Wir segeln und wandern durch die Welt

White Sulfur Hot Springs

Der Wecker klingelt. Aufstehen, neues Wetter und los. Wolkenloser Himmel. Das Wetter verspricht wieder schön zu werden. Das macht richtig Lust auf den neuen Tag.
Um Viertel nach 6 legen wir ab. Die Lisianski-Straße ist ein Nadelöhr. Man muss möglichst bei Stillwasser an der Ausfahrt sein und in die offene See fahren. Bis dahin sind es ungefähr 10 Seemeilen, Niedrigwasser ist für 8.40 Uhr angesagt. Müsste passen.
Geschwindigkeitsrausch ist vorbei, aber Walkabout macht gute 5 Knoten Fahrt trotz leichter Gegenströmung.
Die Einfahrt zum Mirror Harbor soll schwierig sein, flach und mit Felsen gespickt. Es wird immer wieder davor gewarnt, man sollte lokale Kenntnisse haben usw. –  Wir möchten es versuchen, denn es lockt ein richtiger Trail zu den White Sulfur Springs. Die Voraussetzungen sind günstig, das Wetter ist ruhig. Die Überlegung ist, dass wir bei auflaufendem Wasser ab halber Tide in den Fleming Channel einfahren. Heute also gegen 12.00 Uhr am Mittag. Damit haben wir die Chance, dass wir wieder freikommen, falls wir uns festsetzen. Fische springen im Wasser. Ob das auch Lachse sind, die auf dem Weg zu ihrem Geburtsort sind ?

Um 8.30 Uhr sind wir durch, es geht wieder hinaus auf die offene See. Das Tor aus der Lisianski-Straße in den Pazifik ist nicht besonders breit. Nicht zu empfehlen bei schlechten Bedingungen, z. B. bei Wind gegen Strom. Um uns herum liegen unzählige Inselchen, an denen sich die Wellen brechen. Eine hohe Dünung beschert uns einen weißen Brandungsstreifen an der Küste. Wir müssen durch einen Kelpwald, der so weit ausgedehnt ist, dass wir ihn nicht umfahren können. Es sieht unheimlich aus. Ganz weit außen liegt der Porcupine Rock, um den müssen wir auch noch herum. Die Wellen laufen unter uns durch, es schaukelt unangenehm.

Zwei Stunden später liegt die Einfahrt vor uns. Die Brandung donnert an die Küste, obwohl wir fast keinen Wind haben. Spektakulär. Das erfordert gute Nerven. Trauen wir uns ? Ich stelle mich vorne an den Bug, der Käpt’n übernimmt die Pinne. Wir fahren durch weite Kelp-Felder. Das Grünzeug wächst meterhoch vom Meeresgrund und kann ernsthafte Schäden verursachen, wenn es in die Schraube gerät. An backbord haben wir Kinky Island, an steuerbord das größere Fleming Island liegen. Dazwischen Felsen, Unmengen von Kelp und weiße Schaumkronen.

Zwei Kayak-Fahrer kommen uns entgegen. Wir kommen aus dem Staunen nicht heraus, dachten wir doch, dass wir in diesem schwierigen Fleming Channel total alleine sind. Es handelt sich um ein amerikanisches Ehepaar, welches sein Motorboot in einem Nebenarm geparkt hat und offensichtlich ortskundig ist. Die Beiden bieten an, dass sie mit dem Kayak vorausfahren und nach Unterwasser-Felsen Ausschau halten. Ich stehe zwar noch vorne, aber wir nehmen das Angebot dankend an. Das Ehepaar paddelt neben der Walkabout und voraus. Auf diese Weise werden wir sicher durch die schmalsten Stellen des Fleming Channel geleitet.

Die Felsen haben bei mittlerer Tide unter Wasser viel mehr Ausdehnung als die Ansicht aus einigen Metern Entfernung erahnen lässt. Das Ganze wirkt bedrohlich, aber es gibt kein zurück in dieser Enge. Man kann bei dieser geringen Tiefe deutlich sehen, wie die Kelp-Pflanzen im Boden verankert sind, allerdings breiten sie sich an der Wasseroberfläche noch bis zu 20 Meter weiter aus. Ein bisschen zum Fürchten ist das hier, auf jeden Fall nicht entspannt. Im sogenannten West-Arm des Mirror Harbor lassen wir den Anker auf 5 Meter fallen und atmen einmal tief durch. Es ist noch zu früh für die letzte Schlüsselstelle. Wir möchten warten, bis wir mehr Wasser haben.

Erste Erkundungsfahrt mit dem Dingi. Wir loten die Wassertiefen aus und suchen den besten Weg, den wir als Track auf dem Handy speichern. Bei mittlerer Tide messen wir 2,30 Meter. Sehr gut, das kriegen wir hin.
Nach dem Vermessen per Hand sehen wir viel klarer. Anker auf. Klappt alles wunderbar. Wir möchten im entlegenen Mirror Harbor ankern. Auch die Freydis hat schon dort gelegen. Und es soll einen Trail zu den White Sulfur Springs an der Bertha Bay geben. Zwei gute Gründe, das hört sich mehr als interessant an.

Eine halbe Stunde warten wir noch, der Anker sitzt, die Walkabout rührt sich nicht. Ab an Land. Wir stolpern durch Sumpfgebiet, haben schon wieder nasse Füße. Ziemlich schnell finden wir eine dünne Spur, der wir in Richtung Bertha Bay folgen. Das ist der „Dry Pass Trail“, wie wir vorher auf einer Karte im Internet recherchiert haben. Den ist wohl schon seit Jahren Niemand mehr gegangen. Wir laufen durch Matsch und Modder. Menschliche Fußspuren ? Fehlanzeige. Wir sehen große Bärentatzen und Wolfsspuren vor uns. Der Pfad verliert sich immer wieder. Es gibt einfach keinen erkennbaren Weg, aber immerhin einen Verlauf, der einigermaßen logisch ist und dem wir folgen können. Das ist deutlich mehr als wir gestern gefunden haben. Ein verwittertes Holzschild an einem Baum markiert einen Abzweiger. Leider ist die Schrift nicht mehr lesbar, aber irgendwas ist hier los. Die dünne Spur wird breiter, man kann deutliche Abdrücke von Schuhen erkennen. Über einigen Passagen liegen moderige Bretter, zum Teil schon in Auflösung begriffen. Noch ein Holzbrettchen ohne Aufschrift, aber das hat etwas zu bedeuten. Hier sind wir auf jeden Fall richtig.
Knapp 2 Stunden brauchen wir für die Wanderung zur Bertha Bay. Es geht bestimmt schneller, wenn man sich auskennt. Vom Strand aus können wir die gesamte Bucht überblicken. Sie ist offen zum Pazifik und war damit für uns keine Option zum Ankern.

Der Trail endet an den White Sulfur Hot Springs. Dort steht eine Blockhütte, die man mieten kann. Daneben entdecken wir einen Unterstand mit Brennholz und Beil zum Zerkleinern. Eine hohe Tonne mit Regenwasser steht gleich um die Ecke. Ein schmaler Pfad führt zum Privy, ein kleines Schild weist den Weg zu einer Süßwasser-Quelle. Perfekt. Alles da, was man braucht. Ein natürlich belassenes Becken draußen ist gefüllt mit schwefelhaltigem heißem Wasser. Davor gibt es einen Grillplatz mit Bänken. Aber der Knüller ist das 2013  rekonstruierte Badehaus. Schick !
Durch die Fensteröffnung ( ohne Scheibe ) hat man eine wunderbare Aussicht auf die Bertha Bay. Das ist so exklusiv, dass wir uns ansehen und gegenseitig beglückwünschen. Was haben wir es doch gut ! 🙂

Auf dem Rückweg verlaufen wir uns zweimal kurz, finden aber dadurch einen besseren Zugang zum Trail vom West-Arm. Nützt uns nur gerade nichts, weil unser Dingi ganz woanders liegt. Das werden wir dann morgen auskundschaften.
Nach vier Stunden kommen wir ziemlich erschöpft wieder bei der Walkabout an. Laufen, Klettern und die heißen Quellen haben müde gemacht. Trotzdem möchte Thomas noch ein bisschen paddeln ( die Angel ist natürlich dabei ). Er bleibt eine Stunde weg und kommt mit reicher Beute heim. Vier Rockfische und ein Kelpgrünling – das bedeutet Fisch für zwei Tage. Angeln ist morgen verboten.
Das Ankerlicht können wir uns sparen. Niemand wird bei Nacht die Passage in den Mirror Harbor wagen.

Niesel-Piesel-Regen den ganzen nächsten Tag. Das Wetter ist schlechter als erwartet und viel nasser als in der Vorhersage. Anscheinend ist der Sommer in Alaska wirklich vorbei. Es wird Zeit, dass wir uns auf den weiteren Weg nach Süden machen.
Nachmittags fällt uns die Decke auf den Kopf. Regenzeug und Gummistiefel an, dann geht es raus. Eine halbe Stunde paddeln wir bis in den West-Arm, lassen dort das Dingi liegen und laufen auf direktem Weg zu den White Sulfur Hot Springs. Eine halbe Stunde tauchen wir ein in die heißen Quellen, länger macht unglaublich müde. Herrlich ist das anschließende Duschen mit einem Mix aus kaltem Regenwasser mit heißem Quellwasser. Wir können damit richtig verschwenderisch sein, denn es ist Natur pur. Die schweflige Quelle sprudelt ohne Unterlass aus dem Boden, und Wasser von oben ist auch genug in der Tonne. Über den begangenen Teil des Trails ( heute ohne Verlaufen ) geht der Rückweg diesmal schnell. Der Regen hat weiter zugelegt, wie kommen pladdernass auf der Walkabout an.

Ab morgen ist viel Wind angesagt, leider aus Süd-West. Damit kommen wir nicht in unsere gewünschte Richtung weiter. Nach drei Tagen Starkwind wird der Pazifik noch sehr aufgewühlt sein. Das ist dann bestimmt kein Spaß, durch die Brandungszone nach draußen zu manövrieren. Wir können nur kurz vor Hochwasser aus dem Mirror Harbor heraus, das wäre heute erst am Nachmittag. Ungünstig. Zurück geht auch nicht, weil wir dann in der engen Lisianski-Straße Gegenströmung hätten. Beide Ein- bzw. Ausfahrten sind von Felsen und Inselchen durchsetzt. Da haben wir viele Flachstellen und donnernde Brandung zu erwarten. Nicht das, was wir uns freiwillig aussuchen. Alternative :  Erstmal weg, damit wir unabhängiger von der Tide werden. Draußen dann nur ein kleines Stück weiter und Schutz suchen, bevor der Starkwind einsetzt. So weit, so gut. Wir haben einen neuen Plan.

Mit dem auflaufenden Wasser werden dicke Baumstämme in die Bucht gespült, die an unserem Rumpf anklopfen. Ansonsten ist es total ruhig im Mirror Harbor. Beste Bedingungen, wenn man davon absieht, dass wir nicht segeln können. Hochwasser ist um 16.15 Uhr, wir werden gegen 14.00 Uhr starten. Noch drei Stunden Zeit bis dahin. Wir unternehmen eine Paddeltour durch die Seitenarme und machen Landgang auf einer kleinen Felsen-Insel.
Mit wenig Wasser sieht die Gegend noch unwirtlicher aus. Kaum zu glauben, dass wir es ohne eine Schramme bis in den letzten Winkel geschafft haben. Ein Seelöwe schwimmt zielstrebig durch die Bucht. Der beachtet uns überhaut nicht. Thomas sammelt Miesmuscheln. Die sind in Alaska sehr klein. Ich bezweifle, dass sich der Aufwand lohnt, aber probieren möchte mein Chefkoch die Muscheln wenigstens einmal.
Abends beim Essen bin ich überrascht. Die Dinger sind winzig, aber schmecken gekocht wie unsere Miesmuscheln zu Hause, eher noch feiner.

Pünktlich um 14.00 Uhr starten wir mit Ausguck am Bug. Nervenkitzel – obwohl wir durch mehrmaliges Befahren die Lage und Ausdehnung der Felsen unter Wasser inzwischen recht gut kennen. Wieder müssen wir durch dichten Kelpwald und fürchten, dass wir uns ein Stück dieser langen Pflanzen in der Schraube einfangen. Immer wieder auskuppeln zwischendurch, so wie wir es damals in Patagonien gelernt haben. Das Wetter ist noch friedlich. Der Wind soll erst in der Nacht einsetzen. Am Eingang steht heute weniger Brandung als vor zwei Tagen. Alles geht gut.

Unterwegs sehen wir eine Orca-Flosse an steuerbord. Später entdecken wir in einiger Entfernung etwas, was wir zunächst für ein Kanu oder sehr kleines Beiboot halten. So weit draußen ? Wir wundern uns und ändern den Kurs dahin. Beim Näherkommen entpuppt sich der Gegenstand als entsorgter Kühlschrank, auf dem zwei Möwen sitzen. Uns ist aufgefallen, dass hier mehr Müll im Wasser schwimmt. Nicht viel, aber immerhin ein Zeichen dafür, dass in dieser Gegend mehr los ist. Zivilisations-Müll gibt es im wilden Nord-Alaska nicht.

Um 19.00 Uhr fahren wir über eine flache Stelle. In 30 Meter Tiefe beißen die Fische besonders gut. Thomas möchte angeln. Ich halte das zunächst für einen Scherz, weil wir doch beinahe jeden Tag Fisch essen und für heute Nudeln geplant sind. Außerdem möchte ich keine Zeit verdaddeln. Wir haben noch mindestens 3 Stunden vor uns, bis wir den Ankerplatz erreichen.
Der Käpt’n stoppt auf, ich gehe kurz nach unten in den Salon. Es dauert keine 2 Minuten, bis ich höre, dass etwas Schweres in die Plicht fällt. Es ist ein gelber Rockfisch von einer Größe, dass wir nur einen einzigen für die Mahlzeit brauchen. Er war gerade noch ohne Gaffelhaken an Bord zu bekommen. Dieser Rockfisch hat wohl schon am Meeresgrund darauf gewartet, dass unser Köder auf den Boden kommt. Okay, da kann ich nicht meckern. Wir haben überhaupt keine Zeit verschwendet. Noch sind wir in Alaska und haben eine Angel-Lizenz. Und leckeres Abendessen wird gerne angenommen.

Um 21.00 Uhr wird es schon dunkel. Das Radargerät hilft bei der Annäherung an die Küste. Um 22.00 Uhr erreichen wir die Kalinin Bay auf der Nordseite von Kruzof Island. Zwei Fischerboote liegen bereits in der von uns auserwählten Ankerbucht, aber da passt die Walkabout auch noch hin. Anker fällt auf 11 Meter Tiefe, 40 Meter Kette dazu. Morgen werden wir ein Stück tiefer ins Innere verholen, aber dafür braucht man Tageslicht. Wir sind 36 Seemeilen weiter. Es war eine gute Entscheidung, die Draußen-Passage heute bei ruhigem Wetter zu machen.