Wir segeln und wandern durch die Welt

Greenwood Lake bis Salisbury

108. und 109. Tag Greenwood Lake – immer noch

Donnerstag, 03.07. und Freitag, 04.07.                     108. und 109. Tag

Na, das war ja nicht so effektiv ! Bin zwar gestern und heute ein paar Stunden im Regen gelaufen, aber trotzdem noch nicht weitergekommen. Ich war gerade fertig mit Internet, Telefonieren, den letzten Einkauf gemacht und meinen Rucksack fertig gepackt …… Gewitter – schon wieder.

Bin dann erst einmal wieder zur Cumberland Farms hinein. Das ist eine Mischung aus Tankstelle, Mini-Markt und Schnellimbiss. Habe ein Stück Pizza gegessen und mir danach gleich dort die Zähne geputzt, weil es draußen ungemütlich werden könnte. Während ich da so am Tisch sitze und etwas ratlos bin, komme ich mit Terry ins Gespräch. Sie ruft für mich erneut im Lake Lodging an, aber die haben um 18.00 Uhr kein Zimmer mehr frei. Dann bietet sie mir an, ich könne bei ihr zu Hause schlafen, wenn ich einen trockenen Platz für die Nacht suche. Es sei total einfach, ohne Elektrizität, fast wie Camping, und sie muss als Krankenschwester sowieso die ganze Nacht bis um 6.00 Uhr morgens arbeiten. Total nett von ihr ! Einfach und ohne Strom ist kein Problem, mein Problem dabei ist ihr angetrunkener Freund. Mit dem will ich die Nacht nicht alleine verbringen. Terry liefert ihren Freund zu Hause ab und bringt mich mit dem Auto zum Trail. Wohin genau, das weiß sie nicht so wirklich. Ich habe auch keine Ahnung, an welchem Trailhead sie mich abgesetzt hat, denn es führen mehrere Wege nach Greenwood Lake.

Ich laufe noch etwa eine Stunde durch den Wald, aber das ist heute wirklich ekelhaft. Baue im strömenden Regen mein Zelt irgendwo auf, werfe alles hinein und versuche zu trocknen. Mist, das Zelt ist schlecht gespannt ! Ich habe einen Teich oben drauf, eine riesige Wasserpfütze, die bald bis auf den Boden durchhängt. Aber ich mag nicht nochmal nach draußen gehen. Ich schaffe es, die Pfütze von innen abzukippen und baue mit meinem wasserdichten Beutel eine Konstruktion, die das Zeltdach oben hält und das Wasser nach hinten ablaufen lässt. Es ist unglaublich, aber die dünne Zeltbahn hält jetzt dicht. Nichts tropft durch – ein großes Lob für mein Contrail-Tarptent !

Es wird immer stürmischer. Hoffentlich hält das alles ! Während ich noch so gar nicht müde in meiner Höhle sitze, höre ich mehrmals unten im Dorf die Alarm-Sirenen schrillen. Tornado-Warnung ! Das bedeutet wohl so etwas wie : „Bleibt zu Hause, Leute.“ Mein Platz ist gut ausgewählt, ein bisschen im Windschutz einiger Felsen, und rundum stehen nur kräftige Bäume. Außerdem habe ich die Seitenwände noch zusätzlich mit dicken Ästen beschwert. Wenn hier nun nicht gerade der Blitz einschlägt, dann kann eigentlich nichts passieren. Gemütlich ist es nicht, ziemlich feucht und modderig, aber ich bleibe weitgehend trocken in der Nacht.

Freitag früh immer noch Regen. Ich finde, dass es keinen Sinn macht, mich mit dem ganzen nassen Zeug durch den Tag zu quälen und hoffe auf ein Zimmer zum Trocknen. Vom Abzweiger aus gehe ich wieder den steilen Seitenweg zum Dorf hinunter. Rufe bei mehreren Hotels an, aber alle sind morgens um 9.00 Uhr bereits ausgebucht. Scheint ein Touristen-Ort zu sein, es ist Wochenende und Independance Day. Ich hätte ein Zimmer für 100 US$ bekommen können, aber das ist mir zu teuer, da werde ich lieber nass. Also erstmal wieder Frühstück bei „The Grill“. Die sind sehr erstaunt, mich heute wiederzusehen, weil ich mich doch gestern in Richtung Trail verabschiedet habe. Danach geht es zur Bücherei, aber die ist wegen des Feiertags geschlossen. Der 4. Juli ist Amerikas Unabhängigkeitstag – wie konnte ich das vergessen ? Auf der Hauptstraße findet eine Parade statt, abends wird es in jedem Dorf ein Feuerwerk geben.

Immer noch Sturm und heftiger Regen, am Himmel keine Besserung in Sicht. Ich verbringe etwa drei Stunden mit Kaffee und Eis und wieder Kaffee bei Cumberland Farms, immer mit hoffnungsvollem Blick nach draußen. Ob die was dagegen haben, wenn ich hier sitzen bleibe, bis die Sonne wieder scheint ? Der Laden hat 24 Stunden durchgehend geöffnet, und Toiletten gibt es hier auch. Dann lerne ich “ Dos “ kennen, die pudelnass und matschig mit Rucksack hereinkommt. Eindeutig ein Thru-Hiker, der hier trocknen möchte. Sie hat Ähnliches erlebt wie ich : Gestern ein paar Meilen ‚raus aus dem Dorf, alles komplett durchgeweicht und heute wieder hinunter nach Greenwood Lake. Auch sie hat alle Hotels angerufen, ebenfalls ohne Erfolg. Nun wartet Dos hier auf eine Freundin, die sie abholen und zu sich nach Hause einladen wird. Natürlich nehmen sie mich ein Stück mit, so komme ich wenigstens an der richtigen Stelle wieder auf den Trail. Aber ich laufe nur eine kleine Meile in den Wald hinein. Diesmal stelle ich mein Zelt sehr ordentlich an einem guten Platz auf und decke noch zusätzlich den Regenponcho drüber. Von innen ist natürlich auch alles nass, also muss ich zunächst putzen und trockenreiben. Nachdem ich alle wichtigen Sachen wasserdicht verpackt und frische Kleidung angezogen habe, kann ich nichts mehr weiter tun. Es ist erst 16.00 Uhr, aber ich werde erst wieder ‚rausgehen, wenn die Sonne scheint. Morgen soll es besser werden.

Endlich einmal richtig viel Zeit zum Lesen. Habe mein e-book wochenlang herumgetragen, ohne es zu benutzen. Heute bin ich froh, dass ich damit die Stunden am Nachmittag totschlagen kann.

Um 18.30 Uhr hört es endlich auf zu regnen. Aber die Sonne scheint nicht, und das Zelt ist patschnass. Deswegen bleibe ich stur und verbringe hier die Nacht. Es ist kühl, ich muss noch eine zusätzliche Schicht Kleidung anziehen. 3 Tage Regen und 3 feuchte Nächte – das ist nicht gut. Habe ein Paar Socken auf der Verlust-Liste. Lange drüber nachgedacht, bis es mir eingefallen ist : Die habe ich in Greenwood Lake beim Umziehen auf der Toilette des Lion’s Club über die Türklinke gehängt und dann dort vergessen. Ist nicht schlimm, Socken habe ich ungefähr so viele wie Snickers in meinem Rucksack.

Feuerwerk an diesem großen Feiertag wieder bis um 22.30 Uhr, dann ist Ruhe.

Das war heute ein unfreiwilliger Off-Day, an dem ich nichts anderes gemacht habe, als auf ein Ende des Regens zu warten.

 

110. – 115. Tag New York bis nach Kent / Connecticut

Samstag, 05. 07.                                                      110. Tag

Werde um 6.00 Uhr wach und sehe ein paar Sonnenstrahlen durch die Bäume blitzen. Das wird ein schöner Tag. Habe gefroren in der Nacht, meine Füße sind immer noch eiskalt. Ich hänge meinen Regenponcho und die nassen Sachen zum Abtropfen nach draußen und werde noch zwei Stunden abwarten, damit ich das Zelt trocken einpacken kann. Aber dann geht’s los – heute will ich mal wieder richtig laufen.

Am rechten Unterarm und an einer Wade habe ich dicke Beulen, die jucken furchtbar. Das ist wieder eine neue Art von Insektenstich.

Der Weg ist sehr unaufgeräumt. Nach den Wolkenbrüchen und dem Sturm der vergangenen Tage liegen angespülte Blätterhaufen, abgebrochene Zweige und umgestürzte Bäume wild durcheinander.

Schon nach etwa vier Meilen passiere ich die Fitzgerald Falls. Bin froh, wieder unterwegs zu sein. Die Landschaft ist toll, der Trail geht wieder oft über kleine Gipfel. Natürlich muss ich viel bergauf, auch Steine gibt es noch auf dem Weg. Ich konnte mich gar nicht daran erinnern, dass New York so bergig ist. Immer wieder gibt es Anstiege, die richtig Klettern erfordern. Die Abstiege sind auf diesem Abschnitt supersteil und schwierig. Aber es macht mir richtig Spaß ! Ich finde die Strecke sehr reizvoll und abwechslungsreich. Komme an insgesamt drei Seen vorbei, die alle sehr idyllisch zwischen den Bergen liegen. Heute sind sogar die Seerosen geöffnet, ein sehr hübscher Anblick.

Hinter dem Island Pond wird es richtig alpin. Es gibt auch einen Blue-Blaze-Trail „Easy Way“, aber das kann ja jeder. Dann kommt der „Lemon-Squeezer“, zu Deutsch „Zitronenpresse“. Ich muss mich auf einer Länge von etwa 5 Metern durch eine enge Felsspalte quetschen. Das geht gar nicht so einfach, denn mit Zelt und Iso-Matte außen an den Seiten passt mein Rucksack nicht hindurch. Also beides einzeln nach vorne werfen und ich dann Stück für Stück durch den Spalt hinterher. Das war zu zweit viel einfacher, da konnte einer ohne Gepäck vorgehen und dann die Rucksäcke von oben annehmen. Es kostet enorm viel Zeit, denn ich komme immer nur zentimeterweise vorwärts. Von einer Wand rinnt eiskaltes Wasser, das kühlt angenehm. Irgendwann bin ich endlich durch und heilfroh, dass ich nicht steckengeblieben bin. Das wäre ziemlich blöd gewesen, hier auf den nächsten Hiker zu warten, der mich aus der Misere befreien muss.

Heute gab es insgesamt 3 x Trail Magic Wasser. Das ist sehr hilfreich, weil im Sommer viele Quellen nicht mehr zuverlässig Wasser führen. Und im Bundesstaat New York kann man das Wasser aus der Leitung kaum trinken, denn es schmeckt scheußlich nach Seife. In der ersten Kühlbox stehen 6 Kanister mit Wasser, da bediene ich mich gerne. Es liegen Visitenkarten mit dabei : Susan und John laden die Thru-Hiker zu sich nach Hause ein und bieten ein weiches Bett, warme Mahlzeit, Dusche und Waschmaschine an. Gestern und vorgestern hätte ich dieses Angebot sofort gerne angenommen. Aber jetzt ist erst gerade Mittag, und die Sonne scheint. An der nächsten Straße gibt es wieder eine Kühlbox mit 6 Kanistern. Bei der letzten Wasser-Trail-Magic stehen insgesamt 30 Kanister zu je 4 Litern im Wald. Da trinke ich noch einmal ordentlich und nehme mir eine Flasche mit. In einem Zipp-Beutel findet sich eine Bibel und pflegende Calendula-Creme. Damit schmiere ich mich natürlich auch noch ein, bevor ich weiterlaufe. Hoffe nur, dass die Insekten den Geruch nicht so toll finden.

Nachmittags mache ich Pause auf einem offenen Gipfel und sehe in der Nähe eine Plane, die zwischen die Bäume gespannt ist. Darunter liegt irgendwelches Zeug in Zipp-Beuteln. Ich gehe nachgucken, ob da jemand zu Hause ist, weil ich mich eigentlich gerne umziehen möchte. Keiner da, aber auf allen Klarsicht-Tüten steht ganz dick „Trail Magic“ drauf. Man darf sich also bedienen. Da liegen etwa ein Dutzend Paare neuer Socken ( leider in weiß, völlig unpraktisch ), ein paar T-Shirts ( gebraucht, aber gut nach Weichspüler duftend ), Toilettenpapier und Q-Tipps. So etwas habe ich auch noch nicht erlebt. Nehme mir ein Paar Socken mit als Ersatz für das verlorene Paar und etwas Klopapier. Ist schon witzig, auf was für Ideen die Leute kommen. Es gibt immer wieder neue Varianten.

Zum Schluss muss ich mich richtig beeilen, damit ich rechtzeitig zum Tiorati-Circle komme. Das liegt nicht direkt am Trail. Ich muss dafür noch eine Extra-Meile laufen, und um 19.00 Uhr werden Strandbereich und Duschen abgeschlossen. Schaffe es zum Glück noch rechtzeitig für 10 Minuten warme Dusche. Danach kann ich mich entspannen, denn die Verkaufs-Automaten stehen netterweise außerhalb des abgesperrten Bereichs. Der Park ist inzwischen fast menschenleer, deswegen koche ich gemütlich am Picknick-Tisch. Dazu gibt es zwei Cola und zum Nachtisch eine doppelte Portion Eis.

Als es schon fast dunkel wird, mache ich mich auf den Rückweg über die Straße und marschiere noch eine knappe Meile in den Wald hinein. An einem Bach finde ich einen feinen Zeltplatz und freue mich darüber, dass heute alles trocken ist.

Schon wieder ein Feuerwerk – keine Ahnung, warum. Vielleicht sind die USA Fußball-Weltmeister geworden ? Danach ist es totenstill im Wald. Kein Knistern, kein Knacken, noch nicht einmal der Bach rauscht. Das ist direkt ein bisschen unheimlich. Als ich noch einmal aus dem Zelt gehe, da herrscht draußen rabenschwarze Nacht. Es ist kein Mond zu sehen, und kein Lichtschimmer dringt durch die Blätter der Bäume. Es ist schon gleich Mitternacht, und ich bin immer noch nicht müde. Habe mich wohl in Greenwood Lake lange genug ausgeruht.

Sonntag, 06.07.                                                  111.Tag

Den Vormittag über geht es wieder ständig nur bergauf. Das Höhenprofil im Buch lässt es nicht erkennen, aber alle Berge sind steil. Bereits nach 5 Meilen erreiche ich den Gipfel des Black Mountain mit Blick auf die Skyline von New York. Ich bin jetzt nur 30 Meilen davon entfernt, könnte also praktisch an einem Tag dorthin laufen. Witzige Vorstellung – zu Fuß nach New York ! Habe eine neue Energie- und Kalorienbombe entdeckt : Cliff-Riegel mit Nutella drauf.

Danach wird es schwierig, dem Trail zu folgen. Überall nur Felsen und Bäume, alles nur sehr sparsam markiert. Ich muss so manches Mal anhalten oder wieder umdrehen und nach dem nächsten White Blaze suchen. Das kostet Zeit, aber davon habe ich ja eigentlich genug.

Der Palisades-Parkway muss überquert werden, das ist ein vielbefahrener 4-spuriger Highway. Gefährlich ! Gegen Mittag wird der Weg etwas breiter, ich komme jetzt in das Einzugsgebiet vom Bear Mountain. Oben steht der Perkins Memorial Tower, unten am Turm gibt es Getränke-Automaten. Alle meine kleinen Banknoten weg, nachdem ich mir zwei Cola gezogen habe. Ich möchte gerne noch ein Gatorate zum Mitnehmen haben und frage deswegen ein junges Paar hinter mir, ob sie einen 20-Dollar-Schein wechseln können. Nein, wechseln können sie nicht, aber das Mädel schenkt mir einfach 2,50 US$ für meine Flasche Gatorate. Kleine Trail Magic – sehr nett !

Vom Turm aus führt der Weg über glatte Felsplatten weiter Richtung Norden. Mir kommt ein Hiker entgegen, den ich in den letzten zwei Tagen mehrmals gesehen habe. Verwirrtes Stutzen auf beiden Seiten. Wir unterhalten uns kurz, bis er einsieht, dass er falsch herum läuft. Er ist völlig schockiert und erzählt mir, dass er vor drei Stunden schon oben am Turm war und seitdem 5 Meilen in die falsche Richtung gelaufen ist. Das ist voll ärgerlich. Auch dem alten Hasen „Journeyman“ ist das vor ein paar Tagen passiert. Den habe ich am Pavillon des Sunrise Mountain, wo ich lange Pause gemacht habe, erschöpft ankommen sehen. Eigentlich war der mir voraus. Auf meine Frage, wo ich ihn denn überholt habe, gesteht er mir völlig genervt, dass er eine Ehrenrunde gedreht hat. Journeyman ist nach einer Pause in Brancheville aus Versehen in der falschen Richtung wieder in den Wald gelaufen und hat dieses erst nach zwei Stunden bemerkt. Das ist wirklich reine Energieverschwendung. Wie gut, dass ich nicht alleine bin mit solchen Patzern.

Es geht weiter durch eine gepflegte, parkähnliche Anlage bis tief nach unten. Die zahlreichen Steinstufen sind einfach hinabzusteigen, das ist für die erholungssuchenden Menschen aus dem Großraum New York bequem eingerichtet. Unter mir liegt der große Hessian Lake, an dessen Ufer entlang führt der Weg. Hier ist die Hölle los. Es ist Sonntag, das Wetter lädt zum Schwimmen am kleinen Strand ein. Alle Picknick-Tische sind mit lärmenden Familien besetzt, und es wird überall gegrillt, was die Kohle hergibt. Ich muss wohl hungrig ausgesehen haben, denn eine Gruppe spanisch sprechender Männer lädt mich zu ihrem Barbecue ein. Aber ich bedanke mich und laufe weiter bis zum nächsten Imbiss-Stand. Hier kaufe ich mir Cheeseburger mit Pommes und esse die lieber alleine, ohne mich dabei unterhalten zu müssen. Habe Appetit auf eine Currywurst, aber die gibt es hier leider nicht.

Durch den kleinen Zoo mit den traurigen Tieren komme ich heute nicht, weil ich zu spät dran bin. Außerhalb der Öffnungszeiten muss man einer Umleitung folgen. Diese Umgehung ist kein Problem, und so lerne ich ein neues Stück vom AT kennen. Danach führt der Trail über den gewaltigen Hudson River. Es ist wirklich beeindruckend, die 711 Meter lange und 15 Meter breite Bear Mountain Bridge zu überqueren. Nur der viele Autoverkehr auf der 2-spurigen Mitte stört mich enorm. Im Zoo liegt der tiefste Punkt auf dem gesamten Appalachian Trail. Da kann man sich ja denken, dass es danach nun wieder ordentlich hinauf geht.

Gegen 19.00 Uhr erreiche ich mein Ziel, den Appalachian Market, der direkt am Trail mitten zwischen zwei Highways gelegen ist. Diesmal bin ich besonders schlau und laufe zunächst ein Stück auf der anderen Seite in den Wald hinein, baue dort mein Zelt auf und richte mich für die Nacht ein. Dann geht es wieder zurück zum Abendessen, was leider wegen meiner Gier etwas zu üppig ausfällt. Danach ist mir schlecht. Ich bin so voll, dass der Magen drückt. Zwei Liter Orangensaft, ein großer Becher Eis und ein XXL-Kaffee vertragen sich wohl gerade nicht so gut. Die Banane und der Kakao haben es auch nicht besser gemacht. Eigentlich wollte ich mir noch eine Dose Bier zum Abschluss gönnen, aber die passt nicht mehr hinein.

Im Appalachian Market auf der Toilette, die 2012 gerade renoviert wurde, gibt es neben edlen Marmorfliesen sogar einen Flachbildschirm-Fernseher. Das finde ich richtig cool. Während ich mir die Zähne putze, klopft es ungeduldig an der Tür. Ja, ich beeile mich schon.

Dann habe ich zum Glück nur noch ein paar Meter bis zum Zelt hinüber. Ich kann nicht mal mehr schreiben, denn dazu müsste ich ja sitzen. Will mich nur noch lang hinlegen und schlafen, bis mein Bauch sich wieder beruhigt hat.

Ich entdecke eine Nacktschnecke an meinem Rucksack, die schon alles vollgeschleimt hat. Igitt !

Und abends wieder Feuerwerk – ich verstehe es nicht. Machen die das jetzt jeden Abend im Juli oder jedes Wochenende ?

Montag, 07.07.                                                   112. Tag

Bin schon um Viertel nach 6 auf, die Nacht war lang genug. Es sind nur ein paar Minuten bis zum Appalachian Market, wo ich mit Kaffee, Kakao und Apfeltasche an einem der Picknick-Tische ganz gemütlich frühstücke. Ich nutze auch gleich die gute Gelegenheit, um meinen Text von gestern zu schreiben. Um 8.00 Uhr scheint die Sonne schon richtig stark. Ich finde, ich sollte den Tag langsam angehen und diesen schönen Platz noch etwas länger genießen.

Habe komische Krusten auf der Kopfhaut, die jucken. Hoffentlich sind das nur aufgekratzte Mückenstiche. Dafür habe ich seit Tagen keine Zecken mehr gesehen. Vielleicht war das auch nur eine weitere Pennsylvania-Schikane.

Gegen 9.00 Uhr starte ich endlich. Das Gelände ist hügelig und einfach zu begehen. Eine schwarz-gelbe Eastern Ribbon schlängelt vor mir davon. Es ist heiß, schon nach einer halben Stunde rinnt der Schweiß an meinen Beinen herunter. Gegen Mittag kann ich meine Shorts während des Laufens auswringen. Zeit für eine lange Pause, etwas Luft an die Haut lassen und dann trockene Sachen anziehen. Die Straße mit dem Pumpen-Häuschen kommt mir gerade recht. Der Wasserkran ist mit 1,50 Meter hoch genug, dass ich darunter duschen und mir die Haare waschen kann. Danach säubere ich noch meine Shorts und mein T-Shirt, hänge alles zum Trocknen in die Büsche und mache eine lange Rast im Schatten auf grüner Wiese.

Der Tag bleibt sehr schwül. Handy und Portemonnaie habe ich inzwischen im Rucksack verstaut, weil meine Bauchtasche durchnässt ist vom Schwitzen.

Der erwartete Fluss zum Wasserholen entpuppt sich als braune Brühe, in der so gar nichts mehr fließt. Wie gut, dass ich noch meine Gatorate zum Trinken habe. In knapp 5 Meilen soll es wieder einen Fluss geben, diesmal mit Fußbrücke, der wird wohl etwas breiter sein.

Habe eine Truthahn-Mama mit zwei Jungen aufgeschreckt, die furchtbar mit mir schimpfen. Gegen Abend huscht nochmal eine Eastern Ribbon Snakevor mir vom Weg in die Büsche an der Seite.

Ich komme an der RPH-Shelter vorbei, einem festen Haus mit Veranda und Garten. Hier tobt bereits wieder das gesellige Leben, nichts für mich. Ich will noch ein paar Meilen weiter, aber der Himmel verdunkelt sich, und es grummelt schon in der Ferne. Diesmal schaffe ich es mit den ersten Regentropfen, aber noch vor dem großen Wolkenbruch. Wasser habe ich genug, das Zelt steht gerade rechtzeitig. Es ist 19.00 Uhr, als das Gewitter losbricht, sowieso eine gute Zeit, um Feierabend zu machen.

Von einem meiner Trecking-Poles ist die Spitze weg. Kann passieren nach mehr als 1400 Meilen. Ich denke, es wird auch so gehen.

Und ein Paar Socken sind durch. Macht nichts, ich habe ja gerade erst neue bekommen. In Glencliff in meinen vorausgeschickten Paketen warten außerdem noch mehr Hiking-Socken.

Ich habe eine Mücke im Zelt, die ich gestern wohl übersehen habe. Das erklärt natürlich meine Kratzer am Kopf. Das Biest ist schlau und versteckt sich, ich kann die Mücke auch heute nicht erledigen.

Dienstag, 08.07.                                               113. Tag

Das Unwetter von der letzten Nacht hat eine Menge Kleinholz und umgestürzter Bäume auf dem Trail hinterlassen. Schon eine halbe Stunde nach dem Start ist der Weg von einem umgefallenen Baum komplett blockiert. Ein mächtiges Exemplar, weit verzweigt und mit dichtem Laubwerk, liegt quer. Da kann man nicht drüberklettern. Man sieht noch nicht einmal, ob und wo der Trail auf der anderen Seite weitergeht. Links und rechts gibt es noch keine Trittspuren, das muss gerade erst vor kurzer Zeit passiert sein. Also schlage ich mich ins Unterholz und durch die Büsche. Dabei werde ich total nassgeregnet von den tropfenden Bäumen. Die Blockade ist lang, ich muss sie weit umgehen, aber danach ist die Bahn wieder frei. Das nächste Hindernis lässt nicht lange auf sich warten. Dort liegen gleich zwei dicke Bäume hintereinander quer auf dem Trail. Wieder dasselbe Spiel, irgendwie drumherum einen Pfad suchen.

Habe nur 4 Meilen bis zur Straße, an der ich einen Umweg zum nächsten Deli mache. Hier gibt es natürlich Kaffee und Eis. Die kleine Flasche Kakao kostet mehr als 2 US$, aber das muss trotzdem sein. Geld, was ich für Hostels einspare, das gebe ich ganz locker für Essen und Trinken aus.

Beim Rückweg ueber die Straße brennt die Sonne schon wieder gnadenlos. Es ist erst 9.00 Uhr morgens. Ich wünsche mir Regen.

Eine Eastern Ribbon liegt auf dem Weg, aber die sind immer blitzschnell verschwunden.

Mittags finde ich einen Zettel mit dem Hinweis, dass es an der nächsten Straße Trail Magic gibt. Diese Ankündigung passt mir gut, denn ich wollte gerade hier am Fluss Wasser nehmen und Pause machen. Natürlich gehe ich jetzt noch ein kleines Stück weiter und kann lange bei der Trail Magic sitzen, ohne Zeit zu verschwenden. Es erwarten mich dort nur die Gastgeberin „Socks“, eine sehr nette Frau im Mutti-Alter, und ein älterer Hiker, den ich vom Sehen kenne. Zu Dritt kann ich es gut aushalten. Es gibt Bananen, Clementinen, selbstgebackene Brownies, kalte Getränke und noch allerlei andere Snacks. Socks ist vor drei Jahren den kompletten AT alleine gelaufen. Danach wollte sie ihr Leben verändern und hat mit über 50 Jahren noch ein Studium angefangen. Solche revolutionären Ideen werden mir hier wahrscheinlich nicht kommen. Ich bin sehr zufrieden mit unserer weiteren Lebensplanung. Der Mann von Socks mag keine Berge und auch nicht wandern. Er liebt den Ozean, geht lieber segeln und angeln. Wie habe ich es doch gut !

Am späten Nachmittag überquere ich die Appalachian Trail Railroad Station. Hier kann man mit dem Zug direkt bis nach New York fahren, allerdings nur Samstag und Sonntag.

Sonst passiert nichts mehr außer Schwitzen. Gegen 19.00 Uhr bilde ich mir ein, dass es etwas kühler wird. Der nächste Anstieg lässt mich allerdings daran zweifeln. Heute finde ich endlich mal wieder einen ausgesprochen schönen Zeltplatz am Pawling Nature Reservat ( natürlich verboten ).

Mittwoch, 09.07.                                               114. Tag

Schon wieder ein heftiges Gewitter während der Nacht. Es blitzt und kracht ununterbrochen, dazu gibt es wieder stundenlang starken Regen. Aber bei mir ist alles gut. Ich brauche morgens nur eine Stunde Geduld, bis das Zelt getrocknet ist.

Der Weg führt am Ufer des Ten Mile River entlang. Hier ist richtig was los. Sehr viel Wasser, Stromschnellen, die sich an den Felsen brechen und viele umgestürzte Bäume, die wild durch den Fluss trudeln.

Heute passiere ich schon wieder eine Grenze. Ich komme von New York in den Bundesstaat Connecticut, das ist mein 10. von insgesamt 14. An einem Schild kann ich die Entfernung in beide Richtungen ablesen. Habe jetzt bereits zwei Drittel des Weges geschafft. Tolles Gefühl ! Aber ein weiteres Drittel liegt vor mir, das ist auch noch ganz schön weit.

Eine ausgewachsene Black Racer Snake liegt neben dem Weg und sonnt sich. Sie scheint gerade gefressen zu haben, denn ihr Leib ist ganz dick und hat ein paar Wölbungen.

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Es sind nur 15 Meilen bis zu der Straße, an der ich nach Kent abbiegen möchte. Aber die Hitze und die hohe Luftfeuchtigkeit machen mich völlig fertig. Ich muss mich regelrecht dazu zwingen, wenigstens zwei Stunden am Stück durchzulaufen bis zur nächsten Pause.

Gegen 17.00 Uhr erreiche ich die Mt. Algo Shelter, wo ich mein Zelt für die Nacht aufstelle und meinen Rucksack lassen kann. Von dort aus muss ich nur noch eine halbe Meile den Berg hinuntersteigen.

An der Hauptstraße stehen zwei Kühlboxen. Ich nehme mir eine silberne Dose, weil ich keine Cola finde und keine Lust auf dieses künstliche Ananas-Kirsch-Zeug habe. Oh, das ist ja Bier ! Aber da ich den Tag sowieso hier beenden möchte, kann ich das ja nun auch trinken. Danach wähle ich noch ein Cream Soda, das habe ich bisher noch nie probiert. Schmeckt gar nicht schlecht, wie Fanta mit einem Schuss Sahne.

Ein Auto hält, aus dem drei junge Hiker aussteigen. Am Steuer sitzt die Mutter von einem und erzählt mir, dass sie die Kids mit Slackpacking und Fahrdiensten unterstützt. So komme auch ich bequem in den eine Meile entfernten Ort.

Der erste Gang führt zum Outfitter, aber ich erlebe eine Enttäuschung. Mein erwartetes Paket von Salomon ist nicht da. Ich esse nur schnell ein Eis und gehe zum nächsten Outfitter, um dort nachzufragen. Auch da ist nichts für mich angekommen. An den freien Computern in der Bücherei recherchiere ich und erfahre des Rätsels Lösung. Da ist eine e-mail von Salomon in meinem Posteingang, in der sie mir mitteilen, dass sie meine kaputten Schuhe leider nicht ersetzen können, weil ich sie in Deutschland gekauft habe. Okay, das kann ich nachvollziehen. Immerhin bieten sie mir einen 30 % Nachlass an für meine nächsten Schuhe, die ich im europäischen Salomon-Online-Shop bestelle. Das ist ja auch ganz nett, besser als nichts.

Eigentlich sind hier nur 30 Minuten Internet erlaubt, aber ich bin sehr höflich und darf länger sitzenbleiben. Mache einen guten Eindruck, indem ich 10 Minuten vor Feierabend aufstehe und freiwillig gehe. Ich will ja schließlich morgen wiederkommen.

Danach nur eine schnelle Runde durch den Supermarkt, der gar nicht so super ist. Ich brauche auch nicht viel. Habe noch drei warme Mahlzeiten im Rucksack, nur die Pausen-Snacks sind alle. In zwei Tagen kann ich bei einem Abstecher nach Salisbury in einem besseren Supermarkt einkaufen.

Das Dringendste kommt zuletzt : die Wäsche. Hatte mich vorher nach den Öffnungszeiten erkundigt und kann das jetzt am Abend noch erledigen. Ja, ich habe meine schmutzige Wäsche den Berg hinuntergetragen. Bei dieser Schwitzerei konnte das keinen Tag länger mehr warten.

Es ist schon nach 20.00 Uhr, als ich mich endlich auf den „Heimweg“ zur Shelter mache. Die Kühlboxen an der Straße wurden wieder aufgefüllt. Ich nehme mir noch ein Cream Soda mit für den Feierabend. Es wird jetzt schon früh dunkel. Im Wald ist es noch finsterer. Wo ist denn hier der Weg ? Es geht über Felsen und im Weg liegende Bäume steil nach oben. Wie kann eine halbe Meile so lang sein ? Am Himmel donnert es schon wieder – das gibt gleich was ! Ich bekomme leichte Angst-Zustände bei dem Gedanken, dass ich die Shelter im schlechten Licht meiner Lampe verpasse und mein Zelt nicht finde. Endlich erreiche ich den Abzweiger, muss noch über zwei kleine Bäche steigen, dann sehe ich viele Lichter. Am Nachmittag stand ich dort noch alleine, jetzt ist eine Menge los. Die Shelter ist voll besetzt, und auf dem Platz dahinter stehen etwa ein Dutzend Zelte. Die ersten Tropfen fallen bereits, so dass ich schnurstracks zu meinem Lagerplatz eile. Das Gewitter lässt nicht lange auf sich warten, der Regen prasselt schon bald auf mein Zeltdach. Dabei ist es immer noch viel zu warm.

In der Nähe streiten sich ein paar Jungens. Sie hören sich betrunken an. Betrunkene Leute machen mir Angst. Viel lieber wohne ich alleine im Wald.

Donnerstag, 10.07.                                           115. Tag

Das erste Mal werde ich gegen 5.00 Uhr morgens wach und höre noch kein Geklapper und keine Stimmen. Das nächste Mal um 6.30 Uhr, und ich höre immer noch keine Aufbruch-Stimmung. Das wundert mich doch sehr.

Ich finde endlich die Mücke, die seit einigen Tagen bei mir im Zelt wohnt und mich jede Nacht in die Hände und am Kopf zerstochen hat. Erledigt – das ist ein Erfolgserlebnis !

Schlange-Stehen am Privy …. wie ich das hasse. Ich packe schleunigst mein Zeug zusammen und verschwinde. Deponiere meine Rucksack am Trailhead, wo ich nachher weiterlaufen muss. Dann marschiere ich die eine Meile über die blöde Straße bis nach Kent. Das scheint ein Schicki-Micki-Ort zu sein. Hier gibt es etwa 3000 Einwohner, viele teure Tavernen, Schmuckläden, Kunst- und Antiquitäten-Geschäfte. Eigentlich ist das keine Stadt, die für Hiker gemacht ist. Hier muss ich nicht länger bleiben.

Ich entdecke eine kleine Zecke an meinem Unterarm. Brille auf die Nase und Pinzette angesetzt, damit habe ich sie zum Glück gleich wieder entfernen können. Das muss passiert sein, als ich vorhin meinen Rucksack im Gebüsch geparkt habe.

Erst einmal gibt es ein kleines Frühstück mit Kaffee, Blueberry-Muffin, WIFI und Skype. Von da aus geht’s noch einmal zum Einkaufen, nur ein paar Kleinigkeiten zum Sofort-Vernichten und für die Pausen zwischendurch.

Bei der Bücherei haben sie heute eine Warteliste für den Computer, weil inzwischen noch mehr Hiker eingetrudelt sind. Einer erzählt mir, dass oben an meiner Shelter eine Gruppe schwererziehbarer Jugendlicher gecampt hat, die eine Woche zum Wandern in den Wald geschickt wurden.

Ich gehe noch einmal zum Outfitter, denn ich MUSS neue Schuhe kaufen. Meine fallen wirklich auseinander, bin froh, dass sie es bis hierhin mitgemacht haben. Habe zwei verschiedene Paare zur Auswahl und kaufe NICHT die günstigeren Merrell-Schuhe für 90 US$, obwohl das sicher auch eine gute Marke ist. Aber ich liebe meine Salomon-Schuhe. Sie passen an meinen Fuß, ich bekomme keine Blasen darin, und sie haben sich in jedem Wetter und jedem Terrain bewährt. Also wähle ich ein ähnliches Modell wie meine bisherigen Hiking-Schuhe zum Preis von 130 US$. Das ist immer noch viel billiger als in Deutschland, und es gibt an der Kasse sogar 10 % Hiker-Discount auf meinen Einkauf. Trage jetzt eine halbe Nummer größer, weil sie meine aktuelle Größe nicht auf Lager hatten. Aber es fühlt sich sehr gut an. Ich bin happy !

Nun habe ich eine Etappe von etwa 100 Meilen vor mir bis nach Dalton, wo ich mich auf ein gemütliches Zimmer bei Laura im Shamrock Village Inn freue. Das bedeutet also 5 Tage stramm Laufen, umso eher bin ich da.

115. – 117. Tag Kent bis Salisbury

Donnerstag, 10.07.                                              115. Tag

Eigentlich wollte ich einen ganzen Tag in Kent verbummeln, aber gegen Mittag habe ich genug von der Stadt und möchte lieber weiter.

Zunächst geht es natürlich bergauf bis auf den Calebs Peak. Von dort aus muss ich über steile Steinstufen fast senkrecht wieder nach unten. Das sind die St. Johns Ledges, die etwa eine Meile lang bis hinuter zum Housatonic River führen. Hier bin ich besonders froh über meine neuen Schuhe. Es ist doch viel angenehmer, wenn man bei so einem Abstieg gutes Profil unter den Sohlen hat und die Schuhe nicht vorne aufklappen. Vor allen Dingen ist es sicherer.

Danach folgt ein sehr einfacher Abschnitt. Der Weg geht immer am Fluss entlang und bleibt etwa zwei Stunden lang immer auf derselben Höhe. Der Housatonic River ist breit, hat aber hier nicht viel Strömung. Ich habe große Lust zum Baden, traue mich aber nicht wegen der vielen Insekten. In Wassernähe sind die Mücken und kleinen Fliegen besonders penetrant.

Ich sehe einige knallrote Cardinale und einmal so etwas wie das Gegenstück dazu, einen glänzend schwarzen Vogel mit leuchtend roten Flügelspitzen. Sehr hübsch !

Heute ist ein richtig gelungener Tag :

– Die Mücke ist tot.

– Habe in Kent alles erledigt incl. Schuh-Kauf und Internet.

– Bin ausnahmsweise stressfrei aus der Stadt weggekommen.

– 5 Stunden gelaufen und mehr als 10 Meilen geschafft, obwohl dies ein off-day werden sollte.
– Es regnet nicht, mit guter Chance werden sogar meine Hiking-Klamotten über Nacht trocken.

Beim Auspacken am Abend finde ich noch eine Dose Cola im Rucksack, die ich ganz vergessen hatte und freue mich darüber.

Den Guinea Brook werde ich mir morgen in der Frühe ansehen. Falls es in der Nacht wieder ein Gewitter gibt, dann werde ich wohl die längere Umleitung laufen müssen. Wenn es aber trocken bleibt, dann sinkt der Wasserstand vielleicht noch um ein paar Zentimeter, bis ich dort bin.

Neue Taktik zur Mücken-Abwehr : 2 Schichten übereinander anziehen und die Kleidung noch zusätzlich mit Moskitospray einsprühen. So lassen die Viecher mich in Ruhe, und ich kann tatsächlich noch draußen sitzen wie in der kalten Jahreszeit.

Es ist fast Vollmond, das ist jetzt schon das 4. Mal, seit ich unterwegs bin.

Freitag, 11.07.                                                     116. Tag

Wache um 5.00 Uhr vom lauten Vogelgezwitscher auf und starte heute sehr früh in den Tag.

Der Guinea Brook ist schon bald erreicht. Er scheint mehr Wasser zu führen als in 2012. Schilder am Ufer warnen davor, dass die Trittsteine nicht mehr sicher genug sind und empfehlen entweder die Umleitung oder das Fjorden. Hingen die Schilder damals auch schon dort ?

Ich lasse mir viel Zeit, um die Lage zu begutachten. An mehreren Stellen liegen dicke Felsen oder Baumstämme, auf denen man den Fluss überqueren könnte. Das gefällt mir aber alles nicht so gut, deswegen laufe ich erstmal am Ufer entlang stromaufwärts. Finde eine gute Passage, wo ich auf trockenen Steinen bis fast auf die andere Seite komme. Aber der letzte Schritt erscheint mir zu groß. Es würde wahrscheinlich klappen, aber das ist mir zu unsicher. Deswegen gehe ich wieder zurück bis zur Mitte, wo eine kleine Insel entstanden ist. Dort ziehe ich Schuhe und Socken aus, krempele meine Hose hoch und stapfe die letzten 3 Meter mit Crocs durch das knietiefe Wasser. Geht super. Hier ist die Strömung lange nicht so stark wie an den Stellen, die ich nahe dem AT gesehen habe. Die erste Hürde heute habe ich schon geschafft.

Nach weiteren 5 Meilen muss ich durch eine enge Felsspalte, ähnlich dem Lemon Squeezer, kriechen. Es geht dabei steil nach oben, einige Tritte sind vorhanden, und diese Spalte ist nicht ganz so schmal. Auch das klappt gut. Ich kann beim Klettern sogar meinen Rucksack aufbehalten.

Schon um 9.00 Uhr morgens erreiche ich die Pine Swamp Brook Shelter. Die habe ich vor 2 Jahren abends verpasst und uns Beiden damit einige schlimme Stunden beschert. Danke nochmal an Mr. Breeze, Polizei und Feuerwehr von West Cornwall für die Suchaktion in der Nacht ! Ich wäre auch diesmal beinahe wieder an der Shelter vorbeigelaufen. Normalerweise sind die Schilder und White Blaze alle in einer vorgeschriebenen Höhe angebracht. Dieses Shelter-Schild hängt eindeutig zu weit oben, deutlich über Augenhöhe. Aber inzwischen wurde der Seitenweg zur Hütte mit frischer Farbe und Blue Blazes markiert und ist leichter zu finden.

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Hier treffe ich meinen ersten Southbounder = SoBo. Der ist am Mount Katahdin in Maine gestartet und läuft nun Richtung Süden nach Georgia bis zum Springer Mountain. Er sprüht nur so vor Energie. Hoffentlich kann er seine positive Einstellung auch auf den weiteren 1500 Meilen bewahren.

Zwei umgestürzte Bäume quer über dem Weg, und genau dazwischen fließt ein Bach. Das stellt wieder eine neue Herausforderung dar. Klettern, nicht ausrutschen, über das Wasser springen, dabei wieder nicht ausrutschen und nochmal hinüberklettern. Auch das gelingt mir trockenen Fußes. Scheint ein guter Tag zu sein.

Gegen Mittag erreiche ich den kleinen Ort Falls Village, wo ich mit Kaffee, Cola und Blueberry-Muffins eine schöne Pause in Toymakers Cafe mache. Der Besitzer ist Hiker-freundlich und lässt einen kostenlos auf seinem Grundstück zelten. Aber das ist jetzt noch nicht meine Uhrzeit für Feierabend.

Das nächste Highlight des Tages ist die Outdoor-Dusche an einem komplett mit Wein zugerankten Gebäude der Elektrizitätswerke. Direkt an der Straße und auf dem AT gelegen, herrlich erfrischend bei dieser Affenhitze. Sogar Mülltonnen stehen hier, und es gibt Steckdosen außen, damit die Hiker ihre Geräte aufladen koennen.

Von hier aus ist es nicht weit bis zu den Housatonic River Falls. Die sehen heute sehr zahm aus, das haben wir schon besser erlebt.

Am Nachmittag liegt wieder eine schwarz-gelbe Eastern Ribbon mitten auf dem Trail, ist aber blitzschnell verschwunden wie alle anderen auch. Oder ist das etwa immer dieselbe ?

Abends war ein Abstecher nach Salisbury geplant, weil ich noch für die nächsten 3 Tage Proviant einkaufen muss. Aber dort, wo der AT die Straße nach Salisbury kreuzt, steht Trail Angel Judy auf dem Parkplatz und wartet auf ihren Sohn. Sie hatte mich bereits am Mittwoch nach Kent hineingefahren und lädt mich nun zu sich nach Hause ein. Zuerst lehne ich ab, weil ich ja nicht besonders flexibel bin und eigentlich andere Pläne hatte. Aber Judy ist supernett und erzählt mir, dass sie Lasagne vorbereitet hat. Überredet ! Eine halbe Stunde später kommt ihr Sohn Matt „Bagger’s“ mit zwei Mädchen und Hund Zima aus dem Wald. So gelange ich vom Parkplatz der Undermountain Road nach Pittsfield, wo es ein leckeres Abendessen gibt : Lasagne, Salat, Knoblauchbrot, als Dessert selbstgebackene Brownies mit Eis. Vor dem Essen fassen sich alle an den Händen, und es wird gebetet. Vater Roy und Schwester Sarah sind auch sehr sympathisch, so dass ich mich wohlfühle bei Familie Andersen. Der Vater ist total interessiert an meinem Wohnort und sucht sofort „Norderney“ auf seinem PC. Dann soll ich ihm bei Google Maps unser Haus zeigen, es ist wirklich klar und deutlich auf dem Bildschirm zu erkennen. Alle dürfen nacheinander duschen, die Mutter schmeißt abends noch die Waschmaschine für uns an. Danach werden die Betten verteilt und Luftmatratzen aufgeblasen. Ich soll eigentlich auch im Haus schlafen, aber ich kann mich erfolgreich dagegen wehren und darf mein Zelt im Garten aufstellen.

Samstag, 12.07.                                             117. Tag

Die jungen Leute sind bereits morgens um 7.00 Uhr wieder unterwegs. Sie werden vom Vater mit dem Auto zu einem 19 Meilen entfernten Trailhead gebracht, laufen dann den Tag ohne Rucksack in der falschen Richtung und werden abends wieder im Hause der Familie Andersen schlafen.

Ich krieche um 7.00 Uhr gerade erst aus meinem Zelt. Von Judy bekomme ich ein Frühstück nach Wunsch zubereitet : Kaffee, Orangensaft, Rühreier und Toast mit Butter. Der Abschied von dieser netten Familie fällt nicht leicht. Aber vielleicht werde ich sie noch einmal wiedersehen. In den nächsten 2 – 3 Wochen werden sie nämlich ihren Sohn und seine Hiker-Freunde weiterhin mit Bringen, Abholen, Slackpacking und Trail Magic unterstützen. Da ist ein zufälliges Treffen gar nicht ausgeschlossen.

Heute passiere ich wieder eine Bundesgrenze, von Connecticut geht es in den Bundesstaat Massachussetts.

Ein paar Berge liegen im Weg, die sind bis zu 3000 Fuß hoch. Besonders der Mount Everett ist sowohl im Anstieg wie auch im Abstieg sehr steil und anstrengend. Unten am Parkplatz erwartet mich eine Picnic-Area mit herrlich eiskaltem Wasser. Diese Trail Magic hat schon 2012 die erschöpft unten ankommenden Hiker wiederbelebt.

Danach wird das Gelände flacher – ich habe zwei Tage lang easy going vor mir. Viele Flüsse und Teiche unterwegs, dazwischen manchmal Sumpf, den ich auf Bretterstegen überquere. Bis auf die zahlreichen Moskitos habe ich eine sehr angenehme Zeit, an denen ich täglich gut über 20 Meilen laufen kann.

Die Sonne knallt nicht mehr ganz so gnadenlos, der Himmel ist zum Teil bedeckt. Zwischendurch regnet es auch tagsüber etwas, aber das empfinde ich eher als angenehm. Ich habe nicht viel an, was nass werden könnte. Da ist so ein warmer Sommerregen sehr willkommen. Keine Gewitter mehr in den letzten 3 Nächten, so dass ich das Zelt immer trocken einpacken kann. Alles super !