So, nun sind wir endlich in den White Mountains, lange ersehnt und von mir auch etwas gefürchtet. Unterhalten wird dieser Abschnitt vom AMC Appalachian Mountain Club. Strenge Vorschriften verbieten das Zelten oberhalb der Baumgrenze, zum übernachten gibt es die sündteuren “ Huts “ oder einige Shelter und ausgewiesene Campsites, wo man aber Gebühren entrichten muss. Alternativen gibt es wenig, denn das steile Gelände macht das Campen am Wegesrand fast unmöglich.


27.08.2012 Erstes Frühstück auf einem Felsen direkt am Teich, aber es ist sehr windig und kalt. Wir laufen knapp 5 Meilen bis zur Franconia Notch, wo wir zum Einkaufen nach Lincoln trampen wollen. Aber leider ist das heute nicht so einfach : Zuerst müssen wir eine Meile Umweg über einen Side-Trail gehen, natürlich bergauf. Dann stehen wir mehr als eine Stunde in der brütenden Mittagshitze an der Straße, wenig Verkehr, wir sind von der prallen Sonne schon fast durchgebraten. Endlich hält ein junger Mann, der uns eigentlich nur 2 Meilen weiter bis zu seiner Arbeitsstelle mitnehmen will. Er ist dann aber so nett und bringt uns bis in die Stadt Lincoln. Essen, Internet, mit der Familie telefonieren, der Einkauf und die Wäscherei dauern schon wieder ein paar Stunden. Wir beschließen, die Nacht hier zu verbringen und suchen das Haus von Chet West, welches uns von Baltimore Jack empfohlen wurde. Ein ganz besonderer Mensch öffnet uns die Tür, sehr freundlich und bescheiden zeigt er uns seine zum Gemeinschafts-Schlafsaal umgebaute Garage. Chet West war selber mal ein begeisterter Wanderer und Thru-Hiker, bis ihn eine Gasexplosion seines Kochers zu mehr als 70 % verbrannt hat. Nach jahrelanger Odyssee durch Krankenhäuser und Reha-Einrichtungen sitzt er nun seit mehr als 20 Jahren im Rollstuhl. Seine Lebensaufgabe und seine große Freude ist es, sein Haus und Grundstück mit den Hikern zu teilen und ihren Geschichten zuzuhören. Dafür verlangt er kein Geld, aber eine “ Donation “ ist willkommen. So geben wir ihm den Betrag, den wir auch auf einem Bezhl-Campingplatz hätten entrichten müssen, als Spende für den Unterhalt seines Hauses. Im Laufe des Tages trudeln immer mehr Leute ein, meistens junge Männer mit Vollbart, die sich im Bunkroom und auf der Veranda ausbreiten. Uns ist das zu gesellig, wir stellen unser Zelt lieber im Garten auf, gehen duschen und verziehen uns mit ein paar Bier und Subway-Baguette in den Pavillon auf dem Dorfplatz.
28.08.2012 In der Nacht hat es heftig geregnet, so dass wir mal wieder alles total nass einpacken müssen. Hätten wir doch besser im Gemeinschaftsraum schlafen sollen ? Wir verabschieden uns früh von Chet West und den Vollbärten, denn heute wartet ein “ richtiger “ Berg auf uns. Das Trampen klappt super, Feuerwehrmann Joe zeigt uns noch dies und das von der Gegend und bringt uns dann zur richtigen Stelle am Trail. Wir sehen den Gipfel des Mount Lafayette in 5260 Fuß Höhe leider nur im Nebel, es ist alles grau in grau. Dazu weht ein mörderischer Wind, sicher Stärke 7 – 8, der das Aufsteigen erschwert. Wir ziehen alle unsere warmen Klamotten inclusive Jacken und Mützen an, die wir bisher noch nicht gebraucht haben. Bei der Kletterei bergauf stürze ich insgesamt 3 mal auf den feuchten Steinen und habe mir einen kleinen Finger sowie das rechte Handgelenk angeknackst. Abends wird es dann zum ersten Mal richtig kalt. Gut, dass wir uns in Manchester Center und Hanover mit Winterkleidung ausgerüstet haben. An der Garfield Ridge Campsite zelten wir, leider müssen wir wieder 16,- Dollar Gebühren bezahlen für eine Sache, die fast 5 Monate lang immer umsonst war.
29.08.2012 Lausig kalt ist es morgens auf unserem windigen Bezahl-Zeltplatz. Wir haben wieder volle Montur an, diesmal sogar noch Handschuhe dazu. Der Tag beginnt mit einem steilen Abstieg, was sehr unangenehm ist, wenn man noch nicht warmgelaufen ist. Und mein Finger schmerzt …. Pause machen wir in der Galehead Hut, wo es aufgewärmten Kaffee, Brot und Dillsuppe gibt. Ein heftiger Aufstieg auf den South Twin Mountain mit 4902 Fuß Höhe kostet uns viel Kraft. Nachmittags falle ich im beständig vom Berg herabfließenden Wasser und bekomme bis zum Knie nasse Füße. Beinahe wäre bei dieser Aktion mein Trecking-Pole mit dem Wasserfall davongeschwommen, aber Thomas konnte ihn gerade noch retten. Hinter den Zealand Falls finden wir einen schönen, einsamen Zeltplatz im Wald.
30.08.2012 BeimFrühstück am Ripley Falls Parkplatz leisten uns zwei niedliche Streifenhörnchen Gesellschaft. Sie sind total zahm ( oder sehr hungrig ) und kommen ganz nah heran, um Brot und Haferflocken abzustauben. Heute liegt die erste Hälfte des Aufstiegs auf den Mount Washington vor uns, zunächst ein sehr schöner Weg über Waldwege. Danach folgt eine Kletterpartie über die Webster Cliffs mit atemberaubenden Ausblicken. Eine ausgewachsene Garter Snake liegt vor uns auf dem Trail, die erste Schlange seit längerer Zeit mal wieder. Da unser Tagesziel wegen der morgigen Gipfelbesteigung feststeht, haben wir früh Feierabend. Zeltplatz an der Naumann Campsite für 16,- Dollar Gebühr, wir liegen schon um 20.15 Uhr im Schlafsack.
31.08.2012 Mount Washington wartet, wir stehen bereits um 6.15 Uhr auf und nehmen die 6,1 Meilen in Angriff. Der Weg führt über dicke Felsbrocken stetig nach oben, ist aber nicht besonders anspruchsvoll. An der “ Lakes of the Clouds-Hut “ gibt es Kaffee und Schokoladenkuchen zur Stärkung. Während der letzten 2 Stunden steilen Anstiegs können wir zusehen, wie sich eine schwarze Wolkenwand über den Himmel schiebt. Oben liegt alles komplett im Nebel, es tobt ein fürchterlicher Wind. Wir machen eine lange Pause im Restaurant auf dem Gipfel, packen dann alles regenfest ein und laufen im schlimmsten Unwetter los. Draußen tobt inzwischen ein richtiger Sturm, so dass man sich kaum auf den Beinen halten kann. Stundenlang klettern wir über Geröll und Felsen nach unten. Für 5,7 Meilen Weg benötigen wir bei diesen Verhältnissen tatsächlich 4,5 Stunden. Leider haben wir überhaupt keine Aussicht vom zweithöchsten Berg auf dem AT, aber die Wolken und der Wind bieten uns ein tolles Naturschauspiel. Abends stehen wir tropfnass vor der Madison Spring Hut, um dort in unserem Buch nach dem nächsten Wasser und Zeltplatz zu schauen. Da kommt ein junger Mann heraus und bietet uns “ Work for stay “ an, denn die hohen Preise in den Huts können Hiker nicht bezahlen. Wir sind sehr froh über diese freundliche Einladung und arbeiten das erste Mal für Essen und Unterkunft. Wir machen den Abwasch am Abend und decken morgens die Tische für das Frühstück mit ein. Dafür bekommen wir ein warmes Abendessen und einen Schlafplatz auf dem Boden im Gemeinschaftsraum zugewiesen. Draußen herrscht weiterhin ein heftiges Unwetter mit starkem Regen und Orkanböen. Wir genießen es, diese Nacht im Trockenen verbringen zu dürfen. Ein tolles Team hier in der Hütte, alle verstehen sich gut und haben Spaß !
01.09.2012 Wir verabschieden wir uns früh von der netten Hütten-Crew und haben heute fast nur Abstieg vor uns. Pause mit wärmenden Sonnenstrahlen und traumhaftem Ausblick. Dies wird ein wunderschöner Tag, der mit einem einsamen Zeltplatz am Skilift des Wildcat Mountain ( 4422 Fuß ) seinen krönenden Abschluss findet.
02.09.2012 Wieder ein guter Tag, an dem wir auch endlich einmal wieder eine akzeptable Distanz zurücklegen. Das Gelände ist nicht mehr so schwierig, so dass man ordentlich vorankommt. Die Kletterpartien und die ganz steilen Felsplatten gibt es zwar noch, aber immer nur auf kurzen Etappen. Uns hat der Ehrgeiz gepackt, wir wollen endlich nach Maine ! Also laufen wir bis ins Dunkle hinein, wo wir zum ersten Mal im Lichtschein unserer Stirnlampen einen Elch zu sehen.glauben. Unser Weg wird zum Abschluss doch noch ziemlich anstrengend, feucht und rutschig vom über die Ufer tretenden Rattle River. “ Multiple streams “ nennt unser Buch dieses Gebiet. In mir steigt der Gedanke hoch, wie blöd das wäre, wenn wir uns jetzt so kurz vor dem Ziel noch verletzen …. Auch wenn sich die letzten Meilen immer hinziehen, irgendwann gegen 22.00 Uhr haben wir die Rattle River Shelter erreicht. Der Boden scheint schmutzig zu sein, ein Besen ist leider nicht zu finden. Aber egal, man sieht den Dreck sowieso im Dunklen nicht, außerdem sind wir müde und kaputt. Heute haben wir 16,2 Meilen geschafft, da werfen wir nur die Isomatten und Schlafsäcke hin und freuen uns, dass wir alleine sind.
03.09.2012 Nur 2 Meilen lockeres Laufen über einen breiten Waldweg, dann erreichen wir schon den Straßenabzweiger nach Gorham. Hier stehen mal wieder Einkauf und Wäscherei auf dem Programm. Der Walmart ist nur per Anhalter zu erreichen, aber leider ist der Alkohol für unseren Kocher dort ausverkauft. Auf dem Parkplatz fragen wir einen älteren Herrn, ob er uns mit zurück in die Stadt nehmen kann. Er ist sogar so freundlich, mit uns zu mehreren anderen kleinen Läden und Tankstellen zu fahren, bis das Problem mit dem Brennstoff gelöst ist. Stewie ist Besitzer einer Papiermühle am Ort und hat heute wegen Reparaturarbeiten seinen ersten freien Tag seit 8 Jahren. Diesen verbringt er nun damit, uns durch die Gegend zu kutschieren und natürlich auch wieder zum Trail zu bringen. Nach 8 Meilen entdecken wir einen sehr idyllischen Zeltplatz direkt an einem großen See und genießen dort den Sonnenuntergang.