Früh am Morgen hängen die Blutsauger bereits an unserem Moskitonetz – zum Glück nur von außen. Ruckzuck haben wir abgebaut, fertig gepackt und sind zurück auf dem Trail. Zum Warmwerden gibt es 600 Höhenmeter Aufstieg. Schweigend stapfen wir bergauf, wir haben beide noch keine Sprechstunde. Nach zwei Stunden erreichen wir unseren ersten Gipfel heute …. und machen erstmal ein ganz dummes Gesicht. Links und rechts hohe Berge, alles zur Nordseite, die Wände noch meterdick mit Schnee bedeckt. Der Grat dazwischen ist komplett zugeweht. Eine feste Schicht von komprimiertem Schnee, stellenweise vereist und mit deutlichen Überhängen, von denen man nicht weiss, wann sie zusammenstürzen. Wir schauen erst links, dann in der Mitte, wo wir denn am Besten absteigen können. Wir entscheiden uns für etwas oberhalb der vereisten Schnee-Wächten auf der rechten Seite. Es sieht alles nicht besonders vertrauenerweckend aus. Ist das unsere bisher gefährlichste Stelle ? Auf jeden Fall scheint es die steilste Stelle zu sein, die wir uns nun mühsam zentimeterweise nach unten arbeiten. Mein Adrenalinspiegel steigt, Schweissausbruch und flatternde Nerven. Konzentration und Ruhe sind das Geheimrezept, lieber langsam als zu schnell unten ankommen. Auf der anderen Seite sehen wir den Lake Ann malerisch im Tal liegen. Das Wasser leuchtet blau im Morgenlicht. An den Rändern schwimmen noch Eis-Schollen mit hellgrünen Kanten. Sieht nach einem wunderschönen Zeltplatz aus, aber uns zieht es weiter, damit wir morgen zum Frühstück in Twin Lakes ankommen. Im weiteren Verlauf ist die Natur wieder wild und ursprünglich. Der CDT bleibt spannend. Ein kleiner Wasserfall kreuzt unseren Weg. Auf dicken Felsen turnen wir dran vorbei. Füße, Socken und Schuhe sind nass. Kurz darauf kommen wir zu einem größeren Wasserfall, der sich in drei Stufen nach unten ergießt. In Französisch Polynesien sowie auf den Fiji-Inseln haben wir in den vergangenen zwei Jahren so phantastische Wasserfälle gesehen, die sind von diesem sicher nicht zu toppen. Wir sind schon etwas verwöhnt, deswegen machen wir uns noch nicht einmal die Mühe, den Abstecher hinauf bis zu seinem Ursprung zu gehen. Viele einfache Kilometer wandern wir entlang eines Flusses, an dem wir ein Paar mit Angelruten treffen. Wir kommen ins Gespräch und beantworten diesmal ganz andere Fragen : Was kochen wir ? Wie oft müssen wir einkaufen ? Wie viel wiegen die Rucksäcke ? Die Beiden sind wirklich interessiert und erzählen uns, dass sie auch irgendwann den ganzen Continental Divide Trail laufen möchten. Heute wollen sie nur bis zum Lake Ann und sind schon ziemlich am Schnaufen. Für uns gibt es an diesem Tag zwei ganz heftige Aufstiege, einen direkt nach dem Aufstehen und den anderen kurz vor Feierabend. Wir möchten noch bis über den Hope Pass und hoffen, dass dieser nicht solche Schikanen für uns bereithält wie der Lake Ann Pass am Vormittag. Dunkle Wolken am Himmel verheißen nichts Gutes. Es grummelt schon wieder in der Ferne. Als wir an der letzten Wasserquelle vor dem dicken Anstieg zum Pass sind, da donnert es direkt über uns und fängt gleichzeitig an zu regnen. Was tun ? Schnell das Zelt aufbauen und trocken bleiben, aber schon um 17.30 Uhr den Tag beenden ? Gefällt uns nicht so besonders, denn dann bleiben zu viele Meilen für morgen übrig. Erstmal abwarten und eine warme Mahlzeit kochen …. Wir setzen uns mit unseren Regenponchos zugedeckt ins Gras und zählen die Sekunden zwischen Blitz und Donnerschlag. Während des Essens ist das Gewitter direkt über uns. Wir sind schon beinahe so weit, unser Nachtlager frühzeitig hier aufzubauen. Bei Gewitter weiter in die Höhe zu steigen und über einen Pass zu klettern ist sicher keine vernünftige Idee. Aber nach dem Abwaschen und Wegräumen scheint es so, als wäre das Schlimmste überstanden. Das Grollen ist nicht mehr so nah und kommt jetzt mehr von rechts. Die Abstände zwischen Blitz und Donner werden immer größer. Das Gewitter ist weiter gezogen. Was bleibt, das ist der Regen. Aber wir packen uns wasserdicht ein und sind wild entschlossen, es noch bei Tageslicht über den Pass zu schaffen. Wir stapfen los und schieben uns langsam, aber beständig, immer weiter nach oben. Ich finde es sogar angenehmer, diesen anstrengenden Berg im Regen und nicht bei Sonne und Mittagshitze zu erklimmen. Steil, steiler, am steilsten. Schon bald befinden wir uns wieder oberhalb der Baumgrenze. Der Hope Pass ist auf unserer Seite komplett schneefrei. Schön kalt ist es …. oder kalt und schön. 😉 Oben steht eine Art Gipfelkreuz mit bunten tibetanischen Gebetsfahnen. Überraschender Anblick, das hätten wir nicht erwartet. Wir bekommen einen ersten Ausblick auf Twin Lakes bei schlechtem Wetter. Auf der Südflanke gibt es noch erstaunlich große Schneefelder, die wir überqueren müssen. Hört das denn nie auf ? Alter Schnee und dazu neuer Regen – das hatten wir ja auch noch nicht. Zum Glück friert es nicht, so bleibt die weiße Pracht trotz Niederschlag ziemlich gut begehbar. Auf der anderen Seite des Passes strömt viel Wasser den Trail entlang. Schmelzwasser und Regen suchen sich ihren Weg nach unten in der Spur, die eigentlich für die Wanderer gedacht ist. Abwärts laufen wir wie durch ein Sumpfgebiet. Aber wir kommen weit, nur noch knapp 10 Kilometer morgen bis zum Frühstück. 🙂 Bei unserer abendlichen Rechnerei stellen wir fest, dass wir an diesem Tag insgesamt 1200 Meter aufgestiegen sind, ein Gipfel am Morgen und der Hope Pass zum Ende des Tages.
Ich wundere mich immer wieder, wieviel Strecke ihr am Tag schafft, was es das alles zu sehen und zu erleben gibt. Und über eure Füße wundere ich mit auch.
Wie geht es euren Füßen in nassen Socken und Schuhen, über Stock und Stein und dazu noch das zusätzliche Gepäck, dass sie tragen müssen?
Sonnige Grüße aus Fiji ☀️⚓️⛵️