Wir segeln und wandern durch die Welt

Roller Coaster bis Duncannon

Harper’s Ferry nicht ohne Roller Coaster

Sonntag, 08.06.                           83. Tag

Schon nach knapp 2 Stunden erreiche ich die Jim & Molly Denton Shelter – ein Prachtstück mit Veranda, bequemen Stühlen und einer Solardusche. Da ich hier gerade alleine bin, nutze ich die gute Gelegenheit für Reinigung und Erfrischung. Das Dumme ist nur, dass diese Solarzellen zu jeder Tageszeit im Schatten unter Bäumen versteckt liegen, so dass das Wasser eigentlich immer kalt ist. Also eigentlich ist diese Dusche eine Fehlkonstruktion, wenigstens was die Auswahl des Standortes betrifft. Habe heute schon drei junge Männer überholt und hinter mir gelassen, von den Day-Hikern ganz zu schweigen.

Es riecht wieder überall total gut um mich herum. Gerade noch aus den Augenwinkeln heraus kann ich einen Bären sehen, der schnell vor mir wegrennt. Woody Woodpecker pickt auf die Baumrinden ein, als ob es um sein Leben geht. Dieses tackernde Geräusch der Spechte verfolgt mich den ganzen Tag hindurch.

Kurz nach meiner Mittagspause finde ich an einer kleinen Brücke eine großzügige Trail Magic. Dort steht eine Riesenkiste bis obenhin voll mit Käse-Crackern, Oreo-Keksen in hell und dunkel, verschiedenen Sorten Chips. Gleich daneben sind etliche Kartons mit Mountain Dew und Cola aufgebaut, insgesamt sicherlich mehr als 100 Dosen. Ein Thru-Hiker aus dem Jahr 2013 mit Trail-Namen „Draggon Fly“ hat hier richtig viel aufgefahren. Es ist mehr als genug da, deswegen nehme ich mir etwas mit für später.

Am Nachmittag sehe ich eine Black Racer von enormen Ausmaßen auf dem Trail. Sie liegt lang ausgestreckt vor mir, so dass ich ihre Länge gut auf etwa 2 Meter schätzen kann. Diese Schlange ist so nett, dass sie mir Platz macht. Sie bleibt aber noch lange genug an der Seite liegen, damit ich einige Fotos machen kann, bevor sie in einem hohlen Baumstamm verschwindet.

Die nächste Pause mache ich an einer Quelle. Während ich da sitze, höre ich seltsame, rülpsende Geräusche aus der Richtung, wo das Wasser aus den Felsen rinnt. Das kann ich zuerst gar nicht zuordnen, bis eine fette Kröte herauskommt, die anscheinend hier zu Hause ist. Zwei buntschillernde Libellen schwirren ebenfalls über dem Tümpel. Bin gerade hellauf begeistert von den Erlebnissen dieses Tages.

Meine nächste Etappe führt durch den Sky Meadows State Park. Am Eingang stehen große Schilder mit dem Hinweis, dass Zelten verboten ist außer an der Shelter. Okay, dann muss ich hier wohl noch durch, es sind ja nur ein paar Meilen. Mittendrin überrascht mich ein Regenschauer. Schnell den Poncho als Schutz über den Rucksack binden, der Rest ist sowieso schon nass. Auch hier ist der Weg gepflegt. Aber irgendwie schaffe ich es trotzdem, einen abgeschnittenen Dornenzweig zwischen die Füße zu bekommen und habe mir damit beide Beine aufgekratzt. Das sieht jetzt aus, als ob ich mit einer wilden Katze gespielt habe.

Der Himmel wird immer dunkler, deswegen mache ich früh Feierabend. Kaum aus dem State Park heraus, da finde ich neben einem Fluss eine flache Stelle, was ja nicht selbstverständlich ist in Virginia. Glück muss man haben ! Mit dem Essen klappt das dann nicht mehr ganz so gut. Bin gerade erst zur Hälfte fertig, da grummelt es ordentlich und fängt gleich darauf an zu regnen. Schaffe es gerade noch, alle Klamotten ins Zelt zu werfen, die ich vor dem Guss retten will. So kommt es, dass ich schon um 19.00 Uhr in meiner kleinen Höhle sitze und eine lange Nachtruhe vor mir habe.

Ein heftiges Gewitter tobt über mir, es donnert und blitzt fast ohne Unterbrechung. Der Regen pladdert heftig auf mein Dach und auf den Waldboden, so dass es links und rechts am Rand etwas herein spritzt. Aber ich mache mir mein Lager in der Mitte zurecht und liege da sehr gemütlich. Ganz in der Nähe höre ich einen Baum mit lautem Getöse umkrachen. Um mich herum habe ich mir alle Bäume genau angesehen, ob sie vielleicht morsch sind. Das mache ich immer, wenn viel Wind oder Gewitter droht, damit mir in der Nacht nichts auf den Kopf fällt.

Montag, 09.06.                                             84. Tag

Das Zelt ist siffig, der Wald nass und matschig. Schon früh am Morgen stolpere ich fast über eine Black Rat Snake von ca. 1,50 Meter Länge. Die liegt mitten zwischen den Felsen, über die ich gerade steigen will. Ich bekomme einen gehörigen Schrecken und lege erst einmal den Rückwärtsgang ein. Aber die Schlange will nichts von mir, sie verschwindet seitlich zwischen den Steinen.

Um 8.30 Uhr beginne ich mit dem „Roller Coaster“. Mein Buch schreibt dazu : „13,5 miles of tightly packed ascents and descents“. Das ist eine ganze Kette spitzer Berge. Steiler Anstieg bis auf den Gipfel, dann auf der anderen Seite wieder bis gaaaaanz hinunter. In den Tälern fließen kleine Flüsse, die auf Trittsteinen und wackeligen Baumstämmen überquert werden müssen. Und dann geht es wieder hoch zum nächsten Top …. und immer so weiter. Das ist echt gemein, der Schweiß rinnt in Strömen. Heute habe ich 9 solcher Berge zu bewältigen, der kleinere Rest kommt dann morgen dran.

Nachmittags gegen 16.00 Uhr habe ich den Abzweiger zum Bears Den Hostel erreicht. Weil ich recht früh dort bin, bekomme ich noch eine Matratze im Vierer-Zimmer mit offenem Durchgang zum 8-er Schlafsaal. Außerdem freue ich mich über eine warme Dusche, Waschmaschine, Pizza, Eis und Soda. Ich wasche sogar mein Kissen und mein Schlafsack-Inlet. Leider gibt es hier kein WIFI, und das Internet für Gäste lahmt total. Kein Wunder, schließlich liegt das Hostel in einem ehemaligen Schloss tief im Wald.

Das Wetter bleibt durchwachsen, es gibt immer mal wieder einen Regenschauer und jeden Abend Gewitter. Aber ich habe alle meine Sachen wieder sauber und trocken. Werde die kommende Nacht auf einer richtigen Matratze mit sauberen Laken sehr genießen. Das letzte Bett ist immerhin schon eine ganze Weile her. War das in Daleville ?

20140521_073222

Dienstag, 10.06.                    85. Tag

Habe tatsächlich bis 8.00 Uhr morgens wunderbar geschlafen. ALLE sind schon an mir vorbeigegangen, die 11 Hiker aus dem Schlafsaal sowie einige andere Leute, die ihr Zelt im Garten aufgestellt hatten. Der Weg zur Küche und zum Frühstück führt direkt an meinem Bett entlang. ALLE sind schon fertig, die meisten Hiker bereits unterwegs, und ich habe gar nichts gemerkt. Hilfe ! Frühstück verpasst, um 9.00 Uhr ist Check-Out, Packen muss ich auch noch. Schnell nach oben in die Küche, um die Kaffeemaschine nochmal anzustellen. Ich bekomme sogar die letzten Pfannkuchen mit Butter und Sirup, die noch übrig sind.

Draußen ist es sehr neblig. Für heute und die nächsten Tage sind Temperaturen um die 30 Grad Celsius vorhergesagt, dazu immer eine 50 %-ige Regen-Wahrscheinlichkeit. Die Luftfeuchtigkeit ist so hoch, dass man mich nach nur einer Stunde schon wieder auswringen kann.

Alsbald stehe ich vor der Herausforderung, eine vielbefahrene Straße überqueren zu müssen. Die Autos fahren schnell, es gibt 2 x 3 Fahrspuren in beiden Richtungen. Das ist nun wirklich gefährlich. Heile auf der anderen Seite angekommen, werde ich von einer kleinen Trail Magic überrascht. Ein ehemaliger Thru-Hiker namens „Old Crow“ steht da mit seinem Wagen und verteilt Snickers. Er gibt mir 2 Stück mit auf den Weg, weil ich ja gerade erst gegessen habe. Nachdem ich eine halbe Stunde weitergelaufen bin, kapiere ich endlich den Witz an der Sache : Er stand mit seinem Auto am Snickers Gap. Gute Idee !

Komme an einem Holzschild mit einer riesigen 1000 vorbei. Wieder ein Meilenstein auf dem Weg, mehr als 1600 Kilometer zu Fuß sind geschafft. Kurz danach passiere ich die Grenze von Virginia nach West-Virginia.

Ich habe noch vier spitze Berge am Vormittag zu bewältigen, dann liegt der Roller Coaster endlich hinter mir. Ein großes Deer springt vor mir davon, etwas später steht ein kleineres Reh ganz zutraulich neben dem Trail.

Am Nachmittag muss ich mich entscheiden, ob ich heute noch bis Harper’s Ferry laufen oder lieber erst morgen früh dort ankommen möchte. Mache am Keys Gap eine halbe Meile Umweg, um in Torlone’s Restaurant essen zu gehen. Der Laden sieht noch genauso ungemütlich und schmuddelig aus wie vor 2 Jahren. Ich bestelle einen Chef-Salat und dazu Knoblauchbrot. Es dauert ewig, bis mein Salat kommt, aber dafür ist der richtig frisch und lecker. Die Portion ist riesig, natürlich schaffe ich es trotzdem. Nehme mir noch von der Tankstelle nebenan etwas zum Trinken für den Abend mit und bin gut gestärkt um 18.00 Uhr wieder auf dem Trail.

Ab hier wird der Weg nun richtig unordentlich und steinig. Ich stolpere mehr als dass ich laufe. Man muss sehr gut aufpassen und die Füße richtig hoch heben. Daran muss ich mich erst einmal wieder gewöhnen. Ja, wir nähern uns Pennsylvania. Meine Schuhe werden das wohl auch nicht mehr lange mitmachen.

Ein kleiner Regenschauer lässt mich den Feierabend herbeisehnen, aber der anvisierte campsite ist schon besetzt. Finde aber einen guten Platz eine halbe Stunde weiter und bin somit nur noch 3 Meilen von Harper’s Ferry entfernt, wo ich dann morgen das Hauptquartier der Appalachian Trail Conservancy stürmen werde. Beim Aufbauen meines Zeltes habe ich einen kleinen Frosch gestört, der ganz entrüstet an die Seite hüpft. Und schon wieder habe ich ein klitzekleines Loch oben drin, das muss ich gleich noch kleben.

Mittwoch, 11.06.                                    86. Tag


Bin bereits um 9.00 Uhr morgens beim ATC, wo mich Peter Pan, den wir bereits 2012 kennengelernt haben, herzlich begrüßt. Ich werde als Thru-Hiker mit der Nummer 520 in das Register aufgenommen und vor dem Haus wird das obligatorische Foto für den Ordner aufgenommen. Darin finde ich auch unser Bild von vor 2 Jahren sowie die Gesichter einiger alter Bekannter von früher. Die Krieger vom Warrior-Hike waren gestern da und haben, wie immer, eine große Party gefeiert. Davon sind noch genug Reste übrig geblieben. Ich bekomme Eis mit Toppings ( Nüssen, Sauce, Sahne ) angeboten, es gibt Kuchen, Bananen, dann liegen dort noch verschiedene weitere Knabbersachen. Ich frühstücke also auf Kosten von Warrior Hike – danke schön. Natürlich steht hier im ATC Hauptquartier eine Personenwaage. Die zeigt bei mir 137 pounds an, das bedeutet, ich habe bis  jetzt 12 Kilo abgenommen.

Werde meine Strategie ändern und zusätzlich zu den Mahlzeiten morgens und abends ein Snickers extra essen. Eis natürlich immer in Mengen, am Besten mit Sahne, noch mehr Käse, außerdem Milch trinken, wo immer sie verfügbar ist.

Harper’s Ferry ist ein kleines, idyllisches Dorf in West-Virginia. Dort leben nur 300 Einwohner, aber es ist durch seine Nähe zum Shenandoah River und Nationalpark sehr beliebt bei Touristen. Einkaufsmöglichkeiten gibt es hier so gut wie keine. Musste bis ans Ende vom Dorf laufen, um in einem 7-Eleven, einer Art Kiosk, ein paar Lebensmittel für die nächsten Tage zu besorgen. Blog schreiben ging auch nicht, weil meine Homepage stets als „Pishing Page“ abgewiesen wurde. Selbst das Personal der Bücherei mit Administrator-Rechten und Passwort konnte mir den Zugang zu meiner gefährlichen Seite nicht freischalten. In diesem Bundesstaat wird das Internet stark kontrolliert. Herunterladen der neuen Version von GooglePlay oder What’sApp funktionierte ebenso wenig wie Skype.

Hier in Harper’s Ferry habe ich auf einer Wiese endlich meine erste Schildkröte in diesem Jahr gesehen.

Kurz vor 18.00 Uhr schaue ich nochmals im ATC Headquarter vorbei, um meinen Rucksack abzuholen und mich zu verabschieden. Da wird mir noch einmal Essen vom Warrior Hike aufgedrängt : Kuchen, Eis mit allen möglichen Toppings sowie einige Bananen zum Mitnehmen. Es ist alles nur süß und fett – danach ist mir schlecht. Vom Büro aus sehen wir eine dunkle Wolkenwand auf uns zukommen. Sie zieht von West nach Nord, genau zum AT. Kaum bin ich losgelaufen, da fängt es auch schon an zu regnen. Und es gibt sehr viel Wind dazu, der Poncho fliegt nach allen Seiten. Der Trail ist bald kein Weg mehr, schon bald steht das Wasser knöcheltief. Ausweichen ist nicht möglich, also muss ich da durch. Nach einer Stunde sind aus den Pfützen schon kleine Seen geworden, manchmal fast bis zu den Knien tief. Einmal rutsche ich aus und falle samt Rucksack ins brackige Pfützenwasser, aber der Regen spült alles schnell wieder ab. Dann kommen Blitz und Donner hinzu. Hier kann man nirgends campen, weil bereits alles unter Wasser steht. Ich muss unter einer Autobahn-Brücke hindurch und beschließe, mein Zelt unter dieser Brücke aufzustellen, um wenigstens ein bisschen Schutz vor dem Unwetter zu haben. Kein schöner Platz, und trocken ist es da auch nicht. Ich warte noch ab, bis es ganz dunkel ist. Natürlich kommt kein Mensch mehr vorbei. Dann baue ich notdürftig mein Zelt auf, denn eigentlich ist der Betonweg zu schmal dafür. Mit Heringen in die Erde – das wird auch nichts. Habe vorhin ein paar dicke Steine gesammelt, mit denen ich nun die Seiten und das Vorzelt irgendwie aufrichte. Bin klatschnass, aber so kann ich die Nacht herumkriegen. Der Autolärm stört gar nicht so sehr, denn die Geräusche des tosenden Flusses unter mir und des Gewitters über mir sind lauter. Stelle mir den Wecker auf 6.00 Uhr, weil ich möglichst  zeitig wieder von hier verschwinden möchte.

20140615_121854_harpersferry

Waynesboro PA, Boiling Springs bis Duncannon

Donnerstag, 12.06.                                       87. Tag

Stehe schon lange vor dem Wecker auf. Konnte mich in der Nacht überhaupt nicht bewegen, weil der Platz zu schmal und das Zelt nicht ordentlich aufgebaut war. Mein Kissen ist feucht. Alles ist nass und schmutzig und schwer. An der nächsten Straße gibt es nur eine Meile weiter westlich ein bezahlbares Hotel. Das klingt verlockend, aber dann stehe ich dort um 7.30 Uhr vor der Tür, und das Zimmer wird erst gegen Mittag fertig sein. Ich entschließe mich dazu, einfach mit dem ganzen siffigen Zeug weiter zu laufen.

Habe mir wohl gestern im Dunkeln an einem scharfkantigen Stein die Innenfläche der rechten Hand aufgerissen. Es sieht aus wie ein gezackter Schnitt und brennt. Kann schon dabei zugucken, wie sich die schmutzige Wunde entzündet.

Ich versuche, mir den Tag schön zu reden :

– Das ist gar kein Regen, das ist doch nur dicker Nebel.

– Nach dem ersten Anstieg bleibe ich fast immer in der Höhe, das kann nicht so anstrengend sein.

– Bin schon sehr früh unterwegs und kann deswegen ganz entspannt viele Meilen schaffen.

– Wenn ich heute gut vorankomme, bin ich morgen abends schon beim Walmart und Subway.

Ich habe für die nächsten 15 Meilen gar keinen Plan, weil sich mein aktueller Lauf-Zettel gestern im Regen aufgelöst hat. Macht nichts, irgendwann wird eine Shelter mit Quelle am Weg liegen. Und ich werde durch einen weiteren State Park laufen, da wird es auch Wasser geben.

Noch einmal sehe ich so eine hübsche Schildkröte wie gestern auf dem Weg, dunkelbraun mit kräftig orangefarbener Zeichnung auf dem Rücken. Aber das war’s dann auch schon an guter Unterhaltung, der Rest des Tages macht mir keinen Spaß.

Aus dem dicken Nebel wird bald Regen. Aus dem Regen wird ein Wolkenbruch, der anscheinend nicht mehr aufhören will. Den ganzen Tag fließendes Wasser auf dem Trail, bergauf kommt es mir entgegen, bergab schliddere ich mit dem Strom nach unten. Landunter – genau wie gestern. Kein Ausweichen möglich, weil die tiefen Pfützen die ganze Breite des Weges einnehmen. Also patsche ich immer mitten hinein und laufe den ganzen Tag in nassen Schuhen.

Einmal hocke ich mich zur Pause kurz unter einen dicken Baum, um einen besonders schlimmen Guss abzuwarten. Habe heute zwei müde Krieger vom Warrior-Hike überholt, die sahen auch nicht besonders motiviert aus. Am Nachmittag verbringe ich fast 3 Stunden auf der Damentoilette des Washington State Monument Park. Hier gibt es einen Händetrockner, unter dem ich mein Kissen und ein paar andere wichtige Dinge trockenföhnen kann. Ich muss meinen Proviant-Beutel leeren, alles abtrocknen und umfüllen, weil innen drin wieder Wasser stand. Es schüttet immer noch wie aus Kübeln, deswegen koche ich mir etwas Warmes, esse, wasche ab und warte auf Wetter-Besserung.

Um 17.00 Uhr wird es endlich heller, es nieselt nur noch leicht. Also los, etwa 5 Meilen weiter und dann im Hellen noch einen akzeptablen Platz für die Nacht finden. Sagte ich schon, dass alles nass ist, auch der Waldboden ? Zelt aufbauen, von innen saubermachen und trockenreiben. Eine Spinne einfangen und nach draußen befördern. Ganz wichtig : Füße pflegen. Heute war einer der drei schlimmsten Tage auf dem Trail. Ein Tag, an dem man sich fragt : Warum mache ich das eigentlich ?  Und will ich das wirklich noch länger haben ? Aber man soll ja nie an einem Regentag aufgeben – und morgen kann es eigentlich nur besser werden.

Freitag, 13.06.                                    88. Tag

Leider wieder dasselbe Spiel wie gestern : erst Nebel, dann Regen, gefolgt von sintflutartigen Wolkenbrüchen. Es ist einfach unglaublich, was da für Wassermassen vom Himmel stürzen. Das kann man gar nicht vergleichen mit dem, was wir von zu Hause gewohnt sind.

Zelt, Rucksack, Kleidung, einfach alles ist nass und schwer. Dazu noch das Wasser in den Schuhen, nun schon den dritten Tag. Jede Pause versuche ich, meine Füße an der Luft zu trocknen und reibe sie mit Puder ein. Keine Unterstellmöglichkeit den ganzen Tag lang. Nützt alles nichts. Ich laufe einfach immer weiter mit dem Ziel „Waynesboro“ am Abend.

Interessant wird es am Nachmittag, denn aus einem kleinen Bach ist ein reißender Strom geworden, den es zu Durchqueren gilt. Da gibt es aufgrund der starken Regenfälle keine Trittsteine mehr zu sehen. Ein Mann kommt mir entgegen, er ist bereits auf halbem Wege durch den Fluss. Barfuß, das Wasser reicht bis an seine Shorts. Er sieht sehr unsicher aus dabei. Nein, da möchte ich nicht durch. Laufe ein paar Minuten durch’s Gestrüpp weiter flussaufwärts, bis ich an eine Stelle komme, wo der Fluss zweigeteilt ist. Bin ja dank unserer Erfahrungen in Maine seit 2012 Meisterin im Fjorden ! Also Schuhe und Socken aus, Hose hochkrempeln, die Riemen vom Rucksack lösen und mit den Stöckern immer den nächsten Meter voraus abtasten. Natürlich gehe ich nicht barfuß, sondern ziehe dafür meine Crocs an. Der kauzige Fährmann vom Kennebec River hat uns sogar geraten, im Wasser die Hiking-Schuhe anzulassen. Dann sind die zwar nass, aber es ist sicherer. Das Fjorden geht sehr gut, das Wasser ist im ersten Teil etwas mehr als knietief. Der nächste Abschnitt ist noch flacher, dafür ist die Böschung am anderen Ufer sehr schräg und rutschig. Habe einige Mühe, dort hinauf zu kommen. Immer wenn ich ein Bein zum Klettern anhebe, droht mich die starke Strömung umzureißen. Ich muss mich mit aller Kraft und Hilfe der Stöcker dagegen stemmen. Dann bin ich durch und laufe auf der anderen Seite wieder Richtung Trail.

Eine knappe Meile weiter bietet sich noch einmal das gleiche Bild : wieder ist aus einem Bach ein breiter Fluss geworden. Eine Gruppe Jugendlicher ist gerade am Fjorden. Sie sehen besorgt aus, das Wasser reicht ihnen stellenweise bis zum Hintern. Ich werde es nicht an dieser Stelle versuchen, sondern lieber einen Umweg in Kauf nehmen. Diesmal muss ich mich noch weiter am Ufer entlang durch den Wald schlagen, bis ich die Ursache für diesen reißenden Strom entdecke. Insgesamt drei Bäche stürzen mit tosenden Wassermassen zusammen in diesen einen Flusslauf. Kein Wunder, dass der so angeschwollen ist. Hier muss ich gleich 3 x durch’s Wasser laufen, bis ich ans andere Ufer gelange. Einmal breche ich in einem Biberdamm ein, aber weil ich noch ein Bein und beide Stöcker fest auf Grund hatte, bin ich nicht allzu tief eingesunken.

Als das geschafft ist, muss ich dringend Pause machen und mir überlegen, wohin ich mich jetzt wenden soll. Auf der anderen Seite ist kein Durchkommen. Aber es geht eine steile Böschung hinauf bis an eine Straße. Hochklettern, dann über die Leitplanke steigen und auf der Hauptstraße zurück zum AT. Das gibt wieder ein paar Kratzer mehr an den Beinen. Die letzte Stunde war richtig spannend. So ein Hochwasser kann man in der 100-Mile-Wilderness gar nicht gebrauchen, wo es ungefähr ein Dutzend Flüsse zum Durchqueren gibt.

Ab 17.00 Uhr ist es endlich trocken. Gegen 18.30 Uhr bin ich in Waynesboro / Pennsylvania ( ja, es gibt zwei, das andere lag in Virginia ). Erste Aktion : Zelt aufbauen und mein ganzes Zeug am Rande vom Parkplatz ausbreiten. Dann Geld aus dem Automaten holen und eine SMS nach Hause schreiben. Während dieser kurzen Zeit kommt schon wieder eine schwarze Wolkenwand rasend schnell näher. Deswegen gehe ich sofort nochmal zurück und werfe alle Sachen hinein ins Zelt. Danach gibt es Chicken Teryaki im Subway. Als ich mit dem Essen fertig bin, da regnet es  draußen heftig. So ein Mist ! Mache schnell meinen Einkauf im Supermarkt, diesmal ohne lange Bummelei, denn ich will ja noch zurück auf den Trail. Um 20.00 Uhr bin ich fertig und könnte wieder los. Aber mein Zelt ist jetzt leider wieder floddernass. Wenn ich das so zusammenfalte, dann wird auch der Innenraum nass. Es macht keinen Sinn, die Sachen zu packen und mich dann kurz vor Einbruch der Dunkelheit zum Trampen an die Straße zu stellen, nur um dann eine Meile weiter wieder aufzubauen. Nach kurzer Überlegung entscheide ich, das Zelt einfach so stehen zu lassen und mich erst morgen früh wieder auf den Weg zu machen. Saublöder Platz ! Es ist bestimmt auch nicht erlaubt – aber wen sollte das stören ? So habe ich es wenigstens drinnen noch trocken. Und falls die Polizei in der Nacht kommt, um mich hier wegzujagen, dann werden die mich hoffentlich bis zum Trail fahren. Nach diesem Entschluss geht es mir besser. Ab in den Walmart, um mir ein Eis zu kaufen. Später dann nochmal, um einen wasserdichten Proviant-Beutel zu kaufen, den ich vorhin in der Eile nicht suchen wollte. Und immer mal wieder zur Toilette, zum Waschen, zum Zähneputzen ….. Walmart ist großartig und hat schließlich rund um die Uhr geöffnet. Mein Rücken ist wund vom Tragen des nassen Rucksacks auf nasser Kleidung auf nasser Haut ( auch da hilft GoldBond-Puder ) .

Samstag, 14.06.                   89. Tag


Bin gestern am Abend noch zur Tankstelle spaziert, um dort die Öffnungszeiten zu checken und habe gleichzeitig die richtige Straße zum Trampen gesucht. Ich wollte mich nicht schon so früh ins Zelt legen an diesem ungünstigen Platz. Ich hatte es die ganze Nacht hindurch taghell, weil der Walmart ja 24 Stunden auf hat und die Ladenzeile sowie der Parkplatz hell erleuchtet sind. Brauchte noch nicht einmal die Stirnlampe einschalten. Der Autoverkehr hat mich nach dem Einschlafen auch nicht mehr gestört. Wenn man 20 Meilen am Tag läuft, dann kann man einfach überall schlafen. Bin allerdings schon sehr früh wach und muss ziemlich lange auf meinen Morgenkaffee von der Tankstelle warten. Habe immer noch Abdrücke auf den Schultern vom schweren Rucksack mit dem nassen Zeug. Als die Sonne herauskommt, breite ich zur Abwechslung alle nassen Sachen über der Bordsteinkante aus. Es gibt Blueberry-Muffins frisch aus dem Walmart, dazu noch einen Becher Kaffee. Ich kann dabei zusehen, wie alles trocknet, während ich frühstücke

11.30 Uhr : Skipper is back on the trail. Laufe aber zunächst nur 4,6 Meilen bis zur Old Forge Picnic Area. Da gibt es Wasser, Mülleimer, Picknick-Tische und Bänke, Toiletten – was will man mehr ? Ein richtig toller Pausenplatz. Die Sonne scheint und trocknet den Rest. Für heute habe ich mir maximal 16 Meilen vorgenommen, weil ich morgen früh zum Pool im Caledonia State Park möchte. Deswegen ist heute ein ganz lockerer Tag, und ich kann glatt 3 Stunden an der Picnic Area herumgammeln. Kein einziger Hiker kommt während dieser Zeit vorbei. Ich bin wohl wieder aus Allem ‚raus, was „normal“ ist. Allerdings sind eine Menge Amerikaner unterwegs, die mit dem Auto diesen wunderschönen Picknick-Platz ansteuern, sich kurz auf eine Bank setzen, um frische Luft zu schnappen und dann wieder wegfahren.

Am späten Nachmittag mache ich einen Abstecher über einen Seitenweg zu den Chimney Rocks. Dort erlebe ich eine grandiose Aussicht bei endlich mal wieder blauem Himmel. Hier oben haben wir vor 2 Jahren gezeltet. Ich möchte aber noch etwas näher an den Caledonia State Park, damit ich morgen gleich bei Öffnung ins Freibad kann.

Abends vor dem Zelt machen mir wieder die kleinen Fliegen und Mücken das Leben sauer. Gegen 20.30 Uhr wird es neblig und frisch, da verschwinden die Plagegeister endlich. Aber nun mag ich auch nicht mehr draußen sitzen.

Sonntag, 15.06.                          90. Tag

Nur knapp 5 Meilen sind es noch bis zum Freibad, deswegen konnte ich lange schlafen und ganz entspannt zwei Stunden wandern. Es ist Sonntag, der Caledonia State Park ist voll mit grillenden Familien und Gruppen. Auf der Wiese am Swimming-Pool ist es dagegen angenehm leer. Ob das an den 5 US$ Eintritt liegt oder daran, dass man innerhalb des Zaunes keine mitgebrachten Speisen und Getränke verzehren und nicht rauchen darf ? Es gibt einen Kiosk, so dass für Essen und Trinken gesorgt ist. Kurz geschnittener Rasen, fast ohne Insekten, zwischendurch mal zur Abkühlung ins Wasser. Es ist sehr heiß. Gute Entscheidung, den heutigen Tag hier zu verbummeln. Fast wie ein Off-Day, und das ohne Kosten für ein Hostel.

Mein Rücken ist nicht nur wund, sondern blutig gescheuert, wie ich heute im Spiegel gesehen habe. Dann ist mir ein kleines Stück der unteren Schneidezähne abgebrochen. Einfach nur so, es war schon vor dem Trail angeknackst. Das ist auch gar nicht weiter schlimm, nur eine klitzekleine optische Beeinträchtigung. Hier laufen so viele Amerikaner mit sehr schlechten oder wenig Zähnen im Mund herum, da falle ich bestimmt nicht mit auf. Und solange nichts wehtut, kann ich es beim geplanten Zahnarzt-Termin im September belassen.

Nachdem ich 7 Stunden im Caledonia State Park „Urlaub“ gemacht habe, geht es gegen 18.30 Uhr wieder auf den Trail. Seit ich heute früh aufgebrochen bin, habe ich einige Schilder mit dem Hinweis gesehen, dass die Timber Rattle Snake hier unter Naturschutz steht. Das ist ja sehr schön für die Tiere, aber ich möchte trotzdem keiner Klapperschlange mehr begegnen. Deswegen halte ich meine Augen auch sehr konzentriert auf den Weg gerichtet und sehe schon bald ein schwarz-grau-weißes stacheliges Etwas vor mir. Was ist denn das für ein Tier ? So etwas haben wir ja noch nie auf dem Appalachian Trail gesehen. Dieses Stachel-Irgendwas gibt komische, klackernde Geräusche von sich. Es bewegt sich langsam und ohne Aufregung, ist regelrecht am Posen für meine Kamera. Während ich fotografiere, werde ich fast von den Mücken aufgefressen, aber dieses seltsame Wesen ist es mir wert.

Laufe noch gute zwei Stunden, bis das Tageslicht fast weg ist. Damit bin ich an diesem Faulenzer-Tag wenigstens 10 Meilen weitergekommen. Morgen wartet das nächste Vergnügen auf mich : ein kleiner Laden, die Icecream-Challenge, das AT-Museum und ein weiterer Park mit Badesee und Dusche.

PS: Inzwischen habe ich herausgefunden, dass es ein Stachelschwein war ( engl.: porcupine ).

Montag, 16.06.                             91. Tag

Alleine an einem stillen Ort im Wald zu zelten wie die letzten zwei Nächte bedeutet für mich ungestörten Schlaf bis um 8.00 Uhr morgens. Habe schon wieder ein neues Loch im Zelt, diesmal eindeutig selbst verschuldet. Gestern habe ich im Dunkeln aus Versehen die Spitze vom Stock beim Aufbauen nicht richtig in die dafür vorgesehene Öse gesetzt, sondern leider den Stoff daneben durchgepiekt. Na, so wird die Rolle Tape endlich kleiner. Ich habe doch schon Einiges zu Reparieren gehabt in letzter Zeit. Das nächste Projekt wird die Beschaffung neuer Hiking-Schuhe sein.

Der Weg ist wieder begehbar. Nur an wenigen Stellen gibt es noch fließendes Wasser auf dem Trail. Die Schuhe werden zwar nass, trocknen aber während der Pause innerhalb von zwei Stunden wieder.

Mittags passiere ich den rechnerisch exakten AT-Midpoint von 2014. Dieser Punkt ändert sich jedes Jahr, weil der Appalachian Trail ständig verlängert wird. Von nun an laufe ich sozusagen „nach Hause“.

Bis zum Pine Grove Furnace State Park sind es heute nur noch 13,3 Meilen, weil ich ja meistens abends ganz gut vorarbeite, wenn etwas Besonderes ansteht. Das Museum hat heute geschlossen, das kenne ich außerdem schon. Die Half Gallon Icecream-Challenge stellt kein Problem dar. Eine halbe Gallone sind 1,89 Liter, und das nur in Schokoladen-Eis. Kaffee dazu, eine große Flasche Cola und dann noch etwas für morgen zum Frühstücken einkaufen. Vom Laden aus geht es über einen kleinen Seitenweg zum Badesee mit anschließender Dusche. Gegen 18.00 Uhr gönne ich mir noch ein warmes Abendessen an der Imbissbude, dann mache ich mich auf den Weg Richtung Boiling Springs.

Irgendetwas Großes am Wegesrand rennt vor mir davon, aber ich konnte nicht erkennen, was es war. Lärm genug mache ich ja, denn meine beiden Plastikflaschen klappern dauernd gegeneinander. Mich stört es nicht, und um diese Zeit bin ich sowieso alleine im Wald unterwegs.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit baue ich mein Zelt auf und repariere das neue Loch. Der Platz ist sehr eng, links ein Stein, rechts ein Stein. Dazwischen passt so gerade meine Isomatte. Habe noch 7,5 Meilen geschafft heute Abend. Dann sitze ich draußen mit 2 Schichten Kleidung, 2 Paar dicken Socken, Kopftuch bis tief ins Gesicht gezogen und Kapuze auf. Handschuhe fehlen noch, denn nun attackieren die Mücken meine Hände und mein Gesicht. Ich esse in Windeseile eine Banane und einen Snickers, aber das ist kein wahrer Genuss, wenn man sich ständig wehren muss. So wird auch das Zähneputzen und Pipimachen für mich zu einer nervigen Angelegenheit. Ich habe gerade erst geduscht, will nicht schon wieder nach Mückenspray stinken. Mit Moskitonetz über dem Kopf kann ich aber nicht essen und trinken und mir die Zähne putzen. Bin froh, als ich mich in mein Zelt zurückziehen kann, die hoffentlich insektenfreie Zone.

Die Blutblase von meinem Insektenstich aus Glasgow ist verschrumpelt und hat sich heute nach dem Schwimmen endlich abgelöst. Darunter kam neue, rosige Haut zum Vorschein – sieht gut aus.

Während ich hier noch schreibe, kann ich ganz in der Nähe einen Kojoten heulen hören. Ansonsten von wilden Tieren keine Spur.

20140616_121855

Dienstag, 17.06.                                         92. Tag

Gestern am Abend haben die kleinen Biester mir beide Hände zerstochen. Also muss ich doch wieder Mückenspray benutzen, sonst machen die mich fertig.

Schon nach einer halben Stunde Laufen führt mich ein Abstecher von einer halben Meile zum Green Mountain Store. Draußen vor dem Laden steht sogar ein Picknick-Tisch. Das sieht nach einem guten Frühstück aus. Bananen, Blueberry-Muffins, einen Liter Milch dazu, einen Becher Eis und 2 Kaffee. Das gefällt mir sehr als Start in den Tag !

Danach passiert erst einmal gar nichts mehr – außer Sonne, Schwitzen, Mücken und kleine Fliegen. An der Whiskey Spring Road halte ich nur kurz an, um mich mit Wasser zu versorgen. Da kriecht gerade eine ca. 1,50 Meter lange Black Rat Snake mitten über die Straße. Sie hat Glück gehabt, denn es kam kein Auto.

Es folgt ein offenes Stück mit verlockenden Brombeer-Sträuchern zu beiden Seiten, aber ich traue mich nicht dran. Kann mich gut dran erinnern, dass wir jedes Mal Zecken am Körper hatten, wenn wir Brombeeren vom Strauch gegessen haben. Das muss ich nicht haben, also laufe ich einfach weiter und trete viele reife Früchte platt.

Pennsylvania wird immer steiniger. Ich unterhalte mich kurz mit einem jungen Mann, der gerade seinen Sport „Rock-Climbing“ ausübt. Ich bin nicht so gut darin. Habe mir bei der Felsen-Kletterei das rechte Handgelenk angestoßen und aufgeratscht. Das wird an der nächsten Wasserquelle gleich gesäubert, gekühlt, und ausnahmsweise kommt mal ein Pflaster drauf. Solche kleinen Wunden infizieren sich im Wald immer recht schnell und eitern dann tagelang.

Heute ist wieder nur ein halber Lauftag, denn es sind nur 12 Meilen bis nach Boiling Springs. Hier befindet sich das ATC Mid-Atlantic Regional Office. Ich trage mich dort ins ThruHiker-Register ein und bekomme einen Chip geschenkt für ein freies Essen am Samstag in Duncannon. Da laufe ich ja als Nächstes hin, und am Samstag soll dort ein kleines Hiker-Festival stattfinden. Wird wohl nicht so toll sein, aber ich kann eigentlich statt einer geplanten Nacht gleich 2 Nächte dort bleiben und mir die Sache angucken. Im Jahr 2013 sind 2700 Thru-Hiker am Springer Mountain gestartet, davon sind 1130 in Harper’s Ferry angekommen, und nur 548 haben das Ziel Mount Katahdin erreicht. Der ausgehängte Wetterbericht ist noch interessant, morgen soll es genauso heiß werden wie heute, um die 30 Grad Celsius.

Boiling Springs ist ein Kurort mit gut 1000 Einwohnern, alles scheint sehr auf Touristen ausgerichtet zu sein. Es gibt einen Kurpark, einen Ententeich, ein Kinderbecken, Angelplätze und ein teures Freibad. Die Preise sind allgemein sehr hoch, deswegen versorge ich mich selber im Supermarkt.

Übernachtet wird kostenlos auf dem offiziellen Backpacker’s Campsite eine halbe Meile vor dem Ort auf grüner Wiese. Der Platz ist nicht besonders voll, es gibt sogar ein Dixie-Klo ( welches ich natürlich nicht benutze ). Vor dem Zelt schwirren Glühwürmchen und Mücken, im Zelt muss ich auch noch 3 Stück erledigen. Als das Licht aus ist, da kann ich sogar durch die Zeltplane hindurch noch die Glühwürmchen leuchten sehen. Faszinierend !

Mittwoch, 18.08.                                 93. Tag


Es war sehr warm und hat in der Nacht sogar etwas geregnet. Direkt neben dem Campingplatz verlaufen Schienen. Sogar der AT-Guide warnt davor, dass es laut sein könnte. Lange Güterzüge rattern auf den Gleisen direkt nebenan vorbei und tuten dabei laut, denn die Bahnübergänge sind hier nicht beschrankt. Aber wer auf dem Parkplatz des 24 Stunden geöffneten Walmartes übernachten kann, der schläft auch hier. Ich höre keinen einzigen Zug in der Nacht und schlafe total gut, bis morgens um 5.00 Uhr meine Nachbarschaft aktiv wird. Als nur noch ein Zelt außer meinem da steht ( Langschläfer ! ) packe ich meinen Kram und schlendere in aller Frühe in die Stadt. Dort baue ich mein nasses Zelt im heiligen Kurpark auf, damit es trocknen kann.

Ich sitze schon um 7.30 Uhr bei einem opulenten Frühstück im Cafe 101. Es gibt Kaffee, 4 Rühreier mit Bratkartoffeln, Toast mit Butter dazu. Außerdem trinke ich noch zwei Liter Orangensaft und einen Liter Milch, bevor ich losgehe. Der Bauch ist voll, ich kann mich kaum noch bewegen. Aber muss ja ……. nein, ich WILL weiterkommen. Ganz wichtig : Sonnencreme für Gesicht und Schultern. Starte dann endlich um 11.30 Uhr, nachdem ich im ATC-Office nochmals mein Handy aufgeladen und mir zwei Pflaster geschnorrt habe.

Heute liegt das Cumberland Valley vor mir, in dem auf einer Distanz von knapp 20 Meilen lang Camping verboten ist. Der Trail führt über Wiesen und Felder, immer schön gleichbleibend flach und immer gnadenlos der Sonne ausgesetzt. Keine Bäume, die Schatten spenden. Es ist sehr heiß, um die 30 Grad, die Sonne brennt – 2012 hatten wir hier im Tal sogar noch ein paar Grad mehr. Nach 2,5 Stunden mache ich bereits wieder eine Pause. Das Obst ( Bananen und Aprikosen ) muss gegessen werden, das wird nicht besser. Dann erneut Sonnencreme auf die Schultern und weiterschwitzen.

Ein Reh kommt mir schwanzwedelnd entgegen. Ich dachte erst, es sei ein großer, hellbrauner Hund. Kurz darauf sehe ich ein seltsames Pelztier von ca. 50 Zentimeter Größe. Es ist braun mit schwarzem Schwanzbüschel, hat anscheinend weiches Fell. Sieht aus wie eine Kreuzung aus Kaninchen, Meerschweinchen und Biber. Nur ein paar Meter weiter hoppelt dann ein kleineres Exemplar vor mir über den Weg. Dieses ist ganz hellbraun und hat wirklich Ähnlichkeit mit einem Meerschweinchen. Noch ein Stück weiter um die Kurve, da läuft ein größeres Tier dieser Art davon. Das könnte nun wirklich fast ein Groundhog gewesen sein, obwohl man die sonst immer nur in der Nähe von Wasser und Kanalisation sieht. Vielleicht waren das gerade drei Generationen ? Ich muss mal wieder schlaue Bücher und das Internet befragen.

Gegen 17.00 Uhr bin ich am „Scott Farm Trail Work Center“ angelangt. Was das genau ist, das habe ich immer noch nicht verstanden. Eine Menge Autos stehen auf dem Parkplatz, aber kein Mensch ist zu sehen. Hier bekomme ich Wasser von einer Pumpe, Schatten und einen Picknick-Tisch. Zum Abend hin gibt es noch einen einzigen steilen Aufstieg, dann bin ich heraus aus dem Cumberland Valley.

Nun kann ich auch wieder da zelten, wo ich gerne bleiben möchte. Finde einen guten Platz an einem kleinen Bach, gut deswegen, weil ich nach diesem schweißtreibenden Marsch noch ein paar Liter trinken möchte.

Die Glühwürmchen sind wieder sehr aktiv. Ihr Licht im Wald leuchtet so intensiv, dass ich dauernd glaube, da kommt noch jemand mit Stirnlampe angelaufen. Irgendetwas heult ganz schauerlich im Wald – eine Eule oder ein Uhu vielleicht ?

Habe heute KEIN Insekt in meiner Höhle – das kann ich ja kaum glauben !

Donnerstag, 19.06.                                  94. Tag

Gestern konnte ich vor dem Einschlafen noch ganz oft „Platsch“ hören – vermute mal, dass da einige Frösche in den Bach gesprungen sind.

Schon wieder ein heftiges Gewitter in der Nacht, dabei hat es ordentlich geregnet. Alles, was noch draußen stand, ist vollgespritzt mit nasser Erde. Meine Wasserflaschen, mein Moskito-Spray, der Jetboil, meine Zahnbürste …. wie gut, dass ich alles gleich im Bach nebenan saubermachen kann.

In meinem Morgentran bin ich gegen die Wurzel eines umgestürzten Baumes gestoßen. Schienbein angeschlagen, es blutet leicht und gibt sicher einen dicken, blauen Fleck. Ich kühle die neue Verletzung mit nassen Blättern, dann kommt Bepanthen-Salbe drauf. Die anderen Wunden sind alle gerade verheilt, bis auf die am Handgelenk. Irgendwas ist eigentlich immer – und niemand da, den ich volljammern kann.

Das Zelt wird nass und schlammig eingepackt, die Hiking-Klamotten ausgewrungen. Heute laufe ich in meiner langen schwarzen Unterhose los.

Dann passiert das nächste Missgeschick : Ich laufe voll in ein riesiges Spinnennetz  hinein. Igitt, das ist wirklich eklig ! Ich wusste gar nicht, dass Spinnweben so kleben. Überall im Gesicht, am Hals, in den Haaren, auf Pullover und Hose hängen die Klebe-Fäden. Damit habe ich einer dicken Fliege das Leben gerettet, die sich summend bedankt und davonfliegt. Wie gut, dass Dusche und Waschmaschine nicht mehr weit sind.

Nur 7,5 Meilen, dann bin ich im 1500-Seelen-Ort Duncannon, wo der Appalachian Trail direkt hindurch führt. Miete mich im historischen Doyle Hotel gleich für zwei Nächte ein. Das Haus ist alt und heruntergekommen, ein wenig schmuddelig dazu. Gemeinschafts-Badezimmer auf dem Flur, wie in alten Zeiten. Aber hier kostet eine Übernachtung nur 25 US$, das sind umgerechnet etwa 18,- Euro. Ich habe eine Tür zum Abschließen und zwei Fenster zum Öffnen in meinem winzig kleinen Zimmer. Die Laken sehen sauber aus. Die Gastfreundschaft und Wärme des Betreiber-Ehepaares machen den Charme des Hauses aus. Außerdem gibt es hier hervorragendes Essen und leckeres Bier in der kleinen Kneipe.

Es wird ein kostenloser Shuttle zum etwas abseits gelegenen Supermarkt angeboten, aber ich brauche nicht viel. Kann mich im Tante-Emma-Laden hier im Ort gut mit ein paar Kleinigkeiten versorgen. Das Zelt wird wieder mal zum Trocknen aufgebaut, diesmal auf dem einsturzgefährdeten Balkon des Hotels. Dann zuerst eine Dusche, danach ab in die Wäscherei. Das ist ganz dringend nötig nach den vielen Regen- und Matschtagen. Ich stecke sogar meinen Rucksack in die Waschmaschine, nachdem ich ihn in der Dusche vorgewaschen habe. Das tut dem bestimmt nicht gut, aber jetzt stinkt er wenigstens nicht mehr.

Ich habe keinen Kühlschrank und keinen Fernseher im Zimmer, aber ich genieße es, mal wenig bekleidet herumzulaufen und Luft an meine Haut zu lassen. Oben auf meinem Rücken sind ein paar rote Stellen, die etwas brennen. Was ist denn das nun wieder ? Auch wundgescheuert, oder ist das ein Sonnenbrand, weil ich mich nicht weit genug eingecremt habe ?

Dummerweise ist mir eine Kapsel Flüssig-Waschmittel im Rucksack aufgegangen. Zum Glück ist noch nicht so viel ausgelaufen. Ab und zu ist es wirklich ratsam, alles bis auf den Grund auszupacken und zu kontrollieren. Mein schwarzer Plastiksack hat ein paar Löcher und erfüllt damit seinen Zweck „wasserdicht“ nicht mehr. Klebeband auf die kaputten Stellen, muss sehen, dass ich mir einen neuen großen Müllbeutel besorge, um die Kleidung vor Nässe zu schützen.

WIFI gibt es hier leider nicht, nur eine alte Möhre von Computer in der Kneipe. Die kleine Bücherei hat nur Mittwochs und Samstags ein paar Stunden geöffnet, das haben wir nun gerade beides nicht. Um meinen Blog endlich auf den neuesten Stand zu bringen, gehe ich ins Internet-Cafe Store34. Schweineteuer ! Die wollten 5 US$ für eine Stunde haben. Aber ich bekomme einen Sonderpreis und bin froh, wenn ich endlich mit der Homepage weiterkomme.

Freitag, 20.06.                                   95. Tag

Sehr gut geschlafen, die zahlreichen Spinnen im Zimmer haben mir nichts getan. Um 5.00 Uhr früh muss ich mal zur Toilette – besetzt. Da ist schon jemand am Duschen.

Auf der anderen Straßenseite direkt gegenüber gibt es ein nettes Lokal namens „Goodie’s“ zum Blaubeer-Pfannkuchen-Essen.

Heute werde ich einen Off-Day genießen ….. und werde wieder Stunden mit dem Schreiben der Homepage verbringen, obwohl ich mir jedes Mal vornehme, mich kürzer zu fassen.