Wir segeln und wandern durch die Welt

Tiger, Chenega, Columbia-Gletscher

Für Freitag sind viel Wind und Regen vorhergesagt, deswegen stehen Donnerstag gleich zwei Gletscher auf dem Tagesprogramm. Der Tiger Glacier und der Chenega Glacier liegen fast um die Ecke. Keine weiten Wege heute, insgesamt nur etwa 20 Seemeilen. Eine Stunde vor Niedrigwasser geht es los. Das entgegenkommende Eis scheint aus dem rechten Arm zu treiben, das ist der Nassau Fjord, der am Chenega endet. Wir entscheiden uns zunächst für den linken Fjord, das ist der längere Weg.

Der Tiger Gletscher ist 9,5 Kilometer lang und hat eine Breite von 2,5 Kilometern. Er endet am Kopf der Icy Bay. Wir sind früh am Ziel und treiben alleine vor der weißen Wand. Auf der rechten Seite ist ein kleines Stück Strand zu sehen. Aus einer Höhle im Eis sprudelt es, da kommt ein Wasserfall ans Tageslicht. Das Wetter ist so ruhig, dass wir einen Landgang wagen können. Gerade erst Niedrigwasser vorbei, das sollte doch passen.


Wir ankern auf 16 Meter Tiefe und machen das Beiboot klar. Aussteigen ist sehr rutschig, denn der Strand besteht aus weichem Schlick. Beim Blick über die Schulter stellen wir fest, dass die Flut schon aufläuft, und zwar sehr schnell. Wir gehen noch einmal zurück, ziehen das Dingi ein ordentliches Stück höher und binden es supersicher an einem dicken Felsen an. Hier aus Dummheit das Dingi zu verlieren oder ins eiskalte Wasser zu müssen, das wäre wirklich lebensgefährlich.

Der Fluss unter dem Eis ist stärker als es vom Boot ausgesehen hat. Der Gletscher muss an dieser Stelle komplett unterhöhlt sein. Darüber gibt es einen eisigen Überhang. Da sollte man sich besser nicht zu dicht heranwagen, aber das geht sowieso nicht.

Thomas steigt über Geröll einen steilen Hang hinauf und kommt so nahe an die kalte Wand, dass er den Gletscher mit der Hand berühren kann. Dann schnell zurück, denn der Strand wird immer schmaler. Die Flut ist inzwischen so stark angestiegen, dass unser Dingi bereits im Wasser liegt und munter aufschwimmt. Der Käpt’n schafft es mit seinen hohen Gummistiefeln gerade noch rechtzeitig, das Beiboot vom Stein zu lösen und durch die Felsen zu manövrieren.

Der Chenega Gletscher liegt etwas weiter nördlich und ist 19 Kilometer lang. Er endet im Nassau Fjord, der vollgestopft ist mit Eis. Von weitem sieht es so aus, als sei da kein Durchkommen. Beim Näherkommen finden wir eine Spur in der riesigen Bucht, wo wir durch lose Eisstücke durchstoßen können. Es knirscht an der Bootswand. Das macht der Walkabout nichts aus, nur die Farbe am Rumpf leidet wieder.
Landgang nicht möglich, wir halten respektvollen Abstand zum Chenega. Im Gletscher knallt und poltert es. Wir sehen in zwei Stunden etliche Abbrüche. Manchmal rutschen mit viel Getöse ganze Schnee-Lawinen von der Front ins Wasser ab.

Seehunde sitzen zu Dutzenden auf Eisschollen und lassen sich treiben. Wir auch. Motor aus und Ruhe bei einem Gletscher-Kaffee. Gegen 18.00 Uhr wird es neblig und noch kälter als kalt.
Der Rückweg dauert nicht lange, es sind nur etwa 5 Seemeilen bis zu derselben Ankerbucht, von wo aus wir morgens gestartet sind. Eisfrei ist das entscheidende Kriterium. Wir suchen uns einen Platz auf der anderen Seite der Gaamaak Cove bei 15 Metern. Vögel kreischen im Felsen neben uns. Thomas bringt von Bord die Angel aus und hat in Windeseile drei Schollen im Eimer. Beinahe hätte es heute Kürbissuppe gegeben, aber wir sind ja flexibel und schwenken ganz spontan um auf Fisch und Kartoffeln. 😉

Schlechtes Wetter am Freitag, genau wie erwartet. Erst zum Abend hin klart es auf. Ein Regenbogen in kräftigen Farben spannt sich über die Icy Bay. Sehr malerisch. 🙂
Den ganzen Tag grauer Himmel, da nützen auch drei Solarpaneele nichts. Unsere Volt-Anzeige ist im Keller, wir müssen den Generator anmachen.
Abends stellen wir fest, dass unsere Starter-Batterie tot ist. Wir hatten uns schon seit einiger Zeit darüber gewundert, dass der Stromhaushalt nicht mehr stimmt. Thomas misst alles aus, die Starter-Batterie ist definitiv kaputt, wahrscheinlich vom Frost im Winter. Dann muss der Strom beim Anlassen bis auf weiteres von der Verbraucher-Batterie kommen.

Aufstehen früh um 5.00 Uhr. Wir müssen los, bevor die Tide kippt. Das fällt nicht schwer bei dieser wunderbaren Morgenstimmung. Bilderbuch-Wetter. Es ist total ruhig und klar. Die Sonne scheint bereits und lässt das Licht in den Eisbergen glitzern. Der Morgendunst hängt in dichten weißen Schleiern zwischen den Bergen. Seeotter spielen im Wasser. Traumhaft schön. Alaska im Sommer. 🙂


Gegen 7.30 Uhr tuckern wir unter Motor durch die „Dangerous Passage“. Gefährliche Passage – die heißt wirklich so. Chenega Island liegt an steuerbord querab. Wir müssen uns auf unsere elektronischen Geräte verlassen, denn inzwischen fahren wir im pottendichten Nebel. Blindflug. Sichtweite etwa 10 Meter. Das Radargerät erweist sich als existentiell, ohne könnten wir nicht weiter. Kartenplotter, AIS, Navionics und Echolot laufen sowieso immer mit. Oh, Wunder der Technik ! Wir erstarren vor Ehrfurcht, wenn wir daran denken, dass früher in solch schwierigen Gebieten mit Sextant und Papierkarten navigiert wurde.

Eine halbe Stunde Angeln bringt 4 Rockfische. Das sind 8 leckere Filets, Abendessen ist gesichert.

Ab 11.00 Uhr lichtet sich der Nebel. Spiegelglatte See. Wir nehmen die Knights Islands Passage nach Nord-Osten. In der Ferne tauchen hohe Berge auf, massiv und reinweiß. Die Mittagssonne bringt sie zum Strahlen.
Auf der Höhe von Story Island kommt uns die „Noordam“ entgegen und kreuzt unseren Kurs in einer halben Meile Distanz. Das unter holländischer Flagge laufende Kreuzfahrt-Schiff ist stolze 285 Meter lang, Heimathafen Rotterdam. Die zugelassene Passagierzahl an Gästen beträgt 1900 verteilt auf 11 Decks, dazu kommen 800 Personen an Besatzung.


Kurz vor 20.00 Uhr erreichen wir Jackson Hole auf Glacier Island. Knapp 54 Seemeilen durch den Prince William Sound geschafft. Die Einfahrt ist schmal und flach, aber wir sind zur richtigen Zeit da. Eine knappe Stunde nach Hochwasser zeigt das Echolot immer noch 5 Meter unter dem Kiel an. Hier befinden wir uns in einer guten Ausgangsposition, um den Columbia Gletscher an einem Tag zu schaffen.

Start um 6.00 Uhr morgens im Nebel. Für die nächsten beiden Tage ist Dauerregen angesagt, also wagen wir heute einen Versuch, zum Columbia vorzudringen. Hoffen auf Wetter-Besserung. In der Columbia Bay treiben uns bereits die ersten Eisberge entgegen. Wir sehen auch erstaunlich viel „Black Ice“.

Der Columbia Gletscher bedeckt ein Gebiet von 1150 km². Auf zehn Kilometern Breite schiebt sich die Gletscherzunge bis ins Meer. Die Sohle liegt 700 Meter unter Wasser, die Höhe der Eiswand über dem Meeresspiegel beträgt zwischen 60 und 80 Meter. Wir sehen leider nicht viel davon, denn es bleibt grau und verhangen. Der Vorgang lichtet sich erst ein wenig, als wir schon auf dem Rückweg sind.
Seit 1980 zieht sich der Columbia Gletscher stark zurück, bis 2014 bereits um über 20 Kilometer. In den letzten 25 Jahren büßte er rund die Hälfte seines Volumens ein.


Auch wir können das nur bestätigen. Unsere elektronischen Karten hören nach 14 Seemeilen auf. Das ist ungefähr die Höhe, auf der wir den ersten Eisgürtel durchbrechen. Der Überlebensanzug und der Faserpelz-Overall kommen zum Einsatz. Mehrere Liter Tee und Kaffee gehen durch. Man kann gar nicht so schnell trinken, wie das Getränk in der Tasse abkühlt. Ekliger Nieselregen.

Thomas steht vorne, um mir die beste Richtung anzuzeigen. Sowohl C-Maps als auch Navionics sind zu Ende. Dieser Bereich ist nicht kartographiert. Wir fahren quasi über Land. Die Satellitenaufnahme bei Google Maps zeigt unseren Standort IM GLETSCHER an. Bis dahin haben wir schon 19 Seemeilen zurückgelegt, weiter wagen wir uns nicht an die Abbruchkante. Der Columbia Glacier hat sich seit der letzten Satellitenaufnahme schätzungsweise um 10 Kilometer zurückgezogen. Immer noch sind wir längst nicht an der Eiswand, aber näher möchten wir gar nicht ran. Im Inneren des Columbia Gletscher grummelt es nicht nur ein bisschen, sondern es donnert tief und unheimlich. Reicht. Wir stellen den Motor aus, lassen das Boot treiben und machen Mittagspause. Aber nur kurz, wir sind unruhig. Die Tide ist gekippt, und das Eis packt sich anscheinend zusammen. Besser, wenn wir verschwinden.

Auf dem Rückweg stelle ich mich dick angezogen an den Bug und gebe Handzeichen in die Richtung, wo ich den günstigsten Weg vermute. Die Eisdecke ist inzwischen geschlossen, noch nicht kompakt, aber zusammenhängend. Walkabout muss sich als Eisbrecher betätigen. Nach einer Weile kann man eine Spur erahnen, nur eine ganz schmale Rinne, in der das Wasser langsam abläuft. Zum Glück verbreitert sich diese in Fahrtrichtung. Es ist ablaufende Tide, und ich habe Hoffnung, dass wir den zusammenhängenden Eisgürtel hinter uns gelassen haben. Stimmt, es wird besser. Der Weg ist längst noch nicht frei. Immer noch fahren wir mit nur 2 Knoten in Slalomfahrt durch’s Eis. Es schrabbelt und poltert am Rumpf, aber geschafft.

Um 13.00 Uhr kommt uns das erste und einzige Ausflugsboot heute entgegen. Der Katamaran „Glacier Spirit“ mit 30 Metern Länge unternimmt bei diesen Bedingungen eine Fahrt bis zum Columbia Gletscher und bietet seinen Gästen damit ein exklusives Programm.

Wir hatten nicht viel Sicht auf die Eiswand, aber trotzdem einen spannenden Tag. Der Weg ist das Ziel. Um 17.00 Uhr erreichen wir die Heather Bay. Dort soll man wandern können. Wir ankern in der Emerald Cove, die sehr geschützt ist. Haben uns aufgrund der Wetterprognose auf 2-3 Nächte in dieser Ankerbucht eingestellt. Insgesamt waren wir 11 Stunden unterwegs und sind froh über unseren frühen Feierabend. Ofen an, Aufwärmen, Nudeln zum Abendessen. Wir haben es gut. 🙂

Es ist bereits Ende Juli. Wir haben noch ungefähr einen Monat Zeit in Alaska, bevor der Herbst mit seinen Stürmen die Weiterfahrt nach Süden ratsam macht.

Ein Kommentar zu “Tiger, Chenega, Columbia-Gletscher

  1. Rainer

    Mal wieder ein WOW Bericht liebe Frauke. Macht ja bischen neidisch. Wir sitzen hier bei 30 Grad Wasser und Lufttemperatur. Bischen Abkuehlung zwischendurch waere ganz nett. Aber es gibt schlechtere Gegenden. Lasst es Euch gut ergehen. Liebe Gruesse aus Langkawi. Die meerbaeren