Wir segeln und wandern durch die Welt

La Coruña bis Norderney – 1. Teil

Bei unserer letzten Aufräum-Aktion vor der Abfahrt machen wir eine traurige Entdeckung. Wir finden den kleinen Vogel, der uns von Faro aus ein paar Tage begleitet hat. Leider tot, verhungert und verdurstet. 🙁 Anscheinend ist der blinde Passagier durch ein Loch ins Innere der tiefsten Backskiste geschlüpft, um dort Schutz zu finden. Schade, wir hätten ihn gerne an Bord durchgefüttert und mitgenommen nach Spanien.
Start mit Hindernissen, wie so oft. Beim Anlassen des Motors kommt hinten öliges Wasser heraus. Was ist das nun wieder ? Thomas läuft zur Werkstatt und spricht mit einem Mechaniker. Eine halbe Stunde später können wir endlich los. Durch die Ruderwelle kommt Salzwasser ins Schiff, was sich in der hinteren Bilge gesammelt hat, die gerade eben erst trockengelegt war. Die Stopfbuchse muss angezogen werden – schon wieder. Der geflickte Schlauch zum Auspuff hält bisher noch zusammen, aber die Stelle ist feucht. Ich setze mich von außen auf unsere Decksluken, damit Thomas die Fenster von innen richtig dicht knallen kann. Not macht erfinderisch. Wollen wir doch mal sehen, ob sie nun immer noch lecken oder endlich wasserdicht schließen.
Wir fahren in die Stadt-Marina, um das erste Mal mit dem neuen Boot zu tanken. Der arme Tankwart badet zweimal in Diesel, weil es kräftig aus der Einfüll-Öffnung herausspritzt. Die Löcher zum Entlüften sind zu, die werden sofort freigepult und gesäubert. Beim Zusehen, wie das dreckige Wasser aus den Löchern rinnt, fällt uns ein : Es gibt eine direkte Verbindung zum Dieseltank. Wenn jetzt das Schmutzwasser so einfach herausläuft, dann kommt auch genauso leicht Dreck in den Tank. Gar nicht gut. Das Thema „Tagestank“ ist sehr aktuell und wird als Nächstes in Angriff genommen. Trotz Säuberung der Entlüftung dauert es eine kleine Ewigkeit, bis wir fertig sind, weil man den Diesel nur gaaaanz langsam einlaufen lassen darf. Vielleicht hat der Einfüll-Stutzen einen Knick oder ist einfach zu schmal im Durchmesser ? Müssen wir uns nochmal genauer angucken, aber sicher nicht heute. Der Tank war trotz vieler Motor-Stunden noch nicht einmal halb leer. 140 Liter passen heute hinein – wir zahlen 200,- Euro. Ganz andere Dimensionen sind das jetzt, denn bei der kleinen Walkabout hätten wir damit den Tank zweimal rappelvoll gekriegt.
Um 13.00 Uhr sind wir endlich soweit. Genau drei Wochen waren wir in La Coruña und haben dabei keinen einzigen Tag wie Urlaub verbracht. Besonders Thomas hatte eigentlich immer zu Reparieren und zu Werkeln. Nun sind wir wirklich froh, wieder auf See zu sein. Alle drei Segel sind angeschlagen, vorerst läuft aber noch der Motor, denn wir haben beim Start fast keinen Wind. Dafür gibt es Nieselregen, Nebel, sehr schlechte Sicht, alles grau in grau. Wir stellen auf Rad-Steuerung um, nachdem wir etwas weiter draußen sind. So können wir gleich wieder die Vorteile unseres Deckshauses genießen, wo wir warm und trocken steuern können. Vor uns der altbewährte Radar-Plotter mit elektronischer Seekarte, diesmal sehen wie auf dem Bildschirm zusätzlich die AIS-Signale der Schiffe in unserer Nähe. 🙂 Als wir am Nachmittag das Großsegel setzen wollen, da bleibt eine der Reffleinen an der Windhutze auf backbord hängen. Zum Glück sehe ich dieses aus dem Steuerhaus, Thomas versteht meine Zeichen zu deuten und kann rechtzeitig eingreifen. Aber das Segel ist noch nicht ganz oben …. Thomas steht am Mast und zieht kräftig, während ich von innen bemerke, dass etwas mit dem Großbaum nicht stimmt. Unglaublich, aber nun hat sich eine Leine hinter der Ecke einer der Solar-Paneelen festgehakt und hebt diese mit hoch. Schon wieder ist einer der Holzklötze abgerissen, weil das Material morsch ist. Wird sofort erledigt und erneut angeschraubt, die Paneele sitzt wieder fest. Aber das kann es doch wohl nicht sein …. 🙁 Irgendwie kommt es uns vor wie ein Kampf gegen Windmühlen. Viele Arbeiten und Reparaturen halten nur kurze Zeit, dann müssen sie wiederholt werden. Hoffentlich hört das bald auf ! Naja, bald sicherlich nicht, aber irgendwann sind wir bestimmt fertig.
Es sind etliche Schiffe um uns herum. Ich bin total begeistert von unserem neuen AIS. Wie konnte ich nur so sperrig sein und diesen kleinen schwarzen Kasten jahrelang verweigern ? Jetzt freue ich mich über die gut sichtbaren Dreiecke in rot, grün, lila und schwarz auf unserem Bildschirm. Die Hintergrund-Informationen geben eine exakte Vorstellung davon, was für Schiffe in der Nähe sind. So sehen wir genau, wer in welcher Richtung und mit welcher Geschwindigkeit unterwegs ist. Niemand kommt mehr gefährlich nahe. Keine Unklarheiten mehr und immer genug Zeit zum Reagieren. Wenn die nicht ausweichen, dann können wir unseren Kurs früh genug ändern. Gefahr erkannt – Gefahr gebannt. Also alles völlig entspannt. Ich liebe unser AIS ! 🙂 Eine Ausnahme bildet anscheinend das Militär. Hier entlang der spanischen Küste patrouillieren Fahrzeuge der Marine. Vermutlich sind das nur Übungen, aber trotzdem lässt sich das Militär wohl nicht gerne in die Karten sehen. Die deutlich erkennbaren Schiffe der Marine senden kein AIS-Signal aus.
Abends wird das Wetter schön. Der Regen verzieht sich, immer noch sehr wenig Wind. Amerikanisches Segeln – wir lassen die Maschine zur Unterstützung mitlaufen. Gleichzeitig lädt der Motor unsere Batterien, denn in der Nacht werden wir dank der stromfressenden Lichter wieder ein Spannungs-Defizit haben. Walkabout läuft schnurgerade auf unserer Kurslinie. Ein paar Delfine kreuzen unseren Kurs, haben aber keine Zeit zum Spielen, sondern schwimmen zielstrebig vor unserem Bug durch nach Westen.

Die erste Nacht auf See wird lang. Herrje – was ist hier viel los ! Kreuzfahrer, Frachter, Segler, Fischerboote …. Das macht keinen Spaß, auch nicht mit AIS. So viel Schiffsverkehr sind wir nicht gewöhnt. Sonst sind wir auf unseren langen Passagen eher alleine unterwegs. 3 Wochen ohne Sichtung eines Schiffes bei der Atlantik-Überquerung, rund Patagonien 2012 in völliger Einsamkeit, bei der Pazifik-Überquerung 2015 sogar 7 Wochen ohne fremde Lichter. Selbst von Tonga nach Neuseeland sowie von Neuseeland nach Fiji und zurück konnte man die Schiffe auf dem Wege an einer Hand abzählen. Und nun so etwas …. Um 2.00 Uhr habe ich bereits die Nase gestrichen voll. Dreimal in einer Stunde habe ich Thomas aus der Koje geholt, der mir gerne mit Rat und Tat zur Seite steht. Bin froh, als meine Wache um 4.00 Uhr endlich vorbei ist. Aber bevor ich mich in die Koje lege, gibt es noch ein ganz besonderes Schauspiel. Eine große Delfinschule findet unser Boot interessant. Etwa ein Dutzend dieser Akrobaten schwimmt neben der Walkabout oder taucht unter uns hindurch. Das Wasser wird von breiten leuchtenden Spuren der Delfin-Körper durchzogen, denn es ist Meeresleuchten. Im weiten Umkreis glitzert und funkelt es um uns herum von den schnellen Bewegungen. Besonders toll sieht es aus, wenn sie aus dem Wasser springen und ihre Pirouetten in der Luft drehen. Man hört es laut plätschern, gleichzeitig steigen silberne Spritzer aus dem Wasser auf, während der Körper eine leuchtende Bahn hinter sich her zieht. Man kann die Delfine so besser sehen als am Tage. Toll ! 🙂 Wie gebannt schauen wir uns diese Vorstellung an und sind völlig fasziniert von der Schönheit der Natur.
Morgens wieder grauer Himmel, aber es gibt endlich etwas mehr Wind, und zwar von achtern. Mit gut 5 Knoten Fahrt segeln wir Richtung Norden. Inzwischen haben wir uns von der Küstenlinie entfernt und sind weiter in die Biscaya eingedrungen. Voraus freier Horizont. Wir scheinen es erst einmal geschafft zu haben, dem vielen Schiffs-Verkehr aus dem Weg zu gehen. Sehr gut. 🙂 Schon bald nach Beginn der Morgenwache werde ich wieder von Delfinen begrüßt, die sich zu beiden Seiten des Rumpfes tummeln. Zunächst sehe ich sie nicht, sondern höre nur ihr Pfeifen. Ob das wohl dieselben Tiere sind, die uns schon in der Nacht so lange begleitet haben ?
Mittags regnet es sich ein. Sehr komfortabel, aus unserem bequemen Deckshaus heraus die Umgebung zu beobachten, ganz ohne dabei nass zu werden. Kabbelige See mit kurzen steilen Wellen. Unser Kurs wird schlechter, da muss bald etwas passieren. Der Wind legt weiter zu und dreht auf Süd. Groß und Fock werden geborgen, wir gehen auf den anderen Bug. Nur mit dem Klüver auf backbord läuft die Walkabout wunderbar, wir machen konstante 5-6 Knoten Geschwindigkeit. Die Aries-Windsteuerung funktioniert tadellos. Inzwischen bewegen wir uns am äußeren Rand einer See-Schifffahrts-Straße. Immer noch Nieselregen und Nebel, sehr schlechte Sicht. Auf dem Bildschirm sehe ich dank AIS gleich 8 Schiffe im Umkreis von 10 Seemeilen. Mit bloßem Auge kann ich kein einziges Fahrzeug erkennen. Das heißt nun wieder : Vorsicht, besonders gut aufpassen und im Zweifelsfalle ausweichen. Ich halte mich zunächst am rechten Rand der Straße und hoffe, dass uns kein Schiff zu nahe kommt. Zum Beispiel dieser Tanker aus Hongkong mit 460 Meter Länge … der sollte besser etwas auf Abstand bleiben, schon allein wegen seiner Bugwelle. Am Nachmittag kommen die Wellen von achtern und werden immer höher. Es sieht so aus, als wollten sie über das Heck einsteigen. Da wir wegen des Deckshauses nur eine ganz kurze Plicht haben, sitze ich keine 2 Meter entfernt vom hinteren Ende des Bootes. Sieht schon etwas beängstigend aus, an diesen Anblick werde ich mich noch gewöhnen müssen. Im Inneren wird das Leben unangenehm. Das Schiff rollt tüchtig zu beiden Seiten, im Schrank klappern die Töpfe und einiges Andere.

Die ganze Nacht hindurch prasselt ergiebiger Regen auf’s Dach. Das Deck ist sauber, alles schön mit Süßwasser gespült. Immer noch herrscht wahnsinnig viel Verkehr. Was bin ich froh darüber, dass wir das AIS bestellt und in La Coruña darauf gewartet haben ! Wir befinden uns jetzt ungefähr in der Mitte der Biscaya. Ich steuere drei Stunden meiner Wache lieber von Hand, um dem Geschehen aus dem Weg zu gehen. Im Cockpit-Haus, trocken und gemütlich mit einer Wolldecke um die Beine gewickelt. Ja, so kann man es aushalten. Unser Schiff ist für kalte Regionen und schlechtes Wetter konzipiert. Wer braucht schon in der Südsee ein festes Deckshaus ?
Der dritte Tag auf See beginnt grau und mit Regen. Um 8.00 Uhr wird gefunkt, unsere Position herausgegeben, und die neuen Wetterkarten werden angefordert. Es erreicht uns eine Nachricht vom Seglerverein Norderney mit den aktuellen Wassertiefen für die Einfahrt durch’s Dove und Schluchter. Dort ändert sich jedes Jahr bzw. bei jedem Sturm das Fahrwasser, und es ist sehr gut, von kompetenter Stelle die aktuellen Daten zu bekommen. Danke. 🙂 Der Wind ist weiter umlaufend, kommt ein paar Stunden aus Ost und dreht dann sogar weiter auf Nord-Ost. Walkabout trägt inzwischen die volle Segel-Garderobe, alle drei Segel so dicht wie möglich. Tatsächlich können wir so hart an den Wind gehen, dass wir einen Kurs von 10°-20° Grad halten können. Ein riesiger Unterschied zu unserem früheren Boot, die neue Walkabout ist wirklich ein toller Segler. 🙂 Nachmittags gibt es wieder Besuch von Delfinen, die lange um unser Boot herumtoben. Der blöde Wind dreht tatsächlich weiter auf Nord, unser Kurs wir immer schlechter. Wir entschließen uns dazu, die Hauptstraße mit dem vielen Schiffsverkehr zu durchqueren. Es dauert ganze 4 Stunden, bis wir unter Segeln hinüber auf die andere Seite kommen. Jetzt halten wir uns deutlich am linken Rand der Spur und haben die Entgegenkommer voraus, die von England aus nach Süden unterwegs sind. Kurs zur Zeit 330° – nicht perfekt, aber das können wir in den nächsten Tagen hoffentlich wieder ausbügeln. Der Nordwind wird wohl nicht ewig bleiben. Und wir hatten uns sowieso vorgenommen, den Englischen Kanal auf der englischen Seite zu durchfahren. Das bedeutet für uns jetzt erstmal : grobe Richtung Südspitze von England. Thomas beschäftigt sich ausgiebig mit dem Bedienungshandbuch unserer Simrad-Navstation in Verbindung mit dem AIS-Gerät. Es lohnt sich ! Nach Beendigung seiner Studien sind einige neue Funktionen programmiert und auf Knopfdruck abrufbar. Besonders nützlich sind die zusätzlichen Daten bei den als „gefährliche Schiffe“ eingestuften Dreiecken. Dank der Berechnung von Ort und Zeitpunkt der dichtesten Annäherung kann man praktisch ablesen, wann es knallen würde. Damit es nicht soweit kommt, kann man einen Alarm einstellen, der jeden müden Einhand-Segler wecken würde. Ich bin vom ersten Tag an davon überzeugt, dass unser neues Spielzeug ein großes Maß an zusätzlicher Sicherheit bietet. Klasse ! Bei der Funkrunde mit Intermar erfahren wir, dass vor uns ein Tiefdruck-Gebiet liegt. Der Wind wird in den nächsten 24 Stunden zunehmen und wird stramm aus Nord erwartet. Vor Beginn der Nacht wird der Klüver eingeholt, jeweils ein Reff ins Groß und in die Fock gebunden. Wir sind bereit für mehr Wind, mit der Richtung können wir uns allerdings nicht anfreunden. Laufen jetzt nur noch Kurs 310° Grad, also viel weiter nach Westen als uns lieb ist.

Haben wir schon wieder einen neuen Tag ? Es wird gar nicht richtig hell. Das schlechte Wetter ist da. Hatten wir überhaupt bisher schönes Wetter auf dieser Passage ? Seit Tagen haben wir keine Sonne mehr gesehen …. dafür jeden Tag Delfine, unsere treuen Begleiter. Der Wind ist deutlich stärker geworden und bläst mit 25 Knoten, leider wie angekündigt aus Nord. Wellenhöhe steigt, wir stampfen gegenan. Was für ein Spießrutenlauf ! Immer noch haben wir zu allen Seiten große Schiffe um uns herum. Wir gucken uns draußen die Augen aus, aber man sieht sie nicht. Um uns herum herrscht dichter Nebel, die Sichtweite beträgt maximal 50 Meter vor dem Bug. Keine gute Kombination : Gegenwind, aufgewühlte See, Nieselregen und Nebel. Eine Weile schalten wir noch das Radar hinzu, aber dafür muss der Motor angestellt werden. Die Sache mit dem Stromverbrauch …. Ohne Maschine geht das Radar-Gerät gar nicht erst an. Nützt ja auch alles nichts, irgendwann wird es besser werden. Mit verkleinerter Segelfläche schleichen wir auf nicht so optimalem Kurs dahin. Kein entspanntes Lesen während der Wache, ich bin die ganze Zeit in Alarm-Bereitschaft. Den Gang nach draußen für den Rundum-Blick kann man sich eigentlich sparen, so dick ist die Nebelsuppe. Gruselig. 🙁 Ich gehe trotzdem ausgucken, erkenne aber absolut nichts. Muss mich jetzt voll auf unser AIS verlassen. Wenn mir das Gerät anzeigt, dass ein 500 Meter langer Frachter mit 1,5 Seemeilen Abstand hinter uns durchgeht, dann glaube ich das einfach. Thomas hat mir erklärt, dass es keine Schätzungen sind, sondern Computer-Berechnungen, die stimmen müssen. Na denn …. Kann ja eigentlich gar nichts schiefgehen. Und noch einmal : Bin heilfroh, dass wir uns für ein AIS entschieden und in La Coruña darauf gewartet haben. Die Biscaya gehört zu den am stärksten befahrenen Gebieten der Welt, und wir kreuzen mittendurch. Der Verkehr im Englischen Kanal, der vor uns liegt, ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Im Jahre 2011 sind wir „einfach durch“ – ohne Angst und ohne lange nachzudenken. Jugendlicher Leichtsinn ? 😉 Wir sind vorsichtiger geworden.
Wieder bekommen wir Besuch an Bord von einem gefiederten Passagier. Eine wohlgenährte Taube kommt angeflogen – woher auch immer. Wir sind ungefähr 450 Kilometer von Spanien entfernt und haben eine Distanz von 280 Kilometern bis zur französischen Küste. Der Vogel sieht erschöpft aus, trotzdem fängt er nach ein paar Minuten an, durch’s Cockpit zu trippeln und alles genau zu inspizieren. Von Angst keine Spur, diese Taube scheint an Menschen gewöhnt zu sein, sie hat insgesamt 3 Ringe an den Füßen. Sie wird immer zutraulicher, kommt näher und steckt sogar neugierig ihren Kopf ins Deckshaus. Sicherheitshalber schließe ich die Tür. Mitfahren ist okay, aber bitte nicht in unserem Salon und auch nicht in irgendeiner Ecke verkriechen, um dort zu verenden. Ich stelle einen Topf mit Wasser nach draußen. Unser Passagier hat großen Durst. Dann gibt es eine leckere Müsli-Mischung mit Früchten und Haferflocken. Auch das Futter wird sehr gerne angenommen. Aber …. Ohje ! Kaum, dass Hunger und Durst gestillt sind, kommt die Verdauung beim Vogel so richtig in Gang. Was für ein Geklecker ! Mehrmals in der Stunde klettere ich nach unten, komme mit Küchenrolle und Wasser wieder hoch, um die Hinterlassenschaften zu entfernen. Zum Wachwechsel um 20.00 Uhr gebe ich auf – das ist jetzt nicht mehr meine Baustelle. Ich habe keine Lust mehr und genug von dieser Taube. Außerdem hätte ich viel lieber eine Katze ! 😉

Sonntag früh ist unsere Taube nicht mehr da. Sie hat getrunken, gefressen, geschlafen und sich jetzt anscheinend wieder auf den Weg gemacht. Zum Glück ! Was für eine Sauerei ! Das ganze Cockpit ist vollgekackt. Der Boden, die Grätinge, die Leinen …. Auf dem Dach, wo die Solar-Paneelen sitzen, schaue ich besser gar nicht nach. Habe gut eine Stunde damit zu tun, immer wieder Seifenwasser von unten zu holen, zu scheuern und wenigstens den gröbsten Dreck zu entfernen. Das Wetter hat sich anscheinend beruhigt. Sogar die Sonne blitzt kurz hinter den Wolken hervor. So sieht der Nord-Atlantik gleich viel netter aus. Wir können zum Großsegel die Fock auf backbord setzen, später kommt noch der Klüver hinzu. Walkabout segelt nun einen Kurs von 310°, mit 4 Knoten Geschwindigkeit zwar langsam, aber stetig. Leider stimmt die Richtung nicht. Wir müssen nach Nord-Osten, um nach Hause zu kommen, aber die nächsten 72 Stunden soll der Wind so bleiben. Da haben wir nur die Wahl zwischen Süd-Ost-Kurs oder zu weit nach Westen. Wir kreuzen auf, etwas Schlaueres fällt uns nicht ein. Mühsam erkämpfter Raum-Gewinn. Damit verlängern wir unsere Segelstrecke natürlich mal wieder um 1-2 Tage, aber das sind wir ja schon gewohnt. 😉 Wir erreichen jetzt bald den Kontinental-Schelf, wo die Wassertiefe drastisch abnimmt auf 200 Meter. Neben den Tiefen-Angaben auf unserer elektronischen Seekarte ist es ganz deutlich dadurch zu erkennen, dass mehrere große Fischerboote hier hin- und herfahren. Die sind eindeutig bei der Arbeit, denn sie bewegen sich kaum vom Fleck. Mit einer Geschwindigkeit zwischen 0,5 und 2 Knoten fahren sie scheinbar ziellos mal in die eine und dann wieder in die andere Richtung. Die Fischer machen mich nervös, weil sie so schlecht einzuschätzen bzw. zu berechnen sind. Ich starte den Motor, um die Boote großräumig zu umfahren. Fühle mich viel besser, als wir sie hinter uns gelassen haben. Mittags stehen wir in etwa 700 Seemeilen Entfernung von Norderney. Ist ja ein Klacks – von Puerto Montt in Chile bis zu den Gambier Islands waren wir 4600 Seemeilen am Stück unterwegs. Unser schlechtestes Etmal bisher : 70 Seemeilen in 24 Stunden gesegelt, und diese noch nicht einmal genau auf Kurslinie.
Immer noch fahren wir mit der spanischen Gastland-Flagge spazieren. Das Abnehmen ist eine Kletterpartie, die man lieber nur bei ruhiger See macht. Die Steuerbord-Klampe zum Festbinden der Flaggenleine ist auf 2,30 Meter Höhe am Mast angebracht. Eine so einfache Sache wie das Hissen oder Einholen der Gastland-Flagge wird dadurch unnötig erschwert. Wenn der Mast am Boden liegt, dann soll die Klampe auf jeden Fall tiefer gesetzt werden und somit bedienerfreundlicher werden.

Was für eine stockfinstere Nacht ! Wasser schwarz, Himmel schwarz, Sterne gibt es hier wohl nicht, wurden auf jeden Fall noch nicht gesehen. Wieder verlassen wir uns ausschließlich auf das AIS. Zum Glück sind wir dem Haupt-Schiffsverkehr entkommen. Statt 10 Schiffen haben wir jetzt meistens nur noch 2-3 Schiffe um uns herum. Auf dem AIS-Gerät beobachte ich über eine Stunde lang die Annäherung eines großen Berufs-Fahrzeugs. Dank der Angaben in der elektronischen Liste der gefährlichen Schiffe weiß ich, dass wir ohne Kurs-Änderung aneinander vorbei kommen. Passt ! Es handelt sich um einen 120 Meter langen Frachter mit Namen „Borkum“ , der geht eine Meile hinter unserem Heck durch. Da fühlt man sich doch schon fast wie zu Hause. 😉 Eine Taube versucht mehrfach, bei uns an Bord zu landen. Nicht dieselbe wie vorgestern, diese ist etwas kleiner und magerer. Hat es sich etwa herumgesprochen, dass die Walkabout eine gute Zwischenstation für einen Stopp zum Ausruhen ist ? Leider schafft dieser Vogel es nicht bis in den Schutz, er macht mehrere Lande-Anflüge und fällt dabei jedes Mal ins Wasser. Durch unsere tagelange Kreuzerei sind wir nun so weit westlich geraten, dass wir beim vorherrschenden Wind aus Nord-Ost den richtigen Kurs nach Hause anlegen können. Walkabout läuft hoch am Wind nur mit 3- 4 Knoten, aber wir wollen uns nicht beschweren. Endlich nähern wir uns dem Ziel, den Englischen Kanal haben wir quasi schon vor der Nase. Jetzt wünschen wir uns noch etwas mehr Geschwindigkeit und wenig störenden Schiffsverkehr auf unserem Weg. Der Luftdruck steigt, das Tief scheint vorbei zu sein. Nachmittags um 16.00 Uhr weckt Thomas mich mit den Worten : „Die Sonne scheint „. Und tatsächlich ! 🙂 Endlich Luft an die Haut lassen und die Wärme der Sonnenstrahlen spüren. Was tut das gut ! Der Himmel und der Ozean sind eine Nuance heller geworden. Hinzu kommt, dass der Wind einen Tacken zu unserem Gunsten gedreht hat. Wir befinden uns jetzt 60 Seemeilen von der französischen Küste entfernt und 80 Seemeilen vor der Südspitze Englands. Als Vorboten vom Land fliegen über uns verschiedene Arten von Seevögeln, Möwen, Lummen. Es herrscht wieder Verkehr satt, denn hier ist die Kurve, die auf der Haupt-Schifffahrtsroute in den Englischen Kanal führt. Rechts von uns tummeln sich ein Dutzend großer Schiffe, aber wir sind soweit nach Westen ausgewichen, dass wir komplett frei davon sind. Das erste Mal auf dieser Passage erleben wir Bilderbuch-Segeln. Mit voller Besegelung laufen wir zwischen 5 und 6 Knoten genau auf unserer Kurslinie. Bitte weiter so ! Kleiner Wermutstropfen : Beim Bergen des Klüvers am Abend ist die Lieblingsmütze von Thomas über Bord gegangen. 🙁 Nein, wir sind kein Mütze-über-Bord-Manöver gefahren, denn es war bereits dunkel. Vielleicht häkelt die liebe gute Marion ihm ja eine neue Mütze ?

Dienstag ist Bergfest. Der neue Tag beginnt mit Sonne und Ausweich-Manövern. Wir haben etwa die Hälfte der Strecke geschafft. Bis jetzt war es alles Andere als entspannt. Mehr Gegenwind als vorhergesagt und unglaublich viel Schiffsverkehr machen diesen Törn total anstrengend. Für mich persönlich ist es die schlimmste Passage, die ich je gemacht habe. Das heißt, soweit ich mich erinnern kann …. Im Nachhinein vergisst man die schlechten Dinge ja schnell wieder und behält nur die positiven Erinnerungen. Vielleicht liegt mein Unbehagen auch an dem neuen Boot, mit dem ich noch nicht richtig warm werden konnte. Es zeigt doch sehr viel Ermüdungserscheinungen. Deswegen fahren wir die meiste Zeit nur gebremst und mit halber Kraft. Wir wollen das alte Rigg nicht zu sehr strapazieren. Vor unserem Start im Sommer 2011 hat die alte Walkabout einen nagelneuen Mast und ein komplett neues Rigg mit extra starken Drähten bekommen. Das ist gerade erst 7 Jahre her – da weiß man, was man hat. Die neue Walkabout ist Baujahr 1983, was bedeutet, dass Mast und Rigg bereits 35 Jahre stehen. Wir trauen dem nicht über den Weg. Thomas setzt zusätzlich die beweglichen Backstagen, um das Rigg zu entlasten. Diese gehen bis zur zweiten Saling und bilden einen Gegenpol zum Vorstag. Trotzdem sind wir die ganze Zeit angespannt.
Was für ein Horror ! Wir sind wieder mittendrin und werden von größeren Schiffen gejagt. So kommt es uns zumindest vor, denn sie tauchen plötzlich von allen Seiten auf. Und da alle anderen Fahrzeuge schneller sind als wir, werden auch die von hinten aufrückenden Schiffe zum Problem, die immer näher kommen und uns überholen wollen. 16 bunte Dreiecke gleichzeitig auf dem Bildschirm …. das ist mehr als man haben möchte. Am Nachmittag erleben wir innerhalb von nur 2 Stunden gleich 4 mal den unwahrscheinlichen Fall, dass es zum Zusammenstoß führen könnte. Das AIS meldet zum Beispiel „Kollisionsgefahr“ bei einer Annäherung auf eine Viertel Meile in einer halben Stunde. Dann heißt es „reagieren“ und schnell weg. Wir senden selber kein AIS-Signal aus, weil die Antenne auf dem Mast nicht richtig funktioniert. Die anderen Schiffe sehen uns Klein-Fahrzeug in der Regel nicht. Wir müssen immer wieder ausweichen. Das bringt uns heute richtig in Stress, der Adrenalin-Pegel steigt. Von achtern nähern sich zwei schnelle Fahrzeuge zu beiden Seiten. Wir fahren genau zwischen ihnen, so dass sie uns regelrecht in die Zange nehmen. Ein Versuch, mit Motorkraft die Situation zu entschärfen, scheitert. Anluven geht nicht, dann kommen wir dem Einen zu nahe. Wenn wir abfallen, dann wird es eng mit dem anderen Schiff. Also fahren wir eine Wende, gehen auf den anderen Bug und können diesen Beiden so gerade ausweichen. Just in dem Moment erscheint auf unserem Bildschirm ein weiteres Schiff, das von querab kommt und direkt auf uns zuhält. Sehr schnell – 35 Knoten Fahrt zeigt das AIS an. In nur 10 Minuten soll es uns erreicht haben. Au weia ! Also noch einmal wenden, um die Position zum Besseren zu verändern. Scheint zu klappen, der voraussichtliche Abstand der Begegnung wird langsam größer. Da kommt schon der nächste Frachter in unsere Reichweite, diesmal frontal von vorne. Mir bricht der Schweiß aus – ich will nicht mehr. Insgesamt 6 mal innerhalb von 2 Stunden wechseln wir auf den anderen Bug, kreuzen also sozusagen mit kurzen Schlägen zwischen den schnelleren Schiffen. Ich bin mit den Nerven am Ende. Thomas seine Freiwache ist halb um. 🙁
Nachts haben wir schon wieder über 6 Windstärken von vorne. Mühsam, mühsam. Plötzlich knallt die Großschot, weil sie bei dem zunehmenden Winddruck aus der Klemme gerutscht ist. Thomas liegt in der Koje, springt aber sofort zu Hilfe und bindet ein Reff ins Groß. Damit machen wir immer noch mehr als 6 Knoten Geschwindigkeit. Vielleicht doch lieber noch ein Reff in die Fock binden ? Links und rechts von uns zieht ein Schiff nach dem Anderen vorbei. Nur ein einzelnes Fischerboot von 20 Meter Länge läuft nicht in der Spur. Den Fischer müssen wir irgendwie umfahren, aber das dürfte kein Problem sein, weil er ungefähr unser Tempo hat. Es ist unheimlich, wenn man die vielen Lichter sieht, aber sonst nicht viel erkennen kann. Wenn wir schön gerade Kurs halten, dann rutschen wir vielleicht mit ausreichend Abstand genau in der Mitte durch. Sonst müssen wir wieder Ausweich-Manöver fahren ….. Den Rekord erlebe ich nachts um 1.00 Uhr – da sehen wir 25 Schiffe gleichzeitig im Umkreis von 10 Seemeilen. Unruhige Wache. Auch der Freihabende findet nicht viel Schlaf. Scheiß-Spiel. 🙁
Einer der Rollenblöcke an der Windsteuer-Anlage geht kaputt. Scheint auch nicht mehr der Neueste zu sein, das ist ganz klar Material-Ermüdung. Den müssen wir gut im Auge behalten. Thomas fettet den Block und redet ihm gut zu, dass er bis Norderney durchhalten muss. Dort können wir alles wieder reparieren.

Ein Kommentar zu “La Coruña bis Norderney – 1. Teil

  1. Ingrid

    Danke für diesen ausführlichen Bericht. Ich würde ja gerne mal als Gast segeln, aber keine Verantwortung übernehmen, das ist mir zu aufregend. 😀

    Gute Erholung nach dieser anstrengenden Tour!

    Liebe Grüße von Ingrid