Wir segeln und wandern durch die Welt

Bishop bis Cottonwood Pass / Lone Pine

Ausschlafen gibt es nicht am off-day. Der Wecker klingelt sehr früh. Wir haben wichtige Dinge zu erledigen, deswegen sind wir schon wieder in der Zivilisation. Müssen unbedingt die Nachrichten aus der Heimat checken und telefonieren. Unterwegs keine Chance – kein Signal, kein Empfang, kein Internet. Die Zeitverschiebung von 10 Stunden macht es nicht gerade leichter, mit Behörden zu kommunizieren. Wenn wir aufstehen, dann haben die Büros in Deutschland schon Dienstschluss.

Bishop ist eine Kleinstadt mit 3800 Einwohnern. Es gibt viele Hotels und noch mehr Restaurants, drei große Lebensmittel-Geschäfte, eine öffentliche Bibliothek mit Computern. Uns gefällt der Ort, aber irgendwie sind die Menschen an der Kasse und im Café nicht besonders freundlich. Selbst die Dame in der Bücherei ist kurz angebunden. Genervt von Touristen ? Bishop ist ein Durchgangsort, hier treffen gleich mehrere Highways zusammen. 

Zünftiges Frühstück in Jack’s Diner. Kleine Handwäsche, weil unser Motel keine Waschmaschine für Gäste anbietet. Einkauf für die nächste Etappe von 6 Tagen. Meine Brille ist vor ein paar Tagen zerbrochen. Es gibt zwar keine große Auswahl hier im Supermarkt, aber ich finde tatsächlich eine Lesebrille in der richtigen Stärke. Bin ich froh. 🙂 Als Zugabe Ben & Jerry’s Eiscreme. Mein Becher hat 1240 Kalorien. Das darf man sich im realen Leben nicht erlauben. 😉  

Es ist schwül. Am Nachmittag ballen sich die Wolken zu unheimlichen Gebilden zusammen. Es donnert in der Ferne. Abends regnet es wie aus Kübeln, was immer schön anzusehen ist aus einem gemütlichen Zimmer.

Freitag gehen wir noch einmal in die Bücherei zum Drucken und Scannen. Ich schneide mir die Haare selber, weil die nach über 3 Monaten anfangen zu nerven. Mittags ist alles erledigt. Wir möchten ein Uber-Taxi bestellen, aber das klappt heute überhaupt nicht. Immer wieder startet Thomas den Buchungsvorgang, hängt eine Viertelstunde in der Warteschleife, bis es irgendwann heißt : „Kein Fahrer verfügbar, bitte versuchen Sie es erneut.“ So haben wir mehr als eine Stunde Zeit verdaddelt, brechen die Sache ab und laufen zur Hauptstraße. Keine halbe Stunde, dann hält ein Toyota Jeep. Nur 2 Sitze vorne, Thomas quetscht sich mit den Rucksäcken hinten hinein. Gegen 14.00 Uhr sind wir zurück am Trailhead. Ganz nebenbei 30,- € für das Uber-Taxi gespart, denn unser Fahrer wollte partout kein Spritgeld. 

Es liegen 20 Kilometer und 1000 Höhenmeter mit schwerem Rucksack vor uns. Vorgestern wussten wir noch nicht, ob wir auf demselben Weg wieder zurück zum PCT gehen oder eine der anderen Varianten nehmen. Aber der Bishop Pass Trail hat uns so gut gefallen, dass wir ihn gerne noch einmal machen. 

Der Aufstieg erscheint uns heute völlig mühelos. Wir sind total fit, haben ausgeschlafen, viel gegessen und getrunken. Ein Tag Ausruhen tut dem Körper gut. Mein Fuß macht keine Probleme mehr. Schon nach drei Stunden haben wir den höchsten Punkt erreicht. Mittlerweile sind graue Wolken aufgezogen, es ist windig und kalt. Wir beeilen uns mit dem Abstieg. Die ersten Tropfen fallen, als wir ungefähr die Hälfte geschafft haben. Das Gelände ist inzwischen etwas flacher geworden. Wir finden einen Zeltplatz, bevor es heftig anfängt zu pläddern. Glück gehabt ! 🙂 

Der Wind wird immer stärker. Während der Nacht wird das Zelt in den Böen ordentlich geschüttelt.

5.30 Uhr Wecker. Draußen ist es trocken. Schon kurz nach dem frühen Start können wir einen jungen Hirsch bei seinem Frühstück beobachten. Große Ohren, große Augen, hübsche Zeichnung im Gesicht. Wasser fließt über schräge Steinplatten Hunderte von Metern in die Tiefe. Frau Schneehuhn führt ihren Nachwuchs spazieren. Für die vier Jungvögel wird es der erste Winter sein. Sie tragen noch ihr braunes Federkleid, aber darunter sind schon die Ansätze weißer Federn zu erkennen. Ein Stück weiter läuft ein Rudel Rehe neben dem Weg. Ebenfalls große Ohren, große Augen, hübsches Gesicht. 

Nach zwei Stunden haben wir das Ende vom Bishop Pass Trail erreicht und biegen nach links ab. Ende der Extra-Meilen. Nun sind wir wieder auf dem PCT und laufen nach Süden. Die Richtung stimmt. 

Jeden Tag wird es mehr Herbst. Die Blätter der Birken leuchten in gelb, orange und rot. Eichhörnchen schimpfen und jagen sich gegenseitig die Bäume hoch und runter. Wahrscheinlich haben die jetzt schon Futter-Stress wegen dem bevorstehenden Winter. Thomas stoppt abrupt, weil eine Schlange vor ihm auf dem Weg liegt. Die lässt sich nicht lange bitten, sondern verschwindet blitzschnell seitlich im Gebüsch. Und noch mehr Rehe, diesmal eine andere Sorte. Richtig was los hier. 🙂 

Immer noch befinden wir uns im Kings Canyon Nationalpark, und der ist einfach toll. Der Kings River verläuft parallel zu unserem Trail. Auch dieser Fluss führt sehr viel Wasser, welches in Kaskaden über diverse Felsstufen bergab fließt.

Wir biegen ab zum Palisade Creek, dem wir bis zu den gleichnamigen Seen folgen. 

Ab hier liegen 1300 Höhenmeter Aufstieg vor uns bis zum Mather Pass. Der Fluss kommt uns entgegen und drückt mit viel Kraft durch die Engstellen der Schlucht. Je höher wir steigen, umso steiler werden die Felswände. Der Palisade Creek schießt jetzt in kleinen Wasserfällen herunter. 

Der Himmel verdunkelt sich zunehmend. Es ist grau und kühl. Gegen 14.00 Uhr machen wir eine schnelle Pause. Nur eine Viertelstunde Sitzen, dann fängt es an zu regnen. Okay, dann eben weiter. Zwei Stunden lang werden wir nass. Danach zeigt sich tatsächlich noch ein bisschen blauer Himmel. Auf Höhe der Palisade Lakes kommt sogar etwas die Sonne durch, aber sie wärmt nicht mehr. Das Wasser in den Seen ist unglaublich klar. Wir müssen uns entscheiden, ob wir es noch über den Pass wagen oder beim letzten Wasser darunter Schluss machen. Immer noch 400 Meter Aufstieg auf 4 Kilometern vor uns. Das könnte sehr knapp werden mit Tageslicht, und wenn das Wetter wieder umschlägt, dann wird es richtig fies da oben. Der Tag war anstrengend. Die Vernunft siegt. Wir machen früh Feierabend und bleiben an einem geschützten Platz. Nebel steigt vom See und aus den Tälern auf, wird immer dichter und kommt näher. Könnte feucht werden in unserem dünnwandigen Zelt.

Ausgeruht nach 12 Stunden Nachtruhe geht es frisch ans Werk. Dieser Aufstieg hat es in sich. Thomas bemerkt unterwegs, dass er beide Tipps von seinen Stöckern verloren hat. Nächste Möglichkeit zur Reparatur ist Kennedy Meadows in 9-10 Tagen. Unser Eindruck vom Weg : Steine und Nebel. Wir machen sogar einen Treffpunkt aus für den Fall, dass wir uns verlieren in diesem Grau. Eine Stunde und 20 Minuten brauchen wir bis auf den Mather Pass mit 3678 Metern Höhe. So früh am Morgen und mit dichtem Nebel lädt der nicht zum Bleiben ein. Der Mather Pass soll einer der am meisten gefürchteten Pässe sein wegen der steilen Wand im Abstieg an der Südseite. Aber wir denken uns : Quatsch. Wenn die Reiter mit ihren Packpferden über diesen Pass gehen, dann kann das nur halb so schlimm sein. Alles Kopfsache. Tatsächlich ist der Weg nach unten in unseren Augen einfach. Es gibt eine gut ausgeprägte Spur, breit genug für mindestens zwei Füße. Ein steiler Hang, aber unzählige Serpentinen führen in die Tiefe, ohne dass die Knie zu sehr in Mitleidenschaft gezogen werden. 

Das war der erste von zwei Pässen heute. In 18 Kilometern wartet der Pinchot Pass auf uns. Den werden wir am Nachmittag bezwingen, wenn das Wetter einigermaßen friedlich bleibt. Das Grau hat sich verzogen, blauer Himmel zeigt sich. Frühstückspause nach 2,5 Stunden mit Sonnenschein. Wir wechseln in leichte Kleidung und schmieren uns mit Sonnenmilch ein. Wäre nicht nötig gewesen, denn gleich nach der Pause bedeckt es sich schon wieder. Fantastische Wolkenbilder sind am Himmel zu beobachten, da ist unheimlich Dynamik drin. 

Der Weg steigt sanft an. Dieser Aufstieg hat einen ganz anderen Charakter als der vorige. Der Mather Pass war wild und geröllig. Hier gibt es Wiesen und Kräuter und niedrige Bäumchen. Auf halbem Weg fallen die ersten dicken Tropfen. Etwas später geht der Regen in Hagel über. Dann blitzt es über den Bergen. Das Gewitter kommt näher, aber das Donnergrollen bleibt seitlich an den Bergen hängen. Nach einer Stunde ist das Unwetter vorbei gezogen. Hagel ( oder Neuschnee ) hat sich vor uns auf den Gipfeln und in den Ecken gesammelt. Das weiße Zeug bleibt tatsächlich liegen, so kalt ist es. 

Weiter oben laufen wir an mehreren Seen vorbei. In der Höhe führt unsere Spur über Felsplatten oder von Menschenhand eingebaute Steinstufen. Sehr schön zu gehen, auch als es zum Schluss steiler wird. Kaum Geröll, eher grober Sand. Lake Marjorie ist der größte Bergsee, den wir passieren. Ein Hingucker aufgrund seiner tiefblauen Farbe inmitten brauner und grauer Felswände. Um Viertel nach 3 haben wir es geschafft und stehen auf dem Pinchot Pass mit 3690 Metern Höhe.

Ziemlich grau und nicht gerade warm hier oben. Aber wir sind über 4 Stunden durchgelaufen und müssen den Rucksack unbedingt ein paar Minuten absetzen. Das wird nichts mit schöner Pause, denn es fängt an zu regnen. Zusammenpacken und gleich wieder hinunter in den Abstieg. 

Ein heftiger Regenguss, der einfach nicht mehr aufhören will. Zwischendurch prasseln dicke Hagelkörner auf uns nieder. Es ist eiskalt. Wir beeilen uns. So schnell wir können schrauben wir uns die Serpentinen hinunter. Jede 100 Höhenmeter tiefer bedeutet, dass die Temperatur steigt. Zweimal kreuzt der breite White Fork River unseren Weg. Wir hüpfen auf Steinen ans andere Ufer und rennen fast weiter. Die Jacken sind durch, Handschuhe nass, Hose nass. Wir frieren. Sind jetzt schon viele Stunden nonstop unterwegs, die Schultern schmerzen. Anhalten geht nicht. Da hilft nur Bewegung. Wir suchen nach einem Platz für’s Zelt. Landunter überall. Der Trail steht unter Wasser. Alle Bäche führen Hochwasser. Brrrr – jetzt auch noch nasse Füße. 🙁 Die Wiesen sind ein einziger Sumpf. Selbst unter den Bäumen, die irgendwann vereinzelt auftauchen, haben sich Pfützen gebildet. Das Gelände besteht aus Felsen mit ein paar Krümeln Walderde, da läuft der Regen so schnell nicht ab. 

Gegen 18.00 Uhr ist es endlich soweit. Wir stellen das Zelt auf einer nassen und nicht ganz ebenen Fläche zwischen Bäumen auf. Normalerweise würde dieser Platz durchfallen, wir würden weiter suchen. Aber es wird höchste Zeit, dass wir aus den nassen Klamotten herauskommen. Zelt aufbauen, Iso-Matten aufblasen, trockene Sachen anziehen und ab in den Schlafsack. Zum Aufwärmen gibt es eine Tasse heißen Kakao und danach die warme Abendmahlzeit.  

Ausspruch des Tages von Thomas : „Auch schlechtes Wetter kann schön sein.“

Morgens früh hat es sich ausgeregnet. Das Zelt, die Schuhe und sämtliche Klamotten sind patschnass. Wir laufen in Schlafsachen los, weil wir kein anderes trockenes Kleidungsstück mehr haben. Hoffentlich gibt’s ein bisschen Sonne, um unsere Sachen zu trocknen.

Zunächst steigen wir weiter bergab bis zum Woods Creek. Ein Wasserfall zur Begrüßung. Wir folgen dem Verlauf des Flusses in einer engen Schlucht. Es ist noch feucht und kühl. Schon um 7.30 Uhr leuchten die Berggipfel. Dort oben scheint schon die Sonne. Bei uns wird das noch eine Weile dauern. 

Gegen 9.00 Uhr ist es soweit. Sauberer Pausenplatz auf Felsen, freies Feld mit Sonne, es wird wärmer. Vorgezogene Pause, in der wir unsere Sachen zum Trocknen ausbreiten. Ab hier beginnt unsere Tagesaufgabe 1200 Höhenmeter Aufstieg. Es liegen noch 2-3 weitere Pässe vor uns, bis wir aus den ganz hohen Bergen heraus sind.

Gegen Mittag ist die Herrlichkeit schon wieder vorbei. Immer mehr Wolken am Himmel, das sieht genauso bedrohlich aus wie gestern. 

Eine beeindruckende Hängebrücke führt über den Woods Creek. Sehr stabil gebaut, aber über die gesamte Länge fängt die ordentlich an zu wackeln. Noch ein Wasserfall rauscht links vom Weg aus den Bergen. Wir beobachten zwei Rehe, wie sie behende am steilen Hang entlang springen. Faszinierend, wie schnell und sicher die sich in diesem Gelände bewegen. Das kann leider auch mal schiefgehen, wir wir ja letzte Woche gesehen haben. 

Auf einem schmalen Felsband balancieren wir am Ufer des Dollar Lake entlang. Sehr schöner See mit glasklarem Wasser. Und das ist nur der erste in einer ganzen Reihe von Bergseen. 

Eichhörnchen und Streifenhörnchen sind emsig dabei, Futter zu sammeln und zu bunkern. Ein Streifenhörnchen sieht aus ( laut Thomas ), als hätte es ein Abo bei McDonald’s. Es hat so ein kugelrundes Bäuchlein, das kommt bestimmt gut durch den Winter. 

Die letzten zwei Stunden des Aufstiegs sind an Schroffheit nicht zu überbieten. Nur Felsen und Geröll, kein Baum, kein Kraut. Es regnet. Aus Regen wird Hagel und bleibt Hagel. Dazu kommen dichter Nebel und ein kalter Wind. Sehr unangenehm. Immer weiter klettern wir, die Temperatur ist eisig. Um Viertel nach drei erreichen wir den Glen Pass auf 3642 Metern Höhe – dieselbe Zeit wie gestern. Eigentlich sollte man von hier oben einen spektakulären Blick auf die vielen Bergseen haben. Wir stecken im dichten Nebel und sehen gar nichts. Uns ist nicht nach Aufenthalt, denn Wind und Hagel peitschen auf uns ein. Schnell auf die andere Seite, da ist es etwas geschützter. Tatsächlich wird die Wetterlage besser. Von den anderen Gipfeln zieht noch eine dicke Nebelbank zu uns herüber. So dicht, dass man den Vordermann nicht mehr sehen kann. Danach ist es vorbei. Geschafft. Es tröpfelt nur noch ein bisschen und hört dann ganz auf. Der Weg nach unten ist einfach, so dass wir richtig schnell vorwärts kommen. Viel besser als gestern. Schon bald lassen wir die Geröll-Zone hinter uns. Erste Bäume werden sichtbar, das bedeutet Waldboden unter den Füßen. 

An einem Wegweiser hängt ein Zettel vom amtierenden Ranger. Demnach sollen Wanderer in dieser Gegend die Bären gefüttert haben. Die Tiere lernen schnell. Jetzt müssen die Hiker aufpassen, weil die Bären etwas zu Fressen im Camp vermuten. Unfassbar, wie dumm die Menschen sein können !  🙁

Gegen 17.00 Uhr wird es hell, man sieht einzelne blaue Flecken am Himmel. Eine Stunde mit Sonne-Wolken-Mix. Bis zu unserem Nachtlager sind Jacken und Hosen wieder trocken.  

Neue Mode Weckerklingeln um 5.30 Uhr. Und dann gibt es keinen zweiten Kaffee, sondern einen frühen Start. Wir müssen unsere Distanz über die geleisteten Laufstunden machen, weil wir nicht die schnellsten Hiker sind. Uns fehlt abends das Tageslicht. 

Bis zur Frühstückspause steigen wir drei Stunden stetig bergauf. Schöner Pfad, bisher alles sehr gut zu laufen. Vorher war an Pause gar nicht zu denken, weil viel zu kalt. Der Boden ist hart gefroren. Ein kleiner See ist mit einer Eis-Schicht bedeckt. Neben uns verläuft der lebhafte Bubbs Creek. Mehrmals müssen wir auf Trittsteinen hinüber. Ein kleiner Wasserfall stürzt sich die Felsen hinunter. Kaskaden fließen schäumend die verschiedenen Stufen hinunter. Und noch ein Wasserfall. Überall plätschert es. Wir müssen kein Wasser tragen. Der PCT in den Sierras ist so grandios, dass man es mit Worten kaum beschreiben kann. 

Gegen 10.00 Uhr hebt sich die Wolkendecke, blauer Himmel zeigt sich. Es wird schön. Pause und die letzten nassen Sachen zum Trocknen ausbreiten.

Das Wasser ist viel zu kalt zum Trinken. Eine Tasse Kaffee und zwei Tassen Tee für jeden. Jetzt ist der Flüssigkeits-Haushalt wieder in Ordnung. Frisch gestärkt machen wir uns an die letzten vier Kilometer und erwarten steilen Anstieg durch Geröll. Aber nein – es bleibt durchweg angenehm. Der Weg verläuft kontinuierlich in Serpentinen nach oben. Wir arbeiten einfach eine Spitzkehre nach der anderen ab, und eigentlich ohne große Mühe. Vielleicht sind wir gerade gut im Training. Immerhin haben wir auf dieser Etappe bisher 5 Pässe in 5 Tagen bezwungen.

Streifenhörnchen, Picas und Murmeltiere sind in großer Zahl unterwegs. Die Tierchen sind gar nicht so scheu wie sonst. Es scheint fast, als würden sie uns nicht bemerken. Alle sind emsig damit beschäftigt, sich Winterspeck anzufressen. Bei uns ist eher das Gegenteil der Fall – die Hosen schlackern. 😉 

Um 12.00 Uhr stehen wir auf dem Forester Pass mit über 4000 Metern Höhe. Dieses ist der höchste Punkt auf dem gesamten PCT. Ein Schild markiert die Grenze zwischen dem Kings Canyon Nationalpark im Norden und dem Sequoia Nationalpark im Süden.

Wir sind ungefähr gleichauf mit den hohen Gipfeln, die uns umgeben. Und zur Belohnung gibt es diesmal strahlend blauen Himmel und Sonnenschein. Fantastisch ! 🙂  

Auch der Abstieg vom Forester Pass ist vom Feinsten. Serpentinen machen zwar einen längeren Weg, aber dafür ist es viel weniger steil. Wir drücken uns auf schmalem Pfad an den hohen Granitwänden entlang. Über uns der Berg, rechts von uns geht es ab in die Tiefe. Wir wagen gar nicht, uns vorzustellen, wie man das mit Pferden macht. Aber es geht tatsächlich, die zahlreichen Pferdeäppel sind der Beweis dafür. Unfassbar, was die Trail-Bauer damals geleistet haben ! Wir überblicken ein riesiges Tal mit kleinen Seen und Bächen. Der Weg nach unten geht zügig voran, weil wir richtig ausschreiten können. Kein Geröll, über das man stolpert, sondern überwiegend Sand und grober Kies. Genau wie wir es lieben. Der höchste und angeblich so gefährliche Forester Pass wird unser Favorit ! 

Nach dem Abstieg haben wir das Vergnügen, lange Zeit auf einer Ebene zu bleiben. Das Bighorn Plateau ist ein Gebiet mit fragilen hochalpinen Pflänzchen. Camping verboten. Aber es ist sowieso viel zu früh, wie möchten noch ordentlich was schaffen. Die Spur führt drei Stunden lang geradeaus nach Süden. Es kommt uns vor wie der Highway nach Mexiko. 🙂

Auf einem Felsen direkt am Trail liegt ein Beutel mit Zeltstangen und Heringen drin. Das hat wohl jemand verloren. Wie ärgerlich ! Dafür würde es sich lohnen, noch einmal zurückzulaufen, wenn man es abends bemerkt. 

Der Wallace Creek ist breit und bei Hochwasser bestimmt eine Herausforderung. Auf großen und kleinen Steinen kommen wir trockenen Fußes auf die andere Seite. 

Zum Ende des Tages geht es noch einmal aufwärts. Die Beine werden immer schwerer. Die Höhenmeter von diesem Aufstieg sind in der Zählung von heute Morgen nicht mit drin. Damit hatten wir nicht gerechnet, denn wir sind viel weiter gekommen als erwartet. 

Kalte Nacht. Es ist noch dunkel draußen, während ich einpacke. Sterne stehen immer noch am Himmel. Das Zelt ist mit einer dünnen Eisschicht bedeckt. Ein klarer und frischer Morgen beginnt. Wir laufen mit Daunenjacke, Mütze und Handschuhen los. Pfützen auf dem Weg sind gefroren. Beim Laufen wird uns schnell warm, denn wir sind schon wieder im Aufstieg. Herrlicher Waldweg durch eine Landschaft wie zu Beginn der Sierras, mit dicken Bouldern und Kalifornischen Kiefern. Wir kommen am Abzweiger zum Mount Whitney vorbei. Diesen Gipfel mit 4421 Metern Höhe werden wir nächstes Jahr besteigen, denn er ist das Endziel vom John Muir Trail.

Für die Rehe scheint es gerade Frühstückszeit zu sein. Der Guyot Creek kreuzt unseren Weg. Dort füllen wir alle unsere Flaschen mit Wasser und balancieren auf die andere Seite. Zur Pause um 10.00 Uhr haben wir bereits 12 Kilometer geschafft. Das Zelt wird zum Auftauen und Trocknen aufgestellt. Vor uns thront ein namenloser Bergriese. Der gehört zum Glück nicht zum PCT. Nach dem Frühstück geht es steil bergab in einer Rinne mit Geröll. Da muss man gut aufpassen, wo man seine Füße hinsetzt. Wir sind froh, als wieder Waldboden in Sicht kommt. Immer tiefer hinunter steigen wir bis zu einem Fluss. Das ist der Rock Creek, den wir auf Steinen überqueren. Anschließend windet sich der Weg den nächsten Hügel hinauf. Meine Beine wollen eigentlich gar nicht mehr aufsteigen, aber muss ja …. Heute herrscht wieder Bilderbuch-Wetter. Der Himmel ist blau ohne ein einziges Wölkchen. Die Sonne scheint, trotzdem ist es etwas frisch in der Höhe. Wir sind anscheinend alleine auf dem Trail. Die John Muir Leute sind abgebogen. Tolle Landschaft ! 🙂 Eine Weile führt ein sandiger Pfad geradeaus mitten hindurch. Ein Schild markiert die Grenze zum Inyo National Forest. Hochebene mit weißen Felsen und interessanten Bäumen ringsum. So manches Mal bleiben wir stehen und staunen darüber, wie ruhig es hier ist.  

Um Viertel nach 5 erreichen wir den Cottonwood Pass in 3694 Metern Höhe. Hier verlassen wir den PCT, weil wir über einen anderen Trail Straßen-Anbindung nach Lone Pine haben. Es windet ganz ordentlich. Ich wechsle sofort in eine weitere Schicht Kleidung, Mütze und Handschuhe. Richtig gemacht, denn der Abstieg auf der anderen Seite liegt voll im Schatten. Wir laufen noch eine gute Stunde abwärts, bis ein kleiner Bach quert. Da ist unser Wasser zum Kochen und für den Kaffee morgen früh. Zeltplatz ist auch schnell gefunden. Wir sind nur noch 2,5 Kilometer von der Straße entfernt. Ein weiterer fantastischer Tag geht zu Ende. Insgesamt 1200 Höhenmeter Aufstieg heute, aber nicht alles auf einmal, sondern angenehm verteilt. 12 Stunden unterwegs, 35 Kilometer geschafft. Den ganzen Tag über haben wir keine anderen Menschen gesehen. Wir sind müde. 

Vor dem Einschlafen hören wir Kojoten rufen. Das scheint ein größeres Rudel zu sein.

Morgens früh werden wir noch vor dem Weckerklingeln vom Gejaule der Kojoten geweckt. Ein kleiner Vorgeschmack auf die Mojave-Wüste, die demnächst vor uns liegt. 

Vor uns liegt nur eine Dreiviertel Stunde schneller Marsch bis zum Parkplatz. Wir laufen noch ein paar Meter weiter bis zum Abzweiger und stehen dann irgendwo im Nirgendwo. Hier ist nichts. Aber es gibt einen Zugang zu den Sierras über eine schmale Straße. Der nächste Ort ist Lone Pine. Dort möchten wir duschen, waschen und einkaufen.  

Es ist Viertel vor 8 am Morgen. Ein paar verlassene Autos stehen am Trailhead, aber keine Menschen in Sicht. Noch haben wir Handschuhe an, obwohl es „hier unten“ nicht mehr ganz so frostig ist. Lone Pine liegt auf 1136 Metern Höhe.  

Erst einmal passiert gar nichts. Wer fährt auch schon morgens früh vom Trailhead weg ? Die meisten Leute beenden ihre Wanderung am späten Nachmittag. Plötzlich hören wir Motorengeräusch. Ein Wagen kommt vom Neben-Parkplatz um die Kurve und hält an. Das erste Auto …. Bingo. 🙂  Netter Fahrer. Er lebt in Washington D.C. und möchte unbedingt etwas über die politische Situation loswerden. Eher ungewöhnlich, denn meistens ist das kein Thema. In der Hauptstadt patrouillieren schwer bewaffnete Militärs, die Uniformierten laufen mit Masken herum. Normale Bürger fühlen sich unwohl, darunter auch unser Fahrer, der zwei kleine Kinder hat. Sehr interessante Unterhaltung während der Fahrt nach Lone Pine und Ausblicke auf die Umgebung, die uns den Atem stocken lässt. Das ist der Wahnsinn und alles Natur !  🙂 

Lone Pine ist ein kleiner Ort mit ca. 2000 Einwohnern, unterhalb der Ostflanke der Sierra Nevada gelegen. Sehr touristisch und teuer. Der 4421 Meter hohe Mount Whitney, der höchste Berg der USA außerhalb Alaskas, ist nicht weit entfernt. 

Bereits um 9.00 Uhr sitzen wir im Diner und haben Frühstück bestellt. Wieder so eine Kuriosität aus den USA : Auf der Terrasse des Lokals steht ein alter zahnloser Mann und spielt Gitarre. Im Internet suchen wir uns eine Unterkunft. Das Motel liegt gleich um die Ecke, klein, aber fein. Es wird von Indern geführt, und das ist eigentlich immer ein Garant für Sauberkeit. Die sind etwas zurückhaltend, aber freundlich. Sie hegen und pflegen ältere Gebäude, in diesem Fall wird sogar der Vorgarten hübsch gemacht. Der Preis ist auch okay. Und das Beste : Wir dürfen schon um 10.00 Uhr ins Zimmer. Klasse ! Da hat man richtig was vom Aufenthalt. Bereits um 13.00 Uhr sind wir fertig mit Auspacken, Duschen, Waschsalon und der ersten Runde durch den keinen Lebensmittel-Laden. Kleines Dorf, kurze Wege. Passt. 🙂

Das waren 6 Pässe in 6 Tagen und 7500 Meter Aufstieg. Insgesamt 7,5 Kilometer bergauf. Wetter wird unbeständig, nur 2 Tage ohne Regen.

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