Wir segeln und wandern durch die Welt

Hot Springs bis Damascus

36. Tag Trail-Magic mit Queenie

Dienstag, 22.04.


Hot Springs liegt direkt auf dem Appalachian Trail, man läuft über die Hauptstraße mitten ins Dorf hinein. Und auf dieser Main Street gibt es eigentlich alles, was wir Hiker so brauchen : Waschsalon, Bücherei für Internet, Post, eine Taverne, ein Restaurant und sogar einen Dollar General, in dem man gut und billig einkaufen kann. Leider haben die dort im Laden keinen Joghurt und auch kein frisches Obst im Sortiment. Deswegen decke ich meinen Proteinbedarf mit Eiern in jeder Form und trinke dazu literweise Orangensaft. Der Himmel ist grau, heute soll es Regen geben. Aber ich möchte trotzdem gerne los.

Kaufe morgens noch einen halben Liter Milch zum Mitnehmen und klaue auf der Toilette an der Tankstelle etwas Klopapier als Reserve. Klar, das kann man auch kaufen. Aber wer will schon eine ganze Rolle tragen ? Während ich ein letztes Mal wegen Internet vor der Bücherei stehe, läuft Baltimore Jack an mir vorbei. Den habe ich zuletzt bei Neel Gap am 3. Tag getroffen. Er müsste in diesem Jahr schon zum 11. Mal auf dem Trail sein. Ich würde zu gerne wissen, was der im Winter macht ….. Vielleicht läuft er dann den Te Araroa in Neuseeland ?

Um kurz nach 11.00 Uhr komme ich endlich los und muss natürlich zunächst wieder steil bergauf. Das ist immer hart direkt nach dem Proviant-Einkauf.  Kaum bin ich oben angelangt, da fallen die ersten Tropfen. Noch nicht genug, um die Regenklamotten herauszuholen. Ich sehe lieber zu, dass ich so schnell wie möglich wieder aus der Höhe absteige.

Nach 6 Meilen erreiche ich das Tanyard Gap. Wollte eigentlich kurz vorher eine lange Pause machen, aber ein entgegenkommender Hiker hat mir von der bevorstehenden Trail Magic erzählt. Deswegen laufe ich durch, bis ich bei Queenie ankomme. Sie hat ihr Auto voll geladen mit allen möglichen Sachen, die Wanderer unterwegs gerne haben. Queenie erzählt mir ihre Lebensgeschichte, sie hat es echt nicht leicht gehabt. Nun ist sie glücklich damit, wenn sie anderen eine Freude bereiten kann. Ich trinke eine Flasche Eistee, esse dazu 3 Bananen und noch 3 Mozzarella-Sticks. Während wir dort plaudern, kommt ein heftiger Regenschauer herunter. Aber ich sitze mit Regensachen ziemlich gut geschützt unter ihrer offenen Kofferraum-Klappe. Mein Rucksack steht sicher im Inneren des Wagens. Passt ja mal wieder prima.

Bleibe über eine Stunde bei Queenie, dann bekomme ich noch eine Banane, 2 Mozzarella-Sticks und etwas Süßes von ihr mit für den weiteren Weg. Dadurch wird mein Rucksack zwar auch nicht leichter, aber morgen werde ich mich darüber freuen.

Als ich endlich weiterlaufe, da kommen mir die ersten Slackpacker auf dem Weg entgegen. Die haben sich mit dem Auto 15 Meilen Richtung Norden an einem Gap absetzen lassen und laufen nun den Weg bergab anstelle von bergauf. Und das alles ohne schweren Rucksack, denn den haben sie im Hostel gelassen, wo sie heute wieder übernachten werden. Die Frau erzählt mir, sie würde nie 15 Meilen am Tag mit vollem Gepäck schaffen. Morgen wird das Auto sie dann bis zu der Stelle bringen, wo sie heute gestartet sind. So einfach kann man sich das Leben auf dem Trail machen.

Zwischendurch fängt es immer mal wieder an zu regnen, aber meistens sind es nur kurze Schauer. Das Schlimmste habe ich wirklich bei der Trail Magic gut geschützt abgewartet.

Am späten Nachmittag erreiche ich die Spring Mountain Shelter, wo schon wieder zu viel los ist. Kurz danach kommt noch ein einzelnes Zelt …. und dann gar nichts mehr. Kann  2,5 Stunden alleine durch den Wald laufen und sehe niemanden mehr.

Bei der Suche nach einem geeigneten Platz für die Nacht bin ich heute sehr wählerisch. Die erste Stelle, die in Frage kommt, die liegt mir zu nahe am Weg. Danach kommt eine größere campsite, dort wäre ich zwar alleine, aber der Platz ist mir zu schmutzig. Er liegt zu nahe an einer Straße, der Müll wird bestimmt nicht von der Thru-Hikern liegen gelassen. Ich habe noch genug Energie, um weitersuchen zu können. Das kann natürlich auch nach hinten losgehen, so dass man noch ewig laufen muss. Aber heute habe ich Glück und werde mit meinem bisher allerschönsten Zeltplatz belohnt. Hinter der nächsten Straße steige ich etwa eine Meile den Berg hinauf. Dann entdecke ich eine ganz schmale Spur zwischen Rhododendron-Sträuchern und finde eine kleine Lichtung dahinter. Gerade passend für mein kleines Zelt, mit ein wenig Platz drumherum zum Kochen und Sitzen. Bin umgeben von Bäumen und Hecken, weiches Laub liegt auf dem Boden, von oben scheint sogar die Sonne auf mein kleines Grundstück. Ich kann noch meine Sachen zum Trocknen aufhängen und den Tag gemütlich ausklingen lassen. Immerhin wieder 14,8 Meilen geschafft heute, obwohl ich  erst so spät von Hot Springs gestartet bin.

Kaum ist es richtig dunkel geworden, da höre ich ein mittelgroßes Tier mit 4 Pfoten um mein Lager herumtapsen und schnüffeln. Auf dem knisternden Laub kann man wirklich jeden Schritt gut ausmachen. Für einen Bären ist es nicht schwer genug. Vielleicht etwas hundeartiges, ein Koyote oder so ? Egal. Ich bin viel zu faul, um mich nochmal aus meinem Schlafsack zu pellen und draußen nachzusehen. Außerdem bin ich mir zu 100 % sicher, dass mich hier kein Tier aus meinem Zelt holen wird. Bin froh, wieder im Wald zu sein und kann sehr gut einschlafen.

37. Tag Grabstätten am Wege

Mittwoch, 23.04.

Dieser idyllische Zeltplatz in meinem Separee zwischen Rhododendron und Nadelbäumen ist so wunderbar, dass ich mich morgens nur schwer davon losreißen kann.

Zunächst gilt es, die 6 Meilen Anstieg bis auf den Camp Creek Bald zu bewältigen. Laufe fast 7 Meilen in knapp 3 Stunden, das ist ganz okay für 900 Höhenmeter bergauf.

Heute gibt es Sonnenschein satt, ein schöner Ausgleich für den gestrigen Tag, an dem ich mehr als einmal nass geworden bin. Auf dem Big Butt Mountain mache ich eine angenehme Pause, in der ich es mit T-Shirt und kurzer Hose sehr gut aushalten kann. Esse meine Cornflakes, die eigentlich noch für 2 x Frühstück reichen sollten, bis auf ein paar Krümel komplett auf. Damit reicht also eine Packung nur für 3 Tage.

Ich passiere das Grab eines ehemaligen Thru-Hikers, dessen Asche hier vergraben liegt. Mir gefällt die Idee und dieser Platz für die letzte Ruhestätte sehr gut. Später komme ich noch an einem größeren Grab der Familie Shelton vorbei. Dieses ist leider völlig geschmacklos mit bunten Plastikblumen verziert. Die Angehörigen haben wohl keine besonders große Lust, regelmäßig ein paar Meilen den Berg hinauf zu stapfen.

An der Flint Mountain Shelter habe ich eigentlich schon genug Meilen zurückgelegt. Aber hier herrscht wieder reges Treiben. Etwa 20 Leute kochen an den Tischen und machen Small-Talk. Also weiter, Wasser brauche ich auch noch dringend. Aber die nächste angekündigte Wasserquelle ist leider nur ein Matschloch. Das möchte ich nicht trinken. Ein anderer kleiner Bach sieht auch nicht viel besser aus. Immerhin gelingt es mir hier, mit viel Geduld und der Bruce-Technik ( Rhododendron-Blatt ) eine ganze und eine halbe Flasche Wasser abzufüllen.

Die Suche nach einem geeigneten Platz für die Nacht gestaltet sich ebenfalls schwierig. Muss mich irgendwo ins Kraut schlagen und finde eine halbwegs gerade Stelle, wo so eben mein Zelt hin passt. Sind ein paar Mulden drin, aber das wird schon irgendwie gehen. Dafür ist das Gelände ringsum steil und voller abgebrochener Äste. Das erschwert die Sache mit dem Auspacken und Kochen natürlich erheblich.

Beim Aufhängen meines Proviant-Sacks habe ich ein neues Problemchen : Der Beutel, in den ich sonst Steine oder Sand zum Beschweren fülle, ist abgerissen. Diesmal benutze ich die Thomas-Technik und binde meinen Schuh daran fest. Nach einigen vergeblichen Wurf-Versuchen treffe ich endlich. Der Schuh landet auf der anderen Seite des Astes, aber diesmal ist das Seil zu kurz und ich kann das andere Ende nicht mehr erreichen. Hatte das Knäuel in Hot Springs um ca. 3 Meter gekürzt, weil ich sowieso nicht so hoch werfen kann. Aber nun ist es tatsächlich nicht mehr lang genug. Also ein Ende fest in der Hand halten und nochmal versuchen. Klappt endlich !

Das war nun schon fast Stress am Ende dieses Tages.  Inzwischen ist es spät und dunkel geworden. Ich kann zum ersten Mal einen richtig klaren Sternenhimmel bewundern, der sehr vielversprechend aussieht. Wird morgen sicher wieder ein sonniger Tag werden.

Heute habe ich 18,8 Meilen in Richtung Norden geschafft.

38. Tag Doppel-Trail-Magic

Donnerstag, 24.04.

Ich komme morgens nicht weit, denn schon nach einer halben Stunde gibt es die erste Trail Magic. Wie gut, dass ich noch nicht gefrühstückt habe. Ein Mann bietet uns allerlei Leckereien aus seinem Wagen heraus an. Seine Frau ist Jersey-Girl und läuft den Trail in Etappen. Ihr Mann unterstützt sie mit Slackpacking, d. h. er bringt sie morgens zu einem Gap und holt sie abends an einer vereinbarten Stelle wieder ab, damit sie duschen und in einem richtigen Bett schlafen kann. Im Laufe des Tages, während er auf seine Wander-Frau wartet, erfreut er alle vorbeikommenden Hiker mit Erfrischungen. Ich bekomme eine Pepsi und eine Banane, die mir neue Energie bringen. Außerdem noch ein hartgekochtes Ei, um mir mein heutiges Abendessen zu verbessern.

Von dort aus geht es über die Straße ein Stück in den Wald hinein – und schon habe ich wieder den Weg verpasst. Laufe etwa eine Viertelstunde auf einem gut ausgetretenen Pfad, aber es gibt keine White Blaze an den Bäumen, weder in dieser, noch in der anderen Richtung. Durch Zufall habe ich einen kleinen Wasserfall entdeckt, ein wirklich toller Platz für eine Pause. Also mache ich dort Rast – ja, schon wieder. Esse ein paar Kekse und koche mir einen Topf Ostfriesen-Tee. Nun ist der Zucker auch alle. Mein Rucksack wird immer leichter.

Ich marschiere zurück, um den AT wiederzufinden. Es ist nicht weit. Habe mich vorhin mit einem jungen Mann unterhalten, der noch vor seinem Zelt saß und auf dem Lagerfeuer sein Frühstück zubereitete. Dabei habe ich nach links geschaut und genau in diesem Moment den Abzweiger auf den richtigen Trail verpasst, der hier sehr scharf und eng nach rechts abgeht. Ein paar Minuten später sehe ich 3 Deers, diesmal sind es weibliche Tiere mit ihrem charakteristischen weißen Schwanzbüschel. Die habe ich aufgeschreckt, sie preschen davon in das dichtere Gehölz.

Ein leichter Weg, muss heute nur über 3 Berge. Unterwegs treffe ich Jersey-Girl, mit der ich ein paar Sätze austausche. Sie ist schon über 60, sehr langsam unterwegs, aber sie genießt das Wandern alleine total.

Ansonsten passiert eine Weile nichts Besonderes. Jede Stunde klingelt meine Uhr, um mich daran zu erinnern, dass ich trinken muss. Treffe sonst niemanden mehr, bin anscheinend wieder alleine.

Aber nach 8 weiteren Meilen komme ich am Sams Gap an, wo der nette Mann von heute früh steht und auf seine Frau wartet. Doppelte Trail-Magic, das habe ich auch noch nicht erlebt. Es gibt noch eine eiskalte Pepsi, dazu Obstsalat. Und er schenkt mir noch eine Dose Mountain Dew sowie ein weiteres hartgekochtes Ei für den weiteren Weg. So lässt es sich gut leben im Wald !

Von hier aus habe ich eine gefühlte Ewigkeit immer nur stur bergauf. Das ist immer dann besonders hart, wenn der Tag sich dem Ende zuneigt und man schon mehr als 10 Meilen hinter sich hat.

Ich entdecke einen kleinen Seitenweg zu einem großen Wasserbassin. Dort gibt es ein Strom-Häuschen und irgendeine andere abgeschlossene Hütte, die nach Werkstatt aussieht. Aber das Beste daran : Diese Gebäude stehen mitten auf einer Wiese, anscheinend frisch gemäht, denn genau so riecht es hier. Eine wunderbare Abwechslung zum Waldboden ! Ich ziehe Schuhe und Strümpfe aus und laufe barfuß über den Rasen – ein herrliches Gefühl unter den Füßen. Mückenstiche sind so natürlich vorprogrammiert. Eigentlich wollte ich hier oben nur kochen und dann etwas weiterlaufen, denn es ist erst 17.30 Uhr. Aber der Duft des frischen Grüns und mein geschützter Platz direkt an der Mauer des Strom-Häuschens lassen mich gerne hier verweilen. Ich habe keinen Stress, denn es sind nur noch gut 19 Meilen bis nach Erwin. Habe heute 14,8 Meilen zurückgelegt, das muss reichen. Diese Wiese ist einfach fantastisch !

Also koche ich mir direkt mein Abendessen, diesmal gibt es Nudeln mit Kartoffelpüree, Parmesankäse, Butter und Ei. Danach baue ich mein Zelt etwas abseits auf und genieße noch zwei volle Stunden Sonnenschein.

Beim Aufhängen des Bären-Beutels habe ich schon wieder Schwierigkeiten. Binde einen meiner Crocs daran, werfe ein paar Mal hoch in die Luft …. und das Seil bleibt mitsamt meinem Schuh oben im Baum zwischen den Zweigen hängen. Ich ziehe und zerre, aber lange Zeit passiert gar nichts. Der Schuh steckt fest, hat sich von oben und unten in den dicken Ästen verklemmt. So ein Mist ! Auf meinen Croc wollte ich eigentlich nicht verzichten. Ich überlege schon, wie um Himmels willen ich jetzt auf diesen Baum hinaufklettern kann. Versuche an den Zweigen zu ruckeln, ändere meine Position mehrmals, und plötzlich habe ich es geschafft. Mein Schuh ist wieder frei, kann den Futter-Beutel endlich aufhängen. Also, ich muss unbedingt das Seil wieder an mein Säckchen nähen. Darauf und auf die Leine hätte ich gut verzichten können, habe noch genug Ersatz dabei. Aber meine Schuhe sind existentiell, die darf ich nicht verlieren.

Es wird kalt am Abend, der Wind wird immer stärker hier oben. Deswegen liege ich schon um 20.00 Uhr im Schlafsack. War das vielleicht doch keine so gute Idee, hier oben auf dem Gipfel das Zelt aufzubauen ?

39. Tag April-Wetter

Freitag, 25.04.

Eigentlich weiß ich ja, dass es nicht besonders klug ist, auf dem Top eines kahlen Berges zu campieren. Aber die grüne Wiese war zu verlockend. Die Nacht auf dem Big Bald Mountain in mehr als 5000 Fuß Höhe war lausig kalt. Es wehte ein heftiger Wind, der mein Zelt plattgedrückt hat. Dazu fing es gegen Morgen noch an zu regnen. Kaum dass ich herausgekrabbelt bin, da wäre mir mein Tarptent fast weggeweht. Wie gut, dass ich gestern Abend in weiser Voraussicht die Leinen und Heringe noch mit dicken Steinen beschwert hatte.

Weil ich mir gar nicht so sicher bin, ob man hier überhaupt zelten darf, räume ich sehr früh mein Lager und bin um 8.00 Uhr wieder unterwegs.

Eine halbe Stunde lang ist es noch trocken, dann muss ich anhalten und die Regensachen anziehen. Schwitze eine Stunde bergauf, dann kommt die Sonne heraus. Wieder anhalten und Klamotten ausziehen. Etwa 3 Meilen weiter fängt es erneut an zu regnen. Regenzeug an, eine halbe Stunde später hört es wieder auf. Anhalten und Sachen ausziehen. Das nervt jetzt aber so langsam ! Nochmal eine halbe Stunde später geht es wieder los, aber diesmal ignoriere ich den Regen und schütze nur meinen Rucksack mit dem Poncho. Das Meiste geht ja sowieso daneben. In der Mittagspause werde ich dann aber doch voll erwischt und muss mich während des Essens wasserdicht anziehen. Hatte gerade alle Sachen zum Trocknen aufgehängt, Schuhe und Strümpfe ausgezogen. So schnell kann ich gar nicht einräumen, schon ist alles wieder nass. Der Regen stoppt nach einer Stunde, aber in der nächsten Pause passiert dasselbe: Ein plötzlicher Wolkenbruch lässt mich schnell alles zusammenraffen und weiterlaufen. Zwischendurch ist es immer mal wieder trocken und die Sonne scheint für ein paar Minuten. Richtiges April-Wetter ist das hier.

Ich komme am Spivey Gap vorbei, als der nächste Wolkenbruch niedergeht. So viel regen, da nützt auch kein Unterstellen unter den Rhododendron-Büschen. Zwei junge Männer stehen am Gap und warten auf einen Shuttle, der sie in ein Hostel bringen soll. Beide haben anscheinend genug von diesem Sauwetter heute.

Es gibt aber auch Schönes an diesem Tag zu bemerken : Viele Blumen stehen am Wegesrand. Veilchen, Ladyslipper und andere Wiesenblumen blühen in lila, gelb und weiß. Das sieht eindeutig nach Frühlingsboten aus. Und ich kann mit den Vögeln sprechen. Ja, nicht nur Thomas kann das. Sie zwitschern und antworten mir auf mein Pfeifen. Eine ganze Weile lang habe ich viel Freude an diesem Spiel.

Die Landschaft ist sehr abwechslungsreich. Die meiste Zeit verläuft der Trail auf schmalen Waldwegen, aber es gibt zwischendurch auch Kletterpartien über schroffe Felsen und einen Teil, der mich an einen Regenwald-Dschungel erinnert. Es ist feucht und moderig, viele umgestürzte Bäume versperren manchmal komplett den Weg. An den Seiten liegen überall Totholz und moosbewachsene Findlinge. Dabei riecht es angenehm nach Fichtennadeln, Laub, Blumen – also so richtig nach Wald, der vom Regen und der Sonne danach dampft.

Ich habe viel Zeit, weil ich heute noch nicht ganz bis nach Erwin möchte. Wollte eigentlich im letzten Tal davor campen, aber als ich mir die Stelle im Temple Hill Gap genauer ansehe, da kommt mir eine Erinnerung. Dieses ist der Platz mit dem miesen Karma ! Genau da stehen ein paar „geschändete Bäume“ – die Baumrinde ist zum Teil großflächig herausgeschnitten, und es sind eine Menge Buchstaben und Zeichen in die Stämme geritzt. Das hat uns schon vor 2 Jahren sehr betroffen gemacht. Und dann sind wir um 3.00 Uhr in jener Nacht von lautem Motorengeräusch und Scheinwerfer-Licht geweckt worden. Es war ein Quad, der auf einer angrenzenden verlassenen Waldstraße angerast kam und uns beinahe ins Zelt gefahren wäre. Hat dann gestoppt und ist wieder abgedreht, aber unser Schrecken war groß und die Nachtruhe dahin. Nee, da möchte ich nicht nochmal übernachten.

Laufe noch etwas weiter den Berg hinauf in Richtung Erwin und finde schließlich einen guten  Platz für mein Zelt. Wieder auf weichem Laub, geschützt vor dem heftigen Wind zwischen ein paar Bäumen und Rhododendren. Dazu gibt es eine Feuerstelle mit bequemer Sitzgelegenheit und Sonne zum Abend. Es ist erst 17.00 Uhr, als ich meinen Tag hier beende. Habe noch genügend Zeit und schönes Wetter, um alle Sachen zum Trocknen aufzuhängen.

Weil es immer noch empfindlich kalt ist am Abend, liege ich schon um 19.30 Uhr in meinem Schlafsack und lese noch ein bisschen. Habe 16,7 Meilen an diesem regnerischen Tag geschafft und werde morgen früh locker zum Kaffee nach Erwin laufen.

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40. Tag Erwin

Samstag, 26.04.

Ich habe wunderbar geschlafen, bin bereits vor dem Sonnenaufgang wach und genieße den ruhigen Morgen vor meinem Zelt. Da kommen schon um 7.30 Uhr ganz munter und unbeschwert zwei Kinder angehüpft. Sie sehen herrlich gesund und schmutzig aus. Die Beiden sind 7 und 9 Jahre alt, am Springer Mountain gestartet und laufen den ganzen Appalachian Trail. Kurz darauf läuft ein Hund mit Packtaschen an meinem Platz vorbei, und noch etwas später folgen die Eltern. Was für eine tolle Idee, so ein 6-monatiger Familienausflug ! Ich bin total begeistert.

Habe heute keine Eile und trödel noch eine Weile herum, weil ich nicht zu früh ankommen will. Es ist ein einfacher Weg bis nach Erwin, nur einmal den Berg hinauf und auf der anderen Seite wieder herunter. Gespickt wird das Ganze mit tollen Aussichten auf die Stadt und die Landschaft ringsum. Freue mich ganz doll auf meinen Morgen-Kaffee !

Bereits um 9.30 Uhr komme ich bei Uncle Johnny’s Nolichucky Hostel an. Kann mich nicht entscheiden, ob ich hier bleiben werde, oder nur duschen, einkaufen und dann weitergehe. Aber der alternde Hippie macht  mir einen sehr guten Preis für ein Einzelzimmer. Ein Raum für mich alleine soll nur 25,- US$ kosten. Also bleibe ich eine Nacht und kann dann auch bequem meine Wäsche und das Internet erledigen. Es ist genauso schmutzig hier, wie wir es in Erinnerung hatten. Toilette und Dusche sind draußen im Garten, meine Tür kann ich nicht abschließen. Vorhänge gibt es keine, dafür kann ich meinen Poncho benutzen. Aber für den Sonderpreis ist es ganz in Ordnung. Ich entscheide mich gegen den kostenlosen Shuttle zum Einkaufen in die Stadt. Da hat es uns sowieso nicht gut gefallen. Erwin hat ca. 4600 Einwohner und ist sehr in die Länge gezogen, d. h. man muss weite Wege machen. Lieber spare ich einen halben Tag Zeit und mache nur einen kleinen Einkauf hier im Hostel. Etwas teurer als üblich, aber dafür werde ich etwas weniger kaufen und dadurch auch weniger zum Tragen haben.

Dusche war okay, diesmal sogar relativ sauber. Man muss nur aufpassen, wo man danach hintritt. Mein bisschen Wäsche habe ich mit der Hand erledigt. Hoffe nun, dass noch alles über Nacht trocken wird. Morgen früh will ich wieder los.

Die nächste Station wird Damascus sein, wo ich hoffentlich in 10 Tagen ankommen werde. Zwischendurch einmal 2 Extra-Meilen über einen Seitenweg, um in einem kleinen Dorf namens Hampton die Vorräte aufzustocken. Den Ort kenne ich noch nicht, die Idee zum Einkauf dort ist gerade erst entstanden.

41. Tag Start von Erwin

Sonntag, 27.04.

Musste noch ein paar Mücken in meinem Zimmer erledigen, die Spinnen habe ich am Leben gelassen. Sehr lange aufgeblieben, ich war überhaupt nicht müde, weil ich nicht viel gelaufen bin. Konnte in der Nacht das Schnarchen meines Nachbarn durch die dünnen Holzwände hören.

Meine Wäsche ist trocken geworden und riecht jetzt wunderbar nach Meeresbrise-Shampoo. Mein nicht benutztes Verbandszeug und die elastische Binde wandern in die Hiker-Box. Die Bandage für den Knöchel behalte ich lieber noch, die werde ich in Rocky-Pennsylvania wahrscheinlich wieder brauchen. Draußen steht eine gut gefüllte Hiker-Box mit Lebensmitteln, aus der ich meinen Proviant aufbessern kann. Ich nehme mir 2 Zimt-Milchschnitten, 2 Packungen mit Käse-Crackern und ein paar Portionsdosen Marmelade für meine letzten Tortillas heraus. Alles ganz frisch, das war gestern noch nicht da, und außerdem ist es noch versiegelt verpackt. Damit habe ich genug und beschließe, hier überhaupt nichts an Essen einzukaufen. Im Hostel gibt es nur die sicherlich hochwertige Hiker-Nahrung von Mountain House. Da kostet eine einzige Mahlzeit glatt 8,- US$. Nur so zum Vergleich : ein 5-er Pack Ramen-Nudeln kostet im Dollar General nur 1,-US$.

Vor dem Hostel hängt eine Waage. Ich bin total begeistert, denn mein Rucksack wiegt heute nur 12 Kilo ohne Einkauf. Der Abschied fällt mir nicht besonders schwer. Hier ist kein Ort, an dem ich länger bleiben möchte. Immerhin habe ich alle wichtigen Dinge erledigt, sogar das Internet.

Zunächst einmal führt mich der Weg stetig bergauf. Eine Stunde lang laufe ich direkt am Fluss entlang. Von West nach Ost kreuzen immer wieder kleine Bäche den Trail, die ich über wackelige Holzbrücken oder modrige Baumstämme überqueren muss. Das ganze Gebiet ist feucht und modrig. Beim Bergauf-Steigen tropft mir heute zum ersten Mal der Schweiß vom Kopf in den Nacken. Es wird Zeit, dass ich zu den Trail Days nach Damascus komme. Dort lasse ich mir von den netten Damen gerne einen kostenlosen Haarschnitt verpassen.

An der nächsten Shelter sitzen noch ein paar Übriggebliebene herum. Es sollen in der letzten Nacht mehr als 30 Leute dagewesen sein. Das waren die Hiker, die den Tag über bei Uncle Johnny oder mit Einkaufen und Restaurantbesuchen verbummelt haben und dann nur noch die knapp 5 Meilen bis hierhin gemacht haben. Nach 7,3 Meilen die erste Pause für mich, danach geht es noch einmal 7 Meilen lang immer weiter bergauf.

Nach dem Unaka Mountain mit 5180 Fuß Höhe wird es leichter, der Weg führt bergab und bleibt dann immer etwa auf derselben Linie. Sehr angenehm nach diesem anstrengenden Tag. Kurz vor Feierabend muss ich mich an einer Wasserquelle abmühen, die kaum noch etwas hergibt. Mit meinen Flaschen komme ich da nicht weiter. Dafür wende ich den Trick an, den wir bei BAM abgeguckt haben. Mit einem leeren Zipp-Beutel lässt sich selbst aus einer ganz seichten Pfütze noch Wasser entnehmen. Es ist ein bisschen Sand drin, aber das macht mir nichts. Das Wasser wird noch mit Entkeimer behandelt, also kein Problem. Beim Bücken ist mir mein T-Shirt etwas aus der Hose gerutscht. Zack-zack, da habe ich doch schon wieder 2 Mückenstiche, genau zwischen T-Shirt und Hosensaum. Gemein !

Ich bin von Erwin aus  17,9 Meilen gelaufen, bis ich an einem Seitenweg Feierabend mache. Bin sehr hungrig und koche sofort, denn mein Zelt aufbauen kann ich auch noch im Dunkeln. Es gibt Kartoffelpüree mit Butter, Milch, Parmesankäse und einem kleingeschnittenen Ei darin. Es fehlt das Salz, aber die Mahlzeit ist warm und macht für kurze Zeit satt.

Der Tag war richtig heiß heute, auch der Abend ist noch mild. Deswegen setze ich mich noch eine Stunde vor mein Zelt, um in meinem A.T.-Buch zu studieren und die nächsten Tage zu planen. Das Ergebnis sind 4 weitere Mückenstiche im Gesicht.

Nachdem ich mich vor den Moskitos in Sicherheit gebracht habe, muss ich noch einen Falter retten und nach draußen befördern, der sich irgendwie zu mir hinein verirrt hat.

Kann die Nacht gut ohne Kapuze und Handschuhe aushalten und sogar den Reißverschluss vom Schlafsack zunächst etwas offenlassen.

42. Tag Trail Magic Chili und Gewitter

Montag, 28.04.

Der Morgen sieht richtig gut aus. Hatte einen sehr ruhigen Platz und relativ lange geschlafen. Ich frühstücke ausgiebig vor meinem Zelt, dann habe ich so richtig Lust zum Laufen.

Der Frühling ist ausgebrochen im Wald. Ich sehe ständig neue Pflanzen, überall stehen blaue Veilchen am Wegesrand, und ich entdecke eine ganze Wiese mit einem Meer voller rosa Blumen. Außerdem gibt es Schmetterlinge in allen Variationen, die munter im Sonnenschein flattern. Besonders gut gefallen mir ziemlich große Falter, deren Flügel in blau-grün-türkis schimmern und eine weitere Sorte mit pechschwarzen Flügeln, deren gezackte Ränder in hellblau leuchten.

Meine erste Eidechse in diesem Jahr sitzt in der Sonne, seit heute sind auch die putzigen Streifenhörnchen aktiv. Die sind so niedlich, denen könnte ich stundenlang beim Herumtollen zusehen.

Das hört sich jetzt vielleicht nicht so spannend an, aber ich freue mich sehr über diese kleinen Dinge. Sind das doch alles Anzeichen dafür, dass der Winter nun ( hoffentlich ) vorbei ist.

Im Laufe des Vormittags überhole ich einen jungen Hiker, der einen Tag vor mir in Erwin war und einen Tag eher von dort gestartet ist. Wie kann man nur so herumtrödeln ?

Nachmittags gibt es eine tolle Überraschung am Ash Gap. Trail Magic von Kate und Christine, die aus ihrem Auto heraus die hungrigen Wanderer verwöhnen. Juchhu, es gibt tatsächlich eine warme Mahlzeit ! Und ich dachte schon, ich muss jetzt vier Tage lang Kartoffelpüree essen. Sie servieren uns köstliches Chili mit Käse und selbstgebackenem corn bread. Sehr lecker ! Dazu wird Bier angeboten, aber das lehne ich lieber ab, weil ich noch weiterlaufen möchte. Die nächste Wasserquelle ist nur eine Viertelstunde weit entfernt, da kann ich mich versorgen.

Kurz nachdem ich mich von der Trail Magic-Gruppe verabschiedet habe, da kommt eine schwarze Wolkenwand rasend schnell näher. Es donnert einige Male, und dann platzt ein heftiges Gewitter los. Der Trail verwandelt sich innerhalb von Minuten in eine matschige Rutschbahn. Nach kürzester Zeit bin ich nass bis auf die Knochen, aber wenigstens meinen Rucksack habe ich gut geschützt.

Der Regen hört nach einer Stunde wieder auf, aber der Wind nimmt immer mehr zu. Die letzten 2 Stunden des Tages muss ich über Felsen und Geröll balancieren, was bei der Nässe ziemlich schwierig ist. Sehe ein braunes Kaninchen, genau wie unsere zu Hause.

Bis zur nächsten Shelter sind es noch 3 Meilen, aber wegen des schlimmen Wetters wird es heute bereits früh dunkel. Gegen 20.00 Uhr beschließe ich, hier irgendwo Feierabend zu machen. Kein guter Ort zum Bleiben, aber das Unwetter wird immer heftiger. Inzwischen tobt ein richtiger Sturm, und ich denke, dass mein Zelt wenigstens ein bisschen Schutz bietet. Also verschwinde ich seitlich zwischen die Bäume und werfe mein Tarptent ins feuchte Moos. Hoffe, dass der Wind dort nicht so stark ist. Aber da habe ich mich getäuscht. Der Wind wird kanalisiert und fegt genau dort zwischen den Bäumen hindurch, wo ich mein Nachtlager aufgebaut habe. Das Zelt wird gerüttelt und gebeutelt, so dass ich schon Angst habe, dass es zerfetzt wird. Habe zum Glück ein paar dicke Steine gefunden, die meine Höhle etwas stabilisieren. Die ganze Zeit wabern dicke Nebelschwaden durch den dünnen Stoff und durchdringen alles mit ihrer Feuchtigkeit. Der Lärm ist ohrenbetäubend ! Die Wände meines Zeltes flattern und knallen die ganze Nacht so laut, dass ich irgendwann die Ohropax aus den Tiefen des Rucksacks heraussuche. Hilft ein wenig, aber schlafen kann ich trotzdem nicht gut. Während dieser schlimmen Nacht denke ich mehrmals : Wie gut, dass uns dieser Sturm nicht auf See erwischt !

43. Tag Sturm und Nebel

Dienstag, 25.04.

Was für eine beknackte Idee, in so einem Unwetter das Zelt auf einem hohen Berg aufzustellen ! Die Nacht war sehr unruhig und laut. Gegen Morgen sind meine Beine im Schlafsack nass – es wird höchste Zeit zum Aufstehen und die Flucht ergreifen.

Abbauen wird zu einer schwierigen Sache, denn der Wind tobt ungehindert weiter und droht, mir mein Zelt wegzureißen. Ich bekomme es nicht ordentlich zusammengerollt in die Packtasche, sondern nur mit Mühe und Not irgendwie in die Seitentasche des Rucksacks gestopft. Dann schnell weg hier !

Hier oben wachsen keine Bäume mehr. Dafür stehen dort Pfähle mit White Blazes in regelmäßigen Abständen. Man kann hier im dichten Nebel sehr leicht die Orientierung verlieren.

Muss noch etwas höher über einen weiteren Berg. Der Weg dorthin ist steil, steinig und sehr nass. Ich brauche mehr als 2 Stunden bis zur Stan Murray Shelter, wo wir vor 2 Jahren den kranken Eric Pace-Car vorgefunden haben. Das wäre ganz schön doof gewesen gestern im Dunkeln. Und die Shelter bietet überhaupt keinen Schutz ! Der Holzboden ist nass bis zur Rückwand. Hier hat es in der Nacht total hineingeweht und -geregnet.

Der Sturm hat keineswegs nachgelassen. Ich kann mich kaum auf den Beinen halten. Immer wieder packt der Wind meinen schweren Rucksack ( alle Sachen sind nass ) und will mich herumreißen. Das Unwetter kommt dem am Mount Washington schon sehr nahe. Habe große Mühe, mich auf dem Weg zu halten. Man muss sich immer wieder mit den Stöckern fest gegenan stemmen, trotzdem drückt es mich so manches Mal in den Morast neben dem Trail.

Keine Möglichkeit, hier irgendwo eine einigermaßen entspannte, trockene Pause zu machen. Aber ich muss unbedingt etwas essen ! Schließlich kauere ich mich mit meiner Iso-Matte hinter einige dicke Felsen, die wenigstens etwas Schutz vor dem Wind bieten. Futtere  schnell ein bisschen Käse und ein paar Kekse, damit ich überhaupt etwas in den Magen bekomme. Danach krame ich noch meinen ganzen Rucksack leer, um an trockene Socken zu kommen.

Der Wind will nicht weniger werden, dazu regnet es wieder. Es ist wirklich ekelhaft. Ich habe keine Lust mehr. Aber hier komme ich nur heraus, indem ich nach Vorne gehe. Was mache ich in der Nacht ? Mit meinem nassen Schlafsack in einer Shelter schlafen ? Oder schon nach 12 Meilen vom Trail abbiegen und die Straße nach Roan Mountain / Elk Park nehmen, um dort im Hostel zu übernachten und meine Sachen zu trocknen ?

Am Nachmittag überquere ich die Doll Flats, eine weite Ebene mit saftigen Wiesen. Hier wäre eigentlich ein idealer Platz für eine ausgedehnte Pause, aber das Wetter lässt es leider nicht zu. Es ist immer noch zu kalt und sehr neblig. Gerade passiere ich die offizielle Grenze zwischen North Carolina und Tennessee.

Zwei Stunden und etwa 2000 Höhenmeter tiefer klart endlich der Himmel auf. Zaghaft zeigt sich die Sonne. Genau das, was ich so dringend gebraucht habe. Der Sturm hat ganz genau 24 Stunden gedauert.

An einer Steinmauer mit dicken Felsen packe ich ALLES aus, um meine Klamotten in den Bäumen aufzuhängen. Baue das Zelt am Wege auf und breite meinen nassen Schlafsack über die Felsen zum Trocknen aus. Mache dort eine volle Stunde Pause, dann ist alles wieder gut. Noch einmal ziehe ich trockene Socken an, das ist jetzt das 4. Paar heute. Überhaupt kein Gedanke mehr an Shelter oder Hostel.

Jetzt, wo sich das Wetter von seiner besseren Seite zeigt, da kommen auch die Tiere wieder heraus. Eichhörnchen spielen um mich herum, und ich sehe eine ca. 30 Zentimeter lange Eidechse, die sich schnell vor mir hinter einem Stein versteckt.

Laufe noch ein paar Meilen weiter, bis ich mir mein Lager im Wald auf dichtem Laub einrichte. Bin froh, dass es überstanden ist und ich nicht im Nassen schlafen muss. Als ich schon im Zelt sitze, um meine Sachen zu sortieren, da kommt ein verwirrtes Streifenhörnchen blitzschnell auf mich zugerannt und verirrt sich unter mein Vorzelt. Es piepst und jammert erbärmlich, findet aber dann doch recht schnell alleine den Weg zurück in die Freiheit.

Dieser Tag war wohl, abgesehen von meinem verstauchten Fuß, der bisher schlimmste Tag auf dem Trail. Aber trotz der widrigen Bedingungen bin ich immerhin 16 Meilen weitergekommen.

44. Tag Jones Falls + Hardcore Cascades

Mittwoch, 30.04.

Die letzte Nacht war himmlisch ruhig. Das Erste, was ich morgens kontrolliere, sind meine Schuhe. Juchhu – sie sind komplett trocken geworden.

Während ich vor dem Zelt frühstücke, kommt ein Stinktier über meinen Platz gewuselt, sieht mich an und verschwindet blitzchnell auf der anderen Seite im Unterholz. Auf dem Trail sind tiefe Abdrücke von Paarhufern zu erkennen, das waren wahrscheinlich wieder die Hirsche.

Ziemlich bald passiere ich Isaacs Cemetery, einen sehr abseits gelegenen Friedhof mit geschmückten Gräbern. Dann wird das Gebiet feucht, immer wieder kreuzen kleine Flüsse meinen Weg, die ich auf Holzbalken oder Baumstämmen überqueren muss. Ein kleiner Umweg führt mich zu den Jones Falls, die ein wirklich lohnenswertes Wasser-Schauspiel bieten. Danach kommt noch ein kleinerer Wasserfall, der mitten über den Weg verläuft. Zum Glück ist der Wasserstand recht niedrig, so dass ich ihn auf den Tritt-Steinen trocken passieren kann.

Ich komme an einem Aussichtspunkt vorbei, wo wir vor 2 Jahren Pause gemacht haben. Hier steht doch tatsächlich eine Holzbank mit einer eingravierten Inschrift mitten auf dem Appalachian Trail. Diese Bank ist einem Mann gewidmet, der „so wenig zurückerhalten hat in seinem Leben, obwohl er doch so viel Gutes getan hat“ ( Zitat ). Toll – nun hat er dort wenigstens eine Bank stehen ! Klingt auf jeden Fall sehr melodramatisch. So etwas ist einfach typisch amerikanisch.

Heute tun mir die Füße ein bisschen weh. Sie haben doch etwas gelitten gestern, weil ich den ganzen Tag in nassen Schuhen gelaufen bin.

Danach folgt ein leichter Weg an Flüssen entlang, und zum krönenden Abschluss gibt es einen weiteren imposanten Wasserfall zu bestaunen : die Hardcore Cascades – sie heißen wirklich so.

An der Moreland Gap Shelter treffe ich eine Gruppe Hiker, die alle heute noch ins nahe gelegene Kincora-Hostel wollen. Die Leute habe ich vorher noch nie gesehen, das ist wieder eine neue Gruppe. Nein, ich möchte nicht zum Kincora-Hostel, obwohl man dort umsonst übernachten kann. Mir hat die Hippie-Gesellschaft damals nicht gefallen. Dafür bin ich wohl zu alt  – Woodstock ist schon lange vorbei.

Lieber laufe ich noch eine Weile, bis ich einen einsamen Platz im Wald zum Schlafen finde. Auf meinen letzten 2 Meilen wird der Himmel wieder bedrohlich dunkel. Eine fette, schwarze Wolke kommt immer näher, aber es fallen nur ein paar Tropfen, dann zieht sie vorbei.

Zum Abschluss des Tages koche ich mir einen Dreiviertel-Liter Swiss Miss, mehr passt in meinen Topf leider nicht hinein. Die heiße Schokolade schmeckt hervorragend zu meinen trockenen Nüssen und Müsli-Riegeln. Habe heute wirklich keine Lust mehr auf Ramen oder Mashed Potatoes.

Während ich todmüde im Schlafsack liege, höre ich draußen laut die Grillen zirpen. Bin ganz schön kaputt. Die letzten Tage waren sehr anstrengend, und heute bin ich tatsächlich 21 Meilen gelaufen, das sind ungefähr 34 Kilometer.

45. Tag Einkauf in Hampton + Watauga Damm

Donnerstag, 01.05.

Ich wache schon um 6.00 Uhr vom lauten Gezwitscher der Vögel auf. Wie soll man denn dabei noch weiter schlafen ? Also, Hose in die Socken stopfen und los geht es. Alles ist über Nacht trocken geblieben, es wird vermutlich wieder ein sonniger Tag werden.

Zunächst habe ich mit riesigen Spinnweben zu kämpfen, die mir den Weg versperren. So geht es immer dem allerersten Hiker, der am frühen Morgen über den Trail stapft.

Nach 4 Meilen bereite ich mir mein Frühstück an einem außergewöhnlich schönen Platz. Auf einem großen, flachen Stein an den Laurel Falls packe ich meine gesamten Schätze aus. Ich probiere die Käse-Cracker aus der Hiker-Box. Erster Gedanke : Bah, die mag ich nicht, Spende für die Tiere des Waldes. Aber mit meinem verbliebenen Käse und dem Thiele-Tee zusammen passt das dann doch ganz gut. Außerdem bietet mein Vorrats-Beutel nicht mehr besonders viel Auswahl : ein paar Müsli-Riegel, Snickers, Nüsse und Kartoffelpüree. Niemand da, der Tag ist noch jung. Deswegen kann ich mehr als eine Stunde die Pause ganz alleine an diesem beeindruckenden Wasserfall verbringen.

Kurz darauf gibt es einen Seitenweg nach Hampton, wo ich einkaufen möchte. Ich nehme nur meine 3 Wertsachen mit ( Pass, Portemonnaie und mein Handy mit Ladegerät ). Dazu natürlich noch die Stirnlampe, falls es mit dem Rückweg später wird und ich ins Dunkle laufen muss. Meinen Rucksack, meine Wanderschuhe und die Stöcker lasse ich am Abzweiger stehen und mache mich unbeschwert auf den Weg. Hampton ist ein Dorf mit einer nicht nennenswerten Einwohner-Zahl, aber sehr weitläufig – wie immer – nur für Autofahrer konzipiert.

Der Umweg im Wald ist nur eine Meile lang, aber bis zum Dollar General und zu McDonalds ( WIFI ) sind noch einmal gut 2 Meilen entlang einer Straße ohne Fußweg zu laufen. Damit habe ich dann am Ende einen Umweg von 6 Meilen gemacht, eigentlich ein bisschen viel nur zum Einkaufen. Konnte aber am Autoschalter der Bank Geld abheben, mein Handy aufladen, kurz ins Internet und sogar nach Hause telefonieren.

Während ich auf dem Rückweg bin, kommt mir ein junger Mann entgegen, den ich seit Erwin jeden Tag treffe. Wir haben immer dasselbe Tempo und die gleichen Tagesdistanzen. Heute reden wir zum ersten Mal miteinander, und er stellt sich als „Hungry“ vor. Ein sehr passender Trail-Name, wie ich finde !

Zurück am Abzweiger verschenke ich 3 Packungen Ramen an einen Freiwilligen, der gerade dort arbeitet. Die soll er mit nach Hause nehmen oder dem nächsten Hiker geben, der vorbeikommt. Die gibt es beim Dollar General besonders günstig im 5-er Pack, aber ich brauchte nur warme Mahlzeiten für 2 weitere Tage.

Ab 15.00 Uhr bin ich endlich wieder auf dem richtigen Weg, mein Abstecher nach Hampton hat insgesamt 5 Stunden gedauert. Nach einem heftigen Anstieg wird der Weg noch richtig nett. Ich komme durch ein Gebiet mit vielen Seen. An dem größten See, dem Watauga Lake, gibt es sogar etwas Sandstrand und Picknick-Tische. Gänse laufen schnatternd am „Strand“ entlang. Da sich hier gerade niemand sonst aufhält, nutze ich die Gelegenheit für eine Ganzkörper-Reinigung. Schnell die Badesachen angezogen und hinein in den See, um mich mal wieder gründlich zu waschen. Die Temperatur geht, die Nordsee ist kälter.

Von dort aus führt der Appalachian Trail mehr als eine Stunde direkt am Ufer um den See herum. Total angenehm, dort so erfrischt herumzulaufen. Ich unterhalte mich mit einer älteren Dame, die mich fragt, ob das denn nicht „scary“ ist so alleine im Wald. Nein, ist es überhaupt nicht – ich fühle mich hier so sicher wie zu Hause in den eigenen vier Wänden.

Die nächste Attraktion ist die Überquerung des Watauga-Dammes. Was für ein beeindruckendes Panorama ! Ich laufe über den Damm, habe zu beiden Seiten tiefe Schluchten aus Granitgestein, rechts von mir den blauen See und dahinter, so weit das Auge reicht, freie Aussicht auf Hügelketten mit dichtem grünen Wald.

Danach wird es Zeit, den Tag zu beenden. Finde auch bald einen Platz für mein Zelt, mal wieder auf dem Top eines ( kleinen ) Berges. Es ist ziemlich kalt hier oben, der Wind bläst schon wieder ganz heftig. So habe ich einige Mühe mit dem Aufbauen meines Nachtlagers. Es ist ziemlich eng hier. Ich muss ein paar junge Zweige vorsichtig zurückbinden, damit ich die zarten Triebe nicht verletze. Der Boden ist steinig und bretthart. Ich bekomme die Heringe nicht weit genug in die Erde, außerdem will der Wind ständig mein Zelt und meine Iso-Matte wegblasen. Zum Glück finde ich ein paar dicke Steine, mit denen ich das Ganze beschweren und sichern kann.

Nach getaner Arbeit lasse ich den Tag gemütlich ausklingen und genieße die ruhige Abendstimmung. Der Himmel ist voller Sterne, eine helle Mondsichel steigt am Himmel auf, und ich kann die Lichter von kleinen Ferienhäusern auf der anderen Seite des Ufers sehen. Während ich dort sitze, flitzt eine kleine Maus um mich herum. Die kann es wohl gar nicht abwarten, die Kekskrümel von meinem Platz zu putzen.

Ich habe heute auf dem Trail 15 Meilen in Richtung Norden zurückgelegt, dazu kommen noch die 6 Extra-Meilen nach Hampton und zurück.

46. Tag Highway nach Damascus

Freitag, 02.05.

Frisch ist es am Morgen an meinem zugigen Zeltplatz oben auf dem Berg, aber ich liebe es, wenn ich so früh schon die ersten Sonnenstrahlen sehen kann. Vorsichtig befreie ich die zurückgebundenen Zweige wieder aus ihrer Umklammerung und packe schnell mein Zeug zusammen.

Der Tag beginnt mit einem 2-stündigen Anstieg, danach bleibe ich fast immer auf derselben Höhe. Wenn es Berge im Weg gibt, dann führt der Trail in sanften Serpentinen drum herum. Sehr angenehm ! Dieses ist der Highway nach Damascus, ab hier kann man richtig viele Meilen schaffen.

Komme an einem Monument vorbei, mit dem ich rein gar nichts anfangen kann. Kurz danach beginnt dann der „handicap-accessible trail“ – auch so ein Witz. Unten gibt es 5 Behinderten-Parkplätze, von dort verläuft der Trail mit einer Breite von einem Meter und einer Steigung von 4 % auf einem ordentlichen Kiesweg. Dort kann man seine Oma mit dem Rollstuhl hinaufschieben, sich oben auf einer Bank ausruhen und dann den Weg wieder hinunterschieben. Gut, wenn an Behinderte und ältere Menschen gedacht wird. Aber die Gesamtlänge beträgt nur knapp 1 Kilometer !

Grüne Wiesen mit Löwenzahn, Klee und Sauerampfer im weiteren Verlauf. Viehweiden ohne Tiere. Trotzdem muss ich einige Sicherheits-Gatter öffnen und über mehrere Holztreppen klettern. Meine Güte, warum müssen die denn so hoch sein ?

Hinter der Straße, die zum Shady Valley abgeht, genau dort steht sie : Eine riesige, orangefarbene Kiste aus Eisen mit Holzkreuzen drauf. An diese kann ich mich noch sehr gut erinnern. Trail Magic von der Presbytarian Church, daneben ein Zettel mit frommen Sprüchen und der Hoffnung, dass der Trail uns Gott näher bringen wird. Leider ist die große Kiste komplett leer, keine Snacks mehr drin, und auch in der Getränke-Kühlbox schwimmen nur noch ein paar fast geschmolzene Eiswürfel. Bin wohl zu spät, aber es ist ja nicht mehr weit bis in den nächsten Ort, wo ich mir alles selber kaufen kann.

Gegen Abend passiere ich die Double Springs Shelter. Dunkel und kalt ist es dort, obwohl auf der anderen Seite der Berge noch die Sonne am Himmel steht. Nein, hier will ich nicht bleiben. Aber ich brauche unbedingt Wasser, was sich als die schwierigste Aufgabe des Tages herausstellt. Ich muss einen weiten, steilen Weg hinuntersteigen. Für dieses Unternehmen brauche ich glatt 20 Minuten, aber es hat sich gelohnt. Die Quelle ist wirklich fantastisch sauber und bietet köstliches, frisches Wasser.

Mache ich mich auf den weiteren Weg, um nach einem Platz für die Nacht Ausschau zu halten. Eine Stunde lang gibt es keine brauchbare Stelle, links und rechts nur Kraut und Dornen. Dann erreiche ich endlich einen kleinen campsite, wo schon Hungry sitzt und das Lagerfeuer brennt. Nun muss ich mir zum ersten Mal mit einem anderen Hiker den Zeltplatz teilen, denn es ist mittlerweile schon nach 20.00 Uhr. Zum Glück ist der junge Mann auch nicht besonders gesprächig, sondern eher ein Sternengucker. Für mich gibt es heute nochmal Ramen mit „Beef flavour“. Ich möchte gar nicht wissen, was da wohl drin ist – auf jeden Fall kein Fleisch.

Mittlerweile ist es stockdunkel geworden, der Himmel voller Sterne, und eine schmale Mondsichel steht am Himmel. Wie romantisch ! Aber es ist schon komisch, den Lagerplatz mit diesem jungen Mann zu teilen. Lieber wäre ich alleine mit dieser schönen Stimmung.

An diesem Tag sind ohne die geringste Anstrengung 21,2 Meilen zusammengekommen.

47. Tag Tennessee – Virginia – Grenze

Samstag, 03.05.

Bin wieder vor 6.00 Uhr wach, sobald das Gezwitscher draußen losgeht. Aber ich bleibe noch ganz gemütlich liegen, bis mein Mit-Camper Hungry aufgebrochen ist und die Sonne hinter den Bergen hervorkommt.

Genieße die Ruhe und den schönen Morgen vor meinem Zelt. Dabei kann ich 2 Zentimeter große Ameisen beobachten, die auf dem Boden emsig hin- und herkrabbeln. Zum Glück interessieren die sich gar nicht für mich.

Neue Blumen blühen heute am Wegesrand, eine sehr hübsche Art mit blauen Blüten und eine Sorte mit knallroten Blüten. Jeden Tag gibt es jetzt etwas Neues in der Natur zu entdecken.

Ich habe einen entspannten Tag mit wenig Meilen vor mir, weil ich eigentlich erst am Sonntag in Damascus ankommen möchte. Hinzu kommt, dass der Weg hier wunderbar einfach ist. Ein gut ausgeprägter Waldweg, kaum noch nennenswerte Steigungen, mein Rucksack fühlt sich leicht an. Ich komme sehr schnell vorwärts. Teilweise mache ich 3,5 Meilen in der Stunde. Also genieße ich lange Pausen in der Sonne, mittags volle 2 Stunden, bevor ich weitergehe. Trotzdem erreiche ich schon früh am Nachmittag die Grenze Tennessee – Virginia. Wieder einen Bundesstaat geschafft !

Gegen 16.30 Uhr befinde ich mich kurz vor den ersten Häusern und baue mein Zelt am Wegesrand auf. Kann so nochmal das Geld für eine Übernachtung sparen, aber trotzdem heute schon die Annehmlichkeiten der Stadt genießen. Dann mache ich mich auf den Weg zur Main Street, wo ich einige Begleiter aus den letzten Tagen wiedertreffe. Im Blue Blaze – Restaurant gibt es Pepperoni-Pizza und 2 Bier, bevor ich mich gegen 20.00 Uhr wieder auf den Weg zu meinem Schlafplatz mache. Ich bin sehr zufrieden so, das war ein gelungener Abschluss eines richtig guten Tages.

Nur 16 Meilen mit relativ leichtem Gepäck gelaufen, bin überhaupt noch nicht ausgelastet.

48. Tag Sonnenschein in Damascus

Sonntag, 04.05.

Am Morgen liegt nur eine Meile von meinem Zeltplatz im Wald bis nach Damascus hinein vor mir. Da ich wieder sehr früh vom Tageslicht und den Vögeln geweckt werde, sitze ich schon um 7.00 Uhr mit meinem Rucksack vor der Bücherei, um dort das WIFI zu nutzen.

Danach geht es einmal ganz über die Main Street bis zu einem guten Diner „In the Country“. Hier gibt es ein leckeres Frühstück, bevor ich mich im super sauberen Hiker’s Inn im 4-er Zimmer einquartiere.

Den Rest des Tages lasse ich es mir in diesem wunderschönen und hiker-freundlichen Dorf gutgehen. Damascus hat etwa 1050 Einwohner, und es kommen täglich einige Hiker vorbei, weil der Trail genau hier entlang geht. Sehr nette Atmosphäre, und es wird ganz bestimmt nicht langweilig.