Halloween ist nicht mehr auf dem Trail. Er war unser ständiger Begleiter in den ersten drei Wochen, irgendwie immer kurz vor oder hinter uns. Mindestens ein halbes Dutzend Nächte haben wir in seiner Nähe gezeltet. Eigentlich hatten wir gehofft, dass wir Halloween bei den Trail Days sehen. Aber dumm gelaufen, er hat sich einen Zeh gebrochen und ist inzwischen zu Hause.
Dann haben wir noch eine andere Geschichte gehört. Einem Deutschen, den wir nicht kennengelernt haben, ist das Haus ( oder die Wohnung ) abgebrannt. Durch einen Anruf von seiner Frau hat er diese schlimme Nachricht erfahren und ist so schnell wie möglich vom PCT zum Flughafen. Es gibt so viele Unabwägbarkeiten im Leben und ebenso viele Gründe, einen Long-Trail abzubrechen. Bei uns als Paar ist das Verletzungsrisiko und damit die Möglichkeit, dass wir aussteigen müssen, sogar doppelt so hoch. Glück gehört unbedingt dazu.
Nora und Bruce bringen uns bis zum Elk Lake Resort, wo wir noch einen Kaffee trinken und unsere Rucksäcke neu organisieren. Um 11.00 Uhr sind wir endlich wieder auf dem PCT.
Aller Anfang ist schwer ….. Eine ganze Woche waren wir raus wegen der komplizierten An- und Abreise zu den Trail Days. Das rächt sich jetzt. Auf dem AT 2012 hat ein Orthopäde gesagt, dass man nie mehr als zwei off-days machen soll, weil sich der Körper dann noch „erinnert“. Nach 72 Stunden beginnen die Muskeln wieder abzubauen. Zu viel Essen und Trinken sind auch nicht gerade förderlich. Der Weg ist völlig okay, dennoch komme ich nicht so richtig in die Gänge. Mir tun die Füße weh, besonders der rechte. Die Schultern schmerzen vom Tragen. Der Rucksack ist viel zu schwer mit neuem Proviant für die nächste lange Etappe. Lust zum Laufen haben wir ganz sicher, aber wir quälen uns ein bisschen.

Oregon präsentiert sich in diesem Teil eher unspektakulär. Viele Seen und Teiche, eine Reihe umgestürzter Baumstämme, ein Reh auf dem Weg, Streifenhörnchen überall. Tagsüber haben wir zwei schöne Pausen ohne Insekten an verschiedenen Seen verbracht. Unser Abend-See für’s Nachtlager ist leider gar keine gute Wahl. Hier gibt es komischerweise wieder Unmengen von Moskitos. Das werden wir wohl nie verstehen, wo die sich gerade aufhalten.

Beide fühlen wir uns steif früh morgens. Das kann doch nicht von gestern kommen, wo wir erst um 11.00 Uhr gestartet sind und unter 30 Kilometern geblieben sind ? Die Knochen knacken beim Aufstehen. Meine Füße schmerzen immer noch. Rechts oben auf dem Spann fühlt es sich an, als wenn der Schuh zu eng ist. Unter der linken Fußsohle ist es empfindlich, da kann man einen harten Muskelstrang ertasten. Schnell geht gar nicht, ich bleibe immer ein paar Schritte hinter Thomas.

Wir laufen durch eine weitere verbrannte Region. Dabei können wir Merkwürdiges beobachten, so etwas wie eine Mini-Windhose. Zunächst wundere ich mich darüber, dass ein Stück verkohlter Baumrinde senkrecht in die Höhe fliegt und sich dann spiralförmig weiter bewegt. Im weiteren Verlauf wirbeln Sand und Pflanzenteile hoch und ziehen eine Spur ca. einen Meter über dem Boden. So ein Phänomen wird „Staubteufel“ genannt. Es entsteht bei starker Sonneneinstrahlung und Windstille. Der Boden wird erwärmt und die Luft aufgeheizt, wodurch dann eine aufsteigende Luftwalze entsteht. Faszinierend.

Trail Magic an der Straße vor dem Charlton Lake. Ducky und seine Eltern kommen bereits seit vielen Jahren an diesen Platz, um die Hiker zu verwöhnen. Er hat bereits die Triple Crown geschafft : PCT 2016 , AT 2018 und CDT 2019. Schon auf dem Weg zur Trail Magic weist eine ganze Serie von lustigen Schildern darauf hin, dass es gleich etwas Leckeres geben wird. Im Angebot sind Weintrauben, Bananen, kalte Getränke, Chips, Kekse und Hot Dogs. Wir sitzen dort mit den Eltern von Ducky und einem SoBo-Mädel, das ebenfalls von Kanada bis Mexiko laufen möchte. „Nana“ ist erst 25 und ein tolles Mädchen, selbstbewusst und klug. Sie weiß genau, was sie will im Leben. Oder noch viel besser : Nana weiß ganz genau, was sie nicht will. Wir bleiben über eine Stunde bei der Trail Magic, obwohl wir erst kurz zuvor eine Pause hatten. Mum und Dad von Ducky haben ein kleines Problem. Sie möchten Geld an Bekannte in Berlin überweisen, was wohl nicht so einfach ist und teuer an Gebühren. Wir schlagen vor, dass wir das beim nächsten Internetzugang von unserem Konto erledigen können. Da wird nicht lange überlegt. Ruckzuck bekommen wir 120,- Dollar in die Hand gedrückt, um demnächst den Auftrag auszuführen. Wir freuen uns natürlich über das uns entgegen gebrachte Vertrauen.









Thomas klagt am Nachmittag über Schmerzen an den Außenseiten der Füße. Ohne erklärlichen Grund, denn immerhin läuft er seit drei Wochen mit diesen Schuhen. Keine Kompromisse. Thomas fackelt nicht lange. Mit seinem Schweizer Taschenmesser werden alle Stellen weggeschnitten, die das Druckgefühl verursachen. Ist nicht das erste Mal, dass der Käpt’n sich seine Schuhe individuell zurechtschneidet. Unterwegs wird noch einmal nachgearbeitet, bis nichts mehr drückt. Und weiter geht’s.

Eine Kette von Seen soll unser Abendziel sein. Bei den Rosary Lakes gibt es Wasser und mehrere Zeltplätze. Bis dahin sind es um 17.00 Uhr noch 12 Kilometer. Allerdings haben wir in der letzten Etappe einen strammen Aufstieg zu bewältigen. Das wusste ich überhaupt nicht, und damit habe ich gar nicht mehr gerechnet. 😉 Wir sind ja nicht die Super-Planer, deswegen werden wir so manches Mal überrascht, im Guten wie im Schlechten. 2,5 Stunden geht es bergauf, dann noch ein halbes Stündchen runter zu den Seen. Kurz nach 20.00 Uhr sind wir da, um 21.00 Uhr im Schlafsack. Passt so gerade noch. Stockdunkel ist es mittlerweile. Bergauf insgesamt 1000 Höhenmeter, 36 Kilometer geschafft. Wir sind zufrieden.

Schlecht geschlafen. Morgens fühle ich mich, als wäre ich von einem Lastwagen überfahren worden. Muskelkater in den Waden, Muskelkater in den Oberschenkeln. Auf der Seite konnte ich nicht liegen, weil die Schultern schmerzen. Auf meinem rechten Fuß ist ein dunkler Schatten zu erkennen, anscheinend ist da wirklich etwas nicht gut. Thomas schneidet noch ein bisschen weiter an seinen Schuhen herum, bis er keine Druckstellen an den Seiten mehr fühlt. Allerdings sind seine Fußsohlen sehr empfindlich, das könnte ein neues Problem werden. Insgesamt sind wir zwar hoch motiviert, aber gerade nicht besonders gut in Form.

Von einem Felsvorsprung aus haben wir eine tolle Aussicht auf den Odell Lake. Groß und richtig schön ist dieser See, also ein Foto wert. Ein paar Wassersportler, einige Stege am gegenüberliegenden Ufer. Dort liegt das Shelter Cove Resort, wo viele Hiker ein paar Stunden mit Essen, Trinken und Internet verbringen. Wir haben diesen Stopp für uns ausgeklammert, weil wir in der letzten Woche genug gefaulenzt haben. Die erste Pause machen wir am Midnight Lake. Es gibt Haferflocken. Wir sind hungrig, weil wir gestern Abend nicht mehr gekocht haben. Keine Moskitos, aber dafür krabbeln Riesen-Waldameisen auf uns herum.
Abwechslungsreiche Landschaft am Nachmittag. Wir wandern durch die Diamond Peak Wilderness. Unsere Spur führt seitlich am Diamond Peak ( 2667 Meter Höhe) vorbei. Trotz Sommer und Sonnenschein hat dieser Gipfel immer noch Schnee an seiner Nordflanke. Es ist kühl hier oben während der Pause. 900 Höhenmeter sind wir bisher aufgestiegen. Nachher müssen wir das meiste davon wieder hinunter.

Eigentlich hatten wir einen kleinen Bach für unser Trinkwasser angepeilt, aber da gibt’s nichts mehr, der ist komplett ausgetrocknet. Unser nächstes Wasser holen wir an einem See, wo es Lurche zu beobachten gibt. Schlanke Oregon-Salamander mit einer Körperlänge von etwa 10 Zentimetern, vier Beinen und einem runden Kopf.
Zum Ende des Tages geht es Thomas anscheinend gut, denn er läuft mir davon. Und mein Fuß ? Mal pocht er, mal sticht es, und manchmal ist er sogar für eine Stunde ruhig.

Genug gejammert. Am besten ignorieren wir die ganzen Wehwehchen und machen einfach weiter. Der Summit Lake ist groß, in der Mitte liegt ein kleines Inselchen. Es weht kräftig, da steht richtig Fetsch auf dem See. In Ufernähe ist es sehr flach mit einem schmalen Streifen Sandstrand, an den die Wellen plätschern. Wasser nehmen, das klappt nicht mit trockenen Füßen. Der Boden unserer Trinkflaschen ist bedeckt mit Sedimenten. Filter-Killer nennt man das. Anschließend beginnt eine trockene Strecke von 14 Kilometern. Wir müssen wohl oder übel jeder einen Liter tragen für die Pause. Es geht hoch hinauf. Ein Steinmännchen auf der linken zeigt den Abzweiger zum Cowhorn Mountain an. Wir sind froh, dass wir diesen Gipfel nicht besteigen müssen. Der PCT führt gnädig drum herum. Immerhin befinden wir uns schon wieder auf einer Höhe von 2500 Metern. Es geht in der prallen Mittagshitze immer über die Ridgeline. Kurzer Stopp mit Blick auf die Seen, die wir in den vergangenen zwei Tagen passiert haben. Hier oben genießen wir das Laufen auf einem schönen Pfad zwischen Tannenbäumchen und Geröll. Über einen Seitenweg abwärts geht es zu unserem nächsten See, der ordentlich an Durchmesser und Tiefe verloren hat. Bald ist er gar nicht mehr vorhanden, die Sonne trocknet wahrscheinlich alles in Kürze weg. Das Wasser ist so seicht, dass Thomas barfuß bis in die Mitte muss, um unsere Flaschen zu füllen. Alternativlos. Danach liegen noch einmal 14 trockene Kilometer vor uns bis zur Six Horse Spring.

Überraschung ! An der Straße zum Windigo Pass wartet Trail Magic. Wasser, Wasser, Wasser ……. Und etwas ganz Besonderes : Kisten mit Batterien, Ladegeräten, Steckern. Etwa ein Dutzend NoBo Hiker hat es sich im Schatten gemütlich gemacht, um Handy und Powerbank zu laden. Zwei weitere Kisten sind gefüllt mit Toilettenpapier, Pflaster, Verbandszeug. Damenbinden, Schmerz- und Allergietabletten. Lauter nützliche Dinge für die kleinen Notfälle des Alltags.


Die letzte Quelle des Tages erfordert eine anstrengende Extra-Tour. Es sind 1,5 zusätzliche Kilometer hin und zurück, erschwert durch einen tiefen Abstieg. Mit 4 Litern Wasser geht es anschließend wieder steil nach oben. Thomas ist insgesamt eine halbe Stunde unterwegs.Es ist 20.00 Uhr, bis wir gegessen haben. Weitergehen lohnt sich nicht, weil es jeden Tag früher dunkel wird. Wir bleiben.
Der Wecker klingelt um 5.30 Uhr. Für das Wochenende ist wieder Hitze-Alarm angesagt. 36° sollen es werden, da fangen wir lieber ein paar Stunden früher an. Zusätzlich haben wir das Wasserproblem. Drei Liter werden wir von der Six Horse Spring mitnehmen für die Strecke von 26 Kilometern. Ein satter Aufstieg steckt mit drin. Nützt ja nichts. Das ist wirklich blöd zu planen.
Alles gut bei mir. Aber Thomas schneidet ein weiteres Stück von seinen Schuhen ab. Am 5. Tag sind wir wieder richtig im Trott und können ganz normal weiterlaufen. Es riecht stark nach Rauch, und das schon seit gestern Abend. Anscheinend brennt es irgendwo hinter uns. Das Feuer kann weit weg sein, aber der Nordwind treibt den Qualm in unsere Richtung. Dicke Luft. In den Tälern hängt gelber Dunst. Feuer auf dem Trail ist die häufigste Ursache dafür, dass man eine Sektion auslassen und später nachholen muss.
Mount Thielsen Wilderness steht auf dem Programm. Hier gibt es anscheinend Handy-Empfang. Uns kommen viele Hiker entgegen, die auf ihr Handy starren oder ihre Nachrichten an die Welt tippen. Wir kommen an einer Markierung vorbei : 3000 Kilometer. Die ist wohl von und für die NoBo Hiker. Bedeutet aber für uns im Umkehrschluss, dass noch 3000 Kilometer auf dem PCT vor uns liegen. Das wird dieses Jahr wohl nichts, die mexikanische Grenze muss wahrscheinlich bis zum nächsten Jahr auf uns warten.

Mittags überschreiten wir den höchsten Punkt Oregons auf dem PCT. Laut Schild 7560′ Fuß hoch, das sind über 2300 Meter. Unser nächstes Wasser bekommen wir am Thielsen Creek. Es ist eiskalt und lecker, Gletscherwasser vom Mount Thielsen. Hier lernen wir „Tigger“ kennen, der ebenfalls SoBo von Kanada nach Mexiko läuft. Er hat bereits den AT und den CDT geschafft, nächstes Jahr gibt es wahrscheinlich ein Wiedersehen bei der Verleihung der Triple Crown. Wir gönnen uns eine lange Pause, Zeit zum Waschen und für eine warme Mahlzeit. Um 14.00 Uhr haben wir bereits 25 Kilometer geschafft. Frühes Aufstehen lohnt sich immer, auch wenn es schwer fällt. Vom Thielsen Creek aus liegt wieder eine ewig lange trockene Strecke vor uns. Laut den Kommentaren in unserer App könnten wir an einer Schotterstraße in 12 Kilometer Entfernung mit Trail Magic Wasser rechnen. Das wäre super, dann müssen wir nicht volle Ladung tragen. Unterwegs treffen wir Juri, den schüchternen Russen-Jungen. Er macht gerade Pause am Rande des Trails und freut sich offensichtlich, uns zu sehen. Wir haben in den letzten Tagen noch manchmal an Juri gedacht, denn wir finden diesen bescheidenen Jungen sympathisch. Ein bisschen tut er uns auch leid. Juri kündigt uns volles Programm Trail Magic an : Hamburger, Wassermelone, Eis und Dusche. Wir können es kaum glauben. Umso schneller rennen wir dir letzte Stunde bis zur Straße hinunter. Bingo !


Auf unserer Seite des Trails sind Dutzende von Kanistern mit Wasser aufgebaut. Darauf hatten wir gehofft ( und spekuliert ). Alle unsere Flaschen sind wieder voll. Ein Schild verkündet noch mehr Trail Magic auf der anderen Straßenseite. Gegenüber gibt es ein riesiges Angebot. Diese großzügige Trail Magic wird von den Eltern eines NoBo Hikers ausgerichtet. Da steht tatsächlich eine transportable Dusche, Handtuch, Seife, Creme inklusive. Außerdem eine Eismaschine, frisches Obst, Kekse, Chips, Hot Dogs und Batterien zum Laden der Elektrogeräte. Hamburger und kalte Getränke sind leider nicht mehr da. Mutter Barbara kann sich gut an den hungrigen Russen erinnern. Der hat wohl gleich mehrere Hamburger verputzt. Auch dem Vater war die armselige Kleidung des Jungen aufgefallen. Schuhe drei Nummern zu groß, Ausrüstung aus der Hiker-Box zusammen gesucht. Auf jeden Fall haben sie Juri ordentlich vollgestopft und ihm noch reichlich Proviant für die nächsten Tage mit auf den Weg gegeben. Das freut uns sehr. Da verzichten wir doch gerne auf einen Hamburger. Ein Schweizer soll auch hier gewesen und eine Stunde vor unserer Ankunft gegangen sein. Houdini hat sich ins Register eingetragen. Den werden wir dann morgen vielleicht beim Crater Lake treffen. 🙂




Wir bleiben 1,5 Stunden bei der Trail Magic. Mit 38,5 gelaufenen Kilometern dürfen wir uns einen frühen Feierabend leisten. Essen, Handy Laden, Dusche und kleine Wäsche im Eimer. Die meisten Hiker haben bereits ihr Zelt in der Nähe aufgeschlagen und bleiben über Nacht. Zum Frühstück soll es Pfannkuchen, Eiscreme und noch mehr leckere Sachen geben. Fällt schwer, darauf zu verzichten, aber wir möchten morgen früh los. Deswegen verabschieden wir uns gegen 20.00 Uhr und laufen nur noch ein kleines Stückchen weiter in den Wald hinein.