Wir haben uns sehr wohl gefühlt im Cozy Cottage von „Pyjama Mama“. Sie kennt die Bedürfnisse der Hiker und hält so manche Aufmerksamkeiten bereit. Vor der Eingangstür an der Wand haben wir ein Schild entdeckt, auf dem unsere Trail-Namen stehen. Kleine Ursache, große Wirkung. Ein herzliches Willkommen ! Wir freuen uns sehr darüber.

Im Schrank gibt es Leih-Wäsche, die man anziehen kann, während die eigene Kleidung in der Waschmaschine ist. Wirklich praktisch, weil man eigentlich keine sauberen Sachen zum Wechseln hat. Ich mag den bunten Pyjama und möchte ihn am liebsten mitnehmen. Besonders geschätzt haben wir die komplett ausgestattete Küche, in der mein Lieblingskoch sich richtig austoben konnte. In zwei Tagen haben wir 30 Eier und 14 Frikadellen gegessen. Ist das normal ? Ja. Wir brauchen Protein. Es gab natürlich auch jeden Abend eine große Schüssel gemischten Salat und 2 x TK-Pizza. Backofen macht’s möglich. 🙂

Laut Wetterbericht haben wir jeden Tag 10 Stunden Sonne zu erwarten – das wäre dann von 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr. Kein Tropfen Regen. Es bleibt trocken und staubig. Der neue Abschnitt beginnt mit 6 Kilometern und 600 Höhenmetern Aufstieg über den Acorn Trail. Um 12.00 Uhr sind wir zurück auf dem PCT. Einfacher Weg, zumeist bergab. Schnelles Vorwärtskommen. Ich frage mich, ob diese Gegend im Frühjahr oder Sommer etwas attraktiver aussieht. Vielleicht ein bisschen mehr Grün oder ein paar blühende Pflanzen ? Wir sehen zwei Kolibris. Die sind ja unheimlich niedlich, diese Zwerge. Aber das war’s dann auch. Sonst nichts. Langweilig. Süd-Kalifornien gehört nicht zu unseren Favoriten.


Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wir eine Straße, an der es Unmengen von Trinkwasser gibt. Dieser Trail Angel hat das Depot gestern erst aufgefüllt. Außerdem stehen dort einige Stühle, damit die durstigen Hiker sich ausruhen können. Wir suchen und finden einen Zeltplatz ganz in der Nähe. Drei Stühle leihen wir uns aus und stellen sie vor’s Zelt, damit wir beim Abendessen bequem sitzen können. Das wird ein schönes Picknick unter’m Sternenhimmel. 🙂 Seit heute Mittag 1800 Höhenmeter im Abstieg. So viel hatten wir noch nie an einem Stück. Bin mal gespannt, wann wir die wieder aufsteigen müssen.

Früh unterwegs, und das wird auch so bleiben bis zur Grenze nach Mexiko. Heute lockt ein Frühstück bei McDonald’s. Nichts Besonderes, weder gesund noch lecker, aber diese Gelegenheit nimmt jeder Hiker wahr. Bis dahin liegen knapp 10 Kilometer vor uns. Wir drehen wieder unsere langweiligen Kurven am Hang. Ein Hügel nach dem anderen wird abgelatscht. Was für eine irrsinnige Verlängerung des Weges ! Und es geht anscheinend immer über den höchsten Punkt. Thomas nennt das „Blödsinns-Schleifen“. Pausenlos tutet es laut unter uns. Der Güterverkehr auf Schienen rollt vorbei. Fünf Lokomotiven ziehen eine ewig lange Kette von Waggons. Das müssen mindestens 150 angehängte Wagen sein. Wir können ein und denselben Zug gleich an vier Stellen sehen, denn er muss sich genauso durch die Landschaft schlängeln wie wir. Links der Anfang mit den fünf Zugmaschinen, ganz rechts das Ende, und dazwischen drei Hügel. Vier Gleise liegen direkt nebeneinander. Auf einem anderen Schienenstrang kommt von hinten ein kürzerer Zug und überholt. Dieser hat nur zwei Lokomotiven vorne und entsprechend weniger Waggons. Im Hintergrund verlaufen zwei Autobahnen parallel übereinander am Berg. Die eine Blechlawine fährt nach Westen, die andere bewegt sich nach Osten. Ohne Pause, ohne Lücke, Stoßstange an Stoßstange. Unglaublich, dieser viele Verkehr !

Unter den Eisenbahn-Schienen suchen wir eine Unterführung. Danach ist die Wegführung nicht ganz klar. Wir verhaspeln uns zwischen Bäumen und zugewachsen Pfaden. Zweimal geht es über einen Bach mit Schmuddelwasser, dann haben wir plötzlich die Betonwand der Autobahn vor uns. Alles ist zugemüllt. Wir folgen trotzdem der Mauer und landen vor einem weiteren Tunnel. Sehr niedrig, dunkel und feucht, aber er bringt uns auf die andere Seite. Ein kleiner Umweg von einem Kilometer, dann haben wir unser Ziel für die erste Pause erreicht. Um 9.00 Uhr sitzen wir bei McDonald’s. Haben gerade unser Frühstück bestellt, da kommen zwei Hiker aus der Anfangszeit zur Tür herein. Rachel und Brian haben wir mehrmals in Washington getroffen, also in den ersten 4 Wochen auf dem PCT. Inzwischen haben die jungen Leute ihre Trail-Namen bekommen und nennen sich „Picky and Lunch“. Sehr nett, sich wiederzusehen und ein paar Geschichten auszutauschen. 🙂

Am späten Nachmittag laufen wir auf einem seitlichen Abzweiger hinunter bis zur Cleghorn Picnic Area. Da liegt ein stattlicher Bärenhaufen neben den Picknick-Tischen, der ganz sicher von einem ausgewachsenen Bären stammt. Bisher waren es immer eher kleine Exemplare, wenn wir Spuren gesehen haben. Das ganze Erholungsgebiet ist abgesperrt und mit Verbotsschildern bestückt. Hier hat es großflächig gebrannt, und das kann noch gar nicht so lange her sein. Es ist überhaupt keine neue Vegetation zu sehen, bisher wächst nicht ein einziger Halm. So etwas wirkt immer ziemlich trostlos. Es gibt einen funktionierenden Wasserspender, obwohl der Park zur Zeit gar nicht genutzt werden darf. Darauf hatten wir gehofft und füllen alle unsere Flaschen. Das Wasser schmeckt gechlort, sind wir gar nicht gewohnt. Wir tragen zwei Stunden lang die volle Ladung und laufen damit bis in die Dunkelheit. Oberhalb des Silverwood Lake finden wir ein Plätzchen für die Nacht. Die Luft ist mild. Wir können draußen kochen und essen, ohne zu frieren.

Der PCT verläuft eine kurze Strecke neben dem Highway. Am Rande der Fahrbahn liegt unheimlich viel Müll, besonders leere Bierdosen und Flachmänner. Richtig hässlich. Es gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 80 Kilometern pro Stunde. Schnell genug, um Tiere tot zu fahren. Wir sehen ein schwarz-weißes Fellbündel am Straßenrand, was vermutlich mal ein niedliches Hündchen gewesen ist. Etwas weiter dann noch ein Stück braunes Fell, es sieht ebenfalls nach Hund aus. 🙁 Ein Auto kommt von hinten, wendet und hält an. Der Fahrer drückt jedem von uns eine Flasche Wasser in die Hand. Das macht Freude, so etwas erlebt man natürlich nur neben der Straße.

Pause gibt es nach 15 Kilometern am Deep Creek. Von da aus steigen wir an einer steilen Wand in die Höhe. Harte Nummer in der Mittagshitze. So haben wir lange nicht geschwitzt. Endlich wieder Natur pur. Keine Straßen, keine Schienen und keine Häuser in Sicht. Wir folgen dem Verlauf des Deep Creek. Auf einem schmalen Band laufen wir immer an den Felsen entlang. Sehr schön. Wir bleiben oberhalb des Flusses und hören das Wasser rauschen. Zugang dazu haben wir nicht, denn es ist viel zu steil und viel zu tief bis unten in die Schlucht. Direkt am PCT liegen natürliche Hot Springs. Da ist eine Menge los, obwohl es gar kein Wochenende ist. Auf den ersten Blick zählen wir etwa ein Dutzend Menschen. Ein paar Hiker, die wir in den letzten Tagen um uns hatten, sind auch hier.


Zum Glück gibt es verschiedene Becken, viel Grün und einige Felsen als Sichtschutz drumherum. Privatsphäre hat man nicht, aber so sieht man wenigstens nicht alle Leute auf einmal. Wir steigen in einen Hot Pool und sitzen tatsächlich ein paar Minuten alleine im heißen Wasser. Dann bekommen wir Besuch, erst ein nackter Mann, dann noch einer …. In diesen Hot Springs wird FKK praktiziert, was sonst im prüden Amerika eher nicht der Fall ist. Für uns reicht das auch mit Entspannung. Wir wechseln in das große Becken, wo das Wasser erstaunlicherweise kalt ist und außerdem tief genug, um ein paar Meter zu schwimmen. Nach einer Stunde abwechselnd warm und kalt sind wir zurück auf dem Trail.

Immer noch oder schon wieder geht es bergauf. Insgesamt kommen wir heute auf 1300 Höhenmeter Anstieg. Die Landschaft wird immer wilder. Der Weg führt rauf und runter über Felsen und Geröll, gelegentlich durch ein trockenes Bachbett oder ganz weit oben über eine Brücke. Es sieht nicht nach Zivilisation aus. Wahrscheinlich laufen nur noch ein paar wenige PCT Hiker diese Route. Um 18.00 Uhr ist es dunkel. Die letzten 5 Kilometer müssen wir mit dem Licht der Stirnlampen laufen. Ein paar umgestürzte Bäume blockieren den Trail. Im Dunkeln klettern habe ich gar nicht so gerne, aber ein Stückchen müssen wir noch weiter. Die Augen der Tiere blitzen wie letztens in der Wüste bei Nacht. Wir sehen zwei leuchtende Augenpaare auf einem Felsen sitzen. Beim Näherkommen erkennen wir im Schein unserer Lampen zwei Luchse. Faszinierend. 🙂
Vor einer Brücke zweigt ein Trampelpfad nach unten ab zum Deep Creek. Ohne Rucksäcke stolpern wir hinunter, um unsere Flaschen zu füllen. Daneben gibt es gleich mehrere brauchbare Stellen für unser Nachtlager. Das passt gut, ist allerdings verboten. Aus irgendeinem Grund, den wir noch nicht durchschaut haben, sind sowohl der Deep Creek als auch die Wanderwege in der näheren Umgebung gesperrt. Die einzige Ausnahme sind PCT-Hiker mit gültigem Long Distance Permit. Ja, das haben wir. Damit dürfen wir durch dieses Gebiet laufen, aber nicht die Nacht im gesperrten Bereich verbringen. Sowas muss man nicht verstehen. Soll uns auch egal sein. Es gibt sowieso keine Ranger mehr, die kontrollieren. Wir klettern noch einmal hoch, um unsere Rucksäcke zu holen. Um 20.00 Uhr haben wir fertig aufgebaut und Feierabend.

Ein Zeltplatz am Fluss im Canyon ist kalt und feucht, weil hier nie die Sonne scheint. Aufstehen fällt schwer. Aber wir sind eisern und bleiben bei Wecker 5.30 Uhr, nur ein Kaffee und los. Es liegen erneut 1300 Höhenmeter Aufstieg vor uns. Wenn man morgens in die Planung schaut und die Zahlen sieht, dann habe ich schon keine Lust mehr auf noch mehr Hügel. Die Luft ist raus. Der Spaß-Faktor bleibt gerade ein bisschen auf der Strecke.
Der Vormittag beschert uns einen steinigen Weg mit Dornen. Der Pfad ist von beiden Seiten zugewachsen mit stacheligem Zeug, und das schon seit den heißen Quellen gestern Nachmittag. Ungefähr eine Stunde lang versuche ich es in Shorts. No go ! Da zerreiße ich mir lieber meine langen Hosen.

Am frühen Nachmittag erreichen wir die Little Bear Spring, wo sogar ein Picknicktisch steht. Das schreit ja nach einer ausgiebigen Pause. Wir hatten eine Quelle erwartet, die aus einem Rohr plätschert. Stattdessen sieht das Wasser im Steintrog auf den ersten Blick gar nicht so attraktiv aus. Ein paar Algen am Grund und an den Wänden, die Oberfläche ist mit Blättern in bunten Herbstfarben bedeckt. Aber wenn man es vorsichtig entnimmt, dann ist das Wasser herrlich klar und eiskalt. So sauber, dass wir es ungefiltert trinken können. Sehr schön. 🙂 Vorsichtshalber nehmen wir drei Liter Wasser mit, weil wir noch nicht wissen, wo wir zu liegen kommen. Wir tragen zwar nicht gerne, aber damit sind wir heute Abend unabhängig bei der Wahl des Platzes. Außerdem sind die Proviantbeutel inzwischen auffällig leicht geworden. Wir haben bereits 900 Höhenmeter geschafft. Da bleiben ja nur noch 400 für den Rest des Tages. Das fühlt sich gut an.

Leider präsentiert sich der Trail nach unserer Pause an der Quelle wieder zum Abgewöhnen. Hohe Dornenhecken und stachelige Sträucher stehen am Rand und wuchern bis in die Mitte des Weges. Die Spur ist viel zu schmal, um ungeschoren durchzukommen. Fiese Widerhaken bohren sich in die Kleidung. Es piekt und kratzt schlimmer als je zuvor. Erst im Abstieg wird der PCT etwas freundlicher. Auf einfachem Waldweg laufen wir bergab. Big Bear Lake ist gelegentlich schon zwischen den Bäumen zu sehen. Zentimeterhoch liegt das trockene Laub und knistert unter unseren Füßen. Aus der Ferne können wir die Geräusche eines Feuerwerks hören. Es ist der 31. Oktober, da wird Halloween gefeiert. Wir zelten auf 2500 Metern Höhe. Temperatur ist okay.

Morgens haben wir nur noch einen Kilometer bis zum Cougar Crest Trail, über den wir nach Big Bear Lake laufen werden. Einkaufen, Essen, Trinken, und wir müssen irgendwo die Powerbank laden. Mehr haben wir nicht geplant, danach soll es gleich wieder auf den Trail gehen. Bloß keine Zeit verschwenden auf dem Weg zur mexikanischen Grenze. Der Cougar Crest Trail ist toll, weißer Sand mit ein paar Steinen dazwischen. Sehr zu empfehlen. In unserer Richtung können wir ganz locker nach unten traben. Zahlreiche Bänke stehen in jeder Kurve mit Ausblick. „Seniorengerecht“ nenne ich das – so einen Luxus hätten wir auf dem PCT auch gerne. Es ist sehr frisch. Wir müssen tatsächlich Handschuhe und Mütze wieder herausholen.
Schon um 9.00 Uhr morgens sind wir in Big Bear Lake. Verzichten sogar auf unser Frühstück im Diner, weil wir nicht so viel vom Tag verschenken wollen. Im Starbucks trinken wir einen Kaffee und möchten unsere Powerbank laden, aber es gibt keine einzige Steckdose. Wir brauchen unbedingt Strom. Thomas fragt an der Kasse vom Supermarkt und nervt so lange, bis der Kassierer unsere Powerbank anhängt. Der Kaffee im Starbucks ist lecker, aber teuer. Das Internet läuft sehr schleppend, so dass wir lange brauchen, um nur das Allernötigste geregelt zu bekommen. Draußen gibt es zwei Tische, aber die sind ekelhaft schmutzig. Wir legen unsere Plastikfolie darüber, bevor wir unsere Sachen auspacken. Die Tischdecke können wir danach wegschmeißen, so siffig und klebrig ist die von unten. Wir laufen durch drei verschiedene Geschäfte, um unser Zeug einzukaufen. Gas haben wir dann immer noch nicht, dafür muss Thomas noch in einen anderen Laden. Dieses Einkaufszentrum liegt direkt an der Hauptstraße, das bedeutet viel Verkehr und Lärm. Komische Leute lungern bei den Bänken herum. Es stinkt. Die Stadt nervt. Wir wollen zurück auf den Trail.
Nur eine Straßenecke weiter hören wir laute Musik. Dort wehen Fahnen mit blau-weißen Rauten, und auch der Zaun ist in diesen Farben geschmückt. Das sieht irgendwie bayrisch aus. Im Innenhof sind lange Tische und Bänke aufgebaut. Die weiblichen Bedienungen tragen Dirndl-Kleider. Auf einer Bühne spielt eine Band richtig gute Live Musik. Bier-Reklamen und Fressbuden komplettieren das Bild. Tatsächlich hängt da ein Plakat : Oktoberfest ! Warum am 1. November ? Und warum überhaupt ? 😉
Von hinten nähert sich ein Auto und stoppt. Die Frau am Steuer fragt, ob wir auf dem PCT unterwegs sind und ob sie uns irgendwohin bringen soll. Nein danke, wir laufen gerne. 😉 Dann erzählt sie uns noch, dass sie in der letzten Nacht Picky und Lunch bei sich zu Hause beherbergt hat. Vor 3 Tagen bei McDonald’s getroffen, und jetzt wären wir den Beiden fast beim Einkaufen in Bear Lake City begegnet. Houdini und Shortcut sind gestern hier im Ort gewesen. Beinahe hätte es geklappt mit unserem Wiedersehen, aber das kann ja noch was werden. Das Leben der Hiker konzentriert sich gerade auf die wenigen wichtigen Dinge wie Wasserquellen oder Beschaffung von Proviant. Dort trifft man sich. Alle sind schnurstracks unterwegs zur mexikanischen Grenze. Auch wir haben uns das Hotel gespart und auf den Ruhetag verzichtet. Am Abend stellen wir zufrieden fest, dass wir unser Tagespensum trotz Stadt-Aufenthalt geschafft haben.

Die Mediathek ist „kaputt“. 🙁 Ich kann keine Bilder mehr einstellen. Das Problem werden wir unterwegs mit dem Handy nicht lösen, dafür brauchen wir unseren Laptop zu Hause.