Wir segeln und wandern durch die Welt

Cumbres Pass bis Pagosa Springs 10.06. – 15.06.2017

Wir starten Samstag um 11.00 Uhr zusammen mit Bow-Leg vom Cumbres Pass in die San Juan Wilderness. Nach noch nicht einmal einer Stunde haben wir uns bereits verlaufen. Sind einfach einer gut ausgeprägten Spur gefolgt bis zu einem Wasserfall. Wir müssen auf die andere Seite, aber hier geht es nicht weiter. Drei Köpfe, sechs Augen, ein GPS und eine Handy-App …. trotzdem sind wir verkehrt gegangen. Also eine halbe Stunde zurück, bis wir eine Stelle finden, an der wir über einen Baumstamm ans andere Ufer kommen. Von da aus immer steil bergauf. Was sonst ? Der Trail verläuft abwechselnd entlang steiler Schneehänge oder auf Geröllfeldern entlang der Flanken. Ein orangefarbenes Warnschild zwischen den Bäumen sagt, dass ab hier gefährliche Bedingungen auf dem Trail herrschen. Je höher wir steigen, umso mehr Schnee liegt auf dem Weg, der dadurch öfter unauffindbar wird. Wir wandern durch ein Winter-Wunderland. Am Nachmittag wird der Schnee weich und trägt nicht mehr besonders gut. Thomas versinkt einmal bis über die Knie in einem Loch. Ich rutsche einmal aus, und ab geht es ein Stückchen tiefer. Wie oft Bow-Leg mit seinen krummen Beinen gestürzt ist, das wissen wir nicht, weil er den ganzen Tag freiwillig das Schlusslicht bildet. Nasse und kalte Füße, aber ich bin sehr glücklich mit meinen neuen Salomon-Schuhen. Thomas fühlt sich mit seinen Keen-Schuhen sogar so sicher, dass er auf seine Micro-Spikes verzichten und diese an Bow-Leg abgeben kann. Dieser hat nämlich wesentlich mehr Probleme als wir und läuft ziemlich schlecht. Demnächst wird er eine neue Hüfte bekommen, aber erst, nachdem er die 5000 Kilometer auf dem CDT beendet hat. 😉 Wir freuen uns über eine ausgesprochen schöne Route immer auf dem schneebedeckten Grat entlang, zu beiden Seiten atemberaubende Ausblicke in die Tiefe. Es weht ganz ordentlich hier oben. Die letzten zwei Stunden wandere ich mit Daunenjacke, das hat es auch noch nie gegeben. Es wird schon fast dunkel, bis wir in der Höhe Wasser und einen geschützten Platz für unser Lager gefunden haben. Erst gegen 21.00 Uhr steht das Zelt. Immerhin haben wir trotz spätem Start und schwierigem Gelände 20 Kilometer geschafft. Abends dann Premiere mit unseren neuen Schlafsäcken, die teurer waren als eine durchschnittliche Monatsmiete. Super-gemütlich, warm und an den Reißverschlüssen koppelbar. 🙂

Der Wind hat während der Nacht gedreht und beinahe Sturmstärke erreicht. Durch die Geräuschkulisse und den kalten Durchzug haben wir nicht so gut geschlafen wie sonst. Bow-Leg erzählt uns, dass er in der Frühe einen Schwarzbären gesehen hat. Den haben wir leider verpasst. Dafür können wir etwas später auf einer Ebene zwei stattliche Elks beobachten. Hier in der Höhe ist wohl eher das Revier für große Tiere. Morgens ist das Schmelzwasser von gestern gefroren. Wir laufen über mit Eis bedeckte Sumpfflächen, die unter uns nachgeben und die Füße im Eiswasser landen lassen. Mehrere Seen hintereinander liegen malerisch in die Täler gebettet und glitzern in der Sonne. Unter Wasser leuchten gefrorene Abschnitte in türkis-grün. Am Nordufer hat sich mehrere Meter hoch der Schnee aufgetürmt und komprimiert. Die unberührten weißen Wände mit ihren Überhängen erinnern uns stark an Patagonien. Das sieht zwar sehr schön aus, kann aber auch gefährlich werden. Einige der Seen sind zugefroren und mit einer Schneeschicht komplett überzogen. Einmal bin ich entlang eines Sees auf einer deutlichen Spur vorangegangen, hatte überhaupt keine Zweifel wegen großer Steinmännchen am Rand. Trotzdem leider wieder falsch, Thomas pfeift mich zurück. Beinahe wäre ich beim Umkehren mitten über den See gelaufen, der mich sicherlich nicht getragen hätte. Man sieht also nur auf dem GPS, dass man hier besser nicht entlang geht. In der ersten Pause erklärt und demonstriert Thomas mir den Umgang mit der Eisaxt. Ab jetzt werde ich mir die Schneeketten unter die Schuhe schnallen und mit Spikes laufen. Wir begegnen einem älteren Paar, welches ein paar Tage vor uns am Cumbres Pass gestartet ist. Sie erzählen uns, dass sie bereits 4 Tage nach Norden unterwegs waren und dann umgedreht sind. Zu viel Schnee, zu steil, zu glatt, zu gefährlich. Nachdem sie sich 60 Kilometer vorwärts gekämpft haben, standen sie an einer Steilwand, wo sie sich nicht weiter getraut haben. Die Beiden sind jetzt auf dem Rückweg und werden dann demnächst bis Wyoming fahren. Colorado möchten sie später in einer schneefreie Zeit nachholen. Oha ! Ich habe mächtig Respekt vor der Passage, die vor uns liegt. Wir befinden uns beinahe kontinuierlich auf über 4200 Meter Höhe. Der Wind hat zum Abend nochmal zugelegt und reisst ganz kräftig an den Rucksäcken. Laut Wetterbericht sind 30 Knoten Wind angesagt, das sind unangenehme 7 Windstärken, also eine steife Brise. Zwei Schneehühner laufen gar nicht scheu direkt an unserem Lagerplatz umher. Denen gefällt es anscheinend bei dieser Rattenkälte. Sie sind unterschiedlich gefärbt. Ein Huhn trägt noch sein Winter-Gefieder, weiß mit Punkten, das andere ist dunkelgrau. Sie gurren und scheinen sich miteinander zu unterhalten.

Der nächste Morgen beginnt wieder mit einer neuen Herausforderung. Alles ist knallhart gefroren und glatt. Mit der Eisaxt bahnen wir uns Stück für Stück unseren Weg entlang der Bergflanken. Das ist Neuland für mich Inselkind. Thomas hat die meiste Erfahrung mit Bergen und Wintersport. Bow-Leg hat weder Erfahrung noch Winter-Ausrüstung. Ein besonders steiler Hang sieht nicht geeignet aus zum Absteigen, aber wir wollen nach unten ins Tal. Nach kurzer Beratung rutschen wir nacheinander auf der glatten Bahn hinunter. Bow-Leg zögert keinen Moment, setzt sich auf den Hintern, und ab geht die Post. Thomas ist der Nächste und fährt ganz gemäßigt nach unten, indem er sich sehr professionell auf die Eisaxt setzt. Ich sollte es genauso machen, aber mir schmerzt es zu sehr im Schritt. Finde meinen eigenen Stil, indem ich mich ebenfalls einfach auf den Hosenboden setzte und den Hang hinab rutsche. Meine Eisaxt schlage ich während der Fahrt mit der Spitze hinter mir in den Schnee, um das Tempo etwas zu drosseln. Das ist nicht so, wie es mir erklärt wurde, aber schließlich sind wir alle Drei heile unten angekommen. Die nächste spannende Situation lässt nicht lange auf sich warten. Wir müssen über einen Fluss auf die andere Seite, aber dieser führt unverhältnismäßig viel Wasser. Eine Weile laufen wir am Ufer entlang, um nach einer geeigneten Stelle Ausschau zu halten. In einiger Entfernung entdecken wir eine Schnee-Brücke von ca. 2 Meter Breite. Der Schnee über dem Fluss ist inzwischen weggeschmolzen. Nur dieses Stück ist übrig geblieben. Es reicht von einer Seite bis zur anderen, ist aber durch das schnell fließende Wasser von unten komplett ausgehöhlt. Sieht eben aus wie eine Brücke, nicht besonders stabil, aber es könnte klappen. Bis dahin gilt es allerdings noch etliche Meter an einem ziemlich schrägen Hang entlang zu hangeln. Langsam, mit der Schuhkante immer schön waagerechte Stufen in den harten Schnee treten, dann vorsichtig ansteigen und sich möglichst leicht machen …. Klappt alles, bei mir hält die Brücke. Thomas, der zuerst sehr misstrauisch war, folgt mir auf die andere Seite. Bow-Leg, dem das wohl zu lange gedauert hat, ist einfach mit voller Montur an einer anderen Stelle durch den Fluss gewatet. Der fackelt nicht lange. 😉 Wir haben uns nach einiger Überlegung dazu entschlossen, eine Alternativ-Route zu laufen, um in tieferen Lagen eventuell etwas weniger Schnee vorzufinden. Viele Informationen haben wir dazu nicht, es dürfte also spannend werden. Nachdem wir uns in einer sonnigen Pause gut erholt haben, starten wir mit 300 Höhenmetern Abstieg. Es gestaltet sich doch schwieriger, als wir gedacht haben. Zunächst begleitet uns weiterhin meterhoch die weiße Pracht. Endlich wird der Schnee weniger, jetzt müssen wir nur noch über die hohen Verwehungen klettern, die den Trail unter sich begraben haben. Dann gibt es endlich Waldweg, mal mehr und mal weniger matschig, immer wieder unterbrochen von umgestürzten Bäumen. Rutschen und Klettern und Springen ist angesagt, auf jeden Fall ist es nicht langweilig. Tief unter uns hören wir laut das Wasser eines größeren Flusses brodeln. Da müssen wir hin ….. irgendwie. Also weiter abwärts, querfeldein, meistens steil und rutschig. Wir nehmen einige Umwege in Kauf, damit wir uns nicht zu halsbrecherisch den Abhang hinunter stürzen. Mehrmals stehen wir plötzlich am Abgrund. Da ist dann einfach eine Steilkante, an der es nicht weitergeht. Unten fließt immer noch der Fluss, zu dem wir uns durchschlagen müssen. Nach einigem Hin- und Her, Ausprobieren, Verlaufen und Umkehren sind wir tatsächlich unten in der Schlucht angekommen. Nun müssen wir auf die andere Seite, aber die Strömung ist so stark, dass wir auf gar keinen Fall hier durch können. Das wäre wirklich lebensgefährlich. Also steigen wir wieder durch Matsch und Modder steil bergauf, um einen anderen Weg zu suchen. Schließlich erreichen wir ein grünes Tal und freuen uns, dass wir endlich nicht mehr durch’s Unterholz brechen müssen, sondern einem vernünftigen Pfad folgen können. Aber wir haben uns zu früh gefreut. Da liegt schon wieder ein Fluss im Weg, das Wasser rauscht und gurgelt laut an uns vorbei. Eine anspruchsvolle Überquerung liegt vor uns, breit und mit enormer Strömung. Nachdem wir Bow-Leg erklärt haben, wie die Neuseeländer ihre zahlreichen Wasserläufe fjorden, bilden wir zu Dritt eine Kette, haken uns gegenseitig ein und waten sehr langsam auf die andere Uferseite. Wir sind ziemlich wackelig auf den Beinen, das sollte eigentlich sicherer sein. Hart an der Grenze des Machbaren, aber nicht leichtsinnig. Liegt es an der Ungeschicklichkeit unseres dritten Mannes ? Mit Thomas alleine klappt sowas besser, weil wir ein eingespieltes Team sind. Nass bis zu den Oberschenkeln, und eiskalt ist es ! Nur kurze Zeit später stehen wir wieder vor einem breiten Fluss, der vor lauter Schmelzwasser fast überläuft. Sieht nicht so einfach aus, aber es nützt nichts, da müssen wir auch noch durch. Dieselbe Taktik, Menschenkette, so dass wir einander Stabilität geben können und Schritt für Schritt zum anderen Ufer tasten. Ehrlich gesagt klappt es wieder nicht so gut. Bow-Leg verliert fast das Gleichgewicht, die ganze Gruppe schwankt, aber schließlich kommen wir doch drüben an, ohne baden zu gehen. Immer noch eiskalt …. Schnell weiter marschieren, damit wieder Gefühl in die Beine und Füße kommt. Und dann stehen wir vor einem weiteren Wasserlauf, den wir queren müssen. Das gibt es doch nicht ! Auch dieses Hindernis schaffen wir mit vereinten Kräften und Eis-Füßen. Danach finden wir einen Pfad, der uns zu einem Wegweiser bringt. “ Three Forks “ nennt sich das Gebiet, in dem wir uns gerade vergnügt haben. Sehr sinnig – drei Flüsse bilden ein Dreieck, und wir mussten durch alle hindurch. Wie schon gesagt, viele Informationen hatten wir nicht zu dieser Variante. Das GPS zeigt nur die vage Richtung an, weil wir uns nicht auf dem offiziellen CDT befinden. Nirgends war ersichtlich, dass wir mehrere Flüsse durchqueren müssen. Eigentlich hatten wir gedacht, wir wandern lieber ein paar Meilen mehr und umgehen die schwierigen Schnee-Passagen in der Höhe für einen halben Tag. Aber nun sind wir gar nicht mehr so sicher, dass unsere Alternativ-Route der einfachere Weg gewesen ist. Auf jeden Fall war dies ein Super-Abenteuer-Tag ! 🙂

Frühstücks-Kaffee gestaltet sich schwierig, denn wir haben Eiswürfel in unseren Wasserflaschen. Meine Schuhe sind mit einer weißen Eisschicht bedeckt. Unsere Socken, die wir gestern in einem Baum aufgehängt haben, sind stocksteif. Die Schuhe von Thomas sind aneinander gefroren und müssen ebenfalls erst auftauen. Nach einem steilen Aufstieg im Wald befinden wir uns schon bald wieder auf Schnee- Höhe. Ich habe immer noch ein wenig Probleme mit der dünnen Luft hier oben. Bergauf fange ich schneller an zu schnaufen, als mir lieb ist. Fühle mich einfach nicht so leistungsfähig wie sonst, ab und zu leichte Kopfschmerzen, Anzeichen von Höhenkrankheit. Aber mein Knöchel ist auf dem Wege der Besserung, und das Knie von Thomas scheint immer belastbarer zu werden. Soweit alles in Ordnung, können wir auch gut gebrauchen für die nächste Etappe. Jetzt folgen die besonders schwierigen Passagen, wegen derer das Paar vor einigen Tagen umgedreht ist. Traversen an steilen Hängen, aber nicht nur kurze Stücke, sondern kilometerweit. Der Schnee ist zum Glück bereits leicht angetaut, so dass man vorsichtig waagerechte Tritte hineinschlagen kann. Obwohl die Berghänge zur Sonnenseite ausgerichtet sind, liegt der Schnee hier noch mehrere Meter hoch. Wir sind total beeindruckt von dieser gewaltigen Gebirgs-Szenerie. Da fühlt man sich ganz klein mittendrin. Und das Beängstigende ( wenigstens für mich ) ist : Da müssen wir noch überall durch. Auf einem Gipfel, nach schier endloser konzentrierter Stapferei um einen Berghang, entscheiden wir uns, nicht weiter diesem gefährlichen Weg zu folgen. Wir nehmen per Schnee-Rutsche den direkten Weg nach unten, ähnlich wie gestern. Bow-Leg hat keine Bange und rutscht mit einem Affenzahn auf seinem Hosenboden in die Tiefe. Der Hang ist sicher dreimal so lang wie der gestrige, deswegen gibt das noch mehr Tempo bei der steilen Abfahrt. Thomas setzt sich wieder auf die Eisaxt, damit er bremsen kann, sieht aber gar nicht so glücklich damit aus. Ich traue mich nicht. Für mich war die wilde Rutschfahrt gestern schon eine Zitterpartie. Sollen das doch die Männer und die Kinder machen ! Ich suche mir einen Geröll-Abhang, den ich unendlich langsam absteige, so weit es geht. Den Rest des Hanges stapfe ich in mühsamer Kleinarbeit mit waagerechten Tritten hinunter, bis ich wieder einigermaßen sicheren Boden unter mir habe. Alle sind erleichtert und müssen erst einmal tief durchschnaufen. Während unserer Pause können wir einen jungen Adler beobachten. Dann rennt ein Elk vor uns durch’s Gelände, Platz genug haben die große​n Hirsche hier ja. Je nachdem, auf welcher Seite des Hanges wir laufen, ist es entweder unangenehm kalt oder richtig warm. Frieren und Schwitzen liegen dicht beieinander. Der Schnee hat eine unangenehme Konsistenz angenommen. Tagsüber, bei rund 12 Stunden Sonnenschein, schmilzt er ordentlich. Allerdings geschieht dieses nicht gleichmäßig, sondern er fällt zusammen, und es bilden sich Löcher. Während der Nacht gefriert das Ganze wieder. Am nächsten Tag wärmt die Sonne den Schnee und macht ihn wieder weich. Das Ende vom Lied sind Strukturen wie im Wattenmeer bei Ebbe. Feste Rippen, die im Laufe des Tages immer matschiger werden, dazwischen tiefe Löcher. Dieser Schnee ist für mehrere Stunden am Tag praktisch nicht begehbar, weder Schneeschuhe noch Micro-Spikes erleichtern das Laufen. Wir balancieren also stundenlang auf den Kanten dieser Rippen, die gelegentlich zusammenbrechen und fallen dabei viel zu oft in die Schnee-Löcher. Furchtbar nervig, wie wir da so herumstolpern, ständig hochkonzentriert und darauf gefasst, wieder bis zum Oberschenkel in einem tiefen Loch zu versinken. Und der Lohn für diese ganze Mühe ? Es ist gerade wirklich ein bisschen frustrierend, denn wir ackern den ganzen Tag und strengen uns wirklich an ….. aber am Ende kommen nicht viel mehr als 15 Kilometer dabei herum. Mehr geht in diesem Gelände nicht, jedenfalls nicht für uns, weil wir uns nicht zu sehr strapazieren möchten. Kurz bevor wir unseren harten Arbeitstag beenden wollen, werden wir von der bislang schwierigsten Hürde aufgehalten. Wir befinden uns an der Nordflanke eines hohen Berges. Inzwischen hat die Temperatur angezogen, der Schnee ist vereist und hart. Zu glatt, um mal eben auf die andere Seite zu laufen, die zudem noch sehr weit entfernt ist. Was tun ? Wir hängen hier fest, denn wir befinden uns in einem Kessel zwischen mehreren Gipfeln. Unten im Tal sieht man einige sumpfige Stellen und braunes Gras. Genau dort möchten wir hin, es scheint die einzige Möglichkeit zum Zelten zu sein. Einfach so nach unten geht aber nicht, es ist viel zu steil. Wir haben keine Wahl, müssen vorwärts gehen, bis wir etwas kontrollierter absteigen können. Bow-Leg scheint nicht lange zu überlegen und läuft los, als wäre das gar nichts. Auf halber Strecke ändert er seine Taktik, lässt sich auf alle Viere hinunter und krabbelt im Spinnengang die glatte Eisbahn hinunter. Thomas packt sofort einen Stock weg und nimmt seine Eisaxt in die Hand. Ich meine, die nicht zu brauchen, weil ich mich sicher fühle. Ich steige langsam mit Micro-Spikes in den Hang ein und schaffe es gerade bis zur Hälfte. Dann verlässt mich der Mumm, bzw. die Vernunft setzt ein. Meine Güte – was ist das steil ! Mit wackeligen Knien verlange ich nach meiner Eis-Axt. Ziemlich blöde Situation, dieses Manöver durchzuführen, wenn man schon mitten drin steckt. Thomas muss von hinten nachrücken, meine Eisaxt aus den Schlaufen des Rucksacks pulen und einen meiner Stöcke verstauen. Mit der Eisaxt bewaffnet, die natürlich fest mit dem Handgelenk verbunden ist, versuche ich mich auf dem weiteren Balance-Akt zu sichern. Funktioniert aber nicht wie es sollte. Der Hang ist inzwischen dermaßen vereist, dass ich den Stiel nicht in den harten Schnee einschlagen kann. Thomas überholt mich, was alleine schon ein Kunststück ist, und haut mit seiner Hacke die Löcher, die ich dann ebenfalls benutzen kann. Es dauert nicht lange, dann schafft er es auch nicht mehr. Wir sind zu spät für so eine Aktion, die Wand ist bretthart gefroren. Neue Technik : Spitze der Eisaxt in den Berg rammen, schön gerade und mit dem Stiel nach unten. Immer erst die Hacke so tief wie möglich einschlagen, festen Stand suchen, an drei Punkten sicher, einen Fuß vor den anderen setzen, die Hacke herausziehen und einen halben Meter weiter wieder einhauen. Auf diese Weise arbeiten wir uns über die gesamte Strecke. Unterwegs bekommen wir noch Stress miteinander, weil ich zu ungeduldig bin und endlich absteigen möchte. Thomas, der die Erfahrung und das bessere Auge für die Situation hat, verlangt, dass wir noch eine gefühlte Ewigkeit weiter waagerecht am Berg entlang hangeln. Endlich findet er eine Stelle, an der es ihm sicher genug erscheint, langsam den Weg nach unten zu suchen. Wir machen zwar manchmal abenteuerliche Sachen, aber leichtsinnig oder lebensmüde sind wir nicht. 😉 Es ist bitterkalt, als wir um 20.00 Uhr endlich Feierabend machen können. Mir frieren fast die Finger ab, als ich am Bach unsere Flaschen mit Wasser fülle. Das Thermometer zeigt bereits Minus 5 Grad an. Der 4008 Meter hohe Montezuma Peak dominiert die Landschaft. Wir zelten am Fuße dieses imposanten Berges und sehen aus dem Zelt heraus eine beeindruckende Kulisse. Da beruhigen sich die flatternden Nerven langsam wieder.

Um uns herum ist die Welt gefroren, als wir wach werden. Das Atmen fällt schwer, weil die Luft so eisig kalt ist. Mit Tuch vor Mund und Nase geht es schon viel besser. Auf einer Ebene, wo der Schnee gerade eben erst getaut ist, grasen drei Elks. Fette Murmeltiere mit glänzendem braunen Fell rennen durch die Landschaft, ebenfalls auf der Suche nach Nahrung, wo die Sonne den Waldboden schon frei gelegt hat. Der Tag scheint richtig gut zu werden. Immer mehr schneefreie Zonen, an denen man einen Trail erkennen und richtig laufen kann. Bei unserer Nachmittags-Pause freuen wir uns, dass wir schon mehr geschafft haben als an allen anderen Tagen dieser Etappe. Aber zu früh gefreut …. die letzten drei Stunden haben wir wieder alles an Gemeinheiten auf dem Weg. Steile Hänge, bei deren Anblick mir fast das Herz stehenbleibt, an denen wir aber entlang turnen müssen. Dann wieder verirren wir uns im Wald, weil kein Meter vom Weg zu erkennen ist. Markierungen ? Wozu das denn ? Wir hatten genau zwei CDT-Zeichen auf dieser Etappe. Ein Schild zu Beginn dieses Abschnitts am Cumbres Pass – damit man auch sieht, wo genau man sich auf den Weg ins Unbequeme macht. Ein weiteres CDT-Schild markiert den Abzweiger an einem Pass, den wir am LETZTEN Tag überqueren. Zum Glück hält unser GPS durch. Aber Spaß macht das nicht, alle 5 Minuten stehen zu bleiben, um die ungefähre Richtung auszuloten. Drei Sätze Batterien haben wir in knapp einer Woche verbraucht. Das ist nicht besonders umweltfreundlich, aber ohne unser GPS wären wir auf dieser Etappe echt aufgeschmissen gewesen. Umgestürzte Baumstämme machen uns das Wandern sauer, die Muskeln in den Beinen zittern schon in der Mitte des Tages. Am wenigsten beliebt sind Bäume mit vielen Ästen und dichtem Nadelwerk dran oder mehrere Stämme, die miteinander verkeilt im Weg liegen. Noch eine weitere Steigerung : Hindernislauf an einer schneebedeckten glatten Bergflanke. Nach wenigen Stunden schmerzen alle Knochen. Jeder weitere Aufstieg und jedes weitere Verlaufen wird zur Qual. Die weiße Pracht ist mal zu hart, mal zu weich …. Wir könnten gerne drauf verzichten.

 

Wecken am letzten Tag bereits um 5.15 Uhr. Wir möchten gerne zum Mittag in der Stadt ankommen. Wünschen kann man sich ja bekanntlich alles ….. Es sind nur 8,5 Meilen ( 14 Kilometer ) bis zum Wolf Creek Pass, von wo aus wir nach Pagosa Springs trampen möchten. Wir suchen unseren Weg über den Gipfel des Alberta Peak ( 3618 Meter Höhe ) zum Wolf Creek Ski-Gebiet. Der Abstieg vom Alberta Peak sieht dermaßen gefährlich aus, dass wir einfach irgendwo zwischen den Fichten und Schnee-Bergen nach unten stolpern. Dort haben wir die Wahl zwischen mehreren Ski-Loipen, die jetzt nicht mehr in Betrieb, aber noch gerade und hart planiert sind. Steil, steiler, mehr geht nicht. Wir sind zwar schon in Neuseeland die steilste Straße der Welt hinauf gelaufen, aber die war harmlos gegen diese Ski-Spur, weil viel kürzer. Es nimmt kein Ende. Wir müssen alle paar Minuten anhalten, um wieder zu Atem zu kommen. Endlich keuchend oben angekommen stehen wir vor einem Schild und können es gar nicht fassen. Wir sind die längste und steilste und schwierigste Loipe nach oben gestapft. Warum suchen wir uns eigentlich immer ausgerechnet den schwierigsten Weg aus ? Heute sind die Murmeltiere besonders aktiv. Sie sehen richtig hübsch aus mit ihrem dichten Pelz. Auch einige Streifenhörnchen sind unterwegs. Was machen die bloß hier oben im Schnee, wo sie es doch im bereits aufgetauten Waldboden viel gemütlicher hätten ? Unsere Eisaxt leistet auch am letzten Tag noch gute Dienste. Eigentlich hatten wir erwartet, die letzten Meilen locker und in normalem Tempo laufen zu können. Aber tatsächlich haben wir Probleme, unseren Trail unter dem Schnee zu finden, bis wir endlich gegen 15.30 Uhr aus dem Wald heraus und am Wolf Creek Pass angekommen sind. Die Micro-Spikes bleiben wirklich bis zum Schluss unter den Schuhen. Wir haben 8,5 Stunden für die letzten 8,5 Meilen gebraucht. Stehen noch eine weitere Stunde an der Straße, bis uns eine junge Frau mitnimmt bis ins 40 Kilometer entfernte Pagosa Springs. Sie setzt uns direkt vor unserem Einkaufsparadies ab, von wo aus wir telefonisch unsere Unterkunft buchen. Hähnchen und ein Bier direkt auf der Bank vor dem Laden, dann machen wir uns schwer beladen auf den Weg zum Motel. Ein Auto hält auf der gegenüber​ liegenden Straßenseite. Der Fahrer steigt aus und winkt uns zu sich hinüber. Er erzählt, dass er auch wie wir “ ein Reisender “ ist und uns deswegen gerne helfen möchte. Er beherbergt Wanderer und Radfahrer bei sich zu Hause. Ob er uns mit dem Wagen irgendwo hinbringen kann ? Nein danke, wir haben nur noch einen Kilometer vor uns, das schaffen wir auch noch. Trotzdem freuen wir uns und staunen immer wieder über die Hilfsbereitschaft mancher Menschen. So eine nette Begegnung bleibt auf jeden Fall in guter Erinnerung. 🙂

Das Städtchen Pagosa Springs liegt gut 2.000 m hoch in den Ausläufern der Rocky Mountains im Südwesten Colorados, nur gute 50 km von der Grenze New Mexicos entfernt. Die umgebenden Berge tragen bis in den Juli hinein weiße Schneekappen. Die Wolf Creek Ski Area zählt zu den schneesichersten Regionen in Colorado. Im Sommer spielt sich das Leben dagegen im und am San Juan River, einem wichtigen Nebenfluss des Colorado River, ab. Daraus kann man schon schließen, dass es hier sehr touristisch zugeht und dementsprechend teuer ist. Wir genießen unseren Aufenthalt in einem schicken Zimmer mit eigenem Whirlpool. Weit außerhalb gelegen, mittlere Preisklasse, pro Nacht 80,- Dollar, aber das ist es uns wert. Wir müssen uns ausruhen ! Keiner von uns möchte das Motel verlassen und sich das nette Städtchen ansehen. Einzige unvermeidliche Aktivität ist ein Gang zur Post. Zwei Pakete müssen weitergeschickt werden zum nächsten Ort. Und Thomas hat sich eine zweite Knie-Bandage bestellt, die wir abholen müssen. Nötig ist es nicht mehr, denn im Moment strotzen beide Beine vor Kraft und Muskeln. Nur für den Fall, dass beide Knie gleichzeitig schwächeln. Ein weiterer großer Pluspunkt für unsere Unterkunft ist das Frühstück ( nicht selbstverständlich und typisch amerikanisch ) und die Nähe zum preisgünstigen Walmart ( nur 1 Kilometer ). Wir haben Kühlschrank und Mikrowelle in unserer Suite, können uns selbst versorgen und sparen das Geld für’s Essen gehen. Viel zu tun gibt es nicht. Ein Loch in der Hose und ein Winkelhaken im Pullover müssen genäht werden. Rucksäcke und Ausrüstung brauchen Reinigung und Pflege. Ein bisschen Wäsche, Einkauf und Planung für die nächste Etappe. Fernsehen, Internet, Rumgammeln ….. und natürlich Entspannung im Whirlpool. 🙂

 

Habe während dieser letzten Etappe meine erste CDT-Krise gehabt, besser gesagt, es war eine Schnee-Krise. Die alpine Landschaft sieht atemberaubend schön aus, aber ist auch furchtbar anstrengend gewesen. Dazu kommt jeden Abend die frustrierende Erkenntnis, dass man trotz aller Schinderei wieder nur die Hälfte an Meilen zurückgelegt hat wie auf einer “ normalen “ Strecke. Aber nachdem ich mich ausgekotzt und ausgeheult habe ( armer Thomas !) kann ich nach einer erholsamen Nachtruhe den nächsten Herausforderungen wieder positiv entgegen sehen. Wir haben auch die Möglichkeit, zunächst einen anderen Bundesstaat zu durchwandern und Colorado später im Jahr zu laufen, mehrmals halbherzig diskutiert. Aber nein, wir bleiben vorerst stur bei unserer Nord-Süd-Ausrichtung. Wir möchten Colorado im Früh-Sommer noch eine Chance geben – ein bisschen weniger Schnee und etwas höhere Temperaturen in der Nacht wären fein.