Die historische Route 66 verläuft mitten durch den Ort mit knapp 10.000 Einwohnern. Aber das ist wahrscheinlich auch das einzig Erwähnenswerte in Grants. Ähnlich wie Lordsburg ist diese Kleinstadt nur hässlich und scheint langsam auszusterben. Ein Zentrum gibt es hier nicht, alles ist sehr langgestreckt entlang dieser Hauptstraße ausgerichtet und nur für Autofahrer gemacht. Am Nachmittag steht ein Besuch im Bergbau-Museum an, wo wir zunächst einen Film über die Uran-Gewinnung sehen und dann mit einem Fahrstuhl unter Tage fahren, wo die alte Mine naturgetreu nachgebaut wurde. Thomas läuft knapp 10 Kilometer ( einfache Strecke) und bringt ein Paket zur UPS-Annahmestelle. Darin ist Proviant für 5 Tage von Ghost-Ranch bis nach Chama, Versenden leider per Post nicht möglich. Unser Motel liegt am äußeren Rand der Peripherie, aber es ist günstig und sauber. Wir haben einen großen Supermarkt auf der Rückseite und einen All-You-Can-Eat-Chinesen nur ein paar Häuser weiter. Was will man mehr ? Wir haben unseren Aufenthalt um eine Nacht verlängert. Zum Einen, weil wir doch sehr erschöpft sind und einige kleine Wehwehchen haben. Zum Anderen, weil wir unbedingt die anstrengende Alternative über den Mount Taylor gehen wollen. Die Original-Route des CDT läuft in moderater Höhe um die Flanken des Berges herum, aber wir möchten uns den Rundum-Blick nicht entgehen lassen. Dieser Gipfel ist 3440 Meter hoch und hat gerade in den letzten Tagen wieder ordentlich Neuschnee bekommen. Ab Samstag sollen die Temperaturen steigen und der Wind nachlassen. Also bedeutet das für uns : Start am Freitag mit knapp 30 Kilometern bis zum Fuße des Mount Taylor, dann am Samstag Aufstieg und schnell wieder auf der anderen Seite hinunter. Wer will schon dort oben bei Minus-Temperaturen die Nacht im Zelt verbringen ?
Wir haben alles richtig gemacht mit dem zusätzlichen Ruhetag. Freitag morgens haben wir vor unserem Fenster 1 Grad plus, durch den Wind gefühlte Minusgrade. Auf den Dächern gegenüber liegt Schnee. Beim Verlassen der Stadt passieren wir ein weiträumiges Gelände, das sich als Frauen-Gefängnis entpuppt. Relativ neue Bungalows stehen da, auch der Außenbereich ist ganz nett gestaltet mit Picknick-Tischen und Fitness-Geräten. Der hohe Gitterzaun mit Spitzen obenauf sowie die Stacheldraht-Rollen davor und die zahlreichen Überwachungskameras lassen allerdings ein bedrückendes Gefühl bei uns aufkommen. Auf mehreren Schildern steht zu lesen, dass diese Anstalt hier als “ Correctional Facility “ – wörtlich übersetzt “ Korrektur-Einrichtung “ – bezeichnet wird. Und wieder harte 12 Kilometer auf Asphalt, während wir aus Grants hinauslaufen. Nicht schön, aber vor uns lockt der Anblick schneebedeckter Berge. Mit jedem Schritt geht es uns besser. Stadt-Aufenthalte sind immer gut und nötig, aber wohler fühlen wir uns, wenn wir zurück in der Natur sind. Die nächsten Tage werden wir im Cibola Nationalpark wandern. Endlich erreichen wir den Abzweiger zum Trail, wo wir eine kleine Pause einlegen. Auf dem Parkplatz steht ein Auto, darin sitzen mehrere Personen. Der Fahrer steigt aus und beginnt ein Gespräch mit uns. Er will uns ein Taschenmesser schenken. Nein, danke, wir haben schon eins. Dann fragt er, ob wir Wasser brauchen. Nein, nicht nötig, wir haben genügend Wasser gebunkert. Aber der Mann, rein optisch von mexikanischer oder indianischer Abstammung, lässt nicht locker. Schließlich kommt er mit einer angefangenen Tüte Bonbons, Getränkepulver und kleinen Tütchen mit Salz. Wahrscheinlich hat er im Auto gesammelt und bringt uns nun, was sie abgeben können. Wir verstehen den Sinn des Ganzen nicht. Warum muss der uns unbedingt etwas schenken ? Er verabschiedet sich mit gefalteten Händen und einer kleinen Verbeugung von uns. Ob das ein indianisches Ritual ist ? Vom Parkplatz aus können wir auf eine gut erkennbare Spur einbiegen. Es geht hinauf, ein Aufstieg in toller Landschaft erwartet uns. Oben wandern wir lange auf einer Hochebene, ebenfalls richtig schön. Links und rechts von uns Kiefernwald – fast wie zu Hause. Wir laufen die ganze Zeit auf einem Plateau in 2500 Meter Höhe. Diese Hochebenen werden hier “ Mesa “ genannt. Und wir sind glücklich, endlich wieder “ richtig “ unterwegs zu sein. Eine Herde von Rehen grast direkt neben unserem Pfad. Wir zählen 8 weibliche Deers, die zunächst wie angewurzelt stehenbleiben und uns mit gespitzten Ohren anstarren. Dann drehen sie wie auf Kommando um, zeigen uns ihr weißes Schwanz- Büschel und preschen in weiten Sprüngen davon. Unser Basis-Lager haben wir neben einem Vieh-Trog aufgebaut, der letzten sicheren Wasserquelle für die nächsten 20 Kilometer. Abends um 20.00 Uhr zeigt das Thermometer bereits Minus 2 Grad. Wir können im Zelt unsere Atemwolken sehen.
Von nun an geht es nur noch hinauf und immer höher. Der Weg ist angenehm in Serpentinen angelegt, nicht zu steil, aber ein stetiges bergauf. Zahlreiche Birken, noch nackt ohne Blätter, wechseln sich mit dem Kiefernwald ab. Je höher wir steigen, umso atemberaubender wird die Aussicht. Ganz oben wachsen nur noch Tannenbäume. Unsere ersten Schritte im Schnee …. aber nur kurze Passagen, denn die Nachmittags-Sonne hat gestern den meisten Schnee schmelzen lassen. Kurz unterhalb des Gipfels kommt uns ein junger Mann mit Tages-Gepäck entgegen. Er nennt sich SmileyGrizz und ist den CDT im letzten Jahr gewandert, außerdem auch schon den AT und den PCT. Dieses Wochenende ist er unterwegs, um die Hiker mit Trail Magic zu überraschen. Er schenkt uns ein paar ERDBEEREN 🙂 für solche Momente lohnt sich jeder Anstieg. Oben tragen wir uns ins Gipfelbuch ein und machen eine schöne Pause mit blauem Himmel, Sonnenschein und wenig Wind. Perfekt ! Der Abstieg bietet uns doch mehr Schnee als erwartet. Auf der Nordseite, da wo die Sonne nicht hingekommen ist, liegt im oberen Drittel eine geschlossene Schneedecke. Dort gibt es keine Spur mehr zu erkennen. Jeder sucht sich seinen Weg nach unten so gut wie er eben kann. Wir stapfen langsam, aber ohne größere Ausrutscher, abwärts. Direkt neben unserem Mount Taylor lockt ein weiterer Berg, der beinahe genau so imposant ist. La Mosca hat immerhin auch 3365 Höhenmeter. Den möchten wir natürlich gerne noch besteigen, auch wenn der Gipfel nicht direkt auf unserem Trail liegt. Ein kleiner Abstecher nur, den wir ohne unsere Rucksäcke machen. Oben auf dem Berg stehen etliche Funkmasten und Antennen sowie ein Aussichtsturm. Von hier aus haben wir noch besseren Rundum-Blick, ein 360° Panorama vom Feinsten. Zwischen den Bergen führt eine unbefestigte Schotterstraße zu einem kleinen Parkplatz. Dort lernen wir eine einheimische Familie aus der Gegend kennen, die einen Wochenend-Ausflug gemacht hat und uns zu ihrem Picknick einlädt. Wer kann dazu schon “ nein “ sagen ? Die Familie besteht aus Oma und Opa, zwei erwachsenen Söhnen und zwei Enkeln. Eine Lehrerin, ein Bibliothekar, ein Elektriker im Kohle-Bergbau. Der ältere Herr ist Messer-Schmied und zeigt uns Fotos von selbst angefertigten Einzel-Stücken. Interessante Berufe, sehr nette Menschen, es gibt auf beiden Seiten viel zu erzählen. Jeder kann sich sein Sandwich selber machen, alle Zutaten stehen auf der Ladefläche des Jeeps. Es gibt Brot, Wurst, Schinken, Käse, Gurken, Salat, Senf und Mayonnaise. Dazu bekommen wir eine Dose vom etwas gewöhnungsbedürftigen Root Beer gereicht. Chips und Kekse runden unsere unerwartete Mahlzeit ab. Es fällt richtig schwer, das Gespräch nach einer Stunde abzubrechen, aber wir müssen schon noch ein paar Meilen bis zum nächsten Wasser zurücklegen. Solche unkomplizierten und großzügigen Menschen lernt man eigentlich nur kennen, wenn man die langsame Art des Reisenden wählt.
Während unserer gestrigen Abend-Mahlzeit hat ein schwarzer Vogel zwei Bäume weiter ein lautes Spektakel verursacht. Das Gezeter verstummte erst, nachdem wir uns ins Zelt zurückgezogen haben. Morgens bei Tageslicht entdecken wir die Ursache der Aufregung : ein großes Vogelnest, bestimmt 50 Zentimeter im Durchmesser, ist dort kunstvoll zwischen die Äste gebaut. Die Mutter ist schwer damit beschäftigt, ihre Brut zu schützen und zu füttern. Ein riesiger Hase mit ellenlangen Löffeln hüpft vor uns über’s Feld. Der hat die Größe eines mittleren Hundes, die Innenseiten der Ohren leuchten hellrosa in der Sonne. Wir lassen die Berge bald hinter uns. Irgendwann gibt es nicht mal mehr Bäume links und rechts. Die Landschaft wird öde, aber darüber sollte man sich eigentlich nicht wundern. Bei einer Langstrecken-Wanderung von 5.000 Kilometer Länge kann ja nicht jeder Tag ganz toll sein. Heute laufen wir in einer kaum benutzten ausgetrockneten Fahrspur. Stunde um Stunde, Kilometer um Kilometer, den ganzen Tag bis um 19.00 Uhr. Der Boden ist hart und steinig. Ich habe wieder starke Fuß-Schmerzen. Die Sohle unter meinem linken Fuß fühlt sich an, als ob die Nerven darunter blank liegen. Mittags schon nehme ich eine Ibuprofen. Damit kann ich, wenn auch nicht ganz schmerzfrei, aber doch so einigermaßen normales Tempo schaffen. Der Weg bis zu unserem dringend benötigten Wasser ist weit. Nützt ja nichts …. ich kann mich ja schlecht hier hinsetzen und warten, bis es besser wird. Thomas muss heute besonders auf sein rechtes Knie achtgeben. Das hat gestern einen leichten Schlag abbekommen, als er im Schnee ein Stück gerutscht ist. Zum Ende des Tages erwartet uns noch ein 3 Kilometer langer Umweg zur Wasserquelle. Es geht über Stock und Stein, steil bergab in eine tiefe Schlucht, nur um auf der anderen Seite wieder steil nach oben zu klettern. Dann ein Stück auf schmalen Grat vorwärts, wobei wir kurz vor Sonnenuntergang die schönste Aussicht des Tages erhaschen können. Ein paar Serpentinen abwärts, danach wieder ordentlich steil nach unten, bis wir endlich die Los Indios Spring erreichen. Der Umweg und die anstrengende Kletterei haben sich 100-prozentig gelohnt. Frisches klares Wasser läuft aus einem Rohr ins Becken. Wenn man die Flaschen direkt unter den Wasserstrahl hält, dann muss man noch nicht einmal filtern. Zum Glück finden wir nach kurzer Suche ganz in der Nähe einen geraden Platz für unser Zelt, sonst hätten wir uns mitsamt Rucksäcken und 5 Litern Wasser wieder hinauf schleppen müssen. So bleibt uns der Rückweg aus der Schlucht, über die Ebene, in die nächste Schlucht und wieder heraus für morgen nach dem Frühstück. Einen anderen Weg gibt es nicht, der Weg zur Quelle war ein Abzweiger, den wir wieder komplett zurück laufen müssen.
Gestern hat uns ein Specht mit seinem Gehämmer noch lange begleitet. Der hatte wohl viel zu tun und wollte auch nach Einbruch der Dunkelheit einfach keine Ruhe geben. Morgens bin ich zunächst einmal sehr erleichtert, denn die Nerven in der Fuß-Sohle scheinen sich während des 11-stündigen Schlafes beruhigt zu haben. Ich kann auftreten. In die Schuhe komme ich auch, soweit alles okay. Draußen erlebe ich eine Überraschung, denn keine 2 Meter von unserem Zelt entfernt liegt ein frischer Bären-Haufen. Da hatten wir wohl in der Nacht Besuch von Meister Petz und das große Kino vor dem Zelt einfach verschlafen. Das bestätigt natürlich unsere Theorie, dass Bären in der Regel keine Menschen fressen. Wir haben in einiger Entfernung gekocht, ordnungsgemäß abgespült, den Essens-Müll geruchsdicht verpackt. Unsere Proviantbeutel hängen noch unversehrt im Baum, darin ist alles doppelt und dreifach eingepackt. Schon nach den ersten Schritten im Aufstieg merke ich, dass es so nicht geht. Der Schmerz hat sich wohl verlagert, mein linkes Fuß-Gelenk schreit. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich gestern 8 Stunden lang gehumpelt bin und immer falsch belastet habe. Oder es ist ein Überbleibsel von meiner Bänder-Dehnung auf dem AT-Solo 2014. Starte den Tag also mit einer Ibuprofen, damit ich einigermaßen in Tritt komme. Ist das schon Doping ? Zwischen unserem Lager und dem nächsten Wasser liegen 20 Kilometer Distanz, von dort aus sind es nochmals 20 Kilometer bis zur folgenden Quelle. Unser Weg erweist sich als schmale Spur im Wald bergauf, sehr angenehm für die Füße. Nach Erklimmen von 600 Höhenmetern erreichen wir eine sonnige Ebene, auf der das Laufen einfach nur Spaß macht. Uralte Blechschilder mit eingestanztem CDT-Symbol zeigen, dass wir uns hier wirklich auf dem traditionellen Continental Divide Trail befinden. Am Nachmittag finden wir ein riesiges Geweih, d.h. eigentlich erstmal nur ein halbes. Es muss ein stattlicher Hirsch oder Elk gewesen sein, der diesen 5-Ender abgeworfen hat. Ein Hiker hat sich bereits darauf verewigt, aber das Teil dann dort liegen gelassen. Ungefähr 2 Stunden später liegt dann das Gegenstück dazu neben dem Pfad. Wieder ein 5-Ender, und auch hier ist der Name des Finders drauf geschrieben. Mitnehmen wollte wohl keiner diese Trophäen. Wir haben hier alle genug zu schleppen auf dem Trail. Und dann machen wir noch einen kuriosen Fund, wieder mitten auf dem Weg. Da liegt ein ganzes Bein von Antilope oder Reh. Die Hälfte davon ist blank abgenagt bis auf den Knochen. Ab Kniegelenk, also der Unterschenkel bis zu den Hufen, sieht es noch ganz frisch aus. Fleisch, Fell, sehr gut erhalten, kein Kratzer dran. Wir vermuten mal, dass ein Kojote oder eine Raubkatze dieses Leckerchen bis hierhin getragen hat und dann beim Fressen gestört wurde. Ein Turkey kreuzt unseren Kurs, endlich mal wieder ein lebendes Tier. Man kann die Truthähne relativ häufig im Gebüsch kollern hören, aber diese großen Vögel sind sehr menschenscheu. Ein wunderschönes Hochplateau, auf dem wir mehrere Stunden wandern, gibt Weitblick ohne Ende. Tief unter uns liegen die Täler, weit in der Ferne voraus kann man eine langgestreckte Bergkette sehen. Nun wechselt die Markierung, es gibt Steinmännchen im Wechsel mit Holzpfählen, deren Spitzen hellblau angemalt sind. Von dort aus haben wir 700 Höhenmeter Abstieg zu bewältigen. Bewährungsprobe für das lädierte Knie von Thomas, aber mit Bandage ist alles gut. Unten im Tal tragen die Birken bereits zartes Grün. Wir sehen neue Arten von Blumen in leuchtenden Farben. Lila, rote, gelbe, weiße und rosa Blüten. Und es wachsen wieder überall Kakteen. Verschiedene Größen, alle möglichen Formen – das lässt auf wärmere Nächte hoffen. Und neue Echsen-Arten gibt es in den tieferen Lagen. Wir haben das Glück, dass sich gleich zwei verschiedene Exemplare gar nicht scheu in der Sonne wärmen und als Fotomodell zur Verfügung stellen. Die eine ist klein und knubbelig, grün mit gelben Punkten und einem roten Ring um den Hals. Sie sieht für mich ein bisschen aus wie Gollum. Etwas weiter können wir eine andere Echse bewundern. Die ist ebenfalls grün, aber viel schlanker. Sie hat auffallend große gelbe Füße und einen erstaunlich langen Schwanz. Die Landschaft um uns herum ist heute einfach grandios und entschädigt für den gestrigen langweiligen Tag. Wir laufen durch eine wilde Prärie mit tiefen Canyons. Dann erreichen wir ein ausgetrocknetes Flussbett, welches wir schon aus der Höhe gesehen haben. Der Grund ist weiß, wir hatten es von oben für Schnee gehalten. Aber es ist tatsächlich Salz. Wir haben es probiert, die oberste Schicht vom Schlamm schmeckt wirklich sehr salzig, ist also hoch konzentriert. Und rutschig wie Schmierseife ist es im Flussbett. Voraus leuchten hohe Berge und senkrechte Klippen in der Abendsonne. Die Felsen sind bizarr geformt, manche sind rechteckig und sehen aus wie die Zinnen einer Burg. Genau so haben wir uns die Landschaft im Wilden Westen vorgestellt. Man würde sich nicht wundern, wenn plötzlich Indianer auf ihren Pferden am Horizont auftauchen würden. 😉
Die Nacht war sternenklar und mild. 🙂 Unser Weg verläuft abwechselnd in einer sandigen Spur und mal über kompaktes Gestein. Anschließend wandern wir durch eine weite Geröll-Landschaft, immer fein rauf und runter. Wer hat bloß alle diese Steinmännchen hier aufgebaut ? Vor uns erscheint eine massive Wand, deren aneinandergereihte grau-schwarze Felsen auch mit wenig Phantasie wie eine Ritterburg aussehen. Kakteen-Wälder sind auf dieser unfruchtbaren Ebene die einzige Vegetation um uns herum. Eine dieser grün-gelben Echsen mit dem langen Schwanz und den gelben Füßen sitzt völlig entspannt auf einem Stein und stört sich nicht an unserer Anwesenheit. Später am Tage sehen wir noch einige von dieser Art, wie sie pfeilschnell durch den Sand flitzen. Das sieht total witzig aus mit den kräftigen Beinchen und den überlangen gelben Zehen. Die sind so schnell, als würde ein Vogel ganz nahe am Boden dahinfliegen. Ich nenne diese Art ab heute nur noch “ Renn-Echsen „. Morgens sind wir mit lediglich einem Liter Wasser gestartet. Erst 5 Stunden später und in der schlimmsten Mittagshitze erreichen wir völlig ausgedörrt und energielos das Wasser-Depot der Familie Trujillo. Deren Jungs haben bei den Trail Days in Silver City kleine Tütchen mit Getränkepulver, Süßigkeiten und dieser Adresse verteilt. Daher wussten wir, dass es hier garantiert frisches Wasser gibt. Aber der Weg war lang und zäh ….. Wir trinken jeder 2 Liter auf der Stelle, kochen uns Haferflocken als Zwischenmahlzeit und packen 7 Liter in die Rucksäcke. Dann schreiben wir unseren Dank in das beiliegende Buch und stellen überrascht fest, dass sich Bebo und Sharky auch mit dem heutigen Datum eingetragen haben. Die Beiden sind mit uns am selben Tag vom Crazy Cook Monument gestartet. Bis Silver City haben wir sie immer mal wieder getroffen, aber danach komplett aus den Augen verloren. Vielleicht gibt es bald ein Wiedersehen in Cuba ? Nach dieser dringend nötigen Stärkung sind wir bereit für die weiteren Aufgaben des Tages. Der restliche Nachmittag hält noch einige Berge für uns bereit, immer schön Aufstieg und Aufstieg. Zum Schluss bleiben wir lange in der Höhe und laufen mehrere Kilometer auf einem Felsband direkt an der Kante. Windige Ecke hier oben ! Wenn es von vorne bläst, dann kommt man kaum noch vorwärts. Wenn die Böen von der Seite wehen, dann muss man aufpassen, dass es einen nicht aus der Spur haut oder von der Klippe pustet. Wir steigen in einen Canyon ab, um das Zelt windgeschützt aufstellen zu können. Während wir draußen unseren Abend-Tee trinken, hoppelt ein Kaninchen ganz nahe an uns heran. Es sieht genauso aus wie die auf dem Norderneyer Friedhof. 😉 Anscheinend bemerkt es uns gar nicht, wie wir so ruhig da sitzen. Oder aber wir zwei Menschen gehören nicht zu seinen Fress-Feinden. Abends tun mir die Schultern mehr weh als meine Füße. Blödes Wasser-Tragen !
Heute ist der letzte Tag vor Cuba und schon der dritte Tag in Folge mit wunderschöner Wild West-Kulisse. Wir wandern die meiste Zeit in der Höhe auf griffigen Felsen. Das ist genau der Untergrund, den meine Salomon-Schuhe so lieben. Thomas trägt nach wie vor seine halbhohen Keen ( schon seit dem 1. Trail ). Allerdings hat er aktuell null Profil, denn seine Schuhe haben bereits 1000 Kilometer mehr unter den Sohlen. Dazwischen in den Tälern laufen wir auf weichem Sand. Das ist angenehmes, entspanntes Wandern. Von der Mesa aus gesehen ist die Landschaft einfach phantastisch. Um uns herum dicke Felsen in leuchtenden Farben, dazwischen niedrige Bäumchen, die Schatten spenden. Man muss nicht groß aufpassen, wo man hintritt, weil die Spur deutlich zu erkennen ist. Dafür haben wir mehr Zeit für staunende Rundum-Blicke. Fast von jeder Position aus können wir ins Tal blicken und die unheimliche Weite dieser Region spüren. Das ist ein Teil New Mexicos, der an Schönheit kaum zu überbieten ist. Starke Konkurrenz zu den White Mountains auf dem Appalachian Trail – nur nicht so anstrengend. An der Jones Canyon Spring können wir gutes Wasser für den weiteren Weg aufnehmen. Hier fühlen sich Unmengen von bunten Schmetterlingen wohl. Sonne, Sand und Wasser ….. es wimmelt von bunten Faltern. In der Felswand über der Quelle nisten Dutzende von Schwalben. Sie haben ihre kugeligen Nester dicht an dicht in den weichen Stein gebaut und verschwinden manchmal komplett in ihren Höhlen. Schon wieder können wir kurz hintereinander zwei neue Echsen beobachten, die eigentlich von Größe und Statur genauso aussehen wie unsere grünen mit den gelben Füßen. Aber diese sind schwarz mit blau und gelben Füßen. Thomas meint, die sind vielleicht anders gefärbt, weil sie ein anderes “ Wohngebiet “ besiedeln. Mehrmals sehen wir Bären-Kacke auf dem Weg, die Haufen sind aber kleiner als der vor unserem Zelt war. 😉 Am Nachmittag wartet eine weitere Felswand auf uns. Rote Klippen wie bei der Ansteuerung von Helgoland. Auch da müssen wir noch hinauf. Überhaupt scheinen die Berge heute höher zu sein als sonst. Die Aufstiege bringen uns so richtig ins Schwitzen. Aber dafür sind die Ausblicke immer wieder einzigartig und belohnen uns für die Anstrengungen. Im Tal unter uns liegen gigantische Felsbrocken herum, wie von einer Riesenhand dorthin gewürfelt. Später legt der Wind wieder ordentlich zu. Eigentlich ganz schön, so ein bisschen Abkühlung in der sengenden Sonne. Man muss nur den Hut gut festbinden, damit er nicht wegfliegt. Der hat eingebauten Lichtschutzfaktor 50 und ist neben Wanderschuhen und Sonnenbrille unser wichtigstes Kleidungsstück. Ansonsten hätte man uns wohl spätestens am zweiten Tag mit Sonnenstich einliefern können. Wir sehen einen besonders auffälligen Singvogel, dessen Gefieder nicht nur ein bisschen, sondern tatsächlich überall blau schillert. Und kurz vor Beendigung unseres langen Tages entdecken wir in der Ferne vereinzelt Häuser. Das wird Cuba sein, scheinbar zum Greifen nahe. Aber noch trennen uns 10 Kilometer Marsch auf der Straße von einem leckeren Frühstück und der dringend nötigen Dusche.
Haben eine weitere gute Nacht ohne Frieren im Zelt auf einer Kuhweide verbracht, denn Cuba liegt nur auf 2100 Metern Höhe. Wir stehen zwei Stunden früher auf als gewöhnlich – die Zivilisation lockt. Kurz bevor wir unseren nervigen Marsch auf der Straße beginnen, entdecken wir noch eine unbekannte Echsen-Art. Diese ist dunkelgrün und hat zwei gelbe Ralley-Streifen in Längsrichtung Körper. Aber das reicht jetzt ….. es gibt einfach zu viele. Ich werde in Zukunft nicht mehr über Echsen berichten, außer sie sind mega-groß oder ganz besonders auffällig. 😉 Wir sitzen schon um 9.30 Uhr bei einem opulenten mexikanischen Frühstück. Von dort aus starten wir der Ranger Station einen kurzen Besuch ab. Die beiden Ladies im Büro sind sehr nett und hilfsbereit, können aber unsere Fragen nicht beantworten. Keine Ahnung von den Schnee-Bedingungen auf der vor uns liegenden Etappe. Cuba ist ein sehr übersichtliches Dorf mit ca. 700 Einwohnern. Uns gefällt es vor Allem wegen der kurzen Entfernungen. Alles, was wir brauchen, ist entlang der Hauptstraße angesiedelt. Wasch-Salon, Bücherei mit öffentlichen Computern, Post, Lebensmittel-Laden, Drogerie-Markt, Cafés, McDonalds, Subway …. und unser etwas altmodisches Del Prado Motel mittendrin. Aufgrund meines Hinkebeins haben wir aus unserer geplanten 6-Tage-Etappe bis Cuba eine 7-Tage-Tour gemacht. Macht aber nichts, das Essen hat so gerade gereicht. 🙂 Seit gestern gab es nur noch Haferflocken und Grits ( eine Art Grießbrei ) als Abendessen, zum Frühstück und als Zwischenmahlzeit. Wasser drauf – umrühren – fertig. Ist nicht sooo lecker, aber macht gut satt. 😉 Im Moment arbeitet die Zeit noch für uns. Je später wir von Chama aus starten, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir mit weniger Schnee im San Juan-Gebirge rechnen können.
Aktuell befinden wir uns auf Meile 660 – die ersten 1000 Kilometer auf dem Continental Divide Trail liegen hinter uns.
Meine Hochachtung! Wo nehmt ihr noch die Muse/Kraft her, so wunderbare, ausführliche Berichte mit schönen Fotos zu schreiben?
Vielen Dank!
Ingrid