Wir segeln und wandern durch die Welt

Pinedale bis Dubois 30.08. – 05.09.2017

Am Mittwoch gibt es ein gemeinschaftliches Frühstück mit Testament und seiner Truppe bei guter alter Rock-Musik. Eine richtig nette Gemeinschaft. Man kennt sich jetzt schon so lange, dass es fast Freunde geworden sind. 🙂

Der Ort mit knapp 1400 Einwohnern ist Anziehungspunkt für CDT-Hiker in beiden Richtungen. Obwohl sehr umständlich zu erreichen, herrscht den ganzen Tag ein Kommen und Gehen im Gemeinschaftsraum der Kirche. Fast alle Wanderer machen hier einen Stopp, um Proviant einzukaufen, Pakete bei der Post abzuholen und eine Woche Wald aus ihren Klamotten zu waschen. Auch ich sitze noch abends um 22.00 Uhr im Waschsalon, der praktischerweise 24 Stunden geöffnet hat. In der Hiker-Box gibt es eine Dose Bären-Spray für mich und interessante Lebensmittel zum Ausprobieren. Die Bücherei in Pinedale ist super eingerichtet. Freundliches Personal, moderne Computer und Internet ohne Zeit-Limit. Man glaubt es kaum, aber auf dem Rasen vor der Bücherei liegt ganz entspannt eine Elch-Kuh mit ihren zwei Jungtieren. Ich kaufe mir endlich eine neue Leggings, denn die alte Hiking-Hose fällt bald auseinander. Neue Plastik-Schalen für unsere warmen Mahlzeiten gibt es auch. Habe Nachricht von Salomon erhalten : 25 % Ermäßigung auf die nächsten Wanderschuhe. Nicht ganz so großzügig wie in vergangenen Jahren, aber immerhin besser als gar nichts. Schuhe sind schon bestellt und warten hoffentlich in Dubois beim Postamt.

Donnerstag früh regnet es. Grund genug, länger liegen zu bleiben und noch ein bisschen bei der Kirche herumzuhängen. Mittags stehen wir mit einem selbst gemalten Papp-Schild an der Straße und kommen innerhalb von 10 Minuten weg. Es hält ein Jeep mit zwei älteren Männer aus der Gegend, die sich im Wald Feuerholz holen möchten. Eigentlich würden sie gar nicht so weit fahren, aber sie bringen uns doch den ganzen Weg bis zum Elkhart Trailhead. Zwischendurch stoppen wir an mehreren Aussichtspunkten an und bekommen von den Beiden viel Informationen über die vor uns liegenden Berge und Seen erzählt. Es ist immer interessant, mit den Einheimischen zu reden, die sich wirklich gut auskennen in der Gegend. So erfahren wir, dass der von Gletschern geformte Fremont Lake mit 20 Kilometern Länge und 200 Metern Tiefe der zweitgrößte natürliche See in Wyoming ist. Haben nach dem Wetterbericht gefragt und bekommen zur Antwort, dass es hier jetzt jeden Tag schneien kann. Vom Parkplatz aus wandern wir weitere 18 Extra-Kilometer auf dem Seneca LakeTrail, um wieder Anschluss an den CDT zu bekommen. Dabei passieren wir einen Wasserfall am Wegesrand und mehrere glitzernde Seen. Erneut kommt uns eine kleine Karawane entgegen, diesmal ein Cowboy auf einem Reitpferd mit drei Last-Tieren im Schlepptau. Die Mulis tragen zu beiden Seiten prall gefüllte Satteltaschen. Wahrscheinlich ist das die Vorhut zu einer organisierten Camping-Tour, bei der die zahlenden Gäste fertig aufgestellte Zelte mit Feldbetten vorfinden. Wir sehen ein Schneehuhn, mehrere Murmeltiere und ein Pica. Sichere Anzeichen dafür, dass wir uns wieder in den hohen Bergen befinden. Die nördliche Wind River Range liegt vor uns. Unser Zelt bauen wir direkt neben dem Little Seneca Lake auf, kurz vor dem Abzweiger zum Knapsack Col. Diesen schwierigen Pass mit 3737 Meter Höhe werden wir morgen in Angriff nehmen. Der neue Wasserfilter findet seinen Platz wieder bei Thomas im Schlafsack, damit er nicht kaputt friert. Obwohl der Aufenthalt in Pinedale ganz nett war, sind wir total glücklich, wieder draußen und alleine zu sein.

Nachts sind wir mehrmals wach geworden, weil wir unbekannte Schreie von Tieren gehört haben. Trotzdem hatten wir insgesamt mindestens 10 Stunden Schlaf, viel besser als im Zimmer. Weiße Atemwolken steigen auf, winterliche Luft im Zelt. Das Kaffee-Wasser braucht bei dieser Kälte ewig, bis es kocht. Der Himmel ist milchig. Entgegenkommende Wanderer erzählen uns, dass westlich vor uns ein großes Feuer brennt. Deswegen ist die Luft so trübe. Auf dem Indian Pass Trail kommen wir in ein Tal, wo sich etliche Bergseen aneinander reihen. Ein schmaler Pfad verläuft durch Wiese mit bunten Blumen und Felsen durchsetzt. Der Weg führt zunächst um den Island Lake herum, von dort aus folgen wir dem Titcomb Lakes Trail. Ringsherum bietet sich ein atemberaubendes Panorama. Um uns herum ragen schroffe Felswände aus Granit mit Schneewänden und Gletschern in die Höhe. Dann stehen wir am Knapsack Col, vor dem ich ein bisschen Bammel hatte. Wir haben mehrere Tage darüber geredet, ob wir diese Alternativ-Route gehen sollen, weil sie als sehr anspruchsvoll gilt. Ich habe in zwei Büchern darüber gelesen, und in beiden wird diese Passage als ganz furchtbar dargestellt. Wir beginnen mit einem supersteilen Aufstieg durch Geröll. Nicht schwierig, aber blöd zu laufen. Das ganze lose Zeug ist beweglich und rutscht bei jedem Schritt. Das bedeutet, man macht zwei Schritte nach oben und rutscht einen wieder hinunter. Überall rinnen Unmengen von Schmelzwasser. Manchmal bilden sich sogar kleine Wasserfälle, die an den Felsen herunter strömen. Links von uns liegt ein Schneehang mit Gletscher. Das ist der Twins Glacier, eine riesige glatte Eisfläche, über die wir zum Glück nicht müssen. Aber Schnee haben wir trotzdem genug am Knapsack Col, so viel hatten wir seit Colorado nicht mehr. Die nächste Herausforderung ist dann auch ein riesiges Schneefeld auf dem Weg nach oben. Den ersten Teil passieren wir schräg in einer Traverse. Dann gibt es ein größeres Stück mit Felsen und Geröll. Wir möchten einen Teil des Schneehanges umgehen und klettern an der oberen Kante entlang über die Felsen. Wackelige Angelegenheit, denn die Steine sind nicht alle fest. Die Felsen werden immer dicker und unregelmäßiger. Die Kletterei wird schwieriger, wir kommen fast nicht mehr weiter. Unser Ausweich-Manöver hat nicht viel gebracht, wir kehren zurück zum Schneehang. Dort geht es jetzt steil hinauf. Obwohl der Schnee in der Nachmittags-Sonne angeschmolzen und weich ist, muss man höllisch aufpassen, um nicht abzurutschen. Mich stresst die ganze Situation ziemlich. Darf gar nicht nach vorne schauen, wie weit es noch ist, sondern versuche mich nur auf die nächsten 2 Meter vor uns zu konzentrieren. Mittlerweile rinnt mir der Schweiß in Strömen und tropft von meinem Gesicht in den Schnee. Endlich oben angekommen habe ich nicht nur weiche Knie, sondern auch noch Pudding in den Armen von der anstrengenden Kletterei. Kann nicht mehr, will nicht mehr. Bin total genervt – besser nicht ansprechen ! 😉 Von der höchsten Stelle des Knapsack Col sehen wir einen weiteren Gletscher, den Stroud Glacier. Für einen kurzen Moment genießen wir die phantastische Aussicht und freuen uns darüber, dass wir es geschafft haben. Aber schon bald werden wir desillusioniert, denn der Abstieg ist auch nicht viel besser. Steil und rutschig, loses Geröll, kleine Steinchen, Sand. Einfach alles, was ein Hang auf dem Weg nach unten an Gemeinheiten zu bieten hat. Nicht gefährlich, wenn man sich konzentriert und gut aufpasst, aber sehr mühsam. Durch die dünnen Sohlen in meinen abgelaufenen Schuhen spüre ich jeden Stein. Und meine Knie tun weh. Ohne die neuen Stöcker hätte ich übrigens weder den Aufstieg noch den Abstieg geschafft. Inzwischen bin ich richtig wütend und schimpfe laut vor mich hin. Warum sind wir nicht einfach auf dem Original-CDT geblieben, wo wir mit viel weniger Anstrengung mehr Strecke geschafft hätten ? Okay, es war eine gemeinsame Entscheidung, über die wir lange nachgedacht haben. Irgendwo in unseren Köpfen muss ein kleines Teufelchen sitzen, dass uns immer den schwierigsten Weg nehmen lässt. 😉 Der eigentliche Auf- und Abstieg hat 3 Stunden gedauert. Tatsächlich sind wir in dieser Zeit nur 3 Meilen, also knapp 5 Kilometer, vorwärts gekommen. Insgesamt haben wir heute nur 16 Kilometer geschafft. Die Extra-Route über den Knapsack Col hat uns spektakuläre Landschaft geboten. Trotzdem ist so eine harte Tour nicht das, was ich freiwillig nochmal machen würde. Es war ein echt anstrengender Tag. Dafür gibt es ein besonders schönes Lager am Peak Lake in 3230 Meter Höhe mit eiskaltem Wasser.

Sternenklarer Himmel, heller Mondschein, Berge mit Schnee gegenüber und ein rauschender Gebirgs-Bach direkt neben unserem Platz. Was für eine tolle Szenerie ! 🙂 Vor einem Jahr um diese Zeit sind wir mit der Walkabout in der Südsee gesegelt und haben auf unbewohnten Fiji-Inseln geschwitzt. Wir können uns wirklich nicht beklagen. Das Leben ist und bleibt spannend. 😉 Um wieder zum Continental Divide Trail zu gelangen, müssen wir irgendwie um den Peak Lake herum. Zu beiden Seiten reichen die Berge bis an den See. Beide Uferseiten sehen nicht so aus, als könnte man dort laufen. Aber wir finden eine dünne Spur ganz nahe am Wasser, der wir folgen. Schon eine Viertelstunde nach dem Start beginnt derselbe Mist wie gestern. Wir hängen in einer steilen Wand über dem See. Loses Geröll und kleine Steinchen machen uns das Leben sauer, denn man rutscht schon tiefer, wenn man nur zu lange auf einer Stelle stehen bleibt. Einmal um die Kurve, dann geht es fast senkrecht hinauf. Thomas ist schon ein paar Meter über mir. Ich weiss gar nicht, wie er so schnell dorthin gekommen ist …. und wie ich es da hoch schaffen soll, denn ich rutsche bei jedem Schritt tiefer ab. Ich muss Dampf ablassen und schimpfe schon wieder wie ein Rohrspatz. 😉 Schwierig, aber irgendwann habe ich es geschafft und bin mit Thomas auf einer Höhe. Auf der Nordseite erwartet uns die nächste böse Überraschung, ein Schneefeld am steilen Hang. Es sind nur etwa 20 Meter zu überbrücken, aber so früh am Morgen ist der Schnee bretthart gefroren. Thomas läuft vor. Ich folge ihm zaghaft und setze vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Er kommt ungefähr bis zur Mitte und entscheidet sich dann zum Umkehren. Ich mag mich nicht umdrehen, sondern stapfe langsam rückwärts in meine eigenen Tritte, bis ich wieder im Geröll stehe. Die Nordflanke des Berges ist dermaßen steil, der Hang ist vereist, unter uns ragen einzelne spitze Felsen aus dem Schnee. Wenn man hier abschmiert, dann könnte es ernsthafte Verletzungen zur Folge haben. Der Cube Rock Pass mit seinen 3270 Metern ist wieder nichts für meinen Kopf und meine Komfortzone. Wir umgehen diese eisige Passage, indem wir in eine schmale Spalte zwischen Felswand und Schneekante klettern. Die Rinne ist so eng, dass Thomas beinahe mit seinem Rucksack stecken bleibt. Ich muss an Ötzi in der Gletscherspalte denken ….. Meine Flasche wird in dem engen Kanal aus der Außentasche des Rucksacks gedrückt und fällt tief bis unten in die Rinne, während ich mich hindurch quetsche. Da komme ich nicht mehr dran, kann mich hier nicht bücken und bin sowieso froh, wenn ich aus dem Engpass raus bin. Thomas kehrt nochmal um, ohne Rucksack und ohne Stöcker, um die Flasche zu holen. Völlig unwichtig, eine leere Wasserflasche aus dem Supermarkt, aber er möchte den Plastik-Müll nicht liegen lassen. Ein paar Hundert Meter weiter um den Berg herum sehen wir genau auf unserer Höhe ein weiteres Schneefeld. So ein Mist ! Eine Spur verläuft etwa waagerecht von unserer Seite des Geröll-Hanges bis zu einem Steinfeld in etwa 100 Meter Entfernung. Dieser Abhang vor uns ist zwar schräg, aber nicht so steil wie der vorige. Es gibt keine herausragenden Felskanten, an denen man sich bei einem Sturz den Kopf aufschlagen könnte. In Gedanken arbeite ich an einem Plan, wie ich meinen Fall bremsen kann, falls ich abrutsche. Thomas geht wieder vor und haut mir schöne tiefe Tritte in die Spur. Inzwischen ist die Oberfläche schon leicht angetaut. Ich muss einfach nur aufpassen, dass ich meine Füße waagerecht und ordentlich hintereinander stelle. Es dauert gefühlt ewig, ich bin schon wieder schweissgebadet, aber wir kommen beide heile durch. Der Cube Rock Pass scheint mir nicht viel besser zu sein als der Knapsack Col von gestern. Im Abstieg steht uns eine Kletter-Partie über dicke Felsen bevor. Manche Brocken sind wackelig, andere glitschig. Auf dem Appalachian Trail nannte man solches Gelände “ Bonebreaker “ – zu deutsch Knochenbrecher-Steine. Die ersten beiden Stunden des Tages sind nicht besonders schonend für Knie und Gelenke. Diesmal haben wir 2,5 Stunden für die 3 Meilen gebraucht. Hochalpines Gelände ist toll, aber für Insel-Kinder auch ziemlich anstrengend. 😉 So langsam kann der Weg ruhig mal wieder einfacher werden. Bereits gestern habe ich auf der Karte gesehen, dass wir heute in einen Bereich kommen, der grün eingezeichnet ist. Habe mich schon gefreut auf Bäume, Schatten und Waldwege. Und richtig – der Trail wird immer besser. Einmal noch jagt uns die Elektronik einen Heiden-Schrecken ein. An einem Abzweiger biegen wir nach rechts ab, also nach Norden, und stellen das auch gar nicht weiter in Frage. Eigentlich sind wir sicher, dass wir richtig laufen, trotzdem möchte Thomas es nach einer halben Stunde kontrollieren. Das GPS sagt, wir sind nicht auf dem Trail. Es versetzt unseren Standort mehr als 10 Kilometer neben den CDT. Au weia ! Das ist aber weit daneben ! Querfeldein ist in dieser wilden Landschaft nicht möglich, wir müssten also umkehren und zurück bis zum Abzweiger. Wir vergleichen das Ergebnis mit den Papierkarten und verstehen die Welt nicht mehr. Eigentlich müssten wir genau richtig sein Nach einigen Minuten Rätselraten und Grübeln hat Thomas die gute Idee, beim GPS einen Neustart zu machen. Tatsächlich findet es plötzlich unseren Standort genau auf dem Trail – da war die ganze Aufregung umsonst. Ein GPS ist eben auch nur ein kleiner Computer. 😉 Inzwischen ist es schon Mittag, und ab jetzt wird der Tag immer schöner. Es geht auf einem gut erkennbaren Weg aufwärts, nicht steil, sondern ganz angenehm leicht bergauf. Hübsche Landschaft um uns herum, bunte Blumenwiesen, die ersten Bäume, und schließlich wandern wir im Wald. So laufen wir über den Vista Pass, ohne es zu bemerken oder als anstrengend zu empfinden. Auch der Weg nach unten ist seniorengerecht, es geht auf Serpentinen mit sanftem Gefälle abwärts. Links und rechts von uns erheben sich die schroffen Gipfel der Wind River Range. Die imposanten Berge aus Granit sind ganz nah, aber wir haben das Vergnügen, nicht mittendrin zu klettern, sondern die Aussicht beim Laufen genießen zu können. 🙂 Neben uns rauscht ständig viel Wasser. Durch die Schneeschmelze sind kleine Bäche zu reißenden Strömen angeschwollen. Zwischendurch müssen wir den einen oder anderen Fluss überqueren, entweder über Steine oder Baumstämme balancieren. Lange folgen wir dem Green River, der seinem Namen alle Ehre macht. Das schäumende Wasser sieht tatsächlich hellgrün aus. Die letzten Fluss-Querungen können wir sogar über Holzbrücken gehen. Je näher wir dem Green River Lake mit seinem Wander-Parkplatz kommen, umso mehr Leute treffen wir, und umso breiter wird der Weg. Wir möchten den Wochenend-Campern lieber nicht zu nahe kommen und steigen ab in Richtung See. Leider landen wir im Sumpf, als wir uns bei der Suche nach einem Zeltplatz zu nahe ans Ufer wagen. Den ganzen Tag sind meine Füße trocken geblieben, aber 5 Minuten vor Feierabend tappe ich voll rein. Schuhe und zwei Paar Socken pitschnass, aber wenigstens ein Plätzchen für die Nacht abseits vom Trubel gefunden. 😉

Thomas hat während der Nacht mehrere Elche im Wasser stehen sehen, als er einmal kurz draußen war. Faszinierend, was man alles ganz nebenbei beobachten kann. 🙂 Wir sind gestern bis zum Green River Lake so tief abgestiegen, dass wir heute beinahe wieder Wüsten-Vegetation haben. Es geht die ersten drei Stunden des Tages sanft bergauf. Ein Herde Antilopen sprintet über die Hügel. Zwei kleine Schlangen liegen am Weg und machen sich ins Gebüsch davon, als wir vorbei laufen. Garter Snake oder Strumpfband-Nattern sind in Nordamerika weit verbreitet und ungiftig. Nach der Pause geht es weiter mit einem knackigen Aufstieg. Zwei Stunden schieben wir uns nach oben, steil und anstrengend in der Mittagshitze. Die Pinon Ridge verläuft von Ost nach West, unser Trail verläuft über den Gunsight Pass mit 3100 Meter Höhe. Wir beobachten einen Falken im Landeanflug. Anschließend sitzt der stolze Vogel seelenruhig auf der Wiese und verzehrt seine Beute. Der Pass liegt unterhalb der Baumgrenze, deswegen ist alles schön grün. Von da an haben wir fast nur noch flaches bis leicht hügeliges Gelände für den Rest des Tages. Sehr angenehm. 🙂 Wir befinden uns jetzt im Bridger-Teton National Forest. Vor uns auf dem Weg liegt ein großer schwarzer Bären-Haufen. Die haben wir schon länger nicht mehr gesehen. Thomas übt bereits seit einigen Tagen immer mal wieder den Ernstfall. Er läuft meistens ein Stück hinter mir und ruft irgendwann ganz unerwartet “ Bären-Alarm !“ Ich muss dann möglichst schnell richtig reagieren. Laut werden, mich ganz groß machen und das Bären-Spray aus der Tasche meines Rucksacks ziehen. Beim ersten Versuch steckte die Spray-Dose an der falschen Seite, aber das kommt nicht noch einmal vor. Das Ganze ist ein bisschen so, wie wenn man das “ Mann-über-Bord „- Manöver auf dem Boot übt. Es kann ja nicht schaden, wenn man das Notfall-Szenario mehrmals durchspielt und die Abläufe verinnerlicht. Insgeheim hoffe ich nur, dass es hier keine versteckte Kamera gibt. 😉 Links von uns über dem Feld steigt ein Schwarm fetter Krähen in die Luft. Beim Näherkommen sehen wir den Grund dafür, denn da liegt eine verendete Kuh, an der wohl herumgepickt wurde. Plötzlich wird mir ganz mulmig, denn ich stolpere fast über eine riesige Portion Bären-Kacke. Ganz eindeutig nicht von einem Schwarzbären. Ein Haufen dieser Dimension kann nur von einem Grizzly sein. Es gibt sie also hier.

Uns begegnen zwei junge Frauen, die ein paar Tage in der Wind River Range wandern. Voraus läuft ein kräftiger Hund mit Glocke am Halsband. Damit werden sicherlich alle Tiere gewarnt und verscheucht. Beide Frauen sind mit Bären-Spray bewaffnet, eine trägt außerdem noch eine Knarre am Gürtel. Nicht so eine niedliche silberne Pistole, die in eine Damen-Handtasche passt, sondern einen richtigen Revolver. Schießen kann die Lady damit vermutlich auch. Da hat wohl kein Bär eine Chance, und böse Männer auch nicht. Die Landschaft erinnert jetzt sehr an das Great Divide Basin, gelbe Grasbüschel, stachelige Büsche und Pieker in den Schuhen. Eine braune Echse läuft im Zickzack vor mir her und verschwindet dann hinter einem verrotteten Baumstamm. Und dann schon wieder Bären-Exkremente auf dem Trail, wieder enorme Ausmaße. Diese Größe haben wir vorher noch nie gesehen, obwohl wir schon viel in Bären-Regionen gewandert sind. Bisher war alles nur Theorie, so ganz ernst genommen haben wir das Gerede und die Warnungen nicht. Aber heute sehen wir ganz deutlich die Beweise vor uns liegen. Wir befinden uns in Grizzly-Gebiet. Unser Tagesziel ist der Lake of the Woods, ein ziemlich großer See. Beim Wasserholen fallen die Moskitos über mich her und stechen durch die Kleidung. 🙁 Am anderen Ufer gegenüber scheint es eine Straße zu geben. Da steht ein schickes Wohnmobil, zum Glück weit entfernt von unserem Platz. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit hören wir lautes Motoren-Geräusch. Wir wundern uns zuerst, woher das kommt …. Die Camper haben einen Generator angeschmissen, damit sie fein Licht und Fernsehen und was weiss ich noch alles haben. Wir sind ziemlich fassungslos. Der Strom-Erzeuger passt überhaupt nicht in diese sonst so ruhige Natur. Das Geräusch stört enorm. Warum müssen die meisten Menschen eigentlich immer Lärm machen ?

Upps – wir haben verschlafen. Als wir wach werden, da ist es schon 10 nach 8. Bis wir loskommen, vergeht nochmal eine gute Stunde. Der Himmel ist gelblich-trübe, die Luft ist rauchig. Ach ja, die Waldbrände westlich von uns …. Heute kann man das Feuer riechen, nicht besonders angenehm. Auf dem Weg sehen wir deutliche Spuren von Bären-Pfoten. Die Füße müssen riesig sein, denn die Abdrücke haben ungefähr 20 Zentimeter Durchmesser. Wir haben erst wenige Kilometer zurückgelegt, da kommen uns zwei Hiker entgegen. Ein sehr interessantes Gespann, wie wir bald darauf erfahren. Ein junger Mann aus Südkorea, der von Canada nach Mexico unterwegs ist und sein Freund, der ihn ein paar Tage begleitet. Die Beiden haben sich letztes Jahr auf dem PCT kennengelernt. Ba Ram ist auch schon den Appalachian Trail gewandert, er läuft also dieses Jahr für die Triple Crown. Das allein bietet schon genügend Gesprächsstoff, aber er hat noch viel mehr zu bieten. Ba Ram hat sich nämlich eine Aktion überlegt, für die er unterwegs ist. Er trägt eine riesige Leinwand an zwei Stöckern mit sich, die er unterwegs allen Interessierten zeigt. Darauf abgebildet sind die Köpfe der Schüler, die bei einem Schiffs-Unglück im Jahr 2014 ums Leben kamen. Die südkoreanische Regierung hat sich bislang geweigert, irgendwelche Entschädigungen an die betroffenen Familien zu zahlen. Unser engagierter CDT-Hiker möchte mit seiner Mission an die Sewol-Katastrophe erinnern und die Ungerechtigkeit öffentlich machen. Zudem steht er in Kontakt mit den Familien, die immer noch um ihre Kinder trauern. Er hält sie auf dem Laufenden und schickt ihnen Fotos von allen Leuten, mit denen er über das Unglück gesprochen hat. Gleichzeitig ist es eine politische Aktion, und er hofft, dass er etwas Positives in Bewegung bringt. Seinen Aussagen nach ist der neue südkoreanische Präsident in dieser Angelegenheit etwas zugewandter. Es kam sogar zu einem persönlichen Treffen in Washington, bei dem Präsident Moon Jae-In dieses Plakat unterschrieben hat, welches jetzt 5000 Kilometer weit durch die USA getragen wird. Hut ab vor diesem engagierten Hiker, der sich diese Aufgabe selbst gestellt hat ! 🙂 Die Idee und der gute Zweck der Sache imponieren uns.

Fast eine Stunde lang unterhalten wir uns mit diesen beiden tollen Menschen. Eigentlich wäre das unsere Pausen-Zeit gewesen, aber wir haben nichts gegessen und getrunken, weil wir kein Wasser dabei hatten. Nun haben wir Hunger und Durst, halten eine Viertelstunde später beim nächsten Bach an und machen schon wieder Pause. Das kann ja heute nicht viel werden mit Weiterkommen. Komischer Tag. Irgendwie kommen wir heute nicht so richtig in die Gänge. Etwa 100 Meter vor mir knackt es ganz gewaltig zwischen den Bäumen, Äste wackeln. Ein großes Tier haut eilig ab, aber ich kann es nicht genau erkennen. Nur ein kurzes Stück weiter liegt ein dicker Haufen Bären-Kacke auf dem Weg, wieder eindeutig von einem Grizzly. Eine Forststraße kreuzt unseren Trail. Ein überdimensionierter Pfeil aus Ästen liegt auf dem Boden und zeigt nach rechts. Was soll das denn bedeuten ? Eigentlich machen nur Thru-Hiker solche Zeichen als Hilfestellung, und die wissen, was sie tun. Mal wieder Rätsel-Raten ….. Vielleicht hat sich die Wegführung des CDT geändert, oder der Weg über die Straße ist kürzer und schneller. Nach Befragung von GPS und Papierkarte entscheiden wir uns trotzdem für geradeaus – und kommen richtig an. 🙂

Irgendwie fühlen wir Beide uns heute ziemlich schlapp. Liegt es an dem späten Start ? Oder an der schlechten Luft ? Es ist schwül, und die dicke Luft vom Feuer in der Ferne scheint uns zu umhüllen. Bilde mir ein, dass ich nicht gut atmen kann. Oder ist es einfach die Summe der Strapazen der vergangenen Tage ? Und wer hat eigentlich gesagt, dass Wyoming flach ist ? Der CDT führt uns heute ständig auf und ab. Es geht über jeden Hügel. Das nervt ! Vielleicht liegt es auch an dem langweiligen Gelände. Viele, viele Kilometer marschieren wir durch ein Gebiet mit toten angekohlten Bäumen. Das sieht schon sehr trostlos aus. Wasser gibt es auch nicht. Wir schleppen uns so dahin, reden nicht viel, laufen nur stumpf weiter. Echt zäh heute, aber solche Tage muss es wohl auch geben. Das einzig Bemerkenswerte auf dem weiteren Weg sind gigantische Bären-Haufen auf dem Trail. Wer sich jetzt wundert …. Bären haben die Angewohnheit, direkt auf den Weg zu kacken. Was uns mächtig erstaunt, das ist gar nicht mal die Größe, sondern die Anzahl der Funde. Auf dem Trail sehen wir heute noch weitere fünf mal diese Hinterlassenschaften, und das innerhalb weniger Stunden und immer vom Grizzly. Wir hätten nicht erwartet, dass wir bereits vor dem Yellowstone National Park so viele Anzeichen von Grizzly-Bären entdecken. Anscheinend haben sie sich sehr gut vermehrt und die Population sich weit über die Grenzen hinaus ausgebreitet. Am späten Nachmittag befinden wir uns auf einer langen wasserlosen Strecke. Aber wir kommen an Johannisbeer-Sträuchern vorbei. Es gibt frische Früchte gegen den Durst. Nur leider haben wir uns zu weit ins Gebüsch gewagt. Unsere Schuhe, Strümpfe, Hosen, selbst die Knie-Bandage sitzt voll mit kleinen fiesen Kletten. Als es endlich Zeit für​ unseren Feierabend ist, da sind gleich drei Bäche nacheinander nur müde Rinnsale. Es dauert ewig, bis wir unsere 5 Liter Wasser beisammen haben. Mittlerweile ist es schon spät und kalt geworden. Wir haben keine Lust, uns noch lange draußen aufzuhalten. Im Zelt essen geht gar nicht wegen der Bären, deswegen verzichten wir auf die warme Mahlzeit. Es gibt heißen Tee und Knabberzeug, schön gemütlich im Schlafsack. Bei der abendlichen Buchführung stellen wir überrascht fest, dass wir uns mitten auf dem Sheridan Pass befinden. Wir zelten auf dem höchsten Punkt, deswegen ist es so zugig hier oben. Bei unserer Wasser-Suche sind wir weiter gekommen als ursprünglich geplant. Endlich haben wir mal wieder eine vernünftige Etappe geschafft. Trotz unserem späten Start und der langen Unterhaltung mit dem Südkoreaner sind wir noch 32 Kilometer gelaufen. 🙂

 

Kalt war es in der Nacht. Habe mit zwei Lagen Kleidung, Mütze und Handschuhen geschlafen. Blöder Standort ! Wir haben eine dicke Eis-Schicht auf dem Zelt, Eis in der Wasser-Flasche, Schuhe und Socken sind gefroren. Für heute haben wir uns den Wecker gestellt. Die nächste Stadt ruft, vielleicht schaffen wir es bis nach Dubois. Es kostet ordentlich Überwindung, den warmen Schlafsack zu verlassen und aus dem Zelt zu klettern. Der Himmel ist nach wie vor trübe. Die Sonne scheint zwar, hat aber überhaupt keine Kraft zum Wärmen. Die Berge am Horizont sind ebenfalls hinter dichter Bewölkung verschwunden. Wir kommen uns vor wie unter einer Dunst-Glocke wegen der rauchhaltigen Luft. Nur zwei Meter vor unserem Zelt liegt ein Haufen Bären-Kacke. Nicht riesig, entweder Schwarzbär oder kleiner Grizzly. 😉 Schon kurz nach dem Start stehen wir vor einem Hindernis. Ein Fluss muss überquert werden, aber zu beiden Richtungen finden wir keine seichte Stelle. So früh am Morgen möchten wir noch keine nassen Schuhe haben, deswegen setzen wir ab und wechseln in die Crocs. Nach dem Durchwaten nochmals anhalten, Schuhe und Strümpfe wieder anziehen und weiter geht’s. Nach einer sumpfigen Lichtung erreichen wir ein Waldstück, in dem wir ganz deutlich die Bären rufen hören. Zum Glück nicht so nahe am Trail, sondern in angemessener Entfernung. Entspanntes Wandern im Shoshone National Forest. Nach drei Stunden stellen wir fest, dass wir nicht mehr auf dem Trail sind. Der Weg war schön einfach, wir waren zügig unterwegs. Schon haben wir uns wieder verlaufen. In leichtem Gelände passiert das eher als bei schwierigen Strecken. Beim Überqueren eines Baches rutsche ich auf einem glitschigen Stein aus und lande mit beiden Schuhen im Wasser. Egal, denn in Dubois beim Postamt warten hoffentlich neue Schuhe auf mich. In der Pause stellen wir das vereiste Zelt zum Trocknen auf. Und wir kochen ausgiebig, damit wir nicht so hungrig in den Supermarkt stürzen. 😉 Eigentlich hätten wir bis zum Highway noch ein paar Meilen mehr laufen müssen, aber auf unserem gewählten Pfad durch den Wald kommen wir schneller zum Ziel. Das Verlaufen war wohl eine Abkürzung, die schon andere CDT-Hiker gefunden haben. Wir erkennen die Spuren von Testament und Co., die uns jetzt etwa zwei Tage voraus sind. Und wir sehen erneut Abdrücke von enorm großen Bären-Pfoten im Sand. Früher als erwartet erreichen wir den Abzweiger zur Straße. An einem See parkt ein Jeep mit einer frischen Holz-Ladung auf dem Anhänger. Der Fahrer steht in einiger Entfernung, sein Hund macht gerade den Freischwimmer. Wir schauen erstaunt zu, wie die Wasserratte nach Stöckchen taucht und schwimmt. Freundliches Grüßen, ein nettes Winken zurück …. Wir marschieren weiter Richtung Highway, aber nach wenigen Minuten werden wir von Hund und Herrchen eingeholt. In unseren Unterlagen steht, dass es sehr schwierig ist, von hier wegzukommen. Auch andere Hiker haben berichtet, dass man eventuell stundenlang stehen muss, weil so wenig Verkehr ist. Für uns läuft es gerade bestens. 🙂 Unser Fahrer ist ein ehemaliger Mitarbeiter des Forest Service, gerade eben in Rente und sehr glücklich darüber. Er bringt uns die 40 Kilometer bis nach Dubois, macht noch eine kleine Stadt-Rundfahrt und setzt uns, wie gewünscht, vor der Kirche ab. Die St. Thomas Episcopal Church öffnet ihre Türen für Hiker und Biker. Wir werden nett von Melinda empfangen. Nach einer kleinen Führung und Unterschreiben einiger Regeln lässt sie uns alleine im Häuschen neben der Kirche. Wir dürfen im Gemeinschaftsraum übernachten, die Küche benutzen, haben zwei Bäder und ein Wohnzimmer zur Verfügung. Ein paar Blocks weiter kann man für 0,50 Cent pro Minute duschen, Handtücher sowie Shampoo und Seife werden von der Kirche bereitgestellt. So sparen wir schon wieder die Hotel-Übernachtung, das gesparte Geld wird in Essen investiert. 😉

 

 

 

Ein Kommentar zu “Pinedale bis Dubois 30.08. – 05.09.2017

  1. Ingrid Ebhardt

    Herzlichen Dank für eure ausführlichen Berichte und die Fotos. Diese Strapazen wären nichts für mich! Ich wünsche euch weiterhin viel Kraft und Mut, diese Tour zu bewältigen.

    Liebe Grüsse
    Ingrid