Die Überfahrt von Wellington nach Picton mit der Fähre durch die Cook Strait ist rauh. Wind und Wellen lassen das Schiff ordentlich schaukeln. Viele der Passagiere sind schon nach einer halben Stunde seekrank. Von der Besatzung werden Eiswürfel zum Lutschen und Spucktüten verteilt. Ganze Kerle stehen an der Reling und würgen. Wir nicht. 🙂 Nach einer kurzen Nacht auf dem Campingplatz bringt uns das Wassertaxi der Beachcomber Cruises zum Startpunkt an der Ship Cove. Mit Tochter Nina und ihrem Freund Fabian verbringen wir vier Wandertage auf dem Queen Charlotte Track. Das sind knapp 100 Kilometer überwiegend auf der Ridgeline mit weitem Blick über die Marlborough Sounds. Leichter Trail und malerische Aussicht zu beiden Seiten, insgesamt eine sehr schöne Strecke. 🙂 Nach einigen Start-Schwierigkeiten wie zu viel Gewicht im Rucksack, Fuß-Schmerzen und Blasen, laufen die beiden jungen Leute mir fast davon. Ich habe wirklich Mühe, mit deren Tempo Schritt zu halten.
Keine besonderen Vorkommnisse, außer : Ein frecher Weka stiehlt mir bereits am ersten Tag meine Sonnenmilch. Die ist mir beim Eincremen auf den Boden gefallen, und so schnell kann ich nicht aufspringen und hinterher. Der diebische Vogel ist tatsächlich mit der kleinen gelben Flasche verschwunden. Egal, denn gegen jede Vernunft habe ich sowieso ein Fläschchen zu viel im Gepäck. 😉 In der zweiten Nacht herrscht bei Nina und Fabian Possum-Alarm. Die an sich possierlichen Felltiere veranstalten ein furchtbares Geschrei und machen sich über die außerhalb des Zeltes gelagerten Früchte her. Trotz Bewerfens mit Gegenständen lassen sich die Possums nicht vertreiben, so dass die Beiden kaum ein Auge zumachen können. Die süßen Feigen werden aufgefressen, aber auch Kiwis und Birnen angeknabbert. Schade um die leckeren Sachen, aber frisches Obst ist sowieso viel zu schwer. 😉
Nach einem Ruhetag in Havelock geht es zu Dritt weiter in die Richmond Range. Wir starten bei Nieselregen an der Pelorus Bridge mit einem folgenschweren Fehler. Zunächst laufen wir den Dalton Track, aber nach mehr als einer Stunde guten Vorwärtskommens müssen wir uns eingestehen, dass wir die falsche Richtung gewählt haben. Also umkehren und zurück. Gut 2 Stunden Zeit verschenkt, und wir sind etwa 10 Kilometer umsonst gelaufen. Grrrr – was für ein blöder Start ! 🙁 Voll ärgerlich, aber wir schaffen es am ersten Abend doch noch bis zur geplanten Hütte. Immerhin 32 Kilometer, obwohl wir erst spät aus Havelock weggekommen sind.
Auch am nächsten Tag sind wir fleißig. Das Wetter ist schön, das Laufen macht Spaß. Es geht immer weiter hinauf, die hohen Berge der Richmond Range liegen vor uns. Die Rucksäcke mit Proviant für 8 Tage drücken etwas. Wir sehen ein kleines geschecktes Zicklein. Zwei schwarze Ferkel laufen quer über unseren Weg, von der Muttersau keine Spur. Millionen von Sandflies machen uns das Leben schwer, seit wir uns auf der Südinsel befinden. Wackelige Hängebrücken erleichtern das Überqueren der zahlreichen Flüsse, manchmal gibt es aber auch nasse Füße. Wir sind voll motiviert und bester Stimmung, kommen sogar eine Hütte weiter als geplant. Ein gutes Team ! 🙂
Tag 3 beginnt ganz harmlos und entspannt. Es herrscht wieder Sonnenschein, das macht gute Laune. Knackige Anstiege bringen uns ordentlich ins Schwitzen. Einige kleine Gipfel bieten tolle Ausblicke auf die unter uns liegende Landschaft. Am Ende des Tages werden wir die Baumgrenze erreichen. Nachmittags zieht sich der Himmel zu, und dunkle Wolken brauen sich über uns zusammen. Ein junger Hiker kommt uns entgegen und erzählt von einer Unwetter-Warnung in diesem Gebiet. Er ist von Norden nach Süden auf dem Te Araroa unterwegs und heute bis zur Mitte der Richmond Range gewandert. Auf dem höchsten Gipfel hatte er kurz Handy-Signal und einen verheerenden Wetterbericht für die kommenden Tage empfangen. Daraufhin ist er sofort umgedreht, läuft jetzt ein Stück zurück, um auf dem schnellsten Wege die hohen Berge zu verlassen. Er rät uns dazu, das Gleiche zu tun, aber so schnell wollen wir nicht aufgeben. Wir danken ihm für seinen Hinweis, wünschen viel Glück und steigen weiter auf. Es wird schon sehr früh dunkel, der Himmel sieht gar nicht gut aus. Wir beeilen uns, um noch vor dem drohenden Regen die Hütte zu erreichen. Um 18.00 Uhr kommen wir schnaufend und verschwitzt an der Starveall Hut an und sind zunächst einmal erleichtert. Dann die große Enttäuschung : der Wassertank ist leer. Waschen, Kochen, Trinken …. Es war ein harter Tag, und nun sollen wir kalt essen ? Nina und ich sind ziemlich fertig, nachdem wir das letzte Drittel der 900 Höhenmeter so schnell wie möglich zurückgelegt haben. Da geht nichts mehr. Der gute Fabian läuft noch einmal 2 Kilometer zurück, um für uns Wasser vom letzten Bach zu holen. Unsere Hütte ist eine der älteren Generation, dunkel, schmutzig, eng. Etagenbetten mit gammeligen Matratzen, für 6 Personen ausgerichtet und nun mit 6 Leuten belegt. Nicht besonders gemütlich. 🙁 Dann kommt der Regen, ein Starkregen, bei dem man sich nicht mehr vor die Tür traut. Gegen 23.00 Uhr geht der Sturm los. Die Starveall Hut liegt auf 1200 Meter Höhe und steht völlig ungeschützt auf einem Plateau. Orkanartige Böen toben die ganze Nacht um uns herum, so dass die kleine Hütte wackelt. An Schlaf ist da kaum zu denken, denn wir alle machen uns Sorgen, wie sich das Unwetter weiter entwickeln wird.
Früh am nächsten Morgen müssen wichtige Entscheidungen getroffen werden. Die Sicherheit geht vor, wir müssen hier weg. Aber wie und wohin ? Ein australisches Paar, welches ebenfalls den Te Araroa von Nord nach Süd durchwandert, hat sich einen guten Plan ausgedacht. Die Beiden möchten die Richmond Range über einen Sidetrail verlassen, danach über eine Forststraße in den kleinen Ort Hope laufen. Dort dann übernachten, besseres Wetter abwarten und wieder zurück auf den Trail. Wir werden es ganz ähnlich machen, denn weiter in die Höhe zu klettern ist jetzt bestimmt nicht ratsam. Start in Regen und Wind auf einem holprigen Pfad, der sich von dem sintflutartigen Niederschlag in einen fließenden Bach verwandelt hat. Nach 3 Stunden erreichen wir eine verlassene Piste und folgen dieser viele, viele Kilometer. Wir haben keine Ahnung, wohin dieser Weg führt und wie weit wir noch laufen müssen, bis wir in der Zivilisation ankommen. Einfach immer weiter, bis wir schließlich eine größere Straße erreichen, wo prompt ein Auto für uns anhält. Der nette Mann kommt aus dem Dorf Brightwater, wo er uns gegen 17.00 Uhr vor einem Motel aussteigen lässt. Es gibt nur noch ein Zimmer, das bekommen Nina und Fabian. Für mich alleine wird sich schon etwas finden …. denke ich. Aber Brightwater ist ein winzig kleines Kaff. Es gibt kein weiteres Motel, keine Lodge, noch nicht einmal ein Backpacker’s Hostel. Nachdem ich mehrere Leute nach Unterbringungs-Möglichkeiten gefragt habe, stelle ich mich wieder an die Hauptstraße und fahre per Anhalter etliche Kilometer weiter bis ins nächste Dorf. Auf einem schmuddeligen Campingplatz kann ich eine Pritsche in einer Baracke für 6 Personen ergattern, die zum Glück nur mit 3 Mädels belegt ist. Duschen und Wäsche waschen, dann endlich 10 Stunden erholsamer Schlaf. Am nächsten Morgen erfahre ich, dass ich in dem Örtchen Mapua gelandet bin. Auch nicht schlecht – da war ich noch nie. 😉
Unser nächster Versuch soll die mehrtägige Route von St. Arnaud in Richtung Waiau Pass sein. Auch eine sehr anspruchsvolle Tour, aber einfach kann ja Jeder. 😉 Da wir von verschiedenen Orten aus anreisen, trampen wir getrennt nach St. Arnaud. Sehr viel Verkehr, aber wenig nette Autofahrer. Wir müssen lange stehen, es ist ziemlich mühsam. Aber schließlich klappt es, ich bin sogar zuerst da. Pizza-Essen zur Stärkung, denn wir werden auf der nächsten Etappe viel Kraft brauchen.
Am ersten Tag ist unser Trail sehr einfach und Touristen-gerecht. Ganz entspannt laufen wir bei strahlendem Himmel um den Lake Rotoiti herum. Kurze Pause an der ersten Hütte, die nächste haben wir für die Nacht anvisiert. Aber dort ist es bereits sehr voll mit Tages-Wanderern. Einige ältere Herrschaften haben anscheinend vor, hier einen geselligen Spiele-Abend zu veranstalten. Uns gefällt es nicht, wir sind müde. Nach kurzer Überlegung entscheiden wir uns, noch eine Etappe weiter zu gehen. Das birgt natürlich ein gewisses Risiko, man weiß nie, was einen erwartet. Pech gehabt – auch die nächste Hütte ist voll, als wir gegen 20.00 Uhr ziemlich erledigt ankommen. Unten 10 Schlafplätze, oben 10 Schlafplätze, eine einzige Matratze ist noch frei. Nina und Fabian bauen ihr Zelt auf. Einige Leute schlafen schon, auch Kinder sind dabei. Ich habe keine Lust, mich oben in die Mitte zu quetschen und schleppe meine Matratze nach draußen. Auf der Veranda finde ich eine ruhige Ecke. Ziehe alles übereinander an, was der Kleiderbeutel hergibt, Regenjacke noch darüber und bin damit schön warm eingepackt. Auf gleicher Höhe liegt Schnee auf den Bergen gegenüber. Phantastisch, wie der Abend zur Nacht wird. Diese Stille, dieser Frieden ! Keine Sandflies. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Lager, liege bequem, werde nicht von den Anderen gestört. Nur einmal kurz wache ich nachts auf und kann einen fast unwirklich klaren Himmel mit Sternenmeer bewundern. 🙂
Viertel vor 6 in der Frühe geht der Rummel in der Hütte los. Füße trappeln über den Holzboden, Wasser läuft, es wird gekocht, geknistert und gekramt. Wir beeilen uns mit dem Frühstück und sehen zu, dass wir schnell wegkommen. Es ist wieder ein toller Tag, an dem wir gut vorankommen. Es geht hoch und immer höher, auf jeden Gipfel folgt ein weiterer Berg. Dazwischen bringen uns schwebende, mehr oder weniger schwankende Metall-Brücken über den Fluss. Nach 30 Kilometern haben wir genug geleistet, die Beine sind müde. Es erwartet uns schon wieder eine nahezu volle Hütte. Nach einem gemeinschaftlichen Abendessen ist bald Bettruhe angesagt. Leider muss ich feststellen, dass ich meine Stirnlampe verloren habe. Das Chaos mit zu vielen Leuten in einer kleinen Hütte kann sich sicherlich Jeder gut vorstellen. Da ist es schon beinahe vorprogrammiert, dass mal ein Teil abhanden kommt.
Den nächsten Morgen herrscht bereits sehr früh Trubel im Raum, weswegen ich mich sogar ohne Kaffee alleine auf den Weg mache. Den jungen Leuten hinterlasse ich eine Nachricht, dass wir uns an der Blue Lake Hut treffen. Lege ihnen meine Wegbeschreibung und das Kartenmaterial dazu, dann stapfe ich entschlossen los. Zunächst ist es ein perfekter Tag. Der Aufstieg auf den Travers Saddle mit 1787 Meter Höhe bereitet keine Probleme. Bereits um 8.45 Uhr stehe ich auf dem Gipfel, gönne mir eine kleine Pause und genieße die wunderschöne Aussicht. Dann folgt ein stundenlanger steiler Abstieg, der es in sich hat. Mir kommen insgesamt 3 Wanderer schwitzend und ziemlich wortkarg entgegen. Dabei denke ich, dass ich diesen Travers Saddle lieber nicht in umgekehrter Richtung begehen möchte. Es folgen weitere 4 Stunden über Stock und Stein, bis ich gegen Mittag die West Sabine Hut erreiche. Ausgiebige Pause, endlich gibt es Kaffee, dazu Haferflocken in Kakao. 🙂 Ein kurzer Eintrag ins Register-Buch mit meinem nächsten Ziel und der Uhrzeit, damit die großen Kinder wissen, wie viel Vorsprung ich habe. Dann starte ich munter auf die vermeintlich letzte Etappe dieses Tages. Von unserem Te Araroa-Hike in 2016 weiß ich noch genau, dass Thomas und ich diese 8 Kilometer in 2,5 Stunden zurückgelegt haben. Das war schnell, wir sind fast gerannt, denn wir sind gegen die Zeit angelaufen. In der vorigen Hütte war uns zu viel los, deswegen sind wir ganz spontan noch zur nächsten, die wir gegen 19.30 Uhr erreicht haben. Diese Strecke startet mit einer langen Hängebrücke, an deren Ende ein riesiger Felsklotz liegt. Am Ende der Brücke tauche ich unter der Draht-Reling hindurch und turne nach rechts auf den Trail. Wer ist denn schon so blöd und klettert über diesen Felsen, der da im Weg liegt ? Ich habe viel Zeit und schätze, dass ich so gegen 16.00 Uhr an der Blue Lake Hut ankommen werde, um dort auf Nina und Fabian zu warten. Also laufe ich langsam und gemütlich, aber als nach 3,5 Stunden immer noch kein Ende in Sicht ist, da werde ich langsam unsicher. Ich bleibe kurz stehen, weil ich in die Karten schauen möchte, aber die habe ich ja gar nicht dabei. Wird schon stimmen …. also weiter. Nach 4,5 Stunden komme ich endlich an ein grünes DOC-Schild. Dort steht : Sabine Hut 30 Minuten. Hmmm …. sehr merkwürdig. Jetzt wundere ich mich aber wirklich. Haben die etwa die Hütte umbenannt ? Nach einer weiteren halben Stunde Endspurt stehe ich an einem idyllischen See. Und an einer Hütte, die ich noch nicht kenne. Irgendwas ist da völlig schief gelaufen – im wahrsten Sinne des Wortes. Auf einem DOC-Schild ist die Entfernung zur Blue Lake Hut mit 8 Stunden angegeben. Oh, shit – das schaffe ich heute nicht mehr. Ich habe ja noch nicht einmal mehr eine Lampe, denn die habe ich in der Richmond Range verloren. Alles, was ich jetzt tun kann, ist den jungen Leuten eine Nachricht zukommen lassen. Zum Glück habe ich unten am See ein klein wenig Handy-Signal, so dass ich einen Text bei WhatsApp und zur Sicherheit noch eine SMS verschicken kann. Ich hoffe inständig, dass Nina und Fabian Empfang haben, damit sie sich keine Sorgen machen müssen. Dann tue ich so, als wäre nichts Besonderes geschehen und betrete ganz normal die Sabine Hut. Muss ja nicht jeder wissen, dass ich mich total verlaufen habe. 😉 Ich koche mein Abendessen, nehme meine Schüssel mit raus an den See und esse, während mich die Sandflies auffressen. Fühle mich plötzlich etwas einsam. Kein gutes Gefühl, aber was soll ich sonst machen ? Finde erst spät zur Ruhe und bin gerade voll im Tiefschlaf, als mich Jemand rüttelt und mit einer Lampe anleuchtet. Es ist Fabian, der mich die ganze Nacht gesucht hat. Leider sind meine Nachrichten nicht angekommen, kein Handy-Empfang am Blue Lake. Die Kinder haben sich natürlich Sorgen gemacht, weil ich nicht am vereinbarten Treffpunkt war. Hatten dann die Idee, dass ich vielleicht einen falschen Weg gegangen bin, es aber dann gemerkt und wieder zurück zur letzten Hütte gegangen bin. Das schon aufgestellte Zelt wird wieder abgebaut, die Beiden laufen bis in die Dunkelheit zurück zur West Sabine Hut. Keine Mutter. Nina ist verzweifelt, Fabian will mich suchen. Es hagelt Hilfsbereitschaft von allen Seiten. Ihm werden Taschenlampen angeboten, Ersatzbatterien, Energie-Riegel. Ein neuseeländisches Mädchen, welches gerade den gesamten Te Araroa wandert, erklärt sich spontan bereit, Fabian bei seiner Nacht-Wanderung zu begleiten. Supernett ! Auf jeden Fall ist es sicherer, nicht alleine zu gehen, dazu kommt noch die moralische Unterstützung. Von der West Sabine Hut Bus zur Sabine Hut sind es 15,6 Kilometer, die die Beiden in Rekordzeit rennen. Als sie mich gefunden haben, da ist es 2.00 Uhr morgens. Es dauert eine Weile, bis ich richtig wach bin und realisiert habe, welches Katastrophen-Szenario hier gerade abgeht. Meine Güte – die arme Nina ! Und danke, lieber Fabian ! Es gibt kein Halten mehr. Wir müssen so schnell wie möglich zurück. Keine Minute länger als nötig soll meine Tochter sich um mich sorgen. 🙁 Wir laufen so schnell es geht und ohne Pause durch den finsteren Wald. Einmal renne ich mit der Brust gegen einen hervorstehenden Baumstamm. Autsch – die Rippe hat etwas abgekriegt und schmerzt. Aber das geht vorbei. Schließlich habe ich mir kurz nach unserem Start zur Pazifik-Überquerung schon einmal eine Rippe angebrochen und musste damit weitere 6 Wochen auf dem schaukelnden Boot leben. Ein anderes Mal pralle ich mit dem Kopf gegen einen dicken Ast, der über dem Weg hängt. Autsch – gar nicht gesehen, weil ich mit meiner Lampe nur auf die paar Meter vor meinen Füßen fixiert bin. Holz prallt gegen Dickschädel. 😉 Nicht schlimm, es blutet nicht, sondern gibt nur eine hässliche Beule. Bis ich Großmutter bin, ist das wieder verheilt. Egal – wir hasten weiter. Endlich kommt die Hängebrücke in Sicht …. und direkt davor der dicke Stein, den ich umgangen habe. Der Morgen dämmert bereits. Ich traue meinen Augen nicht : Hinter diesem Felsklotz steht ein Schild, auf dem der Pfad zur Blue Lake Hut ausgewiesen ist. Hier wäre der richtige Trail gewesen. Leider ist der Wegweiser aus der anderen Richtung von der Brücke aus nicht zu sehen. Kurz vor 7 Uhr morgens erreichen wir nach 4,5 Stunden die West Sabine Hut und erlösen Nina von ihrer Sorge um die Mutter.
Fabian hat am Ende dieses Tages bzw. dieser Nacht satte 56 Kilometer unter den Füßen. Ich komme auf knapp über 40 Kilometer – reicht auch. Den Rest hole ich nach, indem ich mit Nina zusammen eine Tages-Tour hinauf zum Blue Lake mache, während Fabian seinen Füße eine Pause gönnt. 8 Kilometer steil bergauf, 8 Kilometer Rückweg, nun bin ich auch bei 56 und kann sicherlich hervorragend schlafen.
Der Blue Lake liegt im nördlichen Teil der Neuseeländischen Alpen und soll der klarste See der Welt sein. Eiskalt – Wassertemperatur 5-8° und Baden ist sowieso verboten, um das empfindliche Öko-System nicht zu stören. Als wir oben ankommen, da regnet es leicht. Blau und grün schimmert der See. Man kann bis auf den Grund sehen, die Wassertropfen bilden konzentrische Kreise auf der sonst glatten Oberfläche. Ein wunderschöner Anblick ! 🙂 Dieser Ausflug zum einsamen Blue Lake hat sich auf jeden Fall gelohnt.
Die Hütte hat sich gefüllt, bis wir wieder zurück sind von unserer Extra-Tour. Morgens um 10.00 Uhr hatte ich bereits mein Lager an einem ruhigen Platz in einer Ecke bezogen. Nun hat sich ein Pärchen direkt neben mir breit gemacht, obwohl noch genügend andere Matratzen frei sind. 🙁 Ich schäume vor Wut. Mag nicht mit fremden Menschen kuscheln. Deswegen bitte ich zwei israelische Männer, die oben in der Mitte liegen, ob sie ihre Matratzen nicht etwas weiter nach rechts schieben können. Kein Problem, sie rücken bereitwillig zur Seite, und ich ziehe um in die obere Etage.
Wir haben durch meine Extra-Tour einen ganzen Tag an Zeit verloren. Das Wetter verschlechtert sich offensichtlich schon wieder. Den supersteilen Waiau-Pass mit seiner schwierigen Kletter-Passage auf der Südseite können wir bei diesen Verhältnissen nicht wagen. Deswegen kommt Plan B zum Einsatz – wir werden eine andere Route wählen und über den Sabine Circuit zurück nach St. Arnaud wandern.
Unser vorletzter Tag auf dem Trail ist leider wieder völlig verregnet. Von der West Sabine Hut laufen wir 15,6 Kilometer bis zur Sabine Hut am Lake Rotoroa. Da war ich bereits vorletzte Nacht für 3 Stunden Schlaf, nun gibt es dort nur eine ausgedehnte Mittagspause. Es sollen von hier aus 5 Stunden bis zur Speargrass Hut sein. Nass, matschig, rutschig und schlecht markiert. Als wir spät am Abend völlig durchnässt ankommen, da wird es nichts mit Gemütlichkeit. Die Hütte ist brechend voll. Eingerichtet ist sie für 16 Personen, aber es haben sich bei diesem Schietwetter 26 Wanderer zum Übernachten eingefunden. Überall hängen nasse Sachen, die Veranda steht voll mit stinkenden Schuhen, kein Platz am Tisch zum Essen. Dabei hatten wir uns so auf einen warmen und trockenen Platz gefreut ! Die Wunsch-Vorstellung war, beim gemeinsamen Abendbrot ordentlich an einem Tisch zu sitzen und Tee zu trinken. Was für ein blöder Abschluss von einem langen, anstrengenden Hiking-Tag. Der Super-Gau ! 🙁 Diese Hütte liegt auf einer unebenen Wiese mit meterhohen Büscheln aus Speargrass. Keine Möglichkeit zum Zelten, alles ist nass und matschig. Selbst der Weg zur stinkenden Kompost-Toilette ist nicht trockenen Fußes möglich. Nina und Fabian finden gerade noch ein Eckchen auf der Veranda, wo sie ihr kleines Zelt aufbauen können. Als sich endlich alle sortiert haben und langsam Ruhe einkehrt, da liege ich mit 5 anderen Hikern auf dem Boden zum Schlafen. Ein Mann hat sich sogar sein Lager im offenen Holz-Schuppen eingerichtet, aber auch der kommt nachts noch in die Hütte, weil er bei dem penetranten Dauer-Regen nass geworden ist.
Aber es kann noch schlimmer kommen. Fabian geht es gar nicht gut. Er muss sich die ganze Nacht ständig übergeben. Beide finden natürlich keinen Schlaf. Morgens überlegen wir, wie wir jetzt am Besten hier herauskommen. Fabian ist total geschwächt und kann sich kaum auf den Beinen halten. Es sollen etwa 3 Stunden bis zu einem Wander-Parkplatz sein, die müssen wir auf jeden Fall zusammen laufen. Von da aus sind es dann noch einmal 15 Kilometer bis nach St. Arnaud, wo wir hoffentlich ein Zimmer mit Dusche, Waschmaschine und Bett finden. Zum Glück bekommen wir Unterstützung von einem netten jungen Mann, der heute zurück zu seinem Auto läuft. Steven aus Canada ist total hilfsbereit und geduldig, wartet alle paar Minuten auf uns, weil wir nur unendlich langsam vorwärts kommen. Nach 4 mühsamen Stunden sind wir endlich am Parkplatz. Fabian hat es auf eigenen Beinen geschafft, aber ihm ist immer noch furchtbar übel. Er diagnostiziert „Lebensmittel-Vergiftung“, verursacht vermutlich von seinen Nüssen, die in diesem feucht-warmen Klima leicht verderben. Steven bringt uns zurück in die Zivilisation. Wir sind sehr erleichtert. Aber dann beginnt die Zimmersuche ….. Alpine Lodge ist voll, Traverse Sabine Lodge ebenfalls. Noch nicht einmal ein Bett im Gemeinschafts-Schlafsaal ist aufzutreiben. Keine Chance – St. Arnaud ist komplett ausgebucht. Unsere Enttäuschung darüber ist riesig, denn wir hätten es so nötig. Außerdem regnet es immer noch in Strömen. 🙁 Ein Bed-and-Breakfast bietet uns schließlich doch noch eine Unterkunft an. Aber das Haus liegt mindestens 5 Kilometer entfernt den Berg hinauf, und die Übernachtung soll 250,- NSD kosten. Nein danke – da schlafe ich lieber draußen. Gegen 18.00 Uhr haben wir alle Hoffnung auf einen sauberen und trockenen Schlafplatz aufgegeben. Nina und Fabian stellen ihr Zelt auf dem DOC-Campingplatz auf. Die Wiese gleicht heute mehr einem Sumpf. Ich warte bis zur Dunkelheit und schlage mein Lager auf der hinteren Veranda des Visitor Centers auf. Lege meinen Poncho auf den Holzboden, breite meinen Schlafsack aus und ziehe mehrere Schichten Kleidung an. Das überhängende Vordach gibt mir Schutz vor dem Regen. Es ist nicht kalt, nur hart, denn ich habe noch nicht einmal meine Isomatte dabei. Die angeknackste Rippe schmerzt. Ich weiß nicht, wie ich liegen soll. Aber irgendwie geht auch diese Nacht vorbei. Mit dem ersten Tageslicht wache ich auf, packe mein Zeug zusammen und koche mir Kaffee. Um 6.45 Uhr kommt ein Mann, der die Toiletten reinigen möchte, und grüßt mich ganz freundlich. Das ist ja nun irgendwie schon wieder witzig. 😉 Ich trinke noch einen Kaffee und marschiere dann zum nahegelegenen Campingplatz für eine heiße Dusche. Der vor zwei Tagen telefonisch bestellte Shuttle-Bus ist pünktlich um 11.00 Uhr da und bringt uns bis nach Nelson an der Nordküste. Ein weiterer verregneten Tag. Wir hoffen auf Wetter-Besserung.
Seit Sonntag scheint endlich wieder die Sonne in Neuseeland ! 🙂 Unsere gemeinsame Zeit auf dem Te Araroa geht nun zu Ende. Das Wetter war leider nicht auf unserer Seite, wir hatten mehr schlechte als gute Tage. Auf jeden Fall waren diese drei Wochen ein Erlebnis, an das wir noch lange zurückdenken werden. Wir haben viele kleine Abenteuer im großen Abenteuer erlebt. Nicht immer entspannt, sondern oft ziemlich stressig. Aber gerade diese Krisen-Situationen, die wir zusammen erfolgreich gemeistert haben, haben uns einander sehr nahe gebracht und als Team zusammen geschweißt. Besonders gefreut habe ich mich über Nina, die mit Knie-Problemen an den Start gegangen ist, aber sich davon nichts anmerken lässt und läuft wie eine junge Bergziege. 🙂
Nach Abschluss unserer 3-wöchigen Wanderung komme ich auf insgesamt 13.500 gelaufene Kilometer seit 2012. Thomas hat mehr als 10.000 Kilometer auf den Long Trails dieser Welt zurückgelegt. Dafür ist er mir an Seemeilen um Etliches voraus : 25.500 Seemeilen sind wir seit unserem Start auf große Fahrt gemeinsam gesegelt. Hinzu kommt bei Thomas die Passage auf der Amiga von Fiji nach Neuseeland mit ungefähr 1.200 Seemeilen sowie die jetzige Pazifik-Überquerung auf der Lojan von Tahiti bis Chile mit 4.200 Seemeilen in gerader Linie. Also zum Arbeiten haben wir wirklich keine Zeit. 😉