Aufstehen um 5.30 Uhr klappt gut, weil ich die Nacht vor dem Start sowieso immer Reisefieber habe. Hochwasser im Hafen von Roscoff ist um 7.00 Uhr früh. Wir möchten mit dem ablaufenden Wasser raus, damit wir den Tidenstrom möglichst gut für uns nutzen können. Stockfinstere Nacht, aber immerhin ist es trocken und nicht besonders kalt. Null Wind, das war genauso vorhergesagt. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, unter Motor loszufahren, damit wir den für Dienstag und Mittwoch angesagten guten Wind in der freien Biskaya bekommen. Ende Dezember ist auf der Nord-Halbkugel nicht mit dem Wetter zu spaßen. In den letzten Wochen folgte ein Sturmtief auf das andere, jetzt nehmen wir lieber keinen Wind oder wenig Wind zu Beginn dieser Etappe. Sicherheit kommt vor „Schön Segeln“. Kabbelige See beim Start, das sind die Überbleibsel der vergangenen Starkwind-Tage. Unten im Salon wird es mir sofort flau im Magen. Da gehe ich doch lieber nach draußen und übernehme das Steuer. Zur Ablenkung bekommen wir Besuch von einer Delfinschule, gerade als wir die Bucht von Roscoff verlassen haben. Immer wieder faszinierend, wie schnell und elegant die Tiere um’s Boot herumschwimmen und synchron zu dritt oder viert im Bogen aus dem Wasser springen. 🙂
Ile de Batz lassen wir auf backbord liegen Die Strömung ist mit uns, Kurs West, endlich geht es weiter. Den ganzen Tag über bleibt die Temperatur angenehm, kein Regen, Himmel relativ hell. Kaum Schiffsverkehr, auch die Funke ist ruhig. Nach 5 Stunden sind die Delfine immer noch unsere Begleiter. Manchmal sieht man sie etwas weiter entfernt, aber meistens bewegen sie sich ganz nahe neben unserem Boot oder schwimmen vor dem Bug unter uns durch. Schon so oft gesehen, aber es ist trotzdem jedes Mal ein tolles Schauspiel. 🙂 Das Echolot brauchen wir nun nicht mehr, das Wasser ist überall tief. Am Nachmittag glättet sich das Meer zugunsten einer langgezogenen Dünung. Da fühlt man sich gleich wie auf dem Atlantik. Der Magen hat sich wieder beruhigt.
Gleichmäßige Schiffs-Bewegungen sorgen dafür, dass es auch mit dem Schlafen schon klappt. Nur einmal in der Nacht ‚raus zum Segel-Setzen, dann die Windsteueranlage einstellen und gemütlich Wache halten. Ruhige Nacht. Irgendwann packt uns die Gegenströmung – natürlich. Sehr mühsam, bei der Ile D’Ouessant um die Ecke zu kommen. Schneckentempo, nur noch 1,5 Knoten Fahrt voraus. Aber das kennen wir ja schon, ist hoffentlich das letzte Mal, bevor wir von der Küste richtig frei sind.
Endlich liegt die Bay of Biscaya offen vor uns. Auffällig mehr Schiffsverkehr, vermutlich kreuzen wir gerade die Route nach Brest. Kursänderung auf Süd-West, schöner Wind mit 15 Knoten aus Süd-Ost. Mit ungerefftem Groß und Fock auf steuerbord laufen wir mit 5,5 Knoten Geschwindigkeit Richtung La Coruña. Wir sind zufrieden und fühlen uns richtig gut. Das war ein gelungener Start. Würde sagen : Alles richtig gemacht. 🙂
Das Funkgerät funktioniert zuverlässig, AIS sendet und empfängt, ganz wie es sein sollte. Kein Stress, wenig zu tun. Wir genießen die entspannten Wachen sehr. Englischer Kanal und Nordsee-Küste waren anstrengend genug. Stundenlang aus dem Fenster auf’s Meer sehen und den Gedanken nachhängen, das ist Langfahrt-Segeln, wie wir es lieben. So könnte es jetzt gerne die nächsten zwei Wochen weitergehen. Der Wind dreht etwas östlicher und schiebt die Walkabout bequem voran. Bis zum Kap Finisterre liegen ca. 300 Seemeilen vor uns. Das sieht nach einer schönen Überfahrt aus. Und wieder Delfine, diesmal 5-6 Stück, die eine Weile neben uns schwimmen und tauchen. 🙂
Ein 200 Meter langer Frachter mit Ziel Antwerpen geht hinter unserem Heck durch. Sieht gewaltig aus, aber der Riese passiert in ausreichendem Abstand. Wir haben deutlich mehr Schiffe um uns herum, seit wir uns in der Biskaya befinden. Kein Problem, Niemand kommt uns zu nahe. Am Nachmittag läuft der Windbagger und produziert Strom. Bei dieser moderaten Stärke und dank zwischengesetztem Schalldämpfer ist das Geräusch gut auszuhalten.
Inzwischen segeln wir mit ungerefftem Groß, der Fock auf steuerbord und der Sturm-Fock am Klüverstag in der Mitte zum Stabilisieren. Hoch am Wind, denn der kommt gerade nicht mehr so weit östlich wie versprochen, sondern hat auf Süd gedreht. Hackige Wellen von schräg vorne, das sind die Ausläufer eines Sturms weiter westlich von uns. Die Schiffs-Bewegungen sind gar nicht mehr so schön. Bin tagsüber kein bisschen müde, deswegen versuche ich in meiner Freiwache zu lesen. Aber das ist keine gute Idee am zweiten Tag auf See. Mir ist schon nach wenigen Minuten übel. Stelle mich eine Weile ins Cockpit und lasse mir den Wind um die Nase wehen. Es wird sofort wieder besser.
Und noch einmal fühlen wir uns von einem dicken Schiff bedrängt. Der Frachter Genesis mit 240 Meter Länge und 15 Knoten Speed kommt uns lange Zeit stur auf unserer Kurslinie entgegen. Die Skipperin wird unruhig, der Kapitän sagt : „Abwarten.“ Erst eine Viertelstunde vor der Begegnung klärt sich die Situation. Genesis weicht zwei Striche vom bisherigen Kompasskurs ab, zusätzlich steuere ich nach backbord etwas härter an den Wind. Die angespannte Situation wäre so leicht zu vermeiden, wenn der Riese etwas frühzeitiger anzeigen würde, dass er uns gesehen hat. Ich hasse Kollisionskurs.
Nachts wird der Seegang richtig unangenehm, denn wir verlassen den Kontinentalschelf. Die Wassertiefe fällt hier rapide von 200 auf 2000 Meter ab. Wind aus Süden, genau da wollen wir hin. Walkabout stampft immer wieder hart in die konfusen Wellen ein. In der ersten Freiwache finde ich keine Erholung, denn es ist sehr ungemütlich in meiner Seekoje. Aber auch das geht vorbei, und von 4.00 Uhr bis 8.00 Uhr ist der Schlaf dann umso tiefer.
Die französische Nationalflagge kann weg, die Französisch-Bücher auch. Spanien – wir kommen !
Die Nacht präsentiert sich wieder still und schön. Leichter Wind aus Süden, wir segeln auf Kurs 230°. Bisher kein Tropfen Regen. In Cherbourg und Roscoff hatten wir wochenlang so viel Niederschlag, dass unten in der Werkstatt immer noch vier Paar Schuhe zum Trocknen liegen. Ab 10.00 Uhr wird es langsam hell am Horizont, der Himmel verliert täglich mehr sein Winter-grau. Nettes Hochdruck-Gebiet. 🙂
Einmal müssen wir unseren Kurs deutlich ändern, weil von achtern fünf Schiffe gleichzeitig aufrücken. Die sind alle schneller als wir und kommen kontinuierlich näher. Das ist uns eindeutig zu viel Nervenkitzel. Keine Lust, bei jedem dieser Verfolger zu hoffen, dass er einen Bogen um uns macht. Wir fahren lieber defensiv und weichen diesem Pulk aus. Danach haben wir es geschafft, frei von anderen Schiffen. Wir halten uns nun rechts außerhalb des dichten Verkehrs, der nach Nord-Spanien unterwegs ist. Die Hälfte der Biskaya liegt bereits hinter uns, vor uns unendlich viel Platz im Nord-Atlantik.
Ruhig ist es – fast zu ruhig. Der Wind wird immer schwächer, kommt dazu weiterhin hartnäckig aus Süden, leichte Dünung ebenfalls aus Süd. Sehr langsames Vorwärtskommen, schaffen gerade noch mit Mühe 2,5 Knoten. Auch unseren Kurs können wir nicht mehr länger halten, segeln jetzt direkt nach Westen. Macht aber bei dieser „Geschwindigkeit“ fast gar nichts …. Uns stört es gerade überhaupt nicht, denn das Leben an Bord ist richtig gemütlich, wenn das Schiff so leise durch’s Wasser plätschert. Wir verpassen ja nichts, und Zeit haben wir genug. Der Alltag auf See hat sich gut eingestellt, das Segeln im Zeitlupen-Tempo ist kein bisschen anstrengend. Wen interessiert es da schon, ob wir früher oder später ankommen ? Ist heute wirklich erst der dritte Tag auf See ?
Die Nacht beginnt klar und hell. Ein halber Mond leuchtet mit den Sternen um die Wette. Wann haben wir das letzte Mal Sternenhimmel gesehen ? Das war in der Nacht vom 17. November, als wir im Heimathafen Norderney gestartet sind. Seitdem immer nur Schietwetter und schlechte Sicht, auch heute verdrängt eine dichte Wolkendecke ab Mitternacht den hellen Schein. Kein Wind mehr, der Motor muss an. Beide haben wir das zweifelhafte Vergnügen, eine komplette Wache unter Maschine zu fahren. 4 Stunden fast unbeweglich am Steuerrad sitzen und dabei möglichst genau auf der Kurslinie fahren, das macht keinen Spaß. Dazu kommt, dass wir uns plötzlich mitten in einer Brigade von Fischern wiederfinden. Die nehmen keine Rücksicht auf uns, sondern fahren mal hierhin und mal dorthin. Es kann sein, dass die Arbeitsboote sich eine Stunde lang überhaupt nicht vom Fleck bewegen und dann plötzlich mit 10 Knoten auf uns zuhalten. Klar, die sind ja auch auf Fisch-Suche. Ganz schlecht einzuschätzen, aber da müssen wir nun durch.
Entgegen aller Vorhersagen weht früh am Morgen ein schöner Wind. Segel können wieder hoch. Es stellt sich die Frage, ob unser AIS erneut ausgestiegen ist. Kompetenzzentrum Hamburg meldet, dass er uns seit Brest nicht mehr sehen kann. Sehr merkwürdig. Bei uns scheint mit der Technik alles okay zu sein, das Ding sendet und empfängt Signale. Thomas funkt den Tanker Torm Camilla einige Seemeilen hinter uns an und fragt, ob die uns auf dem Bildschirm sehen können. Der Wachhabende bestätigt, dass unser AIS-Signal deutlich empfangen wird. Das gibt Klarheit, vor allem bei der Bordfrau, die der Technik immer skeptisch gegenübersteht. Henning rät uns, nicht noch weiter nach Westen zu segeln, sondern den Kurs besser nach Süden abzusetzen. Okay, wird gemacht. Wir möchten ja auch gerne möglichst bald in die Wärme kommen. Einiges hat sich schon spürbar verändert : Um 18.00 Uhr ist es immer noch hell draußen. Man kann sich ins Cockpit stellen, ohne dass die Ohren abfrieren. Zum Schlafen reicht jetzt eine normale Steppdecke. Kein Faserpelz mehr …. So ganz verkehrt kann unser Kurs nicht sein. 😉
Wind von nicht nennenswerter Stärke, 2-3 Beaufort aus Nord, zu wenig für unser schweres Schiff. Seit 4.00 Uhr in der Frühe daddeln wir mit 2 Knoten in Richtung Kap Finisterre. Sowas nennt man dann wohl „Kaffeefahrt durch die Biskaya“. Das war ja klar, wir haben es uns selber ausgesucht. Gefällt uns viel besser so als im Sommer 2011, wo wir in der Biskaya von unserem ersten Sturm eingeholt und kräftig durchgeschüttelt wurden. Damals haben wir viel Wasser übergenommen, zwei Tage und Nächte beigedreht gelegen und sind schließlich vom starken Westwind weit in die Bucht abgedrängt worden bis nach Santander. Da haben wir es jetzt doch viel gemütlicher, Urlaub auf See sozusagen. Und wir müssen nicht von Hand steuern, die Aries hält den Kurs, auch wenn nur ein laues Lüftchen weht. Kräftesparend und schön entspannt. Das Licht wird jeden Tag ein bisschen heller. Gelegentlich gibt es blaue Flecken zwischen den Wolken zu sehen, manchmal blitzt sogar kurz die Sonne hervor. Die Tür vom Deckshaus kann jetzt tagsüber offen bleiben. Die dicke Mütze wird weggepackt. Wir denken über Sonnenbrille und Sonnencreme nach. Die Stimmung ist gut an Bord. Samstag und Sonntag sollte die Fahrt etwas flotter werden. Es sind 5-6 Windstärken aus Ost angesagt, das könnte uns ein richtiges Stück weiterbringen.
Highlight dieses stillen Tages wird ein Wal, der sich zügig von hinten nähert. Zunächst entdecken wir ihn nicht, nur das Geräusch vom Blas ist deutlich zu hören. Dann sehen wir ihn etwa 100 Meter entfernt einige Male auf- und wieder abtauchen. Buckelwal oder Finnwal, wir können es bei dieser kurzen Begegnung nicht so genau erkennen. Das Tier möchte nicht mit uns spielen, sondern ist zielstrebig im Reise-Modus unterwegs …. und eindeutig schneller als die Walkabout. Das Boot bewegt sich gerade gar nicht mehr, sondern steht auf der Stelle. Es herrscht totale Flaute, aber ohne die übliche Dümpelei. Unser Schiff benimmt sich sehr ordentlich. Keine unangenehmen Bewegungen, kein Klappern oder Schlagen der Segel. Gut auszuhalten. 🙂
Wir befinden uns im Zentrum eines Hochdruck-Gebietes, und die Biskaya präsentiert sich platt wie ein Ententeich.
Viel Zeit zum Lesen, Schreiben oder für andere Dinge. Thomas bastelt einen Schutz für die Genua-Schot. Nun verhindern Hülsen aus Plastikschlauch um die Wanten, dass die Leinen dort scheuern. Rigg-Kontrolle, es wird noch einmal nachgeschraubt und die Spanner mit Splinten gesichert. Zwei Stagreiter am Vorsegel sind glatt durchgescheuert und werden ausgetauscht. Unter dem Motor findet sich etwas Öl, auch das wird genauer inspiziert. Offensichtlich ist alles okay. Um 18.00 Uhr meldet sich der Wind zurück, vorerst nur leicht, aber segelbar. Es geht weiter. Wir kommen voran, langsam, aber stetig.
Seit dem Start im Heimathafen Norderney haben wir inzwischen 1000 Seemeilen zurückgelegt. Weitere 1000 Seemeilen liegen noch vor uns bis zu den Kanaren. Kann dauern …. 😉
Seit Mitternacht weht es konstant mit 5 Windstärken aus Ost. Genua weg, anderes Vorsegel setzen und das Groß hochziehen dauert insgesamt eine volle Stunde in der Nacht. Das ist noch nicht optimal eingerichtet. Ich wünsche mir unsere Roll-Fock zurück, damit wäre es so einfach. Nach der Bummelei in den letzten Tagen erscheinen uns 5 Knoten Geschwindigkeit richtig schnell.
Kap Finisterre passieren wir in respektvollen 100 Seemeilen Abstand von der Küste. Das erste Mal steckten wir hier in dichtem Nebel, das zweite und nun zum dritten Mal umrunden wir das Kap in stockfinsterer Nacht. Nicht meine Lieblings-Ecke, höllisch viel Verkehr hier. So schnell kommen wir zum Glück nicht wieder vorbei.
Morgens früh haben wir unser bisher schlechtestes Etmal zu verzeichnen : 75 Seemeilen in den letzten 24 Stunden. In Anbetracht der stundenlangen Flaute sind wir damit zufrieden, da haben wir seit Mitternacht noch ganz gut aufgeholt. Eine frische Brise mit 25 Knoten bläst uns zielstrebig nach Süden. Leider kommt der Wind jetzt aus Nord-Nord-Ost, so weit achterlich, dass die Walkabout tüchtig ins Rollen kommt. Es schaukelt ordentlich, auch in der Seekoje kann man nicht mehr ruhig liegen. Wir staunen darüber, wie schnell sich hoher Seegang aufbaut. Erst seit 8 Stunden weht es, und es sind bereits ganz schöne Brecher dabei. Macht aber nichts, die Anfangsleiden sind vorbei, nun werden wir nicht mehr seekrank. Laufen inzwischen 6 und 7 Knoten auf Kurs 200° und befinden uns in ausreichender Entfernung westlich von der Schifffahrtslinie. Direkte Route noch 900 Seemeilen to go bis La Graciosa.
Um 11.00 Uhr kommt der Käpt’n aus der Koje und stellt sofort fest, dass wir zu viel Segelfläche tragen. Stimmt, inzwischen faucht der Wind immer wütender. Die Fock kommt weg, das Großsegel bekommt zwei Reffs. Damit machen wir immer noch zwischen 5 und 6 Knoten Fahrt. Eine Segellatte aus dem Groß hat sich verabschiedet und verschwindet in den Tiefen des Atlantiks. Kurze steile Wellen machen das Leben an Bord ungemütlich. Um uns herum tobt die See, zu beiden Seiten sind bis zum Horizont weiße Schaumkronen zu sehen. Konstanter Grundwind von 7 Windstärken, in den Böen auch mehr. Es ist doch immer das Gleiche mit dem Wind – entweder zu viel oder zu wenig. Walkabout muss ordentlich Schläge einstecken, aber das Schiff verhält sich prima. In regelmäßigen Abständen kommen Querschläger und treffen uns mit voller Wucht breitseits. Dann legt sich das Boot auf die Seite, richtet sich wieder auf, pendelt einige Male hin und her. Natürlich haut es uns aus dem Kurs, wenn eine Welle so hart an die Seite klatscht. Aber sobald wir uns wieder aufgerichtet und stabilisiert haben setzen wir die rauschende Fahrt fort. Walkabout erinnert mich an einen nassen Hund : Einmal kräftig schütteln und weiter geht’s.
Nachmittags laufen wir immer noch nur unter doppelt gerefftem Groß. Rasante Fahrt, genau auf der Kurslinie. Unten im Salon muss man sich sehr gut festhalten, damit es keine Beulen und blaue Flecken gibt. Ich sitze mit angelegter Rettungsweste im Deckshaus und kann mich sofort einhaken, wenn ich nach draußen muss. Kaum zu glauben, dass die See gestern so ruhig war, dass der Koch Pfannkuchen zum Abendessen servieren konnte. Heute steht dann wohl eher Eintopf auf dem Speiseplan. Was für ein Unterschied !
Gigantischer Sternenhimmel ! Klar und deutlich ist der Bogen der Milchstraße zu erkennen. Gegen Mitternacht Wetter-Beruhigung, angenehme 5 Windstärken, die See wird schnell sanfter. Die Fock kann wieder gesetzt werden, ruhige Fahrt durch die Nacht mit 4-5 Knoten. Unser bisher bestes Etmal : 120 Seemeilen in 24 Stunden. Das ist der Lohn für 20 Stunden Rock’n Roll. Alles in Lot auf dem Boot. Es ist schon erstaunlich, wie schmal der Grat ist zwischen Wohlfühlen und Quälerei beim Segeln.
Kompletter Szenen-Wechsel. Dieser Gegensatz zu gestern ist unglaublich. Der Atlantik liegt friedlich vor uns, kaum noch Wellen. Sanft und fast geräuschlos gleiten wir durch’s Wasser. Leichter Wind aus Süd-Ost, gerade genug, um mit 3 Knoten pro Stunde unserem Ziel näherzukommen.
Der Morgen präsentiert sich klar und wolkenlos. Ein breiter Streifen am Horizont lässt auf einen Schönwetter-Tag hoffen. Viertel nach neun geht die Sonne als roter Ball im Osten auf. Sonne ! Wir haben sie gefunden und sind eindeutig in einer anderen Klimazone angekommen. Den ganzen Tag über genießen wir Bilderbuch-Wetter vom Feinsten. Blauer Himmel, kein Wölkchen, Sonne satt. Unsere Solarpaneele liefert endlich wieder ordentlich viel Strom. Kein Geschwindigkeitsrekord, aber einfach nur schön. 🙂
Thomas entschließt sich dazu, auf dem Vordeck die Reparatur unseres braunen Klüvers in Angriff zu nehmen, der uns schon auf der Etappe von La Coruña nach Norderney gerissen ist. Bisher waren wir noch nicht sicher, ob wir dieses Segel behalten möchten. Nun werden wir den Klüver nähen und weiter benutzen, da ja kürzlich in Roscoff eines unserer größeren Vorsegel in den Müll gewandert ist. Viel gibt es sonst nicht zu tun. Ein bisschen Haushalt, Lebensmittel umsortieren, den Müll zerschnipseln, die Eier umdrehen …. Man kommt nicht an die Gläser mit Bockwurst dran, weil darüber mehrere Lagen Dosenbier gestapelt sind. Das ist ja mal wieder typisch. 😉 Unser Ankerbier für La Graciosa. Wir genießen das Leben, das Licht, die Wärme. Niemand möchte irgendwo ankommen, wenn das Segeln so schön ist.
Die erste Woche ist um und völlig unspektakulär verlaufen. Sehr gut, es muss ja nicht immer aufregend sein. 😉
Alles hat seine Zeit, jedes Ding hat seinen Platz. Unsere Bord-Routine mit dem 4-Stunden-Rhytmus hat sich prima eingespielt und lässt die Tage ineinander fließen. Wie lange sind wir nun schon unterwegs ? Tag und Datum sind total unwichtig, wenn wir nicht das Logbuch schreiben müssten, dann wären wir völlig zeitlos. Immer zur selben Zeit Kaffeetrinken, zwei gemeinsame Mahlzeiten, Körperpflege, Funk-Termine. So viel Struktur haben wir zu Hause im Alltagsleben nicht. Ausreichend Schlaf bekommen wir auch. Wir lieben den Zustand „Auf See zu sein“ – könnte ewig so weitergehen. Zum Glück deutet im Moment noch nichts darauf hin, dass wir unsere Reise unterbrechen müssen. Die Wind-Vorhersage für die nächsten Tage ist nicht optimal, aber wir haben kein dickes Sturmtief zu erwarten.
Und wieder glitzern Milliarden von Sternen an einem völlig klaren Himmel. Wetterexperten würden vermuten : Es bleibt schön. 🙂 Ein Frachter mit Ziel „Las Palmas“ überholt uns während der Nacht in 2 Seemeilen Abstand. Genau unsere Richtung, da hängen wir uns dran. 😉
Der Sonnenaufgang heute steht dem von gestern in nichts nach. Der Horizont zur Linken tiefrot, keine einzige Wolke, die aufsteigende Sonne spiegelt sich im Wasser. Das sieht wirklich nach konstantem T-Shirt-Wetter aus. Gut so, genau das haben wir gesucht.
In der Frühe haben wir erneut einen Verfolger auf unserer Kurslinie im Nacken. Der Tanker „Cielo de Capri“ hat gewaltige Ausmaße, 300 Meter Länge, und ist schon weithin sichtbar. Etwa eine Viertelstunde vor der Annäherung ändert das Schiff seinen Kurs etwas und überholt in 1,5 Seemeilen Abstand an backbord. Sehr anständig und dank AIS völlig entspannt. In den Informationen auf unserem Bildschirm ist als Ziel Las Palmas angegeben. Schon wieder einer, wir müssen auf dem richtigen Weg sein. Das ETA, die voraussichtliche Ankunftszeit, soll der 2. Januar sein – also übermorgen. Das schaffen wir nicht ganz, wir rechnen mit ungefähr noch einer Woche bis zu den Kanaren. Der fährt fünf Mal schneller als wir. Noch lange nachdem der Riese an uns vorbeigezogen ist, geht mir ein Gedanke nicht aus dem Kopf : „Himmel von Capri“ – was für ein bescheuerter Name für einen Tanker. 😉
Beständige 4 Windstärken bedeutet eigentlich gleichmäßiges Vorankommen, nur die Richtung könnte besser sein. Es bläst aus Süd-Süd-Ost. Wir segeln hart am Wind auf Kurs 180° und schaffen 4 Knoten pro Stunde. Walkabout macht das großartig, die Schiffs-Bewegungen sind angenehm. Das Boot läuft richtig gute Höhe, was eigentlich erstaunlich ist bei den ausgenudelten Segeln.
Silvester an Bord …. ist ein Tag wie jeder Andere. Ich kann mich sehr gut an die letzten Jahreswechsel erinnern, meistens an abseits gelegenen Orten oder in freier Natur. Da war zum Beispiel 2011 ein Ausflug mit Übernachtung im 6-er-Zimmer in Puente del Inca, eine Ansammlung von wenigen Häusern an der Argentinisch-Chilenischen Grenze. Das Restaurant hatte geschlossen, es gab nichts Warmes zu Essen und nur Wasser zum Trinken. Silvester 2012 standen wir zusammen mit Mauro und Julian auf dem Plaza in Puerto Deseado, ein kleines Dorf in Argentinien, welches diesem Namen durchaus alle Ehre macht. Dort haben wir unsere abgelaufenen Leuchtraketen entzündet und in die Luft geschossen. Kein Mensch auf den Straßen. Es war, als würden die Einwohner, überwiegend alte Leute, Silvester gar nicht kennen. Weihnachten und Jahreswechsel 2015 in Neuseeland auf dem Te Araroa-Trail. Weit weg von der Zivilisation, irgendwo im Wald. 2017 war Thomas auf der Lojan in Tahiti, ich nochmal im Zelt auf dem Te Araroa. Und dieses Jahr feiern wir dann eben an Bord der Walkabout auf dem Atlantik.
0.00 Uhr Iberian Basin – 5000 Meter Wassertiefe unter uns. Noch 650 Seemeilen bis La Graciosa.
Pos. : 40°02.711′ Nord 11°51.073′ West