Wir segeln und wandern durch die Welt

Waterton Lake bis Calgary

Am Montag stehen wir früh auf und müssen ( oder dürfen ) nicht mehr laufen. Unsere Wanderschuhe landen im Müll, ebenso das kaputte Shirt von Thomas, seine Regenjacke und meine Loch-an-Loch-Leggins. Wir bauen zum letzten Mal das Zelt ab, packen unseren Kram in die stinkenden Rucksäcke, malen ein Schild „CDT-Hiker to Calgary“ und hoffen, dass wir die nächste Nacht in einem Motel schlafen können. Es sind 280 Kilometer bis nach Calgary, von wo wir nach Hause fliegen möchten. Eine ganz schöne Entfernung, so weit bin ich noch nie per Anhalter gefahren. Ich habe auch nicht besonders viel Lust auf stundenlanges Stehen an der Straße. Gebe mir sehr viel Mühe, ein ansprechendes Schild zu malen, und siehe da …. Nur etwa eine Viertelstunde dauert es, bis ein Auto hält. Darin sitzt ein sehr netter älterer Herr. Wir verstehen es so, dass er uns bis zu einer besseren Stelle mitnehmen wird. Nach einer Stunde Fahrzeit sickert es dann langsam durch, dass er uns tatsächlich ganz bis nach Calgary bringt. Der Mann ist 88 Jahre alt und geht selber noch gerne wandern, wie wir sofort beim Einsteigen an der Tüte „Trailmix“ bemerken. Gerald, genannt Gary, ist Mormone, Mitglied der Religionsgemeinschaft „Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage“. Er blickt auf ein ausgefülltes christliches Leben mit 5 Kindern und 20 Enkelkindern zurück. Wir sind schwer beeindruckt von diesem außergewöhnlichen Menschen. Funker ist er auch noch, so dass es Thomas nicht schwer fällt, sich während der knapp 3-stündigen Fahrt gut zu unterhalten. Gary erzählt uns, dass 70 % des Baumbestandes vom Waterton Lakes National Park im September 2017 verbrannt sind. Das war auch ein Grund für uns, damals den Trail abzubrechen, denn die Meldungen hörten sich gar nicht gut an. Wir haben von anderen CDT-Wanderern gehört, dass sogar die Grenze wegen der Feuer nicht erreichbar war. Ein Stau auf der anderen Fahrbahnseite bedeutet : Da ist etwas los. Aus dem Fenster heraus können wir einen jungen Grizzly-Bären sehen, der anscheinend alleine unterwegs ist. Bereits um 12.00 Uhr mittags sitzen wir in einem Café in Calgary und organisieren die nächsten Schritte wie Motel, Flug, Mietauto. Klappt alles wie am Schnürchen. :).

Calgary ist mit 1,3 Millionen Einwohnern die größte Stadt der kanadischen Provinz Alberta sowie die viertgrößte in ganz Kanada. Alle Schilder, Speisekarten etc. sind sowohl auf englisch als auch auf französisch geschrieben. Sehr ungewohnt für uns. Englisch ist uns in Fleisch und Blut übergegangen, auch spanisch ist noch sehr vertraut, aber mit der französischen Sprache werden wir nicht warm. Im Touristenort Waterton haben wir uns der vielen Menschen wegen unwohl gefühlt, die Weltstadt Calgary ist nun für uns wie ein Kulturschock. Einen ganzen Vormittag sind wir unterwegs, um uns neu einzukleiden. Wir stöbern durch mehrere Thrift Stores und suchen unsere Klamotten für den Heimflug zusammen. Das macht durchaus Sinn, denn aus Erfahrung wissen wir, dass die Sachen ( jetzt durchweg 2 Nummern kleiner ) in 4 Wochen schon nicht mehr passen werden. Der ungewünschte JoJo-Effekt lässt sich kaum verhindern. Deswegen also Second-Hand. 😉 Viel Lust auf City haben wir nicht, zu voll, zu laut, zu viel Verkehr, merkwürdige Gestalten. Wir machen es wie immer und genießen überwiegend das Nichtstun in unserem Zimmer, Beine hoch, Fernseher und Internet. Allerdings kaufen wir diesmal nicht so viel kalorienhaltiges Zeug ein, sondern es gibt Berge von gesundem Obst und Gemüse, dazu gibt es fettreduzierte Salatsoße. 😉 Check-Out ist am Mittwoch um 11.00 Uhr, unser Flieger startet jedoch erst abends um 21.00 Uhr. Wir stürzen uns mitten ins Großstadt-Leben und laufen durch die Fußgängerzone. Erschreckend, wie viele kaputte Typen es hier gibt. Calgary hat eine sehr hohe Zahl von Drogentoten zu vermelden. Auf der Toilette der öffentlichen Bücherei gibt es versiegelte Behälter aus Metall. Nicht etwa für Hygienemüll der Damen, sondern für gebrauchte Spritzen, wie eine Aufschrift uns erklärt. Downtown ist nichts für uns. Ein Besuch im Patagonia-Laden ist nett, aber uns sind die Klamotten durchweg zu teuer. Immerhin werden wir dort unsere beiden Dosen mit Bär-Spray (zum Glück nicht gebraucht !) und unsere angefangene Gas-Kartusche los. Beides dürfen wir nicht im Flugzeug mitnehmen. Wir geben es an der Kasse ab und sagen, dass sie es an Jemanden verschenken sollen, der es gebrauchen kann. In der Library fühlen wir uns wohl, der Latte Macciato im Starbucks ist noch besser.  Irgendwie bekommen wir den Tag um.
Auch auf der Flughafen-Toilette hängt ein Metallkasten für benutzte Spritzen. Die scheinen hier echt ein Drogenproblem zu haben. 🙁
Zu Fuß sind wir einfach über die Grenze nach Kanada gelaufen, haben uns per Telefon angemeldet und verlassen das Land jetzt per Flieger, ohne einen Beamten der Grenz-Kontrolle gesehen zu haben. Wieder kein Stempel im Reisepass. Sehr merkwürdig. Oder einfach nur locker, weil die USA und Kanada gute Freunde sind ? Woher wissen denn jetzt die Kanadier, dass wir wieder ausgereist sind ? Offiziell müssten wir noch im Computer der USA als Touristen mit 6-Monats-Visum geführt sein.
Es ist ein komisches Gefühl, im Wartebereich des Flughafens zu sitzen. Wir sind noch nicht ganz angekommen in der Welt abseits von Zelt und Rucksack. Vor 3 Tagen waren wir noch unterwegs auf dem Trail, jetzt sitzen wir zwischen Urlaubern, die deutsch miteinander reden. Einerseits sind wir traurig, dass diese unvergleichlich schöne Zeit auf dem CDT nun zu Ende ist. Andererseits freuen wir uns wahnsinnig auf Deutschland, Kinder und Enkelkinder. Natürlich auch auf die Walkabout und das Alltagsleben in La Restinga, aber das Boot kann noch ein bisschen warten.

Unsere Projekte „Sommer 2019“ sind erfolgreich beendet. Angefangen haben wir mit 740 Kilometern in 6 Wochen auf dem Appalachian Trail. Eigentlich gedacht zum Warmlaufen, gleichzeitig auch die Vollendung meines Solo-Hikes von 2014. Die Bundesstaaten New Hampshire und Maine sind anspruchsvoll, aber haben uns gut vorbereitet auf die eigentliche Aufgabe. Das waren 1265 Kilometer auf dem CDT, angefangen in Cody / Wyoming vor dem Yellowstone Park und von Süden nach Norden durch den gesamten Bundesstaat Montana. Dafür haben wir dieselbe Zeit gebraucht wie für den AT, genau 6 Wochen und einen Tag. Wir hatten lange Etappen zu bewältigen, manchmal lagen mehr als 200 Kilometer zwischen den Orten. Bedeutet automatisch, schneller laufen und mehr Meilen pro Tag zurücklegen, damit man nicht noch mehr Essen tragen muss.
Wir sind in 3 Monaten über 2000 Kilometer durch die USA gewandert. In diesem Jahr hatten wir ordentlich Verschleiß bei unserer Ausrüstung. Der Rucksack von Thomas, die Schuhe, eine Isomatte und diverse Kleidungsstücke haben sich aufgelöst. Dazu gab es einige weitere schmerzliche Verluste wie Schweizer Taschenmesser, Futterbeutel nebst Inhalt, GPS, Brillen, Moskitonetz, Handschuhe. Die gute Nachricht ist : Wir sind gesund. Haben beide Trails ohne größere Verletzungen zu Ende gebracht. Blasen, Hühnerauge, Fußpilz und wunde Stellen waren auf der letzten Etappe schon kein Thema mehr – alles verheilt. Thomas hat nach wie vor Beschwerden im unteren Rücken und wird seinen neuen Rucksack wieder gegen ein altes Modell eintauschen, welches besser an seinen Körper passt. Erfreulicherweise gab es die letzten Wochen absolut keine Knie-Probleme. Ein Knie (das auf dem Te Araroa versaute) meldet sich ungefähr einmal in der Woche, nur um Thomas zu zeigen, dass er die Knie-Bandage besser tragen sollte. Sonst nichts – alles gut. 🙂 Falls Jemand mit dem Gedanken spielt, den Continental Divide Trail ganz oder teilweise zu laufen …. Absolut empfehlenswert, der CDT ist unser Favorit unter den Longtrails. Die größten Schwierigkeiten sind die Weg-Findung und die Wasser-Problematik. Außerdem ist das Wetterfenster recht klein, wenn man nicht zu den ganz Schnellen gehört. In einem Jahr mit überdurchschnittlich viel Schnee wird man schwer beeinträchtigt. Im August und September droht die Gefahr von Waldbränden, die eventuelle Sperrungen der Wege zur Folge haben. Für uns war es nicht in einer Saison zu schaffen, dafür haben wir den Rest des CDT dieses Jahr zur besten Sommerzeit beendet. So war der Plan. Das hatten wir gehofft, als wir uns im September 2017 dazu entschieden haben, den Trail zu unterbrechen.
Auch das 3. Projekt „Sommer 2019“ ist sehr gut gelungen, auch wenn wir damit eigentlich direkt nichts zu tun haben. Im August wurde uns ein zweites Enkelkind geschenkt – gesund und munter und sehr süß. Wir sind jetzt glückliche Doppel-Großeltern und haben noch einen Grund mehr, regelmäßig nach Deutschland zu fliegen. Eine weitere Feier steht an, unser „älteres“ Enkelkind wird am Sonntag auf Norderney getauft. Im April und im Mai 2020 dürfen wir uns dann über zwei Hochzeiten freuen. Die Familie wird immer größer. 🙂
Ab Ende Mai 2020 werden wir endlich die Anker der Walkabout lösen und über die Bermudas an die Ostküste der USA segeln. Solange bleibt unser Standort La Restinga auf El Hierro, wo wir uns schon fast wie zu Hause fühlen. Der Pacific Crest Trail steht ebenfalls noch weit oben auf unserer ToDo-Liste. Der PCT wäre der letzte der drei ganz langen Trails in den USA und würde mit der Verleihung der „Triple Crown“ (Dreifach-Krone) belohnt. Aber Eins nach dem Anderen …. Erstmal Winterpause, dann Segeln …. wenn wir nicht wegen weiterer Familienereignisse unsere Pläne ändern. 😉