Wir segeln und wandern durch die Welt

Breckenridge bis Interstate 70 nach Denver 13.07. – 17.07.2017

Mama Raven bekommt ihren MP3-Player wieder ! Wir haben dieses kleine rote Ding gesucht und nicht gefunden. Aber einer unserer Mitstreiter auf dem Weg von Mexico bis Canada hat ihn mitgenommen und jetzt in der CDT-Gruppe bei Facebook nach dem Besitzer gefahndet. Thomas konnte mit e-mail-Adresse und Homepage der Familie weiterhelfen, so dass Mama Raven demnächst wohl wieder ihre Lieblingsmusik hören kann. Toll ! 🙂
Anstatt nur den Teil zu umfahren, wo es gebrannt hat, könnten wir uns sogar umsonst mit dem Bus bis Silverthorne bringen lassen. Dort verläuft eine Alternativ-Route zum Original-CDT. Auf diese Weise würden wir etliche Kilometer Weg sparen, also mindestens drei Tage verkürzen. Aber wir möchten möglichst wenig auslassen. Und wer will schon drei Tage früher das Ziel erreichen ? Der Weg bis nach Canada ist so irrsinnig weit, da ist es doch völlig egal, wann wir ankommen. Unser Visum gilt bis Mitte Januar, aber so lange möchten wir doch nicht bummeln, weil uns dann der Winter einholt. Wir steigen in den kostenlosen Bus, der um 20.30 Uhr ab Frisco fährt. Uns steht der Sinn nicht nach einem Stadt-Aufenthalt in dieser Gegend, deswegen steigen wir bereits vor Breckenridge aus und laufen einen Kilometer von der Hauptstraße aus zurück bis zum Trail. Ein Flatterband markiert die Absperrung des gesperrten Teils, aber das ignorieren wir ausnahmsweise. Das Feuer war gestern schon aus, und der Dauerregen der vergangenen Nacht hat mit Sicherheit alle Brandherde gelöscht. Ein Stück den Berg hinauf finden wir einen geraden Platz, wo uns sicher Niemand stören wird. Statt beruhigendem Bach-Geplätscher hören wir beim Einschlafen den konstanten Autolärm vom Highway.

Morgens früh gibt es noch ein besonders leckeres Frühstück aus dem Supermarkt. Joghurts, Kakao, Sahne, Kartoffelsalat, Reste vom Hähnchen machen viel Müll, den wir sonst natürlich auf dem Trail vermeiden. Aber wir wussten, dass wir den noch loswerden können. Machen einen kleinen Umweg zur Bushaltestelle, wo wir gestern beim Aussteigen einen Abfalleimer gesehen haben. Danach geht es unter der Autobahn hindurch und auf der anderen Seite zum CDT. Wir passieren eine Siedlung von Luxus-Ferienhäusern mit künstlich angelegtem See in der Mitte. Dann geht es endlich ab in die Berge. Wir sind froh, wenn wir wieder abseits dieser noblen Ski-Orte unterwegs sind, wo alles, sogar die Campingplätze, so schick und teuer sind. Heute kommen uns andauernd Mountain-Bikes mit extra dicken Reifen entgegen. Immer wieder müssen wir zur Seite springen und uns dünne machen. Was für uns der Weg nach oben ist, das ist für die Radfahrer eine willkommene Abfahrts-Piste. Dazu haben wir nach wie vor die Colorado-Trail-Wanderer von vorne. Es ist wirklich gerade ganz schön nervig hier. Zu viele Leute, der Weg ist langweilig, auch am Rande gibt es nicht viel Interessantes zu sehen. Dazu kommt heute auch noch das Wasser-Problem. Wir haben zunächst eine Strecke von 20 Kilometern ohne Wasserquelle zu bewältigen. Das heisst, wir müssen zu unserem neu eingekauften Proviant noch Wasser den Berg hoch tragen. Dann führt uns der Weg ins Tal, wo wir gleich zwei Flüsse kurz hintereinander überqueren. Von dort aus liegt dann eine weitere Etappe von über 30 Kilometern ohne zuverlässiges Wasser vor uns. Beides hintereinander schaffen wir nicht an einem Tag, also müssen wir zum Abend hin unser Wasser zum Trinken, Kochen und für den nächsten Vormittag schleppen. Am Nachmittag wieder Gewitter, nur kurz in unserer Nähe, dann ist es vorbei. Gleichzeitig hat es angefangen zu regnen, erst nur leichter Niesel, dann richtig heftig. Noch ca. 8 Kilometer haben wir uns vorgenommen, damit wir morgen früh den nächsten Pass in Angriff nehmen können. Inzwischen gießt es in Strömen, während wir uns immer weiter bergauf schrauben. Wir möchten kurz vor Erreichen der Baumgrenze unseren Tag beenden, haben aber Mühe, einen guten Platz zu finden. Gerade gibt es in dieser Höhe gar nicht, der Regen kommt von der falschen Seite, die paar Bäume geben keinen Schutz. Krisenstimmung. Nass und kalt suchen wir herum und müssen mit einem Kompromiss leben. Wird Zeit, dass wir aus den durchgeweichten Klamotten herauskommen und uns aufwärmen. Sind seit Breckenridge 32 Kilometer gelaufen, haben davon heute 6 Stunden strammen Aufstieg gehabt und nur 2 Stunden bergab. Irgendwie scheint mir der Anteil der Höhenmeter wieder nicht so ganz gerecht verteilt zu sein.

In einer Ecke des Zeltes hat sich eine Pfütze gebildet von dem Wasser, das wir gestern herein getragen haben. Mit Hose und Socken wird aufgewischt. Unsere Kleidung ist sowieso tropfnass. Die Regenponchos haben dem gestrigen Wolkenbruch nicht standhalten können. Deswegen sind sogar unsere Rucksäcke feucht. In den Schuhen steht das Wasser. Aber das ist halb so schlimm, denn wenn man erstmal unterwegs ist, dann wird uns schnell warm. Vor allen Dingen, wenn es gleich wieder steil bergauf geht. Ich trage kein Wasser mehr, das bedeutet ganze drei Kilos weniger im Gepäck. Dadurch hat mein Rucksack schon beinahe Wohlfühl-Gewicht erreicht. Seit dem Start bewegen wir uns oberhalb der Baumgrenze, sind also völlig ungeschützt dem Wetter ausgesetzt. Es sieht so aus, als könnte es gleich erneut anfangen zu regnen. Dunkelgrau und wolkenverhangen ist der Himmel über dem Georgia Pass. Aber ganz soweit müssen wir heute gar nicht. Kurz vor dem Pass macht der Weg einen scharfen Links-Knick und verlässt den viel begangenen Colorado Trail. Au diesen Abzweiger haben wir schon seit Tagen sehnsüchtig gewartet. Ab jetzt wird es wieder einsam. 🙂 Wir lieben die hohen Routen, auch wenn sie länger dauern. Schroffe Bergketten ringsherum, immer noch Schnee auf den Gipfeln, alpine Landschaft und alpine Tierwelt. Wir sind noch gar nicht lange unterwegs, da sehen wir eine ganze Herde Schneeziegen auf einem Hügel. Wir zählen ungefähr ein Dutzend, mehrere Böcke, aber auch Mütter mit ihren Jungtieren. Das weiße Fell ist zottig und hängt in Fetzen herunter, weil gerade der Wechsel von Sommer- auf Winterfell stattfindet. Eigentlich haben wir damit gerechnet, dass die Tiere scheu sind und das Weite suchen, sobald wir uns nähern. Aber ganz im Gegenteil ….. Die Herde marschiert hintereinander wie bei einer Parade den Hügel hinab und auf uns zu. Die ganz mutigen Böcke mit ihren spitzen Hörnern bleiben nur etwa 3 Meter vor uns in einer Reihe stehen. Die sehen gar nicht aus, als ob sie wegrennen möchten – eher als ob sie noch näher aufrücken würden. Schneeziegen erreichen eine stattliche Länge von 1,20 bis 1,60 Metern. Sie werden 90 Zentimeter bis zu 1,20 Meter groß. Das Gewicht beträgt bei Weibchen 55 bis 70 und bei Männchen 60 bis 80 Kilogramm, in Ausnahmefällen können sie sogar noch schwerer werden. Mir ist etwas mulmig zumute, deswegen scheuchen wir die Ziegenböcke mit erhobenen Stöckern und lauter Stimme davon. Kurze Zeit später die nächste Tier-Begegnung : Ein weibliches Schneehuhn spaziert mit 5 niedlichen Küken durch das frische Grün. Das letzte Mal, als wir Schneehühner auf dem Trail gesehen haben, war das Gefieder noch weiß mit Flecken. Jetzt scheint der Winter endlich vorbei zu sein, denn diese Henne und ihre Kinderschar tragen braunes Federkleid. Unser Weg heute führt immer höher bis zum Mount Glacier. Von da aus bleiben wir eine ganze Weile auf dem Grat, wo es sich wunderbar laufen lässt. Dann folgt ein Abstieg, es geht über einen Kamm und gleich auf den nächsten Gipfel. Die dunklen Wolken haben sich in verschiedene Richtungen verzogen, nur über uns wird ein Streifen blauer Himmel immer breiter. Zur Mittagspause scheint die Sonne, so dass wir unsere Rucksäcke komplett auspacken und alle Sachen ausbreiten. Sogar unsere Iso-Matten sind nass, die Schlafsäcke feucht, selbst im Proviant-Beutel ist nicht mehr alles trocken. Zelt aufbauen, halbe Stunde warten, alles wieder einpacken. Neben uns haben wir ein großes Schneefeld, so dass wir Tee vom Schmelzwasser kochen können. Jeder füllt noch zusätzlich einen Liter ab zum Mitnehmen für das letzte Drittel unserer wasserlosen Strecke. Dann geht es zum nächsten Berg …. und wieder hinunter. Zwischendurch müssen wir den Webster Pass ( 12103 Fuß ) überqueren. Und weiter geht es, immer wieder rauf und runter. Wir befinden uns wirklich den ganzen Tag auf der kontinentalen Wasserscheide. Am Nachmittag laufen wir über einen besonders schmalen Grat. Ich muss mal meine Blase entleeren. Während ich da so hocke, fragt mich Thomas : „Pinkelst du in den Atlantik oder in den Pazifik ?“ Das ist schon eine gewaltige Vorstellung, wenn man auf diesem gerade einen halben Meter breiten Felssims steht. Schaut man zur einen Richtung, dann blickt man zum Pazifik. Macht man eine halbe Drehung und blickt zur anderen Seite, dann liegt dort der Atlantische Ozean. Wir ackern den ganzen Tag, steigen auf, klettern wieder hinunter, dann hoch auf den nächsten Gipfel. Manche Passagen sind so ausgesetzt, dass man die Hände beim Klettern zur Hilfe nehmen muss. Einige Abstiege sind dermaßen steil, dass ich mir Sorgen um Thomas sein Knie mache. Stunde um Stunde wandern wir entlang dieser Bergkette. Es ist unglaublich, aber anscheinend geht es immer noch höher. Beim Gipfelkreuz auf dem Landslide Peak mit seinen 13298 Fuß habe ich das Gefühl, wir sind den Wolken ganz nahe. Der nächste Berg hält nochmal eine ordentliche Ladung Schnee für uns bereit. Wir müssen auf der Nordseite aufsteigen, damit hatten wir nun gar nicht mehr gerechnet. Geht aber ganz gut. Wir hauen die Füße in den weichen Schnee und schrauben uns im Zickzack nach oben. Dann beginnt endlich der Abstieg, zunächst auf einer Piste, die wohl für geländegängige Touristen-Jeeps und Motocross in die Landschaft gestampft wurde. Endlich leichtes Laufen, die Beine können sich dabei schon etwas entspannen. Aber ein bitterkalter Wind weht uns entgegen. Anhalten, Pullover anziehen, nochmal anhalten, Jacke anziehen und Tuch um den Kopf binden. Es ist gerade erst 18.00 Uhr. Wieso ist das plötzlich so kalt geworden ? Schnell weg und weiter nach unten. Da sehen wir nochmal wilde Schneeziegen, insgesamt 4 Stück, ein Junges ist dabei. An einer Felswand soll der CDT von der Piste abgehen und ins Tal führen, wo es dann endlich wieder Wasser gibt. Das GPS zeigt uns die genaue Position an, wo wir absteigen sollten. Aber da ist kein Hinweis, keine Spuren, kein Zeichen. Wir versuchen den Abstieg zuerst links von den Felsen. Nein, da wagen wir uns nicht hinunter. Wir kehren wieder um. Dann suchen wir eine Stelle auf der rechten Seite, von wo wir ein paar Meter tiefer kommen. Auch nicht gut. Sieht alles wahnsinnig steil und rutschig und gefährlich aus. Dazwischen liegt Schnee, mehrere Meter hoch und sehr kompakt. Der dürfte um diese späte Uhrzeit schon angefroren und glatt sein. Nee – will ich nicht ! Thomas zum Glück auch nicht. Wir sehen keinen besseren Weg als nochmal über einen Berg zu steigen, der eigentlich schon nicht mehr auf unserem Weg liegt. Der Morgan Peak sieht so aus, als ob man seine Schneefelder umgehen und dann vom Gipfel über Geröll ins Tal absteigen kann. Also nochmal alle Kräfte mobilisieren und hinauf …. leider liegt ganz oben eine feste Schneedecke im Weg. Es hilft nichts, da müssen wir noch hinüber. Während Thomas vorangeht, damit ich seine waagerechten Tritte als Spur nutzen kann, habe ich keine netten Gedanken mehr im Sinn. Ich glaube, ich habe eine Schnee-Phobie entwickelt. 😉 Ich hasse es, am Ende eines Tages und am Ende meiner Kräfte durch ein vereisendes Schneefeld zu stapfen ! Aber die Strecke ist nicht lang, wir kommen gut durch und auf irgendwelchen Tier-Pfaden gelangen wir schließlich bis ins Tal. Dieser Umweg über den Morgan Peak hat uns etwa eine Stunde Zeit gekostet, war aber die sicherste Variante. Während wir von unten noch einmal hochblicken zu den steilen Felswänden, da wo eigentlich der Weg sein sollte, haben wir doch das Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Wenn da irgendwo eine Spur sein sollte, dann ist diese komplett unter dem tiefen Schnee verborgen. Wir sehen keine einzige Stelle, an der wir uns heruntergetraut hätten. Die ganze Wand sieht mit und ohne Schnee gefährlich aus. Solche Mutproben brauchen wir nicht.
Am Ende dieses Tages haben wir insgesamt 7 Gipfel und einen Pass überquert. Waren von morgens um 8.00 Uhr bis 19.30 Uhr abends unterwegs, haben nur eine einzige Pause gemacht. Während dieser 10 Laufstunden sind wir lediglich 25 Kilometer vorwärts gekommen, obwohl wir nicht faul waren. Endlich Feierabend – wir sind gleichermaßen hungrig wie müde. Es war super anstrengend, aber wieder atemberaubend schön auf der Hoch-Route. Und wir waren ganz alleine, haben keinen einzigen Wanderer getroffen. 🙂

Der nächste Morgen zeigt : Knie gut, Beine gut, alles gut. 🙂 Wir befinden uns im Horseshoe Basin, einem tiefen Tal zwischen Cooper Mountain und Argentine Peak. Alles, was wir gestern bergab geklettert sind, müssen wir heute wieder hoch. Zunächst laufen wir locker auf einer Schotterstraße, bis uns der Peru Creak den Weg versperrt. Suchen eine günstige Stelle zum Überqueren und entdecken weiter flussaufwärts einen dünnen Baumstamm, der als Brücke dienen könnte. Thomas macht es vor …. Hopp – auf den Baum und mit einigen schnellen Trippelschritten erreicht er sicher das andere Ufer. Ich versuche, es genauso elegant nachzumachen, lande aber im Bach. Falle schon ins Wasser, bevor ich noch sicher auf dem Bäumchen stehen kann und das Gleichgewicht gefunden habe. Naja, eigentlich war es eher ein kontrollierter Sturz. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, als ob es diesmal mit dem Balancieren nicht klappen wird und mir deswegen vorsichtshalber den Untergrund genau angesehen. Keine dicken Felsen, keine spitzen Hindernisse, nur flache und runde Kieselsteine …. da kann man doch besser freiwillig abspringen. 😉 In der Traverse beim Aufstieg zum Argentine Pass ( 4025 Meter Höhe ) bietet uns ein kleines Felltierchen eine nette Vorstellung. Sieht aus wie eine Mischung aus Maus, Kaninchen, Murmeltier. Es lebt in den sehr hohen Lagen und baut seine Höhlen zwischen den Felsen, oft sogar unter den als Wegweiser dienenden Steinmännchen. Da wir es nicht besser wissen, heisst dieses braune Ding mit den Knopfaugen von Anfang an bei uns nur „Space Mouse“. Den Pass machen wir mit Leichtigkeit, dafür brauchen wir nur zwei Stunden strammes Bergauf-Laufen. Bloß nicht nachdenken, einfach den Kopf abschalten, Maschine an und ohne Pause hoch auf über 4000 Meter. Soweit sind wir schon mal …. aber das war’s noch lange nicht. Es geht weiter bergauf zum Mount Edwards ( 4223 Meter ), immer noch locker und geschmeidig. Links vom Gipfel dieses imposanten Berges knabbern vier Schneeziegen am kargen Gras. Direkt voraus liegt ein hohes Schneefeld, das sicher noch drei Meter dick und fest ist. Eine ausgewachsene Schneeziege steht mitten drauf und schaut uns an. Ein weiteres Tier erscheint dahinter und läuft vorbei. Faszinierendes Schauspiel ! Weißes Zottelfell auf weißem Schnee, darüber weiße Watte-Wolken am tiefblauen Himmel. Vom Mount Edwards folgt ein schwieriges Hinunterklettern. Beim folgenden Aufstieg zum nächsten Berg stehen schon wieder drei Ziegen am Hang. Die machen uns mit Leichtigkeit vor, wie man sich auf schmalem Grat abwärts bewegt. Dieser Gipfel endet für uns Menschen in einer sportlichen Kletterpartie. Thomas sagt an „Stöcker wegpacken !“ Guter Rat, denn wir brauchen mindestens zwei Hände zum Festhalten in der Felswand.

Ein hässlicher Abstieg durch ein bröckeliges Geröllfeld gibt mir fast den Rest. Ich kann nicht mehr ! Brauche jetzt unbedingt eine kurze Pause, auch wenn wir keinen Tropfen Wasser mehr haben. Ein paar Minuten Hinsetzen, ein Energie-Riegel, dann habe ich mich soweit erholt. Die letzte Hürde des Tages wartet, die höchste Erhebung auf dem gesamten Continental Divide Trail. Der Himmel hat sich in der letzten Stunde bedrohlich verändert. Keine Sonne mehr, dafür dichte Wolken in allen Richtungen. Wir hören bereits Donnergrollen, aber es scheint noch ein Stück weit weg zu sein. Der Grays Peak mit 4352 Metern Höhe liegt direkt vor unserer Nase. Sollen wir oder sollen wir es lieber sein lassen ? Wir möchten es gerne versuchen. Vielleicht hält sich das Wetter ja noch ein Stündchen. Es ist bereits 16.00 Uhr, als wir den Übergang zu Grays Peak und Torreys Peak erreichen. Bis hierhin hat unsere Route viel länger gedauert als erwartet. Wir sind bereits ziemlich erschöpft. Trotzdem beschließen wir einstimmig, dass wir uns natürlich diesen Vierzehntausender nicht nehmen lassen. Unsere Rucksäcke legen wir an der Abzweigung hin, von wo der Abstieg beginnt und rennen ohne Gepäck den letzten Kilometer hoch bis zum Gipfel. Unterwegs erwischt uns der erste Donner, während wir immer weiter und schneller ansteigen. Ist schon sehr mühsam, nach so vielen Stunden Beinarbeit. Das Gewitter entlädt sich gerade zwei Berge von uns entfernt. Deutlich sieht man die Wolkenschleier, aus denen es inzwischen ordentlich regnet. Oben auf dem Gipfel sind wir ganz alleine mit einem kräftigen Ziegenbock. Diese Schneeziege benimmt sich wie ein Hund, kommt langsam und bedächtig näher. Anscheinend neugierig schaut das Tier mich an, bleibt einen Meter vor mir stehen, läuft weiter auf Thomas zu und verschwindet dann im Abstieg. Irgendwie völlig surreal, diese Szene. Eigentlich hatten wir auf dem Grays Peak eher viele Menschen erwartet, ähnlich wie beim Mount Elbert vergangene Woche. Es ist doch schon wieder Sonntag. Neben unserem berühmten Gipfel liegt der Torreys Peak. Der ist nur geringfügig niedriger, aber leichter zu erklimmen. Auf dem Nachbar-Gipfel sowie im Schneefeld zwischen diesen beiden Giganten sind einige Leute unterwegs. Wir halten uns nicht unnötig lange auf. Schnell einige Fotos gemacht, banger Blick in die Runde, dann rennen wir wieder hinunter. Inzwischen gewittert es auf mehreren Bergen gleichzeitig. Beim Abstieg fängt es an zu regnen. Es dauert länger als uns lieb ist, bis wir wieder bei unseren Rucksäcken ankommen. Wir sind nass, das Gepäck ebenfalls. Unterwegs treffen wir eine richtig coole Familie auf dem Weg nach oben, die sich nicht vom Wetter abschrecken lässt. Sehr sportlich ! Wir unterhalten uns eine Weile und zeigen dem kleinen Jungen unsere Schneeziegen-Videos, weil er als Erstes fragt, ob wir ein „Mountain Goat“ gesehen haben. Unser Abstieg scheint kein Ende zu nehmen. Es dauert ewig, bis wir endlich die Baumgrenze erreichen und etwas Schutz finden. Bis dahin erleben wir sowas wie Murmeltier-Kino. Wohin man auch sieht, sind die braunen Nager aktiv. Alleine, zu zweit, manchmal auch in größeren Gruppen, sind sie ganz geschäftig am Wühlen und halten zwischendurch Ausschau nach Störenfrieden wie uns. Es ist gerade wieder trocken, als wir den Wander-Parkplatz am Fuße des Grays Peak erreichen. Wir müssen zur Toilette, die nassen Sachen ausziehen, kurz in die Karten schauen und uns einen Plan für den weiteren Weg machen. Mittlerweile ist unsere nette Familie auch umgedreht und bei ihrem Wagen angekommen. Wir reden noch ein bisschen über Dies und Das. Dann werden wir gefragt, ob wir ein Bier möchten. Na klar ! Bei denen im Kofferraum steht eine Kühlbox mit Bier, von dem wir je eins in die Hand gedrückt bekommen und schnell im Stehen austrinken. Wir waren vorher bereits leicht dehydriert, weil wir den ganzen Tag über in der Höhe kein Wasser gefunden haben. Deswegen haut die Flasche eisgekühltes Bier uns sofort in den Kopf. Danach laufen wir leicht schwankend und lustig die Schotterstraße immer weiter bergab an einem schnuckeligen Holzhaus vorbei. Der Wagen mit unseren neuen Bekannten kommt von hinten angerollt und hält. Ob wir gerade eben den Schwarzbären an der Hütte gesehen haben ? Nein, wir sind einfach so dran vorbei gelaufen. Dafür können wir etwas weiter abwärts einen jungen Hirsch bewundern, der uns neugierig ansieht und dann in in aller Seelenruhe weiter frisst. Wir schaffen es tatsächlich bis zum Highway 70. Ein denkbar ungünstiger Platz zum Trampen, keine Tankstelle, kein Parkplatz, kein Randstreifen. Natürlich darf man als Fußgänger nicht auf die Autobahn-Auffahrt. Ist ja eigentlich logisch, aber wie wir hier wegkommen sollen, das ist uns ein Rätsel. Mit diesem Problem werden wir uns morgen früh beschäftigen. Zunächst einmal holen wir Wasser, bauen unser Zelt neben dem White River auf und kochen unsere letzte warme Mahlzeit. Trotz der vielen Aufstiege, mehrerer schwieriger Kletterpartien und dem 14000-er haben wir 32 Kilometer geschafft. Es war wieder ein hartes Stück Arbeit, aber die Gray-Torreys-Route hat sich gelohnt. Wir sind offenbar alleine auf dem Trail. Die Colorado-Trail-Wanderer sind wir los, aber wo sind nur all die anderen CDT-Hiker ?

 

 

Wir werden schon sehr früh wach vom ungewohnten Lärm der Interstate. Macht aber nichts, uns zieht es in die große Stadt. Je früher wir zusammenpacken, umso besser sind die Chancen für ein gutes Frühstück in Denver. Am Parkplatz stehen einige verlassene Autos, deren Besitzer wahrscheinlich heute den Grays oder Torreys Peak besteigen und erst am Nachmittag wieder erscheinen werden. Weit und breit keine Menschen, die man ansprechen kann. Vor der Autobahn-Auffahrt kommen nur die Wagen vorbei, die sich verfahren haben oder hier für’s nächste Dorf abfahren müssen. Wir stehen eine Stunde dumm herum, halten ab und zu den Daumen raus. Sehr wenig Verkehr, nichts passiert. Das ist ja gar nichts für uns. Wir laufen auf einer wenig befahrenen Nebenstraße los mit dem Ziel „Georgetown“, von wo aus wir dann vielleicht eine bessere Verkehrslage haben. Bis dahin sind es ja nur knapp 10 Kilometer, also müssten wir in zwei Stunden dort sein. Eigentlich ganz schön, die Straße führt immer leicht bergab. So ganz nebenbei beobachten wir einen Adler, der schnell wie ein Pfeil über uns hinweg fliegt. Wir sind etwa eine Stunde zu Fuß unterwegs, als ein Bulli anhält und uns einlädt. Eigentlich ist das ein Shuttle-Bus, den man bezahlen muss, die Taxi-Nummer steht außen​ dran. Aber der Fahrer möchte kein Geld von uns haben. Er bringt uns ein Stückchen weiter bis nach Silver Plume, wo wir mehr Chancen zum Wegkommen haben. Es gibt sogar einen Zug von Silver Plume bis Georgetown, eine historische Eisenbahn, in die eigentlich nur Touristen einsteigen. Wir haben inzwischen gewaltigen Hunger und überlegen, ob wir nicht bis zum nächsten Ort mit der Bahn fahren sollen. In Georgetown gibt es sicherlich ein Frühstücks-Café. Aber kaum haben wir uns am Straßenrand in Position gebracht, da hält schon ein Wagen an. Fahrrad auf dem Dach, Musik-Instrumente auf der Rückbank, ein netter junger Mann. Er möchte hinter Georgetown im White River sein Anglerglück versuchen. Dann sind wir ja schon wieder ein paar Kilometer weiter ….. Ein paar Minuten später beim Aussteigen frage ich, was die Instrumenten-Koffer auf dem Rücksitz bedeuten. Unser Fahrer spielt schon seit vielen Jahren in der Band „Rapidgrass“ . Nicht ganz unbekannt hier in der Gegend, aber auch schon international gefragt. Demnächst hat die Gruppe Auftritte in Polen und Frankreich. Wir bekommen ganz spontan ein kleines Konzert geboten. Es wird Bluegrass gespielt, das ist eine Stilrichtung der amerikanischen Country-Musik. Richtig cool ! Wie gut, dass wir nicht in den Zug gestiegen sind. 🙂 Gegenüber gibt es eine Tankstelle und ein Taco Bell. Wir zögern nicht lange, sondern laufen unter der Autobahn-Brücke hindurch auf die andere Seite. Ein ausgiebiges Frühstück mit reichlich Kaffee muss jetzt sein. Nachdem wir uns bei dieser Pause gut gestärkt haben, geht es wieder unter der Brücke durch und Daumen raus. Diesmal haben wir Glück, gleich der zweite Wagen hält an. Ein Arbeiter, der auf Montage ist und durch Denver fährt. Bestens ! Rucksäcke auf die Ladefläche und schnell einsteigen. Vorne auf dem Beifahrer-Sitz wuselt ein junger Hund herum. Ein süßer Welpe, der allerdings noch nicht stubenrein ist. Zunächst pinkelt er auf meine Hose, dann nässt er vor Freude bei Thomas ein. Macht aber nichts, wir müssen sowieso zum Waschsalon. Unser neuer Fahrer hat einen sehr ungleichmäßigen und etwas beängstigenden Fahrstil. Er spielt mit dem Hündchen, guckt nebenbei auf’s Handy und redet die ganze Zeit. Ich für meinen Teil habe mehr Angst beim Autofahren als beim Segeln oder Klettern. Travis erzählt uns, dass die Preise für Grundstücke und Immobilien in Denver sich verdreifacht haben, seit in Colorado das Marihuana legalisiert wurde und ganz einfach im Laden zu kaufen ist. Aha – interessant. 😉 Dieser Mann kennt sich allerdings auch in Denver und Umgebung gut aus. Er empfiehlt uns, etwas weiter weg im Vorort Lakewood auszusteigen, weil die Unterkünfte hier günstiger sind und auf der Hauptstraße, der Colfax Avenue, alle 15 Minuten ein Bus nach Denver in die City fährt. Zum Abschied schenkt uns Travis einen sehr guten Atlas mit Colorado-Karten und vielen Informationen zu Aktivitäten und Sehenswürdigkeiten. Leider für uns im Moment nicht tragbar, den müssen wir bis Oktober irgendwo deponieren. Eine Flasche Wasser gibt es auch noch mit auf den Weg, dann latschen wir los in Richtung Innenstadt.

Beim ersten Motel fragen wie nach einem Zimmer. Der Preis ist erfreulich niedrig, wir buchen gleich für 3 Nächte. Das Zimmer ist alt und heruntergekommen. Saubergemacht wurde offensichtlich auch nicht richtig. Im Kühlschrank finden wir eine angefangene Flasche Milch von unseren Vorgängern. Die Mikrowelle ist innen schmutzig. Das Wichtigste, Toilette und den Tisch, putzen wir selber gründlich. Die Bettwäsche ist alt und verschlissen, vermutlich gewaschen, aber eindeutig ist das nicht. Sicherheitshalber ziehen wir das Bett ab und nehmen das Zeug mit zum Waschsalon. Kochen möchten wir hier lieber nicht, ist alles „igitt“. Abends liegen wir gerade im Bett, da entdecke ich die ersten Krabbeltierchen auf dem Nachtschrank. Kleine Käfer, erst nur ein oder zwei. Ich mache die Schublade vom Nachtschrank auf, darin sind kleine Viecher, aber auch zwei größere von etwa 2 Zentimeter Länge. Schnell sind die und verstecken sich sofort in den dunklen Ritzen. Versuche mich zu entspannen …. sehe einen kleinen Käfer auf der Bettdecke …. Als es dann an meinem Bauch juckt und ich auch dort ein krabbelndes schwarzes Insekt finde, da ist es endgültig vorbei mit der Gemütlichkeit. Wir beschließen, dass wir sofort ausziehen und uns ein anderes Motel suchen. Es ist mittlerweile schon 22.00 Uhr. Ziehen uns hastig an und packen unsere Rucksäcke. Dann geht Thomas zum Nachtportier, der mit dieser Angelegenheit sichtlich überfordert ist. Der Hotel-Manager wird geholt und ist gar nicht begeistert. Wir möchten unser Geld für 3 Übernachtungen zurück. Der Chef will uns aber den vollen Preis für einen Tag berechnen, weil wir das Zimmer ja schon 7 Stunden genutzt haben. Bevor die Situation eskaliert, bietet er uns einen Umzug an. Es sieht dort etwas besser aus, vor allem gibt es ein Bett mit einer nagelneuen Matratze. Im Schrank finden wir eine Tüte mit Wäsche, die unsere Vorgänger vergessen haben. Raucher-Zimmer …. es stinkt. Aber wir arrangieren uns damit, packen wieder aus. Kaum liegen wir eine Stunde im Bett, da fängt es schon wieder an zu kribbeln und zu krabbeln. Ich sehe einen kleinen Käfer auf der Decke, gleich darauf noch einen …. und flippe fast aus. Thomas hat die rettende Idee. Mitten in der Nacht bauen wir im Zimmer unser Zelt auf, blasen die Luftmatratzen auf und schließen das Moskitonetz sehr gründlich – in der Hoffnung, dass wir wenigstens noch ein paar Stunden Schlaf bekommen. Morgen verlassen wir dieses Alptraum-Motel ganz bestimmt ! 🙁 Inzwischen wissen wir, dass es sich um „Bed Bugs“ gehandelt hat. Die deutsche Erklärung dazu bei Wikipedia : Bettwanzen sind Blutsauger und darauf spezialisiert, in der Nähe der Schlafplätze warmblütiger Lebewesen zu leben und sich von deren Blut zu ernähren. Sie sind nachtaktiv und halten sich tagsüber in trockenen, spaltenförmigen Verstecken auf. 🙁