Wir segeln und wandern durch die Welt

Einmal Grenze und zurück zum Hart’s Pass

Auch am Morgen ist es noch sehr frisch. Abbauen vom Zelt und Packen der Rucksäcke dauert ewig. Da müssen wir erst wieder eine gewisse Routine entwickeln. Aber das wird sich in den nächsten Tagen noch einspielen. Der PCT ist lang. Wir sind schon um Viertel vor 8 auf dem Trail. Vereinzelte Schneefelder liegen noch auf dem Weg, aber nichts, was uns behindern würde. Es riecht würzig nach Wald und Wiesenblumen. Die Luft ist herrlich klar. Im Aufstieg bin ich ein bisschen kurzatmig, was an der ungewohnten Höhe liegen wird. Bellingham liegt nur knapp über dem Meeresniveau, wir müssen uns erst akklimatisieren. Streifenhörnchen flitzen um uns herum. Einige Rehe stehen völlig desinteressiert am Hang. Vogelgezwitscher überall, einige bekannte Stimmen sind darunter. Wir laufen über den Windy Pass und durch die Pasayten Wilderness. Die Sonne kommt heraus. Wir finden einen schönen Pausenplatz mit Wasser und Sitzgelegenheit. Moskitos sind allgegenwärtig. Sie nerven zwar, sind aber relativ harmlos. Zwei Stiche am Fuß, etwas Blut an der Hand.

Auf der nächsten Etappe gibt es doch noch einige Nordflanken mit tieferem Schnee. Der Trail ist nicht erkennbar, Zeichen gibt es auch keine. Ab dem 15.06. wurde der PCT für Wanderer von Norden nach Süden frei gegeben. Deswegen sind dort nun schon Einige gelaufen, so dass es Spuren gibt, denen wir folgen können. In regelmäßigen Abständen fließt Wasser aus dem Berg. Sauberes Schmelzwasser. Es muss nicht behandelt oder gefiltert werden und schmeckt köstlich. Wir kochen etwa 2 Stunden vor unserem anvisierten Zeltplatz. Ein Hirsch röhrt, was das Zeug hält. Die gefährlichste Stelle passieren wir am späten Nachmittag. Geröll an steilen Abhängen, auf dem wir eine Weile balancieren müssen. Wir sind froh, dass wir nicht vor einer Woche hier waren, denn da war der Rock Pass noch mit Schnee bedeckt. Am Woody Pass stellen wir das Zelt direkt neben einem Schneeflecken auf. Beeindruckende Kulisse mit bizarren Felsen, deren weiße Zungen bis zu einem kleinen Bach hinunter reichen. 19.00 Uhr Feierabend. 11 Stunden unterwegs. Reicht. Sind 18 Meilen gelaufen, das sind knapp 30 Kilometer. Gar nicht so schlecht für den ersten richtigen Wandertag. Mal abwarten, ob sich unsere Beine und Füße über Nacht ausreichend erholen. Essen möchten wir nichts mehr. Zu müde. Nur noch Zähneputzen und ab in den Schlafsack. Morgen werden wir ohne schweres Gepäck bis zur kanadischen Grenze und wieder zurück laufen. Das wären dann 22,4 Meilen oder 36 Kilometer.

Tatsächlich haben wir 12 Stunden geschlafen. War wohl nötig nach dem gestrigen Tag. Unser Zelt bleibt am Woody Pass stehen. Nur mit leichtem Tagesgepäck machen wir uns auf den Weg nach Kanada. Unterwegs treffen wir den ersten Hiker, der uns in Erinnerung bleiben wird : „Halloween“ aus North Carolina. Er hat ordentlich Gepäck geladen. An seinem Rucksack sind Bär-Kanister und Eis-Axt befestigt. Begrüßung und Abschied per Corona-Gruß. Halloween hat eine sehr positive Ausstrahlung. Er ist keiner von den ganz Schnellen, schon etwas älter und mit ein paar Kilo Übergewicht. So wie wir. Ein richtig cooler Typ, den wir bestimmt wiedersehen werden. Regen war angesagt, aber der Tag bringt uns einen Sonne-Wolken-Mix. Angenehm zum Laufen. Ein Stückchen voraus blockiert ein neugieriges Reh den Trail. Es bleibt lange Zeit einfach stehen und lässt uns bis auf etwa 10 Meter herankommen. Dann legt es den Kopf schief, begutachtet uns und verschwindet seitlich im Gebüsch. Wir schrauben uns mehrere Pässe hinauf und hinunter. Ein paar vom Sturm gefallene Bäume müssen umklettert oder überstiegen werden. Zwischendurch stapfen wir durch einige Schneefelder, wo Vorsicht geboten ist. Mehr Schnee würde die Sache erheblich erschweren. Zwei Murmeltiere toben über das Feld, anscheinend spielen sie Fangen. Unter uns liegt Lake Hopkins malerisch im Tal. Rund, still, klar und grün. Ein hübscher See mit Zeltplatz direkt daneben, das wäre auch ein netter Platz für die Nacht gewesen. Pause machen wir an einer Gabelung, wo der Pacific Northwest Trail nach rechts abzweigt. Er verläuft von der Wasserscheide Continental Divide bis zum Pazifik. Auch der PNT steht noch auf unserer ToDo-Liste. Mit ca. 1200 Meilen oder 1930 Kilometern ist er einer der kürzeren Trails, die wir auch „später“ noch machen können. Alpine Vegetation. Niedrige Tannenbäumchen zu beiden Seiten. Der Pfad wird immer schmaler und zugewachsener. Auch die Kletterpartien über umgestürzte Bäume nehmen zu. Haben wir bisher noch keine Spuren von Bären entdeckt, so sehen wir in der zweiten Tageshälfte gleich 3 Haufen auf dem Weg. 7117′ Fuß ist die höchste Erhebung heute auf unserem Weg, das sind 2170 Meter. Zum Monument geht es lange Zeit bergab. Ein Höhenunterschied von 900 Metern, die wir auf dem Rückweg wieder ansteigen müssen.

Um 15.00 Uhr erreichen wir die Grenze zu Kanada und stecken die Norderneyer Flagge ans Monument. Es folgen die obligatorischen Fotos. In einer Kassette liegt ein brandneues Logbuch. Darin haben sich seit dem 15. Juni weniger als 20 Wanderer eingetragen, das sind etwa 2 Hiker pro Tag. Wir halten uns nicht lange auf, denn schließlich müssen wir heute noch zurück zum Zelt, davon das meiste bergauf. Einmal die Hand ans Monument legen, kurz innehalten, dazu von meiner Seite noch ein leise gemurmeltes  „Please keep us safe.“

Die 50 Kilometer vom Hart’s Pass bis hierhin waren Zugabe, diese Strecke machen wir doppelt. Es ist nicht mehr erlaubt, über die grüne Grenze zu laufen. Am Ende des CDT 2019 durften wir noch am Monument von den USA einfach zu Fuß nach Kanada hinein. Ein Anruf in der nächsten Stadt genügte zum Ab- und Anmelden. Von nun an ist die Richtung korrekt, und die Meilen zählen ab Null. Jetzt liegen 4270 Kilometer auf dem PCT von Norden nach Süden vor uns. Gegen 18.00 Uhr fängt es an zu regnen. Wir brauchen noch mindestens 3 Stunden bis zu unserem Zeltplatz, also Regenjacke an und weiter. Dichter Nebel wabert in den Tälern. Ein Schneehuhn im Sommerkleid ( also braun statt weiß ) kreuzt unseren Weg. Der Anstieg zum Hopkins Pass ist nahrhaft. Es geht lange Zeit bergauf, unzählige Serpentinen und immer noch höher. Das schaffen wir nicht ohne Verschnaufpausen zwischendurch. Dann liegen noch die Schnee-Traversen vor uns, wo man mit müden Knochen besonders vorsichtig sein sollte. Zum Glück ist die Temperatur über Null Grad, so dass der Regen nicht gefriert. Der Schnee ist weich und matschig, gut zu laufen. Die Hirsche röhren wieder.

Letzter Pass, von nun an nur noch bergab. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wir unser Lager. Thomas geht noch Wasser holen, ich verstaue den Proviant Bären-sicher. Zähneputzen, raus aus den nassen Klamotten, ab ins Zelt. Hoffentlich wird’s bald warm im Schlafsack. 12 Stunden unterwegs, 36 Kilometer geschafft. Morgen besser mal halblang machen.

Regen und viel Wind während der Nacht. Das Zelt wird in den Böen manchmal kräftig geschüttelt. Morgens beim ersten Blick auf die Landschaft präsentiert sich uns eine graue und neblige Welt. Aufstehen und Packen kostet etwas Überwindung. Draußen ist es immer noch windig und kalt. Mein kleiner Finger der linken Hand ist doppelt so dick wie er sein sollte. Zwei Moskitostiche haben sich entzündet und den Finger hässlich anschwellen lassen. Kenne ich schon, aber nach 2 Tagen auf dem Trail hätte ich das jetzt noch nicht gebraucht. In den letzten Jahren reagiere ich mehr und mehr allergisch auf alles Mögliche. Habe wohl schon etwas zu viel Insektengift im Körper. 

In der ersten Pause wird gekocht. Gestern gab es keine Abendmahlzeit, und diese kühlen Temperaturen sind genau richtig für ein warmes Frühstück. Es fehlt uns noch an Kondition. Die letzten Tage waren anstrengend. Ein ständiges Auf und Ab, Anstieg, Abstieg, Gegenanstieg und wieder von vorn. Am späten Nachmittag erlebe ich am Jim Pass mein Highlight des Tages. Dort sitzt ein Mountain Lion in etwa 20 Metern Entfernung. Zuerst dachte ich, das sei ein großer Hund. Aber wo ist das Halsband ? Und wo ist der dazu gehörige Mensch ? Das Tier bleibt minutenlang mitten auf dem Trail hocken, hat uns den Rücken und das Hinterteil zugewandt. Die Farbe des Fells, die runden Ohren, der Kopf im Profil bei einer seitlichen Bewegung …. Es ist tatsächlich ein Puma. Er erhebt sich und läuft davon, als Thomas von hinten herankommt und bevor die Kamera gezückt ist. Es gibt kein Foto, aber dieser besondere Moment wird mir ewig im Gedächtnis bleiben. Einige Hundert Meter weiter sehen wir die Hinterlassenschaften der Raubkatze auf dem Weg.

Heute wollen wir es nicht übertreiben und früh Feierabend machen. Eigentlich hatten wir uns den Windy Pass als Ziel auserkoren, aber dort stehen bereits 3 Zelte. Das ist uns zu gesellig. Wir nehmen nur Wasser am Bach und laufen noch ein halbes Stündchen weiter. Zur Belohnung finden wir einen außergewöhnlich schönen Platz etwas abseits vom Trail unter Nadelbäumen mit weichem Waldboden. Inzwischen sind wir so gut organisiert, dass die abendlichen Verrichtungen wie das Aufstellen und Einräumen vom Zelt und Aufhängen der Futtersäcke deutlich schneller geht als zu Anfang.