Wir segeln und wandern durch die Welt

Boyle Village-Arthur’s Pass-Methven-Twizel-Wanaka 05.03.2016 bis 30.03.2016

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Schleppender Start – wir brauchen 4 Stunden, Start – wir brauchen 4 Stunden, um von Hanmer Springs wieder zurück zum Trail zu kommen. Zunächst passiert gar nichts, dann hält ein stabiles Go-Cart für 4 Personen. So etwas haben wir noch nie gesehen. Man muss sich das etwa so vorstellen wie zwei nebeneinander geschweißte Tandem-Räder. Daumen ‚raushalten war hier eigentlich ein Scherz, aber das Gefährt stoppt neben uns. Wir lernen Lisa und Bert kennen, ein cooles Paar aus Hamilton, die dieses kuriose Fahrzeug ganz im Süden gekauft haben und nach Hause bringen wollen. Sie haben damit schon 1000 Kilometer auf der Straße zurückgelegt, übernachtet wird immer im Zelt. Unter dem Verdeck hängt die frisch gewaschene Wäsche zum Trocknen. Die Beiden räumen etwas um, damit Platz für unsere Rucksäcke entsteht. Dann bekommen wir ein paar Anweisungen zum Treten und Schalten, Helme auf den Kopf, und los geht es. Lisa sitzt rechts am Lenkrad und ist „The Driver “ – Bert ist blind, was man auf den ersten Blick gar nicht bemerkt. Auf diese Weise kommen wir radelnd etwa 10 Kilometer weiter. Vor einem hohen Berg müssen wir aussteigen, da kommt das Go-Cart mit vier Personen und Gepäck nicht hoch. Hier an der Straße stehen wir geschlagene zwei Stunden, ohne dass sich Jemand erbarmt. Schließlich sind wir das Warten leid und laufen ein paar Kilometer bis zur nächsten größeren Straße. Dabei passieren wir eine Brücke, an der gerade Bungee Jumping stattfindet. Viele junge Leute schauen etwas irritiert und machen schlaue Sprüche, als wir mit unserem schweren Gepäck bergauf schwitzen. Es wird immer später, so langsam bin ich ziemlich genervt. Dann hält endlich ein schmutziger Kleinwagen, drinnen ein russisches Paar und nur sehr wenig freier Raum. Rucksäcke, Kleidung und Camping-Ausrüstung liegen auf der Rückbank und im winzigen Kofferraum verteilt. Irgendwie schaffen sie noch Platz für uns und unser Zeug, die Stöcker zwischen uns, Rucksäcke auf dem Schoß – es geht irgendwie. Das russische Paar stammt aus Moskau und ist 14 Tage mit einem Leihwagen in Neuseeland unterwegs, ebenfalls mit schmaler Reisekasse. Solche Leute halten für uns an, auch wenn es eng wird. Die schicken Touri-Autos, Wohnmobile, Camper-Vans ignorieren uns und fahren einfach vorbei. Er fährt beruflich auf Forschungs-Schiffen zur See und wird demnächst eine Expedition in die Arktis begleiten. Auch in Argentinien und Chile sind die russischen Weltenbummler bereits gewesen, wodurch sich natürlich interessante Gesprächsthemen ergeben. Das Beste an unserer Art zu reisen ist der Kontakt zu den Menschen unterwegs. Um 14.30 Uhr stehen wir endlich wieder in Boyle Village, wo wir den Te Araroa verlassen haben und auf den nächsten Track starten. Ganz schön spät, um noch eine richtige Tages-Etappe zu laufen. Stefan, der uns inzwischen eine Woche voraus ist, hat uns bereits per SMS vorgewarnt. Der TUI Track gehört wirklich nicht zu unseren Favoriten. Es gibt eine Schlechtwetter- bzw. Hochwasser-Route, damit kann man abkürzen, indem man einfache zwei Stunden entlang der Straße läuft. Aber wir haben weder das Eine noch das Andere ….. unser sportlicher Ehrgeiz ist es, den Te Araroa ganz und ohne zu Schummeln zu laufen. Der Weg hat es tatsächlich in sich. Gleich zu Anfang müssen wir durch den Boyle River, der hier so tief ist, dass sogar die kurzen Hosen nass werden. Danach gibt es eine Passage durch Geröll am Flussbett entlang, anschließend sumpfiges Gebiet mit tiefen Matschpfützen, bis der Doubtful River den Weg versperrt. Den müssen wir ebenfalls durchqueren, knietiefes Wasser mit erstaunlich starker Strömung. Am anderen Ufer angekommen bleibt es mühsam. Beim Schuhe-Wechseln werden wir fast von den Sandflies aufgefressen. Das bedeutet : bloß nicht stehenbleiben, keine Pause. Es ist einfach nicht zum Aushalten, wenn man sich nicht fortbewegt. Auch der weitere Verlauf bleibt feucht und rutschig, immer wieder versuchen wir, um den Modder herum zu turnen. Irgendwann liegt ein kleiner Teich im Weg, den wir nicht umgehen können. Ein halbherziger Versuch, über äste und Steine auf die andere Seite zu balancieren, misslingt. Okay, nun sind die Schuhe endgültig nass. Endlich haben wir den TUI-Track hinter uns, knapp 4 Stunden für 12 Kilometer Strecke. Nun beginnt der Kiwi-Track, und der ist um ein Vielfaches schöner. Wir starten mit einem angenehm einfachen Pfad bergauf neben einem Damwild-Gehege entlang. Von da aus geht es endlich wieder in einen dichten Laubwald. Kein Matsch mehr, sondern weicher Waldboden, der unter unseren Füßen federnd nachgibt. Dieser Trail gefällt uns ausgesprochen gut, aber das Gewicht auf unseren Schultern mit 8-Tage-Proviant drückt ordentlich. Später Start, dann der anstrengende TUI Track …. wir finden heute nicht so richtig unseren Rhythmus. Nach nur 3 weiteren Kilometern entdecken wir an einem Bach einen einladenden Platz mit dicken Baumstämmen zum Sitzen und bauen dort unser Zelt mitten auf dem Weg auf. Es ist erst 19.00 Uhr, aber in der Nacht wird wohl Niemand mehr kommen.

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Weiter geht es auf dem sehr schönen Kiwi Track, der lange Zeit dem Hope River folgt. Wir befinden uns im Lake Sumner Forest Park und sind in bester Lauf-Stimmung. Schon nach 1,5 Stunden erreichen wir die Hope Shelter, wo wir einen netten Biologen aus Christchurch kennenlernen, der während seines Urlaubs die Südinsel in kleinen Abschnitten durchwandert. Auch Mark ist ein sehr interessanter Mensch, der demnächst vorhat, nach Chile und Argentinien zu reisen. Erstaunlicherweise möchte er dort die mehrtägige Tour durch die Dientes de Navarrino laufen. Diese Rund-Wanderung haben wir Anfang 2013 gemacht, während wir auf unser Wetter-Fenster für Kap Horn gewartet haben. Eine superschöne Hiking-Tour in grandioser Natur, die wir auch unbedingt noch einmal wiederholen möchten. Mark bekommt von uns ein paar Tipps, Namen und Adressen aus Ushuaia sowie Puerto Williams, e-mail-Adresse, Homepage zum Fotos-Angucken ….. Dann trennen sich unsere Wege, denn seine Pläne führen nach Norden, wir folgen dem Te Araroa Richtung Süden. Eine Hängebrücke bringt uns auf die andere Seite des Hope River. Unsere nächste Station ist die Hope Kiwi Lodge, leichtes Gelände, in dem wir gut und schnell vorwärts kommen. Schicke Hütte, voll möbliert, aber wir laufen nach der Mittagspause zügig weiter. Kurz danach steigen wir hinauf und kommen über den Kiwi Saddle. Dieser Weg bergauf war sowas von einfach, dass wir den höchsten Punkt gar nicht bemerkt haben, sondern uns plötzlich schon wieder auf dem Weg nach unten befinden. Zwischen den Bäumen hindurch können wir zur Linken Blicke auf den Lake Sumner erhaschen, welcher blau-grün in der Sonne schimmert. Am Ufer des Sees stehen zwei Kühe bis auf halber Beinhöhe im Wasser, ein sehr befremdlicher Anblick. Sie erschrecken sich und traben an Land zu ihrer Herde, als wir näher kommen. Ein Stück weiter erblicken wir eine dritte Kuh, die sich ziemlich weit ins tiefe Wasser vorgewagt hat. Sie stört sich nicht weiter an uns, sondern stapft gemächlich weiter durch den See. Der Three Mile Stream liegt vor uns, eine Hängebrücke neueren Datums führt hinüber. Unser Pfad führt über matschige Wiesen und Kuhweiden, es bleibt immer schön flach. Wir sehen ein Paar besonders hübsch gezeichneter Enten, deren Namen wir noch herausfinden müssen. Beide haben braun-grün-schillerndes Gefieder, eine davon hat einen weißen Kopf, die andere einen dunklen. Dann stehen wir plötzlich vor einer ewig langen Hängebrücke, die auf mich nicht besonders Vertrauen erweckend wirkt. Unten sieht man nur den Gitterdraht, zum Teil angerostet, darunter der schäumende Hurunui-River. Der Draht, der zum Festhalten dient, ist auf mehreren Metern mit Klebeband umwickelt. Und dann diese Länge ….. 164 Schritte haben wir gezählt. Durch die Distanz kommt das Ding natürlich ordentlich ins Schwingen. Heißt ja auch “ Swing Bridge “ auf englisch. Wir entdecken die Spuren von Kiwi-Vögeln auf dem Weg. Sie scharren Mulden in die lose Erde und in das Blätterwerk am Boden, wenn sie nach Nahrung suchen. Ab dem Nachmittag scheinen unsere Rucksäcke immer schwerer zu werde. Das Gewicht drückt und quält mich ordentlich. So langsam reicht es, wir möchten endlich Feierabend machen. Da kommt ein DOC-Schild wie gerufen, auf dem steht die Entfernung zur nächsten Hütte mit 30 Minuten angegeben. Wir laufen also eine halbe Stunde weiter, nur um vor einem weiteren DOC-Schild zu stehen, welches den Hinweis gibt, dass es noch 30 Minuten sind bis zur Hurunui Hut. Grrrr – ich fühle mich mal wieder leicht verarscht und verfluche die Leute von der DOC, die diesen Trail vermutlich noch nie selber gelaufen sind. Also müssen wir nochmal die Zähne zusammenbeißen, alle Kräfte mobilisieren, denn ab hier geht es das letzte Stück steil bergauf. Um 19.30 Uhr kommen wir an der Hurunui Hut an, die groß und gemütlich eingerichtet ist. Zwei junge Frauen wohnen schon hier, eine Tierärztin und Julia, eine Hebamme. Beide stammen aus Deutschland und laufen jeweils nur Teile vom Te Araroa. Sie suchen sich “ die Sahnestückchen “ aus. Es gibt schlechtere Gesellschaft, wir sind froh, dass wir es soweit geschafft haben. Immerhin knapp 30 Kilometer, das war am Morgen noch gar nicht unser Plan.
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Julia und die Tierärztin können heute nicht lange schlafen, weil unser Wecker um 6.00 Uhr klingelt. Aber es regnet, so dass wir länger bleiben, um den ersten Schauer in der Hütte abzuwarten. Wir starten gegen 9.00 Uhr im Nieselregen. Ganz in der Nähe steht eine glückliche Kuh in einem kleinen Teich und glotzt uns neugierig an. Etwas weiter liegt eine tote Kuh auf dem Weg, kein schöner Anblick. Zum Glück ist hier Platz genug, um mit zugehaltener Nase dran vorbei zu laufen. Bereits nach 1,5 Stunden dampft es aus dem Berg, und es riecht leicht nach Schwefel. Ein kleiner Abstecher führt zu den Hot Springs. Das ist eine natürliche heiße Quelle im Wald. Wir nutzen die Gelegenheit für ein warmes Bad und setzen uns in den Pool. Ist allerdings nicht so ganz nach meinem Geschmack, denn der Boden ist modderig. Schwebeteilchen, verrottete Blätter, Holzstückchen und was weiß ich werden aufgewirbelt und steigen in einer Wolke auf. Man kann auch nicht ganz untertauchen, dafür ist das Becken zu flach. Der Oberkörper, der Kopf und die Hände werden von Sandflies attackiert, während wir versuchen, unsere Körper im warmen Wasser zu entspannen. Danach ist man schmutziger als vorher. Wir beeilen uns, schnell den Hang hinunter und hinein in den eiskalten Fluss. Hier können wir uns richtig einseifen, die Unterwäsche wird gleich mitgewaschen. Es prickelt schön am ganzen Körper, eine richtige Kneipp-Kur, herrlich erfrischend und belebend. Von dort aus ist der gesamte Trail matschig, immer wieder kommen uns beim Aufstieg Rinnsale von fließendem Wasser entgegen. Te Araroa folgt über weite Strecken dem Hurunui River, es bleibt nass. Mittagspause machen wir in der Hurunui No. 3 Hut, wo wir einen jungen Mann aus Deutschland kennenlernen, der mit einem Work-and-Travel-Visum für ein Jahr durch Neuseeland reist. Draußen regnet es sich richtig ein, während wir Rast machen und uns unterhalten. Trotzdem müssen wir irgendwann los, sonst kommen wir nie bis nach Bluff. Eine weitere tote Kuh liegt im Bach, den wir übersteigen müssen. Da ist nicht mehr viel dran, die Haut ist durchscheinend, und man sieht schon die weißen Knochen. Total eklig, lieber nicht länger hinsehen und schnell weg von hier. Auch beim Wasser-Nehmen sollten wir demnächst etwas vorsichtiger sein. Dann erwartet uns die nächste Riesen-überraschung : eine V-Brücke, auf englisch 3 Wire Emergency Bridge. Diese besteht aus drei Drähten, jeweils etwa einen Zentimeter dick, die wie ein “ V “ über den Fluss gespannt sind. Auf dem unteren Draht muss man vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzen und so bis auf die andere Seite balancieren. Die beiden anderen Drähte links und rechts dienen zum Festhalten. Na prima, mir bleibt auch nicht’s erspart ! Das ist noch einmal eine ganz bösartige Steigerung der wackeligen Hängebrücken mit Gitter am Boden. Nächste Station für uns ist die Cameron Hut, wo wir zunächst alleine sind. Irgendwann wird unsere Ruhe empfindlich durch Motoren-Geräusch gestört. Wir können es kaum glauben, aber da fährt tatsächlich ein Allrad-Fahrzeug vom DOC bis vor die Hütte. Drei Männer steigen aus, poltern hinein, grüßen nur knapp. Sehr unfreundlich und unangenehm laut sind die, werfen mehrere große Rucksäcke und Kartons mit Vorräten auf die Bänke. Scheinen sich hier für mehrere Tage einquartieren zu wollen – Benehmen mangelhaft. Wir sind froh, dass dieses nicht unser Nachtquartier werden soll und nehmen schnell Reißaus. Es geht höher und höher, wir steigen fleißig auf, aber der Weg verläuft weiter am Hurunui River entlang. Eine kleine 2-Personen-Hütte liegt noch etwas unterhalb des Gipfels. Dieses Harper Pass Bivvy ist nicht mehr als eine Not-Unterkunft bei sehr schlechtem Wetter. Dort steht nur ein wackeliges Etagenbett, die beiden Pritschen haben so gut wie keine Kopf-Freiheit nach oben. Also setzen wir uns einfach kurz auf den Boden, um einen Müsli-Riegel zu essen. Es dauert leider keine 5 Minuten, da haben die Sandflies uns auch drinnen gefunden. Dann kommt der letzte steile Anstieg bis auf den Harper Pass, unsere heutige Tagesaufgabe. Te Araroa kreuzt die südlichen Alpen über den Harper Pass auf 962 Meter. Diese Höhe ist für uns inzwischen eine Lachnummer. Es geht zwar über eine kurze Distanz schweisstreibend hinauf, aber gefühlt kann das nicht länger als eine halbe Stunde gewesen sein. Oben ist die Sicht gleich Null, Nebel hüllt uns ein, der Nieselregen nimmt immer mehr zu. Also halten wir uns nicht lange auf, sondern machen uns gleich an den Abstieg auf der anderen Seite des Passes. Hinunter durch loses Geröll klappt es auch einfacher als erwartet, obwohl der Boden inzwischen nass und rutschig geworden ist. Unser Weg führt nun durch feuchten Nebelwald, immer wieder überraschend und abwechslungsreich. Interessante Pilze gibt es hier : grell orange-rote Auswüchse an Baumrinden oder grau-weiße tumorartige Gebilde, die Assoziationen an Hirnmasse wecken. Besonders gut gefallen mir die tellergroßen flachen Pilze, goldgelb und hellbraun, die genau wie Pfannkuchen aussehen. Bei dem Gedanken läuft mir das Wasser im Munde zusammen. Riesige Farne und sogar Palmen stehen um uns herum. Bäume, Felsen, die ganze Welt sind mit hellgrünem Moos überzogen. Thomas gefällt es so richtig gut hier im Wald, ich möchte eigentlich nur noch ankommen und ‚raus aus den nassen Klamotten. Es hat sich inzwischen heftig eingeregnet, wir haben überall fließendes Wasser auf dem Trail. Vor uns liegen über weite Strecken tiefe Matschlöcher, die wir anfangs zu umgehen versuchen. Einige Fluss-Durchquerungen und der weitere Verlauf des Weges auf Kieselsteinen im Flussbett machen es unmöglich, die Schuhe trocken zu halten. Die Felsen und Baumstämme zum Balancieren sind glitschig. Nachdem wir mehrmals abgerutscht und im Wasser gelandet sind, geben wir es auf und stapfen einfach nur noch hindurch. Nass und kalt erreichen wir endlich die Locke Stream Hut, wo man uns freundlich empfängt. Ein wanderbegeistertes Ehepaar aus der Gegend, beide schon über 70, lädt uns zu einer wärmenden Tasse Tee ein. Und wir treffen Jennifer und John wieder, ein amerikanisches Paar, die wir nur einmal in Te Kuiti kurz gesprochen haben. Die Beiden sind die Nordinsel bis Wellington gelaufen und von dort nach Bluff gefahren. Die Südinsel durchwandern sie wegen des bevorstehenden Winters in der anderen Richtung, also von Süden nach Norden. Diese Art von Thru-Hike wird Flip-Flop genannt, deswegen haben wir sie nie wieder getroffen. Es gibt viel zu erzählen, aber um 21.00 Uhr haben sich alle müden Wanderer zur Ruhe begeben.

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Während der Nacht konnten wir heftigen Regen ohne Unterbrechung auf das Hütten-Dach trommeln hören. Gar nicht gut für unsere Pläne, denn den nächsten Track kann man nicht bei erhöhtem Wasserstand laufen. Es liegen Dutzende von Fluss-Querungen auf dem weiteren Verlauf des Weges, die nach starken Regenfällen viel zu gefährlich sind. Erstmal wird länger geschlafen, dann ausgiebig gefrühstückt. Jeder schaut interessiert, was wohl bei den Anderen im Topf köchelt. Gegen 11.00 Uhr hört der Regen endlich auf. Unser Bach vor der Hütte führt ganz eindeutig viel mehr Wasser als gestern am Abend. Thomas wandert zusammen mit dem sehr erfahrenen Allan bis zum ersten Fluss, um sich ein Bild der aktuellen Lage zu machen. Viel zu hoch, zur Zeit noch keine Chance zum Durchkommen. Wir sitzen also bis auf Weiteres in der Locke Stream Hut fest. Jennifer und John laufen los, denn der Weg nach Norden ist frei von tiefen Wasserläufen. Das ältere Ehepaar beschließt, bis um 14.00 Uhr abzuwarten und dann zu entscheiden. Das Wasser sinkt bis dahin kein Stückchen, deswegen bleiben sie noch eine weitere Nacht. Und wir sind vernünftig genug, um auf den Rat dieser beiden Einheimischen zu hören, die mit dem Wetter und den Flüssen in Neuseeland bestens vertraut sind. Auch wir werden heute nicht mehr starten, sondern einen langweiligen Tag in der Hütte verbringen. Hier gibt es noch nicht einmal etwas zum Lesen – wieder eine harte Geduldsprobe für mich. Aber man wird ja immer vernünftiger mit dem Alter, leichtsinnig sind wir ganz bestimmt nicht. Am Nachmittag fällt eine Vierer-Gruppe von Te Araroa-Hikern ein und bringt sehr viel Unruhe mit. Ich habe bereits aufgeräumt und Platz zum Schlafen in unserem Raum geschaffen, aber die jungen Leute kochen und essen nur, danach wollen sie sich 10 Kilometer weiter bis zur Kiwi Hut durchkämpfen. Auch gut, es wird wieder ruhiger. Nur kurze Zeit später treffen zwei junge Frauen ein, die genau von dieser Hütte kommen und nach Norden möchten. Der Weg bis zur Kiwi Hut wäre also zu schaffen, trotzdem bleiben wir lieber und hoffen, dass der Wasserstand morgen niedriger ist. Die Neuankömmlinge, das sind eine Tänzerin aus Neuseeland mit ihrer Freundin, die aus Australien stammt. Beide wirken auf den ersten Blick wie verzogene Püppchen. Später stellt sich heraus, dass die Beiden doch sehr unterhaltsam und witzig sind. Sie ziehen bei uns ein. Hoffentlich schnarche ich nicht wieder. Weil mir von der ganzen Unterhaltung auf Englisch der Kopf dröhnt, gehen Thomas und ich ein Stück spazieren. Nur so, ohne Rucksack, auch mal ganz schön ! Wir sitzen gemütlich auf einer Wiese am Fluss, da kommt unsere Tierärztin Julia um die Ecke. Sie hat innerhalb von zwei Tagen ganz bequem die Strecke zurückgelegt, die wir gestern gemacht haben. Unsere fleißige Lauferei hat uns aber kein Stück weitergebracht. Gestern haben wir Stress gemacht, weil wir vorwärts kommen möchten. Heute nun gammeln wir hier herum und schlafen mit Julia in derselben Hütte. Blöder Regen …. das hätte nun wirklich nicht sein müssen ! Aber auch dieser unfreiwillige off-day geht irgendwie vorbei. Zum Abend hin wird es sogar noch ganz lustig, denn wieder guckt Jeder bei den Anderen zu, was es dort zu Essen gibt. Neidische Blicke hier und dort, “ Koch „-Rezepte werden ausgetauscht. Hiker-Essen ist weder gesund noch lecker, da ist man immer froh über neue Anregungen und Abwechslung im Speiseplan. Inzwischen sind so viele Personen zum Uebernachten in der Locke Stream Hut, dass wir noch nicht einmal genügend Sitzplätze am Tisch haben. Aber eigentlich sind alle nett, es wird noch richtig gemütlich. Bevor wir uns zurückziehen verabreden wir uns noch mit Sue und Allan. Wir werden früh um 6.00 Uhr aufstehen und die Fluss-Querungen gemeinsam mit den “ alten Hasen “ machen.
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Locke Stream Hut bis Arthur’s Pass 09.03. – 10.03.2016  

Der Eintrag zum Deception-Mingha Track folgt später, da wir gerade nur einen kurzen Schlechtwetter-Stopp in Arthur’s Pass machen. Nur soviel vorweg : Es war eine absolut einmalige Tour in grandioser Natur. Das Besondere daran : Wir haben diesen Track von zwei Seiten kennengelernt. Am ersten Tag herrschte sonniges Bilderbuch-Wetter, am zweiten Tag heftiger Regen und Sturm in der Höhe. Uns geht es gut, wir schlafen heute warm und trocken.

Um 6.00 Uhr früh klingeln gleich mehrere Wecker. Alle Hiker, die Richtung Süden unterwegs sind, möchten die schlimmsten Fluss-Querungen hinter sich bringen, bevor neuer Regen den Wasserstand wieder ansteigen lässt. Wir starten zusammen mit Sue und Allan, die uns eine kostenlose Unterrichtsstunde im River-Crossing geben. Gleich beim ersten Strom wird Thomas von Allan fest untergehakt und in hüfttiefes Wasser gezogen. Der Fluss fließt schnell und kräftig, doch Allan zeigt, wo der Schwächere stehen muss und wie man es im Gleichschritt sicher auf die andere Seite schafft. Er rempelt Thomas zu Demonstrationszwecken sogar an, so dass dieser kurz ins Schwanken kommt. Aber dank dieser Kiwi-Technik, hinter dem Rücken am Hüftgurt des Rucksacks fest mit dem Partner verschränkt, hat man einen viel sichereren Stand. Wir passen gut auf und lernen unsere Lektion von diesem erfahrenen Einheimischen. Immerhin ist Allan seit seinem 15. Lebensjahr, also seit 55 Jahren, Mitglied im Wanderclub. Er kennt die Berge und Flüsse Neuseelands wie seine Westentasche. Eine Ueberquerung vom Taramakau River machen wir sogar als Vierer-Kette, in einer Reihe fest miteinander verbunden. So gibt Jeder dem Anderen Halt, und wir kommen problemlos durch den bauchtiefen Fluss mit seiner starken Strömung. Dann verabschieden wir uns herzlich voneinander, und jeder sollte eigentlich seiner Wege gehen. Aber wir werden die Beiden nicht los ( oder die uns nicht ). Meine Güte, was sind die schnell ! Da können wir kaum mithalten. Immer wieder treffen wir aufeinander, auch wenn wir versuchen, nicht zusammen zu gehen. Unglaublich fit und gelenkig, die nehmen wir uns gerne zum Vorbild. Wenn wir das mit 70 auch noch können, dann ist alles gut. Nach 1,5 Stunden erreichen wir den Abzweiger zur Kiwi Hut. Der Weg ist nun nicht mehr markiert, zu beiden Seiten wachsen stachelige Büsche und Disteln. Eine ganze Weile müssen wir uns unseren Pfad selber suchen. Irgendwann befinden wir uns mitten in einem Labyrinth aus Gorse Bush ( Stechginster ). War die kurze Hose beim Fjorden doch absolut notwendig, jetzt bereue ich es gerade sehr, mit nackten Beinen in dem dornigen Gestrüpp zu laufen. Endlich sind wir durch diesen Irrgarten durch, aber Allan und Sue sind uns schon wieder voraus. Die haben anscheinend einen besseren Weg gewählt. Wir laufen 5 Stunden ohne Pause durch. Bloß nicht schwächeln, wir sind schließlich fast 20 Jahre jünger. Ein letzter breiter Fluss muss durchquert werden, der Otira River macht keine Probleme. Hier endet der Harper Pass Track und das Taramakau Valley, was wir so richtig bedauern. Spektakuläre Natur, hohe Berggipfel rundherum, ein Fluss hinter dem anderen …. langweilig war das hier ganz bestimmt nicht. Auf einem Wander-Parkplatz zwischen Trail und Straße haben Allan und Sue ihren umgebauten Bus stehen, mit dem sie ihre Ausflüge unternehmen. Wir werden noch zu Kaffee und Keksen eingeladen, tauschen Adressen aus und versprechen, uns nächstes Jahr wieder zu treffen. Nach unserer Rast haben wir etwa eine Stunde auf der Straße bis zum Beginn des nächsten Tracks. Allan wollte uns fahren, aber “ nein, danke “ – wir laufen ALLES. Neben der Straße weiden Kühe, viele niedliche Kälber stehen zwischen den Muttertieren. Es ist wieder diese seltsame Rasse, schwarz mit breitem weissen Streifen am Bauch. Brombeersträucher mit dicken dunklen Früchten stehen am Rand und warten nur darauf, gepflückt zu werden. Die sind sowas von reif und lecker, dass wir nur langsam vorankommen. Dann führt unser Weg über die Morrison Footbridge ins Deception Valley, nach dem alles beherrschenden Deception River benannt. Und hier geht dieser wunderbare Tag noch besser weiter. Das Wetter ist sonnig und warm, die Farben um uns herum unglaublich schön. Nasse Schuhe haben wir schon seit dem frühen Morgen, und das wird auch bis zum Feierabend so bleiben. Wir steigen durch eine Schlucht im Flussbett des Deception River immer höher und höher. Dieser Track ist mal wieder ein sehr anspruchsvoller Teil des Te Araroa. Ich weiß nicht, wie oft wir heute durch Flüsse, Seitenarme, kleinere Ströme und Bäche gewatet sind. 50 Mal ist wahrscheinlich zu wenig, 100 Mal ist sicherlich übertrieben. Wir klettern und kraxeln über große und kleine Steine. Wenn es am Rande nicht weitergeht, dann muss man durch den Fluss weiter nach oben. Beeindruckender kann man die Kraft des Wassers nicht erleben. Wir sehen eine seltene Blue Duck, die auf einem Wasserstrudel schwimmt und nicht von der Stelle kommt. Auf der linken Seite der Schlucht stürzen sich Wasserfälle von den Bergen in die Tiefe. Wir genießen jeden Moment dieser Tour und können uns nicht sattsehen. So ganz nebenbei legen wir trotz des schwierigen Geländes eine ordentliche Distanz zurück. Um 19.30 Uhr erreichen wir die Upper Deception Hut, das hätten wir morgens noch nicht zu hoffen gewagt. Die Hütte ist alt und schäbig, aber wir sind alleine. Wir können noch die nassen Fußabdrücke der Vierer-Gruppe auf dem Boden sehen. Die waren laut Eintrag im Buch eine halbe Stunde vor uns da und sind noch weitergezogen. Wie schön, wir machen es uns so angenehm, wie es geht. Nach der turbulenten Geselligkeit der vergangenen zwei Tage in der Hütte können wir diese Zweisamkeit nun richtig genießen.  Kerzen an, Teetrinken, warmes Essen und mit langer Unterwäsche ab in den Schlafsack. Was für ein grandioser Tag !

Morgens ist es stockfinster und bitterkalt in unserer hochgelegenen Hütte. Man kann unsere Atemwolken sehen. Kerzenlicht macht die Atmosphäre doch gleich viel schöner. Im Schlafsack sitzend und mit Daunenjacke bekleidet gibt es den ersten Kaffee. Nach der zweiten Tasse ist der Kaffee alle. Wir müssen mal wieder einkaufen …. aber als Erstes müssen wir uns überwinden und nach draußen gehen. Lange Hose ist kein Thema, denn das River-Crossing geht gleich weiter. Schon nach ein paar Minuten müssen wir ins eisige Wasser steigen, immer wieder geht es knietief hindurch. Zur Abwechslung klettern wir über dicke Steine, stapfen durch loses Geröll am Ufer oder suchen uns einen Pfad in viel zu kurzen Wald-Abschnitten. über steile Abhänge rutschen wir einfach auf dem Hosenboden hinunter. Das ist sicherer, und es ist sowieso alles nass und dreckig. Es nieselt, wir frieren. Eigentlich ist es kein Problem, sich morgens warm zu laufen. Aber der Deception-Mingha Track ist so schwierig, dass wir einfach zu langsam sind, um richtig auf Temperatur zu kommen. Die Glieder sind ganz steif von der Kälte. Habe das Gefühl, mir frieren bald die Hände ab. Handschuhe müssen her ! Inzwischen hat der Wind tüchtig zugelegt und bläst uns fast von den Füßen. Es regnet jetzt heftig. Wir sind schon um 9.00 Uhr durchnässt bis auf die Unterhose. Was gestern bei Sonnenschein so wunderschön war – das ist bei diesem Unwetter nur eklig. Das schlechteste Wetter der Welt soll es auf dem Mount Washington geben, das haben wir 2012 auf dem Appalachian Trail hautnah erlebt. Aber hier und heute erleben wir gerade den zweitschlimmsten Tag.

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 Nach 2 Stunden Kampf gegen Sturm und Kälte erreichen wir die Goat Pass Hut. Hier erschrecken wir eine Frau, als wir triefend in den Raum treten. In der Hütte ist es a….kalt – die liegt nämlich noch 200 Meter höher als die Upper Deception Hut. Die sind dort zu zweit, dick angezogen mit Jacke, Handschuhen und Mütze. Wollen auf Wetter-Besserung warten und dann die 2 Kilometer nach Norden bis zu unserer letzten Hütte wagen. Wir halten uns nicht lange auf, denn wir möchten nur nach unten ins Tal. Die nassen Sachen ausziehen, abtrocknen, umziehen, Pause machen und dann wieder in die nassen Klamotten steigen ….. Das scheint uns nicht besonders attraktiv zu sein. Es regnet immer noch weiter, wir haben Angst, dass wir die letzten Fluss-Querungen nicht mehr schaffen. Endlich haben wir den höchsten Punkt erreicht, wo der Wind uns ins Gesicht peitscht. Inzwischen habe ich ganz taube Beine und Füße von Regen und Sturm und kaltem Fluss-Wasser. Der Weg über den Goat Pass ist mit Bretterstegen ausgestattet, weil es darunter sumpfig ist. Das ist schön bequem, so können wir schneller laufen. Allerdings haben wir unsere Mühe damit, uns in den Böen auf den Brettern zu halten. Hinter dem Pass wird es etwas besser. Auf der linken Seite der Schlucht stürzen sich die Kennedy Falls tief hinunter ins Tal, auch bei diesem Wetter ein beeindruckender Anblick. Dann entfernen wir uns endlich vom Fluss und dürfen windgeschützt in einem kleinen Waldstück wandern. Eine schwierige Schlucht gilt es noch zu umgehen, indem wir über Dudley’s Knob klettern. Das letzte Hindernis vor der Straße ist der Bealey River, den wir wieder gemeinsam eingehakt durchwaten. Ein kleines Stück nur laufen wir bergauf, dann hält SOFORT ein Auto. Ein junges Paar aus Indien, welches einen 3-wöchigen Urlaub in Neuseeland mit dem Mietwagen macht, lässt uns pudelnass einsteigen und bringt uns nach Arthur’s Pass. Supernett – wir sind so froh ! Dort gibt es eine Tankstelle, wo man ein paar Kleinigkeiten teuer kaufen kann. Aber auch eine Toilette zum Abtrocknen, Umziehen, heißen Kaffee, Pommes und Cheeseburger. Uns geht es schon gleich wieder viel besser. Dann brauchen wir nur noch eine Unterkunft, denn der Regen hat an Intensität zugenommen. So möchte ich nicht ins Zelt. Der kleine Touristen-Ort ist komplett ausgebucht. Sogar im Gemeinschafts-Schlafsaal des Backpackers ist kein Bett mehr frei. Aber Thomas macht das Unmögliche möglich. Er telefoniert eine Weile herum und überredet den Besitzer einer Lodge, uns das kleine Häuschen seiner Großeltern zu vermieten. Er nennt das “ Cabin – very Basic “ für 50,- Dollar die Nacht.  Okay, wir haben keine Dusche, und im Garten gibt es nur ein Long Drop, das ist ein Plumpsklo mit Sägespänen statt Spülung. Natürlich auch keinen Fernseher und kein Internet, aber dafür haben wir einen Kamin. Der wird sofort ordentlich eingeheizt, uns wird warm, alle Sachen werden trocken. Es gibt keine Sandflies, das bedeutet, wir können endlich mal barfuß sitzen. Eine Wohltat für die Füße, die zwei Tage nacheinander immer nur in nassen Schuhen steckten. Wir legen uns die Matratzen aus den Etagenbetten auf den sauberen Teppichboden und finden unser Wohnzimmer mit den alten Möbeln, Büchern und Bildern richtig gemütlich. Ein kleines Hexenhaus mitten im Wald, in dem wir gerne noch einmal für länger wohnen möchten. Heute sind wir seit genau 4 Monaten auf dem Te Araroa unterwegs.
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Arthur’s Pass bis Methven 10.03. – 13.03.2016  

Schon wieder früh aufstehen …. also, Urlaub kann man das hier nicht nennen. Packen, unser kleines Häuschen putzen, Kaminholz wieder auffüllen, um 9.00 Uhr Schlüssel abgeben …. Frühstück gönnen wir uns ausnahmsweise im Café an der Tankstelle, wo wir unsere Tierärztin wiedersehen. Die ist natürlich nicht alles gelaufen, muss aber nun in Arthur’s Pass erstmal ein paar Tage Pause machen. Ein anderer uns bekannter Hiker erzählt, dass er mit dem Bus nach Greymouth fährt, weil er hier im Dorf kein Bett bekommen hat. Trampen zum Trail versuchen wir gar nicht, weil es nieselt und viel zu kalt zum Herumstehen ist. Wir beginnen mit 15 Kilometern entlang der Straße, nur die Hälfte davon dürfen wir zum Te Araroa zählen. Das ist der Klondyke Track, der Rest ist freiwillige Zugabe. Endlich gibt es wieder Landwirtschaft. Auf einer Weide zur linken Seite stehen Hunderte von Schafen. Rechts sehen wir junge Bullen, pechschwarz und kräftig gebaut. Wir staunen über Unkraut am Rande, hier wächst Schafgarbe in ungewöhnlicher Vielfalt. Es gibt weiße Blüten, aber auch rosa und lila Varianten. Nach der Hälfte unserer Straßen-Etappe treffen wir auf Julia, die bis hierhin mitgenommen wurde und nun versucht, per Anhalter zum nächsten Track zu kommen. Wir marschieren einfach, dabei wird man schön warm. Endlich sind die 15 Kilometer geschafft, 3 Stunden hat’s gedauert. Als wir auf einen Feldweg Richtung Wald einbiegen, da folgen wir einer beeindruckenden Hecke aus dicht gepflanzten und beschnittenen Fichten, ungefähr 10 Meter hoch. Kurz darauf erreichen wir die Bealey Hut, zu der wir gestern auch beinahe gelaufen wären, wenn wir nicht Omas Häuschen bekommen hätten. Glück gehabt – die Hütte ist nur klein mit 3 Etagenbetten, im Buch haben sich 5 Hiker zum Uebernachten eingetragen. Das wäre eng und doof geworden, die Alternative Zelten im Regen auch nicht viel besser. Von der Bealey Hut an beginnt der Harper River Track, der wieder zahlreiche Fluss-Querungen für uns bereithält. Aber zunächst erleben wir eine Ueberraschung. Sue und Allan kommen uns beim ersten Aufstieg entgegen, die Wiedersehensfreude ist groß. Eigentlich hatten die Beiden für heute eine 50 Kilometer lange Radtour geplant, aber das Wetter war ihnen morgens zu schlecht dafür. Stattdessen gehen sie in die Berge und machen eine mehrstündige Wanderung, einfach so zum Spaß. Nur nochmal zur Erinnerung : 70 Jahre alt. Hut ab ! Wir laufen entlang der Nordflanke des Mount Bruce ( 1630 m.) auf einem einfachen Weg durch Kiefernwald hinauf und hinunter. Mittags klart der Himmel auf, die Sonne kommt heraus. Vor uns liegt ein Ansichtskarten-Panorama. Rechts von uns ist das Tal mit den vielen Flüssen und Strömen zu sehen, durch die wir gestern gekommen sind. Voraus liegen die hohen Berge der Black Ranges, die Gipfel sind schneebedeckt. Auf einem besonders hohen Berg entdecken wir einen Gletscher, der im Sommer nicht weggeschmolzen ist. Jetzt befinden wir uns schon wieder in der Mitte vom Herbst. Das muss der Mount Murchison sein, mit seinen 2400 Metern der höchste Gipfel der Region Arthur’s Pass Nationalpark. Wir steigen auf zum Lagoon Saddle, nicht besonders schwierig. Oben auf 1140 Meter Höhe steht die Lagoon Saddle A-Frame Shelter mitten auf einer hellen Lichtung. Das ist eine ganz reizende 2-Personen-Hütte mit Giebeln, die bis zum Boden reichen. Das Spitzdach und weitere Einzelteile sind schön bunt bemalt. Mit ihren rosa und lila Farben wirkt die Lagoon Saddle Shelter wirklich einladend, aber um 15.00 Uhr ist es uns noch zu früh zum Bleiben. Wir folgen weiter dem Harper River, einige Male geht es mit trockenen Schuhen auf Trittsteinen über den Fluss. Eine lange Hängebrücke bringt uns an einer breiteren Stelle sicher auf die andere Seite. Die nächste Hütte ist besonders originell und hat Geschichte. Auf den ersten Blick wirkt sie dunkel und schmutzig, denn die West Harper Hut besitzt keinen Holz-Fußboden. Unten gibt es also nur Erde ( oder Dreck ), ähnlich wie in einem Hühnerstall. Die klapperigen Etagenbetten haben keine Matratzen, sondern durchhängende Mulden aus festem Canvas-Stoff. Das alles wirkt sehr zünftig, ein bisschen wie im Wilden Westen. Erbaut wurde die West Harper Hut im Jahre 1957, die ist also älter als wir. Als Not-Unterkunft oder für umherstreifende Jäger sicherlich ausreichend, aber wir haben ein besseres Ziel. Wir haben zwar schon eine ordentliche Distanz zurückgelegt, aber wir fühlen uns noch gut genug für eine weitere Etappe. Gut in Form und voll motiviert geben wir nochmal richtig Gas. Eine ganz neue Art von Hängebrücke über den Hamilton Creek macht uns so richtig Spaß. Normalerweise vibrieren und schwingen diese Dinger zu beiden Seiten. Diese neue Brücke hat ein festes Brett in der Mitte und wippt beim Laufen auf und nieder. Am Liebsten würde ich noch ein paar Mal hin- und hergehen, aber dafür ist es schon zu spät. Um 20.00 Uhr, eine halbe Stunde vor Anbruch der Dunkelheit, erreichen wir die Hamilton Hut. Das ist eine relativ neue und große Hütte, schick eingerichtet mit Betten für 20 Personen. Ein großzügiger Gemeinschaftsraum mit mehreren Tischen und Holzbänken, zwei getrennte Schlafräume, außen eine geräumige Terrasse. Diese Hütte trägt den Spitznamen “ Hamilton Hilton “ zu Recht. Aus dem Fenster heraus hat man eine wunderschöne Aussicht über das weite Fluss-Delta. Hier machen wir zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem Kea. Dieser ur-neuseeländische Vogel ist sehr neugierig und bekannt dafür, dass er sich gerne an Schuhen und Ausrüstung zu schaffen macht. Auch dieser Kea kommt mutig auf die Terrasse gehüpft, um an unseren Sachen herumzupicken. Wir sind die einzigen Gäste in der Hamilton Hut, da kann man gar nicht meckern. Ein wundervoller Kamin, aus dicken Fluss-Steinen gemauert, bestimmt den ganzen Raum. Bald knistert ein wärmendes Feuer, und wir genießen bei Kerzenlicht unseren späten Feierabend. Im Register-Buch der Hamilton Hut entdecken wir einen lieben Gruß von Stefan, darüber freuen wir uns natürlich sehr. Wer Interesse an seinem sehr unterhaltsamen Blog hat, mit dem er neuerdings auch einen guten Zweck verfolgt : www.followstef.com

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Wir werden vom Geschrei des Kea geweckt. Ein Blick aus dem Fenster zeigt uns, dass die Wiese vor der Hütte weiss gefroren ist. Eisgrass – sieht sehr schön aus. Schon bald bullert unser Kamin und verbreitet seine angenehme Wärme im Raum. Dann kommt die Sonne heraus und bescheint das tiefe Tal vor der Terrasse. Wunderschöne Morgenstimmung ! Wir haben eine neue Denk-Aufgabe, müssen eine Möglichkeit finden, wie wir am Ende dieses Tages nach Methvin kommen. Für einen größeren Proviant-Einkauf und Waschmaschine brauchen wir 1-2 Tage in der Stadt. Die nächste Nacht könnte kalt werden. Wahrscheinlich müssen wir irgendwo auf dem Weg zum Lake Coleridge zelten. Es gibt da in der Nähe zwar eine Lodge, aber man kommt dort nur mit einer Reservierung unter. Wir haben weder Internet noch Handy-Empfang, also scheidet diese Möglichkeit aus. Kurz nach dem Start geht es gleich los mit zahlreichen Querungen durch Fluss und kleinere Seitenarme. Die sind zwar nicht besonders tief, aber schon bald versuchen wir gar nicht mehr, die Schuhe trocken zu halten. Immer wieder laufen wir über Kies und große Steine durch’s Flussbett, kreuz und quer und hin und her. Eine Zahl, aus Kieseln gelegt, lässt Freude aufkommen : 2200 Kilometer sind geschafft ! Wir treffen zwei einheimische Angler, die gerade an einem Strom Frühstückspause machen. Da gehen wir natürlich kurz hin zum Schnacken, so viel Zeit muss sein. Die Beiden sind extra aus Christchurch gekommen, um einen Tag ihres Wochenendes hier am Harper River zu verbringen. Eine Weile verfolgen wir die Spur eines Allrad-Fahrzeuges, aber dann verliert sie sich. Wir müssen unseren Pfad selber suchen, denn Markierungsstangen sind Mangelware. Dabei landen wir so manches Mal in Buschwerk und Dornengestrüpp. Dichte Sträucher mit orangefarbenen Beeren wachsen auf der stoppeligen Wiese, die sehen beinahe aus wie Sanddorn. Die Strecke aus dem Harper River-Tal zieht sich ordentlich in die Länge. Es wird fast langweilig. Schöne Natur, aber nicht besonders spektakulär. Wir haben schon so viele Superlative erlebt, dass wir diesen wenig anstrengenden Teil gar nicht richtig zu schätzen wissen. Ein letztes Mal versperrt uns ein Fluss den Weg. Der Avoca River ist breit und fließt mit einer ordentlichen Strömung dahin. Den durchqueren wir lieber zu zweit, eingehakt auf neuseeländische Art. Dahinter endet der Harper River Track. Te Araroa verläuft lange Zeit am Rande eines elektrischen Zaunes entlang. Man kann nicht erahnen, wofür dieser neue und sehr stabile Zaun durch die Landschaft gezogen wurde. Wer oder was soll hier ein- oder ausgesperrt werden ? Wir haben noch viele Kilometer langweiliges Wandern auf einer Schotterstraße vor uns. In Harper Village stärken wir uns an einem Picknick-Tisch vor einem privaten Haus. Niemanden stört es, die Menschen grüßen uns einfach nur freundlich. Telefonieren klappt immer noch nicht. Haben kein Handy-Signal, deswegen können wir auch kein Bett im Hostel organisieren. Also laufen wir dann mal weiter, immer schön die Harper Road entlang Richtung Lake Coleridge. Von hinten nähert sich ein Auto und stoppt neben uns. Im Wagen sitzen unsere beiden Angler, denen wir morgens von unseren Plänen erzählt haben. Sie möchten uns bis nach Methven mitnehmen, ein kleiner Ort, der knapp 50 Kilometer abseits vom Trail liegt. Das Angebot passt uns sehr gut ! So können wir doch den Anruf in der Lodge vergessen und müssen auch nicht unterwegs im Zelt schlafen. Zwischen uns auf der Rückbank steht eine Kühlbox mit Bier, aus der wir uns bedienen dürfen. Wir üben uns in Bescheidenheit und teilen uns eine kleine Flasche. Dann schauen wir uns die Landschaft aus der Autofahrer-Perspektive an. Mehrere kleine Seen glitzern blau-grün links von der Straße, auf der rechten Seite liegt der große Lake Coleridge. Wir fahren an riesigen Gehegen mit Damwild vorbei, Männlein und Weiblein fein säuberlich durch hohe Zäune voneinander getrennt. Irgendwann stellt Thomas fest, dass wir völlig verkehrt sind. Unser Fahrer kennt sich anscheinend doch nicht so gut aus in der Gegend. Nach einer Stunde Fahrt zeigt ein Schild genau dieselbe Entfernung an wie bei unserem ersten Abzweiger. Es sind immer noch 42 Kilometer bis nach Methvin, wir haben eine große Ehrenrunde gedreht. Die Männer sind ziemlich cool und nehmen es locker. Um 17.30 Uhr setzen sie uns endlich am Ortseingang ab. Wir finden auf Anhieb eine preiswerte Unterkunft auf einem etwas abseits gelegenen Campingplatz. Nicht besonders schick, aber ruhig ist es hier und irgendwie ganz urig. Ein sehr netter Betreiber erkennt uns als Te Araroa-Hiker – an der Hautfarbe, nicht am Geruch, wie er sagt. Wir bekommen ein “ Cabin “ für 70,- Euro die Nacht, einfach möbliert, aber völlig ausreichend. Dort können wir sogar auf einer Elektro-Platte kochen und einen Heizlüfter anstellen. Wunderbar ! Was will man mehr ?
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Beim Aufstehen zeigt das Thermometer in unserer kleinen Holzbude 14 Grad, und das, obwohl bis nachts um 2.00 Uhr der Heizlüfter gearbeitet hat. Gestern spät abends zum Duschen über den Campingplatz oder nachts mal zur Toilette laufen – nicht besonders attraktiv. Es geht stramm auf Ende Herbst zu. Wie sich das wohl demnächst im Zelt anfühlt ? Methven ist ein Ski-Ort, zur Zeit noch ohne Schnee und Touristen. Wir haben einige bekannte Hiker getroffen, die alle diesen Umweg gemacht haben, um irgendwie an Futter für die nächste Etappe zu kommen. Te Araroa ist und bleibt eine logistische Herausforderung. Auch wir haben Proviant für 8 Tage eingekauft. Die Wäsche ist wieder sauber, Planung und Internet-Kram sind erledigt. Für Montag früh um 6.00 Uhr sind zwei Plätze im Schulbus reserviert, der uns bis zum Startpunkt des nächsten Trail mitnimmt. Das bedeutet, wir müssen quasi mitten in der Nacht aufstehen, um pünktlich an der Haltestelle zu stehen. Lieber würden wir nochmal unser weiches Bett genießen, aber der Schulbus ist die zuverlässigste und mit 20 Dollar pro Person auch eine kostengünstige Art, um aus diesem Dorf wieder weg zu kommen. Vom Lake Coleridge aus wandern wir in 8-10 Tagen zum Lake Tekapo. Hoffentlich werden wir nicht wieder vom Wetter ausgebremst und müssen in einer vollen Hütte abwarten. Es gibt auf dieser Strecke weiterhin unzählige Fluss-Ueberquerungen. Der Wetterbericht ist schlecht, viel Regen in Sicht. Nasse Füße von oben und unten, aber wir halten durch bis zum Ende.
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Methven bis Twizel 14.03. – 24.03.2016

Aufstehen am Montag um 4.45 Uhr, damit wir pünktlich an der Haltestelle sind. Es ist noch stockdunkle Nacht, Tausende von Sterne sind am Himmel zu sehen. Und dann fahren wir 1,5 Stunden mit dem Schulbus in die Pampa. Die Straße wird immer schmaler, bald gibt es nur noch eine Schotterpiste. Rechts von uns liegt das Fluss-Delta des Rakaia River, den wir mit unserem Abstecher nach Methvin umfahren haben. Der Rakaia River ist ausdrücklich nicht Teil des Te Araroa. Der Trail endet auf der einen Seite, am anderen Ufer geht es weiter, die Kilometer dazwischen werden nicht mitgezählt. Der Te Araroa Trust macht es sich ganz einfach, der Rakaia River wurde zur Hazard Zone erklärt. Das bedeutet also im Klartext : “ Seht selber zu, wie ihr hier ‚rüberkommt. Wenn etwas passiert, dann übernehmen wir keine Verantwortung.“ Von einer Durchquerung wird dringend abgeraten, denn dieser Fluss hat viele Einzelströme, die stellenweise zu tief zum Fjorden sind. Einige Hiker gehen natürlich trotzdem auf eigene Faust hindurch. Wir nicht, wir sind ja schon etwas reifer und vorsichtiger als die nur halb so alten Jungens. Deswegen Methvin und der Schulbus mitten in der Nacht …. Links von uns ragt eine schroffe Felswand in die Höhe. Die Straße ist so eng, dass zwei Autos nicht aneinander vorbei passen. Was für eine einsame Gegend ! Bis um 7.30 Uhr hat unser Bus erst ein Kind eingesammelt. Wir werden genau am Trailhead abgesetzt und stehen gerade rechtzeitig am Waldrand, um einen sehenswerten Sonnenaufgang über der Pampa zu fotografieren. Dann beginnen wir den Clent Hills Track. Zunächst steigen wir 700 Höhenmeter auf zum Turtons Saddle. Nur ein kleines Stück weiter steht ein weißes Toiletten-Häuschen mitten in der Landschaft, ein kurioser Anblick. Dahinter in einer Senke steht die A-Frame Hut, eine sehr schöne Hütte für 3 Personen. Dort gibt es sogar zwei Gartenstühle, die wir uns nach draußen stellen, um unser Frühstück in der Morgensonne einzunehmen. Eine mittelalterliche Wandersfrau kommt vorbei und quatscht uns ununterbrochen voll. Sie hört einfach nicht mehr auf zu reden ….. und als ihr dann wohl gar nichts mehr einfällt, da fragt sie uns, was wir denn von der aktuellen Flüchtlings-Situation in Deutschland halten. Oh Mann ! Nichts wie weg …. Nur zwei Stunden später erreichen wir die Comyns Hut, eigentlich stehen dort sogar zwei Hütten nebeneinander. Die ältere von 1890 ist ziemlich zerfallen, wurde aber einfach stehen gelassen, als die “ neue “ Hütte 1957 erbaut wurde. In der Comyns Hut wohnen anscheinend zwei Männer, die aber gerade nicht zu Hause sind. Nach einer kurzen Pause machen wir uns wieder auf den Weg, der heute kaum markiert und schwierig ist. Wir folgen dem Turtons Stream und dem Round Hill Creek. Immer wieder müssen beide Flüsse durchquert werden. Es geht -zig Male hin und her, hinein ins eiskalte Wasser und wieder auf die andere Seite. Zur Abwechslung laufen wir parallel zum Ufer über Geröll, aber die meiste Zeit des Tages bleiben wir mehr oder weniger im Fluss. Am Nachmittag entfernen wir uns endlich vom Wasser und hoffen, dass die Schuhe trocknen können. Nun lernen wir eine neue Schikane kennen : Stechginster, Tussock, lange Halme von Irgendwas versperren uns den Weg. Da müssen wir durch. Ich bin nicht gerade begeistert. Wegen der Fluss-Passagen habe ich Shorts an, und diese Stachelpflanzen zerkratzen mir beide Beine. Die Landschaft wirkt auf mich ziemlich öde. Um uns herum sind zwar hohe Berge, aber die Farben erscheinen eher gedeckt in Grau- und Brauntönen. Wir haben heute noch keine Bäume gesehen.  So langsam nervt mich alles. Der Rucksack mit dem 8-Tage-Proviant macht mich fertig. Um 17.30 Uhr bin ich nur noch müde und nicht mehr zu gebrauchen. Eigentlich hatten wir uns die Double Hut als Ziel vorgenommen, aber davon lassen wir ab. Das schaffen wir heute nicht mehr zu einer anständigen Zeit. Wir wissen nicht genau, wo wir sind, weil wir kein GPS haben. Ist aber eigentlich auch egal. Bei der erstbesten geeigneten Stelle kurz vor dem Clent Hills Saddle bauen wir das Zelt auf und gehen noch bei Tageslicht schlafen.

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Haben insgesamt 12 Stunden gelegen – das war wohl nötig. In der Nacht hat es leicht geregnet. Anziehen und Packen ist etwas umständlich. In unserem Zelt kann sich nur eine Person bewegen, der Rest muss draußen stattfinden. Die Wiese und Sträucher ringsum sind total nass, da bleiben Schuhe und Strümpfe auch nicht lange trocken. Es ist kalt hier oben, wir befinden uns kurz vor dem Clent Hills Saddle mit 1480 Metern Höhe. Wir starten mit Regenhose über der langen Kleidung, Mütze auf dem Kopf und Socken über den Händen. Zunächst einmal ein Aufstieg bis auf den Sattel, dabei wird uns bereits warm. Der Pfad ist genau so schlimm wie gestern. Brusthohe Gräser, so dicht, dass man keine Spur am Boden sehen kann. Das ist das “ spear grass “ – in der Uebersetzung “ Gemeines Straßengras „. Der Erdboden ist durchsiebt mit Löchern und Rinnen der vielen Gebirgsbäche. Hier gibt es übrigens viele Kaninchen. Man muss ganz höllisch aufpassen, dass man sich nicht die Knochen bricht. Meine Laune wird immer schlechter, denn ich hatte mir diese Etappe einfacher vorgestellt. Selbst an der Landschaft kann ich mich nicht erfreuen. Braune Berge, graues Geröll und grün-gelbe, trockene Pflanzen. Alles, was piekt und sticht, scheint auf unserem Weg zu wachsen. Ständig müssen wir uns durch dieses Stachel-Gestrüpp zwängen, heute zum Glück mit langer Hose. Einmal stolpere ich über einen Steinbrocken, den ich im hohen Tussock-Gras nicht gesehen habe. Autsch ! Es ziept im Knöchel, geht aber gleich wieder besser. Kurz darauf strauchele ich in ein Loch und knicke um. Das ist ebenfalls einen kleinen Moment schmerzhaft, aber offensichtlich ohne Folgeschäden. Unsere Bänder und Sehnen sind inzwischen wahrscheinlich so dehnbar wie Gummiband. Dann erwische ich eine ganz blöde Stelle, trete auf weiches Moos, aber der Untergrund gibt nach. Ehe ich kapiere, was gerade passiert, liege ich schon auf dem Rücken in einem sumpfigen Loch. Bis zum Knie steckt mein linkes Bein in einem Teich. Der Matsch läuft in den Schuh hinein. Ich komme alleine nicht mehr hoch, weil mich der schwere Rucksack nach unten zieht. Kann noch nicht einmal die Gurte vom Rucksack lösen, um mich zu befreien, weil meine Liege-Position so ungünstig ist. Aber mein Retter naht ! Habe ich schon erwähnt, dass ich den Clent Hills Track so richtig sch….. finde ? Jetzt erst recht ! Meine gerade sauber angezogene Hose ist matschig bis über’s Knie, ein Schuh und die linke Socke triefen vom Schlamm. Aber sonst ist nichts passiert außer einem kleinen Kratzer auf der Nase. Ich bin weich gefallen und habe mir nicht wehgetan. Gegen 11.00 Uhr fängt es an zu nieseln.

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Wir besitzen kein Regen-Cover, deswegen ziehen wir unsere Regenponchos über, um die Rucksäcke zu schützen. Als Nächstes müssen zwei Flüsse passiert werden. Dann geht es bergauf über den Mellish Saddle, der ist nicht weiter schwierig. Von da aus laufen wir wieder durch stacheligen Gorse Bush und Tussock-Gras, Löcher und Hindernisse, wohin man tritt. Wir kommen am Abzweiger zur Double Hut vorbei, aber die lassen wir absichtlich links liegen. Diese Hütte bedeutet 1 Kilometer Umweg auf dem Hinweg, dann noch 1 Extra-Kilometer zurück zum Trail. Nein danke, unser Weg ist so schon lang genug. In diesem holperigen Gelände brauchen wir fast 5 Stunden bis zur Manuka Hut, viel länger als erwartet. Es wird höchste Zeit für eine ausgiebige Pause, weil wir heute früh in der nassen Umgebung auch nicht richtig gefrühstückt haben. Endlich gibt es Kaffee – leider ist der nicht besonders lecker, weil das Wasser aus dem Bach vor der Tür sehr erdig schmeckt. Die Manuka Hut ist ein Schuppen mit Wellblech-Dach und nacktem Beton-Fußboden. Die Holztür hat zentimeterdicke Spalten, auch durch die zwei kleinen Fenster zieht es ganz ordentlich. Der Wind hat zugenommen, und es regnet jetzt richtig feste. Um 15.00 Uhrbeschließen wir, die Nacht hier zu verbringen, weil wir keine weitere Schutzhütte mehr in erreichbarer Nähe haben. Noch 32 Kilometer liegen vor uns bis zur Durchquerung des Rangitata River, vorher können wir nur zelten. Und wenn es lange so weiter regnet, dann müssen wir eventuell noch einen weiteren Tag abwarten, bis der Wasserspiegel sinkt. Mit Daunenjacke und Mütze bekleidet sitzen wir an einem wackeligen Tisch, bis endlich ein wärmendes Feuer im Kamin lodert. Im Register lesen wir, dass im dritten Strom vor der Hütte, der am weitesten entfernt liegt, das Wasser besser schmeckt. Stimmt – etwas weiterer Weg, aber sehr guter Tipp ! Und wir finden einen Eintrag von Faustine, einer Französin mit einer Körpergröße von ca. 1,50 Meter : “ Dieser Track ist ein Verbrechen gegen kleine Leute.“ Die Aermste – wir sehen sie förmlich in dem mannshohen Stachelgras verschwinden.

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Wir haben schon wieder 12 Stunden lang sehr gut geschlafen. Während der Nacht hat sich ein richtiger Herbst-Sturm entwickelt. Regen ohne Unterlass, aber morgens nieselt es nur noch leicht. Beim Aufstehen ist es sehr frisch in unserer Hütte, aber Thomas kann das Feuer im Kamin wieder zum Leben erwecken. Ein Blick aus der Tür nach draußen lässt uns staunen : Neuschnee auf den Bergen, über die wir erst gestern gekommen sind. Die vorletzte Nacht haben wir auf 1400 Meter Höhe gezeltet, da hätten wir morgens früh im Schnee gestanden. Wie gut, dass wir in unserer Schutzhütte geblieben sind ! Und wir waren schon wieder alleine dort, besser geht es nicht. Regenhose, Jacke, Mütze, 2 Paar dicke Socken über die Füße, 1 Paar Socken über die Hände gezogen – dick verpackt laufen wir los. Nach etwa 10 Minuten sind Schuhe und Strümpfe bereits nass vom Gras. Wir haben Mühe, richtig warm zu werden. Ein kleiner Anstieg auf den Emily Hill bringt uns auf die richtige Temperatur. Es geht über den Sattel und an der Südflanke entlang durch Tussock und Stachelzeug. Danach wird der Weg einfacher und führt abwärts bis zum Lake Emily. Der See ist klein und unscheinbar, aber Dutzende von schwarzen Schwänen scheinen ihn zu mögen. Wir kommen an der Castleridge Station vorbei, einer riesigen Schaf-Farm. Hier verlässt der Te Araroa den Hakatere Conservation Park und verläuft an den Maori Lakes entlang. Diese Seen liegen idyllisch von Schilfgras eingerahmt und sind ebenfalls von schwarzen Schwänen besiedelt. Wir marschieren über einen Forstweg, der bald in eine Schotterstraße übergeht. Nach dem Passieren der Buicks Bridge beginnt der Clearwater Track, leichtes Laufen über ebene Felder mit Stoppelgras. Die Richtung ist einfach zu finden, wir müssen nur auf die Lücke zwischen Mount Guy und Dogs Hill zuhalten. Ausnahmsweise verläuft unser Trail weder über den einen noch über den anderen Berg, sondern durch das Tal zwischen den beiden Hügeln. Für uns, die wir ja kein GPS besitzen, hat Jemand mit Kieselsteinen eine “ 2300 “ auf der Wiese gelegt. Schon wieder 100 Kilometer weiter, durch die längeren Etappen scheinen die Distanzen bis zum Ende rasend schnell weniger zu werden. Links von uns liegt der Lake Clearwater, nach dem dieser Track benannt ist. Im Süden sind schneebedeckte Gipfel zu sehen. Der Tag bleibt grau, die Wolken hängen tief. Wir machen nur zwei klitzekleine Pausen, in denen uns sofort kalt wird. Die Füße stecken seit dem Start am frühen Morgen in nassen Schuhen und Socken, eisig trotz schnellen Laufens. Dafür kommen wir sehr gut voran. Irgendwann wundern wir uns darüber, dass wir schon wieder kräftig aufsteigen. Das war aus unseren Informationen nicht ersichtlich. Trotzdem folgen wir brav weiter den orangenen Markierungsstangen, immer höher hinauf bis zu einem DOC-Schild. Hier stellen wir beim Abgleich mit unserer Karte fest, dass wir meilenweit vom Trail entfernt sind. Statt dem Te Araroa weiter ins Tal zu folgen, was sicher weniger anstrengend gewesen wäre, haben wir einen zusätzlichen Berg bestiegen und eine Extra-Runde gedreht. Es ist bereits 17.15 Uhr, zum Umkehren ist es zu spät, der Rückweg wäre weiter als nach vorne zu gehen. Egal, wir laufen dann jetzt einfach auf dem Mystery Lake Track, der sich später wieder mit dem Te Araroa vereinigt. Es sind ja nur 9,5 Kilometer bis zu unserem Ziel, das Schild gibt hierfür eine Laufzeit von 4 Stunden an. Hört sich nicht nach einer einfachen Nummer an. Wir stolpern durch nasses Gras und Sumpfgebiet um den Mystery Lake herum. Bei schönem Wetter wäre dieser Weg vielleicht ganz nett, aber an so einem Schietwetter-Tag ist das nicht so toll und noch dazu richtig überflüssig. Aber wir finden unseren Trail trotz Nebel und Niesel wieder. Es wird immer später und kälter, der Wind weht uns kräftig um die Ohren. Wir suchen nach einem Zeltplatz, flache Wiesenstücke gibt es genug, sind aber für uns völlig unbrauchbar. Hier weiden freilaufende Kühe, und anscheinend ist jeder Quadratmeter Fläche von Kuhfladen verunreinigt.Um 20.00 Uhr kommen wir endlich am Potts River an, wo wir morgen zur Durchquerung des Rangitata River starten werden. Schnell machen wir noch einen Pott Tee, dazu gibt es nur kaltes Abendessen. Wir sind nach 32 Kilometern plus Extra-Runde total kaputt.

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Letzte Nacht sind wir drei Mal durch fürchterliches Possum-Geschrei aufgewacht. Thomas ist schließlich aufgestanden und hat mit Stöckern nach den Unruhestiftern geworfen, die sich frech im Baum über unserem Zelt niedergelassen haben. Morgens dichte Bewölkung, die Berge sind kaum zu erkennen. Beim Kaffee wird uns ein faszinierendes Schauspiel geboten. Eine riesige Schafherde wird von einer Weide gegenüber auf die Straße und weiter auf unsere Wiese getrieben. Hunderte von Schafen stehen dicht vor uns und glotzen uns blöd an. Mehrere Männer und 7 gut ausgebildete Hunde haben lange damit zu tun, die nervösen Tiere in die entgegengesetzte Richtung über die Straße auf eine andere Weide zu treiben. Spannendes Kino – die verstehen ihr Handwerk, besonders die Hüte-Hunde machen ihren Job sehr gut. Zunächst überqueren wir den Potts River auf einer Brücke und biegen von der Straße ab ins Fluss-Delta. Eine Weile müssen wir diesem Fluss folgen bis zur Mündung in den Rangitata River. Vor dem Zusammenschluss dieser beiden Wasserläufe soll die beste Stelle zum Fjorden sein. Gleich der erste Strom soll der Indikator dafür sein, ob ein Durchwaten bei diesen Bedingungen möglich ist. Wenn das Wasser trübe ist, dann kommt noch zu viel von den oberen Gebirgsströmen nach. Der letzte Regen ist 24 Stunden her, unser Fluss ist relativ klar. Also Umziehen und hinein ins kalte Nass. Ruckzuck wird es tiefer – ich kann gerade noch meinen Pullover hochziehen. Das Wasser reicht mir bis zum Bauchnabel, Shorts und die untere Hälfte vom Rucksack sind nass. Thomas versucht es ein paar Meter weiter links. Bei ihm geht das Wasser schon bis zum Brustgurt. Es ist eisig, aber nach ein paar Minuten sind wir sicher am anderen Ufer angelangt. Dieser Seitenarm soll der tiefste Strom sein. Wenn man hier durchkommt, dann sollen auch alle folgenden machbar sein. Also suchen wir uns zuversichtlich den weiteren Weg durch das zerklüftete Fluss-Delta des Rangitata River.

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Immer wieder durchwaten wir neue Wasserläufe mit erstaunlich starker Strömung. Der Rangitata hat sich mit seinen vielen Verästelungen weit ausgebreitet. Zwischen den Strömen befinden sich bei dem heutigen Wasserstand kleine Inseln aus Kies und Geröll. Nach ca. 3 Stunden haben wir die andere Seite des Flusses erreicht. Geschätzt sind wir bereits 6-7 Kilometer gelaufen, die aber nicht zu unserem Tagewerk zählen, weil Te Araroa ja an einem Ufer endet und am anderen weitergeht. Den Rangitata River mit dem Auto zu umfahren, das hätte einen Umweg von 130 Kilometern bedeutet. So kostet uns das Abenteuer inclusive Trocknen und Tee-Trinken zum Aufwärmen nur einen halben Tag. Es wird noch richtig schön ! Gegen Mittag lichtet sich die Wolkendecke, blauer Himmel lässt sich blicken. Die Sonne kommt heraus, das tut so richtig gut nach den vielen kalten Bädern. Nach unserer Pause müssen wir wieder hinein in die nassen Schuhe und Strümpfe. Wir brauchen noch eine weitere Stunde, um uns unseren Pfad durch Kies und Gestrüpp zum 5 Kilometer entfernten Trailhead zu suchen. Um 14.30 Uhr sind wir endlich wieder auf dem Te Araroa und starten den Two Thumb Track. Ab hier dürfen wir endlich die Kilometer zählen …. und gleich geht es wieder in das nächste Fluss-Delta. Diesmal folgen wir 3 Stunden lang dem Bush Stream, wieder nur quälend langsames Vorankommen. Wie gewohnt laufen wir mit unseren Wanderschuhen durch eiskaltes Wasser. Mal kommt man auf der einen Seite besser vorwärts, dann scheint es auf der anderen Seite leichter zu sein. Und weil es so schön ist …. machen wir einige Querungen zu viel, weil wir einen Abzweiger verpasst haben. Deswegen müssen wir wieder zurück, noch einige Male durch den Bush Stream, dann endlich geht es weg vom Fluss und sehr steil bergauf. Nach einer weiteren Stunde Anstieg erreichen wir unseren Berggipfel. Auf dem Platz vor der Crooked Spur Hut sehen wir eine kleine Zelt-Stadt. Ungefähr ein Dutzend Zelte in gelb, orange, rot und hellblau stehen dort. Das können keine Thru-Hiker sein, die haben leichte Zelte in gedeckten Farben, mit denen man unauffällig in der Landschaft stehen kann. Der Zaun um die Wiese herum ist vollgehängt mit nassen Hosen, Socken und anderem Zeug. Hilfe ! So viele Leute – wir sind erstmal schockiert, aber da müssen wir jetzt durch. In der Crooked Spur Hut wohnen diese Nacht allerdings nur zwei junge Frauen. Es sind Jägerinnen, die über die laute Gruppe draußen ebenso wenig begeistert sind wie wir. Uns machen sie bereitwillig Platz, wir beziehen die Betten auf der einen Seite, die Jägerinnen schlafen auf der anderen Seite. Besonders gesprächig sind die Beiden nicht. Es hätte also schlimmer kommen können. Die Crooked Spur Hut ist alt, spärlich möbliert und aus rohen Baumstämmen zusammengezimmert. Nackter Beton-Fußboden, eine kaputte Scheibe wurde mit Holz zugenagelt, und das Dach hat unzählige Löcher. Macht aber nichts, wir haben die unteren Etagenbetten gewählt, da werden wir sicher nicht nass. Eine der jungen Frauen macht ein Feuer im Kamin, aber das klappt nicht besonders gut. Es qualmt und stinkt und brennt in den Augen. Da werden unsere Klamotten noch tagelang fürchterlich nach Rauch riechen. Unsere Bilanz heute ist etwas frustrierend – den ganzen Tag viel geackert, aber nur 10 Kilometer geschafft, die wir zählen dürfen.

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Im Hüttenbuch hat sich die Gruppe mit 15 Personen eingetragen. Zum Glück bleiben wir zum Frühstück mit den beiden Jägerinnen alleine. Die träumen davon, an diesem Wochenende einen kapitalen Ziegenbock zu schießen. Wie die dann so ein Tier von 80 Kilo zerlegen und mitsamt ihren schweren Rucksäcken den Weg hinunter zum Auto transportieren werden, das können wir uns allerdings gar nicht gut vorstellen. Thomas findet eine funktionstüchtige Stirnlampe, die nehmen wir natürlich mit. Zum Aufwärmen gibt es gleich einen satten Aufstieg. Wir wandern in 1,5 Stunden über einen Sattel von 1500 Meter Höhe. Beim Abstieg ärgern wir uns wieder über Tussock, hohes Gras, wohin man sieht. Das bedeutet, wir müssen sehr gut aufpassen, damit wir nicht über die eigenen Füße stolpern. Bin heute wohlweislich in langer Hose und dicken Socken losgelaufen, damit mir die Stachelpflanzen nicht noch mehr die Beine zerkratzen. Trotzdem ist der Weg anstrengend, weil man sich sehr konzentrieren muss. Nach 3,5 Stunden statt der geplanten 5 Stunden, die auf dem DOC-Schild standen, erreichen wir bereits die Stone Hut. Das ist wieder eine der alten Original-Hütten, nicht modernisiert, sondern im ursprünglichen Zustand erhalten. Sehr schlicht, Wellblechdach, aber dafür wunderschön auf einer Lichtung mit Wiese gelegen. Es ist erst Mittag, deswegen machen wir nur kurze Pause und marschieren bald weiter. Wieder geht es durch Tussock-Pflanzen, die hier anscheinend auf jedem Berg wachsen und seit Tagen unser Bild bestimmen. Wie gerne würden wir zur Abwechslung Bäume sehen und durch Wald laufen ! Wir müssen den Packhorse Stream überqueren. Da gehe ich barfuß hindurch, weil ich nicht schon wieder nasse Schuhe haben möchte. Klappt ganz gut, runde Kiesel am Grund und wenig Strömung. Nochmal führt unser Pfad bergauf. Wir kommen über einen weiteren Sattel, dann durch hüfthohes Gras wieder hinunter. Der Sweeps Stream liegt im Weg. Den versuche ich zunächst auf dicken Steinen zu überwinden, aber die Felsbrocken sind sehr glitschig. Auf halben Wege durch den Fluss entscheide ich mich für die weniger gefährliche Variante “ einfach Durchlaufen „. Nun sind Schuhe, Strümpfe und meine lange Hose klitschnass. Ein paar Minuten später müssen wir nochmal auf die andere Seite, wir gehen erneut mit voller Montur durch’s kalte Wasser. Ja – und das war’s dann mit River Crossing für heute. Ich ärgere mich ein bisschen darüber, dass unsere Planungs-Unterlagen so ungenau sind. Hätte ich gewusst, dass wir nur zwei Mal innerhalb von 10 Minuten durch den Fluss waten müssen, dann hätte sich der kurzzeitige Wechsel zu Shorts und Sandalen gelohnt. Sonst ist eigentlich nichts Spannendes passiert, der Tag plätschert so dahin. Einzige Besonderheit : Thomas bewirft mich plötzlich und unerwartet mit einem Schneeball. Zum Glück bleibt es vorerst bei wenig Schnee in den Ecken, wo die Sonne nicht scheint. Schon früh sind wir an der Royal Hut, wo angeblich schon Prinzessin Anne und Prinz Charles als Kinder Urlaub gemacht haben. So richtig königlich sieht es im Inneren nicht aus, sehr einfach und sparsam möbliert, aber für uns ist es absolut ausreichend. Die Hütten-Taktung ist zur Zeit blöd, so dass wir bereits um 16.00 Uhr Feierabend machen. Eigentlich würden wir lieber noch ein paar Stunden weiterlaufen, aber vor uns liegt der Stag Saddle, mit 1925 Metern der höchste Punkt auf dem Te Araroa. Die Entfernung bis zur nächsten Schutzhütte ist mit 6 Stunden angegeben, das schaffen wir heute nicht mehr. Und wir haben überhaupt keine Lust, bei diesen Temperaturen auf halbem Wege in der Höhe zu zelten. Dafür ist unser altes Tarp Tent einfach nicht geeignet. Ja, es lebt immer noch und wird uns jetzt auch bis zum Ende dieses Trails begleiten. Für den CDT und den PCT werden wir uns dann ein neues Zelt in den USA kaufen. Der Wetterbericht ist nur noch schlecht. Es ist schon wieder Regen angesagt, der dort oben wahrscheinlich als Schnee herunterkommen wird. Da bleiben wir lieber in der Royal Hut und machen es uns gemütlich. Aber vorher gibt es noch eine ausgiebige Wasch-Zeremonie im eiskalten Bush Stream. Wir freuen uns schon jetzt riesig auf die nächste warme Dusche in ein paar Tagen. Was im normalen Leben so selbstverständlich ist, hier wird es zum Luxus, den wir sehr zu schätzen wissen.

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Schon früh am Abend läuten wir die Nachtruhe ein, weil wir wieder alleine geblieben sind. Aber an Schlaf ist erstmal nicht zu denken. Es knistert und raschelt überall. Im Hüttenbuch haben wir Einträge von anderen Wanderern gelesen, die von einem “ lustigem Nachtleben “ erzählen. Deswegen waren wir schon vorgewarnt und haben mit Mäusen, Ratten etc. gerechnet. Thomas ist um die Hütte gegangen und hat alle sichtbaren Löcher und Tunnel mit Steinen zugestopft. Allerdings möchten die Tiere wohl doch zu uns hinein. Wir hören, wie die Steine hin- und hergeschoben werden. Das muss doch etwas Größeres sein, vielleicht Kaninchen oder Wildschweine ? Es hört sich total laut an, weil die Hütte aus Blech ist und das Geröll scheppernde Geräusche verursacht. Und dann kratzt es auch noch an der hölzernen Tür – das wird mir jetzt aber wirklich unheimlich. Ich kann stundenlang nicht einschlafen und werde immer unruhiger. Haben wir vielleicht Vollmond ? Nein, noch nicht, wie ich bei einem Gang nach draußen feststellen kann. Vielleicht eine ungesund ausgerichtete Wasserader, die stört ? Eigentlich glaube ich nicht an solche Dinge, aber diese Hütte hat ein schlechtes Karma. Um 2.30 Uhrschaue ich das letzte Mal auf die Uhr, dann schlafe ich wohl doch endlich ein. Aber nicht lange, denn morgensum 5.30 Uhr geht tatsächlich die Tür knarrend auf. Ein junger Mann poltert herein, nass bis auf die Haut und halb erfroren. Total fertig lässt er seinen Rucksack und seine triefenden Sachen auf den dreckigen Boden fallen und krabbelt nackt in seinen Schlafsack. Kein “ Entschuldigung “ und kein “ Guten Morgen „. Thomas sagt, der Typ sei völlig fertig und neben der Spur gewesen. Er muss die ganze Nacht unterwegs gewesen sein, bei Regen und Sturm über den höchsten Punkt auf dem Te Araroa. Das ist ja so schon eine Schnapsidee, aber zu dem schlimmen Wetter muss er sich auch noch verlaufen haben. Wer weiß, wie viele Stunden der in der Kälte herumgeirrt ist …. Was für ein lebensgefährlicher Wahnsinn ! Wie gut, dass wir gestern Abend kein Feuer gemacht haben. Da es hier im Umkreis keine Bäume gibt und nur sehr wenig Holzvorrat neben dem Kamin lag, habe ich ins Buch geschrieben : “ Wir lassen das Holz für Jemanden, der es nötiger braucht. “ Und da liegt er nun, der junge Mann …. Was für eine komische Vorahnung – diese Hütte ist mir unheimlich ! Erstmal unterwegs geht es mir trotz wenig Schlaf gleich besser. Es ist schneidend kalt, endlich brauchen wir all unsere Winter-Kleidung und dazu Socken als Handschuhe. Wir haben 5 Kilometer Aufstieg zum Stag Saddle vor uns, zum Teil sehr steil, aber das können wir gut. Wir haben genug Berge auf dem Appalachian Trail überwunden, das Training lässt uns hier die Steigungen leichter nehmen.Um 10.00 Uhr stehen wir auf dem höchsten Punkt des Te Araroa. Aber wir möchten noch höher hinaus. Vom Stag Saddle laufen wir über eine Flanke bis zur nächsten Range, wo die Berge über 2000 Meter hoch sind. Diese Variante ist auf der Te Araroa-Seite als alternative Schönwetter-Route erwähnt. Nun, das Wetter kann sich gerade nicht entscheiden. Sonne, Regen, Wolken-Mix, Regenbogen. Wir genießen unsere Wanderung auf der westlichen Route jedoch sehr. Der Weg ist nicht markiert, ein schmaler Pfad führt von einem Bergkamm zum nächsten. Das muss viel schöner sein als der Weg unten im Tal durch Tussock und Geröll im Flussbett. Links und rechts von uns liegen hohe Berge. Auf einem gegenüberliegenden Hang entdecken wir zwei Ziegen, die den Jägerinnen entkommen sind. Voraus haben wir eine phantastische Aussicht auf unser nächstes Ziel, den Lake Tekapo mit seinem azurblauen Wasser. Von hinten nähern sich dunkle Wolken, das sieht bedrohlich aus. Der Wind hier oben wird schon fast zum Sturm, ist aber für uns nicht so schlimm, weil wir ihn im Rücken haben. Als wir uns umdrehen, da trauen wir unseren Augen kaum. Hinter uns hat es geschneit, eine frische Schneedecke bedeckt die Berggipfel, über die wir gerade eben noch gelaufen sind. Vor uns über dem See bildet sich ein kräftig bunter Regenbogen, kurz darauf erscheint noch ein zweiter Regenbogen gleich daneben. Vom Grat steigen wir immer weiter ab, bis wir uns wieder auf der Ebene von Tussock-Gras befinden. Das hatten wir ja lange nicht, und gefehlt hat es uns auch nicht. Um 13.00 Uhrkommen wir an der Camp Stream Hut an, wo wir eine verdiente Mittagspause machen. Haben heute wir schon viel geleistet, und der Tag ist noch lang. Von der Hütte aus führt unser Weg mehrmals über den Camp Stream, dann einmal über den Coal River, welcher quer zum Trail verläuft. Aus dem Fluss-Tal heraus müssen wir einen supersteilen Berg erklimmen, dann ist es genug mit Klettern. Oben angekommen beginnt der Richmond Track. Wir haben nur noch eine langweilige Ebene vor uns. Auf schmaler Spur geht es über vertrocknete Schafweiden, 14 Kilometer schnelles Laufen. Das ist sowas von öde, dass sich die letzten Kilometer wie Kaugummi in die Länge ziehen. Unterwegs auf freiem Feld zelten wäre nicht besonders schlau, weil der Wind kräftig über das flache Land fegt. Also Zähne zusammenbeißen und weiter …. Wir sind heilfroh, als wir gegen 20.00 Uhrendlich am Ziel ankommen. Der Lilybank Road Car Park liegt direkt am Lake Tekapo, wo wir einen geschützten Platz am Ufer finden. Von hier aus sind es morgen nur noch 15 Kilometer bis nach Tekapo Village, wo wir einen Ruhetag einlegen möchten. Leider müssen wir feststellen, dass wir eine unserer Stirnlampen verloren haben, wahrscheinlich bei unserem Aufbruch in der Dunkelheit bei der Royal Hut. Naja, Thomas hat vorgestern eine Lampe gefunden, nun ist unsere weg. Das gleicht sich dann ja wieder aus. Wir möchten noch Tee zum Feierabend trinken, aber das Gas reicht nicht mehr. Das Wasser wird gerade noch lauwarm, wir werfen trotzdem zwei Teebeutel hinein. Der Zucker ist auch alle, also gibt es kalten Tee mit Süßstoff. Geht alles ! Schon morgen kommen wir in einen kleinen Ort, wo wir Nachschub kaufen können.

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Heute stehen eigentlich nur 15 Kilometer strammes Laufen auf dem Plan. Wir möchten in drei Stunden, also vor der Mittagszeit, in Lake Tekapo Village ankommen, um unseren Ruhetag früh zu beginnen. Mein Rücken fühlt sich heiß und wund an vom Tragen. Es wird Zeit, mal wieder ausgiebig Körperpflege zu betreiben und die Muskeln zu entspannen. Unser Weg führt direkt am Ufer des Lake Tepako entlang. Viel Wind, auf dem See sind richtige Wellen zu erkennen. Lake Tekapo ist mit seinen 90 qm der größte Binnensee der Region Canterbury. Ein malerisches Alpen-Panorama liegt vor uns. Die schroffen Berge hinter dem tiefblauen Wasser bieten uns eine wunderschöne Ansicht, aber auch die wird auf Dauer langweilig. Wandern auf einer Straße zieht sich immer in die Länge, auch wenn die Umgebung sehr reizvoll ist. Und es tut den Füßen gar nicht gut, wie eine neue Blase an Thomas‘ Ferse mal wieder bestätigt. Durch den Lake Tekapo Regional Park gelangen wir ins Dorf, welches nur ungefähr 400 Einwohner hat. Aber dafür umso mehr Touristen …. Ein riesiges Observatorium steht auf einem Berg. Außerdem ist die altertümliche Kirche “ Church of the Good Shepherd “ berühmt und ein großer Anziehungspunkt für Gäste aus aller Welt. Für uns bedeutet das allerdings nur, dass wir hier im Ort nicht bleiben können. Ich laufe über eine Stunde durch Lake Tekapo Village und frage in jedem Hostel, Motel, YMCA, im Holiday-Park und in der Touristen-Info nach einem Zimmer. Leider nichts zu machen, alles ist ausgebucht oder aber viel zu teuer für uns. Nur einen Platz zum Zelten könnten wir noch bekommen, aber das entspricht nicht unseren Wünschen. Dafür möchten wir nichts bezahlen, irgendeine Stelle findet sich auch am Wegesrand für umsonst. Also wird es hier und heute noch nichts mit unserem off-day, wir werden einfach weitergehen. Im kleinen Supermarkt versorgen wir uns mit Essen und Trinken. Während wir das an einem Picknick-Tisch verzehren, bricht ein Bügel von meiner Lesebrille ab. Wie praktisch – da kann ich mir nebenan gleich eine neue Brille besorgen. Und wir kaufen uns Handschuhe, die wir in den nächsten Wochen sicherlich noch gut gebrauchen können. Dann marschieren wir weiter, es sind ja nur 67 Kilometer bis zur nächsten Stadt. Es geht wieder nur über Straßen, das heißt, schön einfach und schnell. Wir haben zwei Tage für diese Etappe bis nach Twizel geplant. Zunächst müssen wir 5 nervige Kilometer entlang der viel befahrenen Interstate laufen. Unterwegs machen wir eine unfreiwillige Pause, weil Thomas lange Zeit damit verbringt, unsere Walking-Stöcker wieder zusammen zu bauen. Die Dinger sind dermaßen korrodiert, dass die sich nicht mal eben wieder auf normale Länge einstellen lassen, und einer der Stöcke bleibt trotz aller Bemühungen instabil. Wir sind jetzt auf dem sogenannten Tekapo-Twizel Track, immer stur geradeaus über eine verlassene Schotterstraße. Links von uns stehen Schafe einträchtig zusammen mit frisch geschorenen Alpakas auf einer Weide. Zur rechten Seite tummeln sich noch viel mehr Alpakas mit Jungtieren in voller Fell-Pracht. Wir befinden uns irgendwo im Nirgendwo, die Gegend ist Militärgebiet, wie uns Schilder verkünden. Und dann kommen uns 6 junge Männer in Armeekleidung und Kampfausrüstung entgegen, Gewehre über der Schulter hängend. Es sieht so aus, als machten sie eine Schnitzeljagd, aber es wird wohl eher ein Orientierungslauf gewesen sein. Sie freuen sich offensichtlich über die Abwechslung und sind einem kleinen Plausch nicht abgeneigt. Wir fragen, wie weit sie heute schon marschiert sind und bekommen von den müden Männern zur Antwort : “ 15 Kilometer “ – Also, 15 Kilometer hatten wir schon um 11.00 Uhr morgens voll. Da wir eigentlich in Lake Tekapo Village bleiben wollten, um unsere weiteren Karten zu drucken, sind wir nun auf dieser Etappe ohne Planungs-Unterlagen. Deswegen sind wir sehr erstaunt, als wir auf dieser Straße ins Nichts plötzlich fast über eine Hütte stolpern. Ein winzig kleines Holzhaus steht da am Straßenrand, man hätte es genau so gut für einen Schaf-Unterstand oder ein Plumpsklo halten können. Aber es ist tatsächlich eine Schutzhütte mit Etagenbett für 2 Personen. Ohne Fenster, also stockfinster im Inneren, aber wir haben ja Taschenlampen. Die Telegraph Hut gehört nicht dem DOC, sondern wird vom örtlichen Wanderverein unterhalten. Der Mackenzie District stellt die Bude den Te Araroa-Hikern zur Verfügung. Ein Schild an der Holztür besagt, dass sie ungefähr von 1916 stammt. Im Inneren ist es angenehm sauber bis auf ein paar Krümel Rattenkot am Boden. Eigentlich ist es um 18.00 Uhrnoch zu früh, um den Tag zu beenden. Aber in Anbetracht des pfeifenden Windes auf freiem Feld und der Regen-Vorhersage beschließen wir, lieber die Nacht mit einem schützenden Dach über dem Kopf zu verbringen. Immerhin haben wir trotz der mehrstündigen Pause in Lake Tekapo Village trotzdem 30 Kilometer Strecke auf dem Weg nach Bluff geschafft.Ratten-Alarm ! Kaum dass wir am Abend das Licht ausgemacht hatten, da ging es los. Knistern, Rascheln, Knabbern und kleine Füße, die schnell über den Boden huschen. Wir haben mehrmals mit der Taschenlampe geleuchtet, konnten aber den frechen Nager nicht entdecken. Auf jeden Fall war es eine sehr unruhige Nacht, wir haben beide kaum geschlafen. Einmal ist mir die Ratte sogar über den Schlafsack gelaufen. Da nützen auch Ohropax nichts. Das Tierchen muss wohl durch den Kamin ins Innere gekommen sein, denn Löcher zum Hineinschlüpfen konnten wir nicht entdecken. Trotzdem klingelt unser Wecker früh, denn wir haben uns eine lange Strecke vorgenommen. Belohnt werden wir mit einem blutroten Sonnenaufgang, den wir aus der offenen Tür unserer Hütte heraus beobachten können. Kalt ist es mal wieder …. Westlich vor uns liegen mehrere Bergketten mit schneebedeckten Gipfeln. Rechts von uns ragt der majestätische Mount Cook mit seinen tief heruntergezogenen Gletschern in die Höhe, mit 3724 Metern der hoechste Berg Neuseelands. Nichts los auf unserer Schotterstraße am frühen Morgen, links und rechts weiterhin abgesperrtes Militärgebiet. Nach den ersten 10 Kilometern deutet Viehwirtschaft darauf hin, dass wir uns langsam wieder der Zivilisation nähern. Eine Weide steht voll mit jungen Bullen, die sind pechschwarz und gar nicht scheu. Diese Halbstarken kommen ganz nahe an den Zaun heran und fixieren uns mit ihren dunklen Augen, von Angst keine Spur. Wir laufen immer weiter auf den Lake Pukaki zu, der uns riesig erscheint. Dabei ist dieser See mit seinen 180 qm nur doppelt so groß wie der Lake Tekapo. Das Wasser hier sieht allerdings nicht so einladend aus, sondern ist von hellgrün-grauer Farbe, die eiskalt wirkt. Die Strecke zieht sich immer weiter, Lake Pukaki kommt einfach nicht näher. Irgendwann haben wir es dann doch geschafft und machen eine Pause direkt am Ufer. Thomas hat mehr und mehr Probleme beim Laufen und muss seine Blase verarzten. Von nun an halten wir alle zwei Stunden an, um die Schuhe auszuziehen und die Füße auf Blasen und Scheuerstellen zu untersuchen. Direkt am Lake Pukaki beginnt der Alps 2 Ocean Trail, das ist ein kombinierter Weg für Mountain-Bikes und Wanderer. Der scheint aber bei den Radfahrern nicht besonders beliebt zu sein. Wir treffen in 8 Stunden genau eine Frau mit Mountain-Bike, sonst Niemanden. Hier herrscht absolute Einsamkeit, es sammelt sich wohl alles in den kleinen Touristen-Dörfern. Von unserer Piste aus können wir den Ozzie Rock sehen. Das ist eine seltsame Fels-Formation, die aus zwei großen Steinen besteht. Aus der Ferne wirkt diese Skulptur wie ein Vogel, der auf dem Rücken liegt und seinen Schnabel in die Luft reckt. Etwas weiter entlang des Schotterweges steht ein Hinweis-Schild, welches in Richtung See zu öffentlichen Toiletten weist. Sehr verwunderlich, wo es doch hier fast keine Menschen zu geben scheint. Das gucken wir uns an, und tatsächlich entdecken wir ein junges Paar, welches anscheinend zum Baden im Lake Pukaki unterwegs ist. Wir machen eine Mittags-Rast etwas abseits des Oertchens. Thomas hat mit seinem Handy plötzlich Internet-und Telefonsignal. Das trifft sich gut, da können wir unsere Unterkunft für morgen reservieren. Aber auch das ist mal wieder nicht so einfach, auch die Kleinstadt Twizel scheint ausgebucht zu sein. Nach mehreren Telefongesprächen können wir ein Zimmer im Backpackers ergattern. Mal wieder mit geteiltem Alles, aber immerhin ein richtiges Doppelbett und eine Tür zum Abschließen. Ein eigenes Bad mit privater Toilette wäre ja schon ganz nett …. aber nützt ja nichts. Wir sind reif für einen Tag Pause, dann eben wieder ins Backpackers, kostet auch “ nur “ 90,- Dollar pro Nacht. Und weiter geht’s um den See herum, unsere Strecke wird anscheinend nicht kürzer. Die Pukaki Power Station liegt direkt auf dem Weg, das ist ein enormes Wasser-Kraftwerk. Das Haupt-Gebäude ist in den See gebaut, über der Straße liegen meterdicke Rohre, eine Unterführung für Fahrzeuge und Fußgänger verläuft direkt darunter. Wunder der Technik – wir sind schwer beeindruckt von diesem Bauwerk. Der Alps 2 Ocean Trail verläuft weiter parallel zur Interstate, wo unser Weg über eine schmale Kies-Spur in ein kleines Wäldchen führt. Dort lernen wir Neil kennen, einen Kiwi, der schon viele Jahre in Kanada lebt und jetzt in seiner Heimat Neuseeland den Te Araroa läuft. Neil ist schon im Oktober gestartet und stolzer Besitzer unseres Wunsch-Zeltes. Wir schauen es uns ganz genau von allen Seiten an und sind begeistert von diesem Z-Pack-Zelt für zwei Personen. Genau dieses werden wir uns auf jeden Fall vor Beginn unseres nächsten Trails in den USA bestellen. Eine Stunde später entdecken wir einen Picknick-Tisch am Ufer. Wasser gibt es genug im See, so dass wir hier gleich zweimal nacheinander Tee kochen und Abendbrot essen. Anschließend Zähneputzen und nochmal einen Kilometer weiter bis zum Pines Camp, wo wir die Nacht verbringen möchten. Es ist viel los, richtig voll sieht es von Weitem aus. Kleine Mietwagen mit Zelten daneben, Camper-Vans, Wohnmobile, Motorrad-Fahrer ….. Dies ist ein ganz legaler Campingplatz, zwar ohne Wasser und sonstige Einrichtungen, aber dafür kostenlos. Kein Wunder, dass Pines Camp so beliebt ist bei den Urlaubern, wo man doch sonst selbst für’s Zelten ordentlich zur Kasse gebeten wird. Wir suchen uns ein lauschiges Plätzchen im kleinen Kiefernwald, da wir ja kein Auto abstellen müssen. Dort haben wir sogar etwas Platz um uns herum, stehen geschützt unter Bäumen und kriechen sofort ins Zelt. Unsere persönliche Bestleistung : 12 Stunden unterwegs, davon 9 Stunden gelaufen und 42 Kilometer geschafft. Wir sind sehr zufrieden mit unserem Tagewerk.

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Unser Tekapo-Twizel Track führt über den Pukaki Staudamm. Immer noch befinden wir uns auf dem langen Alps 2 Ocean Trail, der die beiden Orte verbindet. Heute laufen wir über einen schönen Weg aus Kies durch frische Pinien-Aufforstung. Immer noch kein Regen, obwohl wir jeden Tag damit rechnen. Das gefällt uns richtig gut, der Wetterbericht hat sich anscheinend geirrt. Immerhin 4 Radfahrer kommen uns am frühen Morgen entgegen, das ist mehr, als wir gestern den ganzen Tag über gesehen haben. Ueber den Pukaki Flat Track und durch das Bendrose Reserve gelangen wir nach Twizel. Das ist eine Kleinstadt mit etwa 1000 Einwohnern, nicht besonders spannend. Aber es sind Osterferien, und im Ort ist alles ausgebucht. Nächste Woche findet hier eine Ruder-Veranstaltung statt, zu der werden 8000 Gäste erwartet. Das Verhältnis Einwohner zu Touristen wird dann ähnlich sein wie auf Norderney. Wie gut, dass wir zu der Zeit schon wieder auf dem Trail sind ! Wir beziehen unser Zimmer im Backpackers und sind begeistert. Da wir in der Lodge einquartiert wurden, ist unsere Unterkunft besser als erwartet. Sauber und ordentlich, es werden sogar Handtücher gestellt. Wir haben einen Wasserkocher im Zimmer und einen Mini-Fernseher mit zwei Programmen. Aber die größte Ueberraschung, sozusagen unser Highlight : eine winzige Kammer mit eingebauter Dusche für sehr schmale Leute und eine eigene Toilette. Was wollen wir mehr ? Das war bei der telefonischen Buchung anders gesagt worden, aber wir wollen uns nicht darüber beschweren. Wen kümmert es da schon, dass man für eine Stunde Internet 5,- Dollar bezahlen soll und eine Portion Waschmittel an der Rezeption 2,50 Dollar kosten soll ? Internet gibt es günstiger in der Bücherei oder im Café. Und ich kaufe eine ganze Packung Waschmittel im Supermarkt für 2,15 Dollar. Der Rest wird dann eben verschenkt.

Die Wäsche ist wieder sauber und trocken. Unsere Planung für die letzten 600 Kilometer ist in vollem Gange. Thomas hat einen Stapel bunter Ausdrucke aus dem Copy-Shop mitgebracht. Unsere letzten Karten und Informationen für die zweite Hälfte der Südinsel – ist gar nicht mehr so viel, so langsam ist ein Ende abzusehen. Der Proviant-Einkauf wird nur für eine 5-Tage-Etappe sein, da müssen wir nicht ganz so viel schleppen. Eigentlich wäre ich noch gerne zum Friseur gegangen, aber der nächste freie Termin ist erst morgen um 13.00 Uhr. Da sind wir schon wieder unterwegs. Für den Rest des Tages ist Ausruhen und Essen angesagt, damit wir wieder ein Kilo mehr auf die Rippen bekommen.

Wegen einer Magenverstimmung haben wir noch einen Tag in der Weltstadt Twizel verlängert. Mussten leider umziehen, weil unser Zimmer nicht länger frei war. Eine Gruppe von 100 Mädchen wird heute erwartet, die werden Gemeinschaftsraum und die Küche belagern. Es könnte laut werden, aber dafür gibt es vom Manager 5,- Dollar Preis-Nachlass. Erneuter vergeblicher Versuch, einen Termin beim Friseur zu ergattern. Absolut nichts zu machen, erst nächste Woche wieder ….. Nun habe ich mir die Haare gerade selber geschnitten ( mit einer Nagelschere ). Geht alles. Meine Salomon-Schuhe, die ich mir erst Anfang Februar in Wellington gekauft habe, gehen schon wieder kaputt. Dabei bin ich erst 750 Kilometer damit gelaufen. Muss ich mir etwa nochmal andere Hiking-Schuhe besorgen ? Zwei volle Ruhetage fühlen sich an wie Wellness-Urlaub. Füße und Knie sind wie neu, es kann gerne weitergehen. Mittlerweile hat sich der Himmel bedrohlich zugezogen. Schwarze Wolken schieben sich heran. Es sieht aus, als sollte es gleich ein heftiges Unwetter geben. Besser heute als morgen …..
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Twizel bis Wanaka 25.03. – 30.03.2016  

Der letzte Tag in Twizel beginnt mit einem allzu guten Frühstück im Café. Ich hatte mir extra nichts bestellt, weil ich kurz zuvor im Zimmer noch ein halbes Pfund griechischen Joghurt mit Blaubeeren gegessen und einen Dreiviertel Liter Milch getrunken hatte. Das musste weg, möchte ja Niemand tragen. Aber unsere Serviererin kommt mit zwei voll beladenen Tellern an, aus Versehen natürlich. Bezahlt haben wir nur eins, aber sie lässt uns beide Gedecke stehen. Ausgerechnet heute, wo ich keinen Hunger habe und Thomas noch mit seinem Magen zu kämpfen hat. Noch dazu ist dieses ein ausgesprochenes Männer-Frühstück, von dem ich fast nichts mag. Fettige Wurst, Speck, Eier, Rösti, gebackene Tomaten, Toast …. ein Toast mit Spiegelei bekomme ich noch ‚runter, Thomas isst seinen Teller leer und noch die Hälfte von dem Gratis-Teller. Mehr geht nicht, wir möchten schließlich noch laufen. Unser Weg heute ist einfach und wenig spektakulär. Es geht über einen Damm und danach lange Zeit am Südufer des Lake Ruataniwha entlang. Wir passieren eine riesige Lachsfarm, ein paar Angler bei der Arbeit, am Fluss stehen einige Wohnmobile. Pause machen wir an einem kleinen Staudamm. Danach beginnt der Lake Ohau Track, wir wandern weitere 7 Kilometer um einen anderen See und am Fluss entlang. Eine Gruppe Radfahrer staunt über unsere vollgepackten Rucksäcke und spricht uns an. Wir werden sehr nett ausgefragt und mit vielen guten Wünschen auf den weiteren Weg entlassen. Eigentlich hatten wir geplant, diese Nacht auf dem Campingplatz im Lake Middleton Reserve zu verbringen. Hier muss man sich selbst registrieren und das Geld in eine Box werfen. Die Uebernachtung soll 20,- Dollar kosten, was ja an sich nicht viel Geld ist. Wir machen einen kleinen Abzweiger und schauen uns das Gelände an. Keine Picknick-Tische, das Wasser soll man abkochen, die Toiletten sind weit entfernt. Nein, das gefällt uns nicht, dafür möchten wir nicht zahlen. Nur einen Kilometer weiter macht die Küstenstraße einen Bogen und bietet Platz für ein kleines Wäldchen. Dort finden wir ein lauschiges Plätzchen zwischen Bäumen, direkt am Ufer des Lake Ohau. Schön ruhig gelegen, weil weit genug von der Straße entfernt. Dicke Baumstämme laden zum gemütlichen Sitzen ein, wir haben Blick auf den See und die dahinter liegenden Berge. Perfekt – und gratis ! Tagesbilanz 31 Kilometer, obwohl wir erst um 11.00 Uhr aus Twizel gestartet sind und einen ganz entspannten Tag hatten.

Kühl ist es, wir stehen erst bei Tageslicht auf. Tolle Stimmung am Morgen, während wir unseren Kaffee mit Aussicht genießen. Die Wolken hängen tief über den Bergen, der See liegt still vor uns. Nach einem kurzen Stück entlang der Straße erreichen wir den Glen Mary Ski Club, zu dieser schneelosen Jahreszeit auch eher ein einfacher Camping-Platz. Dort können wir netterweise nochmal unseren Abfall entsorgen und die Toilette benutzen. Dann geht es los auf den East Ahuriri Track. Vor uns liegt die Ohau Range mit dem 1917 Meter hohen Ohau Peak. Ein steiler Aufstieg entlang des Freehold Creek bringt uns ordentlich ins Schwitzen. Vom See aus sind einige Hundert Höhenmeter zu bewältigen, bis wir die Baumgrenze erreicht haben. Dann geht es weiter auf schmaler Spur mit fließend Wasser auf dem Trail. Tussock und andere Stachelpflanzen machen uns das Leben sauer. Wir laufen durch ein riesiges Sumpfgebiet, da bleiben Schuhe und Strümpfe nicht lange trocken. Die langen Hosen sind ebenfalls klitschnass, weil wir uns die ganze Zeit durch hüfthohes Gras kämpfen müssen, alles feucht vom Nebel. Wasserfälle ergießen sich aus den Bergen gegenüber in die Tiefe. Nachdem wir den höchsten Punkt überquert haben, dürfen wir absteigen ins East Ahuriri River Valley. Steinmännchen weisen uns den Weg – manchmal wenigstens. Schräges Laufen entlang von steilen Bergflanken, ein Bein immer kürzer als das andere. Das fühlt sich fast so an wie auf See, wenn Walkabout hart am Wind segelt und auf der Seite liegt. Danach wieder Sumpf …. und Disteln …. und ein Dutzend Mal den Fluss queren oder über Bäche springen, die von oben in die Schlucht fließen. Dicke runde Steine bilden die Zahl “ 2500 “ für uns und alle folgenden Te Araroa-Hiker. Wir nähern uns mit Riesenschritten dem Ziel …. ein Grund zum Freuen, aber uns wird auch etwas wehmütig bei dem Gedanken ans Ende. Unsere letzten Kilometer heute führen über trockene Wiesen mit Stoppelgras und Löchern drin. Der linke Stock von Thomas gibt nun endgültig seinen Geist auf und ist nicht mehr zu gebrauchen. Wir stolpern mehr schlecht als recht bis zu unserem Tagesziel, dem Ahuriri River. Dieses ist der längste und breiteste Fluss ohne Brücke auf dem Te Araroa, den wir durchqueren müssen. Die beiden anderen, die bereits hinter uns liegen, sind ja zur Hazard Zone erklärt worden und damit nicht Teil des Trails. Das Laufen war heute nicht einfach, dafür ist das Fjorden umso leichter. Nachdem wir einen steilen Abhang mehr hinunter gerutscht als gestiegen sind, stehen wir vor dem Ahuriri-River. An dieser Stelle hat der Fluss etwa eine Breite von 30 Metern und fließt recht schnell. Aber es sieht gut aus, klares Wasser lässt uns bis auf den Grund sehen. Der Wasserstand ist normal, weil es schon seit Tagen nicht mehr feste geregnet hat. Da müssen wir noch nicht einmal lange nach einer geeigneten Stelle zum Durchqueren suchen. Wir verhaken uns im Kiwi-Stil, wie wir es von Sue und Allan gelernt haben. Mit einem Arm fest hinter dem Rücken des Partners, am Gurt des Rucksacks eingehängt, hat man viel mehr Standfestigkeit als alleine. Wir waten also zu zweit direkt auf kürzestem Wege durch den Fluss. Die Strömung ist stark, aber das Wasser reicht uns nur knapp bis über die Knie. Kein Problem, obwohl es viele warnende Worte zu dieser Fluss-Passage gab. Auf der anderen Seite suchen wir uns sofort einen Platz, wo wir uns trocknen und aufwärmen können. Wir klettern über einen Zaun, da wir unser Zelt lieber etwas im Schutz der Hügel aufstellen möchten. Habe ein bisschen schlechtes Gewissen, weil die Weide nach Privatbesitz aussieht. Keine Kühe, dafür Unmengen von Kaninchen-Kötteln. Kaum haben wir unser Zelt fertig aufgestellt, da kommt ein junger Mann um die Ecke. Schon wieder ein Deutscher, der einige Monate durch Neuseeland wandert. Fabian hat sein geheimes Lager nur ungefähr 20 Meter von uns entfernt eingerichtet. Auf meine Frage, ob er auch über den Zaun geklettert ist, antwortet er “ Nein, ich bin drunter durch geklettert. “ Danke, lieber Bauer ! Wir sind froh, dass wir so gut durch den Ahuriri River gekommen sind. Während wir noch um Dunkeln draußen unseren Abend ausklingen lassen, huscht ein Marder über die Wiese. Das hellgrau-weiße Tierchen ist richtig possierlich und flitzt schnell von einem Gebüsch zum nächsten. Es schnuppert kurz an unseren Sachen, ist aber offensichtlich eher auf Kaninchen-Beute aus. Noch etwas später ertönt ganz in unserer Nähe lautes Geschrei von einer Wildkatze, die wir aber nicht zu Gesicht bekommen. Das kann ja wieder eine unruhige Nacht werden bei den vielen Tieren um uns herum.
Wir starten jetzt jeden Morgen später, wenn nichts Besonderes anliegt. Es wird erst gegen 7.30 Uhr hell und ist meistens kalt und grau beim Aufstehen. Beim Frühstück sitzen wir mit Handschuhen und Daunenjacke. Dutzende von Kaninchen und Hunderte von Sandflies leisten uns Gesellschaft. Wir hatten eigentlich gedacht, dass wir diese Plagegeister mit den niedrigeren Temperaturen losgeworden sind. Aber nein, es gibt sie leider immer noch, und sie stechen gnadenlos in jedes Stückchen freie Haut. Zwei Stunden später kommt die Sonne heraus und knallt uns auf’s Haupt, während wir ungeschützt über Kuhwiesen stapfen. Diese Temperatur-Unterschiede sind wirklich extrem in Neuseeland. Der junge Deutsche ist kurz vor uns losgelaufen, aber er nimmt einen falschen Abzweiger. Thomas sieht das und pfeift laut. Fabian dreht sich sofort um und bemerkt seinen Fehler – der hört sogar auf den Norderneyer Pfiff. Heute beginnen wir den Breast Hill Track. Schon bald müssen wir über einen Fluss queren, dafür wechseln wir Schuhe gegen Sandalen. Während unserer Umziehpause überholt Fabian uns, wählt aber schon bald wieder einen verkehrten Abzweiger. Thomas muss ihn erneut zurückpfeifen. Von da an laufen wir ein gutes Stück zusammen. Der junge Mann hat ein work & travel-Visum für ein Jahr und saugt alle Informationen über Te Araroa, Zelte, Rucksäcke und Reisen allgemein auf. Rechts von unserem Weg steht ein Doppel-Zaun, der äußere Teil Stacheldraht, innen ein sehr hohes Gitter. Sogar Berge und ein Waldstück sind eingezäunt. Dort steht ein olivgrüner Jeep in der Landschaft, da drin sitzen ein Fahrer und zwei “ Jäger “ in Tarnanzügen. Die zahlen sehr viel Geld dafür, dass sie in diesem eingezäunten Areal auf Hirsche schießen dürfen. Eigentlich wird das Damwild hier für die Fleisch-Produktion gezüchtet und als Delikatesse verkauft. Aber in diesem riesigen Gehege sehen wir nur kapitale Hirsche mit stattlichen Geweihen, die als Trophäen begehrt sind. Jagd-Tourismus ! Was für ein mieser Sport ! Unsere erste Pause machen wir an einer privaten Hütte. Zwei mittelalterliche Frauen kommen vorbei und sind nicht besonders freundlich. Sie fragen als Erstes nach unserem Ziel anstatt “ Guten Tag “ oder ähnliche Höflichkeitsfloskeln zu sagen. Dann gibt es lange Gesichter zu sehen, weil wir zu derselben Hütte laufen wollen. Egal, die Damen haben wir schnell abgehängt und werden natürlich gerne die besten Liegen beziehen. Vor uns liegen 5 Kilometer Aufstieg bis auf den Mt. Martha Saddle, das sind insgesamt 900 Höhenmeter stetig bergauf. Oben ist es grau und kalt, der Himmel hat sich kurz vor’m Sonnenbrand wieder komplett zugezogen. Ein eisiger Wind weht uns beinahe aus der Spur. Steinwüste …. die Landschaft ist noch eintöniger geworden. Ein totes Schaf liegt auf dem Weg. Das sieht gar nicht gut aus und riecht übel. Vom Sattel führt der Trail auf kleinerem Gestein und Geröll in Serpentinen abwärts. Abgerutschte Hänge müssen überklettert und Bäche übersprungen werden. Keine Markierungen. Es geht heute mal wieder nur langsam voran, vielleicht fehlt uns auch die richtige Motivation. Die letzten Tage war die Landschaft nicht besonders toll, dafür der Weg umso beschwerlicher. Das Wetter wird schlechter, so dass wir nach Möglichkeit übernachtungen in Hütten planen, sofern es welche gibt. Um 17.15 Uhr erreichen wir die Top Timaru Hut auf 900 Meter Höhe. Die sieht schick aus, hell und freundlich. Die Top Timaru Hut ist erst 2011 renoviert worden, voll isoliert und bietet Platz für 6 Personen. Fabian liegt bereits auf einer Pritsche, wir richten unser Nachtlager auf den beiden anderen Betten unten her. Eine halbe Stunde später fängt es an zu regnen. Soweit ist alles gemütlich, aber dann poltern die beiden unfreundlichen Frauen herein und bringen eine Menge Unruhe mit. Sie breiten sich in der kleinen Hütte aus, machen Licht an, lassen die Tür weit auf und die Sandflies herein. Die Wanderfrauen sind unverschämt laut, endloses Knistern und Kramen bis spät in den Abend, obwohl schon drei Leute versuchen zu schlafen. Leider kann man sich die Gesellschaft in einer Schutzhütte nicht aussuchen.
Ganz bewusst stehen wir als Erste auf und sehen zu, dass wir unseren Kaffee in Ruhe trinken können, bevor die beiden Frauen den kleinen Tisch für sich beanspruchen. Haben uns für den heutigen Tag ordentlich viele Höhenmeter vorgenommen. Statt zur Stodys Hut, wohin die Damen laufen, werden wir die übernächste Hütte anvisieren. Immer noch befinden wir uns auf dem Breast Hill Track mit insgesamt 54 Kilometer Länge. Gleich in der ersten halben Stunde müssen wir durch den sprudelnden Fluss. Schuhe nass, Strümpfe nass, Füße eiskalt. Wenigstens habe ich Handschuhe, um die Finger zu wärmen. So geht es lange Zeit weiter, wir patschen in schöner Regelmäßigkeit durch das kalte Wasser. Zwischendurch müssen wir Felsvorsprünge umgehen, indem wir die Abhänge hinauf und nach wenigen Metern wieder hinunter klettern. Und es gibt richtigen Wald ! Der Trail wird plötzlich trotz aller Mühen so, wie wir es lieben. Endlich sehen wir wieder Bäume und haben federnden Waldboden unter den Füßen. Die grandiose Natur Neuseelands – nach einigen langweiligen Tagen präsentiert sich die Landschaft nun wieder spektakulär schön. Nachdem wir ungefähr 20 Mal durch den Timaru River von einer Seite auf die andere gewechselt sind, dürfen die Schuhe trocknen. Wir entfernen uns vom Fluss und balancieren stundenlang auf schmaler Spur am Hang entlang. Solch ein schräges Laufen ist auf die Dauer gar nicht toll für die Gelenke. Außerdem anstrengend, weil man sich die ganze Zeit sehr konzentrieren muss, um nicht im Geröll abzurutschen. Zwei Füße passen hier nicht nebeneinander, immer fein einen hinter den anderen setzen. Was ist die Steigerung von steil ? Steiler ? Supersteil ? Der Aufstieg zur Stody Hut hat es in sich. Unsere Unterlagen rechnen mit 1,5 – 2 Stunden für die zwei Kilometer bergauf. Wir brauchen nur gut eine Stunde, aber wir sind gut im Training. Diese Etappe schaffen wir nur, indem wir uns stur und verbissen bis zur Baumgrenze den Berg hinauf arbeiten. Das zwickt ganz gut in den Waden. Um 14.30 Uhr kommen wir schweißgebadet an der Stodys Hut an, die auf 1080 Meter Höhe liegt. Wir fühlen uns, als hätten wir heute bereits 2000 Höhenmeter ‚rauf und ‚runter gemacht. Unsere Mittagspause verbringen wir lieber in der Hütte, die keinen Holz- oder Betonboden hat, sondern der Grund besteht nur aus dunkler Erde mit ein paar Steinen dazwischen. Schön ist es dort nicht, aber Sonne haben wir bereits genug gehabt, und innen sind wir vor den Sandflies sicher. Als Krönung des Tages möchten wir noch auf der höheren Route über den Breast Hill. Dieser Weg lohnt sich nur bei klarem Wetter wegen der Aussicht, also nutzen wir die Gunst der Stunde. Ein einfacher Farm Track führt 10 Kilometer weit in Serpentinen über immer größere Hügel. Wir können meilenweit im Voraus sehen, wie sich unser Weg die Berge hinaufschraubt. Eigentlich keine anstrengende Sache, aber immerhin müssen wir nochmal 500 Höhenmeter aufsteigen. So langsam macht es sich bemerkbar, dass der Weg zur ersten Hütte auch schon ganz knackig war. Wir sind müde und wünschen uns, dass der Briest Hill endlich näher kommt. Aber es hat sich gelohnt ! Auf dem Gipfel mit seinen 1578 Metern Höhe bietet sich uns ein Alpen-Panorama vom Feinsten. Ringsherum Berge, blauer Himmel, und wir haben eine tolle Aussicht auf den Lake Hawea und den Lake Wanaka dahinter. Da können wir uns heute schon ein Bild von unserer Route der nächsten Tage machen. Hier oben pustet ein kräftiger Wind. Es wird Zeit, den Sonnenhut gegen eine warme Mütze zu tauschen und einen Kapuzenpullover über’s T-Shirt zu ziehen. Dann machen wir eine ausgiebige Foto-Session, um die Super-Aussicht von allen Seiten festzuhalten. Der Abstieg zur Hütte dauert nur knapp eine Stunde, begleitet von Alpenglühen auf der linken Seite und einem Sonnenuntergang über dem See. Richtig kitschig, wunderschön ! Wir müssen uns beeilen, es wird schon bald dunkel. Um 20.00 Uhr etwa biegen wir ab auf einen Seitenweg zur Pakituhi Hut, die in knapp 1300 Metern Höhe liegt. Inzwischen ist es ordentlich kalt geworden, und wir sind froh, dass wir es bis zur Hütte geschafft haben. Tagesziel hoch gesteckt – und erreicht. Leider können wir uns nicht lange freuen, denn durch die großen Fenster erblicken wir mehrere Gestalten, die offensichtlich gerade eine Koch-Show veranstalten. Wir sind todmüde und kaputt, im Inneren der Pakituhi Hut tobt das Leben. Auch das noch, das hat uns gerade noch gefehlt nach so einem anstrengenden Tag ! Vier junge Männer, die offensichtlich noch viel Energie haben und sich angeregt und laut unterhalten. Die äußeren Matratzen sind belegt, immer schön links und rechts in der unteren sowie in der oberen Etage. Auf unsere Frage, wo wir denn schlafen können, bekommen wir zur Antwort : “ In der Mitte ist frei, also oben und unten. “ Oh nein – auch das noch ! Einer der Jungens merkt, wie unwohl mir damit ist und räumt sein Lager von oben nach unten. Das ist wirklich nett, denn so können wir wenigstens nebeneinander liegen.
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Ich kann in der Nacht von meiner Matratze in der oberen Etage aus dem Fenster heraus den Sternenhimmel sehen. Das ist schon sehr exklusiv – und kostenlos. Der Gang zum weit entfernten Oertchen in der kalten Nacht ist allerdings weniger zu empfehlen. Dafür darf ich mir morgens früh dann einen schönen Sonnenaufgang begucken, während alle anderen noch schlafen. Später gibt es ein geselliges Frühstück zu sechst, heute hat offenbar keiner Eile. So übel sind die jungen Burschen gar nicht, wie wir bei näherem Kennenlernen feststellen. Es handelt sich hierbei um einen Deutschen, der mit seinem australischen Freund eine Wochenend-Tour macht. Außerdem ist da der nette Mann, der uns seine Matratze zur Verfügung gestellt hat, ein waschechter Neuseeländer mit ganz lieben Augen. Den größten Unterhaltungswert hat jedoch ein Holländer, der uns gestern eher unangenehm aufgefallen ist. Er hat vor 3 Monaten den Te Araroa begonnen, aber schon nach kurzer Zeit abgebrochen. Nun reist er per Auto-Stopp durch die Südinsel und macht selbst ausgesuchte mehrtägige Wanderungen. Dabei achtet er sehr genau darauf, dass auf seinen Routen genügend Hütten in vernünftigen Abständen liegen, weil er kein Zelt besitzt. Der Holländer erzählt uns, dass er so monatelang Urlaub in Neuseeland machen kann, ohne Geld für eine Unterkunft bezahlen zu müssen. Ganz schön schräg, dieser Typ – aber irgendwie auch clever. Eigentlich ist die Runde ganz lustig, und die Gespräche sind interessant. Gestern Abend waren wir wohl nur genervt von dem Trubel, weil wir so fertig waren. Auf jeden Fall starten wir spät, bis nach Wanaka möchten wir heute sowieso noch nicht laufen. Ein steiler Abstieg liegt direkt vor der Haustür. Die Zeit-Empfehlung von 3 – 4 Stunden für 5 Kilometer macht mir Angst. Alles, was wir gestern mühsam aufgestiegen sind, das müssen wir nun wieder hinunter. Zunächst besteht das Gelände aus schroffen Felsen, die wir abwärts klettern. Fast senkrecht geht es etwa die Hälfte des Berges hinunter bis zu einem Sattel. Danach wird der Abstieg etwas gemäßigter. In schmalen Serpentinen führt ein schmaler Pfad immer weiter hinab bis zum Lake Hawea. Wir brauchen nur knapp zwei Stunden, um die insgesamt 950 Höhenmeter tiefere Straße direkt am See zu erreichen. Den schlimmsten Abschnitt des Tages haben wir geschafft, ab hier wird unser Weg sehr einfach. Wir laufen zunächst den Gladstone Track, danach den Hawea River Track. Ein kombinierter Rad- und Wanderweg führt durch das Lake Hawea Reserve ganz entspannt um den See herum. Wir kommen durch ein Dorf mit gleichem Namen und machen eine lange Pause im einzigen Café. Nicht, weil wir die lange Auszeit benötigen, sondern weil Inhaber und Bedienung so nett sind. Es gibt leckeren Kaffee, Pommes, Hamburger, Strom aus der Steckdose für unsere Handys und Internet. Keiner guckt dumm, Niemand drängelt, weil wir 2,5 Stunden hier herumsitzen. Zum Schluss kommt sogar noch die Besitzerin an unseren Tisch und fragt, ob wir den ganzen Te Araroa laufen. Daraufhin dürfen wir uns in ihr Gästebuch eintragen, in dem wir beim Durchblättern viele andere Thru-Hiker wiederfinden. Nach dieser langen Unterbrechung fühlen wir uns wieder frisch und ausgeruht. Wir entfernen uns vom Lake Hawea, um weitere 15 Kilometer auf einem schönen Kiesweg bis nach Albert Town zu wandern. Auf einer 70 Meter langen Hängebrücke überqueren wir den Clutha River, der ordentlich breit ist und mit starker Strömung fließt. Gleich dahinter beginnt das nächste Dorf, von dem wir bis gestern noch nicht einmal den Namen kannten. In Albert Town finden wir sogar einen kleinen Laden, in dem wir uns kalte Getränke kaufen. Nur eine halbe Stunde später erreichen wir den vom Holländer empfohlenen Campingplatz. Hier soll die Uebernachtung nur 7,- Dollar pro Person kosten. Aber wofür ? Es gibt wieder keine Picknick-Tische, keine Duschen, nur ein paar Dixie-Klos. Das Wasser soll man aus dem Fluss nehmen, was wir ja sowieso schon seit Monaten machen. Dafür erscheint uns selbst der günstige Preis nicht gerechtfertigt. Wir gehen ein Stück weiter bis zum nächsten Campingplatz, der etwas besser ist. Hier gibt es zumindest Wasser aus dem Kran, aber dieses Gelände liegt direkt neben der Hauptstraße. Gefällt uns auch nicht so gut, dann laufen wir mal noch ein bisschen. Anstrengend war der Tag bisher nicht, wir haben noch genug Energie. Unser Weg schlängelt sich direkt neben dem Fluss entlang. Ein Radfahrer kommt uns entgegen und fragt, ob wir einen ganz in schwarz gekleideten Mann gesehen haben. Nein, da steht nur ein Angler mit heller Hose und Gummistiefeln im Fluss. Ein winzig kleines Waldstück zwischen der Straße und dem Clutha River lädt uns zum Bleiben ein. Nicht privat, kein “ Camping verboten „-Schild, also erlaubt und umsonst. Es fallen ein paar Tropfen Nieselregen, während wir unseren Tee trinken, aber der erwartete Regen bleibt aus. Wir sitzen noch im Dunkeln draußen, als sich ein Licht auf dem schmalen Weg am Ufer nähert. Wieder ein Radfahrer, der uns fragt, ob wir einen 17-jährigen Burschen am Fluss bemerkt haben. Schwarz gekleidet ? Ja. Der Mann stellt sich vor und erzählt uns, dass er zu einem Suchtrupp von Search & Rescue gehört. Dann wünscht er uns einen erholsamen Schlaf und verschwindet in der Dunkelheit. Hoffentlich werden wir in der Nacht nicht noch öfter von Polizei oder Suchtrupp gestört.
Wir können beide lange Zeit nicht einschlafen. Stundenlang ertönt lautes Geschnatter und Gegacker von Gänsen oder Enten auf dem Fluss. Es ist Nacht – warum schlafen die denn nicht ? Sonst keine weiteren Störungen ….. Ich habe mit Mütze und Handschuhen im Schlafsack gelegen. Morgens ist es bitterkalt. Dichter Nebel liegt wie eine Wolke über dem Fluss. Durch die Feuchtigkeit sind das Zelt und unsere Schlafsäcke nass. Aufstehen und zum Anziehen herausgehen kostet große Ueberwindung. Wenn man erst einmal unterwegs ist, dann geht es. Um 9.30 Uhr kommt die Sonne heraus, da kann man schon die Handschuhe und eine Schicht Kleidung ablegen. Wir laufen den Outlet Track, eine12 Kilometer lange Route, die bis zum Ort Wanaka führt. Dies ist ein sehr schöner Weg, der auf beiden Seiten von interessanten Bäumen gesäumt ist. Besonders beeindruckend sind mächtige Trauerweiden und hohe Eukalyptusbäume. Wir befinden uns hier im Mount Aspiring Nationalpark, der Mount Aspiring mit seinem Skilift zieht aber im Moment noch keine Wintersportler an. Schon gegen 11.00 Uhr kommen wir in Wanaka an. Unser erster Eindruck : tolles Städtchen ! Zunächst besorgen wir uns Frühstück im Supermarkt und einen “ Coffee to go “ , mit dem wir uns auf einer Bank in der Sonne stärken. Wir stöbern in einem Outdoor-Laden und erfahren dort, dass die Temperatur morgens früh bei nur 2 Grad lag. Brrrr – das haben wir gemerkt. Dann geht es in die öffentliche Bücherei, um unseren Internet-Kram zu erledigen. So langsam müssen wir uns um einen Platz kümmern, wo wir die Walkabout an Land stellen und dran arbeiten können. Am Nachmittag beziehen wir ein nettes Zimmer im Base-Backpackers, erstaunlich hoher Standard und super sauber. Die Wäsche wird diesmal nur im Handwaschbecken erledigt. Thomas macht den Proviant-Einkauf für die nächste Etappe und bringt seinen Stock zur Reparatur. Morgen früh kann er den wieder abholen, dann geht es direkt weiter bis Queenstown. Es sind nur noch 420 Kilometer bis nach Bluff. Wir schätzen, dass wir so ungefähr in 3 Wochen fertig sind mit dem Te Araroa.