Wir segeln und wandern durch die Welt

Goat Rocks Wilderness bis Trout Lake

Wir genießen eine letzte ausgiebige Dusche im Motel. Danach gibt es fettes Frühstück mit Eiern und Speck im Diner nebenan. Trampen klappt gut, wir müssen gar nicht lange an der Straße stehen. Eine Dreiviertel Stunde später steigen wir beim Kracker Barrel aus. Greifen noch einmal in die Hiker-Box, nehmen uns eine angefangene Gas-Kartusche und ein paar Haferflocken aus der Kiste. Die alten Treter von Sonja stehen daneben. Sie hat ihre zu kleinen Schuhe tatsächlich gegen größere getauscht. Klasse ! Daumen hoch. Einige Hiker sitzen an den Picknick-Tischen. Jeder alleine für sich, nicht so eine tolle Truppe wie an unserem geselligen Abend. Wir kennen Niemanden. Die sortieren stumm ihre Vorräte oder schauen ins Handy.
In den USA kann man alle möglichen Dinge an der Tankstelle kaufen. Thomas findet endlich eine passende Sonnenbrille. Für mich gibt’s eine Flasche Kakao und ein Eis, gleich danach noch einen Kakao und ein weiteres Eis.
Wir erfahren, dass der Hiker-Virus ( Durchfall und Erbrechen ) im Umlauf ist. Mehrere Personen, die von Norden nach Süden unterwegs sind, haben sich infiziert. Zwei Deutsche „wohnen“ schon seit 4 Tagen hinter der Tankstelle, sind aber anscheinend nur im Zelt oder auf der Toilette gewesen, deswegen haben wir sie nicht gesehen.
Eine weitere spannende Nachricht : Seit heute früh um 7.00 Uhr wird eine junge Frau vermisst. Seit mehreren Stunden sind die Rettungskräfte unterwegs, um sie zu suchen. Das Einsatzgebiet liegt südlich von uns an einem See. Da kommen wir nachher vorbei, wir werden die Suchtrupps wahrscheinlich treffen.
Zum Schluss klappt sogar noch ein Telefongespräch mit lieben Freunden. Wir freuen uns sehr. So viel Zeit muss sein. 

Gegen 14.00 Uhr starten wir in die Goat Rocks Wilderness. Eine Stunde später begegnen wir einem halben Dutzend Einsatzkräften am Ginnette Lake. Einer der Männer begrüßt uns mit : „Herzlich willkommen bei den Moskitos !“ Entwarnung. Die Frau wurde soeben unversehrt aufgefunden. Sie war morgens zur Toilette gegangen, hat das Zelt nicht wieder gefunden und sich verlaufen. Alles ist gut, nichts passiert.

Es geht volle 3 Stunden bergauf. War klar. Nach jedem Stopp in der Zivilisation und jedem Einkauf muss man mit schwerem Rucksack wieder zurück in die Höhe. Das kennen wir schon, ist auf jedem Trail so und immer gleich anstrengend.
Das Wasser wird knapp. Links unten im Tal liegt der Shoe Lake. Beide haben wir keine Lust auf so einen Umweg mit extra Abstieg und Aufstieg. Wir laufen einfach ohne Pause weiter. Irgendwann tröpfelt es endlich wieder aus dem Berg. Wir nehmen 3 Liter mit. Aber es ist Sommer, auch im Norden der USA. Vielleicht sollten wir demnächst etwas genauer hinschauen und auch öfter mal ein bisschen Wasser tragen.

Ein Kolibri sitzt im Baum neben unserem Pfad. Er ist kaum zu erkennen zwischen den grünen Zweigen. Man hört nur das laute Sirren der Flügel, dann hebt der Winzling ab und fliegt davon.
Wir wandern durch ein kleines Gebiet, in dem es vor einiger Zeit gebrannt hat. Keiner hat hier aufgeräumt, es herrscht noch ein ziemliches Durcheinander. Zum Glück haben die quer liegenden Bäume normale Größe, da kommen wir relativ einfach drüber oder drum herum.
Wir laufen jetzt auf den zweithöchsten Gipfel Washingtons zu. Mount Adams ist 3742 Meter hoch und trägt noch eine weiße Schneekappe.
Um 20.00 Uhr ist nach 18,5 Kilometern Feierabend am Tieton Pass.

Kuschelige Nacht in unseren neuen Schlafsäcken. Sehr gute Entscheidung, noch einmal zu wechseln. Auf so einer langen Wanderung macht es Sinn, keine Kompromisse beim Schlafkomfort einzugehen.
Zum Tagesbeginn liegt ein kräftiger Aufstieg vor uns. Knapp 2 Stunden bis zur Frühstückspause, und gleich danach geht es weiter. Höher und immer höher,  bis wir uns wieder zwischen den mit Schnee bedeckten Gipfeln befinden.
Blauer Himmel, Sonnenschein, laut Wettervorhersage 15 Stunden lang. Ein bisschen Wind oben und wenig Moskitos. Alpine Vegetation mit Wiesenblumen. So ein hübscher Anblick ! 🙂 Ein dickes Murmeltier hockt direkt neben dem Pfad. Schön bunt, das Fell ist gescheckt mit allen möglichen Farben von weiß über braun bis schwarz.

An einer Abzweigung müssen wir uns entscheiden, ob wir die normale Route auf dem alten PCT gehen ( dort soll noch Schnee liegen ) oder eine Alternative wählen. Schauen wir uns gleich mal an …. Drei Schneefelder sehen wir gleich zu Beginn. Waagerechte Traversen. Da sind schon Spuren drin. Sieht einfach aus. Wir wählen also die Originalroute und werden es nicht bereuen.

Ein alter Mann kommt uns entgegen. Er läuft langsam und etwas gebeugt. Der muss schon um die 80 sein, hat aber die Ausstrahlung und Ausrüstung eines erfahrenen Hikers. Genau die richtige Kleidung, Rucksack von Osprey ( das frühere Modell ), Ein-Mann-Zelt von ZPacks, Mikrospikes. Zur Begrüßung sagt er : „Wie schön, dass ihr trotzdem in unser Land kommt.“ Solche Töne hören wir öfter in Zeiten, wo die Europäer aufgrund der politischen Lage eher auf eine Reise in die USA verzichten. Die Leute bedanken sich dafür, dass wir hier sind. Wir fühlen uns sehr willkommen. Unsere Unterhaltung dauert eine ganze Weile. Der alte Herr erzählt, dass er bereits mehrmals den PCT gelaufen ist. Washington war immer sein liebster Abschnitt, und deswegen möchte er den Bundesstaat Washington ( den wir so anstrengend finden ) noch ein letztes Mal durchwandern. So wie der aussieht kann er noch mit 90 einen Long-Trail laufen, nur nicht im selben Tempo wie die Jungen. Sein Trailname ist „Turtle“. Er ist die Schnee-Route gelaufen. Wahnsinn ! Wir sind schwer beeindruckt. Ein letzter Spruch von Turtle, bevor sich unsere Wege trennen : „Seid vorsichtig. Denn wenn man nicht aufpasst, dann ist der Weg nach unten ganz schön lang.“

Die Schneehänge sind gut zu meistern, obwohl wir unsere Spikes weggeschickt haben. Natürlich muss man sehr konzentriert sein, vorsichtige Tritte machen und die Stöcker zum Stabilisieren richtig einsetzen. Aber kein Problem. Thomas meint, die dritte Traverse sei am gefährlichsten gewesen. Ich habe das gar nicht bemerkt, weil ich einfach nur laufe und nicht nach unten schaue. Bei solchen exponierten Stellen bin ich total fokussiert auf meine Füße und die 2-3 Meter davor.
Auf der anderen Seite des Berges liegt eine längere Strecke im Schnee vor uns.
Über mehrere Hundert Meter heißt es, ganz bewusst feste Schritte machen, um nicht abzurutschen. Die bereits abgetauten Flächen sind auch nicht ohne Tücken, da laufen wir über rutschiges Geröll und lose Erde. Schon etwas schwieriger, man muss sich Zeit dafür nehmen.

Gleich danach leuchtet wieder grüne Wiese mit Blümchen um uns herum. Die Blumen duften betörend. Wir lieben diesen Kontrast. Unfassbar schön. 🙂

Zur einen Seite fließt ein kleiner Wasserfall ins Tal. Daneben liegt ein Bergsee, in dem noch Eisschollen schwimmen. Im Hintergrund thront immer noch Mount Rainier. Auf der anderen Seite schroffe Granitfelsen mit Schnee, und im Vordergrund liebliche Blumenwiesen mit Nadelbäumen. Wir können uns gar nicht satt sehen an dieser Landschaft.

Am Snowgrass Creek bekommen wir frisches Quellwasser und einen Platz im Schatten für die Pause. Beim nächsten Aufstieg entdecken wir in einiger Entfernung ein paar Bergziegen. Das sieht zunächst aus wie eine Familie, denn zwei Jungtiere sind dazwischen. Dann kommen immer mehr Ziegen hinter den Bäumen hervor. Zuerst zählen wir ein Dutzend, etwas später 20, und es nimmt noch kein Ende. Eine riesige Herde Mountain Goats ist auf Wanderschaft. So viele haben wir noch nie auf einmal gesehen.

Der PCT kratzt an der westlichen Grenze zur Yakama Indian Reservation entlang. Am späten Nachmittag stehen wir am Cispus Pass und betreten das Gebiet der Yakama Indianer. Nach kurzer Zeit sind wir schon wieder raus. Keine Indianer gesehen. 

Abends spät in den Schlafsack und morgens früh los – das passt nicht zusammen. Beim Start heute ist es schon 9.30 Uhr.
Kurze Beschreibung unseres Vormittags : Klettern über Bäume, Seen, Teiche und Moskitos. Die Blutsauger machen uns verrückt, sie sitzen überall. Pause unmöglich, dafür müssen wir erst ordentlich aufsteigen. In der Höhe können wir es wagen. Insektenfrei ist die Lage nicht, aber für einen kurzen Snack okay. Der Weg ist total einfach und könnte so schön sein, wenn die Moskitos nicht penetrant nerven würden. Wenigstens kommen wir schnell vorwärts. Stehenbleiben ist absolut nicht ratsam. Kein nennenswerter Auf- oder Abstieg. Geschenkte Meilen.

In der Frühstückspause ist wieder das blitzschnelle Flügelschlagen eines Kolibris zu hören. Es ist erstaunlich laut, ähnlich wie eine Nähmaschine. Genau wie gestern, zuerst hört man das sirrende Geräusch, dann sieht man den Kolibri in die Luft steigen. Später fliegt sogar einer dieser Zwerge um uns herum, während wir durch ein Geröllfeld stapfen. Wir finden es erstaunlich, dass diese kleinen Vögelchen, die nicht größer sind als ein großer Schmetterling, sich diesen Lebensraum in den hohen Bergen ausgesucht haben.
Am Nachmittag überschreiten wir die 400-Meilen-Marke, das sind 640 Kilometer. Wir passieren noch einmal die Grenze zum Reservat der Yakama Indianer. Keine Ahnung, wie weit das geht.

Wunderbares Wasser gibt es an der Lava Spring. Ein kleines Stück weiter staunen wir nicht schlecht. Der Pfad endet plötzlich vor einem gurgelnden Strom mit einer zusammengebrochenen Brücke. Es gibt deutliche Spuren hinunter zum Flussbett, aber dieser Abschnitt ist mit pinkfarbenem Flatterband abgesperrt. Fjorden ausdrücklich nicht erwünscht. Wäre für uns auch keine Option, denn das Wasser brodelt, und die Strömung ist stark. Der Grund und die unregelmäßigen Steine sehen glitschig aus. Da müssen wir uns jetzt erst einmal einen Plan machen. Jeder versucht’s auf seine Weise. Thomas klettert rückwärts bis in die zerborstene Mitte, ich rutsche vorwärts auf dem Hintern hinunter. Beides gelingt, wir erreichen trocken das andere Ufer. Der nächste Fluss ist nicht weit. Über den Muddy Creek führt eine intakte Brücke von 10 Metern Länge. Glück gehabt. 😉


Abends gibt es Kartoffelpüree aus der Tüte mit Gletscherwasser vom Mount Adams. Danach starten wir in die letzte Etappe des Tages. Wir haben uns weitere 8 Kilometer vorgenommen, 600 Höhenmeter Aufstieg inklusive. Geht erstaunlich gut. Es ist schon nach 18.00 Uhr und wird allmählich etwas kühler.
Wir laufen an Freunden von Stef vorbei, den wir auf dem Te Araroa im Winter 2015/16 kennengelernt haben. Northbounder, an der Mexikanischen Grenze gestartet und bis hierhin durchgelaufen. Die sind bald fertig, nur noch 3 Wochen Washington, dann sind sie an der kanadischen Grenze. Da kann man schon fast gratulieren.


Am Killen Creek stürzt sich ein kleiner Wasserfall in die Tiefe. Feinstes Trinkwasser. Gleich daneben auf der Wiese bauen wir gegen 20.00 Uhr unser Lager auf, beinahe am Fuße des Mount Adams. Wir können diesen Giganten liegend aus dem Zelt heraus bestaunen. Sehr imposant.
Trotz spätem Start haben wir heute 35 Kilometer geschafft.

Das erste Mal werden wir um 5.30 Uhr wach, aber ich mag noch nicht aufstehen. Bitterkalt und feucht ist es auf der Wiese unterhalb des Mount Adams. Habe letzte Nacht gefroren trotz doppelter Schicht Kleidung, Mütze, Handschuhen, Socken und zum Schluss noch Daunenjacke um die Füße gewickelt. Wir warten, bis die Sonne höher steht und einen Teil des Platzes bescheint. Nun können wir zusehen, wie die Blüten sich öffnen.
Ich habe eine Schrabbelstelle am großen Zeh, leicht gerötet und empfindlich. Die muss verarztet werden, d.h. die gereizte Stelle wird einfach mit Hansaplast abgeklebt. Außerdem hat mich während der Nacht ein furchtbarer Juckreiz gequält. Gestern wohl ein paar Stiche zu viel kassiert. Ich beginne den Tag mit einer Tablette Anti-Histamin. Es liegen nur 25 Kilometer vor uns bis zum Abzweiger nach Trout Lake.

Oma-Sport um 8.00 Uhr morgens. Zwei breite Ströme liegen vor uns, Abläufe vom Gletscher. Sowas mag ich ja in der Frühe gar nicht gerne, wenn die Muskeln noch nicht warm sind. Ich muss mich wirklich überwinden, den ersten Schritt zu tun. Erstmal sammeln und konzentrieren …. Ruckzuck bin ich drüben. Über den ersten Fluss kommen wir also gut mit Balancieren über einen Baumstamm. Den zweiten Teil schaffen wir trocken, indem wir auf Steinen ans andere Ufer hüpfen. Es folgen noch weitere Bäche und kleine Wasserfälle auf dem Weg. Farbenfrohe Blümchen und satt-grünes Gras wachsen drumherum.

Das Wasser ist milchig weiß von den Sedimenten des Gletschers. Hinter uns können wir immer noch den Mount Rainier sehen. Direkt neben uns liegt der Mount Adams, den wir im Laufe des Tages westlich umgehen werden. Tolles Panomara. 🙂

Zwei lebhafte Hunde kommen uns entgegen gesprungen. Sehr freundliche Tiere. Etwas später folgen zwei Frauen, nicht weniger freundlich. Wir unterhalten uns kurz, und sie fragen, ob sie unseren Müll mitnehmen sollen. Na, die denken ja richtig mit. Wir lehnen dankend ab, weil wir heute Nachmittag nach Trout Lake gehen und unseren Abfall dort selber entsorgen können. Trotzdem freuen wir uns über diese nette Geste.

Haferflocken-Pampe zum Frühstück macht satt. Damit stärken wir uns für die kommende Runde. Die neue Disziplin heißt „Hindernis-Lauf“. Eine schmale Spur führt in ein Gebiet, in dem es letztes Jahr großflächig gebrannt hat. Damals standen die Bewohner von Trout Lake kurz vor der Evakuierung. Dutzende von Baumstämmen liegen quer auf dem Trail. Klettern oder Umgehen, manchmal sogar Rucksack ab und auf dem Boden drunter durch. Picas und Streifenhörnchen flitzen durch das Feld. Man kann die kleinen Nager sehr gut beobachten, weil überhaupt kein Grün an den Bäumen ist. Die kahlen Stämme ragen wie Spieren in die Luft. Ein großer Teil liegt kreuz und quer am Boden. Also muss nach dem Brand noch ein kräftiger Sturm durchgegangen sein, der sehr viel plattgelegt hat. Wir springen und turnen, was das Zeug hält. Nicht schlimm, es hält nur ein bisschen auf.

Wir hören einen Baum bersten und umfallen. Man sollte abends immer gut die Lage checken und aufpassen, dass man das Zelt zwischen gesunde Bäume stellt. Mehr als 3 Stunden ohne Wasser, aber so schnell verdurstet man nicht. Endlich hört die verbrannte Region auf. Ein schöner Waldweg führt steil nach unten, wo die Bäume wieder lebendig aussehen. Ein kleiner Bach, eine letzte Pause. Nur noch knapp 4 Kilometer, bis wir wieder lecker essen, trinken und einkaufen können.

Kaum Verkehr. Wir kommen trotzdem schnell weg und sind um 16.00 in Trout Lake. Das Dorf hat ca. 670 Einwohner und gilt als sehr Hiker-freundlich. Zelten im Stadtpark kostet 10,- Dollar, 5 Minuten Dusche gibt’s für 2,- Dollar. Der Einkaufsladen ist gut sortiert, die Preise sind okay. Extra Meile zum Restaurant möchten wir nicht laufen, das ist uns zu weit. Cheeseburger mit Pommes an der Tankstelle sind auch in Ordnung. 😉