49.Tag Start von Damascus
Montag, 05.05.
Ich habe wunderbar geschlafen in einem weichen Bett mit richtiger Matratze. Post, Einkauf und Bücherei sind erledigt. Wollte eigentlich am Mittag weiterlaufen, um heute noch 12 Meilen bis zu einem besonders schönen Zeltplatz über einem See zu schaffen. Aber mittlerweile ist es schon 16.00 Uhr dank Blog-Schreiben. Nun geht es gleich los. Mal gucken, wie weit ich heute noch komme.
Nächste große Station wird Pearisburg sein, welches ich in etwa 10 Tagen erreichen möchte. Dazwischen gibt es einmal Dusche an der Partnership Shelter sowie Einkauf und Hiker-Burger in Atkins, das liegt direkt auf dem Trail.
Im Hiker-Hostel bei Lee und Paul steht eine Personenwaage. Demnach habe ich bis jetzt schon 8 Kilo abgenommen – der Speck ist weg. Nun wird es Zeit, dass ich noch mehr Kalorien zu mir nehme. Deswegen ist neben dem normalen Einkauf diesmal auch ein Glas Erdnuss-Butter, Nutella und ein großes Weißbrot in meinem Gepäck. Bisher habe ich das Nutella noch immer im Regal stehen lassen, denn obwohl es das hier im Plastikbehälter gibt, so wiegt der Inhalt trotzdem 372 Gramm. Das Weißbrot wird natürlich komprimiert, so wie wir es von Lars „Lost“ gelernt haben, dann hat es weniger Volumen und kann nicht mehr zerbröseln. Mein Rucksack erscheint mir heute wieder tonnenschwer – es werden wohl um die 15 Kilo drin sein.
Eigentlich wollte ich gegen Mittag starten, aber weil mich die Schreiberei auf der Homepage so lange aufgehalten hat, komme ich erst um 16.00 Uhr los. Ich will noch mindestens 10 Meilen schaffen, deswegen renne ich fast zu Beginn.
Der Trail geht erst einmal entlang der Straße aus dem Dorf heraus. Dann folgt er etwa eine halbe Meile lang dem Creeper Trail.
Als ich endlich in Richtung Norden auf den Appalachian Trail abzweige, da stehen gleich zu Beginn schon 2 Zelte aufgebaut, und das Lagerfeuer brennt bereits. Die beiden Typen erklären mir, dass sie hier bleiben, weil es nach Regen aussieht. Ja, das stimmt, so etwas kann passieren. Aber deswegen werde ich mich doch nicht schon am Nachmittag vorsichtshalber in mein Zelt verkriechen. So kommt man nie bis nach Maine !
Ein Frosch hüpft eine ganze Weile lang vor mir auf dem Weg entlang. Dem ist es sicher zu anstrengend, durch das hohe Kraut und Laub zu springen.
Nachdem ich 5 Meilen sehr schnell gelaufen bin, komme ich an eine Umleitung. Voraus auf dem Trail ist irgendwo eine Brücke weggespült worden. Deswegen soll man hier und da und dort lang gehen. Ich versuche, mir das zu merken. Hoffentlich habe ich das Schild richtig übersetzt. „Detour“ heißt doch Umleitung, oder ? Es kommt mir schon ziemlich komisch vor, ohne Markierungen durch White Blazes durch den Wald zu laufen. Biege mal links und mal nach rechts ab. Dabei habe ich überhaupt keine Ahnung, wo ich am Ende herauskommen werde. Aber irgendwann habe ich es geschafft und bin wieder auf dem Appalachian Trail. Alles richtig gemacht !
Eine ganz kurze Pause am Wegesrand gönne ich mir, dann haste ich weiter. Mein Ziel war ein Zeltplatz an einem Teich. Aber als ich ziemlich spät dort ankomme, da stehen schon 3 Zelte. Der Deutsche „Isn’t Black“ sitzt auch mit am Feuer und lädt mich herzlich in die Runde ein. Nein, danke. Lieber laufe ich noch ein kleines Stückchen weiter und finde einen netten Platz für mich alleine. Es ist schon dunkel, aber um kurz nach 21.00 Uhr habe ich mein Lager fertig eingerichtet. Ich zelte zur Abwechslung mal unter Kiefern, deren Nadeln ein herrlich weiches Bett sind.
Der Abend ist richtig warm. Kann nur mit einer Hose und langärmeligem Shirt bekleidet draußen sitzen, anfangs sogar noch ohne Jacke. Und hier sind keine Mücken – die werden wohl alle am Teich sein. Dafür schwirren eine Menge langbeiniger Schnaken um meine Stirnlampe herum, während ich noch schreibe. Und irgendwelche Viecher wollen mir in den Nacken krabbeln, als ich mich an einem dicken Baum anlehne. Na gut, dann lehne ich mich lieber doch nicht an.
Bin überhaupt noch nicht müde, denn ich habe letzte Nacht 9 Stunden lang ganz ausgezeichnet geschlafen. Die 11,5 Meilen heute in 4,5 Stunden haben mich noch nicht kaputt gemacht. Ich freue mich darüber, dass ich es noch so weit geschafft habe, obwohl ich Dreiviertel des Tages in Damascus mit Internet verdaddelt habe.
Schon wieder sternenklarer Himmel ! Und ruhig ist es hier im Wald. Kein Rascheln, kein Knistern, rein gar nichts.
50. Tag Buzzard Rock + Mount Rogers
Dienstag, 06.05.
Ich habe meinen Eingang vom Zelt so ausgerichtet, dass die Sonnenstrahlen mich morgens wecken. Gestern habe ich noch lange draußen gesessen und dabei meine zwei Flaschen komplett leer getrunken. Deswegen starte ich sofort zur nächsten Shelter. Dort gibt es Wasser und ein geselliges Frühstück zu siebt. 🙂
Anschließend überquere ich die Luther Hassinger Memorial Bridge, eine 165 Meter lange Holzbrücke. Heute neu im Wald : Ganze Wiesen voller zarter, weißer Blumen haben sich über Nacht geöffnet. Dazu gibt es noch ein neues Kraut mit dottergelben Blüten. Besonders hübsch sieht es aus, wenn lila Veilchen und gelbe Blumen zusammen stehen. Überall toben die Streifenhörnchen herum.
Es liegen 2 hohe Berge vor mir. Der Aufstieg zum Whitetop Mountain mit 5235 Fuß Höhe ist nicht steil, aber stetig. Er beginnt mit grünen Wiesen, dann geht es über schmale Waldwege immer weiter bergauf. Um 13.00 Uhr komme ich oben an und bin nass vom Schwitzen. Wie gut, dass es nur ein kurzes Stück weiter am Buzzard Rock eine „Piped Spring“ gibt. So eine tolle Wasserquelle findet man nicht oft. Es kommt ein 5 Zentimeter dicker Strahl mit viel Power aus dem Rohr. Nachdem ich meine Wasserspeicher wieder aufgefüllt habe, nutze ich die gute Gelegenheit, um mich mit dem eiskalten Wasser zu waschen. Sogar die Füße werden wieder sauber. Der Platz an der Quelle ist einfach traumhaft. Wiese ringsherum und viel Sonnenschein. Weil ich mir für heute nur 16 Meilen vorgenommen habe, bleibe ich dort ganze 2 Stunden und genieße die Stille und die Sonnenwärme.
Danach wartet der Mount Rogers, mit 5729 Fuß der höchste Berg in Virginia. Dieser Anstieg ist steinig, er führt über Geröll und dicke Felsen bis nach oben. Hier muss man die Beine schon etwas mehr anheben. Die Bäume sind hier in der Höhe noch völlig kahl.
Kaum bin ich am Top vorbei und beginne mit dem Abstieg, da sehe ich meine beiden ersten wilden Ponies. Eine Stute mit ihrem Fohlen grast am Wegesrand. Ich schleiche mich ganz langsam dran vorbei, um sie nicht zu verschrecken.
Dann biege ich um eine Kurve und stehe plötzlich mitten in einer ganzen Herde Ponies. Es sind ungefähr 20 Stück, viele Mütter mit ihren Fohlen. Eines davon sieht aus, als wäre es gerade erst geboren. Es ist noch etwas wackelig auf den Beinen. Wie schön – damit hatte ich eigentlich erst morgen gerechnet, wenn ich durch den Grayson Highlands State Park komme.
Bald danach laufe ich an der Thomas Knob Shelter vorbei, nehme von dort Wasser mit und finde eine Meile weiter einen idyllischen Platz für die Nacht. Sattgrüne Wiese, alles ziemlich eben, vereinzelte Tannen ringsherum. Aber kühl ist es hier – wir sind ja in den Highlands.
Zum Abendessen gibt es kalte Pizza von vorgestern. Nicht mehr so toll, der Rand ist schon etwas trocken, aber mit Extra-Käse belegt geht es wohl noch. Als Wiedergutmachung ( und damit die endlich aus meinem Rucksack verschwinden ) futtere ich danach noch eine Tüte Chips. Da sollen angeblich 360 Kalorien und 4 Gramm Protein drin sein. Ich habe heute gelernt, dass Bisonfleisch sehr viel Protein enthält, Truthahnfleisch aber noch mehr. Es gibt tatsächlich Energieriegel mit Bisonfleisch. Igitt ! So etwas lernt man, wenn man mit anderen Hikern zusammen an einer Shelter beim geselligen Frühstück sitzt.
Kurz bevor die Sonne untergeht, verfärbt sich der Himmel hellblau und rosarot. Davor stehen die schwarzen Tannen, ringsherum umgeben von Bergen. Ein sehr malerisches Bild ! Über mir ziehen zwei Bussarde ihre Kreise.
Bären gibt es hier sicherlich nicht. Also muss ich meinen Proviant-Beutel nur so hoch hängen, dass die kleinen Pferde nicht drankommen können. Wenn heute in der Nacht etwas um mein Zelt herumstapft, dann sind es die wilden Ponies.
51. Tag Grayson Highlands State Park
Mittwoch, 07.05.
Dieser Tag beginnt mit einem Spaziergang durch Tannenwald. Danach geht es eine halbe Meile lang über Geröll durch das Rhododendron-Gap. Leider bin ich zu früh im Jahr. Ende Mai 2012 sind wir staunend durch ein Meer von rosa und weißen Blüten gelaufen. Nun marschiere ich durch einen Tunnel von grünen Blättern und Knospen.
Hinter dem Rhododendron-Gap stehen auf einer Lichtung sehr viele Schilder, weil hier zu allen Seiten irgendwelche Wanderwege abgehen. Ich beachte diese Wegweiser gar nicht, sondern gehe einfach geradeaus auf dem breitesten Pfad weiter. Da stehen einige Kühe mit ihren Kälbern. Aber sah das damals nicht irgendwie anders aus ? Keine White Blazes …. Ich wende mich nach links und steige einen Hang hinauf, weil doch der Appalachian Trail in der Regel oben verläuft. Hier stoße ich auf einen Blue Blaze-Trail, den ich in umgekehrter Richtung zum Teil kletternd etwa eine Meile zurück verfolge. Schließlich kommt der Blue Blaze-Trail wieder an der Lichtung an, wo die vielen Wegweiser stehen. Das hätte ich einfacher haben können, wenn ich nur den Kuhweg 10 Minuten wieder zurück gelaufen wäre. Ich studiere nun alle Schilder ganz genau. Der AT ist nur ein schmaler Pfad, der nach Süden abbiegt, was eigentlich völlig untypisch ist.
Kurz darauf muss ich einige massive Felsen überklettern. Dahinter tut sich eine weite Grünfläche auf. Darauf grast friedlich eine weitere Herde wilder Ponies, es sind wieder viele Stuten mit ihren Jungtieren dabei.
Nachdem ich die Wiese durchquert habe, geht der Weg auf schmalem Grat um einige hohe Felsen herum. Danach muss ich durch den 10 Meter langen „Rock Tunnel“ klettern. Gar nicht so einfach, denn mein Rucksack ist eindeutig zu breit.
Hier beginnt der Grayson Highlands State Park, wo ich nur noch einzelne Pferde zu sehen bekomme. Die magische 500-Meilen-Grenze habe ich nun geschafft !
An der Wise Shelter möchte ich mein Wasser auffüllen. Der Weg dorthin ist lang und steil, aber unten finde ich nur einen seichten Tümpel. Hier fließt gar nichts mehr, das will ich nicht trinken. Dafür gibt es in der Shelter eine kleine Trail Magic. Tagesausflügler haben dort 2 Beutel mit verschiedenen Leckereien hingelegt. Ein Zettel daran sagt : „Zu viel Proviant mitgenommen. Bitte nur für Thru-Hiker“. Ich nehme mir 2 von den teuren Cliff-Energieriegeln mit. Die gönnt man sich ja sonst nicht.
Bald darauf kreuzt ein Fluss den Trail, wo ich Pause mache und meine Füße im kalten Wasser baden kann. Meine Milch ist nicht mehr gut. Ich esse nur eine halbe Portion Cornflakes, den Rest schütte ich weg. Dafür gibt es einen der besten aller Cliff-Riegel : weiße Schokolade mit Macadamia-Nuss. Schmeckt sehr lecker ! Als ich mir die Liste der Inhaltsstoffe anschaue, da staune ich. Das Ding hat wesentlich mehr Kalorien als ein Snickers und 9 % Protein, also mehr als ein Bisonfleisch-Riegel.
Mittlerweile ist es schon 12.00 Uhr, und ich bin erst 4,5 Meilen weitergekommen. Das nervt mich ein bisschen. Die noch vor mir liegenden Meilen belasten mich, weil es schon so spät ist. Irgendwie komme ich heute nicht so richtig in Schwung. Das Laufen fällt mir schwer, es ist zu heiß. Und dieser blöde Weg besteht noch weitere 2 Stunden lang aus Bonebreaker-Steinen, auf denen man nicht ordentlich gehen kann.
Ein längerer Anstieg kostet mich viel Kraft. Nachdem ich Dreiviertel an Höhe geschafft habe, muss ich unbedingt eine Pause machen. Rechts steiler Berg, links steiler Abhang, ich finde keine geeignete Stelle. Schließlich setze ich mich mit meiner Iso-Matte einfach mitten auf den Weg. Ich muss jetzt etwas essen ! Nach 3 Nutella-Broten und einer Flasche Wasser geht es mir besser. Ich wechsle noch schnell meine nassgeschwitzte Kleidung gegen trockene Sachen und nehme dann den Rest des Berges in Angriff.
Langsam wendet sich das Blatt. Die Sonne brennt nicht mehr so stark, denn es ist bereits 16.00 Uhr durch. Und von hier aus geht es eigentlich nur noch bergab.
Ein Reh steht direkt neben dem Weg und schaut mich neugierig an, als ich vorsichtig vorbei laufe. Kurze Zeit später huscht eine Eidechse vor mir davon und verschwindet unter einem Stein. Rechts von mir stürzt ein kleiner Wasserfall den Berg hinunter. Leider liegt weit und breit kein Zeltplatz in der Nähe.
Um 19.30 Uhr beende ich den Tag kurz vor dem Dickey Gap. Trotz der Trödelei am Morgen habe ich doch noch 20,5 Meilen geschafft. Morgen liegt nach 15 Meilen die Partnership Shelter auf dem Weg. Das bedeutet : Dusche und Visitor-Center.
52. Tag Partnership Shelter
Donnerstag, 08.05.
Habe heute Rückenschmerzen vom Tragen. Bin wohl gestern zu lange ohne richtige Pause durchgelaufen. Ich organisiere meinen Rucksack morgens gleich so, dass Handtuch, Shampoo und frische Kleidung oben liegen.
Die nächsten Shelter liegen in angenehmen 5-Meilen-Abständen, so dass die Wasser- und Pausenplanung einfach ist.
Zunächst muss ich mir meinen Weg wieder durch Spinnennetze bahnen. Das sind richtige kleine Kunstwerke von manchmal bis zu einem Meter Durchmesser. Fast zu schade zum Zerstören, aber ich muss hier durch.
Eichhörnchen und Streifenhörnchen sind schon ganz munter am Spielen.
Kurz nach meinem Start komme ich an einer weißen Thermo-Box vorbei. Trail Magic von Bear Bag – leider leer, es sind nur noch geschmolzene Eiswürfel und Abfall darin. Diesmal bin ich wohl zu früh da, die Box wird sicher erst später wieder aufgefüllt.
Links und rechts sind Wiesen mit gelben Butterblumen und Löwenzahn zu sehen. Die Sonne scheint schon wieder. Muss mich in der Mittagspause ganz dringend eincremen. Ein Sonnenbrand auf den Schultern ist so ziemlich das Letzte, was ich hier gebrauchen kann. Nun ist die Sonnencreme fast leer. So etwas haben wir bei unserem 3 Wochen späteren Start 2012 gar nicht gebraucht, weil wir immer im Schutz der Bäume unterwegs waren. Aber jetzt fängt der Wald gerade erst an, grüne Blätter zu tragen. Die meiste Zeit des Tages bin ich voll der Sonne ausgesetzt.
Nur eine halbe Stunde nach meinem Start komme ich an ein Zelt mit Camping-Stühlen und 3 geheimnisvollen Kisten. Trail Magic von der Valley View Baptist Church. Die Thermo-Box für die kalten Getränke ist leider leer. Aber in der größeren schwarzen Kiste finde ich allerhand nützliche Dinge. Getränkepulver, 2 Tortillas und 1 x Ramen-Nudeln wandern in meinen Rucksack. Eine weitere Kiste ist für den Abfall gedacht. Prima, so werde ich meinen seit 4 Tagen gesammelten Müll sauber los.
Etwas weiter auf dem Trail springen 2 Rehe davon, als sie mich kommen sehen.
Dann treffe ich zum 3. Mal in diesem Jahr den Ridgerunner, dem wir auch in 2012 schon mehrmals begegnet sind. Er ist diesmal ganz privat mit seiner Frau unterwegs und sehr interessiert daran, wie es mir so geht hier alleine im Wald.
Um 15.00 Uhr habe ich bereits 14,6 Meilen geschafft und erreiche die Partnership Shelter. Weil ich ja morgens so gut mitgedacht habe, muss ich nur mein Bündel greifen und verschwinde sofort unter der Dusche. Mein Hiking-Shirt wird bei dieser Gelegenheit gleich mitgewaschen und danach zum Trocknen über eine Mauer gelegt. Dann geht es hinüber zum Visitor-Center. Hier gibt es nichts außer Souvenirs, Büchern und einer „vending mashine“. Genau dafür habe ich schon in Damascus 1 US$-Noten gebunkert. Ich ziehe mir 3 Dosen Cola aus dem Automaten und setze mich damit in den schattigen Park. Eine kleine Eidechse läuft mir kitzelnd über die nackten Füße. Mein T-Shirt ist schon fast trocken, das kann ich so wieder anziehen.
Dusche und Cola geben mir genug Energie, um noch ein paar Meilen in Angriff zu nehmen. Es liegen 3 weitere Hügel vor mir bis zu meinem Wunschziel. Wer hat eigentlich gesagt, dass Virginia flach ist ? Ich komme nicht weit, da steht schon wieder eine Kühlbox am Weg, und zwei Hiker sitzen gutgelaunt mit Bier in der Hand daneben. Es gibt Äpfel, Orangen, kalte Erfrischungsgetränke und Bier. Ich möchte jetzt kein Obst tragen, weil ich doch morgen an der Tankstelle in Atkins einkaufen kann. Aber ich nehme mir gerne die letzte Flasche Bier mit und schleppe sie 8,7 Meilen über die Berge.
Hatte mir eigentlich eine Lichtung mit „powerline“ als Platz für die Nacht ausgeguckt. Normalerweise wird rund um die Strommasten immer der Wald gerodet. Dann wächst dort Gras, und es gibt meistens schon 2-3 benutzte campsites. Hier nun gerade nicht, die Lichtung ist leider zugewuchert mit Unkraut und außerdem ziemlich dornig. Ich hole mir ein paar Kratzer und zwei Splitter in der Hand. Aber mit langer Hose und dicken Socken kann ich noch draußen sitzen, meine Iso-Matte ist super für solche Fälle. Das Zelt wird es wohl auch aushalten.
Ich feiere diesen 23,3-Meilen-Tag frisch geduscht mit einer Flasche Bier und höre dem Konzert der Grillen zu.
53. Tag Atkins
Freitag, 09.05.
Morgens sind das Zelt und die Wiese total nass vom Tau. Ringsum bin ich eingewoben von Spinnennetzen. Eine Routine-Handlung am Morgen ist das Kontrollieren der Schuhe und Freimachen von ungebetenen Gästen. Es ist nur eine Spinne darin.
Schon bald nach dem Start komme ich an die Lindamool School. Es herrscht eine eigenartige Atmosphäre in dem winzigen, uralten Klassenzimmer, welches Platz für 12 Schüler bietet. Man kann förmlich den Rohrstock auf den Fingern spüren, wenn man die strengen Klassenregeln liest. Draußen im Garten stehen 2 Privys, eins für Jungen und eins für Mädchen.
Die Gegend ist sehr ländlich. Auf der einen Seite weiden Rinderherden, zur anderen Seite stehen vereinzelte Bauernhäuser. Meine Schuhe und Socken sind nass vom Gras.
Habe ein ganzes Rudel Rehe aufgeschreckt, welches sich im Galopp davonmacht.
Beim Überqueren einer Landstraße sehe ich an einem Kanalrohr meinen ersten Grounddog, das sind biberähnliche Tiere.
Bin schon um 9.00 Uhr in Atkins an der Sunoco-Tankstelle, wo ich erstmal mein Zelt zum Trocknen in der Sonne ausbreite und mir dann einen Kaffee und Swiss Rolls zum Frühstück hole. Sonnenmilch ist leider ausverkauft.
Danach gibt es Rührei mit Toast im Barn’s Restaurant gegenüber. Immer wenn meine Kaffeetasse „nur“ noch zu Dreiviertel voll ist, dann kommt schon wieder die Bedienung angeflitzt, um mir nachzuschenken. Die Kellnerin nennt mich „Honey“.
An der benachbarten Exxon-Tankstelle sitzen 3 Hiker vor der verschlossenen Tür. Die Tankstelle ist zu, das Gelände abgesperrt. Dumm ist nur, dass die Drei sich Pakete hierhin haben schicken lassen. Nun wissen sie nicht, wo die gelandet sind und wie sie da drankommen. Das ist nichts für mich, ich trage lieber mein ganzes Zeug und bleibe somit unabhängig.
Ich habe meine Brustschnalle vom Rucksack verloren. Die wird wahrscheinlich irgendwo im Dornengestrüpp an der powerline hängengeblieben sein.
Um 11.00 Uhr kann es frisch gestärkt weitergehen. Zunächst führt mich der Weg durch hohe Sträucher mit weißen Blüten, die herrlich gut duften. Dann geht es über lange Holzstege durch sumpfiges Gebiet, anschließend über Rinderweiden mit gelben Butterblumen und Klee. Schließlich bin ich wieder im schattigen Wald. Heute sehe ich den ersten Rhododendron in lila blühen. Zwischendrin stehen kleine Blumen mit knallroten Blüten. Die Berge haben hier in Virginia so niedliche Namen wie „Little Brushi Mountain“.
Plötzlich sehe ich meine erste Schlange in diesem Jahr. Eine Black Rat Snake liegt unmittelbar vor mir am Wegesrand, ein relativ kleines Exemplar von etwa 1 Meter Länge. Obwohl diese Schlangenart ungiftig ist, weiche ich lieber aus und gehe vorsichtig durch’s Gestrüpp neben dem Trail dran vorbei.
Mit Koffein und Protein zum Frühstück kann ich fast 3 Stunden durchlaufen. Pause mache ich an einem kleinen Strom, in dem ich meine frisch gekaufte Milch kühle und meine Füße bade. Das Wasser ist so kalt, dass ich die Füße immer mal wieder herausnehmen muss, damit sie nicht absterben. Der Himmel bezieht sich mit Wolken, es fallen ein paar Tropfen Regen.
Ich überquere die Holston River Bridge und mache mich an den nächsten Anstieg. Gleich zu Beginn des Berges stehen 2 Coleman-Boxen. Schon wieder Trail Magic, und schon wieder nichts mehr drin. Es sind einfach zu viele Leute auf dem Trail unterwegs in Richtung Maine, obwohl der Hiker-Virus ( bei uns bekannt als Norovirus ) schon einige aus dem Verkehr gezogen hat. Immer wieder höre ich, dass jemand krank ist und ein paar Tage zum Auskurieren in der Stadt bleiben muss. Ein paar Leute mussten sogar ins Krankenhaus nach Damascus, um dort behandelt zu werden. Davon bin ich zum Glück bisher verschont geblieben. Aber ich halte mich ja auch nicht an den Orten auf, wo sich gesunde und kranke Hiker Schlafstatt und Privy teilen. Mittlerweile liegen an allen Sheltern Aufklärungsbroschüren und Zettel aus. Man soll jeden Fall von Erbrechen oder Durchfall ganz genau der Gesundheitsbehörde melden – also wer, wann, wo usw.
Andauernd sind Rindergatter im Weg, über die ich mit Rucksack und Stöckern klettern muss. Also auf der einen Seite über die waagerecht angebrachten Holzbretter hinauf, auf der anderen Seite wieder hinunter. Ganz schön mühsam ! Ich habe diese Holztreppen nicht gezählt, aber es waren sehr viele.
Auf einmal stehe ich mitten in einer Rinderherde von ca. 20 Tieren. Es sind ganz schwarze und einfarbig braune, keine gescheckten wie die Ostfriesen-Kühe.
Oben auf dem Berg regnet es wieder. Ich setze mich unter dichte Rhododendron-Büsche und warte ein paar Minuten ab, bis das Schlimmste vorbei ist.
Gegen 18.00 Uhr komme ich an eine Shelter, die mitten auf dem Trail liegt. Dort sitzen Isn’t Black, der Deutsche, und Siesta. Den habe ich nun auch schon wieder eingeholt, obwohl er 1,5 Tage vor mir aus Damascus gestartet ist. Ein bisschen weiter geht noch …. Ich hatte mir für heute 18 Meilen als Ziel gesteckt. Noch ein kleiner Berg, dann lande ich am Lick Creek. Ich höre schon von Weitem, dass ich dort nicht alleine sein werde. Hinter der Fußbrücke, auf der anderen Seite des Flusses, stehen bereits 3 Zelte. Aber ich habe Glück, denn ich finde für mich eine kleine Nische vor der Fußbrücke, wo gerade mein Zelt hinein passt. So höre und sehe ich zwar noch die anderen Hiker, die am Ufer spielen, aber ich habe doch so etwas wie Privatsphäre.
Trotz der 2-stündigen Unterbrechung in Atkins habe ich es doch noch auf 20,3 Meilen gebracht, allerdings mit großer Anstrengung zum Abend hin.
54. Tag Trail Magic Buffet
Samstag, 10.05.
Dieser Tag beginnt mit 5,6 Meilen Anstieg zur Chestnut Knob Shelter, insgesamt sind das 2140 Fuß Höhenunterschied. Dieser Berg hat mich 2012 fast zur Verzweiflung gebracht, weil wir ihn zum Tagesende hin bewältigen mussten. Diesmal schaffe ich es in einem Rutsch, muss nur einmal kurz anhalten, um meine Regenkleidung anzuziehen. Es donnert ein paar Mal am Himmel, und dann platzt ein Gewitterschauer los. Im Nu ist der Trail wieder eine rutschige Angelegenheit. Es regnet sich ein, oben auf dem Gipfel kommen noch Nebel und ein kalter Wind hinzu. Deswegen halte ich mich auch gar nicht lange oben auf, sondern beginne gleich mit dem Abstieg. Bei diesem Sauwetter begleiten nur Schnecken und ellenlange Regenwürmer meinen Weg.
Unten angekommen im Walker Gap verläuft eine kleine Landstraße. Da steht ein riesiges Zelt aufgebaut, dazu ausreichend Stühle für müde Hiker. Super Trail Magic von 3 Männern, die sonst gemeinsam wandern gehen. Die haben wirklich das volle Programm aufgefahren und mit Hilfe ihrer Frauen und Familien ein sagenhaftes Buffet im Wald aufgebaut. Sehr gesund und abwechslungsreich, es ist von Allem etwas dabei. Angefangen bei einem Tisch voller kleingeschnittener Rohkost, sogar Blumenkohl, Brokkoli und Selleriestreifen gibt es. Dann geht es weiter mit „normalem“ Salat, Kartoffelsalat, Möhrensalat, Eierschnitzen, Käse, verschiedenen Saucen usw. Der nächste Gang ist warm, da werden Red Beans, Bolognese und Hot Dogs serviert. Zum Nachtisch gibt es wunderbar frisches Obst, natürlich bereits in handliche Stücke geschnitten, außerdem auch noch verschiedene Sorten von Kuchen. Trinken kann man, was und wieviel man möchte. Es ist einfach alles da, was wir so lange vermisst habe. Zwischendurch kommen wieder mehrere Regenschauer herunter, immer dann, wenn man eigentlich gerade los will. So ist es kein Wunder, dass ich bei dieser tollen Trail Magic-Party glatt 2 Stunden verbringe. Es sind natürlich auch einige Hiker dabei, die noch länger dort sitzenbleiben.
Der Tag bleibt nass. Es gibt immer wieder Regen, mal mehr und mal weniger. Am Nachmittag entdecke ich die ersten kleinen Salamander, die wohl gerade aus ihren Eiern geschlüpft sind. Nun krabbeln diese fast durchscheinend orangeroten Tierchen vor mir im Matsch herum.
Seit heute sprießen überall junge, hellgrüne Farne. Und eine einzelne Rose mit orange-gelben Blüten steht am Wegesrand. Wie die wohl dahin gekommen ist ?
An manchen Bäumen hängen Schilder : Vor Bären-Aktivitäten wird gewarnt ! Ja, in diesem Gebiet gibt es wieder Bären, wie man an den tiefen Kratzspuren in den Baumrinden und den vielen umgedrehten Felsbrocken unschwer erkennen kann.
Trotz des blöden Berges und der langen Mittagspause beim Trail Magic-Buffet habe ich heute 18,5 Meilen geschafft. Damit kann ich zufrieden sein.
Das Innenpolster vom Trageriemen meines Rucksacks ist gebrochen und löst sich langsam auf. Das ist sehr schmerzhaft auf den Schultern. Da muss ich mit Hilfe der Outfitter in Damascus eine Lösung für finden. Oder mir vielleicht einen neuen Rucksack kaufen ?
Kurz bevor es dunkel wird, verziehe ich mich eine Etage tiefer in den Wald und baue dort im nassen Laub mein Zelt auf. Nicht wirklich angenehm hier, aber es muss heute Nacht so gehen. Der nächste Schauer kommt herunter. Ich esse ausnahmsweise im Zelt und muss dummerweise danach noch einmal hinaus in den Regen, um meinen Futter-Beutel bärensicher aufzuhängen.
Meine Kleidung lege ich in kleinen Stapeln – sortiert von feucht bis ganz nass – neben mich an eine Seite. Dann ziehe ich meine letzte trockene Hose und das letzte saubere Shirt für die Nacht an. Es wird höchste Zeit für eine Waschmaschine !
55. Tag Trail Magic Taco-Suppe
Sonntag, 11.05.
Ich werde schon um 5.45 Uhr wach und weiß zuerst gar nicht, was los ist. Bin einen Moment völlig orientierungslos. Etwa 50 Meter über mir auf dem Trail läuft ein Hiker und telefoniert lautstark. Das ist hier im Wald so fremd, dass ich es erstmal gar nicht einordnen kann.
Im Zelt ist es feucht, das nasse Laub riecht modderig. Da kann ich ja genau so gut aufstehen und loslaufen. Meine sortierten Stapel Wäsche sind jetzt irgendwie alle gleich nass. Ich stopfe alles zusammen in eine Plastiktüte und binde diese oben auf meinem Rucksack fest.
Die Eichhörnchen sind schon sehr früh munter. Dort liegt eine Kastanie auf dem Weg. Das ist ja merkwürdig – ich habe hier im Wald noch keinen einzigen Kastanienbaum gesehen. Lui hatte immer eine Kastanie in der Hosentasche, die sollte gegen seine Arthritis helfen.
Habe nur gut eine Stunde, bis eine kleine Straße kreuzt. Kurz davor hängt an einem Baum der aktuelle Wetterbericht: Gestern hatten wir Regen, das habe ich gemerkt. Für Dienstag oder Mittwoch ist nochmal dasselbe vorausgesagt, aber dann wollte ich eigentlich schon in Pearisburg sein. Ein paar Bäume weiter wieder ein Zettel am Baum, diesmal mit dem Hinweis, dass man in einer halben Meile die private Mülltonne benutzen darf. Das ist ja nett. Und direkt an der Straße stehen etwa 20 Kanister mit Wasser. Das ist wirklich super, denn heute gibt es lange Etappen von 8 und 10 Meilen ohne Wasserquelle. Es ist genug für alle da, deswegen fülle ich sämtliche Flaschen inclusive der Milchflasche.
Dabei fällt mir ein, dass ich einen Fehler gemacht habe, als ich in Atkins 2 gleiche Flaschen gekauft habe. Sonst nehme ich immer 2 unterschiedliche Flaschen mit. Gestern habe ich wahrscheinlich deswegen eine Flasche Wasser gleich doppelt mit Entkeimer behandelt. Es schmeckte leicht nach Chlor. Dafür war dann das Wasser in der anderen Flasche wahrscheinlich nicht behandelt. Es stammte aus einem kleinen Fluss – ich werde es wohl überleben.
Die Bäume werden langsam alle grün. Weil ich schon so früh unterwegs war, habe ich um 12.00 Uhr tatsächlich schon 10 Meilen geschafft. Auf dem Trail liegt eine schwarze Ringneck Snake mit ihrem orange-roten Streifen am Kragen. Fast wäre ich draufgetreten, kann gerade noch einen Schritt davor stoppen. Das Besondere an dieser relativ kleinen Schlange ist, dass man sie nur ganz schwer erkennt auf dem Waldweg. Sie ist sehr dünn, liegt bewegungslos da und stellt sich tot. Erst als ich sie mehrmals mit dem Stock antippe, da schlängelt sie davon.
Die Sonne kommt heraus, und ich suche mir einen geeigneten Platz, wo ich Pause machen und alle meine Sachen trocknen kann. Treffe einen Truck-Fahrer aus Florida, der seine Fahrpause dazu nutzt, ein bisschen im Wald spazieren zu gehen. Er schenkt mir eine Dose Cherry-Pepsi. Bald darauf habe ich einen wunderbar abgeschiedenen Platz entdeckt. Ich biege in einen nicht benutzten Seitenweg ein, laufe noch um 2 – 3 Kurven und habe meinen ganz privaten FKK-Pausenplatz. Mein Zelt baue ich noch als zusätzlichen Sichtschutz quer auf dem Weg auf. Ich kann die vorbeilaufenden Wanderer hören, aber mich kann keiner sehen. Es werden 3 Bäume mit nasser Wäsche behängt. Nach 2 Stunden ist alles wieder trocken ( und viel leichter ). Weil das Weißbrot inzwischen nicht mehr so frisch ist, koche ich mir dazu einen Topf Kakao. Tolle Pause ! Dann alles wieder ordentlich einpacken und weitere 10 Meilen in Angriff nehmen.
An der nächsten Landstraße stehen wieder ein paar Wasserkanister, aber es ist kein Tropfen mehr drin. Ich muss bis zur nächsten Shelter und von dort aus noch ein gutes Stück bergab zur nächsten Wasserquelle. Da sitzen sie wieder alle gesellig beisammen und essen ihre Ramen.
Nur ein kleines Stück weiter hat jemand mit Aststückchen eine 600 auf den Trail gezaubert. Das ist ja Wahnsinn ! Wenn man so weite Etappen am Tag läuft, dann fliegen die Meilen nur so dahin. Mir kommt es so vor, als hätte ich gerade erst die 500-Meilen-Marke überschritten.
Ich möchte noch eine Stunde dranhängen, komme aber nicht weit. Eine lustige, bunt gekleidete Gesellschaft macht eine Party mitten auf dem Trail. Vier davon sind Thru-Hiker und haben heute einen off-day eingelegt, um hier Trail Magic anzubieten. Tolle Idee ! Sie servieren Taco-Soup, wieder etwas Neues für mich. Das sind Tacos mit feiner Suppe übergossen, viel Mais und Geflügelfleisch drin. Obendrauf kommen noch Käse und Sour Creme, damit wir Hiker mehr Kalorien bekommen. Einfach nur lecker ! Ich esse 2 volle Schüsseln, dazu gibt es kalte Cola. Schon wieder eine warme Mahlzeit für umsonst ! Ich bin pappsatt, und das Kochen hat sich damit für heute erledigt.
So ganz nebenbei erfahre ich, dass einer der anderen Hiker auch in die Nähe von Pearisburg geht und von dort aus wahrscheinlich mit einem Freund nach Damascus fahren wird. Das ist ja genau das, was ich gesucht habe : eine Mitfahr-Gelegenheit zu den Trail Days. Wäre echt prima, wenn das klappen würde. Dann muss ich mich um nichts Anderes mehr bemühen. Wir tauschen e-mail-Adresse und Handy-Nummer aus. Mal sehen, ob etwas daraus wird.
Ich komme erst nach 20.00 Uhr von der netten Truppe los und muss mir noch einen Zeltplatz suchen. Leider liegt keine geeignete Stelle am Weg, deswegen schlage ich mich bei Einbruch der Dunkelheit einen Hang hinauf, wo ein paar Felsen und Bäume zu sehen sind. Das ist ja ein Paradies für Schlangen – denke ich mir. Vorsichtig stochere ich mit meinen Stöckern erstmal in den Mulden voller Laub zwischen den Felsen herum, bevor ich da hineintrete. Nicht optimal, aber ich baue schnell alles auf und bereite mein Lager. Einschlagen der Heringe funktioniert auf Felsen natürlich nicht, deswegen muss ich die Leinen vom Zelt irgendwie an den Bäumen festbinden. Das wird schon für ein paar Nachtstunden halten, solange kein Unwetter kommt.
Riesen-Waldameisen gibt es hier ! Meine durchgeschwitzten Sachen, die ich über eine Luftwurzel gehängt habe, die lasse ich lieber über Nacht draußen. Daran wimmelt es von schwarzen Viechern, die möchte ich nicht im Zelt haben.
Der Mond scheint hell. Es ist beinahe Vollmond, dann bin ich jetzt schon ungefähr 8 Wochen unterwegs.
Setze mich noch eine Weile draußen auf einen Felsen, aber da wird mir zum ersten Mal etwas unheimlich zumute. Es knistert und knackt ganz in der Nähe, mehrer Bäumchen fallen um. Das ist gewiss kein kleines Tier, das da spazierengeht. Ich höre die Bären brüllen. Das müssen wohl gleich mehrere sein. Jetzt bereue ich es, dass ich den Futter-Beutel nicht weiter weggehängt habe. Was mache ich denn, wenn plötzlich ein Bär um die Ecke kommt ? Einfach ganz ruhig im Dunklen sitzenbleiben ? Oder mich zu voller Größe aufrichten und Lärm machen ? Nein, das finde ich nun gerade nicht mehr so entspannend hier. Bleibe lieber nicht mehr lange vor dem Zelt sitzen, sondern verziehe mich nach drinnen. Muss noch eben eine fette Mücke erledigen und eine Spinne einfangen und nach draußen setzen.
Dann schlafe ich sofort ein, ohne mir weitere Sorgen zu machen. Heutige Tagesdistanz 23,3 Meilen, da ist man abends einfach nur müde.
56. Tag Trent’s Grocery
Montag, 12.05.
Die Nacht war ruhig, der Untergrund vielleicht ein bisschen zu hart. Die Bären haben irgendwann aufgehört zu zanken, keine umknackenden Bäume mehr. Werde nachts nur einmal wach, weil der Mond hell in mein Zelt scheint.
Ich stehe wieder zeitig auf, denn der Kaffee wartet schon. Die Riesen-Ameisen schlafen wohl noch. In der Frühe kann ich die Bären wieder rufen hören, allerdings diesmal etwas weiter entfernt.
Der Wald duftet wunderbar nach Kräutern. Über Nacht sind viele Pilze aus dem Boden geschossen. Spechte hämmern ununterbrochen tackernd auf die Baumstämme ein.
Ich muss den Kimberley Creek über die Suspension Bridge überqueren, das ist eine sehr lange und wackelige Holzbrücke.
Danach mache ich eine Meile Umweg zu Trent’s Grocery Store, allerdings ohne mein Gepäck. Dort gibt es Frühstück, Kaffee und Eiscreme. Im Verlaufe von 2 Stunden sind eine Menge anderer Hiker eingetrudelt, und ich mache mich auf den Rückweg zum Trail. Den Abstecher zu den Dismal Falls spare ich mir, denn ich will heute noch möglichst viele Meilen in Richtung Pearisburg schaffen. Man beachte die Prioritäten : Ein Umweg zum Essen und Trinken ist okay, aber die Wasserfälle sind mir keine Extra-Meile wert.
Dafür mache ich eine tolle Pause an einem kleinen Fluss und lasse die Beine im Wasser kühlen. Schmetterlinge zeigen sich heute wieder in ihrer ganzen Vielfalt. Ja, es wird direkt Sommer – der Frühling ist wohl ausgefallen.
Danach liegt mal wieder ein Berg im Weg. Es gilt, knapp 500 Höhenmeter aufzusteigen. Und es gibt wieder mehr als 8 Meilen keine Wasserquelle. Das bedeutet leider, ich muss 2 volle Flaschen hochtragen.
Am Nachmittag stolpere ich 3 Stunden lang über nervtötende Bonebreaker-Steine wie in Pennsylvania. Die meisten dieser Steinplatten und Felsbrocken sind fest im Boden. Allerdings nicht alle, einige sind locker und wackeln. Das merkt man aber nicht, bevor man nicht drauftritt. Also ist hier äußerste Konzentration gefragt. Anstrengend.
Dieser Teil des Waldes ist regelrecht mückenverseucht. Sobald ich irgendwo eine kurze Pause mache, ziehe ich mir sofort lange Kleidung an. Aber so ganz ohne Stiche geht das doch nicht ab. Da hilft nur : Spucke drauf und nicht dran denken. Das hat meine Oma zumindest immer gesagt. Die Mücken attackieren mich sogar, wenn ich nicht schnell genug laufe. Also, immer schön in Bewegung bleiben !
Ich passiere den Abzweiger zum Woods Hole Hostel, wo die anderen Hiker heute wieder geschlossen zum Übernachten hinwollen. Ich laufe weiter. Mein Ziel ist es, morgen möglichst zum Mittag in der Stadt anzukommen.
Es warten 2 weitere Hügel …. der Schweiß rinnt in Strömen. Ich bekomme meine durchgeschwitzten Sachen auch in der Pause nicht mehr trocken. Muss auch unbedingt zum Friseur, um mir die Haare ganz kurz ( noch kürzer ) schneiden zu lassen.
Im nächsten Abschnitt steht wieder zu beiden Seiten des Weges alles voller Farne. Dazwischen blühen Ladyslipper in lila, was sehr hübsch aussieht.
Hinter der letzten Shelter muss ich mich um Wasser und einen Lagerplatz kümmern. An der nächsten Quelle laufe ich anscheinend erstmal vorbei, denn sie scheint versiegt zu sein. Dann stoppe ich und schaue in meinem A.T. Guide nach : Die nächste Quelle ist noch 1,6 Meilen entfernt. Will ich das heute noch machen ? Schaffen würde ich es vor der Dunkelheit, aber was ist, wenn dann dort auch nichts mehr fließt ? Danach kommt definitiv kein Wasser mehr bis Pearisburg. Aber ich muss heute noch ganz viel trinken, und ich will eine warme Mahlzeit haben. Deswegen gehe ich wieder zurück und schaue genauer hin. Es tröpfelt ganz langsam aus dem Berg. Nun kommt wieder der Zipp-Beutel zum Einsatz. Mit Hilfe der BAM-Technik zapfe ich eine Flasche voll und trinke sie sofort leer. Schmeckt köstlich ! Dann mache ich mit viel Geduld innerhalb einer halben Stunde meine beiden Flaschen zum Mitnehmen voll.
Es ist jetzt eigentlich schon zu spät, um noch einen guten Zeltplatz zu finden. Aber heute passt es supergut. Nur eine halbe Meile nach der Wasserquelle gibt es eine flache Stelle für mich. Und nicht nur völlig eben, sondern es ist sogar genügend Platz drumherum zum Bewegen und Auspacken. Außerdem liegt da noch ein dicker flacher Felsen, der als Tisch und zum Sitzen prima geeignet ist. Wie gut, dass ich mich vorhin so mit dem tröpfelnden Wasser abgemüht habe. Um 21. 00 Uhr ist alles fertig. Das Zelt ist aufgebaut, und ich habe noch warm gegessen. Habe mir „Tuna-Sauce sweet + spicy“ über die Hose gekippt. Ob die Bären das wohl mögen ? Mein Proviant-Beutel und meine Hose werden heute WEIT weg aufgehängt.
Die Sohle von meinem linken Schuh hat sich vorne abgelöst. Ich hoffe, das wird einer der Ausrüster in Damascus nochmal kleben können. Mit meinem Rucksack musste ich mich die letzten Tage so behelfen, dass ich mir ein kleines, mehrfach gefaltetes Handtuch auf die Schulter gelegt habe. So ist es jetzt viel angenehmer beim Tragen, aber das ist natürlich keine Lösung für die Zukunft.
Der Mond ist nun fast voll und hat einen großen Hof drumherum. Bedeutet das nicht schönes Wetter ? Auf jeden Fall ist der Himmel wieder klar und voller Sterne. Schade, dass ich nicht mit Licht draußen sitzen und schreiben kann. Als ich im Zelt liege, da knistert und raschelt es rings um mich herum, aber das sind wohl nur kleine Tiere.
Heute bin ich mehr als 12 Stunden unterwegs gewesen und habe dabei 22,5 Meilen auf dem A.T. in Richtung Norden geschafft. Das war vorerst der letzte meiner Marathon-Tage. 164 Meilen in knapp 9 Tagen. Mein letztes Zimmer alleine hatte ich in Hot Springs, das ist nun schon lange her. Seit Damascus war ich 9 Tage nur im Wald unterwegs, habe jede Nacht mein Zelt aufgebaut und freue mich jetzt riesig auf ein gemütliches Hostel.
57. und 58. Tag Pearisburg
Dienstag, 13.05. und Mittwoch, 14.05.
Gestern konnte ich im Zelt noch lange die Kojoten heulen hören.
Heute erlebe ich eine wunderschöne Morgenstimmung. Die Vögel zwitschern laut. Ein betörender Blütenduft hängt über dem Wald. Spinnweben sind wieder von einer Seite zur anderen über den Weg gesponnen. Streifenhörnchen und Eichhörnchen sind schon sehr aktiv. Ich habe ein Truthahn-Weibchen aufgeschreckt, welches aufgeregt davonflattert. Ein kleines Kaninchen hoppelt vor mit über den Trail.
Nach knapp 4 Meilen bietet sich mir ein atemberaubender Ausblick. Von einigen vorspringenden Felsplatten aus habe ich freie Sicht auf das ganze Tal unter mir. Blauer Himmel, Sonnenschein und ein sattgrünes Virginia – hier könnte ich stundenlang sitzenbleiben.
Von dort aus führt der Weg durch hohe Felsformationen, die sehr bizarr aussehen. Kurz dahinter geht ein Seitenweg ab zum Aussichtspunkt „Angel’s Rest“ . Wieder ein dicker Felsen, diesmal mit Blick zur anderen Seite. Ich kann schon die Stadt Pearisburg unter mir liegen sehen und höre das laute Rattern und Tuten der Güterzüge. Leider hängt das Glockenspiel nicht mehr hier, welches vor 2 Jahren bei jedem Windhauch einen zauberhaften Klang von sich gegeben hat.
Ab hier muss ich nur noch über Felsen und Steinstufen bergab klettern. Danach ein kleines Stück durch einen sehr zugewachsenen, krautigen Wald und dann an der Straße den richtigen Abzweiger in den Ort nicht verpassen ….
An der Hauptstraße erwartet mich eine noch nie dagewesene Trail Magic : Da steht ein ganzer Karton voller Gas-Kartuschen. Genau die wollte ich in Damascus kaufen, denn meine Gas-Patrone für den Jetboil wird nur noch für 2 – 3 Mahlzeiten reichen. Ich kann es kaum glauben ! Natürlich nehme ich mir gerne eine mit, denn die Dinger sind relativ teuer, kosten ungefähr so viel wie „All you can eat“ beim Chinesen. Das nächste Mal wünsche ich mir Sonnencreme und Batterien.
Sicherheitshalber frage ich in einer Auto-Werkstatt nach dem besten Weg. Kaum bin ich wieder draußen, da hält schon ein netter Opa und fragt mich, ob er mich den Hügel hinauf in die City mitnehmen soll. Ja, gerne, dieser Weg liegt sowieso nicht auf dem Trail.
Habe wieder enormes Glück und bekomme das letzte Einzelzimmer im Holiday Motor Lodge, sogar zu einem guten Preis. Direkt gegenüber ist der Supermarkt Food Lion und ein All you can eat – Chinese. Was will man denn noch mehr ?
Pearisburg ist eine Stadt mit 2800 Einwohnern. Hier gibt es eine Menge Banken, und so gelingt es mir, ausnahmsweise mit meiner Kreditkarte gebührenfrei Geld abzuheben. Die ATM-Automaten, die es in jedem Dorf an der Tankstelle oder in jedem Tante Emma-Laden gibt, berechnen jedesmal 3,- US$ extra.
Habe einen Doppelpack Batterien für meine Stirnlampe gekauft. Ich brauche eigentlich nur eine und habe deswegen jetzt eine Batterie als Reserve dabei. Meine Ersatz-Taschenlampe wandert in die Hiker-Box. Da steht „Tedi“ drauf, die kann nicht viel gekostet haben und braucht außerdem 4 Batterien. Völlig unpraktisch.
Getränkepulver stand auch noch auf meiner Einkaufsliste, aber das hätte ich mir sparen können. Die Hiker-Box im Motel ist voll davon, mehrere Kartons in allen möglichen Geschmacksrichtungen. Ich nehme noch eine Handvoll davon mit, denn das verbrauche ich recht schnell unterwegs.