Wir segeln und wandern durch die Welt

Sprung von Ashland zu den Sierras

Trail Angel Servpreet holt uns bei der Callahan’s Lodge ab. Shortcut und Houdini wohnen zur Zeit beim ihm, außerdem herrscht ein ständiges Kommen und Gehen von Hikern. Die Gastfreundschaft und Menschenliebe von Servpreet kennt anscheinend keine Grenzen. Indisches Essen und nette Gesellschaft in seinem gemütlichen Appartement genießen wir gerne, aber letztendlich legen wir auch Wert auf Privatsphäre. Deswegen haben wir ein kleines Zimmer in einem wenig-Sterne-Motel gebucht. Hierhin können wir uns zurückziehen und planen. Wir brauchen einen Bär-Kanister. Den kann man ausleihen, aber auch das muss organisiert und gebucht werden. Wo ist der nächste Stopp ? Einkauf für wie lange ? Es gibt noch viel zu organisieren.

Wir haben unsere Strategie geändert und werden ein gutes Stück auslassen, damit wir auf jeden Fall vor dem Winter durch die Sierras kommen. 628 Meilen, ungefähr 1000 Kilometer, überspringen wir in diesem Jahr. Nord-Kalifornien werden wir im Sommer 2026 nachholen, um den PCT zu komplettieren und Anwärter für die Triple Crown zu sein. Am Highway 50 südlich von Echo Lake soll es dann wieder auf den PCT gehen.

Es gibt drei gute Gründe für diese Entscheidung :

1. Die Berge in der Sierra Nevada sind zum Teil über 4000 Meter hoch. Falls wir kontinuierlich weiterlaufen, dann würden wir das Hochgebirge im Oktober machen, müssten also bei frühem Wintereinbruch mit Schnee rechnen. Im September wird es noch nicht so kalt sein in der Höhe.

2. Die Vorstellung von Sommer in der Hitze von Süd-Kalifornien ist nicht so prickelnd. Bei unserer jetzigen Variante laufen wir nicht im Juni und Juli, sondern im Oktober/November durch die Wüste.

3. Die Menge an entgegen kommenden NoBos  und das Gerangel um die besten Zeltplätze in den letzten Wochen hat uns schockiert. Vom 1. März biz zum 31. Mai werden jeden Tag 50 Permits für den PCT vergeben. Das sind 50 Starter am Tag. Nächstes Jahr würden uns also ungefähr 4500 Hiker begegnen, die von Mexiko nach Kanada unterwegs sind, während wir den Rest in der Gegenrichtung absolvieren.

Wir haben uns für 2 Tage ein Auto gemietet und werden zunächst einmal an die Pazifik-Küste fahren, um einen anderen Eindruck von Kalifornien zu bekommen. Das Laufen auf einem Long-Trail ist nämlich vergleichbar mit der „Hafenperspektive“ beim Segeln. Man hat nur einen begrenzten Radius bei der langsamen Art der Fortbewegung. Nun also „car-camping“ mit dem Auto. Sehr praktisch, weil wir keinen schweren Rucksack tragen müssen und alles einfach hineinwerfen können.

Wir fahren durch den Redwood Nationalpark und staunen über die Mammutbäume am Straßenrand. Beim Besucherzentrum halten wir an und machen einen kurzen Spaziergang hinein in den Urwald. Der Park liegt auf dem Land der Yurok-Indianer.

Deutlich kühler ist es am Pazifik-Strand. Seenebel und rauschende Brandung bieten einen krassen Gegensatz zu Hitze und Staub auf dem ausgedörrten PCT. 

Ab 19.00 Uhr halten wir Ausschau nach einem geeigneten Platz für Zelt und Auto. Nicht ganz so einfach, denn wir sind ja nicht auf dem PCT. Viele Privat-Grundstücke und Verbotsschilder, direkt neben der Straße campen kommt auch nicht in Frage. Die Suche dauert etwas länger als auf dem Trail. Eine gute halbe Stunde gurken wir herum, bevor wir bei Horse Mountain eine einsame Stelle für unser Nachtlager finden.

Morgens sind wir früh unterwegs. Etliche Rehe laufen entlang der kaum befahrenen Straße. Thomas sieht einen Luchs am Waldrand.

Auf einer schmalen Straße mit tiefen Schlaglöchern geht es nur langsam voran. Nach über einer Stunde endet die Fahrt vor einer Absperrung. „Road closed“ – wir gucken uns dumm an und sind etwas ratlos. Letztendlich können wir nur umkehren und zurück. Der nächste Abzweiger führt hoch oben über die Berge. Da gibt es mehr Licht und bessere Aussicht, aber es ist ebenfalls sehr holprig. Nach 4 Stunden Kurverei erreichen wir endlich eine Ansammlung von Häusern. Das Dorf heißt „Mad River“ und liegt am gleichnamigen Fluss. Kurze Zeit später überqueren wir den „Rattlesnake River“. Mittlerweile haben wir schon 13.00 Uhr und ein ernstes Sprit-Problem. Wir müssen dringend tanken. Fahren hinunter zu einem Campingplatz am Fluss, wo einige Männer fischen. Nirgends treffen wir auf Menschen, die zufällig einen Reservekanister dabei haben. Erstmal Pause und Bedenkzeit, Kaffee und Frühstück. Auf gut Glück und mit einem Minimum an Google Maps finden wir nach „Hayfork“, einem Ort mit 2000 Einwohnern und einer heruntergekommenen Tankstelle. Genau richtig. Die Tankanzeige leuchtet schon seit einer geraumen Weile, wir haben noch für knapp 20 Meilen bzw. 30 Kilometer Sprit drin bis zum Bodensatz. Gerade noch einmal gut gegangen – wie immer, wenn ich mit meinem allerbesten Käpt’n unterwegs bin. Unsere Kinder würden sagen : „Müller-Reisen“.  😉

Auch die nächste Straße hat einen wohlklingenden Namen : „Wild-Mad-Road“. Sehr schön. Uns gefällt’s, und es ist der Weg zurück in die Zivilisation. Ein totes Wildschwein liegt an der Seite. Es sieht aus, als hätte es ein Einschussloch im Rücken. Wahrscheinlich ist es trotz der Verletzung seinem Jäger noch davongerannt. 

Außentemperatur 36° am Nachmittag. Berge und Felder ringsum sehen gelb und verbrannt aus. Wir sind gerade froh, dass wir nicht in der prallen Sonne laufen müssen. In unserem Nissan kühlt die Klimaanlage. Man bekommt sofort Beklemmungen und Atemnot, sobald man die Tür vom Wagen öffnet. Wann wird es denn endlich Herbst ?

Abends um 19.00 Uhr erreichen wir Sierra City, wo wir unseren Bären-Kanister abholen können. Der Sierra Country Store hat bereits geschlossen, aber Thomas hat von unterwegs angerufen, so bekommen wir unseren Kanister auch außerhalb der Öffnungszeiten. Der Inhaber übergibt ihn mit den Worten „Ihr werdet ihn hassen.“ 😉

Theoretisch dürfen wir umsonst hinten auf der Wiese zelten, aber dieses Angebot werden wahrscheinlich mehrere Hiker nutzen. Wir fahren lieber noch ein Stück weiter und finden schon bald einen verlassenen Campingplatz. Die einzelnen Parzellen sind nummeriert. Bärensichere Metall-Boxen, die nicht mehr schließen, stehen neben kaputten Picknick-Tischen. Es gibt sogar ein Toiletten-Haus, aber das gucken wir uns lieber gar nicht an. Alles verwahrlost, Gras und Unkraut stehen hoch. Für uns ist dieser Platz ideal zum Übernachten. Kostenlos, nicht illegal, und wir sind alleine. 

Geschlafen haben wir auf 2000 Meter Höhe. Morgens früh zeigt die Temperatur frische 8° an. Kurzer Stopp an einem Aussichtspunkt. Über dem Sierra Valley geht gerade die Sonne auf. Das ist ein großes Gebirgstal östlich des Kamms der Sierra Nevada. Sehr ländliche Gegend, unzählige Rinder weiden auf trockenem Stoppelgras.

Wir schrauben uns weiter hoch und fahren über die Donner Pass Road bis nach Truckee. Hier gönnen wir uns ein ausgezeichnetes Frühstück in einem Diner, wo die Einheimischen an der Theke sitzen.

Bald darauf erreichen wir den Lake Tahoe und folgen dem Verlauf am Westufer entlang. Dieser große Süßwassersee an der Grenze zwischen Kalifornien und Nevada ist für seine Strände und Skigebiete bekannt. Der Ort South Lake Tahoe ist das Zentrum des Tourismus. Im Sommer Wassersport auf dem See, Fahrradverleih und Wandern, wir sehen aber auch Ski-Kanonen am Hang für Wintersport. Am Ortsrand befinden sich sogar einige Sandstrände. Alles sieht sehr exklusiv und teuer aus. Um 12.00 Uhr müssen wir in South Lake Tahoe unser Auto abgeben, noch etwas Proviant einkaufen und irgendwie zurück auf den PCT finden. Beim Trampen haben wir Glück. Mary Ann kommt gerade vom Einkaufen und fährt extra für uns hoch bis zum Trailhead. Super nett. 🙂

Um 13.30 Uhr werden wir am Parkplatz abgesetzt. Die nächsten 15 Kilometer verlaufen PCT und Tahoe Rim Trail auf einer Spur. Natürlich liegt erst einmal Aufstieg vor uns. Schon auf dem ersten Kilometer bergauf verdunkelt sich der Himmel. Es donnert und blitzt. Kurz darauf beginnt es zu regnen, alles um uns herum ist grau. Wir setzen uns in den Schutz einiger Felsen und warten ab.

Für einen Moment sieht es aus, als ob es heller wird und der Regen nachlässt. Wir laufen ein kleines Stück weiter. Dann pläddert es wieder stärker, und wir suchen noch einmal Schutz. Stehen eine halbe Stunde unter einem Baum und beobachten den Himmel. Immer mal wieder ein Hoffnungsschimmer, wenn es nur noch ein bisschen dröppelt. Wir möchten weiter, eigentlich wollten wir ungefähr 20 Kilometer schaffen. Keine Geduld mehr, wir stapfen im Regen los. Es tropft von oben, und auf dem Weg kommt uns fließendes Wasser entgegen. Alles ist matschig, dicke Pfützen haben sich auf dem Trail gebildet. Blitz und Donner folgen in immer kürzeren Abständen. Um 16.30 Uhr geben wir auf. Wir steigen ein Stück den Abhang hinunter und bauen das Zelt auf. Kurz vor dem nächsten Platzregen sind wir mitsamt den noch voll gepackten Rucksäcken im Trockenen. Es kracht inzwischen ganz gewaltig. Wir zählen 3 Sekunden, also ist das Gewitter nur noch 1 Kilometer entfernt. Das Unwetter ist jetzt direkt über uns. Der Himmel öffnet alle Schleusen. Und dann saufen wir fast ab, weil wir in einer Senke stehen. Wie doof – aber das haben wir bei dem schlechten Licht nicht gesehen. Das Wasser läuft nicht schnell genug ab, sondern sammelt sich in der oberen Hälfte unter dem Zeltboden.

Irgendwann schwimmen meine Schuhe auf, die neben dem Eingang stehen, weil die Pfütze inzwischen so hoch ist. Es fehlt nur noch ein knapper Zentimeter, dann läuft es herein, und es regnet immer weiter. Wir sind leicht beunruhigt, weil wir nicht wissen, ob die matschige Pfütze zu uns ins Zelt schwappt. Der Boden unter den Isomatten fühlt sich kalt und feucht an, aber noch leckt nichts hinein. Ändern können wir die Situation im Moment nicht. Also was soll’s ……

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Es brennt um Seiad Valley. Der Trail ist offiziell geschlossen. Houdini und Shortcut wollten eigentlich bei Callahan’s Lodge wieder auf den PCT, aber nun werden sie die Grenze von Oregon nach Nord-Kalifornien leider auch nicht zu Fuß überschreiten. Sie müssen ungefähr 100 Kilometer überspringen und woanders wieder einsteigen. Dasselbe Problem hätten wir auch gehabt, wenn wir uns nicht zufällig bereits 3 Tage vorher für Plan B entschieden hätten.

2 Kommentare zu “Sprung von Ashland zu den Sierras

  1. Rösch, Marion

    Hallo ihr 2,

    lese gerade beim Frühstück über euren Tripp.
    so gut und spannend geschrieben wie immer.
    Da brauche ich keine andere Lektüre.
    Wir waren in Südschweden, haben dort sehr nette Auswanderer aus Deutschland kennengelernt, unser Alter. Sie wohnen seit 20 Jahren dort. Wir hatten uns bei jeder Begegnung etwas zu erzählen.
    Sind jetzt auf Fünen in Dänemark und fahren so langsam zurück.
    Habt weiter viel Freude beim trail, auf dass ihr gut durchkommt und passt auf euch auf.
    Ich freue mich über die Berichte.
    Ganz liebe Grüße von Marion

    1. 871385 Autor des Beitrags

      Hallo ihr Lieben !

      In Dänemark waren wir noch nie.
      Oder nur ganz kurz mit dem Boot angerissen, aber nicht wirklich etwas gesehen außer Wasser und Hafen.
      Habt einen schönen Urlaub !

      Herzliche Grüße aus Kalifornien