Wir segeln und wandern durch die Welt

Walker Pass bis Hikertown

Check-out ist um 11.00 Uhr. Eigentlich würden wir gerne noch eine weitere Nacht bleiben, aber der Bus zum Walker Pass fährt nur 3 mal wöchentlich, morgen und übermorgen leider nicht. Schade. Es gab so viel zu erledigen, dass wir noch überhaupt keine Zeit zum Nichtstun hatten. Alles sollte angeblich ganz in der Nähe von unserem Motel sein. Aber nein ! Ridgecrest mit ca. 28000 Einwohnern ist eine richtige Stadt, die sich nach allen Richtungen ausdehnt. Mit vollen Rucksäcken, zwei Paar Schuhen an der Hand, Stöckern, einer Tüte mit Schmutzwäsche und den Kartons laufen wir zur Post. Drei Pakete mit Proviant werden auf den Weg gebracht. Außerdem enthalten sind kleine Portionen an Zahnpasta, Mundspülung, Toilettenpapier, Sonnencreme und Zipp-Beuteln. Damit sind wir mit den nötigsten Dingen versorgt, selbst wenn man unterwegs nichts einkaufen kann. Unser nächster Weg führt zum Waschsalon. Meilenweit entfernt. Eine Stunde später riechen unsere Hiking-Klamotten wieder frühlingsfrisch. Der Walmart ist eine gute Adresse, um noch ein paar Stunden zu vertrödeln. Dort gibt es Essen, Trinken, Toiletten, Steckdosen und freies WLAN. Sieht eigentlich gar nicht so weit aus auf der Karte, aber es sind mindestens drei Kilometer entlang der Hauptstraße. Wir laufen über eine halbe Stunde in der prallen Mittagshitze. Das fühlt sich so an, als würden wir gebraten. Die USA sind ein Land für Autofahrer, zu Fuß gehen ist nicht vorgesehen.

Zeit haben wir genug, denn wir werden wegen der Wasser-Entfernungen erst morgen früh richtig starten. Heute nehmen wir den Bus um 17.30 Uhr zum Walker Pass und laufen nur einen Kilometer hoch bis zum Campingplatz. Dort gibt es Wasser, das brauchen wir hauptsächlich zum Kochen abends und für den Kaffee in der Frühe. Darauf folgt eine Etappe von 33 Kilometern ohne Wasser. Bedeutet morgen den ganzen Tag ohne bzw. das nötige Trinkwasser müssen wir tragen. Es geht gerade nicht so gut auf mit der Planung. Der Tagesablauf lässt sich nicht nach unseren Wünschen einrichten, sondern wir müssen uns mit Pausenplätzen und Nachtlager nach den Gegebenheiten richten. 

Stadtrundfahrt kreuz und quer durch Ridgecrest, bevor der Bus endlich auf den richtigen Highway abbiegt. Die Fahrt dauert 3 mal so lange wie auf dem Hinweg. Um Viertel nach 7 abends erreichen wir den Walker Pass Campground und beziehen eine Parzelle mit Picknicktisch. Ein weißer Mischlingshund beobachtet uns. Von diesem Streuner haben wir bereits in den Kommentaren unserer App gelesen. Er soll scheu und sehr hungrig sein. Neben unserem Zeltplatz „wohnt“ eine Frau in ihrem Wagen. Sie kommt heraus und quatscht uns voll. Sehr gesprächig ist sie. Den Hund hat sie „Mia“ getauft. Er wird von ihr seit ein paar Tagen gefüttert, und sie hofft, dass sie Mia morgen „adoptieren“ kann. Wir stören das weiße Hündchen bestimmt nicht, eher stört uns die geschwätzige Dame. 😉 Wasser müssen wir auch noch besorgen. Das gibt’s nicht einfach so hier auf dem Campingplatz. Dafür müssen wir noch einmal zurück, ein Stück neben dem Highway laufen und im Dunkeln den Weg zur Quelle suchen. Es dauert eine halbe Stunde, bis wir mit 7 Litern Wasser zurück beim Zelt sind. Nicht optimal, aber so sind wir wenigstens früh morgens wieder auf dem Trail und können direkt los.

Während der Nacht war von allen Seiten Kojoten-Geheule zu hören. Das müssen mehrere Rudel gewesen sein, und sie waren ziemlich in der Nähe. Morgens früh steht schon der weiße Hund bereit und schaut erwartungsvoll zu uns herüber. Gestern im Walmart haben wir das obligatorische Hähnchen gekauft und nicht ganz aufgegessen. Heute bekommt Mia die Reste vom gebratenen Hähnchen zum Frühstück. Wenig später steigt unsere Nachbarin aus ihrem Camper und serviert die zweite Portion Futter. Der Hund ist schon ganz zutraulich geworden, obwohl er immer noch den Schwanz ängstlich zwischen die Hinterbeine geklemmt hat. Mia muss schlimme Erlebnisse hinter sich haben. 🙁

Dunkle Wolken am Himmel. Thomas hat sich für die Wüste schlechtes Wetter gewünscht, und das scheint auch zu klappen. Ein riesiges Tiefdruckgebiet rollt von Süd-Westen in unsere Richtung. Es bedeutet wahrscheinlich Regen und kalte Nächte in der nächsten Woche. Schlimmer werden die Hiker in den Sierras dran sein. Die könnte es wirklich böse erwischen in den hohen Bergen. Wir haben hier zwar auch Hügel, die sind aber durchweg ein paar Hundert Meter tiefer. Heute liegen 33 Kilometer vor uns bis zum nächsten Wasser am Bird Spring Pass. Das wird dann wohl auch unser Endziel am Abend sein. Bis zum Wasser müssen wir es schaffen, denn sonst können wir nicht kochen. Die Distanz ist völlig ausreichend, außerdem stecken 1150 Höhenmeter Aufstieg mit drin.

Es bleibt trocken, aber kühl. Wir werden den ganzen Tag von heftigem Wind gebeutelt, der an unseren Rucksäcken zerrt und den Sand ordentlich aufwirbelt. Dazu kommt, dass der PCT hier mehrere Kilometer auf einer Piste verläuft, die von  off-road-Fahrzeugen stark befahren und ausgehöhlt ist. Ganz blöd zu laufen in dieser schrägen Rinne. Einmal rutsche ich aus und falle auf’s Knie. Die Hose bleibt heile, das Knie ist blutig. Schätzungsweise 99 % vom PCT sind für motorisierte Fahrzeuge gesperrt. Auf dieser Piste ist es erlaubt, und wir haben nun mal gerade das Pech, zur falschen Zeit hier zu sein. Es ist Wochenende, vielleicht ist deswegen so viel los. Zuerst kommen uns vier Enduros entgegen, dann zwei Jeeps. Etwas später wieder Motorenlärm, ein paar Geländemaschinen und zwei Quads mit hoher Geschwindigkeit. Motorgeräusche von hinten, ein paar Enduros haben anscheinend umgedreht und fahren zurück. Meine Güte – das ist jetzt aber nervig ! Nicht nur der Lärm und dass wir jedes Mal von der Piste in die Büsche ausweichen müssen, um denen Platz zu machen. Jedes Fahrzeug wirbelt enormen Staub auf, der sich erst ein paar Minuten später wieder setzt. 🙁 Ich kann schon gar nicht mehr freundlich grüßen. Dabei können diese Leute ja gar nichts dafür. Die wollen nur ihren Spaß haben, es ist eben eine andere Art von Freizeitbeschäftigung. Nach zwei Stunden zweigt eine schmale Spur in den Wald ab. Von jetzt an läuft der PCT parallel zur Sandpiste. Man hört zwar noch den Motorenlärm, aber es ist kein Ausweichen mehr nötig, und wir kriegen keinen Staub mehr von den Maschinchen ab. Der Wind wird immer stärker und kommt aus Süd-West, also meistens von vorne. Schwierig ist es, am offenen Hang ungeschützt zu laufen. In den Böen muss man sich regelrecht dagegen stemmen, damit man nicht aus der Kurve gehauen wird. Die Stöcker leisten dabei gute Dienste.

Kurz nach 18.00 Uhr erreichen wir die Schotterstraße am Bird Spring Pass. Schon von weitem leuchtet das Blau der Behälter. Dutzende von Gallonen Wasser haben Trail Angel hier für PCT Hiker  bereitgestellt. Das ist so eine große Hilfe ! Unsere App sagt allerdings, dass man sich nicht auf die „water caches“ verlassen darf. Ja, wie soll das denn sonst gehen ? Das nächste Wasser ist ebenfalls ein Depot und weitere 25 Kilometer entfernt. Dazwischen nichts. Ach, doch …. Es gibt einen Abzweiger, wo ein halber Wassertropfen verzeichnet ist. Halber Wassertropfen bedeutet „nicht zuverlässig“. Die lustigen Anweisungen dazu lauten : Wenn die Wasserquelle trocken ist, dann soll man dort ein tiefes Loch graben und warten, bis sich darin Wasser sammelt. Die spinnen doch ! Man muss also einen Umweg über einen Seitenweg machen, ein Loch buddeln und warten …. Da fragt man sich, ob diese Leute jemals länger als einen Tag auf dem Trail waren. Völlig unrealistisch. Also wenn es an der einen oder anderen Stelle nichts gibt, dann kann man sich eigentlich nur an die Straße stellen und per Anhalter irgendwohin fahren.

Scharfer Wind pfeift uns um die Ohren. Rattenkalt ist es. Dabei befinden wir uns nur auf 1500 Meter Höhe. Schnell füllen wir unsere Flaschen und steigen etwas ab auf der Suche nach einem geschützten Platz. Lieber ein paar Meter weiter laufen und morgen wieder hoch, wenn es dafür eine ruhigere Nacht gibt. Das Zelt wird doppelt und dreifach abgespannt und mit Steinen gesichert. Wir liegen schon im Schlafsack, da bekommt Thomas eine Sturmwarnung auf sein Handy : Böen bis 60 Meilen pro Stunde, das ist Windstärke 10 in Beaufort. Es rüttelt heftig am Zelt.

Früher Tagesbeginn – wie immer klingelt der Wecker um 5.30 Uhr. Die Nacht war den Umständen entsprechend gut. Das Wetter hat sich beruhigt, der Morgen sieht friedlich aus. Bei Sonnenaufgang sind wir bereits unterwegs. Wir gehen noch einmal zum Wasser-Depot und füllen unsere Flaschen. Nächstes water cache an der Kelso Road ist 25 Kilometer entfernt. Insgesamt liegen heute 36 Kilometer vor uns, 1400 Höhenmeter Aufstieg inklusive. Ein total verrosteter Bus liegt in den Dünen. Vorher haben wir schon einige andere rostige Relikte gesehen. Die stammen noch aus Zeiten, in denen es in dieser Gegend zahlreiche Minen zum Abbau von Silber gab.

Mittags passieren wir die magische Zahl „1000“, welche Hiker aus Steinen geformt haben. Tausend Kilometer nur noch, das hört sich übersichtlich an. Dreistellig werden jetzt die Zahlen, wenn wir unsere verbleibende Distanz herunterzählen. 🙂 Kaninchen gibt es in dieser Dünen-Landschaft, fast wie zu Hause. Die fühlen sich wohl in Sand und trockenem Gras.

Um 15.00 Uhr kommen wir an der Kelso Road an. Schon 25 Kilometer geschafft. Die blauen Riesenflaschen glänzen. Wieder Wasser satt zum Trinken und Mitnehmen. Ein dickes Dankeschön an diese wunderbaren Trail Angel, die sich um das Wasser-Depot kümmern. 🙂 Es steht sogar ein bequemer Stuhl dort, auf dem der Käpt’n die Pause verbringt. Ich sitze lieber auf dem Boden, um die Beine auszustrecken. Nach der Pause geht es nur noch bergauf. Je höher wir kommen, umso grüner wird es. Irgendwann haben wir Waldweg unter den Füßen. Unterwegs erzählt Thomas mir die Geschichte der Feuer-Ameisen. Er ist nämlich von einer dieser hellroten Ameisen gebissen worden, und das tut wohl richtig weh. Von seinem Beobachtungsposten auf dem Stuhl hat er gut aufgepasst, dass mir keine von denen zu nahe kommt.

Immer noch kräftiger Anstieg, die Landschaft ändert sich. Links und rechts vom Weg tauchen Laubbäume auf. Motorengeräusch stört die Stille. Es knattert und stinkt furchtbar. Jemand fährt Motocross, nicht auf dem PCT, sondern querfeldein durch den Wald. Diese Blödmänner sollen gefälligst auf ihrer offiziellen Piste bleiben. 🙁  An einer Abzweigung steht eine große Kiste aus Metall, darauf ist ein Aufkleber vom Automobilclub. Was mag da wohl drin sein ? Ersatzteile für die Mopeds vielleicht, oder noch existenzieller wäre Sprit für die Krachmacher. Schade, kein Essen und keine Trail Magic Wasser für uns.

Weiter oben wachsen Kalifornische Kiefern, die haben wir schon länger nicht mehr gesehen. Helle Boulder in allen Größen und Formen liegen durcheinander im Sand. Sehr zu unserem Erstaunen klettern wir durch Fels-Formationen wie in den Sierras. Es wirkt wie eine unerwartete Laune der Natur, das passt so gar nicht in das Bild der letzten Tage. Wir laufen durch die Saint Johns Ridge. Die Temperatur ist merklich kühler geworden. Immerhin sind wir drei Stunden lang aufgestiegen. Ich merke es in den Beinen. Später stellen wir fest, dass wir uns auf über 3200 Meter Höhe befinden. Unser Witz des Tages : „Die Wüste ist flach.“  😉

Ziel für die Nacht ist das Landers Camp, etwas abseits vom PCT gelegen. Es ist schon dunkel, als wir den Abzweiger erreichen. Etwa 500 Meter marschieren wir über eine festgefahrene Sandpiste. Schon von Weitem sehen wir Lichter. Wir sind nicht alleine. Unsere motorisierten „Freunde“ beenden anscheinend das Wochenende auf diesem Campingplatz. Da stehen etliche Wohnmobile, Jeeps mit Anhängern und Spaß-Fahrzeugen drauf. Überall rattern die Generatoren, und Musik dröhnt aus Lautsprechern. Ein großes Lagerfeuer wird entfacht, die Unterhaltung der Männer ist nicht gerade leise. Das könnte eine laute Nacht werden. Wie gut, dass wir abends so müde sind.

Etwas abseits geht es zur Wasserstelle. Deswegen sind wir eigentlich nur hier gelandet. Wir MÜSSEN von Wasser zu Wasser planen und laufen. Sauber fließt es durch ein Rohr in einen metallenen Wassertrog. Alle Flaschen werden gefüllt, dann suchen wir uns einen Platz etwas abseits. Es gibt leider keinen Picknicktisch, wir müssen wieder auf dem Boden sitzend kochen und essen. 19.30 Uhr sind wir angekommen, und das fühlt sich inzwischen an wie mitten in der Nacht. Um 21.00 Uhr liegen wir im Schlafsack, während draußen die Party tobt. Vielleicht sollten wir den morgigen Tag mit lauter Musik beginnen, wenn um 5.30 Uhr der Wecker klingelt ?  😉

Schlecht geschlafen, aber nicht wegen der Männer-Party, sondern wegen eiskalter Füße. Der Wasserfilter war im Schlafsack gut aufbewahrt. Milliarden von Sternen stehen noch am Himmel, als ich aus dem Zelt komme. Außerdem sind vier Parzellen auf dem Gelände hell erleuchtet, wo die Camper mit ihren Jeeps und Quads stehen. Die Generatoren laufen immer noch, um Strom für den Kühlschrank und die Fest-Beleuchtung zu erzeugen. Die Isomatte von Thomas hat Luft verloren, da scheint ein Loch drin zu sein. Wiesen und Büsche sind weiß. Es hat wohl wieder gefroren letzte Nacht. Daunenjacke, Mütze, Handschuhe beim Loslaufen. Wir müssen über die Sandpiste zurück zum Trail. Neben der Straße liegt die Karkasse von einem großen Tier mit grau-braunem Fell. Was das wohl gewesen ist ? Ein Reh war es nicht. Vielleicht ein Wildschwein ? Fein säuberlich tranchiert, das Fleisch ist fachmännisch von den Rippen abgeschnitten. Wahrscheinlich lagen die Koteletts gestern Abend auf dem Grill. Es sieht aus, als hätten die Jäger den Kadaver einfach so aus dem fahrenden Auto geworfen. Auf jeden Fall kein schöner Anblick morgens um Viertel nach sieben.

Sehr guter Tagesbeginn auf nettem Waldweg. Es geht ein bisschen auf und ab, aber ohne besondere Mühe. Logisch – in der ersten Etappe ist der Aufstieg immer viel leichter als zum Abend hin. Um Viertel nach acht erreichen uns die ersten Sonnenstrahlen und wärmen das Gesicht. Nur 11 Kilometer, knappe drei Stunden,  bis zur Robin Bird Spring. Dort gibt es ausgezeichnetes Wasser und eine entspannte Pause. Man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Danach geht nicht mehr viel mit Pause. Wir müssen noch weitere 30 Kilometer schaffen, außerdem das Wasser für den ganzen restlichen Tag von hier mitnehmen und schleppen. Mittags erreicht uns eine Wetterwarnung : Überflutungsgefahr in den Tälern. Ab heute Abend, die Nacht hindurch und morgen den ganzen Tag Regen, Regen, Regen. Da muss man sich jetzt nichts vormachen, morgen werden wir richtig nass. Im Moment nur zunehmende Wolkendichte und eiskalter Wind als Vorboten des Unwetters. Der Nachmittag wird erschwert durch umgestürzte Bäume, die quer auf dem Trail liegen und den Weg versperren. Wir müssen drüber klettern oder drumherum gehen, manchmal auch den Rucksack absetzen und auf allen Vieren unten drunter durch krabbeln. Das hält auf. Bereits um 15.00 Uhr merken wir, dass wir es nicht schaffen werden bis zu unserem Wunschziel. Außerdem sieht der Himmel inzwischen gruselig aus. Es könnte jeden Moment anfangen zu regnen. Eine Echse liegt mitten auf dem Pfad. Auf den ersten Blick sieht sie aus wie eine zu kurz geratene Schlange. Das Muster stimmt, aber vier Beine verraten das Reptil als Alligator Lizard. Gut getarnt in den Farben des Herbstes, beinahe wäre ich drauf getreten. Die Echse rührt sich nicht vom Fleck. Entweder ist sie schon in Kältestarre, oder das gehört auch zu ihrer Tarnung.

Ein Pfeil aus Bierdosen und ein Schild am Wegweiser zeigen uns den Weg zu einer ganz besonderen Trail Magic. Vorgenommen hatten wir uns eigentlich, noch zwei Stunden weiter zu laufen, das wären 8-10 Kilometer mehr. Ich bin unsicher, will eigentlich nicht diesen Umweg machen für eine Dose Bier, sondern lieber noch ein paar Meilen machen. Ich warte auf Thomas. Der wittert Essen und möchte unbedingt den Abzweiger zur Trail Magic nehmen. Recht hat er natürlich, das gibt es viel zu selten für SoBos. Außerdem sind wir jetzt schon knapp mit dem Proviant, haben aber noch 4 Tage vor uns bis Hikertown. Vielleicht gibt es nicht nur Bier, sondern auch etwas Gescheites zu essen ? Wir werden von zwei temperamentvollen Hunden begrüßt. „Ranger“ und „Willow“ sind Golden Retriever, einer schwarz und einer blond. Gastgeber sind die Eltern von „Peaches“. Ihrem Freund „Shaggy“ gehört die HELIX Brauerei in San Diego, deswegen der Bier-Segen auf dieser Party. Insgesamt 12 junge Leute sind seit einigen Tagen zusammen unterwegs und werden von den Eltern und Lance, einem Freund der Familie, unterstützt. Nach und nach trudeln alle ein.

Es gibt das volle Programm. Kleine Häppchen als Vorspeise, Steak, Folienkartoffel, geröstetes Brot, Salat, Butter, Saucen, dazu einen ganzen Tisch voll mit Sachen zum Mitnehmen. Ein Paar Socken bekomme ich geschenkt, und man könnte noch viel mehr aus der Kiste mitnehmen. Unsere Proviantbeutel sind wieder voll. Ölsardinen, Wiener Würstchen, Kekse, Müsli-Riegel, Bananen zum Frühstück, Kakao mit extra viel Protein. Zum Nachtisch gibt es Strawberry Cheesecake und Hägen Daz Eiscreme. Unfassbar ! Supernette Gastgeber und eine tolle Runde von jungen Hikern. 🙂 Ganz nebenbei bekommen wir den allerneuesten Wetterbericht geliefert. Der sieht gar nicht gut aus. Schnee oberhalb von 6000′ Fuß bzw. 2000 Metern Höhe. Wir stehen gerade auf 5800′ Fuß. Minus 7 Grad Nacht-Temperatur in den Sierras. Das hört sich an wie früher Wintereinbruch.

Um 21.00 Uhr finden wir endlich den Absprung. Satt und einige Dosen Bier intus suchen wir unser Zelt, welches wir ganz bewusst weiter unten aufgestellt haben. Für’s Frühstück mit der Gruppe haben wir uns abgemeldet. So gesellig bin ich nicht, dass ich ein Dutzend Leute schon früh morgens ertrage. 😉

Gestern sind wir noch trocken „nach Hause“ gekommen, aber kaum sind wir im Zelt, da fängt es an zu regnen. Eigentlich ganz gemütlich, wenn man im warmen Schlafsack liegt. Mitten in der Nacht prasselt es heftig auf’s Zelt. Die Motivation, bei diesem Wetter zu laufen, ist nicht besonders groß. Wir haben festgestellt, dass wir fünf Abende nacheinander erst spät Feierabend hatten und unser Zelt im Dunkeln aufstellen mussten. Da hört ja fast der Spaß auf. Also heute machen wir etwas weniger Stunden. Ausnahmsweise haben wir uns keinen Wecker gestellt und dürfen ausschlafen. Es regnet, als wenn es nicht mehr aufhören würde. Wir schlafen bis um 8.00 Uhr, trinken gemütlich zwei Kaffee im Schlafsack, essen dazu Kekse von der Trail Magic. Sonst gönnen wir uns morgens nicht so die Ruhe, sondern wollen los. Irgendwann gibt es keine Ausreden mehr, schließlich können wir nicht den ganzen Tag liegenbleiben. Dann beginnt das Kunststück, zu zweit nebeneinander im engen Zelt die Luftmatratzen einzurollen und zu packen. Inzwischen haben sich Pfützen in den Ecken gebildet. Die Daunenjacke von Thomas und einige andere Sachen sind nass, unsere Isomatten auch. Es dauert länger als gewöhnlich, bis wir unseren Kram sortiert haben, denn heute muss alles gut wasserdicht sein. Dann das Zelt, so triefnass von innen und außen war es noch nie. Nützt ja nichts, irgendwie muss das gefaltet und eingepackt werden. Inzwischen habe ich das Gefühl, dass mein Regenzeug schon nicht mehr dicht ist.

Wir laufen los mit schwerem nassen Rucksack. Schon eine Viertelstunde nach dem Start zerreißt es meine Regenhose. Links und rechts vom Pfad stehen harte Dornensträucher, durch die wir uns zwängen müssen. Auf einmal klafft ein 30 Zentimeter langer Riss unten am Hosenbein. Kann man vielleicht kleben für die letzten paar Wochen, danach kommt die Regenhose in den Müll. Wir steigen ein bisschen auf, sind etwa eine Stunde unterwegs, da fängt es an zu schneien. Dicke weiße Flocken wirbeln um uns herum. Wir müssen an Shortcut und Houdini denken, die gerade mitten in den Sierras stecken. Wenn das Wetter dort auch so schlecht ist, dann muss das ganz furchtbar sein in der Höhe. Nach einer Weile wird aus dem Schnee Hagel, der sich sogar noch kälter anfühlt. Besonders hässlich ist es, wenn Wind, Schnee oder Hagel von vorne kommen. Kapuze tief ins Gesicht und schnell laufen, da müssen wir jetzt durch.

Thomas sieht ein paar größere Tiere, ganz neue Sorte mit grauem Fell. Google Lens sagt : Kalifornischer Maultier-Hirsch. Das würde zu dem Tierkadaver gestern früh am Straßenrand passen. Schon länger haben wir ein Geräusch gehört, das wir gar nicht einordnen konnten. Plötzlich taucht ein Windrad vor uns aus dem Nebel auf. Und dann noch viel mehr, zu allen Seiten stehen Windräder an den Hängen und drehen sich. Das laute Summen der Rotorblätter ist ein ungewohnter Ton in dieser einsamen Natur. Aber wir freuen uns darüber, dass hier mit Windkraft Energie erzeugt wird. Und es kommt noch besser. Östlich von uns liegt der Ort Mojave. Das ganze Tal ist mit Solaranlagen gepflastert, so weit das Auge reicht. Also wird auch die Sonnenenergie ausgiebig genutzt. Sehr schlau. Sonne sollte eigentlich genug da sein in der Wüste – nur heute gerade mal nicht.

Mittlerweile ist es 15.00 Uhr, und es tröpfelt nur noch. Endlich haben wir die Wasserquelle erreicht. Die Golden Oaks Spring ist eine Enttäuschung. Das Wasser im Trog sieht gar nicht gut aus. Es fließt nicht, ist von hellbrauner Farbe und irgendwie schmierig. Aber man darf nicht wählerisch sein. Thomas muss 7 Liter Wasser durch den Filter pressen. Das dauert. Inzwischen ist uns so kalt geworden, dass wir heißen Kakao kochen. Dazu essen wir jeder eine Dose Ölsardinen und eine Banane, beides aus der Trail Magic von gestern. Und weiter geht’s. Der starke Regen hat tiefe Rinnen in den Weg gegraben. Manche Gräben sind einen halben Meter breit. Es regnet nicht mehr, aber das Laufen im Schlamm ist rutschig und zäh. Der Matsch klebt an den Schuhen wie Lehm. Die Füße werden immer schwerer.

Am Nachmittag sind wir bereits wieder fast so hoch wie die Gipfel, auf denen der Neuschnee liegen geblieben ist. Immer noch führt der schlammige Pfad bergauf. Es hört einfach nicht auf. Dabei hätten wir uns so gewünscht, dass wir tiefer nach unten kommen, wo die Temperatur etwas angenehmer ist. An einer einsamen Landstraße finden wir noch bei Tageslicht einen brauchbaren Platz, stellen das nasse Zelt auf und hängen die tropfenden Klamotten in die Bäume. Wir brauchen unbedingt Sonne ! Schon wieder 1000 Höhenmeter Aufstieg auf einer Distanz von 25 Kilometern. Und wir haben den ganzen Tag keinen Menschen auf dem Trail gesehen. Anscheinend sind wir die einzigen Hiker, die bei diesem Wetter unterwegs sind.

Wir wachen in einem immer noch nassen Zelt auf. Selbst die Schlafsäcke fühlen sich feucht an. Die Isomatte von Thomas hat mächtig viel Luft verloren. Er musste mehrmals während der Nacht aufblasen. Bei einer platten Matratze merkt man die Kälte vom Boden so sehr, dass man davon aufwacht. Draußen ist es neblig, und es weht ein scharfer Wind. Von unseren im Baum aufgehängten Kleidungsstücken ist gar nichts getrocknet. Die Schuhe sind genauso nass wie gestern, nur kälter. Sehr unangenehm beim Anziehen, aber beim Laufen fühlt es sich nur noch halb so schlimm an. Wir hoffen auf Sonne. Falls die sich heute gar nicht blicken lässt, werden wir am Nachmittag nach Tehatchapi aussteigen, denn wir müssen unbedingt das Zelt und unsere Kleidung trocknen.

Ein Blick ins Höhenprofil zeigt uns, dass wir bis zur Pause 500 Höhenmeter Aufstieg und 700 Abstieg zu erwarten haben. Es sind 20 Kilometer bis zum nächsten water cache, also müssen wir 3 Liter tragen. Wir starten bergauf, dabei wird es einem normalerweise schnell warm. Mehrere Kilometer stolpern wir auf einer Piste mit tiefen Furchen, die der gestrige Regen ausgewaschen hat. Dazwischen Geröll und Matsch, der an den Schuhen klebt. Da ist nur langsames Vorwärtskommen möglich, so gerne wir auch diese unwirtliche Gegend verlassen möchten. Irgendwie ist das gerade weit außerhalb unserer Komfortzone. Nach gut zwei Stunden bekommt der Trail Ähnlichkeit mit einer Straße. Allerdings war diese wohl gestern überflutet, heute stehen immer noch tiefe Pfützen in den Senken und versperren den Weg. Pause gibt es nicht, es ist viel zu kalt. Der dichte Nebel und der Wind, der uns von vorne um die Ohren weht, treiben uns an.

Tatsächlich sieht es bis um 11.00 Uhr nur grau aus, zwischendurch fallen sogar ein paar Schneeflocken. Dann sind wir über den höchsten Punkt hinaus und beginnen mit dem Abstieg. Die Wolken lichten sich, es wird heller und etwas wärmer. Wir haben die Klimazone der Joshua Tree Palme erreicht. Von oben können wir einen kleinen Ort, einen Flughafen, Bahngleise und eine große Straße mit viel Verkehr erkennen. Und Windräder. Mehr, als man sich vorstellen kann. Auf jedem Hügel stehen welche. Es wirkt etwas futuristisch, aber noch nicht einmal störend in dieser kargen Landschaft.

Die letzten 3 Kilometer laufen wir parallel zum Highway 58. Eine Riesenspinne krabbelt vor mir her. Die ist wirklich groß, ungefähr 10 Zentimeter im Durchmesser und ziemlich haarig. Bei Tageslicht und mit Abstand betrachtet ganz interessant. Wenn die mir aber im Dunkeln begegnen oder mir zu nahe kommen würde …. Ich bin eigentlich Spinnenfreund und trage die vorsichtig nach draußen, aber diese hier würde ich lieber hinter einer Glasscheibe sehen.

Die Sonne zeigt sich pünktlich. Zur Belohnung für 5 Stunden Durchlaufen ohne Pause gibt es Trail Magic Wasser. Sogar Limonaden-Pulver mit Zitronengeschmack steht daneben. Eine große Mülltüte hängt dort, darüber freut sich jeder Hiker. Und zwei halbwegs bequeme Stühle, das ist viel besser, als auf dem Boden zu sitzen. Wir leeren unsere Rucksäcke, breiten alles aus, hängen die nassen Sachen auf, stellen unser Zelt auf. Thomas holt das Flickzeug heraus und repariert seine Luftmatratze. Es ist irre laut. Der Verkehr auf dem Highway und auch der hartnäckige Wind machen eine Unterhaltung fast unmöglich. Die Stimmung ist angespannt. Ich bin genervt. So viel schlechtes Wetter auf dieser Etappe. Tag und Nacht friere ich, schlafe schlecht, bin müde. Ich jammere und nörgele so lange, bis Thomas vorschlägt, dass wir abbrechen und nach Hause fliegen. Nein, das will ich nicht ! Ich möchte bis zum Ende laufen, bis an die Grenze nach Mexiko. Und wo ist überhaupt „zu Hause“ ? 

Für einen kurzen Moment haben wir Internet. Die beste Nachricht des Tages : Unsere Freunde Shortcut und Houdini haben es über den Bishop Pass geschafft und sind raus aus den Sierras. Das Winterwetter hat wohl die meisten Hiker zur Planänderung getrieben. Schade, aber Vernunft siegt, und Sicherheit geht vor. Ein Wiedersehen ist also nicht ausgeschlossen, uns trennen jetzt nur noch wenige Tage. Wir treffen eine junge Frau, die nach dem Unwetter erst heute zurück auf den PCT gegangen ist. Sie erzählt uns, dass in den Sierras 50 Zentimeter Neuschnee gefallen sind. Dieser Schnee wird vermutlich auch nicht mehr ganz wegtauen, so dass der Weg für alle SoBo-Hiker sehr schwierig wird. Wir sind froh, dass wir rechtzeitig durchgekommen sind. Heute ist der 15.10., und in den Sierras herrscht seit ein paar Tagen Winter.

Nach über zwei Stunden Pause sind alle Schäden behoben, es kann weitergehen. Wir sind schon durch den Sand Canyon und Cameron Canyon, das Abendziel soll der Oak Creek Canyon in 13 Kilometern sein. Wieder vom Wasser bestimmt, anders funktioniert die Planung gerade nicht. Wir hoffen darauf, dass Trail Angel nachfüllen, wenn das Depot leer ist. Bis dahin führt ein schmaler Weg durch das Gebiet der Windkraft-Anlagen. Es geht über jeden Hügel, anscheinend auch Weideland, denn wir öffnen und schließen unzählige Gatter. In der Ferne sehen wir hohe Berge, wo erstaunlich viel Neuschnee auf den Gipfel liegt. Am Oak Creek Canyon finden wir ca. 20 Behälter mit Trinkwasser, dazu wieder Limonaden-Pulver, einen Müllsack, Picknicktisch und zwei Stühle. Genial. Daneben ist Platz für ein Zelt. Schon nach 18.00 Uhr, da können wir gleich bleiben. Es wird bestimmt keine stille Nacht, umgeben von Wind-Turbinen und den Verkehrsgeräuschen der nahen Straße.

Endlich einmal ein Tag, an dem wir ganz entspannt und gut gelaunt aufstehen. Irgendwann während der Nacht haben wir beschlossen, dass wir den Wecker abstellen. Ausschlafen bis um Viertel nach sechs. Dann gibt es gemütlich zwei Tassen Kaffee und Kekse im Schlafsack. Ich friere ausnahmsweise nicht, als ich aus dem Zelt komme. Das hebt die Stimmung ungemein. Der Picknicktisch macht es möglich, dass wir sauber und total bequem packen können. Und wir laufen zum ersten Mal in dieser Etappe morgens gleich ohne Daunenjacke los. Alles wieder gut. Schon um halb acht zeigt sich die Sonne. Das könnte ein toller Tag werden. Wir lassen das Gebiet der Windräder hinter uns. Irgendwie hatten wir uns an diesen Anblick gewöhnt. Jetzt haben wir trockenes Farmland um uns herum. Wachsen hier etwa Kürbisse ? Es sieht fast so aus, auch wenn die sehr klein und angefroren wirken. Tiefe Gräben tun sich auf, das sind die sogenannten „Ravines“. Manchmal sind diese Schluchten etwas schwierig zu umgehen. Dann muss man unter einem Zaun hindurch und über Nachbars Grundstück versuchen, den Graben an anderer Stelle zu überspringen. Oder aber tief hinabsteigen und auf der anderen Seite der Schlucht wieder hochklettern.

Es liegen 15 Kilometer vor uns bis zu einem Platz, an dem vielleicht Wasser steht. Die Kommentare in unserer App sagen, dass gestern nichts mehr da war. Das haben wir heute früh erst gelesen und waren schockiert. Würde bedeuten, dass wir 47 Kilometer mit je einem Liter auskommen müssen. Schon von weitem entdecken wir ein paar bunte Flecken in der Landschaft. Beim Näherkommen zeigt sich ein nettes Arrangement aus Campingstühlen, Tischen, Sonnenschirm. Es gibt mehrere Schränke mit überraschendem Inhalt wie 3-Minuten-Nudeln, kleine Tüten Chips, Tampons, Spiele, Bücher. Und Wasser ! 30 Gallonen Wasser, das sind über 100 Liter, wurden heute früh vom Trail Angel aufgefüllt. Das rettet uns den Tag und macht den Weg durch die Wüste leichter. Super Platz für eine lange Pause unter’m Sonnenschirm. Fast wie im Café. 🙂 Als Zugabe gibt es einen unverbauten Blick auf das Tal mit seinen Salz-Seen und die mit Schnee bedeckten Berge. Einfach fantastisch ! Und es zeigt mal wieder, wie schnell sich das Blatt wenden kann. Gestern noch „keine Lust mehr“ und heute das pure Glück. 🙂 Für den weiteren Weg nehmen wir 4 Liter Wasser mit. Zum Schluss werfen wir 5,- Dollar in die Spendendose. Das Geld wird wahrscheinlich den nächsten Hikern zugute kommen.

Bis zur Pause sind wir bereits 900 Höhenmeter schleichend aufgestiegen. Nicht steil, sondern um jeden Hügel und immer etwas weiter nach oben. Sehr einfaches Gelände, das wird ein richtig schneller Marsch. Am Nachmittag tragen wir uns in ein Trail Register ein und schauen, wer von unseren Bekannten in den letzten Tagen durch ist. Immer interessant, wenn man sieht, wer voraus ist. Kurz vor Sonnenuntergang wird mitten auf dem Trail gekocht und gegessen, bevor es richtig kalt wird. Wir wollen heute ein paar Stunden länger laufen, weil das Aquädukt vor uns liegt. Das ist eine unterirdische Wasserleitung, die bis nach Los Angeles verläuft. Wir haben uns nach dem Abendessen gut angezogen, weil wir sonst ab 18.00 Uhr immer gefroren haben. Aber heute steigen wir nur noch ab, und es wird immer milder. Ein schmaler Pfad am Hang entlang geht über in einen breiteren Weg abwärts. Alles ist gut mit Stirnlampe zu laufen. Zu beiden Seiten wachsen mehr und mehr Wüstenpflanzen, Joshua Tree Palmen und verschiedene Kakteenarten. Ich komme mir vor wie in einem botanischen Garten. Es duftet nach Sauna-Aufguss. Der Himmel ist sternenklar. Aber nicht nur die Sterne funkeln, aus den Büschen leuchten die Augen von irgendwelchen Tieren. Das ist spannend bei einer Nachtwanderung, denn im Schein unserer Lampen sieht man mehr von der sonst verborgenen Tierwelt. Ein paar Mäuse kreuzen unseren Weg. In einem dichten Baum leuchtet ein Augenpaar. Als wir näherkommen, da löst sich eine große Wildkatze aus der Dunkelheit und nimmt reißaus. Es könnte ein Luchs gewesen sein. Silberne glänzende Augen auch in einem Gebüsch weiter hinten. Das Tier bleibt dort hocken und rührt sich nicht aus seinem Versteck heraus.

Eine Brücke führt über den Cottonwood Creek. Dahinter sollte unsere nächste Wasserquelle sein. Thomas findet die Wasserpumpe auch, aber anscheinend ist sie abgestellt. Er muss im Dunkeln den Hang hinunter turnen und Wasser aus dem Fluss holen. Sieht trübe aus, also unbedingt filtern vor dem Trinken. Eine Stunde laufen wir auf dem Aquädukt, einer viereckigen Betonröhre, wie auf einer Straße. Völlig verrückt ist die Vorstellung, dass hier so viel Wasser unter uns ist und nach Los Angeles geleitet wird, während die Hiker sich über jeden Tropfen Trinkwasser freuen würden. Das soll 32 Kilometer so gehen. Eine monotone Strecke und bei Sonnenschein sehr heiß, weswegen viele der jungen Leute diesen Teil über Nacht laufen. Um 22.00 Uhr finden wir einen geraden Platz etwas abseits vom Aquädukt. Feierabend. 1300 Höhenmeter Aufstieg und 1600 Abstieg. Perfekter Tag.

Während der Nacht hat die Isomatte von Thomas wieder Luft verloren. Nicht so viel wie vor der Reparatur, sie musste aber doch mehrmals wieder aufgeblasen werden. Vielleicht ist noch ein weiteres Loch drin, oder die behelfsmäßige Reparatur ist nicht perfekt gelungen. Da muss man nacharbeiten. Flickzeug haben wir genügend dabei.

Hikertown ist nur noch 27 Kilometer entfernt. Das wird relativ schnell gehen, wenn wir weiterhin geradeaus auf der Betonröhre marschieren. Das Wetter ist gnädig. Die Sonne scheint zwar, aber der Himmel ist ein bisschen diesig, und es weht ein leichter Wind. Nicht zu heiß. Fast 7 Stunden laufen wir, nur eine halbe Stunde Pause zwischendurch. Es gibt keinen Schattenplatz. Im Sand sind deutliche Abdrücke von Pfoten zu erkennen. Die Spuren sind viel größer als die von Hunden oder Katzen, wahrscheinlich von einem Puma.

Das Hikertown Hostel hatten wir uns irgendwie anders vorgestellt, sogar auf ein Zimmer und eine Dusche gehofft. Aber das gibt es wohl nicht. Wir gehen zunächst ins „Hotel“ und setzen uns eine Weile auf die zerschlissenen Sessel. Die Kissen sind schmutzig, so wie der Rest auch. Das Paket an uns liegt mit mehreren anderen auf einem Regal. Unser Proviant für die nächsten 4 Tage. 🙂  Ich laufe eine Weile durch das Freiluft-Museum und mache Fotos. Das ganze Gelände wirkt heruntergekommen und irgendwie kitschig. Wir nehmen unser Paket mit. Würden ja gerne Bescheid sagen, aber wir sehen keinen Menschen, obwohl wir ungefähr eine Stunde dort sind. Wir verstecken uns nicht, die Rucksäcke stehen deutlich sichtbar draußen. Ein Schild sagt, man soll sich bei Bob im „Sheriff“ Büro anmelden, aber auch dieser Versuch scheitert. Keiner da. Zwei Autos stehen auf dem Grundstück, ein schickes Privathaus ist eingezäunt. Ich habe das Gefühl, die haben uns wohl gesehen, aber möchten heute keine Gäste. Dusche und Toilette sehen aus, als wären sie seit Wochen nicht geputzt worden. Es gibt keine Seife und kein Toilettenpapier. Im Notfall würde es gehen, aber lieber versuchen wir die andere Option. Beim kleinen Laden im nächsten Dorf soll man kostenlos zelten und duschen können. Die bieten sogar Abholung an. Niemand erreichbar, obwohl wir drei Telefonnummern haben. Das ist schon ein bisschen frustrierend. Die letzte Stunde bis Hikertown haben wir uns nur noch so durch die Hitze geschleppt und hatten die Vorstellung, gleich mit einem kalten Getränk am Picknicktisch im Schatten zu sitzen. 🙁 

Trampen ist mühsam. Unheimlich viele Autos brausen viel zu schnell vorbei. Wir stehen an einer Haupt-Verkehrsader. Die Durchreisenden halten garantiert nicht an. Nur die Ortskundigen können wissen, dass wir Hiker sind und lediglich 5 Kilometer weiter bis zum Laden möchten. Etwa eine Stunde lang stehen wir in der prallen Sonne und halten den Daumen raus. Läuft gerade nicht so wie erwartet. Endlich hält ein Wagen. Spanische Musik. Darin sitzt ein netter junger Mann. Er ist Mexikaner, lebt und arbeitet seit einigen Jahren hier in der Nähe. So können wir auch mal wieder ein bisschen Spanisch sprechen.

Auf der schmuddeligen Terrasse des Dorfladens sitzen drei Hiker, die wir bei der Trail Magic Party letzte Woche kennengelernt haben. „Hops“ und „Chips“ aus Schweden und Thailand, außerdem ein Mädel aus Mexiko, dessen Namen wir nicht kennen. Internationales Treffen. Später erscheinen noch „Pickles“ und „Gizmo“ und ein weiterer junger Mann aus der Gruppe. Die Hälfte der jungen Leute ist also gleichauf mit uns. Sie staunen nicht schlecht, dass wir Alten auch schon hier sind. Überall laufen Katzen herum, das sind mindestens sechs Stück, und so riecht es auch. Die Tische könnten gerne einmal abgeputzt werden. Ich mag mein Handy und meine Tasche gar nicht ablegen. Wir bestellen  Burger und Pommes …. Ich kann’s nicht mehr sehen, aber die kulinarischen Fähigkeiten auf den Dörfern gehen nicht weit darüber hinaus. Cola, Kakao und Bier für den Flüssigkeitshaushalt. Jeden Tag Wasser über mehrere Monate, in der Wüste auch noch lauwarm, das ist wirklich nicht lecker. Das Angebot mit dem Zelten wird wohl nichts, denn der Chef ist nicht erreichbar, um ihn zu fragen. Gegen 18.00 Uhr müssen wir an den Rückweg denken, wenn wir heute noch auf den Trail wollen. Die jungen Hiker haben irgendetwas zur Abholung organisiert. Der Mann mit dem Pickup stellt sich als Richard vor und ist anscheinend der Besitzer dieses „Anwesens“. Auf jeden Fall führt er uns zunächst über den Hof und zeigt uns seine Oldtimer-Sammlung. Da stehen beeindruckende Fahrzeuge, die zum Teil schon in Kinofilmen eine Rolle spielten. Leider könnten auch diese kostbaren Stücke ein bisschen mehr Pflege vertragen. Danach bietet Richard uns an, dass wir in seinen „Appartements“ kostenlos übernachten können. Zwei aus der Gruppe schauen sich die Appartements an, ziehen es dann aber doch vor, irgendwo draußen zu zelten. Sie sagen, es sieht „Messi“ aus und überall seien Katzen. Hatten wir uns genauso gedacht. Auf jeden Fall dürfen wir mitfahren nach Hikertown. Außer dem Fahrer passen nur fünf Leute vorne in den Wagen. Wir quetschen uns zu Dritt mit den Rucksäcken hinten auf die offene Ladefläche. Ist natürlich nicht erlaubt, wir sollen uns ducken. Ich rutsche noch tiefer, ziehe meine Kapuze über den Kopf und mag gar nicht hinsehen. Richards Fahrstil macht mich nervös. Aber es sind nur 5 Kilometer, wir haben es überlebt.

Eine ausgesprochen hübsche Frau, die aussieht wie eine Mischung aus Hippie und Indianer-Squaw, kommt auf uns zugeschwebt. Sie wohnt anscheinend in der zweiten Reihe, in einem heruntergekommenen Camper im Hinterhof von Hikertown. Dem Redeschwall nach zu urteilen scheint sie völlig unter Strom zu stehen. Irgendwie ist das alles ziemlich schräg. Wir verabschieden uns, satteln unsere Rucksäcke auf und verschwinden. Schnell weg. Die sind alle ein bisschen verrückt hier. Da gehen wir lieber wieder in die Natur.

Um 19.00 Uhr ist es bereits stockdunkel. Nach einer knappen Stunde finden wir einen Zeltplatz am Wegesrand. War leider nichts mit sauberem Bett, Dusche, Waschmaschine, Internet. Aber das schlimmste ist, dass wir unsere Elektrogeräte nicht laden konnten und noch mehr als eine Woche vor uns liegt. Beim Laden gab es nur eine Steckdose für uns. In der kurzen Zeit, die wir dort mit Essen und Trinken verbracht haben, ist die Powerbank noch nicht einmal zur Hälfte voll geworden. Das könnte demnächst eng werden mit dem Strom.

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