Wir befinden uns immer in der Höhe, es ist sehr frisch. Die Wüste Kaliforniens ist weit, weit weg. Die Pikas ( Amerikanische Pfeifhasen ) sind putzmunter, sie freuen sich über die Schneeschmelze. Im Herbst kann man diese possierlichen Tierchen ständig mit Futter im Maul beobachten, weil sie sich dann Vorräte für den Winter anlegen. Inzwischen sehen die Pikas schon ganz wohlgenährt aus bei diesem vielen frischen Grün. Ein schneller Hiker kommt uns entgegen. Wir haben ihn schon von Weitem gehört, weil er ins Tal gejodelt hat. Er ist energiegeladen und gut drauf. Rauchen kann er auch noch beim Wandern trotz seines energischen Schrittes. Na, der hat Spaß. Der junge Mann nennt sich „Tigger“ und ist bereits den CDT gelaufen. Er erzählt uns, dass zwischen unserem nächsten Ort und dem Stevens Pass die Situation noch recht winterlich ist. Tigger hat von einem Freund gehört, der auf dieser Strecke sehr oft seine Eis-Axt eingesetzt hat. Da müssen wir durch, wir haben unser neues Zelt zum Post Office beim übernächsten Stopp schicken lassen.
Um 11.00 Uhr sitzen wir am Picknicktisch bei der Ranger Station am Hart’s Pass. Haben unsere Tasche mit Proviant für die nächsten paar Tage aus der Metall-Box geholt, verteilen neu. Es gibt wieder ein warmes Frühstück. 2-Minuten-Nudeln. Was sonst ? Thomas quatscht einen Autofahrer an, der ein paar Wanderer bringt. Dieser Mann ist so nett und nimmt unseren gesammelten Müll der letzten 5 Tage mit. Am Parkplatz treffen wir Halloween, der uns vorgestern entgegen kam. Er ist gestern raus und per Anhalter ins nächste Dorf, weil er seine Elektrogeräte laden musste. Auch ein junges Paar mit Pudel, die wir bereits vom Sehen kennen, hat die letzte Nacht in Mazama verbracht und startet heute frisch geduscht. Der Hund trägt ein glänzendes silbernes Ganzkörper-Mäntelchen. Eng anliegend und sehr windschnittig. Wir nennen ihn „Astronauten-Pudel“.

Es geht sofort wieder in die Höhe auf einen tollen Weg zwischen hohen Bergen und grünen Bäumen. Die Wildblumen leuchten um die Wette. Zunächst haben wir es mit einem Baum-Mikado zu tun. Hier in der Gegend hat es vor einigen Jahren heftig gebrannt. Immer noch versperren zahlreiche tote Stämme den Weg. Klettern oder drumherum, es bremst ein wenig. Ein unglaublich dickes Schneehuhn sitzt auf einem Baumstamm und lässt sich überhaupt nicht von uns stören. Vielleicht ist da bald Nachwuchs zu erwarten.

Der letzte Pass des Tages ist ziemlich beschwerlich. Einige Felder mit tiefem Schnee bedecken den Pfad. Spuren von anderen Wanderern machen es leicht, den Trail wieder zu finden. Der PCT seit dem Hart’s Pass übertrifft alle unsere Erwartungen. Die Sonne scheint, der Himmel ist klar. Wir wandern auf mehr als 2000 Metern Höhe. Alles ist offen und hell zu beiden Seiten. Es könnte nicht besser sein. 3 Stunden bleiben wir immer schön auf der Ridgeline. Meilenweit kann man schauen und sieht den Verlauf des Weges. Das macht Lust auf mehr. Wir möchten nach Mexiko.

Es folgt ein ewig lang erscheinender Abstieg. Die Uhr sagt allerdings, dass es nur 2 Stunden waren. Knapp 5 Kilometer über einen steinigen Pfad bergab, zum Glück in Serpentinen und damit okay für unsere Knie. Je tiefer wir steigen, umso grüner und dunkler wird es. Unten angekommen beginnt ein dichter Wald. Endlich gibt es wieder flache Stellen zum Campen. Eigentlich wäre es jetzt an der Zeit, einen Platz für die Nacht zu suchen. Aber wir haben nur noch einen halben Liter Wasser. Dabei bleibt es auch. Wir laufen zwar noch etwas weiter, aber die nächste eventuelle Wasserquelle ist 1,5 Stunden entfernt im Aufstieg. Dazu haben wir heute keine Lust mehr. Verzichten also auf’s Kochen am Abend, Kaffee wird es morgen früh auch nicht geben.

Langer guter Schlaf. Morgens früh ist es hier deutlich wärmer als in der Höhe. Schnee leuchtet grellweiß in der Sonne. Wir steigen noch weiter ab. Der Dschungel wird immer dichter. Wir folgen einem sehr schmalen Pfad oberhalb eines Wasserlaufs, völlig zugewachsen. Den Weg durch’s Dickicht müssen wir uns mit den Stöckern frei schaufeln. Das Kraut vom Boden reicht bis zur Hüfte, von oben hängen die Äste der Bäume tief hinunter. Man hört Wasser rauschen, aber es dauert über eine Stunde, bis wir endlich unten am Brush Creek ankommen. Es geht über eine halb verfallene Brücke ans andere Ufer, wo wir einen schönen Pausenplatz finden. Endlich gibt’s Kaffee. Thomas verarztet seine Füße. Nach 5 Tagen auf dem Trail haben sich ein paar empfindliche Stellen gebildet. Diese „Hot Spots“ werden prophylaktisch behandelt, bevor sich Blasen bilden. Noch eine weitere Holzbrücke und eine Traverse zum Methow River. Viele Meilen wandern wir am Fluss entlang. Mehrere Überquerungen auf Trittsteinen sind kein Problem. Der Wasserstand ist so niedrig, dass wir mit trockenen Schuhen auf die andere Seite kommen. Wir überholen Sam und Marc aus England. Nettes Paar. Wir bleiben stehen und quatschen ein paar Minuten. Der Astronauten-Pudel ist eine „Sie“.

Einige Nordflanken sind nach wie vor mit Schnee bedeckt, aber ohne Spikes an den Schuhen gut zu schaffen. Ein Schweizer Taschenmesser liegt vor uns auf dem Weg. Darin eingraviert ist der Name „Sam“. Die sehen wir bestimmt noch wieder. Etwas später liegt eine volle Rolle Hansaplast im Gras. Das könnte Halloween gehören. Der erzählte gestern davon, dass seine Füße so kaputt sind. Das Pflaster nehmen wir also auch mit.
Am Nachmittag haben wir einen langen Aufstieg auf die Ridgeline vor uns. Dieselben Höhenmeter, die wir gestern abgestiegen sind. Wir hadern ein bisschen damit, dass wir so langsam sind und die Anstiege, die wir früher so gerne hatten, inzwischen als mühsam empfinden. Aber wenn man drüber nachdenkt : Seit unserem ersten Long-Trail sind inzwischen 13 Jahre vergangen, beim AT 2012 waren wir noch keine 50. Muss man sich wohl mit abfinden, besser wird es auf jeden Fall noch.

Oben auf dem Methow Pass gibt es einen fantastischen Pausenplatz, aber die Moskitos sind so aggressiv, dass wir drauf verzichten. Auf der anderen Seite der Berge wird es besser. Freie Sicht nach allen Seiten und Sonne satt. Ein steiniger Pfad führt immer am Hang entlang. Links der Berg, rechts geht es steil nach unten. Schnee-frei zum Glück. Andernfalls bräuchte man die komplette Winterausrüstung inklusive Eis-Axt. Das Camp der Engländer mit Hund liegt direkt neben dem Trail. Die haben schon Feierabend gemacht. Wir übergeben das Taschenmesser an Sam. Von Halloween keine Spur. Wagen uns noch an den nächsten Aufstieg, obwohl es unterwegs kein Wasser mehr geben soll. Mossi-verseucht ist der Granit Pass, obwohl dort ringsum nette Plätze zu finden sind. Also weiter ….

Ein Stündchen später Feierabend auf einer Anhöhe mit tollem Ausblick nach allen Seiten. Wir sammeln und schmelzen Schnee, bis wir zwei Flaschen mit Wasser gefüllt haben. Kaffee ist gesichert. Hier schwirren ebenfalls Moskitos ohne Ende, also schnell ab ins Zelt. Nach einer Woche auf dem PCT sind wir gut organisiert. Beim Stauen des Rucksacks findet jedes Teil schnell seinen Platz. Ein Paar Socken ist durch. Meine Hose rutscht.
Früh morgens ist es schon heiß, Sonnenhut und Sonnencreme bereits um 7.30 Uhr. Der PCT führt noch ein gutes Stück weiter in Serpentinen bergauf. Ein steiler Nordhang ist noch völlig mit Schnee bedeckt und erfordert volle Konzentration. Langsam und immer schön waagerecht am Hang entlang hauen wir mit den Schuhen Trittstufen hinein. An vielen Stellen rauscht Wasser und bildet sogar kleine Wasserfälle. Den Porcupine Creek überqueren wir gleich mehrmals auf Trittsteinen oder indem wir über Baumstämme balancieren. Die Füße bleiben trocken. Uns kommt eine Frau ohne Gepäck entgegen. Sie trägt Bär-Spray und einen Revolver am Gürtel. Das macht uns ziemlich fassungslos. Wir befinden uns nicht weitab von jeder Zivilisation, sondern auf gut ausgebautem Weg nur 2 Kilometer vom Wander-Parkplatz entfernt. Angst-gesteuert, aber immerhin geht sie trotzdem raus in die Natur. Nach 3 Stunden Laufzeit erreichen wir den Rainy Pass. Hier kreuzt der PCT den Highway 20. Laut unserer App soll es auf dem Parkplatz Toiletten, Picknick-Tische und Wasser geben. Wir machen den Abstecher bis dahin und freuen uns auf eine bequeme Pause. Aber da wird nichts draus. Der Rainy Pass ist eine Enttäuschung. Laut, viele Autos und noch mehr Menschen. Kein Wasser, die Wasserleitung ist abgeklemmt. Tageswanderer bringen natürlich ihr Wasser und sonstige Getränke von zu Hause mit. Also für uns kein Platz zum Bleiben, wir wandern weiter bis zur nächsten Wasserquelle. Irgendwo im Kraut sitzen wir halbwegs gemütlich, nur der Verkehrslärm vom Highway stört.

Neue Herausforderung heute : Fluss-Überquerung in der Höhe ohne Abstürzen. Zweimal hintereinander ist das andere Ufer des Bridge Creek nur durch Balancieren auf einem dicken Baumstamm zu erreichen. Diesmal liegen diese aber so hoch über dem Strom, dass man sich beim Herunterfallen ganz sicher weh getan oder sogar die Knochen gebrochen hätte. Unten sprudelt das Wasser, am Grund sieht man unregelmäßige Felsen. Die beiden Überquerungen über eine Flussbreite von 8 – 10 Metern fordern vollste Konzentration und Schwindelfreiheit. Eigentlich können wir so etwas ganz gut, aber heute haben wir beide ein mulmiges Gefühl dabei. Ich bin ein bisschen zittrig und habe weiche Knie. Alles ist noch so neu. Das Körpergefühl für knifflige Passagen ist noch lange nicht so ausgeprägt wie in der Mitte eines Trails. Wir sind inzwischen weit abgestiegen. Es ist in den unteren Lagen deutlich wärmer. Und die Sonne knallt gnadenlos am 30. Juni. An den ausgesetzten Stellen macht uns die Hitze zu schaffen. Dieser Wechsel von Frieren zu Schwitzen kam auf jeden Fall sehr plötzlich. Am frühen Nachmittag erreichen wir die Grenze zum North Cascades National Park. Unser heutiges Abendziel ist fremdbestimmt, denn es gibt nur 2 offizielle Campingplätze für PCT-Hiker. Also darf man sein Zelt nicht zwischendurch irgendwo aufbauen. Das passt uns nicht besonders, aber wir halten uns an die Regeln. Ein Seitenweg führt hinunter zum Bridge Creek, nochmal 500 Meter Umweg. Wir werden belohnt mit einem wunderschönen Platz. Es gibt eine Metall-Kiste für unseren Proviant und eine lustige Außen-Toilette. Tatsächlich steht da nur ein Plumpsklo ohne Wände in der freien Natur.

Das Beste kommt zum Schluss : Wir sind und bleiben alleine am Six Mile Camp. Keine Ahnung, wo die Anderen abgeblieben sind. Ich nutze die Gelegenheit für ein erfrischendes Bad im Fluss. Waschen war schon längst mal fällig, und das kalte Wasser tut unheimlich gut an den geschundenen Füßen. Um 19.00 Uhr liegen wir im Zelt. Die Sonne steht noch hoch über den Bergen, die Vögel zwitschern. Mit dem Rauschen des Flusses direkt neben uns können wir wunderbar einschlafen.

10 Stunden später sind wir wieder munter. Um Viertel nach 5 gibt es Kaffee im Schlafsack. Eine Stunde später sind wir schon auf dem Trail. Es ist herrlich, so früh unterwegs zu sein, wenn der Tag gerade erst erwacht. Aufstieg solange es noch nicht zu heiß ist. Bereits nach knapp einer Stunde stehen wir vor einem Wasserfall. Es gibt zwei Möglichkeiten, auf die andere Seite zu gelangen. Der direkte Weg führt auf einer ebenen Stelle durch’s Wasser. Ich versuche es mit Balancieren und Springen von Stein zu Stein. Bin fast durch, aber da fehlt noch ungefähr ein Meter. Sprudelndes Wasser drückt durch die Lücke zwischen den Felsen, zu beiden Seiten glitschige Steine. Mit einem Schritt in die Mitte des Wassers wäre ich drüben. Halte probehalber meinen Stock ins Wasser. Reißende Strömung, das möchte ich nicht wagen. Ich entscheide mich für’s Umkehren. Wir klettern über Steinstufen höher und nehmen die Hängebrücke zum anderen Ufer. Nur noch etwas Kletterei abwärts über Granitfelsen, dann sind wir wieder in der richtigen Spur. Zur linken Seite liegt eine tiefe Schlucht. So tief, dass man den Grund nicht sehen kann. Dort unten schlängelt sich der Bridge Creek zwischen den Bergen durch’s Tal. Der Pfad wird wieder schmaler und führt steil bergab bis zum Fluss. Die nächste Brücke ist nagelneu. Sie wurde in 2024 vom Hochwasser komplett zerstört und in diesem Frühjahr neu aufgebaut. Das frisch gesägte Holz riecht unheimlich gut.

Deutliche Kratzspuren von Bären an einem Baum. Das muss ein stattliches Exemplar gewesen sein. Die Heidelbeeren sind reif. Noch ein bisschen säuerlich, aber gut genug zum Naschen. So lecker, wenn man unterwegs etwas Frisches bekommt. An einer Stelle im Wald duftet es nach Fenchel, ein anderer Abschnitt riecht wie Sauna-Aufguss. Wir kämpfen mit dem Aufstieg in der Mittagshitze zum Howard Lake. Das ist ein sehr hübscher Teich voller Seerosen. Unser Pfad führt ein Stückchen direkt am Ufer entlang. Allerdings ist das Wasser hier seicht und schlammig, damit also nicht zum Schwimmen geeignet.

Um 14.00 Uhr kommen wir zum ersten Mal seit einer Woche in die Zivilisation. Der PCT kreuzt eine Schotterstraße und verläuft weiter über die High Bridge nach Süden. Der Stehekin River schäumt breit und wild zwischen den Berghängen. Hier ist ein Shuttle Bus eingerichtet, der mehrmals am Tag bis in den kleinen Ort Stehekin fährt. Für 10,- US Dollar pro Person fahren wir über eine Stunde im Rappelbus. Wir sind gespannt, was uns dort erwartet.

Stehekin ist eine kleine Gemeinde südlich des North Cascades National Park mit etwa 75 ständigen Bewohnern. Im Sommer schwillt die Bevölkerung durch Besucher und Saisonarbeiter stark an. Sehr touristisch und teuer. Ein Doppelzimmer in der Lodge kostet 320,- US Dollar. Das ist für uns natürlich völlig indiskutabel. Wir finden mit Mühe und Not den hintersten Platz auf dem Zeltplatz für Gruppen und PCT-Hiker. Staubig und gar nicht schön. Einen off-day hatten wir uns eigentlich anders vorgestellt. Der kleine dem Hotel angeschlossene Laden hat nur ein sehr begrenztes Sortiment, aber dafür horrende Preise. Wir würden uns frisches Obst oder Gemüse wünschen, Milch, Joghurt oder ein Stück Käse. Fehlanzeige. Es gibt nur einige Fertiggerichte, Nudeln, Kartoffelpüree aus der Tüte sowie überteuerte Süßigkeiten. Halloween sitzt an einem der Picknick-Tische und ist guter Dinge. Er hat sich ein 5 Kilo schweres Paket mit Proviant zum Postamt im Dorf schicken lassen. Futter satt. Auch über die Rolle Hansaplast freut er sich.John, der nette Post-Angestellte, ist vor einigen Jahren selber den PCT gelaufen und hier hängen geblieben. Er kennt und grüßt Jeden. Duschen, Waschmaschine und Trockner sind das Wichtigste. Die Münzen dafür gibt es im General Store. Frisch geduscht und mit sauberer Kleidung können wir uns anschließend ins Restaurant wagen. Das übliche Sortiment : Burger, Pommes, immerhin gibt es auch frischen Salat.


Danke Frauke, für diesen mitreißenden interessanten Bericht. Es ist so schön, mit euch in Gedanken mit zu marschieren, du beschreibst die Details so schön.
Liebe Grüße aus dem Waldviertel