Wir segeln und wandern durch die Welt

East Glacier Park bis Waterton Lake

Eine lockere 20-Kilometer-Strecke von East Glacier Park bis nach Two Medicine liegt am Montag vor uns. Wir brauchen ein Permit für die Durchquerung des Glacier National Parks. Die Regelungen hierzu sind kompliziert. Reservierungen telefonisch sind nicht möglich, man muss persönlich erscheinen. Allerdings bekommt man die begehrten Plätze nur, wenn man morgens sehr früh vor dem Büro ansteht. Um 7.00 Uhr wird die Tür geöffnet, um 5.30 Uhr soll es dort bereits eine Warteschlange geben. Das Permit darf man frühestens 24 Stunden vor dem ersten Wandertag beantragen, länger als 48 Stunden im Voraus kann man nichts reservieren. Für Autofahrer ist dies kein großes Problem, aber wir laufen kontinuierlich von Süden nach Norden und können nicht so einfach um 5.30 Uhr beim Ranger Office stehen. Wie gesagt, von unserem letzten Ort East Glacier Park ist es ein Weg von 20 Kilometern zu Fuß.


Ohne es zu wissen sind wir etwa 10 Kilometer im Gebiet der Blackfeet Indianer gelaufen. Die Blackfeet Reservation ist ein Indianerreservat im Nord-Westen Montanas. Die Blackfeet Nation ist mit einer Bevölkerung von etwa 11000 die größte indianische Gruppe in Montana. Das Reservat hat eine Fläche von ca. 6000 km. Es grenzt im Westen an die Rocky Mountains und im Norden an Kanada. Eigentlich ist für die Durchquerung eine spezielle Erlaubnis erforderlich, die pro Person 20,- Dollar kostet. Für jede Freizeit-Aktivität wie Camping, Angeln, Feuermachen soll man diese Gebühr bezahlen. Wir wussten das zunächst überhaupt nicht, diese Informationen haben wir nirgends gelesen, sondern erst von einem entgegenkommenden CDT-Hiker erfahren. Nachdem wir nun bereits unabsichtlich die Hälfte des Weges im Reservat ohne diese spezielle Erlaubnis zurückgelegt haben, vollenden wir auch die zweite Hälfte ohne zu bezahlen – wie vermutlich alle CDT-Hiker in beiden Richtungen. Wir sind ja nicht aus Spaß hier, um einen lustigen Tagesausflug zu machen. Unsere Wanderung ist immer harte Arbeit, wir halten uns nicht lange in deren Gebiet auf, sondern laufen auf kürzestem Wege durch. Also kein schlechtes Gewissen. 😉
In den oberen Lagen erwartet uns alpine Vegetation. Es wächst niedriger Wacholder, Stoppelgras, einige wenige Krüppelbäume trotzen dem Wetter. Im Osten liegen die Great Plains, unendlich weite Ebenen mit gelbem Grasland. Die Great Plains sind ein trockenes Gebiet östlich der Rocky Mountains. Heute werden sie intensiv landwirtschaftlich genutzt. Je höher wir steigen, umso dichter wird die Wolkendecke. Im Tal rechts von uns hat sich ein breiter Regenbogen gebildet, der von Minute zu Minute schöner wird. Er überspannt die grüne Ebene komplett und erscheint für kurze Zeit sogar doppelt. Wir wandern über dem Regenbogen – das ist eine faszinierende Vorstellung. 🙂

Der CDT führt über den 2700 Meter hohen Mount Henry und über den Bald Hill. Ein Höhenunterschied von insgesamt 900 Metern innerhalb von 4 Stunden – das spürt man in den Waden, obwohl wir nach knapp 3 Monaten gerade das Maximum an Kraft und Muskeln aufgebaut haben. Den Firebrand Pass überqueren wir im dichten Nebel, etwas später dann Nieselregen. Es weht ein kalter Wind. So eine scharfe Kälte im Gesicht kennen wir nur vom Segeln im Winter. Kleine Wasserfälle locken Wanderer an, die nur eine kurze Strecke bevorzugen. Uns interessieren die Appistoki Falls nur wenig, wir möchten noch vor 15.00 Uhr am Two Medicine Lake ankommen. Dort hoffen wir, unsere Campingplatz-Reservierungen für die nächsten Tage zu bekommen.
Two Medicine Lake ist ungefähr 3 Kilometer lang und über 50 Kilometer breit. Der Sinopah-Berg dominiert den westlichen Endpunkt des Sees, während der Rising Wolf-Berg unmittelbar im Norden mehr als 400 Meter über dem See thront. Sehr beeindruckende Kulisse und beliebtes Ziel für Wanderer von nah und fern, deswegen ist der Campingplatz im Sommer immer ausgebucht. Rechtzeitig, mehr als 2 Stunden vor Büroschluss, erreichen wir die Ranger Station und äußern unsere Wünsche. Jedoch werden wir sofort freundlich, aber bestimmt, abgebügelt. Nein, es gibt keinen freien Platz. Heute können wir nicht weiter. Keine Chance auf eine Reservierung in den nächsten zwei Tagen. Uns fällt bald die Kinnlade herunter. Puh – das ist hart ! 🙁 Sehr ärgerlich, denn wir sind gestern kaum gelaufen und hatten auch heute nur eine halbe Etappe. Jetzt sollen wir weitere zwei Tage warten und kommen frühestens übermorgen los. Außerdem extra früh aufstehen, um eine der begehrten Platz-Reservierungen zu bekommen …. Einer der anderen Wanderer erzählte uns, dass im letzten Jahr sogar eine Art Lotterie veranstaltet wurde. Nicht das, was wir uns zum Abschluss wünschen. Es erinnert stark an das Drama am Katahdin Stream Campground, wo wir den letzten Abend vor der Gipfel-Besteigung weggeschickt wurden. Gar nicht schön. 🙁 Nützt nichts, wir müssen auf dem angrenzenden Campingplatz bleiben und in aller Frühe wiederkommen. Sonderpreis für Hiker, kostet nur 5,- Dollar pro Person. Allerdings ist auf der für uns bestimmten Hiker-Biker-Parzelle kein Platz. Es stehen dort bereits vier Zelte dicht beieinander. Wir könnten unseres vielleicht ganz eng dazwischen quetschen, ca. einen halben Meter Abstand zum Nachbarn, aber der Untergrund ist sehr steinig mit starkem Gefälle. Da würden wir keine gute Nacht haben. Es gibt zwei weitere Parzellen für Hiker und Biker, allerdings darf man dort nur stehen, wenn man bereits stolzer Besitzer eines Permits ist. Was für ein Quatsch ! Wir bauen unser Zelt auf einem der beiden Plätze auf und hoffen, dass wir heute nicht noch umziehen müssen. Danach laufen wir ein Stückchen bis zum Camp-Store, wo wir uns ganze 3 Stunden mit Kaffee, Eis und den Planungs-Unterlagen aufhalten. Wir haben zwar einen Picknick-Tisch, aber es ist so kalt, dass wir nicht stundenlang draußen sitzen mögen. Als wir wiederkommen, da sind wir nicht mehr allein, sondern haben Gesellschaft von Sandy und Gary. Wir müssen nicht räumen, sondern teilen uns den Platz mit netten Leuten.

Dienstag ist ein aufgezwungener Ruhetag. Dafür müssen wir am Mittwoch mit einer Tagesdistanz von 40 Kilometern starten. Das haben wir uns nicht freiwillig ausgesucht, wir würden den Endspurt lieber etwas entspannter angehen. Aber nur so bekommen wir eine Reservierung und einen funktionierenden Plan für die kommenden Tage. Thomas war bereits um 5.30 Uhr nicht der Erste, der in der Kälte vor dem Ranger Office auf Öffnung wartet. Wir haben jetzt mit einem anderen Hiker zusammen eine Dreier-Gruppe gebildet und ein straffes Programm bis zur Grenze. Alternative wäre, weiter auf eine bessere Taktung zu warten, dafür müsste man allerdings jeden Morgen sehr früh persönlich vorsprechen. Wir haben uns für einen langen Tag entschieden und werden uns trotz vieler anstrengender Höhenmeter durchbeißen. Per Anhalter fahren wir noch einmal nach East Glacier Park, weil wir dort etwas mehr Abwechslung haben, abends genauso wieder zurück. Neue Gäste auf unserer Parzelle, ein Vater mit seinen zwei fast erwachsenen Kindern. Die sind völlig fertig, weil sie gestern 11 Kilometer und heute 19 Kilometer gelaufen sind. Können sich kaum noch bewegen und sind hundemüde. Da kommt keine große Unterhaltung in Gang, aber es gibt schlimmere Nachbarn.

Wir starten kurz nach Tagesanbruch zu Dritt mit unserem neuen Hiker-Freund Rob alias Bear Bait, was auf deutsch „Bärenköder“ bedeutet. Diesen Namen hat er auf seinem ersten Longtrail bekommen, weil er immer im Zelt kocht. Eine anspruchsvolle Route liegt vor uns mit sehr viel Höhenunterschied, Aufstieg, Abstieg, zwei Pässen. Es gibt hier oben wieder Murmeltiere und Pikas (Pfeifhasen), die sich zwischen den schroffen Felsen verstecken, sobald sie uns bemerken. Zunächst starten wir voller Energie zum Pitamakan Pass. Um Viertel nach 9 passieren wir den Oldman Lake und haben bereits satte 11 Kilometer vorgelegt. Es scheint ein guter Tag zu werden, der Himmel ist bedeckt, nicht zu heiß zum Wandern. Oben auf dem Kamm treffen wir auf eine Herde Dickhorn-Schafe. Ungefähr 10 Tiere laufen auf dem Grat und haben es dabei nicht besonders eilig. Entgegenkommende Wanderer erzählen uns von drei Grizzly-Bären, die sie vor einer halben Stunde am See beobachtet haben. Wir machen kurz danach Pause am Pitamakan Lake und halten gut Ausschau. Nicht sehr gemütlich heute, aber Essen und Trinken muss sein. Eine dicke Packung Schnee liegt noch immer am Nordhang des Sees. Da wird uns schon beim Hinsehen kalt, die Pause fällt dafür kürzer aus als gewöhnlich. Weiter geht es aufwärts, wir folgen einem schmalen Pfad entlang der Felswand. Es liegen mehrere Seen auf unserer Route, zunächst der Morningstar Lake mit angrenzendem Zeltplatz. Kurz darauf kommen wir am Atlantic Creek vorbei, der eingebettet zwischen den hohen Bergen liegt und wunderschön grün leuchtet. Auch hier gibt es einen Zeltplatz daneben, allerdings war an beiden Seen bereits alles ausgebucht.

Mittags haben wir schon die Hälfte unserer Tagesetappe von 40 Kilometern geschafft. Uns geht es sehr gut, wir sind zufrieden. Die Sonne kommt durch, wärmt ein bisschen, vor allen Dingen lässt das helle Licht die Farben der Felswände noch besser zur Geltung kommen. Die Männer vor mir sehen einen ausgewachsenen Schwarzbären in etwa 100 Meter Entfernung. Bis ich begriffen habe, warum die Beiden stehenbleiben, da hat sich der Bär schon verabschiedet. Unser Weg bleibt so toll. Weiter geht es hinauf zum Triple Divide Pass. Anstrengender Aufstieg, aber in dieser beeindruckenden Kulisse macht das Laufen richtig Spaß. Am höchsten Punkt machen wir Pause und genießen die Aussicht. Ein dickes Murmeltier nähert sich, während wir am Pass sitzen und essen. Sehr mutig kommt es ganz dicht heran, untersucht die Rucksäcke und hofft anscheinend auf Futter. Ein zweites Murmeltier erscheint hinter uns, dann ein drittes …. Wir haben 2017 unzählige Murmeltiere in den hohen Lagen gesehen, aber so etwas haben wir noch nie erlebt. Anscheinend werden die Tiere regelmäßig von den Tageswanderern gefüttert und haben gelernt, dass öfter etwas für sie abfällt, wenn sie sich nur zeigen. Über uns am Hang tummeln sich zwei Bergziegen. Die sind auch überhaupt nicht scheu, sondern legen sich etwas weiter oben auf die Felsen, machen anscheinend Mittagspause und beobachten uns Menschen.

Dunkle Wolken ziehen auf und kommen immer näher. Um 16.00 Uhr fängt es an zu regnen, begleitet von Donnergrollen. Gerade eben schien noch die Sonne, jetzt ist ein krasser Temperatursturz zu spüren. Es wird von jetzt auf gleich sehr kalt in der Höhe. Wir ziehen die Regensachen an und beeilen uns. Es geht die letzten zwei Stunden nur noch bergab. Das Schlimmste am Regen ist, dass die wuchernde Vegetation uns zusätzlich von unten klatschnass macht. Der Weg ins Tal ist total zugewachsen. Nicht besonders angenehm, sich durch die tropfende Pflanzenwelt zu schieben. Das hatten wir doch erst vor ein paar Tagen. 🙁 Interessante Hängebrücken gibt es hier. Mehrmals müssen wir auf einer dieser wackeligen Konstruktionen den Fluss überqueren. Ein Warnschild auf beiden Seiten sagt, dass nur maximal 1 Hiker die Brücke betreten darf. Wahrscheinlich sind die Dinger stabiler als sie aussehen, auf jeden Fall wackeln sie ordentlich beim Drüberlaufen.

Um 18.30 Uhr erreichen wir unseren fest gebuchten Campingplatz am Red Eagle Lake. Eine sehr gute Uhrzeit für den Feierabend, wenn man eine Entfernung von 40 Kilometern hinter sich hat. Wir müssen mit dem einzigen freien Platz Vorlieb nehmen, da wir später ankommen als die normalen Wanderer. Mit Bear Bait (Rob) zusammen sind wir als Gruppe gebucht, allerdings passen beide Zelte nicht zusammen auf den kleinen Fleck, der unsere Parzelle sein soll. Inzwischen regnet es schon wieder heftig. Wir überlassen Rob den Platz und suchen uns eine ausreichend große und gerade Stelle, wo wir das Zelt aufbauen. Das ist nun wieder nicht ganz korrekt, aber die strengen Regeln des Nationalparks lassen sich nicht gut mit dem Leben eines CDT-Hikers vereinbaren. Wasser gibt es nur aus dem See, der ziemlich sumpfig aussieht. Über einen versteckten Trampelpfad am Ufer entlang schaffen wir es doch irgendwie, einigermaßen sauberes Wasser zu schöpfen. Ein eisiger Wind weht, es regnet, Blitz und Donner dazu. Wir sind nass und kalt. Eigentlich haben wir so einen Tagesabschluss nicht verdient, denn wir sind total fleißig gewesen und schnell gelaufen. Was für ein blöder Campingplatz am Red Eagle Lake ! 🙁 Etwa eine Stunde nach uns kommt noch ein Mädel, genannt „Mighty Mouse“. Sie erzählt von 3 Grizzly-Bären, die ihr auf dem Triple Divide Pass begegnet sind. Die haben wir wohl verpasst – macht aber nichts. 😉

Die halbe Nacht prasselt der Regen auf unser Dach. Dann wird es plötzlich sehr hell. Das schlechte Wetter ist durch, der Himmel klart auf, und ein dicker Vollmond steht direkt über unserem Zelt. Die Luftmatratze von Thomas ist nahezu unbrauchbar geworden, weil noch einige Nähte mehr geplatzt sind. Der arme Mann kann jetzt nur noch auf der unteren Hälfte seiner Matratze liegen …. oder auf meiner oder in der Mitte dazwischen.
Unser Zelt steht ganz nahe am See. Ein Elch badet am Ufer gegenüber im Wasser und sorgt für Aufregung. Mehrere Tages-Wanderer eilen mit ihren Kameras herbei, fotografieren und drehen Videos, bis das große Tier auf der anderen Seite unruhig wird. Der Elch, ein männliches Exemplar mit ausladenden Schaufeln, scheint wütend zu sein. Er wirft seinen Kopf wild hin und her, galoppiert dann los, quer durch den seichten See und auf die fotografierenden Menschen zu. Die ziehen sich auf einmal alle ganz schnell zurück. Auch aus unserer Perspektive kommt der Elch immer näher, aber es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Wir bleiben in der Deckung einiger Bäume und können ein paar Bilder mit dem Handy machen.

Morgens ist es noch sehr nass überall, aber über uns zeigt sich blauer Himmel. Bereits um 9.00 Uhr ist die Sonne so stark, dass sie wärmt. Pause am Kieselstrand vom St. Mary Lake, das ist mit 16 km² der zweitgrößte See im Glacier National Park. Wir laufen etwa 15 Kilometer oberhalb des Ufers mit Blick auf den See und die spitzen Berge dahinter. Es gibt noch erstaunlich viel Schnee in den Ecken unter den Gipfeln. Nach wie vor sehen wir auch große Haufen von Bärenkot auf dem Weg, Spuren von Grizzly-Tatzen im Matsch, Kratzspuren an den Bäumen. Der Trail begeistert uns nicht so, weil er wieder total zugewuchert und nass ist. Anscheinend laufen wir abseits der Hauptrouten, hier wird nicht viel gemacht. Man könnte auch sagen, dass wenig in die Natur eingegriffen wird. Uns nervt der schlechte Zustand des Trails ein wenig, denn wir kommen durch das dichte Kraut nicht so schnell vorwärts wie gewünscht. Dafür dürfen wir reichlich Himbeeren naschen. Die Früchte sind dunkelrot, reif und süß. Sie wachsen so zahlreich am Wegesrand, dass wir uns gegenseitig zum Weiterlaufen ermahnen müssen. Am Nachmittag lichtet sich die dichte Vegetation, der Weg wird breit und gut gepflegt. Beeindruckende Wasserfälle liegen direkt am CDT, außerdem einige kleinere Becken, in denen glasklares Wasser über Terrassen nach unten sprudelt. Das Gestein unter Wasser ist farbig. Glatte Steinplatten leuchten in rot, grün und gelb. Wirklich sehr schön. Allerdings haben wir auf einmal sehr viele Menschen um uns herum, die einen Ausflug zu den Wasserfällen machen.

Die St. Mary Falls sind eine Touristenattraktion, mit einem kurzen Spaziergang vom Parkplatz aus erreichbar. Bei uns weckt das sogleich den Fluchtinstinkt, bei unserem Kameraden Bear Bait übrigens auch. Wir halten uns nicht lange auf, sondern eilen vorbei, entschuldigen uns bei denen, die wir überholen, und weichen den Entgegenkommern aus. Ein Reh läuft direkt neben dem Weg. Wieder ein Fall von „gar nicht scheu“, weil die Tiere hier an die vielen Besucher gewöhnt sind. Wir beobachten die Tiere lieber etwas aus der Ferne, denn dann zeigen sie ihr normales Verhalten in der Natur.

Nur noch 3 Kilometer Anstieg, dann erreichen wir den Parkplatz mit Bushaltestelle. Wir möchten mit dem Bus nach St. Mary fahren. Das liegt außerhalb vom Glacier National Park, und dort gibt es einen Campingplatz, den man nicht vorher zu buchen braucht. Für heute mussten wir tatsächlich eine Parzelle im Park reservieren, den kein Thru-Hiker haben will, weil es ein Umweg von knapp 10 Kilometern ist. Und das nur für einen Weg, also heute nach Erreichen des Tagesziels hin zum Zelten, morgen früh dann die knapp 10 Extra-Kilometer wieder zurück bis zum CDT. Völlig bekloppt – das macht doch kein Mensch freiwillig. Wir haben uns entschlossen, diesen Unsinn nicht mitzumachen, sondern den kostenlosen Shuttle zu nutzen und in St. Mary zu übernachten. Leider mussten wir trotzdem buchen und 21,- Dollar für 3 Personen bezahlen, weil das System es so vorschreibt. Man soll seinen kompletten Aufenthalt im Glacier National Park am Stück reservieren, dabei müssen alle Nächte zusammenhängend genommen werden. Wenn wir diesen zu weit entfernten Platz nicht akzeptiert hätten, dann wäre es keine fortlaufende Buchung und wir müssten wieder für ein neues Permit anstehen. Was für ein Quatsch ! Wir ärgern uns über diese steife Bürokratie, die für Autofahrer gut funktioniert, aber für uns völlig daneben ist.
Alle 30 Minuten werden die Touristen an verschiedenen Punkten vom kostenlosen Shuttle-Bus eingesammelt. Es gibt nur eine einzige Hauptstraße im Nationalpark. Diese Route mit dem wohlklingenden Namen „Going-to-the-Sun-Road“ deckt die größten Attraktionen ab. Auf der anderen Straßenseite hat sich eine lange Schlange gebildet. Die Busfahrerin erzählt, dass sich immer dann ein Stau bildet, wenn wilde Tiere zu sehen sind. Diesmal sollen es Grizzly-Bären sein, die die Autofahrer zum Anhalten bringen. Alle starren aus dem Fenster, wir sehen jedoch keine Bären. Gegen 17.00 Uhr erreichen wir St. Mary in Montana, eine nicht rechtsfähige Gemeinde an der Westgrenze des Blackfeet-Indianerreservats. Das Dorf ist der östliche Endpunkt der Going-to-the-Sun Road, die den Glacier National Park in einer Entfernung von 85 km von Ost nach West teilt. Ausstieg ist beim Visitor Center, vor dem Gebäude flattert eine große Kanada-Flagge. Ja, richtig, wir sind bald da. Nur noch 3 oder 4 Lauftage bis zur Grenze. Ein tolles Gefühl ! 🙂 Wir suchen den Campingplatz, ärgern uns über den unfreundlichen Empfang und bezahlen noch einmal 5,- Dollar pro Person. Ziemlich blöd. Auch der Ort an sich ist nichts für uns. Der einzige Laden hat horrende Preise, wir kaufen nur das Nötigste ein. Eine schicke Lodge für gutbetuchte Gäste bildet den Mittelpunkt von St. Mary. Aber dort ist es nicht annähernd so gemütlich wie in der East Glacier Lodge, wo wir uns stundenlang aufhalten konnten, ohne dass sich Jemand dran stört. Hier sind die Mitarbeiter nicht Hiker-freundlich. Wir bekommen noch nicht einmal das Passwort für’s Internet – das ist nur für Gäste, die Übernachtung gebucht haben. Ein Kaffee kostet 3,80 Dollar, ein Blick auf die Speisekarte reicht …. Nein, danke. Eigentlich wollten wir einen Burger essen, aber wir sind nicht bereit, dafür so viel Geld zu bezahlen. Da bleiben wir lieber bei unserem billigen Nudelgericht und kochen selber.

Kalt ist es in der Nacht und morgens früh. Mein 4. Paar Socken ist durch, die landen auf dem Campingplatz im Müll. Auch eine Spitze meiner Stöcker ist schon wieder kaputt, obwohl die erst vor zwei Wochen in Helena zur Reparatur waren. Das mit Zahnseide zusammengenähte Shirt von Thomas löst sich langsam in seine Bestandteile auf, wird aber tapfer bis zum Ende getragen. Der Bus bringt uns Drei von St. Mary zurück zum Trailhead. Heute sehen wir während der Fahrt aus dem Fenster heraus tatsächlich einen Grizzly-Bären, der über die Felder streift. Ein Aussichtspunkt an der Haltestelle bietet freien Blick auf den Jackson Glacier, bevor wir wieder auf den CDT verschwinden. Der Piegan Pass Trail ist unsere Tagesaufgabe, ein stundenlanger Anstieg in grandioser Landschaft. Zu unserer linken Seite liegen weitere Gletscher zwischen den schroffen Bergen. Bei der Gründung des Nationalparks im Jahr 1910 gab es noch über 100 Stück. Leider sind die aktiven Gletscher inzwischen so weit zurückgegangen, dass im Jahr 2015 nur noch 26 gezählt werden konnten. Unterhalb der hohen Gipfel fließt Wasser durch schmale Rinnen ins Tal. Metallic-grüne Terrassen aus Stein, über die herrlich sauberes Wasser plätschert, sind ein faszinierender Anblick.

An anderer Stelle stürzen sich imposante Wasserfälle über rote Gesteinsplatten in die Tiefe. Rundum bieten sich sensationelle Ausblicke auf die steilen Felswände mit verschiedenfarbigen Schichten. Bereits eine Stunde vor dem höchsten Punkt erreichen wir den Abzweiger zum Siyeh Pass, es geht aber noch weiter aufwärts zum Piegan Pass. Gleich dahinter liegt der Cataract Mountain, Zeit für die Mittagspause. Murmeltiere und Streifenhörnchen kommen wieder ganz nah. Es ist rattenkalt in der Höhe. Mir kommt es ungefähr so vor wie ein Strand-Spaziergang im Winter auf Norderney bei Ostwind. Eine auffällig hübsche Libelle trudelt vor uns auf den Weg und bleibt extra für ein Foto liegen. Der schmale Körper ist schwarz mit hellblau gemustert, ein sehr schönes Design.

Der Piegan Pass ist bezwungen, danach geht es nur noch bergab. Wir trauen unseren Augen nicht, als wir einen türkis-blauen Fleck im hellgrauen Gestein entdecken. Da liegt ein kleiner See zwischen den hohen Bergen, die tiefblaue Farbe sieht total künstlich aus. Das kann doch die Natur nicht geschaffen haben ! Aus unserer hohen Position wirkt es wie ein Tintenklecks oder wie hingekippte Farbe.

Weiter unten wird der Trail grün, wir laufen durch Wiesen mit Sommerblumen und Fichtenwald. Einfach nur schön – unser bester Tag bisher im Glacier National Park ! 🙂 Der Wetterbericht hat eine 50 % Wahrscheinlichkeit für Regen vorhergesagt, morgen soll es dann den ganzen Tag regnen. Wir haben Glück, denn es fallen vorerst nur wenige Tropfen. Bereits um 15.00 Uhr erreichen wir das Many Glacier Hotel am Ostufer des Sees. Viele Wanderwege beginnen in der Umgebung, und Ausflugsboote bieten zahlungswilligen Touristen einfachen Zugang zum See. Wir verbringen mehr als zwei Stunden mit Kaffee, Blaubeer-Muffins und Blick auf das Wetter. Draußen zieht es sich zu. Wir sitzen in gemütlicher Atmosphäre und warten den dicksten Regenschauer ab. Durch die großen Panoramascheiben beobachten wir, wie heftig es gießt. In der oberen Etage des Grand Hotels werden Eimer aufgestellt, weil es durch’s Dach regnet. Nützt nichts, irgendwann müssen wir weiter. Es ist noch eine halbe Stunde Fußmarsch um den See herum bis zu unserem reservierten Campingplatz. Wir haben keinen trockenen Faden mehr am Körper, als die Zelte endlich stehen. Zum Aufwärmen gehen wir mit triefnasser Regenkleidung und Wechselsachen hinüber zum Hotel mit angrenzendem Laden und Restaurant. Der letzte Einkauf steht an. Teuer, wie ja zu erwarten war. Im Restaurant liebäugeln wir mit Hamburgern und Pommes, weil man bei dem Sauwetter schlecht draußen am Picknick-Tisch kochen kann. Aber die Preise verderben uns den Appetit. Rob hat Glück und bekommt von zwei Damen, mit denen er sich unterhalten hat, eine komplette Mahlzeit geschenkt. Käse-Makkaroni und Salat gibt es, damit verdrückt er sich schnell in sein Zelt und hat das Essensproblem gelöst. Wir gönnen es ihm, denn er hat noch etwa 1300 Kilometer in Colorado vor sich.

Die ganze Nacht hindurch hat es ununterbrochen heftig geregnet. Wieder nichts mit Ausschlafen, denn wir sind zum Frühstück im Restaurant verabredet. Um 6.30 Uhr wird geöffnet. Der Kaffee ist noch nicht durchgelaufen, so früh sind wir dort. Die Berge ringsum tragen heute weiße Kappen. Das gibt es doch nicht – Neuschnee in der Nacht vom 16. zum 17. August. Damit hätten wir nun wirklich nicht gerechnet. Hoffentlich werden wir dadurch nicht zu sehr beeinträchtigt, denn wir haben eine Strecke von 33 Kilometern vor uns. Es geht ordentlich in die Höhe, zwei Pässe müssen wir bewältigen, da können wir absolut keinen Schnee gebrauchen.

Zunächst starten wir auf dem Swiftcurrent Pass, es geht 10 Kilometer lang immer fein bergauf. Etliche Bergseen liegen tief unter uns. Die Landschaft wird alpin, schon bald ist die Baumgrenze erreicht. 700 Höhenmeter machen wir ziemlich locker bis zur Mittagspause. Zelte und Regensachen werden kurz zum Trocknen ausgebreitet, nach einer knappen halben Stunde ist es jedoch nicht länger auszuhalten. Eiskalter Wind, gefühlte Minus-Temperatur, so ist die Pause nicht besonders entspannend. Also nur schnell essen, trinken und einpacken. Wenn man sich bewegt, dann werden auch die Füße schnell wieder warm. Der Himmel ist grau, aber wir sind froh, dass wir nicht im Regen laufen. Die hohen Gipfel um uns herum sind im Nebel eingetaucht.

Wir laufen über den Wolken auf langen Traversen am Hang entlang, ein sehr schöner Pfad mit toller Aussicht auf die gegenüber liegenden Berge. Keine Vegetation, nur Geröll, die Spitzen sind mit Schnee gepudert. Ein Abzweiger bringt uns auf den Highline Trail. Einfach grandios, wie dieser enge Weg immer weiter an den Flanken der hohen Berge verläuft. Man kann den Verlauf meilenweit im Voraus sehen. Genauso beeindruckend ist es, anzuhalten und sich umzublicken. So kann man über die bereits zurückgelegte Strecke auf dem Highline Trail staunen. Es geht schnell voran. Trotz vieler Höhenmeter Aufstieg ist es ein toller Weg, der unsere Erwartungen weit übertrifft. Ein Abzweiger führt zum Ahern Pass, wir bleiben jedoch weiterhin in unserer Spur. Vor einer Bergkuppe entdecken wir zwei Dickhorn-Schafe, ein männliches und ein weibliches Tier. Beim Näherkommen sehen wir, dass es sich wohl um eine Familie handelt, denn zwischen den erwachsenen Schafen liegen zwei Jungtiere, wahrscheinlich Zwillinge. Niedlich sind die. 🙂 Noch mehr Dickhorn-Schafe stehen über uns am Hang, dort weidet eine ganze Herde von etwa 10 Tieren. Hinter der Kurve sehen wir noch einmal Eltern mit Nachwuchs. Die sind alle nicht besonders scheu, wir können langsam weiter und vorbei, ohne dass es Aufregung gibt.

Ein Stückchen weiter kommt uns eine Wandergruppe entgegen, die letzte Nacht auf dem Fifty Mountain Campsite verbracht hat. Sturm, Schnee und drei Grizzly-Bären haben für ordentlich Unruhe gesorgt. Genau das ist unser Abendziel, diesen Platz haben wir für heute reserviert. Man darf also gespannt sein. 😉 Zu beiden Seiten gibt es noch mehr Wasserfälle, die Hunderte von Metern nach unten sprudeln. An einem davon machen wir Pause, denn er fließt mitten über den Trail. Das Wasser ist so kalt, dass man es nicht einfach trinken kann. Etwas später haben wir dann tatsächlich einen Grizzly vor uns. Der Weg verläuft am Hang um die Berge herum, das Gelände unter uns ist etwas flacher und grün. Ein heranwachsender Bär mit typischem Grizzly-Buckel stöbert dort herum. Wir bewundern das schöne Tier mit seinem cremefarbenen Fell, ein kraftvoller Bursche. Wir beobachten ihn eine Weile von einem erhöhten Felsen aus. Der Bär ist sehr beschäftigt, dreht immer wieder dicke Steine um, ist also anscheinend auf Nahrungssuche. Dabei nähert er sich mehr und mehr dem Trail, überquert ihn dann und macht auf der anderen Seite weiter. Entweder sieht er uns nicht oder er ist zu abgelenkt mit den Insekten, die er unter den Steinen findet. Der Grizzly ist offensichtlich nicht an uns interessiert. Wir haben trotzdem Respekt, denn 10 Meter Entfernung vom Trail ist eindeutig zu wenig. Deswegen steigen wir querfeldein tiefer ab und weichen lieber aus. Etwas mehr Abstand kann ja nicht schaden.
Am späten Nachmittag liegt ein weiterer Aufstieg vor uns. Nicht gerade die beste Zeit, diese 500 Höhenmeter fallen uns richtig schwer. Die Männer sind voraus, ich bin müde. Habe das Gefühl, dass ich mich nur noch langsam vorwärts schleppen kann. Wir sind zu viel gelaufen in den letzten Tagen, hatten zu wenig Pausen und zu kurze Ruhephasen. Rob hat ein schnelleres Tempo drauf, und ich habe gerade das Gefühl, dass mir alle Knochen wehtun. Zu Zweit lassen wir es sonst gerne etwas gemütlicher angehen.
Heute, am vorletzten Tag, habe ich nun endlich meine Handschuhe verloren, die mir 3 Monate lang sehr gute Dienste geleistet haben. Gegen Kälte, gegen Sonnenbrand, gegen Moskitostiche, gegen Stachel-Gestrüpp und Verletzungen an den Händen. Eigentlich hatte ich schon viel früher damit gerechnet, dass ich zumindestens einen verliere. Deswegen werde mich jetzt nicht weiter darüber aufregen.
Um 18.30 Uhr haben wir die 33 Kilometer geschafft und unser Ziel erreicht. Der Campingplatz gefällt uns ausgesprochen gut. Es sind auch nicht zu viele Leute da, so dass wir freie Auswahl haben und alleine stehen können. Ein letztes gemeinsames Abendessen mit Rob, von dem wir uns morgen an der Grenze verabschieden müssen. Wir sind den ganzen Tag wider Erwarten trocken geblieben. Erst als wir schon im Zelt liegen, da fängt es leicht an zu regnen. Ein bisschen traurige Stimmung, denn morgen ist unser letzter Tag auf dem CDT. Wahrscheinlich werde ich diese Quälerei in einer Woche schon vermissen.

Sonntag, 18.08. – vor uns liegen zunächst 25 Kilometer bis zum Ziel. Rob hat danach noch einmal dieselbe Distanz bis zu seinem gebuchten Campingplatz. Grund genug, ein letztes Mal den Wecker sehr früh zu stellen. Unser Hiker-Freund kommt aus England und möchte die USA noch nicht verlassen, sondern wird von Waterton zum Grenzübergang Chief Mountain gehen. Das bedeutet für ihn eine weitere Übernachtung im Glacier National Park. Natürlich muss er dort für 3 Personen bezahlen, da wir als Gruppe gebucht wurden. Es ging nicht anders, weil die Reservierungs-Zentrale ein bürokratischer Wasserkopf ist. Egal. Am letzten Tag muss man nicht mehr über solche Dinge nachdenken, sondern sollte genießen. Zum Beispiel, dass es in der Nacht kaum geregnet hat, das Zelt trocken eingepackt wurde und wir die letzten Stunden auf dem CDT bei strahlendem Sonnenschein erleben. 🙂 Thomas möchte gar nicht ankommen. Den muss ich beinahe festbinden, damit er nicht umdreht und das ganze Ding zurück nach Mexiko läuft. Links von uns können wir einen Blick auf einen großen Gletscher werfen, der eingebettet zwischen hohen Gipfeln liegt. Ein dünner Wasserfall, der durch eine Felsspalte nach unten fließt, zeugt von weiterem Schmelzwasser. Ansonsten passiert nichts, und wir sehen auch nicht viel abseits des Weges. Wir sind völlig fokussiert auf den schmalen Pfad vor unseren Füßen und machen nur eine halbe Stunde Pause auf der Veranda einer verlassenen Ranger Station. Von dort aus verläuft der Weg etwa 10 Kilometer lang auf dem Pacific Northwest National Scenic Trail. Das ist eine Variante, von der wir kürzlich erst gehört haben und die sofort unser Interesse geweckt hat. 😉 Wir kommen an einem Schild vorbei, welches auf ein Adler-Brutgebiet hinweist. Man soll auf dem nächsten Kilometer nicht anhalten, sondern möglichst zügig hindurchlaufen und keinen Lärm machen, um die Adler nicht zu stören. Das passt gut. Wir laufen nicht, wir rennen fast, und laut sind wir auch nicht. Danach haben wir nur noch einige leichte Kilometer auf dem Waterton Lake Trail vor uns, immer am Westufer des Sees entlang …. und fertig.

Um 13.00 Uhr erreichen wir die magischen Grenzsteine am Waterton River – einer für die USA, der andere steht für Kanada. Wir sind nicht sicher, ob wir lachen oder weinen sollen. Angekommen. Damit ist unser gemeinsamer Continental Divide Trail beendet.

Wir befinden uns jetzt im Waterton Lakes National Park of Canada, welcher mit seinem schroffen Bergland direkt an den US-amerikanischen Glacier National Park grenzt. Uns trennen noch weitere 6,5 Kilometer von der Zivilisation. Dabei geht es ständig nur bergauf. Das hat uns vorher Niemand gesagt, auch unsere App und die Papierkarten nicht, denn dieses Stück gehört nicht mehr zum Trail.
Waterton Park, allgemein nur als Waterton bezeichnet, ist ein Weiler im Südwesten von Alberta. Ungefähr 100 Einwohner, aber anscheinend sehr viele Touristen, auffällig viele Inder und Asiaten. Rehe stehen in den Gärten oder laufen unbekümmert über die Straße. Die Kaninchen hier im Ort sind deutlich dicker als alle, die wir unterwegs auf dem Trail gesehen haben. Wir sind einfach über die US-Canada-Grenze gelaufen, an einer Stelle, wo es keinen Grenzposten gibt. Komisches Gefühl – kein Ausreise-Stempel, offiziell sind wir noch in den USA. Auch in Waterton gibt es keine Behörde, bei der wir uns melden können. Die Polizeistation hat geschlossen, es ist Sonntag. Man soll sich an der Schiffs-Anlegestelle melden, die würden dann weiterhelfen, so sagen es die Unterlagen. Wir fragen im Laden, der die Tickets für die Fähre verkauft. Thomas überredet die nette Dame, für uns bei der Grenz-Kontrolle anzurufen. Mehrmals wird verbunden, der dritte Gesprächspartner fragt nach unseren Personalien, Reisepass-Nummer, Grund der Einreise, wie lange, ob wir Waffen besitzen usw. –  Dann sagt der Officer am anderen Ende der Leitung : „Okay“ und wünscht einen schönen Aufenthalt. Damit sind wir wohl offiziell  eingereist. So einfach ist das. Stempel haben wir wieder keinen in den Pass bekommen.
Der Campingplatz in Waterton ist riesig und liegt mittendrin. Wir als Nicht-Autofahrer bekommen eine Parzelle im allerletzten Winkel zugewiesen. Damit haben wir den weitesten Weg zum Wasser, zu den Sanitäranlagen und in den Ort. Irgendwie nicht ganz nachvollziehbar, aber diese Erfahrung haben wir ja schon öfter gemacht. Es kommt uns so vor, als ob wir eine Viertelstunde brauchen, um die Anlage zu überqueren. Aber der Preis ist okay, wir stehen auf einem geraden Stück Wiese, haben einen Picknick-Tisch, heiße Duschen gibt es auch. Was will man mehr nach Beendigung eines 3000-Meilen-Trails ? Essen ! Am Abend feiern wir in einem richtigen Restaurant mit leckerem Essen. Man bekommt hier tatsächlich etwas Anderes als Burger, Pommes und Pizza. Nach der Dusche gibt es noch ein Bier im Zelt, dann ab in den Schlafsack. Blöde Nachbarn haben wir. Laut sind die, und dann fangen sie auch noch direkt neben uns an zu grillen. Wir sind gerade total gestresst von den vielen Menschen um uns herum. Eigentlich würden wir viel lieber noch einmal alleine auf einem einsamen Platz im Wald stehen, um unseren Triumph zu genießen und auszuschlafen. Irgendwie können wir es gar nicht fassen, dass wir es geschafft haben. Wir sind von Mexiko bis Kanada gelaufen, insgesamt 7 Monate lang, 4565 Kilometer von Süden nach Norden.