Wir segeln und wandern durch die Welt

Trauriges Thema : Flüchtlinge

Die westlichste Kanaren-Insel El Hierro zählt 11.000 Einwohner auf knapp 270 m² Fläche. Unser Lieblingsdorf La Restinga an der Süd-Ost-Spitze hat 550 Einwohner. Man lebt hier vom Fischfang und vom Tourismus, der in diesem Jahr leider weitgehend ausgefallen ist.

In der Nacht von Heiligabend zum 1. Weihnachtstag erreicht eine Patera mit Flüchtlingen den Hafen. Also quasi, während wir unseren Weihnachtsbraten genießen, herrscht draußen an der Kaimauer helle Aufregung. Den Tag davor gab es in den Nachrichten eine Sturmwarnung auf den Kanaren. Das Meer war aufgepeitscht von hohen Wellen, über dem gesamten Küstenstreifen flog die Gischt bis weit ins Landesinnere. Niemand hat die Ankömmlinge bei diesem Unwetter erwartet. Für uns ist es wirklich ein Rätsel, wie sie bei Nacht und derart hohem Seegang unseren kleinen Hafen gefunden haben. Über 40 Menschen auf engstem Raum, die gerade froh sind, dass sie mit dem nackten Leben davongekommen sind. Unfassbar, was diese armen Leute in ihren wenig seetüchtigen Nuss-Schalen mitgemacht haben. 🙁 Es ist inzwischen schon die fünfte Patera, welche wir seit Anfang November in La Restinga ankommen sehen. In der aktuellen Presse lesen wir, dass alleine am 2. Weihnachtstag mehr als 400 Personen auf den größeren Kanarischen Inseln angelandet sind. Am Morgen des 29. Dezember kommt schon wieder ein Flüchtlingsboot in La Restinga an. Nun liegen hier bereits zwei Holzkähne, die mit dem Kran an Land gehoben, entrümpelt und verschrottet werden müssen. Ein Riesenproblem für die Kanarischen Inseln, deren Wirtschaft sowieso wegen Covid-19 und fehlender Touristen total kaputt ist. 🙁

In den ersten 10 Monaten des Jahres 2020 landeten die Flüchtlingsboote hauptsächlich auf Gran Canaria, Teneriffa oder Fuerteventura. Inzwischen ist aber auch El Hierro dem Migrationsdruck ausgesetzt. Mitarbeiter des Roten Kreuzes und anderer sozialer Dienste der Gemeinden Valverde und El Pinar stoßen mittlerweile an ihre Grenzen. Die letzte Patera mit 49 Insassen ist erst gestern früh eigenständig in den Hafen von La Restinga eingelaufen. Damit erreichten seit dem 24. Oktober bereits 482 Afrikaner unsere kleine Insel. Ein Teil der Menschen musste wegen fehlender Unterbringungsressourcen nach Teneriffa verlegt werden. Die Menschen kommen überwiegend aus Marokko, Mauretanien, Senegal und Gambia. Über 700 Boote mit mehr als 23.000 Insassen sind in diesem Jahr illegal auf die Kanaren gelangt. Da nicht alle dieser Boote auch rechtzeitig entdeckt werden und die Migranten somit unbemerkt anlanden und untertauchen können, dürfte die Dunkelziffer wohl noch um ein Vielfaches höher liegen. Waren die Pateras früher fast ausnahmslos mit jungen Männern besetzt, so machen sich inzwischen auch immer mehr Frauen und Kinder auf den lebensgefährlichen Seeweg ins Ungewisse. Und ein Ende ist leider nicht abzusehen …. 🙁

Wir hatten eine Weile ernsthaft darüber nachgedacht, diesen Winter mit der Walkabout nach West-Afrika zu segeln, bis die Saison für unsere Atlantik-Überquerung reif ist. Bücher über den Senegal, Gambia und Guinea-Bissau stehen im Regal, die besten Zeiten und Reiserouten haben wir recherchiert. Davon möchten wir jetzt allerdings Abstand nehmen. Nicht aus Angst vor Covid-19 oder sonstigen Mutationen, sondern weil wir bedrückt mit eigenen Augen ansehen müssen, in welchem bedauernswerten Zustand die Migranten hier ankommen. Wir können das Schicksal dieser Menschen leider nicht ändern, aber trotzdem berührt es uns sehr, man fühlt sich schlecht. Die Leute flüchten zu Tausenden und setzen ihr Leben dabei auf’s Spiel, da werden wir bestimmt nicht dort unseren „Reichtum“ zur Schau stellen. Auf gar keinen Fall möchten wir als Dauer-Urlauber mit unserer „Yacht“ nach West-Afrika reisen. Wir bleiben bis April auf El Hierro, wo wir uns wohl fühlen und von der Dorf-Gemeinschaft freundlich aufgenommen wurden.

Nachtrag : Auch am letzten Tag dieses Jahres legt eine Patera mit etwa 50 Insassen in La Restinga an. Bedeutet wieder das volle Programm für alle Einsatzkräfte. Rotes Kreuz, zwei Krankenwagen, Desinfektions-Kommando, Polizei, Militär, ein Dixi-Klo muss bereit gestellt werden, der Bus zum Abholen der Leute ….. Raus aus dem Schlafanzug, rein in die Klamotten und ab zum Hafen. Die Bewohner hier sind ausgesprochen gastfreundlich und hilfsbereit. Aber man kann sich fast nicht vorstellen, dass die Neu-Ankömmlinge genauso nett empfangen werden wie die ersten Flüchtlinge, die Ende Oktober angekommen sind. Was für ein enormer Aufwand, den diese kleine Insel stemmen muss ! Die ganze Logistik, das viele Personal und unzählige freiwillige Helfer. Die Migranten brauchen eine Erst-Versorgung in Form von Wasser, Essen, Decken. Dann wird bei jedem Einzelnen ein PCR-TEST gemacht und die Mund-Nasen-Masken verteilt. Ein voll besetzter Sonderbus bringt sie vermutlich in die Hauptstadt Valverde. Anschließend wird das gesamte Gelände abgespritzt, desinfiziert und abgesperrt. Ein Mann in Schutzkleidung fährt die Patera von der Kaimauer zum kleinen Becken, wo der Kran das Boot aus dem Wasser heben muss. Dort steht es dann an Land, wird unter strengsten Sicherheits-Vorkehrungen leer geräumt, total entrümpelt. Selbst der Außenbord-Motor, soweit überhaupt vorhanden, landet im Müll-Container. Im nächsten Schritt erscheint eine Brigade Arbeiter, die das Holzboot in kleine Teile zerlegt, die dann wiederum von einem Lastwagen abtransportiert werden. Die Flüchtlinge kommen vorerst in Not-Unterkünfte, dort werden sie medizinisch versorgt, müssen mit Nahrung, Kleidung und Hygiene-Artikeln versorgt werden. Tag und Nacht laufen die Sicherheits-Beamten nervös auf der hohen Kaimauer herum. Sie suchen das Meer nach weiteren Pateras ab. Die Nächsten werden ganz bestimmt bald kommen. Es gibt kaum eine Atempause zum Aufräumen für alle Beteiligten. 🙁

Samstag, 2. Januar 2020

Wir sitzen gemütlich mit Bier und Chips im Salon vor dem Fernseher, schauen uns gerade den lehrreichen Film „Storm Tactics“ an …… Gegen 21.00 Uhr bietet sich uns aus dem Cockpit heraus das beinahe schon vertraute Bild. Ein Dutzend Autos, Einsatzkräfte in weißen Schutzanzügen, Krankenwagen, Polizei, Bus, Hektik überall auf der Mole …. Der Rettungskreuzer hat eine weitere vollbesetzte Paleta in den Hafen geschleppt. Zwei morsche Holzboote stehen jetzt an Land bis zu ihrer Entsorgung, zwei weitere warten noch im Wasser auf den Kran. Inzwischen erreichen mehrmals in der Woche Boote mit ca. 50 Migranten unseren kleinen Hafen. Unfassbar ! 🙁

Ein Kommentar zu “Trauriges Thema : Flüchtlinge

  1. Hilde Larsen

    Liebe Frauke, lieber Thomas,

    Wir können nicht die Welt retten. Wir können nur teilen, was wir haben und versuchen, damit das Leben für diese Menschen etwas leichter zu machen.
    Ich habe mich damals schlecht gefühlt, als ich das erste mal bewusst wahr genommen, wie ärmlich die Menschen in Tonga leben. Doch den Menschen hier in der Südsee geht es meist recht gut, weil sie von ihren Gärten und dem Meer leben. Trotzdem versuche ich immer mit Geschenken und auch kleinem Handel zu unterstützen wo ich hinkomme. 10 kg Reis kostet nicht die Welt, kann aber schon ein Stückchen weiterhelfen. Vielleicht frei nach dem Motto „Kleinvieh macht auch Mist“.
    Und ich sortiere rigoros aus, was ich an Bord nicht wirklich brauche. Für meinen Überfluss finden sich hier immer dankbare Abnehmer.
    Doch wie gesagt, als einzelne können wir die Welt nicht retten. Aber jeder Tropfen …

    Ganz liebe Grüße