Rattenkalt war es während der Nacht. Zwei Schichten Kleidung plus Daunenjacke, Mütze und Handschuhe im Schlafsack. Wir haben tatsächlich bis um 8.00 Uhr geschlafen. Die Sonne steht bereits hoch, das Innere des Zeltes erwärmt sich wie ein Backofen. T-Shirt-Wetter. 🙂

Halloween läuft vorbei, während wir noch am Packen sind. Er hat schon wieder Probleme mit seinem Strom, das Handy wird nicht durchhalten bis zum nächsten Ort. Thomas hilft ihm, die Einstellungen seines Handys so zu verändern, dass der Akku länger reicht.


Der Anstieg zum Fire Creek Pass hält mehrere lange Schnee-Traversen für uns bereit. Halloween folgt in unseren Fußstapfen. Fantastischer Weg in offenem Gelände, es geht in Serpentinen weiter hinauf und um die Berggipfel herum. Viel Schnee oben auf der Ebene. Wir müssen ein bisschen suchen, um auf dem Trail zu bleiben. Pause unten am Fire Creek. Zum Überqueren des Flusses ziehen wir die Schuhe aus und waten hindurch.

Stundenlang wandern wir auf einem guten Weg über die Kennedy Ridge, auf der einen Seite hinunter, auf der anderen Seite wieder hoch. Meilenweit kann man den Verlauf sehen, die nächste Zeit wird es einfach bleiben. Saftige grüne Wiesen und Frühlingsblumen, darüber die verschneiten Gipfel. Da fehlen nur noch ein paar Kühe, um die Heidi-Idylle perfekt zu machen. Wir können uns gar nicht satt sehen an dieser tollen Landschaft.


Später gibt es ein bisschen Wildwuchs, ein paar tote Baumstämme, aber insgesamt herrliches Wandern. Wir werden überholt von einem netten holländischen Paar. Nach kurzer Unterhaltung springen sie munter weiter durch den Wald. Das könnten unsere Enkelkinder sein. Wir sind jetzt gerade in der dritten Etappe des Tages und haben nicht mehr ganz so viel Energie. Der Kennedy Creek ist ein breiter Fluss, der von zwei Gletschern bedient wird. Zur Zeit führt er Hochwasser und fließt schnell. Fjorden ist kein Thema bei diesem kräftigen Strom. Ein halber zersplitterter Baumstamm, zudem noch nass, liegt als „Brücke“ im Wasser. Thomas ist schnell auf die andere Seite balanciert, aber mir rutscht das Herz fast in die Hose. Ich traue mich nicht sofort, muss mich erst einmal sammeln und konzentrieren. Adrenalin steigt, ich merke, wie mir der Schweiß ausbricht. Klappt aber gut, ich komme ohne Probleme hinüber.

Nachmittags gibt es von Allem ein bisschen. Wucherndes Grün, ein paar dicke Bäume im Weg, eine matschige Abbruchkante. Danach geht es endlich wieder auf gutem Pfad in den Wald. Aber die Freude währt nicht lange. So viele kaputte Bäume liegen dort kreuz und quer übereinander, dass wir ständig den Trail verlieren. Zum Teil sind die Stämme schon in Auflösung begriffen. Die müssen schon viele Jahre hier liegen, und bei jedem Wintersturm kommen neue hinzu. Eine riesige Fläche von neuen und verrottenden Bäumen, da ist keine Spur mehr von Weg zu erkennen. Ohne unsere App auf dem Handy wären wir aufgeschmissen. Die sagt uns zumindest, wenn wir in der falschen Richtung suchen. Irgendwann wird’s wieder besser, wir lassen den zerstörten Wald hinter uns. Wir müssen über den White Chuck River und stehen vor einer zusammengebrochenen Brücke. Na, das passt ja. Wir benutzen die Brücke trotzdem. Sie hält.

Das Schmelzwasser hat auch diesen Fluss in einen reißenden Strom verwandelt. Die Gletscher schmelzen zusehends. Wir kommen an mehreren Wasserfällen vorbei, die in die Tiefe stürzen. Besonders bizarr sieht es aus, wenn riesige Baumstämme sich verkanten und hängen bleiben.
Zum Ende des Tages haben wir noch einmal mit einem knackigen Aufstieg zu kämpfen. Zwei Stunden bergauf, bis wir gegen 21.00 Uhr einen geraden Platz am Bach finden. Spät genug.

Schlaf abgebrochen und zügig los. Wir möchten heute endlich mal ordentlich Meilen schaffen. Wenn man sein Zelt auf grüner Wiese neben einem Bach aufstellt, dann ist es garantiert morgens floddernass. Selbst unsere Kleidung ist feucht. Früh um 8.00 Uhr ist der Schnee noch hart. Darunter fließt in Rinnen das Schmelzwasser. Wir müssen jederzeit damit rechnen, dass so eine Schneebrücke einbricht. Hoch und höher geht es, wir haben zwei Stunden Anstieg bis zum Red Pass in 3360 Meter Höhe. Gut, dass wir es so früh angehen. Die Sonne brennt schon. Wir finden ein Stativ. Ob das vielleicht Halloween gehört oder einem anderen Wanderer vor uns ? Wir nehmen es mit und werden es eine Weile tragen. Mehrere Traversen durch ausgedehnte Schneefelder folgen. An einem Ende streckt ein Murmeltier seine Nase in die Luft. Es hat sich unter dem Schnee eine Höhle gebaut. Neugierig kommt das Tierchen immer wieder heraus und beäugt uns neugierig.


Oben auf dem Red Pass lockt ein reizvoller Hügel, von dem die Aussicht noch besser sein muss. Diesen Abstecher gönnen wir uns. Wir schnallen die Rucksäcke ab und kraxeln hinauf. Wahnsinniger Rundum-Blick ! In einem tiefen Tal mit kleinen Baumgruppen leuchtet ein hellgrüner Berg-See. Ein tief mit Schnee bedeckter Berg ist am Horizont zu sehen. Sehr markant. Der ist viel größer als die Gipfel drumherum. Das muss Mount Rainier sein, mit 4392 Metern der höchste Gipfel der Kaskadenkette.

Wir wechseln zum anderen Hang und wandern ein Stück weit auf der Schattenseite. Der Schnee ist noch hart, man muss vorsichtige Schritte machen. Ab Mittag Südseite. Hier ist der Schnee weich, man kann prima darauf laufen. Die Sonne steht direkt über uns. Kein Schatten und kein Wasser. Wir müssen eine Stunde länger durchhalten bis zur Pause. Alles gut, der Weg ist einfach, die Landschaft wunderschön. Irgendwann geht es wieder bergauf. Das Gute an der Höhe ist, dass es kein Unkraut bis zum Hals gibt und keine entwurzelten Bäume. Alpine Vegetation, es wachsen nur noch niedrige Pflanzen. Schnelles Vorwärtskommen. Wasser gibt es jetzt wieder überall, es sprudelt an jeder Ecke aus dem Berg. Aufstieg an einem Südhang um 15.00 Uhr am Nachmittag lässt uns immer langsamer werden und den Schweiß rinnen. Die Hitze macht uns zu schaffen. Irgendwas ist ja immer. 😉

An einem Bach halten wir zum Kochen. Zwei putzige Streifenhörnchen ( Chipmunks ) möchten uns anscheinend Gesellschaft leisten. Sie laufen nicht weg, sondern sitzen nur einen halben Meter entfernt von uns auf den Felsen. Wie gerne würde ich denen ein paar Haferflocken geben und die niedlichen Hörnchen noch ein bisschen beobachten. Aber 1. darf man Wildtiere nicht füttern. Das lernen hier schon die ganz Kleinen bei den Pfadfindern. Und 2. wollen die Moskitos uns auffressen. Die Luft ist ganz dick von schwirrenden Insekten. Das geht gar nicht, sieht nicht nach einer guten Pause aus. Also Schuhe wieder an. Wir packen 3 Liter Wasser ein und wechseln den Platz. In der vierten Etappe des Tages geben wir richtig Gas. Zunächst müssen wir ein kleines bisschen aufsteigen. Der Weg führt direkt am Ufer des Lake Ann vorbei. Dort steht das Zelt der jungen Holländer. Wir haben uns vorgenommen, heute noch mindestens 2 Stunden zu laufen. Die Luft wird endlich etwas kühler. Zum Ende des Tages geht es nur noch abwärts auf feinem Waldweg bis zum Pass Creek. Wasser und Zeltplatz liegen dicht beieinander, das haben wir gern. Auch hier sind die Moskitos hyperaktiv, deswegen sind wir so schnell es geht im Zelt verschwunden. Können heute nicht meckern, keine besonderen Schikanen auf dem Trail. Der PCT war richtig toll. Wir haben uns angestrengt und tatsächlich das beste Ergebnis auf dieser Etappe geschafft. Morgen möchten wir nochmal einen strammen Tag machen, damit wir übermorgen rauskommen. Die Dusche naht.

Der neue Tag hält 1200 Höhenmeter Aufstieg für uns bereit. Viertel nach 6 wach und früh am Start. Die schroffen Gipfel weichen sanfteren Bergen. Sie tragen keine weißen Schneekappen mehr, sondern sind oben grün, also deutlich niedriger. Es beginnt mit Turnerei über entwurzelte Bäume. Mehrere dicke Stämme liegen hintereinander. Beim ersten müssen wir auf Knien drunter durch, der Rucksack natürlich auch. Über die nächsten beiden Baumstämme klettern wir drüber. Der letzte vom diesem Päckchen ist nur durch Balancieren und einen herzhaften Sprung zu meistern. Ein paar Hundert Meter weiter dasselbe Spiel, wieder mehrere kaputte Bäume ineinander verkeilt quer über dem Trail. Und nochmal. Und noch einmal. Danach muss man dann natürlich den richtigen Weg suchen und finden. Nicht mein Lieblingssport am Morgen, und es hält wahnsinnig auf.
Steile Granithänge haben eine Landschaft aus Bouldern geschaffen. Die herabgestürzten Felsen am Hang sind zum Teil so groß wie ein Haus. Links ein kleiner Teich, an dessen Ufer ebenfalls dicke Brocken aus Granit wie hingewürfelt liegen. An unserer rechten Seite leuchtet es türkis-blau durch die grünen Bäume. Das ist der Pearl Lake, ein ziemlich großer See, dem wir aber nicht näher kommen. Später sehen wir ihn noch mehrmals von oben.

Wir sind im Abstieg, und in dieser Gegend wird das Wasser knapp. Dafür gibt es Millionen von Stechtieren, die uns die Pause versauern. Zu den Moskitos sind noch weitere Insekten hinzu gekommen. Bremsen, die gemein beißen, Fliegen, Wespen. Die ungewöhnliche Hitze der vergangenen Woche hat sie wohl hervorgebracht. Ziemlich unentspannte Pause. Unsere App sagt : Das nächste Wasser gibt es erst in 10 Kilometer Entfernung. Blöd. :(Der Anstieg am frühen Nachmittag wird wieder knackig. Wir schleppen uns hoch und immer höher. Die Sonne brennt. Unterwegs schöpfen wir einen Liter zum Trinken aus einem Tümpel mit Schmelzwasser. Dieses Wasser muss gefiltert werden. Eine fette Kröte hüpft an die Seite, während wir heran stapfen. Die Brunftschreie der Bären begleiten uns. Wir sehen mehrere Frösche, die sich in den Pfützen aus Schmelzwasser wohl fühlen. Einmal trete ich beinahe auf eine Kröte, aber auch diese springt in letzter Sekunde davon.

Sauberes Trinkwasser finden wir tatsächlich erst nach 10 Kilometern. Es liegt nicht direkt am Weg, dafür müssen wir eine steile Böschung hinunter klettern. Während der Kochpause sind wir umzingelt von Moskitos. Die nervigen Stechviecher schlagen uns inzwischen ordentlich auf die Stimmung, weil man einfach nirgends in Ruhe sitzen kann.
Unsere letzte Etappe führt ein Drittel bergab. Sehr angenehm. Dann zwei Drittel bergauf. Kräftezehrend. Das muss doch jetzt nicht mehr sein ! Unzählige Mini-Mücken machen uns wahnsinnig. Sie krabbeln in Ohren und Nase, setzen sich auf die Augäpfel oder fliegen in den Mund – sogar während des Laufens. Es wird einfach nicht kühler. Schwitzen bis zuletzt. Gegen 21.00 Uhr steht unser Zelt beim Abzweiger zum Smith Brook Trail. 13,5 Stunden unterwegs und dieselbe Meilenzahl wie gestern. Hart gekämpft und gut vorgelegt für morgen. Genau zwei Wochen sind wir jetzt auf dem PCT. Die Kondition wird besser. Nach 15 Nächten im Zelt freuen wir uns auf einen Ruhetag im Hotel.
Wecker auf 5.00 Uhr gestellt, die Zivilisation lockt. Normalerweise ist das Zelt unsere Insekten-freie Zone, aber die Mossis schwirren schon im Zelt, sobald wir nur einen Spalt weit öffnen. Kaffeetrinken geht deswegen schnell. Heute ist der Himmel von einer dichten Wolkendecke überzogen. Es ist deutlich kühler als in den vergangenen Tagen. Wir rennen los. Ein junger Mann möchte überholen. Natürlich wechselt man ein paar Worte. Ein Japaner, der sich auf dem Trail „Sun“ nennt. Thomas fragt ihn, ob er eventuell ein Kamera-Stativ verloren hat. Bingo ! Ja, es gehört Sun. Wie schön ! Das freut nicht nur den jungen Japaner, sondern auch uns. Damit haben wir das Ding nicht umsonst aufgehoben und getragen. Wir laufen den ganzen Weg durch. Nur ein kleiner Stopp an einem Bach, um Hände und Gesicht zu waschen. Am Stevens Pass kommen wir an die Straße. Bereits um 9.30 Uhr stehen wir am Parkplatz neben dem Highway 2, welcher nach Skykomish führt. Wir müssen dort ein Paket bei der Post abholen, unser neues Zelt wartet hoffentlich. Es beginnt leicht zu regnen, der erste Regen seit 12 Tagen. Ein Mann kommt auf uns zu und stellt sich vor als Trail Angel „Right Time“. Dieser Trailname passt. Er ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort und bringt uns nach Skykomish. Knappe halbe Stunde Autofahrt, dafür geben wir ihm 20,- Dollar. Erfolg bei der Post : Paket ist da. Wir haben ein neues Leichtgewicht-Zelt der Firma Durston. Es ist immer noch Vormittag, daher gönnen wir uns ein gutes Frühstück in Louiskis Deli.Wir lassen uns ein großes Stück Karton geben und schreiben mit schwarzem Edding unseren Text auf die Pappe. „PCT Hiker to Monroe please.“ Das Malen und Schreiben hätte ich mir sparen können. Wir kommen mit einem Mann ins Gespräch. Keine 5 Minuten später haben wir eine Mitfahrgelegenheit nach Monroe mit Carli und Rob. Die Fahrt dauert eine knappe Stunde, bei diesem netten Paar und guter Unterhaltung kommt es uns jedoch viel kürzer vor. Besser könnte es nicht laufen. Doppeltes Glück heute. 🙂

Unser Hotel ist spitze, teuer, aber sein Geld wert. Als treuer Kunde von Booking.com bekommen wir ein upgrade zur Suite. Das Zimmer ist riesig, eher ein Apartment, blitzsauber und Frühstück inklusive. Der erste Weg führt zum Waschsalon. Die Damen dort sind supernett und erlauben uns sogar, das Zelt im großen Waschbecken zu reinigen und draußen auf der Wiese zum Trocknen aufzubauen. Danach geht’s zum Walmart, wo wir unseren Einkaufswagen ziemlich voll packen. Gegen 18.00 Uhr sind wir mit gereinigter Ausrüstung zurück in unserem feinen Zimmer und genießen einen ruhigen Abend mit Internet, Fernsehen, Salat, Bier und Eis im Bett.

Liebe Frauke, lieber Thomas,
mit euch möchte ich nicht tauschen! Ihr seid Helden!
Alles Gute weiterhin!
Herzliche Grüße von Ingrid
Schoener Bericht und tolle Bilder. Viel Spass und Freude weiterhin.
LG
die „meerbaeren