Wir segeln und wandern durch die Welt

La Coruña bis Norderney – 2. Teil

Die Sicht wird besser. Über uns sehen wir zum ersten Mal auf dieser Passage einen funkelnden Sternenhimmel. Der Luftdruck ist gestiegen. Der Wind hat deutlich nachgelassen und kommt jetzt aus Ost. Das war in keiner Wettervorhersage drin, das Wetter spielt uns mal wieder einen Streich. Aber egal, wir sind mitten im Englischen Kanal und haben Raum genug, um in die richtige Richtung segeln zu können. Wenn …. Ja, wenn nicht die unzähligen Lichter bei Nacht und die vielen bunten Dreiecke auf unserem Karten-Plotter wären. Aus Schwachwind wird Flaute, die Segel werden geborgen. Keiner von uns hat Lust, hier in diesem Gewimmel von Schiffen ohne Fahrt herumzudümpeln. Ich persönlich bin sehr froh, dass ich meine Hundewache von 24.00 bis 4.00 Uhr morgens nur mit Motorkraft unterwegs bin. So fühle ich mich sicherer, weil ich mich voll auf den Schiffsverkehr konzentrieren und leichter ausweichen kann. Zwischendurch werden wir wieder ordentlich in die Enge getrieben : Frachter von vorne, Frachter von hinten, dann muss noch ein schnelles Schiff mit über 25 Knoten Fahrt von oben in unsere Kurslinie schießen. Macht keinen Spaß – ich will nur noch hier weg. Unser Klüver ist kaputt. Eine Naht am Achterliek ist aufgegangen, ein Riss von mehr als einem Meter Länge ist entstanden. Vielleicht können wir das unterwegs selber reparieren. Vorerst kommt die weiße Genua zum Einsatz. Sie hat etliche Rostflecken und auch schon ein paar Flicken drauf, nicht vom Segelmacher, sondern selber von Hand genäht. Sieht nicht besonders strapazierfähig aus. Die müssen wir rechtzeitig abnehmen, denn bei zu viel Wind hängt sie wahrscheinlich bald in Streifen herunter. Aber eigentlich ist diese Genua ein schönes Segel, zur derzeitigen Wind-Situation passt das ganz gut. Der erste Versuch klappt nicht. Beim Hochziehen des großen Tuches verhakt sich das Fall an der obersten Maststufe und klemmt. Und das, obwohl wir Fallen-Abweiser um die Stufen gebastelt haben. Alles, was irgendwie passieren kann, das passiert auch auf dieser Überführung des Bootes. Kann ruhig mal langsam aufhören – es nervt.
Der Wind hat sich zurückgemeldet und kommt mit moderater Stärke aus Süd. Cool – das gab es bisher noch gar nicht. Wir können abfallen, die Segel öffnen und laufen mit 6,5 Knoten auf dem richtigen Kurs. Wind von achtern bedeutet Geschwindigkeit, die man nicht merkt. 🙂 Perfekte Bedingungen ! Herrliches Segeln. Endlich können wir einmal durchschnaufen und uns entspannen, dabei natürlich trotzdem weiter gut aufpassen. Inzwischen haben wir es anscheinend geschafft, haben den längeren Weg bis zur englischen Küste gewählt und sind endlich raus aus dem Haupt-Verkehr. Nur ein Dutzend Fischer dümpeln im Umkreis von 5 Seemeilen um uns herum auf der Suche nach frischem Fang. Die wechseln ständig ihre Richtung, sind mal in Fahrt, manchmal bleiben sie auch auf der Stelle. Auf jeden Fall bilden die Fischerboote keine große Gefahr, denn sie sind langsam.
Leider dauert die Freude nicht allzu lange. Bereits zwei Stunden später hat sich das Blatt wieder gewendet. Der Wind ist umlaufend, kommt ständig aus einer anderen Richtung. Dann schläft er fast völlig ein. Zum ersten Mal erleben wir die Situation, dass unsere Windsteuer-Anlage nicht funktioniert. Sehr rätselhaft. Was ist anders ? Die Konstellation mit weißer Genua und achterlichem Wind hatten wir bisher noch nie. Vielleicht kann die Aries bei so wenig Winddruck nicht arbeiten ? Erstmal steuere ich von Hand. Nach einigem Überlegen kommen wir auf die Lösung : 3 Knoten Gegenströmung machen uns und damit auch der Windsteuerung das Leben schwer. Puh – das ist heftig viel. Aber dauert ja maximal 6 Stunden. 😉
Flaute am Nachmittag, wir bergen die Segel. Thomas macht sich an diverse Reparaturen, während ich mit Maschine dahin tuckere. Bei genauerer Inspektion des Klüvers sehen wir, dass nicht nur die Naht am Achterliek kaputt ist, sondern außerdem noch an anderer Stelle ein 40 Zentimeter langer Riss im Segeltuch klafft. Es wird jetzt provisorisch geflickt, damit wir für den Rest des Weges den Klüver wieder als Alternative zur Verfügung haben. Aber letztendlich ist das Ding ein Fall für die Mülltonne. Die ruhige Phase wird für eine ausgiebige Rigg-Kontrolle genutzt. Dabei entdecke ich eine schadhafte Stelle am Großsegel. Die Naht zwischen Segeltuch und Liektau, welches in die Nut vom Großbaum eingeführt wird, ist aufgegangen. Das Segel hat sich auf der Ecke am Segelhals von der Kordel gelöst. 🙁 Es ist viel zu viel Spannung drauf. Gar nicht gut, das schreit nach einer Vergrößerung des Risses. Vorerst entlastet Thomas die Stelle, indem er ein Bändsel ins Loch vom 1. Reff einfädelt und stramm nach unten anzieht. Inzwischen flattert auch unsere Deutschland-Fahne wieder am Heck. Eine Woche lang hatten wir sie zusammengerollt und festgebunden, damit sie nicht noch weiter ausfranst. Die letzten Tage bis zum Heimathafen wird sie hoffentlich noch überstehen.
Unsere Wetterkarten zeigen viel Wind aus Süd in den nächsten 48 Stunden, eigentlich mehr als uns lieb ist. Diese Prognose wird uns in der Funkrunde noch einmal bestätigt. Ein Tiefdruckgebiet zieht von West nach Ost in den Englischen Kanal und ist hinter uns her. Da ist die Rede von 6-7 Windstärken. Uwe von Intermar meint, es könnte auch mehr werden. Na toll – Wir nehmen einfach alles mit !
Zum Abend hin treffen wir Vorbereitungen für einen möglichen Sturm. …..
Zwei Reffs werden ins Großsegel gebunden, die Genua geborgen, die kleine Fock dafür angeschlagen. Der Sturm-Klüver wird als Päckchen fest verzurrt an die Reling gebunden, damit er bei Bedarf schnell zur Hand ist. Thomas hat die beweglichen Backstagen verbessert, indem er eine stabilere Talje montiert hat. Alle Leinen sind kontrolliert und super ordentlich aufgeschossen, das Deck ist klar und aufgeräumt. Kann losgehen.

Hässliche Situation in der Nacht. Bei 3,5 Knoten Gegenströmung komme ich auch mit Motorkraft fast nicht von der Stelle. Es steht Wind gegen Strom, und das mit gewaltiger Stärke. Auf der Kurslinie fahren geht überhaupt nicht. Laut der elektronischen Seekarte ist in diesem Gebiet mit starken Verwirbelungen zu rechnen. Strömungswellen und Starkwind lassen die Walkabout mal hierhin, mal dorthin ausbrechen, und das trotz starkem Ruderlegens. Ich habe das Gefühl, wir sind so nicht manövrierfähig. Das Einzige, was einigermaßen funktioniert, ist ein Kurs quer zur Strömung direkt nach Norden mit 1,5 Knoten Fahrt. Lege ich das Ruder ein kleines bisschen zu weit nach steuerbord um, dann macht das Boot blitzschnell eine Drehung, und wir fahren 180 Grad nach Süden. Weiche ich auch nur eine Winzigkeit nach backbord ab, dann fahren wir mit 6 Knoten Geschwindigkeit schnurstracks zurück nach Westen. Bin frustriert, verärgert, total verspannt und auch ängstlich. 4 Stunden lang kämpfe ich mich durch, dann lässt die Gegenströmung endlich nach. Auch zu der Zone mit den Wasser-Verwirbelungen haben wir endlich etwas Abstand gewonnen. Der Wind geht auf 5-6 Beaufort runter. Thomas beginnt seine Wache mit dem Setzen der kleinen Segel-Garderobe. Er bringt wieder Ruhe ins Schiff und schafft es, auch mich zu beruhigen.
Bei achterlichem Wind schaukelt sich das Boot gut ein. Dicke Brecher rollen seitlich unter uns hindurch. Links von uns ist die Küstenlinie Englands zu sehen. Ansonsten alles grau in grau. Wind 6-7 Beaufort aus Süd. Mit kleiner Fock und zwei Reffs im Groß können wir genau den richtigen Kurs einstellen. Es läuft ! Während der Morgenwache preschen wir mit durchschnittlich 9,5 Knoten durch’s Wasser – und das stundenlang. Höchstgeschwindigkeit liegt bei 10,3 Knoten. Das mag sich für viele andere Segler ziemlich normal anhören. Für uns, die wir 20 Jahre lang auf kleineren Booten unterwegs waren, fühlt sich das wahnsinnig schnell an.
Am Nachmittag scheint das Gröbste durch zu sein. Immer noch viel Wind, aber die Lage beruhigt sich von Stunde zu Stunde. Sonnenschein. 🙂 Wir möchten uns nördlich der Haupt-Fahrspur halten, also sehr küstennah fahren. Dazu müssen wir auf den anderen Bug gehen. Thomas fährt eine kontrollierte Halse mit Hilfe der Bullentalje und dichtgeballertem Groß. Klappt sehr gut ! Hier gibt es einige Fahrwasser-Tonnen, auf die wir achtgeben müssen. Wir hoffen, dass die Tonnen noch genau dort liegen, wo sie eingezeichnet sind. Die Mikro-SD-Karte für diese Region hat uns Ludger von der Green Duck netterweise überlassen, weil wir unsere nicht wiedergefunden haben. Wahnsinnig teuer sind diese Dinger. Nun wissen wir nicht genau, wie alt unsere Informationen auf dem Plotter sind und wann es das letzte update dafür gab. Zum Glück wird die Sicht immer besser. Jetzt könnte gerne der Seegang noch etwas nachlassen, damit das nervtötende Gerolle aufhört. Seit wir von La Coruña aus gestartet sind, haben wir Beide keinen guten Schlaf mehr gehabt.
Unsere per Funk eingeholten GRIB Files-Wetterkarten verheißen nichts Gutes. In zwei Tagen schon soll das nächste Tief durchgehen. Da sind wir noch dabei.
Kalt ist es geworden. Trage während der Nachtwache eine lange Unterhose, Daunenjacke, Mütze und Handschuhe, weil wir uns in diesem verkehrsreichen Gebiet viel mehr draußen aufhalten und Ausguck halten. Der beste Platz, wenn man keine Wache hat, ist in der Seekoje. Hier hat sich unser selbstgebautes Kojenbrett nebst Auflage und Halterung bestens bewährt. Vielleicht sollten wir Patent darauf anmelden und in Serie produzieren …. Inzwischen haben wir eine zweite Bettdecke aktiviert, damit die Füße während der Freistunden wieder warm werden. Im Deckshaus mit Wolldecke kann man es gut aushalten und hochkonzentriert alleine nach Plotter fahren. Sobald man die Tür öffnet, um die Lage draußen zu kontrollieren, wird es unheimlich. Man hört das Tuckern und Brummen der großen Pötte wie durch Watte gedämpft. Ab und zu hört man ein Nebelhorn tuten. Meinen die etwa uns ? Wir fahren im dichten Nebel herum. Man sieht fast die Hand vor Augen nicht ….. Aber das riesige Kreuzfahrt-Schiff, welches morgens um 4.00 Uhr nur 0,7 Meilen Entfernung hinter unserem Heck durchgeht, das sehen wir sehr wohl. Mindestens 10 Etagen, Tausende von Fenstern, alles hellerleuchtet wie ein Christbaum. Ob die uns wohl bemerkt haben ?
Die Umrisse der englischen Küste werden immer klarer. Jetzt kann man schon einzelne Häuser erkennen. Vor uns liegt die engste Stelle des Kanals, die Passage zwischen dem englischen Dover und dem französischen Calais. Wir wünschen uns wenig Schiffs-Verkehr und bitte keine Gegenströmung an dieser Stelle.

Gestern haben wir den Null-Meridian überquert, der senkrecht zum horizontalen Äquator steht. Bedeutet einen Wechsel von West auf Ost in unserer Positionsangabe, damit nähern wir uns ganz eindeutig dem Heimathafen. Gegen Mitternacht liegt die englische Küste auf backbord nur noch knapp eine Seemeile entfernt. Es blitzt und blinkt zu allen Richtungen, etwas verwirrend das Ganze. Eine Weile hilft uns der futuristisch anmutende Leuchtturm von Dungeness bei der Peilung. Lichter, wohin man auch blickt, dazwischen unglaublich viele Schiffe, aufgereiht wie Perlen an einer Schnur. Wir stehen ganz nahe vor der „Strait of Dover – Straße von Dover“. Das ist der engste Teil des Ärmelkanals, die Meerenge, die den Atlantik mit der Nordsee verbindet. Die Kulisse sieht phantastisch aus bei Nacht, aber entspannt ist es hier nicht für uns. Wie sollen wir da bloß durchkommen ? Wir laufen auf die Engstelle zwischen Dover und Calais zu. Ich wecke Thomas bereits eine halbe Stunde vor der Zeit, weil ich moralische Unterstützung brauche. Höllisch viel Verkehr ! Fahrzeuge von allen Seiten, dazu die schnellen Fähren, die den Kanal anscheinend Tag und Nacht im Halbstunden-Rhytmus überqueren. Diese Etappe war von Anfang an dermaßen anstrengend, ich kann so viel Aufregung gar nicht mehr gut vertragen. Wenn wir aus verschiedenen Richtungen von mehreren Schiffen bedrängt werden, reagiere ich inzwischen schon fast panisch. Nach einer gemeinsamen Stunde im Steuerhaus schickt Thomas mich in die Koje, wo ich vier Stunden tief und fest schlafe. Als ich wieder herauskomme, da sieht die Welt ganz anders aus. Die Sonne scheint, blaues Wasser, kein Wind. Zur linken Seite erstreckt sich die eindrucksvolle Kulisse der Kreidefelsen von Dover. Sehr schön ! Haben wir auf dem Hinweg gar nicht gesehen, weil wir die weißen Felsen damals anscheinend bei Nacht passiert haben. Man kann auf steuerbord bereits schemenhaft die Umrisse der französischen Küste erkennen. Der Englische Kanal verengt sich an dieser Stelle so stark, dass man es sich wie ein Nadelöhr vorstellen muss. Der ganze viele Verkehr läuft zusammen und drängelt sich in eine schmale Spur. Da müssen wir uns einreihen, letztendlich einmal mittendurch und auf die andere Seite fahren. Aber wir sind zur falschen Zeit am falschen Ort. 🙁 In dieser engen Passage zwischen Dover und Calais herrschen satte 3 Knoten Gegenströmung. Wieder dasselbe Spiel wie in der vergangenen Nacht – wir kommen mit unserem 36 PS-Motor nicht dagegen an und bewegen uns fast nicht von der Stelle. Auf unserer Kurslinie kommen wir gar nicht vom Fleck, zwischen 0,7 und 1,5 Knoten „Geschwindigkeit“. Etwas besser und schneller laufen wir Richtung Süden mit der Strömung querab. So machen wir immerhin 2,5 Knoten Fahrt und können damit den anderen Schiffen aktiv ausweichen. Unser mühsamer Weg durch die Engstelle dauert insgesamt 5 Stunden, dann haben wir die Überquerung geschafft. Kurze Zeit später kippt auch die Strömung – so wäre es irgendwie einfacher und schneller gewesen. Egal, geschafft. Der Verkehr teilt sich auf. Wir zweigen in ein weniger befahrenes Fahrwasser ab. Schon viel besser. 🙂 Die grüne Ansteuerungstonne liegt nicht an der Stelle, wo sie auf unserer elektronischen Seekarte angegeben ist. Wen wundert’s ? Auch eine weitere schwarz-gelbe Kardinaltonne finden wir an anderer Position. Anscheinend stimmt unser Plotter gerade nicht bei der Fahrwasser-Kennzeichnung. Wir wissen nicht genau, in welchem Jahr unser Freund Ludger gestartet ist, aber seine Mikro-SD-Karte für den Nord-Atlantik könnte locker 5 Jahre alt sein. Die Untiefen werden sich verlagert haben, das kennen wir ja von zu Hause. Bedeutet natürlich, wir müssen besonders gut aufpassen und sehr genau nach Tonnen Ausschau halten. Wie gut, dass der Himmel blau ist und wir gute Sicht haben. Die morgens eingeholte Wetterprognose lässt unsere Gesichter erst einmal wieder länger werden. Laut der Vorhersage haben wir mit 18 Stunden Flaute zu rechnen. Nervtötend langsames Segeln oder Motor an ….. danach folgt dann das Tief …. damit es uns nicht langweilig wird. 😉
Unser Herd will nicht mehr so richtig, die Flamme brennt nicht so stark wie sie sollte. Wahrscheinlich sind beide Brenner verschmutzt und müssten auseinandergenommen und gereinigt werden. Keine schöne Arbeit auf See. Heute bekommt Thomas wenigstens eine Seite mit der Reinigungsnadel wieder ordentlich zum Brennen, das warme Abendessen ist gesichert.
Die Dover Strait liegt hinter uns, aber es herrscht immer noch furchtbar viel Verkehr. Um 1.00 Uhr nachts bekomme ich einen riesigen Schrecken. Eine lange Reihe roter Lichter war schon lange und weithin sichtbar. Ich dachte, das sei ein Windpark an Land. Doch plötzlich entpuppen sie sich als Windpark IM Wasser, und wir wären beinahe mitten hinein gefahren. Dicht neben uns tauchen unzählige hohe Pfähle mit ihren rotierenden Windmühlen-Flügeln auf. Wieder einmal zeigt sich, wie schlecht die Wahrnehmung in der Dunkelheit ist, man kann Distanzen einfach überhaupt nicht richtig abschätzen. Auf unserer elektronischen Seekarte ist dieser Windpark nicht verzeichnet. Ganz bestimmt gab es den vor einigen Jahren noch nicht, denn beim Start in 2011 sind wir genau dieselbe Route nahe an der Küste gefahren. Die hohen Masten mit den roten Lichtern wirken bedrohlich in der schwarzen Nacht. Unheimlich !

Gestern haben wir festgestellt, dass unser Positionslicht oben im Mast nicht mehr funktioniert. Thomas hat es daran gemerkt, dass die Anzeige der Strom-Spannung stabil geblieben ist. Sonst müssen wir während der Nacht den Motor zum Laden der Batterien laufen lassen. Nun fahren wir statt mit dem Dreifärber im Top das weiße Dampferlicht. Mir gefällt es. Es ist schön hell und braucht längst nicht so viel Strom.
Aus den angesagten 18 Stunden Flaute ist zum Glück nichts geworden. Ein zunächst leichter, später immer beständiger werdender Wind lässt uns bei voller Besegelung einigermaßen vorankommen. Aus der anfänglichen Schleichfahrt mit 2 Knoten wird zum Nachmittag hin eine gemütliche Kaffee-Fahrt mit 4 Knoten Fahrt. Kurz vor dem Kanal, der nach Amsterdam führt, passieren wir ein riesiges Ankerlieger-Feld. Haben inzwischen einen ganz guten Weg außerhalb der großen Schiffsrouten gefunden, dafür müssen wir jetzt Slalom fahren zwischen den Windparks. Die niederländische Küste ist gepflastert mit Off-Shore-Anlagen. Ein Lösch-Fahrzeug gibt uns eine interessante Vorstellung, indem es einen dicken Wasserstrahl in hohem Bogen ins Wasser speit. So etwas haben wir noch nie gesehen, wahrscheinlich handelt es sich um eine Übung. Mehrere Gas-Plattformen liegen auf unserem Weg, außerdem eine Öl-Plattform und einige „Baustellen“ mit eingeschränkt manövrierfähigen Fahrzeugen wie Kabel-Legern, Tauch-Booten etc.
Unser Petroleum-Herd funktioniert nun gar nicht mehr. Vorgestern erst aufgefüllt, gestern konnte man noch einen der beiden Brenner benutzen, heute geht der Ofen überhaupt nicht mehr an. Macht nichts, der soll sowieso weg. Die nächsten zwei Tage bleibt die Küche kalt. Das heißt, unser Wasser für Kaffee und Tee habe ich sowieso während der ganzen Fahrt auf dem Camping-Kocher heiß gemacht. Das Vorheizen, Warten, Anzünden, dazu der Gestank von Spiritus und Petroleum …. Nein, danke. Das soll bald ein Ende haben, wir stellen um auf Gas.
Schlieren am Himmel deuten auf eine Wetter-Verschlechterung hin. „Horse Tails“ nennt man diese Wolkenbildung im Pazifik-Raum. Sie kündigen Schlechtwetter in den nächsten 24 Stunden an – passt immer. Wir rüsten uns für die Nacht und den zu erwartenden Starkwind. Ab 19.00 Uhr legt der Wind zu. Zunächst wird die Genua geborgen, zwei Stunden später die kleinere Fock heruntergeholt. Ein wütender Wind treibt uns vor sich her. Nur mit dem 2-fach gerefften Großsegel haben wir mehr als 7 Knoten Geschwindigkeit drauf. Wir halten uns jetzt sehr nahe an der Küste, damit wir dem dicksten Schiffsverkehr entkommen. Immer schön der 10-Meter-Tiefenlinie entlang, da fahren keine großen Pötte. Ich bin ein bisschen nervös, weil wir nun auch noch dauernd das Echolot im Auge halten müssen. Dieses ist an einer so unzugänglichen Stelle angebracht, dass es ganz schlecht ablesbar ist. Auf jeden Fall gibt es demnächst ein neues Echolot, und es muss vom Steuerplatz aus sichtbar sein. Auf was man hier alles aufpassen muss ! Ich habe auf jeden Fall seit einigen Tagen das Gefühl, dass ich an permanenter Reizüberflutung leide. Der unglaublich dichte Schiffsverkehr, wechselnde Wassertiefen, Sandbänke, Tidenströme, Öl-Plattformen, Windräder, Bojen und Tonnen in verschiedenen Größen und Farben. Wir hatten fast vergessen, was für ein anspruchsvolles Segelrevier die Nordsee ist.
Während meiner Nachtwache passieren wir Texel, die westlichste der niederländischen Inseln. Backbord verläuft das Fahrwasser für die großen Schiffe, eine nicht enden wollende Lichterkette. Aber an denen stören wir uns nicht, die haben wir auf 3 Seemeilen Distanz. Nur ein einziges Schiff schert aus der Spur aus und will unsere Linie kreuzen. Die Berechnungen zeigen, dass es knapp wird – Kollisionskurs. Meine Güte, warum muss der ausgerechnet jetzt nachts um 2.00 Uhr nach Texel in den Hafen fahren ? Mit Motor-Unterstützung erhöhen wir die Geschwindigkeit und kommen vor dem querenden Fahrzeug durch.
Zum Ende des Tages haben wir eine Distanz von 1000 Seemeilen seit La Coruña zurückgelegt.

Der erste Blick aus dem Niedergang morgens zeigt zur Seeseite eine Öl-Plattform und zur anderen Seite die Einfahrt zur Insel Terschelling. Wir hangeln uns weiter entlang der 10-Meter-Tiefenlinie die niederländische Küste entlang. Der Wind hat sich wieder beruhigt, soll aber später nochmal losgehen. Zur Zeit freuen wir uns über ruhige See und gute Sicht. Nur ein paar Segler und Sportboote sind in der Nähe. Entspanntes Segeln entlang der niederländischen Küste. So langsam müssen wir darüber nachdenken, wann und wie und vor allem durch welches Fahrwasser wir bei diesen Bedingungen schlüpfen können. Haben uns die aktuellen Wassertiefen von Schluchter und Dove-Tief geben lassen, dazu die genaue Position der Ansteuerungstonnen und die Tide vor Norderney. Bei Niedrigwasser gibt es nur 2 Meter Wassertiefe im Schluchter, das scheidet bei Wind und Seegang aus. Mal sehen, wie wir unsere Ankunftszeit geschickt beeinflussen. Wahrscheinlich werden wir noch die nächste Nacht draußen vor der Insel verdaddeln und nehmen dann erst am Montag die Einfahrt bei auflaufendem Wasser durch’s Seegatt hinein.
Und das Beste kommt zum Schluss ! 🙂 Wir erleben einen durch und durch schönen Segeltag. Der Wind kommt mit 3-4 Beaufort von achtern, die Sonne scheint, super Stimmung an Bord. Rechts von uns zieht die Kulisse der holländischen Inseln langsam vorbei. Die Wester-Ems und Oster-Ems passieren wir ohne größere Zwischenfälle. Am Sonntag erreichen wir vertrautes Gebiet. Es geht an Schiermannigkoog und Borkum vorbei, wo schöne Erinnerungen an die Jahre mit unserer kleinen Dufour „Njörd“ wach werden.
Es bleibt leider nicht so friedlich. Beim Wachwechsel um Mitternacht sehe ich die roten Lichter eines Windparks auf der falschen Seite. Eigentlich wollten wir diese Anlage südlich der Inseln umfahren. Thomas steckt voll im Stress. Seit Stunden schon kämpft er mit vier Schiffen, die ihm aus unterschiedlichen Richtungen immer näher auf die Pelle rücken. Durch die vielen Ausweichmanöver ist er soweit abgedrängt worden, dass wir die Windkraft-Anlage jetzt weit draußen nördlich umfahren. Ein 20 Meter langes Fischerboot bleibt lästig. Ständig wechselt es seine Richtung, immer wieder kreuzt es unsere Kurslinie. Ja, ist der denn besoffen ? Es dauert weitere zwei Stunden, bis die Situation unter Zuhilfenahme des Motors endlich geklärt ist. Zu allem Überfluss taucht plötzlich ein Segelboot aus dem Nichts auf, während wir gerade einen Vollkreis drehen, um vom Fischer freizukommen. Den Segler haben wir vorher nicht gesehen, denn er sendet kein AIS-Signal. Schreck – wahrscheinlich auf beiden Seiten – Adrenalin und Schweißausbruch bei mir.

Schnell sind wir in der letzten Nacht. Um 2.00 Uhr morgens kann ich den Norderneyer Leuchtturm klar identifizieren. Um 3.00 Uhr haben wir die Lichter von Juist querab. Genau richtige 4 Windstärken aus Süd, die Genua steht auf backbord, Kurs 90 ° liegt gut an. Mit mehr als 6 Knoten Fahrt rauschen wir dem Ziel entgegen. Mit Anbruch des ersten Tageslichts erreichen wir die Ansteuerungstonne vom Dove-Tief. Nicht ganz einfach zu finden von See aus, aber auf jeden Fall die sicherere Variante gegenüber dem Schluchter-Fahrwasser. Um 5.00 Uhr geht die Sonne wie ein blutroter Ball im Osten auf. Wir haben nicht viel Muße, dieses Schauspiel gebührend zu bewundern. Mit dem Suchen der Tonnen bei schlechter Sicht und korrektem Steuern bei Gegenwind und Gegenströmung haben wir genug zu tun. Schräg achteraus liegt der Ozean-Schlepper Nordic an seinem festen Ankerplatz nördlich von Norderney. Grauer Himmel, graues Wasser, Nieselregen. Es dauert lange, bis wir unseren Weg von der Ansteuerung durch’s Dove-Tief um den Westkopf herum geschafft haben, denn inzwischen läuft das Wasser bereits wieder ab. Gegen 7.00 Uhr früh laufen wir in den Hafen ein und staunen darüber, was hier los ist. Mehrere Offshore-Fahrzeuge, die es hier vor 7 Jahren noch nicht gab, kommen uns bei der Suche nach einem Liegeplatz in die Quere. Sie starten gerade ihren Arbeitstag, manövrieren auf engstem Raum und machen sich auf ihren Weg zu den Windpark-Anlagen. Sonst ist noch nichts los, das Büro des Hafenwartes noch nicht besetzt. Ein guter Bekannter nimmt die Leinen an. Kaum festgemacht, da wird das Wetter richtig eklig. Wir freuen uns, dass wir vor dem Sturm und waagerechten Regen angekommen sind. Am nächsten Wochenende soll es auch wieder richtig dicke kommen, 7-8 Windstärken sind angesagt.

Aus dem Törn von La Coruña bis nach Norderney haben wir 1160 Seemeilen gemacht. Dazu kommt die Strecke ab Faro bis La Coruña, so dass wir nach 2080 Seemeilen insgesamt unsere erste „Testfahrt“ mit dem neuen Boot beenden. Es war eindeutig keine Passage entlang der Barfuß-Route, sondern anspruchsvoll für Schiff und Mannschaft. Viele Dinge sind unterwegs kaputt gegangen, aber genau genommen sind das alles nur Kleinigkeiten. Insgesamt sind wir sehr zufrieden. Wir haben ein starkes Schiff mit guten Segel-Eigenschaften und zuverlässigem Motor gekauft. Es gibt allerdings viel Verbesserungsbedarf, um die Walkabout für uns optimal einzurichten. Wird wohl noch eine Weile dauern, bis das Boot auf dem guten Stand ist, den wir uns wünschen.
Nun sind wir erstmal froh, dass wir gut angekommen sind. Duschen, Schlaf nachholen, das Schiff aufklaren, Reparaturen ….. Ich persönlich würde lieber 3 mal um Kap Hoorn segeln als so bald wieder durch den Englischen Kanal. So oft wie auf dieser Passage habe ich meinen Mann in den ganzen vergangenen 7 Jahren nicht aus der Koje geholt.
Seit 2011 Jahren haben wir nicht mehr mit einem Boot im Heimathafen gelegen. Ein großes „Dankeschön“ geht an den Vorstand des Seglervereins Norderney e.V. dafür, dass uns ein Liegeplatz nach den alten Konditionen zur Verfügung gestellt wird, obwohl wir nach so langer Zeit mit einer größeren Walkabout wiederkommen. 🙂 Wir freuen uns auf den Sommer zu Hause.

4 Kommentare zu “La Coruña bis Norderney – 2. Teil

    1. 871385 Autor des Beitrags

      Danke. 🙂 Und herzliche Grüße zurück von der stürmischen Insel.

  1. Wagner-Watzek

    Liebe Frauke, lieber Thomas,
    Herzlichen Glückwunsch zu eurer abenteulichen Rückkehr nach Norderney. Ihr seid super Segler mit viel Ausdauer und Geschick. Wir haben durch eure Berichte es gedanklich miterlebt. Liebe Grüße von Biggi und Jochen

  2. Heinrich und Hildegard Laufen

    Liebe Frauke, lieber Thomas,

    wir sind mit euch gereist und finden es ganz toll, dass ihr nun die neue Walkabout und Norderney miteinander bekannt macht. Habt eine wunderschöne Zeit auf eurer Insel und nicht nur Arbeit (für die wir euch gutes Gelingen wünschen)! Es ist beeindruckend, was ihr beide schafft, dazu die spannenden Berichte und die schönen Bilder. Ich melde mich demnächst mal per mail.
    Liebe Grüße von Heiner und mir eure Hilde (Ex-Namib)