewitter diesmal direkt über uns. Passt gut, alles ist fertig, wir verziehen uns mit unserem Abendessen ins Trockene. 🙂 Es ist noch hell, deswegen können wir aus dem Zelt heraus ein hundeähnliches Tier beobachten. Mittelgroß, sieht eigentlich aus wie ein Fuchs, hat aber eine ungewöhnliche Fell-Farbe. Der ganze Körper ist wild gescheckt, Grundfarbe weiß mit braunen und schwarzen Flecken. Wahrscheinlich ein Kojote, der zwei Runden um unser Zelt dreht und dann weiter zieht. Kein Interesse an uns, und draußen gibt es auch nichts zu holen. Wie gut, dass Thomas gerade noch abgespült hat. Die Proviant-Säcke hängen, wie immer, mit ausreichendem Abstand in einem Baum.

Himmel bedeckt, sehr angenehm. Wir können gut ein paar Tage ohne Sonne leben. Es geht sofort bergauf, zunächst direkt nach dem Aufstehen. Die Landschaft besteht aus Nadelwald und Felsen, ab und zu ein kleiner See. Es sieht ziemlich wild aus zu beiden Seiten des Weges. Immer noch begegnen uns ständig Leute, aber kein einziger CDT-Hiker. Der Einzige, mit dem wir etwas länger reden, ist ein älterer Mann, der nur eine Woche auf dem Trail unterwegs ist. Er kommt aus Denver und gibt uns viele gute Tipps bezüglich der öffentlichen Verkehrsmittel dort, welches Museum das Beste ist und was man sonst noch so alles unternehmen kann. Mittags beginnt es am Himmel wieder zu grummeln, eine halbe Stunde leichter Regen. Wir kommen an einem Parkplatz vorbei, wo neben einem CDT-Wegweiser eine schwarze Plastikbox steht. Trail Magic ? Vorsichtig öffnen wir den Deckel. Leer …. bis auf eine Tüte Pasta Stroganoff. Das passt gut, die nehmen wir mit. Zum Abendessen haben wir nämlich von derselben Firma zwei Tüten Pasta Alfredo geplant. Das sind laut Hersteller vier Portionen und ist uns in der Regel zu wenig. Drei Tüten mit sechs Portionen sind viel besser, die kann man einfach mischen. 🙂 Den ganzen Tag geht es gefühlt immer nur bergauf. Das ist natürlich nicht ganz logisch, denn eigentlich müssten die Anteile an Auf und Abs zu beiden Richtungen gleich sein. Wissen wir ja eigentlich, aber uns kommen dauernd frische und muntere Wanderer entgegen, während wir uns schwitzend und schnaufend die Berge hoch kämpfen. Nach unserer letzten Pause am späten Nachmittag habe ich nur noch Pudding in den Beinen. Ein weiterer langer Anstieg ins Nirgendwo. Es ist mir völlig egal, wie dieser Berg heisst. Ich will es wirklich überhaupt nicht wissen. 😉 Oben geht es endlich ein Stückchen gerade auf dem Bergrücken entlang, danach folgt der langersehnte Abstieg. Und plötzlich stehen wir vor einer Nordflanke mit dickem Schnee. Den hatten wir irgendwie ganz vergessen während der letzten Tage. Zum Glück haben Dutzende von Wanderern, die den Colorado-Trail von Norden nach Süden laufen, uns den Weg geebnet. Es gibt unzählige Spuren, in die wir nur hineinstapfen müssen. Es liegen noch zwei weitere Schneefelder auf unserem Weg, aber diese können wir ganz einfach unterhalb umgehen. Wir passieren ein Hinweisschild und einen Holzkasten mit Papp-Karten und Stift. Hier erfahren wir, dass wir gerade die Holy Cross Wilderness verlassen. Aha ! Und man hätte sich registrieren müssen, eines dieser Papp-Kärtchen ausfüllen und gut sichtbar am Rucksack anbringen. So ein Quatsch ! Stimmt, wir sind heute schon irgendwann an so einem Kasten vorbeigegangen, ohne ihn weiter zu beachten. Kein Thru-Hiker trägt sich hier ein, da hätte man ja viel zu tun in den 6 Monaten zwischen New Mexico und Canada. Unser Trail führt nun stetig weiter nach unten, während dunkle Regenwolken immer näher kommen. Donnergrollen, laut und beinahe über uns, lässt uns die letzte Stunde richtig schnell werden. Wir können ganz locker auslaufen, bis wir unser Tagesziel erreicht haben. Thomas baut das Zelt auf, während ich Wasser am Fluss hole. Wir haben die Rucksäcke noch nicht ganz ausgepackt, da beginnt es zu regnen. Passt mal wieder wunderbar. 🙂

Niemand hat von hinten aufgeholt oder überholt, seitdem wir am Sonntag von Twin Lakes gestartet sind. Aber es kommen uns von morgens bis abends Wanderer entgegen, die den Colorado-Trail südlich von Denver gestartet sind. Einige Leute fragen wir nach den neuesten Informationen wegen des Feuers rund um Breckenridge. Der Brand soll wohl jetzt gelöscht sein, allerdings ist der Trail aus Sicherheitsgründen noch gesperrt. Ein extra eingesetzter Bus soll die Wanderer um den geschlossenen Teil herum bringen. Wahrscheinlich werden wir morgen Copper Mountain erreichen und von dort aus mit dem Hiker-Shuttle ca. 15 Kilometer bis Breckenridge fahren. Leichter Regen bereits am Vormittag. Wir kommen zum Tennessee Pass, einem großen Wander-Parkplatz. Neben dem üblichen Info-Kiosk, der die Regeln im Umgang mit Bären, Müll, Feuer usw. erklärt, stehen dort Kriegs-Denkmäler, auf denen Schautafeln die Namen der Gefallenen verkünden. Wir entdecken einen Karton mit allerlei Hiker-Zeugs drin. Zwei Tüten Hühner-Suppe landen in unserem Rucksack, Hersteller direkte Konkurrenz zu unserer Nudel-Pampe von gestern. Einfacher Weg, leichtes bergauf und bergab. Dieses Gebiet nennt sich White River National Forest. Nachmittags überqueren wir einen Hügel, auf dem ganz oben in einer Kurve eine Bank steht. Direkter Blick auf den Highway darunter, also wirklich kein schöner Pausenplatz. Eine Gedenktafel gegenüber ist einem jungen Mann gewidmet, der nur 20 Jahre alt geworden ist. Nun erschließt sich uns der Sinn dieses Ortes. Man stirbt ja nicht so einfach 20- jährig …. außer bei einem Verkehrsunfall auf der Straße. Bei diesen Gedanken macht sich leichte Gänsehaut bei mir breit. Eine weitere bedrückende Merkwürdigkeit gibt es unterhalb des Hügels zu sehen. Kahle Betonblöcke in einer langen Reihe nebeneinander, zum Teil mit Graffiti beschmiert. Alle paar Meter sind Türrahmen ausgespart, durch die man in winzig kleine Kammern hineingucken kann. Das Besondere daran ist die komplette Dach-Begrünung, Wiese mit Unkraut, die sich kein bisschen von der angrenzenden Landschaft unterscheidet. Man kann die grauen Mauern aus Beton nur sehen, wenn man so wie wir den Berg herunter kommt. Aus drei anderen Richtungen oder aus der Luft wären diese Räume nicht erkennbar. Perfekte Tarnung ist das. Hier steht eine riesige Bunker-Anlage, die früher mal militärischen Zwecken gedient hat und nun verlassen als Mahnmal auf uns wirkt. Ab 15.00 Uhr donnert es wieder am Himmel. Kurz darauf fängt es an zu regnen, zunächst nur leicht. Wir beschließen, schnell noch eine kurze Rast zu machen, bevor wir unsere schwierigste Tagesaufgabe starten. Setzen uns mit Regenponcho verhüllt ins nasse Gras, essen einen Energie-Riegel und trinken jeder einen Liter. Vor uns liegt ein langer Anstieg auf den Kokomo Pass​, den wir heute noch überqueren möchten. Dort oben verläuft der Weg dann mehrere Kilometer sehr ausgesetzt und geht noch über einen weiteren Pass. Eine lange Strecke in der Höhe, bis wir wieder absteigen und unser Lager einigermaßen geschützt aufbauen können. Zeitlich würde es so gerade noch passen, wenn wir nicht herumbummeln. Der Regen wird immer stärker, aber das soll uns nicht aufhalten. Beide haben wir keine Lust, schon wieder so früh und mit wenig Meilen Feierabend zu machen. Wir sind total motiviert, noch weiter zu laufen und den Pass auch bei schlechtem Wetter zu bezwingen. Leider kommen Blitz und Donner immer näher. Es sind weitere 3 Kilometer bis zur Baumgrenze, als das Gewitter über uns festzuhängen scheint. Die Vernunft siegt. Schweren Herzens entscheiden wir uns, den Aufstieg zum Pass abzubrechen und einen Zeltplatz zu suchen. Das erste Mal werden wir tatsächlich ausgebremst vom Wetter und sitzen schon um 17.00 Uhr im Zelt. Der Regen hört nicht auf, es gießt jetzt in Strömen und prasselt auf’s Dach. Wäre sicherlich kein Spaß gewesen da oben. Trotzdem sind wir unzufrieden mit dem frühen Ende des Tages.

Es hat die ganze Nacht geschüttet. Erst gegen 4.00 Uhr morgens hört der Regen auf. Unser Zelt hat gut dicht gehalten, so dass wir innen trocken geblieben sind. Feucht und modderig ist es trotzdem im Wald um uns herum. Unsere Klamotten fühlen sich klamm an, die Schuhe sind nass. Vor uns liegt der Anstieg zum Kokomo Pass, der sich viel leichter präsentiert als erwartet. Was haben die entgegenkommenden Wanderer für ein Geschrei gemacht von wegen „sehr steil“ und „super anstrengend“ ! In gut einer Stunde sind wir oben und noch nicht einmal dabei ins Schwitzen gekommen. Aufsteigen ist unsere beste Disziplin, seit wir den Appalachian Trail gelaufen sind, der von Anfang bis Ende über jeden Gipfel führt. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir natürlich nach einer 14-stündigen Ruhephase außergewöhnlich fit und ausgeruht sind. Am Gipfel-Zeichen treffen wir zwei Radfahrer, die diesen Abschnitt mit ihren Mountain-Bikes in entgegengesetzter Richtung fahren. Das ist auch eine interessante Variante, aber mir erscheint es anstrengender als Laufen. Wilde Wiesenblumen blühen in allen Farben, wohin man auch blickt. Dieser Sonne-Regen-Mix lässt jeden Tag neue Arten erblühen. Dazwischen liegen immer wieder die letzten Schneefelder. Richtig schön haben wir es heute auf der Hochebene. Wie gut, dass wir nicht gestern im Regen über den Pass gerannt sind. Von hier oben sehen wir zum ersten Mal das Gebiet um Copper Mountain, breite Straßen und die gewaltige Infrastruktur eines modernen Ski-Gebietes. Tolle Aussicht auf einen glasklaren See, in dem sich die Berge spiegeln. Pause in der Sonne. Wir bauen das Zelt auf, hängen unsere Klamotten auf, nach einer halben Stunde ist alles wieder trocken. 🙂 Ein besonders zutrauliches Murmeltier sitzt ungerührt direkt neben unserem Weg. Es ist völlig mit seinen Aktivitäten beschäftigt, wuselt hin und her über die Felsen, dann zum Bach hinunter und wieder zurück. Wir wundern uns sehr darüber, dass es sich nicht an uns stört, sondern sich in allen Posen fotografieren lässt. Wir bleiben minutenlang stehen, um unser Murmeltier zu beobachten. Ist ja auch ganz niedlich, es müssen nicht immer die großen Tiere sein. Der letzte Regen hat auch die Präriehunde wieder aktiv werden lassen. Wohin man auch sieht, überall arbeiten sie an ihren unterirdischen Bauten. Dabei werfen sie lange Schläuche aus dem Erdboden auf, die aussehen wie Tunnel, aber innen nicht hohl sind. Haben wir alles ausprobiert, weil wir uns die Entstehung dieser Wälle lange nicht erklären konnten. Inzwischen wissen wir den Grund : Die beim Graben ausgehobene Erde wird von den Präriehunden um die Eingänge ihrer Bauten angehäuft, so dass bei Überschwemmungen kein Wasser hineinlaufen kann. Stimmt – bei näherer Betrachtung kann man eine gewisse Ähnlichkeit mit unseren Deichen nicht leugnen. Präriehunde sind sehr gesellig und leben immer in großen Gruppen. Wenn die braunen Felltiere nicht buddeln, dann stehen sie in Habacht-Stellung auf ihren Hügeln. Sie halten Ausschau nach Feinden und warnen ihre Artgenossen mit spitzen Pfiffen, wenn wir zu nahe kommen. Keine weiteren Anstiege, sondern ein angenehm leichter Pfad, der sich in Serpentinen nach unten windet. Kein bisschen anstrengend, wir brauchen in den nächsten 4 Stunden keine weiteren Pausen. Irgendwann laufen wir unter einem riesigen Ski-Lift hindurch, der zur Zeit außer Betrieb ist. Dann ein weiterer Ski-Lift, exclusive Hütten für gut betuchte Gäste. Ein Blick auf den in die Landschaft gestampften Ort Copper Mountain zeigt : hässlich ohne Ende. Riesige Gebäude, teure Hotels, eine künstliche Stadt für Ski-Touristen. Was hat man da bloß der Natur angetan ? Jetzt, wo die Pisten nicht genutzt werden und kein schöner Schnee die Landschaft überzieht, wirkt der ganze Komplex abstoßend und überflüssig. Nein, hier möchten wir noch nicht einmal Kaffee trinken ! Ab Copper Mountain ist der Trail tatsächlich noch gesperrt, aber wir finden schon bald einen Bus, der uns kostenlos nach Frisco bringt. Es zeigt sich dasselbe traurige Bild, auch hier wollen wir nicht bleiben. Zwei große Supermärkte nahe beieinander, in denen wir unsere Gelüste stillen und den Proviant-Einkauf erledigen können. Eine Cafeteria, in der wir uns lange aufhalten, sogar Internet gibt es per WLAN. Mehr hat Frisco für uns nicht zu bieten. Wir werden den nächsten Bus nach Breckenridge nehmen, der uns am frühen Abend dann am Trailhead absetzt. Da wir hier und heute alles Wichtige erledigen konnten, werden wir auf einen Motel-Aufenthalt verzichten und die nächsten 4-5 Tage lieber weiter Richtung Canada laufen.