Wir segeln und wandern durch die Welt

Glasgow bis Shenandoah National Park

71. Tag Glasgow / Virginia

Dienstag, 27.05.

Gestern hatte ich trotz aller Vorsicht eine ganze Menge kleiner Mücken im Zelt, die aber zum Glück sehr träge waren und sich leicht zerklatschen ließen. Außerdem hat eine dicke Spinne bei mir im Zelt übernachtet und erst heute früh den Weg wieder nach draußen gefunden.

Große Enttäuschung am Morgen : Das Diners, in dem wir vor 2 Jahren gefrühstückt haben, gibt es nicht mehr. Und das andere Restaurant im Ort war damals und ist auch heute noch geschlossen. Also gibt es kein Rührei, stattdessen Selbstversorgung wie im Wald. Wenigstens bekomme ich an der Tankstelle Kaffee und Schokoladen-Eis.

Bin noch unschlüssig, ob ich eine weitere Nacht an diesem schönen Platz bleibe oder eventuell am späten Nachmittag  schon wieder zurück auf den Trail gehe, sobald ich meinen Kram erledigt habe.

Meine nächste Station wird das Rockfish Gap in etwas mehr als 77 Meilen sein, von wo aus ich nach Waynesboro trampen möchte. Bin voraussichtlich am Samstag abends dort. Die Bücherei hat am Wochenende geschlossen, deswegen wird es dann keine neuen Einträge geben.

Hinter Waynesboro beginnt auch schon der Shenandoah National Park – bin mal gespannt, wie viele Bären mir über den Weg laufen werden.

Eigentlich wollte ich mein Zelt noch eine weitere Nacht hier stehen lassen, aber um 18.00 Uhr kommt ein bärtiger Hiker ganz aufgeregt zu mir, um mir eine Sturmwarnung mitzuteilen. Es soll in etwa einer Stunde ein Gewitter mit viel Wind und Regen geben. Ob ich nicht diese Nacht vorsichtshalber in der Shelter verbringen möchte ? Nein, danke.

Bei Sturm und starkem Regen bin ich besser im Wald aufgehoben als auf der nackten Wiese. Deswegen packe ich schnell meine Siebensachen zusammen, baue das Zelt ab und laufe etwa eine Meile aus dem Dorf heraus bis zur Hauptstraße. Diesmal hält ein ausgesprochen gut aussehender junger Mann, um mich mitzunehmen.

Ich habe extrem viel Gewicht geladen, weil ich ja eigentlich erst morgen wieder starten wollte. Deswegen sind in meinem Rucksack 2 Literflaschen Gatorate, 2 Cola, 2 kleine Flaschen Milch, eine Tüte Chips und sogar 2 Dosen Bier, die ich heute Abend vernichten wollte. Ganz schön schwer, aber der Weg ist zum Glück nicht weit.

Um 19.30 Uhr bin ich wieder auf dem Appalachian Trail, der Himmel wird schon dunkel. Auf diesem Abschnitt blühen die Rhododendren ausschließlich in weiß. Schon nach wenigen Minuten stolpere ich fast über eine ausgewachsene Black Racer. Die liegt mit ihrer ganzen Länge von ca. 1,50 Meter quer auf dem Weg, lässt sich ganz nett fotografieren und schlängelt sich dann seitlich ins Gebüsch. Willkommen zurück im Wald ! Ich liebe es.

Nach etwa einer Meile fängt es an zu regnen, ich muss tatsächlich noch den Regenponcho herauskramen. Es sind nur 2 Meilen bis zur Johns Hollow Shelter, wo ich die Nacht verbringen will. Hatte natürlich gehofft, dass eine Shelter so kurz hinter dem Ort leer sein wird, dann hätte ich das Unwetter schön trocken unter Dach abgewartet. Aber schwer getäuscht, die Shelter ist bereits bewohnt, und auf dem Platz drumherum stehen 18 Zelte. Es sieht ein bisschen aus wie im Pfadfinder-Jugendlager, aber tatsächlich sind das alles Thru-Hiker. Da geht nun leider kein Weg dran vorbei, ich muss mein Zelt mitten hinein stellen. Aber gut, dass ich jetzt Feierabend mache, denn kaum bin ich drin, da prasselt es ordentlich auf mein Dach.

72. Tag Berge am Morgen und am Abend

Mittwoch, 28.05.

Morgens um 5.00 Uhr werde ich vom allgemeinen Geklapper der Zeltstangen und vom Rascheln der Rucksäcke wach. Um 5.30 Uhr brennt schon das Lagerfeuer. Die sind ja alle wahnsinnig ! Ich will noch mit Niemandem reden und frühstücke im Zelt. Als ich um 6.45 Uhr losgehe, da stehen nur noch drei Zelte, alle anderen sind bereits weg.

Frühsport wie fast jeden Morgen : 2 Berge am Vormittag, knapp 800 Höhenmeter hinauf und wieder hinunter. Auf dem Gipfel des Bluff Mountain befindet sich das Grab des kleinen Ottie, der im Alter von 4 Jahren und 11 Monaten aus seiner Tagesstätte verschwunden ist und hier oben tot aufgefunden wurde. Sehr traurige Geschichte !

Ich ändere meine Mittagsplanung. Habe schon zum Frühstück eine halbe Packung Cornflakes mit einer Flasche Milch leer gemacht, nun vernichte ich die andere Hälfte mit meiner 2. Flasche Milch. Sonst wird die morgen vielleicht sauer sein außerdem möchte ich die Flasche nicht länger tragen.  Gleich an der nächsten Straße gibt es zudem praktische Abfalltonnen.

Das Gelände wird flacher, es geht den Nachmittag über viel bergab. Zwischendurch  gibt es 2 – 3 kurze Regenschauer, die aber immer schnell wieder vorbei sind. Auf diesem Abschnitt laufe ich durch Rhododendron-Hecken in lila. Der Wald duftet ganz stark nach den Sträuchern mit den weißen Blüten, die ringsum wachsen. Die Natur auf dem Appalachian Trail ist total spannend, wenn man so wie ich genug Zeit hat, die Veränderungen auf dem Trail jeden Tag zu beobachten.

Rings um mich herum rufen die Bären, aber es lässt sich keiner blicken. Die müssen sich weit über den Shenandoah National Park ( Population 300 – 400 Stück in 2012 ) ausgebreitet haben. Ich sehe jedenfalls nur die kleinen Tiere : Echsen und Frösche, Eichhörnchen, Streifenhörnchen, ab und zu mal ein Kaninchen.

Das Überqueren der Pedlar River Bridge macht mir riesigen Spaß. Es ist eine alte Hängebrücke, die richtig schön wackelt beim Drüberlaufen.

Nach 19 Meilen bin ich an einem kleinen Bach angelangt, an dem wir damals gezeltet haben. Da steht eine Bank, Wasser gibt es auch genug, also wird hier gleich gekocht. Ich mag mein Zelt nicht direkt neben dem Weg aufstellen, wenn wir noch 3 Stunden Tageslicht haben. Also Abwaschen, meinen Kram zusammenpacken und noch ein paar Meilen weiterlaufen.

An der nächsten Straße nach Buena Vista stehen einige Picknick-Tische, einer davon ist reichlich gedeckt. Da gibt es einen angefangenen Karton Zitronen-Limo, einen vollen Karton mit Energy-Drink, Fruchtstangen und ein 2 Kilo-Glas mit Cashew-Kernen. Außerdem hängen dort noch Plastikbeutel mit verschiedenen Sorten Chips, Tacos, Flips und anderem Knabberkram. Ich will nicht schon wieder Pause machen, stopfe mir die Taschen voll und marschiere dann weiter. Bin schon fast wieder im Wald verschwunden, da hupt es plötzlich hinter mir. In Deutschland oder Südamerika würde ich auf sowas gar nicht reagieren, aber hier entlang des Trails bedeutet das meistens etwas Gutes. Also gehe ich wieder zurück an die Straße und treffe den netten Opa wieder, der mich nach Glasgow gefahren hat. Es ist sein Tisch mit Trail Magic, ich soll mich nur reichlich bedienen. Habe ich doch schon. Er freut sich sehr darüber, mich noch einmal wiederzusehen, hat auch seiner Frau von mir erzählt usw. Dann sagt er noch, dass etwa eine halbe Stunde bergauf ein schöner Platz zum Zelten sein soll. Das würde mir gut passen, denn so langsam ist es spät geworden, und ich muss an den Feierabend denken. Ich finde auch die besagte Stelle, viel Platz, alles fein gerade…. nur dumm, dass hier zwei Gravel Roads aufeinandertreffen. Nein, ich will nicht an einer Straße schlafen, auch wenn es sich nur um einen lange vergessenen Forstweg handelt. Ich schaue auf die Uhr und wäge kurz das Risiko ab. Wenn ich Pech habe und auf dem Weg nach oben nirgends einen Platz für mein Nachtlager finde, dann schaffe ich es gerade noch vor Einbruch der Dunkelheit bis auf den Gipfel. Ja, genau das muss ich nun noch durchstehen. Die letzte Meile ist eine richtige Quälerei, denn ich habe nicht nur 2 Liter Wasser im Rucksack, sondern dazu noch 2 Dosen Zitronen-Limo, 2 Dosen Energy-Drink, 2 Fruchtstangen, eine kleine Tüte Chips und ein halbes Pfund Cashew-Kerne geladen. Puh !

Aber ich schaffe es mit dem letzten Tageslicht bis auf den Gipfel des Bald Knob in 4059 Fuß Höhe. Habe vorher schon die Windrichtung abgecheckt, falls es wieder viel Wind gibt in der Nacht. Genau zur richtigen Zeit und genau passend für mein Zelt finde ich oben einen richtig schnuckligen Platz. Zur Windseite hin geben flache Felsen und ein paar Sträucher Schutz, die jungen Bäume um mich herum sehen gesund aus und nicht, als ob sie in der Nacht umfallen wollten. Wie viel schöner ist das doch als so ein Zeltlager an einer vollen Shelter !

Hier kommt heute zum ersten Mal das Mückenspray zum Einsatz. Da sie sonst nirgendwo drankommen können, stechen sie mich jetzt in die Hände oder setzen sich auf mein Gesicht. Ich habe seit Glasgow einen Stich in der Hand-Innenfläche, um den herum sich eine Blutblase von 2 Zentimeter Durchmesser gebildet hat. Ist schon seltsam, wie ich auf die verschiedenen Insektenstiche und -bisse reagiere. Oder bin ich vielleicht allergisch gegen die neue Anti-Itch-Creme ?

Hier oben auf dem Gipfel des Bald Knob ( den ich ja eigentlich erst morgen früh besteigen wollte ) mache ich eine kleine Party mit einer Dose Bier und Chips. Habe heute 3 hohe Berge geschafft, insgesamt bin ich 22,9 Meilen weitergekommen. Und ich habe die 800-er Marke geknackt, das heißt, ich bin jetzt schon mehr als 1300 Kilometer weit zu Fuß unterwegs.

Während ich draußen im Dunkeln auf einem dicken Felsen sitze, zuckt und flackert es ringsherum am Himmel. Es ist sternenklar, aber nach allen Richtungen flackert es immer wieder ganz hell auf. Ist das Wetterleuchten, und was bedeutet das wohl ?

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73. Tag Nebel und Regen den ganzen Tag

Donnerstag, 29.05.

Kaum war ich gestern im Zelt verschwunden, da fing es heftig an zu regnen. Und dann folgten sofort Donner und Blitze in schneller Reihenfolge, ein Gewitter direkt über mir. Das war großes Kino auf dem Gipfel eines Berges. Es pladderte wie verrückt auf mein kleines Zelt, aber das hat dichtgehalten. Nur direkt am Eingang hat es ein bisschen durch’s Moskitonetz gespritzt. Bin einfach einen halben Meter tiefer gerutscht, habe mir meinen Stoffbezug über die Ohren gezogen und die ganze Nacht geschlafen wie ein Stein.

Morgens regnet es zwar nicht mehr, aber der Nebel ist so dick, dass es tropft. Die Klamotten, die ich gestern zum Trocknen in die Bäume gehängt habe, sind genauso nass wie vorher, aber nun gut durchgespült. Werfe einfach alles in eine Tüte, nasses Zelt einpacken und dann schnell weg hier. Vorher schütte ich noch 2 Liter Wasser weg, weil ich ja zum Trinken immer noch die 3 übrigen Dosen von der Trail Magic habe. Da muss ich nicht auch noch unnötig Wasser schleppen.

Zuerst erwartet mich ein steiler Abstieg, dann gleich wieder ein Aufstieg auf den Cold Mountain mit 4022 Fuß. Von nun an bleibe ich fast den ganzen Tag in der Höhe.

Es ist neblig und kalt, wenn man nicht in Bewegung ist. Nach 3 Stunden Laufen mache ich eine ungemütliche Pause, es ist eigentlich zu frisch zum Sitzen und tropft dauernd von den Bäumen. Aus dem Nebel wird Regen, und der hält für den Rest des Tages an. Am Nachmittag schüttet es so stark, dass ich gar keine Pause mehr mache. Laufe fast 15 Meilen in 5,5 Stunden an einem Stück durch bis zum Tye River, wo ich kapituliere. Es ist noch früh am Tage, aber ich muss unbedingt mal meinen Rucksack absetzen, etwas essen und ganz viel trinken. Das Wetter lässt mir keine andere Wahl : Ich werde das Zelt heute an einem nicht so schönen Ort aufstellen. Es passt nicht ganz, ich kann das Vorderteil nicht richtig straff spannen. Also mache ich ein Gebastel mit Bändern, die ich an Baumstämmen und Steinen festbinde. Als das Zelt endlich steht, bin ich komplett eingesaut und matschig. Wenigstens kann ich mir hier im Fluss gleich die Hände waschen. Es sieht nicht gut aus, aber für die Nacht wird es reichen, und innen drin bin ich jetzt wenigstens halbwegs geschützt. Das Ergebnis dieses tristen Regentages sind 22,6 Meilen weiter in Richtung Maine.

Meine Hiking-Schuhe sind schon wieder kaputt. Jetzt löst sich die Sohle an einer anderen Stelle ab. Das Innenfutter ist im Fersenbereich überhaupt nicht mehr vorhanden. Die sollten eigentlich noch ein bisschen halten, bis ich Salomon kontaktiere, um nach einem neuen Paar Schuhe zu fragen.

74. Tag Devils Backbone Brewpub

Freitag, 30.05.

Morgens regnet es immer noch. Das modderige Flussufer riecht so stark nach nassem Laub, verwesenden Baumstämmen und Kräutern, dass es schon unangenehm ist. Ich frühstücke im Zelt und lege mich dann nochmal eine Stunde hin. Gegen 9.00 Uhr wird das Tropfen weniger. Schnell das feuchte Zeug und das matschige Zelt einpacken und kurze Hose anziehen. Das ist zwar ein bisschen kühl, aber so kann am wenigsten nass werden.

Genau wie gestern laufe ich durch dichten Nebel. Mache eine doofe Pause mitten auf dem Weg, weil nirgends ein Platz zum Bleiben einlädt. Meine Wunde am Knie ist wieder verheilt, dafür habe ich mir heute an einem zackigen Felsen das Schienbein aufgeschrammt.

Gegen Mittag habe ich einen sehr anstrengenden Aufstieg von fast 5 Meilen bis auf den Three Ridges Mountain zu bewältigen. Danach geht es fast nur noch bergab bis zum Reeds Gap. Dort steht ein Vertreter von irgendeinem Hostel und quatscht alle vorbeikommenden Hiker an, ob sie nicht Slackpacking machen wollen. Das ist auch eine Art, an zahlende Gäste zu kommen. Viele nehmen das Angebot an, mal einen Tag ohne ihren schweren Rucksack zu laufen.

Vom Reeds Gap aus möchte ich per Anhalter zum 5 Meilen entfernten Devils Backbone Brewpub. In meinem AT-Buch steht, dass es schwierig ist, dorthin eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen. Stimmt – erst der 2. Wagen hält an, diesmal ist eine Frau am Steuer. Ich hatte mir 15 Minuten Wartezeit als Limit gesetzt, dann wäre ich ohne fish & chips weitergelaufen.

In der Brauerei werde ich vom Chef persönlich empfangen und bedient. Er freut sich, als ich ihm erzähle, dass wir vor 2 Jahren schon hier gegessen und auf seiner Veranda übernachtet haben. „Welcome back!“ Ich möchte keines seiner guten selbstgebrauten Biere trinken, sondern bestelle lieber Cola. Er bringt mir eine Karaffe mit einem ganzen Liter voll. Kaum ist die leergetrunken, da habe ich schon den nächsten Liter Cola vor mir stehen. Und das alles zu einem Preis, für den man in Deutschland noch nicht einmal ein Glas bekommen würde. Hier im Pub gibt es die besten fish & chips ever ! Als ich beim Chef bestelle, fragt er mich, ob er mir dazu extra Salat „for free“ servieren darf, damit ich auch etwas Frisches bekomme. Supernett ! Meine  Portion ist gewaltig und lecker. Hatte ich 2012 nach dem Essen noch das Gefühl, ich möchte das Gleiche noch einmal bestellen, heute hat es gereicht.

Der Abstecher zur Brauerei hat sich also für mich richtig gelohnt. Es war eine sehr schöne Pause, und das tut auch der Seele gut nach zwei nassen Tagen und Nächten. Meinen gesammelten Müll incl. 5 leerer Dosen bin ich auch dort losgeworden.

Komme gerade erst vom Parkplatz an die Straße und habe noch nicht einmal meinen Rucksack abgestellt, da hält schon wieder ein Auto. Es fährt erst an mir vorbei, setzt dann zurück und hupt, bis ich es gecheckt habe. Schon wieder eine Frau. Es ist zwar eigentlich nicht ihr Weg, aber die nette Dame bringt mich zurück bis an den Trail. Ich habe sicherlich sehr viel mehr Chancen beim Trampen als die struppigen, bärtigen Männer. Kurz bevor ich mich an die Straße stelle ziehe ich mir saubere Kleidung an und kämme mir ordentlich die Haare.  🙂

Kaum bin ich wieder im Wald, da werde ich wieder vom Nebel verschluckt. Mit dem Koffein von 2 Litern Cola kann ich noch gut 2,5 Stunden weiterlaufen. Unterwegs kommt mir ein Spaziergänger-Paar entgegen und erzählt ganz aufgeregt, dass nur 200 Yards entfernt ein großer Bär ganz nahe am Weg sitzt und sich seelenruhig beobachten lässt. Das hört sich ja spannend an ! Ich benutze die Stöcker nicht mehr und versuche, nicht so zu trampeln, wie es sonst meine Art ist. Trotzdem kriege ich keinen Bären zu Gesicht. Entweder war ich doch nicht leise genug, oder er konnte mich riechen, meine letzte Dusche war am Dienstag.

Irgendwann klart der Himmel dann noch für eine Stunde auf. Tolle Wanderung entlang der Ceddar Cliffs mit Blick auf das grüne Tal unter mir. Ein netter Platz für mein Nachtlager kommt auch bald, so dass ich diesen Tag schon vor 19.00 Uhr mit 16,5 Meilen beende. Hänge mal wieder alle nassen Sachen zum Trocknen auf, reibe das Zelt von innen trocken und koche mir dann einen großen Topf Tee zum Aufwärmen. Ich muss einen kleinen Wurm nach draußen setzen, der sich in mein Bett verirrt hat. Während ich das Moskitonetz einen Spalt weit öffne, flattert blitzschnell eine Motte herein, die ich dann auch erst noch wieder einfangen muss.

75. + 76. Tag Waynesboro / Virginia

Samstag, 31.05.

Mein Zelt war von innen feucht und hat von oben getropft. Außerdem hatte ich eine Schicht Kleidung weniger zum Anziehen in der Nacht. Meine lange Hiking-Hose, ein T-Shirt, 4 Paar Socken sowie mein Regenponcho sind immer noch patschnass.

Habe kaum geschlafen, bin jede Stunde aufgewacht, weil mir kalt war. Um 5.00 Uhr morgens finde ich, dass ich genauso gut aufstehen kann. Ein Blick nach draußen zeigt mir, dass es noch sehr neblig und kühl ist. Bin nicht besonders motiviert, aber Liegenbleiben ist auch keine gute Lösung.

Bin also tatsächlich heute schon mit dem ersten Tageslicht unterwegs und freue mich auf die Stadt. Der Trail ist angenehm einfach, links und rechts wieder viel Grün um mich herum. Es gibt riesige Mengen von Farnen zu beiden Seiten, dann zur Abwechslung Felder mit Gewächsen, die wie hohe Kartoffelpflanzen aussehen. Dazwischen stehen Riesen-Rhabarber.

Gegen 9.00 Uhr setzt sich die Sonne durch. Das tut gut ! Feucht und warm, das sind die idealen Bedingungen für die kleinen Baby-Salamander. Ich sehe einige türkisfarbene Eierschalen auf dem Weg liegen. Anscheinend blinde und ziemlich hilflose Salamander krabbeln im Matsch. Ich muss einen ca. 10 Meter breiten Fluss auf Trittsteinen überqueren, was mir auch trocken gelingt.

Da ich die letzten 3 Tage gut vorgearbeitet habe, fehlen heute nur noch 13,4 Meilen bis zur Straße, die nach Waynesboro führt. Kurz vorher hängt ein Zettel mit etwa 20 Telefon-Nummern von Trail Angeln an einem Baum. Die kann man anrufen, wenn man am Rockfish Gap abgeholt werden möchte. Es ist schwierig zu trampen, weil hier mehrere Highways, Interstates und der Blue Ridge Parkway in verschiedene Richtungen abgehen. Ich spreche einfach einen Mann auf dem Parkplatz an, der soeben seinen Sport im Wald beendet hat. Nein, er ist auch nicht von hier und weiß nicht, wo ich mich hinstellen muss. Aber er hat ein Auto und ein GPS, programmiert die Adresse vom YMCA ein und bringt mich direkt bis zur grünen Wiese, auf der ich die nächsten 2 Nächte bleiben möchte. Das ist mal wieder sehr komfortabel ! Ich muss gar keinen Trail Angel anrufen, sondern habe schon wieder Glück im ersten Versuch.

Meine Prioritäten für heute sehen folgendermaßen aus :

1. Zelt zum Trocknen aufbauen, mal wieder die Wäsche aufhängen und Klar-Schiff machen

2. Library für 60 Minuten Blog-Schreiben, weil die um 17.00 Uhr über das Wochenende schließt

3. Anmelden und Duschen beim YMCA

4. All-You-Can-Eat beim Lieblings-Chinesen von Baltimore Jack

5. Shopping im Riesen-Supermarkt – 24 Std. geöffnet, also werde ich hier keinen Mangel haben.

Ausgerechnet heute findet auf dem Campsite des YMCA eine kleine Party statt. Die ALDHA ( Appalachian Long Distance Hiker Association ) feiert zusammen mit den Stadtvätern die Einweihung eines neuen Pavillons auf dem Gelände. Dazu gehört natürlich auch ein kostenloses „Hiker-Feed“. Es gibt Hot Dogs, Hamburger, verschiedene Salate, Eistee …. Aber ich will doch zum Chinesen ! Ich esse aus Höflichkeit einen Hot Dog vorweg, sonst geben die doch keine Ruhe. Crazy Horse läuft auch hier herum, aber er hat ( zum Glück ) anscheinend vergessen, dass wir uns kennen. Völlig verpeilt, dieser Typ !

Im Ming Garden war es brechend voll. Das ganze exotische Zeug können die Anderen essen. Mir hätte das riesige Salatbuffet schon vollkommen gereicht. Sogar frische Sprossen gab es da. Und auf dem Dessert-Buffet stand neben Schoko-Pudding und frischen Früchten eine Schale mit gebrannten, in Puderzucker gewälzten Mandeln. Schade, dass ich nicht mehr essen konnte ….

Bin jetzt im Coffee-Club. Habe an der Tankstelle die morgendliche Versorgung mit Kaffee abgecheckt und dort diese Club-Card bekommen. Den ersten Kaffee erhalte ich auf jeden Fall schon mal gratis, und ab diesem gilt : „Buy one, get one free“. Das ist ja genau das Richtige für mich !

Sonntag, 01.06.

Wie habe ich meinen freien Tag verbracht ?

Der gestern neu eingeweihte Pavillon hat Sonnen-Kollektoren und ausreichend Steckdosen, so dass alle Hiker ihre Handys aufladen können. Und es gibt Sonne satt ! Da brauche ich kein Hostel, hier ist es richtig komfortabel.

Morgens gibt es Kaffee und Snickers-Eis von der Tankstelle. Damit setze ich mich in einen nahen Park an einem kleinen Fluss. Ringsherum schnattern Gänse, einige haben Nachwuchs.

Bin sicherlich eine Stunde staunend durch den Supermarkt geschlendert, habe mir unter Anderem einen neuen Notizblock und einen Anti-Bite-Stift gekauft. Endlich gibt es Orangensaft, griechischen Joghurt, Erdbeeren und Sprühsahne. Eine Sprühflasche amerikanischer Sahne hat nur 600 Kalorien. Ich hätte eigentlich gedacht, da steckt mehr drin.

Ausgiebige Körperpflege unter der sauberen und wohltemperierten Dusche beim YMCA. Toller Service, dazu bekommt man sogar ein großes Handtuch und Seife gereicht.

Den halben Tag habe ich dank Free-WIFI vor der Bücherei mit Internet und Telefonieren verbracht.

Die Stadt Waynesboro in Virginia hat 21.500 Einwohner, also wesentlich mehr als sonst die Dörfer entlang des Trails. Von der City habe ich allerdings nicht viel gesehen, weil ich alles in unmittelbarer Nähe habe, was ich brauche. Dusche, Supermarkt, Library, All-You-Can-Eat, sogar die Post befindet sich in angenehmer Laufweite.

Ich finde es jedes Mal sehr erstaunlich, wie schnell ein Tag vorbeigeht, an dem man eigentlich nichts zu tun hat. Dieses Phänomen erlebe ich immer wieder, sobald ich in der Zivilisation bin.

Morgen möchte ich noch zur Post und in der Bücherei meinen Blog fertigschreiben. Am Nachmittag versuche ich dann, eine Mitfahrgelegenheit zum Trailhead zu bekommen. Werde dann etwa eine Woche lang im Shenandoah National Park unterwegs sein und werde mir für diese Etappe richtig viel Zeit lassen. Ich muss nicht so viel Proviant mitnehmen, weil es spätestens jeden zweiten Tag einen Campingplatz mit Einkaufsmöglichkeit und Dusche oder ein Restaurant in der Nähe gibt. Deswegen wird auch mein Drang diesmal nicht so stark sein, möglichst schnell wieder in die nächste Stadt zu kommen.

Hinter dem Shenandoah National Park geht es mit Riesenschritten nach Harpersferry, dem AT-Midpoint-Office. Es sind nur noch 170 Meilen bis dahin, dann habe ich den halben Weg geschafft.

77. – 82.Tag Shenandoah National Park

Montag, 02.06. 77. Tag

Der Einstieg in den Trail gestaltete sich schwierig. Ich bin mehr als eine Stunde zwischen den vielen Straßen, Autobahn-Brücken und kleineren Wanderwegen herumgeirrt, bis ich endlich die richtige Stelle mit dem White Blaze Richtung Norden gefunden habe.

Kurz darauf muss ich meinen Zettel an der Registrierungs-Station ausfüllen und bewege mich ab jetzt im Shenandoah National Park. Dieser berühmte Nationalpark hat eine Gesamtlänge von 94,8 Meilen für die Wanderer. Das Besondere daran ist, dass er auf seiner ganzen Länge auch von Autofahrern auf Kurzwanderwegen besucht werden kann. Ohne Anstrengung also, wenn es mit Übernachtung sein soll, dann nennt man das „car-camping“. Eine breite Straße, die Skyline-Drive, geht 105 Meilen in weiten Kurven durch den Park und hat an allen markanten Punkten Parkplätze sowie Aussichtspunkte. Das bedeutet, etwa alle 5 Meilen aus dem Wald herauszukommen und wieder diese Ausflugsstrecke kreuzen zu müssen. Das stört enorm, es bietet aber auch einige Vorteile. Man ist so nahe an der Zivilisation, dass man ständig irgendwelche Versorgungsmöglichkeiten hat. Bedeutet natürlich : man muss nicht so viel Proviant herumtragen. Ich werde ab jetzt jeden Tag an irgendwelchen organisierten Campingplätzen vorbeikommen, wo man duschen, waschen und im Campstore ein paar Kleinigkeiten einkaufen kann. Außerdem gibt es unterwegs Restaurants, man kann manchmal morgens einen Kaffee trinken oder zwischendurch ein Eis essen. Ist ja auch ganz nett, aber der Verkehrslärm und die vielen Menschen sind gewöhnungsbedürftig. Im Shenandoah National Park werden die Shelter „huts“ genannt. Im Prinzip ist das aber das Gleiche wie eine Shelter, ein nach einer Seite offener Unterstand mit 3 Wänden aus Holz. Man braucht ein Camping-Permit, denn das Zelten unterliegt starken Einschränkungen. Es ist ausdrücklich nur für Thru-Hiker erlaubt, unterwegs das Lager für die Nacht aufzubauen und unterliegt strengen Regeln, deren Einhaltung man mit der Camping-Permit unterschreibt. 

An meinem ersten Tag im Shenandoah Nationalpark sehe ich schon bald nach dem Start einen Schwarzbären in knapp 10 Metern Entfernung vor mir. Groß und kuschelig sieht er aus, und er ist offensichtlich auf Nahrungssuche neben dem Weg. Der Bär ergreift die Flucht, dabei habe ich so viele leckere Sachen im Rucksack.

Ein paar Meilen weiter steht ein Reh direkt auf dem Trail. Es ist gar nicht scheu, sondern kommt mir sogar auf dem schmalen Weg ein kleines Stück entgegen und schaut mich aus großen Augen an.

Abends höre ich überall um mich herum Bären. Ein bisschen unheimlich, deswegen bin ich schon um 21.00 Uhr im Zelt verschwunden.

Dienstag, 03.06.                                      78. Tag

Gestern Abend ist tatsächlich noch ein Bär durch mein Lager gestapft. Ich habe ihn zwar nicht gesehen, weil ich kein Licht angemacht habe, aber es war ein großes und schweres Tier, bestimmt kein Reh. Bin trotzdem sofort eingeschlafen.

Heute am Vormittag berichten mir zwei ältere Damen auf einem Parkplatz von einer „Thunderstorm-Warning“ für den Nachmittag. Na, mal abwarten. Eine halbe Stunde später fängt es an zu regnen. Nicht schlimm, nur ein leichter Sommerregen, der etwa 3 Stunden andauert. Dabei ist es warm. Das ist mir vielleicht sogar lieber als wenn die Sonne so knallt, dass man nach einer halben Stunde total nassgeschwitzt ist.

Ein Reh steht mitten auf dem Trail, auch dieses völlig ohne Angst. Die Tiere hier im Nationalpark sind schon sehr an Menschen gewöhnt. Kurz darauf habe ich nochmal ein Reh ganz nahe vor mir, aber dieses springt schnell seitlich in den Wald davon.

Der Weg im Shenandoah ist einfach und schön. Es sind keine hohen Berge im Weg, der Trail führt über sanfte Huegel hinauf und hinunter. Als ich am Nachmittag voller Schwung um eine Kurve biege, da störe ich einen halbstarken Bären, der gerade dort sein Geschäft verrichtet. Er guckt etwas verdattert und trottet dann ganz gemächlich davon.

Ganz anders ein Auerhahn, der mir wenig später in die Quere kommt. Der ist richtig agressiv, läuft auf mich zu und faucht mich an. Vorsichtshalber bleibe ich stehen, bis der Vogel sich umdreht und davonflattert.

Auf dem weiteren Weg treffe ich noch mehrere Rehe und eine Ringneck-Snake, die sich schnell in die Büsche verkriecht.

Komme gut voran, so dass ich um 18.30 Uhr bereits 20 Meilen geschafft habe. Krönender Abschluss des Tages soll nun ein Abstecher zum Loft Mountain Campstore sein. Hier mache ich eine lange Pause mit Cola, Banane und Eis. Ein Feierabend-Bier nehme ich mir mit, denn ich will nur noch eine Meile weiter, um aus der „verbotenen“ Zone herauszukommen.

Zu Beginn des schmalen Weges, der mich wieder zum Trail führt, steht ein Schild mit einer Warnung vor Klapperschlangen. Au weia ! Diese Begegnungen liebe ich ja überhaupt nicht ! Vorsichtshalber ziehe ich mir alle meine drei langen Hosen übereinander an. Ich bin schon fast durch, da liegt wirklich etwa 3 Meter vor der Kreuzung zum AT eine fette Klapperschlange. Ich bewerfe sie mit Steinen, sicherlich 20 x, in der Hoffnung, dass die Schlange den Weg freigibt. Aber das beeindruckt sie anscheinend gar nicht. Wo die Kamera jetzt sowieso schon an ist, kann ich ja auch nochmal ein Stück zurücklaufen, um das Warnschild zu fotografieren. Vielleicht hat sich die Klapperschlange während der Zeit dann zurückgezogen. Aber denkste ….. Ich war vielleicht 5 Minuten weg, auf der hinteren Hälfte der Schlange liegen immer noch meine Steine. Trotzdem hat sie es geschafft, sich in dieser kurzen Zeit ein kleines Kaninchen zu schnappen. Das liegt jetzt mausetot vor ihr. Nun traue ich mich gar nicht mehr dran vorbei. Die wird bestimmt mächtig sauer, wenn ich mich ihrer Beute nähere. Der Weg ist eng, links und rechts stehen hohe Dornenbüsche. Fakt ist : ich komme jetzt und hier nicht mehr auf den Appalachian Trail. Deswegen drehe ich um und laufe 2 Meilen auf einem anderen Trail, der mich bis zu einem Restaurant führt. Habe in einem Schaukasten gesehen, dass es von dort aus einen Wanderweg gibt, der sich mit dem AT kreuzt. Aber beim Restaurant angekommen finde ich diese Route nicht. Auf einer Karte der Gegend ist das nicht eingezeichnet, sondern nur die Autofahrer-Route durch den Nationalpark ist ersichtlich. Immerhin kann ich genau erkennen, dass der Appalachian Trail in beiden Richtungen nahe an den Aussichtspunkten der Skyline Drive verläuft. Also mache ich mich auf den Weg entlang der Straße, hoffentlich in der richtigen Richtung. Leider sind die Dimensionen auf der Karte für Autofahrer ganz andere als in meinem AT-Buch. Ich laufe lange an der Prachtstraße entlang und stelle dabei fest : Asphalt ist doch deutlich härter als Waldweg. Jetzt tun mir die Füße weh. Immerhin kann ich einige tolle Aufnahmen vom Sonnenuntergang über den Bergen machen. So langsam kommt leichte Panik in mir auf. Zu beiden Seiten der Straße führt kein Weg in den Wald, es ist immer gleich steil. Aber ich kann doch mein Zelt nicht direkt am Skyline Drive aufbauen ! Der unnütze Zettel aus dem AT-Guide in meiner Hand ist zerknautscht und verschwitzt.

Endlich komme ich an einen „Overlook“. Ich bin wie es scheint sogar Richtung Norden gelaufen. Nicht weit hinter dem Parkplatz entdecke ich im letzten Tageslicht einen White Blaze. Nichts wie hinein in den Wald. Ich bin endlich wieder auf dem Trail. Die nächste flache Stelle ist meine. Das Zelten ist hier zwar nicht erlaubt, weil ich zu nahe an der Straße bin, aber das ist mir gerade total egal. Um 21.15 Uhr steht das Zelt, und der Proviantbeutel hängt weit weg und hoch genug im Baum.

Bin heute 26 Meilen auf dem Appalachian Trail gelaufen, das ist mein ( unbeabsichtigter ) neuer Tagesrekord. Insgesamt waren es mit Straße und dem anderen Wanderweg sogar um die 30 Meilen, also knapp 50 Kilometer.

Dann ist es endlich Zeit für mein verdientes Feierabend-Bier. Aber im Wald ist eine Menge los. Ganz in der Nähe kann ich Bären hören. Etwas später jagen sich irgendwelche Tiere und stoßen dabei merkwürdige quiekende Schreie aus. Bären sind das nicht, aber von Rehen habe ich solche Laute auch noch nicht gehört. Von hinten knackt es jetzt im Gebüsch. Als ich die Stirnlampe einschalte, da kann ich nur ein leuchtendes Augenpaar erkennen. Keine Ahnung, was das ist.

Mir reicht’s – ich habe für heute genug von den Tieren des Waldes. Werfe den Rucksack ins Zelt, um dort auszupacken und mein Bett zu richten. Denke, das ist insektenfreie Zone. Aber nein, ein ganz hässlicher Käfer krabbelt innen an der Decke. Der muss auch noch hinaus aus meiner Höhle. Dann ist hoffentlich endlich Ruhe.

 

Mittwoch, 04.06.                                       79. Tag

Kaum dass ich gestern das Licht ausgemacht hatte, da hörte ich nochmal eine Herde mittelgroßer Tiere mit diesen seltsamen Schreien auf der anderen Seite des Weges galoppieren. Was kann das bloß sein, was gibt es denn hier noch im Wald ? Ich vermute mal, es waren Stachelschweine. 

Nach dem Stress am Abend und den schätzungsweise 30 Meilen zu Fuß kann ich gut bis um 8.00 Uhr schlafen. Lasse den Morgen dann ganz gemütlich anfangen und starte erst um 9.30 Uhr. Bis dahin ist noch kein Mensch bei mir vorbeigekommen. Mein Lager muss ziemlich weit entfernt sein von allen Plätzen, wo die Hiker normalerweise campen. 

Ich bin sehr erleichtert, als ich nach einer halben Stunde die Pinefield Hut passiere. Erst ab jetzt kann ich wirklich ganz sicher sein, dass ich richtig gelaufen bin. 

Mittagspause mache ich auf einer wunderbaren Wiese unterhalb eines „Overlooks“. Oben an der Leitplanke sitzen zwei junge Hiker. Ein Auto hält an, und der Fahrer erzählt den Beiden, dass soeben ein großer Bär neben der Straße spazierengeht. Wenig später hält schon wieder ein Wagen, und eine Frau fragt die Jungens, ob sie eine Cola möchten. Kleine Trail Magic. Mich haben sie nicht gesehen, deswegen werde ich mir meine Cola morgen wohl selber kaufen. 

Am Nachmittag muss ich über den Hightop Mountain und den Saddleback Mountain. Die sind aber beide nicht besonders schlimm, ich komme gut mit 3 Meilen in der Stunde vorwärts. 

Irgendjemand hat mit Edding eine schwarze 900 auf einen Felsen gemalt. Die Nullen sind lachende Gesichter. Schon neunhundert Meilen geschafft. 

Ich staune über einen knallblauen Vogel. Nicht nur die Brust oder die Flügel sind farbig, sondern der kleine Vogel leuchtet komplett in Schlumpf-blau. Ich muss demnächst unbedingt mal einige Zeit im Visitor Center verbringen, um da die Bestimmungsbücher zu studieren. 

Endlich kriege ich auch noch einen Bären zu sehen. Es ist kein Jungtier mehr, aber auch noch nicht ausgewachsen. Der Bär sitzt etwa 5 Meter vom Weg entfernt zwischen den Bäumen und macht sich davon, als ich näher komme. Leider sehe ich die Tiere immer erst zu spät, um mich vorsichtig heranzupirschen und Fotos zu machen. 

Gegen 17.00 Uhr erreiche ich einen Abzweiger zu einer komfortablen Picnic-Area mit Wasser aus einer Pumpe, Picknick-Tischen und Toiletten. Hier wird ganz bequem gekocht und gegessen. Eigentlich wollte ich noch 1 – 2 Stunden weiterlaufen, aber der Himmel wird immer dunkler. Als ich vom Abwaschen und Zähneputzen komme, da fallen schon die ersten Tropfen. Deswegen beeile ich mich, in den Wald zu kommen und die vorgeschriebene halbe Meile Abstand zum Park zu erreichen.

Dabei störe ich wieder einen Bären, der ganz in der Nähe saß und nun nur noch von hinten zu sehen ist.

Finde zum Glück bald eine ebene Stelle und kann das Zelt aufbauen und den Proviantbeutel weghängen, bevor der Regen richtig losgeht. Es donnert und blitzt und kracht, dann pladdert es wieder heftig auf mein Dach. Aber ich bleibe innen trocken. Es ist ganz schön komisch, bei Tageslicht im Zelt zu liegen, denn es ist erst 19.00 Uhr. Aber nicht unangenehm. Es dauert auch gar nicht lange, bis ich eingeschlafen bin.   

 

Donnerstag, 05.06.                                           80. Tag

Nach einer langen Nachtruhe beginnt mein 4. Tag im Shenandoah National Park neblig und nass. Ziehe kurze Hose und T-Shirt an, das ist am Anfang ein bisschen kühl, aber so laufe ich schneller. Ich muss zunächst über den Baldface Mountain. Dort oben ist das Wetter noch schlechter. Habe direkt nach dem Start wieder einen Bären aufgeschreckt, der schnell Reißaus nimmt. 

Es sind nur 5 Meilen bis zu meiner Frühstückspause am Lewis Mountain Campground. Beim ersten Einkauf hole ich mir einen halben Liter Milch zum Sofort-Trinken und zwei Becher Kaffee, der hier relativ teuer ist. Damit kann ich meine trockenen Kekse hinunterspülen, die ich seit Glasgow mit mir herumtrage. Das nächste Mal plaudere ich nett mit dem Laden-Betreiber. Dafür bekomme ich die folgenden beiden Kaffee als „refill – for free“ und muss nur mein Eis bezahlen. Bin überhaupt nicht motiviert, denn der Wind treibt dicke Nebelschwaden über den Campingplatz. So bleibe ich ganze zwei Stunden warm angezogen auf der Veranda sitzen und beobachte die Vögel und Streifenhörnchen. Hier gibt es besonders viele knallrote Cardinale, die sind bis zu 25 Zentimeter groß und ein Wahrzeichen Virginias. Dann geht es unter die warme Dusche, 5 Minuten warmes Wasser für 1 US$. Das Beste am Duschraum ist die Heizung, denn darauf kann ich meine Hiking-Klamotten innerhalb kurzer Zeit fast trocken bekommen.

Irgendwann mache ich mich doch wieder auf den Weg und laufe die 8 Meilen bis zu meiner nächsten langen Pause durch. Keine großen Tiere, nur kleine Salamander und 30 Zentimeter lange Regenwürmer auf dem Trail.  

Ich komme an einem Friedhof vorbei, auf dem unzählige „Meadows“ und ihre Verwandten begraben liegen. Denen muss hier mal das ganze Land gehört haben. Mein nächstes Ziel ist das Big Meadows, eine große Picknick-Zone mit Toiletten, Restaurant, kleinem Souvenir-Laden und Visitor-Center.

Ich bin voll in Schwung und viel zu schnell. Deswegen bin ich einen Hügel zu weit aufgestiegen. Oben habe ich einen tollen Ausblick und stelle fest, dass ich schon lange am Abzweiger vorbei bin. Also muss ich wieder zurück und den Berg hinunter bis zum Sidetrail nach Big Meadows. Finde ich gerade gar nicht schlimm, weil ich heute noch nicht viel gelaufen bin und auch keine Riesen-Etappe mehr geplant ist.   

Mittlerweile hat sich die Sonne blicken lassen, so dass ich auf der grünen Wiese mein Zelt zum Trocknen aufbauen kann. Darauf folgt ein Besuch im „Byrd Visitor-Center“. Der blaue Schlumpf-Vogel ist ein Indigo Bunting ! Danach gibt es natürlich noch ein richtiges Essen im Restaurant. Viel zu schnell sind wieder 2 Stunden vergangen. Ein paar Meilen möchte ich gerne noch weiterkommen, denn für morgen habe ich wieder ein tolles Frühstücks-Ziel.

Unterwegs habe ich noch einen Riesen-Turkey, der mitten auf dem Trail saß, in Aufregung versetzt. Er flattert wild mit seinen großen Flügeln und fliegt dann geschickt zwischen den Bäumen davon, ohne irgendwo anzustoßen.

Super-Zeltplatz am Abend, was in Virginia nicht an jeder Ecke zu finden ist. Weiches Laub, drumherum ein paar Bäume als Schutz vor Wind und Regen. Auf der anderen Seite des Weges liegt ein herausragender, dicker Felsen, auf dem ich bequem sitzen und dem Sonnenuntergang zusehen kann.

 

Freitag, 06.06.                                                             81. Tag 

In 3500 Fuß Höhe war die Nacht wieder kalt. Habe mir gegen Mitternacht noch ein paar dicke Socken und den Regenponcho angezogen.

Meine Blutblase, die ich seit dem Mückenstich in Glasgow habe, bildet sich langsam zurück. Nein, ich habe sie nicht aufgestochen. Bin ganz stolz, dass ich nicht daran herumgefummelt habe. Dafür bin ich heute mit einer dick angeschwollenen Hand aufgewacht. Da hat mich gestern eine winzig kleine Mücke gestochen. Oder sind das etwa inzwischen mehr Stiche geworden ? Auf jeden Fall ist meine rechte Hand dick, juckt und brennt. Ich nehme direkt morgens eine Anti-Histamin-Tablette ein, zum Frühstück gibt es gleich noch eine. Vielleicht wäre das auch eine gute Erste-Hilfe-Maßnahme, wenn mich mal eine giftige Schlange beißt.

Früher Start, um 9.15 Uhr bin ich bereits knapp 5 Meilen gelaufen und sitze im schicken „Dining-Room“ des Skyland Restaurants. Habe mich natürlich vorher ausgehfein gemacht. Schade, heute gibt es leider kein Frühstücks-Buffet, wahrscheinlich nur am Wochenende. Also bestelle ich Blaubeer-Pfannkuchen. Hier werden die Blaubeeren nicht einfach in den Teig gematscht, sondern werden ganz fein in einer Extra-Schüssel gereicht. Außerdem gibt es noch eine kleine Schale mit Butter und Sirup dazu. Ab heute kenne ich den Unterschied zwischen dem echten, teuren Maple-Sirup und dem billigen Verschnitt, den man sonst überall serviert bekommt. Ich sitze an einem edel gedeckten Tisch mit Platzdeckchen und Stoff-Serviette, trinke Wasser mit Eis aus einem Weinglas und Kaffee aus einer richtigen Porzellantasse. Meine Pfannkuchen sind dekorativ mit Puderzucker bestäubt, auf dem Tellerrand liegt eine Orangenscheibe als Garnitur. Sehr nobel und sehr lecker ! Am Ende zahle ich für mein tolles Frühstück 7 US$, das sind etwas mehr als 5 Euro. Aufladen vom Handy-Akku war im Preis mit drin.

Mittags komme ich an einem Freiwilligen vorbei, der die überhängenden Sträucher zu beiden Seiten des Trails schneidet. Die freuen sich immer, wenn man sich kurz mit ihnen unterhält, ihre Arbeit lobt und sich dafür bedankt.

An einem Parkplatz hinter einer Picnic-Area stehen mehrere Kanister Wasser für die Hiker.

Kurz darauf habe ich endlich zwei Bären sehr nahe und nicht nur für einen Moment vor mir. Ein junges Tier direkt auf dem Trail, aber das macht sich schnell nach links in die Büsche davon. Direkt dahinter kommt ein größerer Schwarzbär von rechts nach links über den Weg gelaufen. Der hat es gar nicht eilig, sondern spaziert ganz in Ruhe vor mir lang. Aber bis ich mal das Handy aus der Tasche geholt, angemacht und hochgefahren habe ….. da ist dann auf den Bildern nicht mehr viel zu erkennen von den Bären im Wald.

Während meiner nächsten Pause sehe ich mir meine geschwollenen Hand etwas genauer an. Der Mückenstich ist klar zu erkennen, sieht leicht entzündet aus und nässt. Aber das wird vom vielen Kratzen in der Nacht kommen. Drumherum sind ganz viele kleine Pickelchen zu erkennen. Das können doch nicht alles Stiche sein. Je länger ich darüber nachdenke, umso sicherer werde ich mir, dass ich wohl mit Poison Ivy in Berührung gekommen bin. Das ist eine auf dem AT weit verbreitete Grünpflanze ähnlich unserer Brennessel, nur mit stärkerem Gift. Das muss passiert sein, als ich in der Nacht einmal im Dunkeln draußen war. Nehme vorsichtshalber noch eine weitere Allergie-Tablette ein und streue großzügig GoldBond-Puder auf die Hand. Das hilft fast gegen alles.

Bin wieder ziemlich schnell unterwegs. Gegen Abend hin lege ich nochmal einen Zahn zu, damit ich vor 19.00 Uhr bei der nächsten Einkaufs-Möglichkeit ankomme. Schaffe es auch gerade noch rechtzeitig zum Elkwallow Wayside und kann mir dort ein paar Leckereien für den Abend kaufen. Kaum dass der Laden und das Restaurant geschlossen haben und die letzten Autos vom Parkplatz gefahren sind, da kommen die Rehe aus dem Wald und grasen friedlich um mich herum. 

Übernachten will ich heute gleich um die Ecke. Das ist nicht ganz legal, weil ich zu nahe am Vergnügungs-Zentrum bin, aber so kann ich am Morgen gleich noch einmal hingehen und mich versorgen.

Habe eine Mücke und eine Spinne mit dickem, roten Körper im Zelt- Mordquote 50 %, die Spinne wird lebend an die Luft gestzt.

 

Samstag, 07.06.                                          82. Tag

Die Schwellung an meiner Hand ist zwar noch nicht weg, aber doch deutlich zurückgegangen. Dafür habe ich jetzt einen neuen Mückenstich direkt auf der Schulter. Das ist eine ganz blöde Stelle. Der wird wahrscheinlich wegen der ständigen Reibung beim Tragen erst nach dem nächsten Off-Day wieder verschwinden. Außerdem quälen mich noch zwei Mückenstiche auf dem Fuß, die sind auch sehr lästig.

Bleibe heute länger liegen und gehe pünktlich zur Öffnung um 9.00 Uhr nochmal zum Shop und Restaurant. Es gibt Kaffee und Eis zum Frühstück, auch hier bekomme ich meinen 2. Becher umsonst. Kaufe nur zwei Bananen und einen Käse zum Mitnehmen, weil ich den Roller Coaster mit möglichst wenig Gewicht machen möchte.

Schade, nun sind die Schlemmermeilen vorbei. Solche Angebote könnten Thru-Hiker jeden Tag gebrauchen, damit sie am Ende nicht so abgemagert ankommen.

Keine besonderen Tier-Erlebnisse. Außer : Milliarden von kleinen Fliegen schwirren mir um den Kopf herum und versuchen, in Augen, Ohren, Nase und Mund zu kriechen. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass wir damals beide fast einen Nervenzusammenbruch hatten wegen dieser Plagegeister. Also, Mund zu und die Augen möglichst weit zusammenkneifen. Nachher wird endlich mein toller Safari-Hut mit passendem Moskitonetz aus den Tiefen des Rucksacks geholt.

Ein wunderbarer Duft liegt über dem Wald, mal nach Weichspüler und dann wieder mehr nach Himbeer-Bonbons. Es riecht so richtig lecker über weite Strecken, es blüht inzwischen überall.

Und dann bin ich auch schon durch den Shenandoah National Park hindurch, die Registrierungs-Station zeigt es ganz deutlich. Ab jetzt wird der Weg nicht mehr so gut gepflegt sein.

Schon bald kommt ein steiler Abstieg über Bonebreaker-Steine. Danach führt der Trail über Holzstege weiter, denn hier ist das Gebiet sehr sumpfig.

Wo früher einmal Trail Magic am Wegesrand aufgebaut war, da steht heute nur noch ein verlassener Tisch mit einem Porzellanbären und der USA-Flagge drauf. Dazu gab es 2012 noch das freundliche Angebot, dass man auf der Wiese hinter dem Zaun zelten und sich Wasser von der Pumpe am Haus holen darf. Heute keine Trail Magic und keine Zettel mehr – diese netten Leute sind wahrscheinlich weggezogen, sonst hätte ich das Angebot diesmal gerne wahrgenommen.

Aber dann hätte ich wohl die nächste Trail Magic verpasst. Hinter der Straße, die nach Front Royal führt, steht ein Tisch mit kalten Getränken. Eistee zum Abfüllen in die Flasche sowie Kirsch- und Ananas-Limonade in Dosen. Ich wähle diesmal Ananas, schmeckt sehr süß und künstlich. 

Nur ein kleines Stück weiter finde ich einen sonnigen Platz für mein Zelt. Frisch gemähte Wiese neben dem Weg, das lädt zum frühen Feierabend ein. Heute Abend bade ich förmlich in Mückenspray. Sitze nach dem Essen noch lange draußen und kann zum ersten Mal in diesem Jahr die Glühwürmchen beobachten. Die ganze weite Wiese und den Berg hinauf leuchtet es überall wie Hunderte kleiner Irrlichter. Dazu blitzt und funkelt ein sternenklarer Himmel – einfach wunderschön !