Am Montag klingelt ausnahmsweise der Wecker auf der Walkabout. Blauer Himmel, Sonne mit einigen Wolken, die Spitze des Pico ist vom Boot aus klar auszumachen. Die Wetterberichte waren sich uneinig, demnach ist alles möglich. Es könnte ein guter Gipfel-Tag werden. Schon auf dem Weg zum Casa da Montanha staunen wie über die sattgrüne Landschaft, obwohl wir erst vor einer Woche hier waren. Als wir beim ersten Versuch über die Weiden aufgestiegen sind, da haben wir wegen des schlechten Wetters und Nebel kaum etwas gesehen. Überall stehen Kühe in allen möglichen Farb-Varianten, es scheinen Hunderte zu sein. Wir können Faial, Sâo Jorge und dahinter sogar Graciosa, die kleinste und nördlichste Insel der Zentralgruppe, erkennen. Eine Viertelstunde vor der gebuchten Zeit stehen wir zur Anmeldung im Casa da Montanha. Der junge Mann von der Nationalpark-Behörde kommt um den Tresen herum und macht Schuh-Kontrolle. Dann gibt er uns einige Sicherheits-Instruktionen und rattert seine Standard-Abfragen herunter : Ob wir genug Wasser dabei haben ? Essen ? Warme Kleidung ? Sonnencreme ? Anscheinend sind unsere Antworten und die Schuhsohlen zufriedenstellend – Prüfung bestanden. 😉 Wir müssen noch etwas Papierkram unterschreiben, dann bekommen wir unsere GPS-Sender und sind ab jetzt dauernd unter Überwachung. Bereits kurz nach dem Start kommen wir an einen ummauerten Vulkanschlot. Von dort aus führt die Aufstiegsroute auf einen Felskamm und windet sich im Zickzack immer höher den Berg hinauf.
Der Pfad ist mit Wegposten gut markiert. Es geht überwiegend auf kompaktem Fels nach oben, einige Passagen führen über Geröll und sind dementsprechend rutschig. Auf jeden Fall muss man die Beine ganz schön anheben. Unsere Wanderstöcker helfen ordentlich mit, ohne wäre es viel schwieriger. Ab etwa 2000 Meter Höhe wird die Vegetation merklich dünner, hier wachsen nur noch alpine Pflanzen. Besonders hübsch blüht Thymian zwischen den Felsen, der braucht anscheinend keine Erde.
Bei Pfosten Nr. 47 erfolgt der Schlussanstieg an den Rand des Hauptkraters. Der Aufstieg zum kleinen Kegel des Gipfelkraters Piquino ist leichte Kraxelei, die manchmal den Einsatz der Hände benötigt. Wir können unser Glück kaum fassen, als wir oben auf dem Gipfel ankommen. Bei schönem Wetter und klarer Sicht stehen wir auf dem höchsten Berg Portugals und sind alleine. Tatsächlich haben wir keine unmittelbaren Verfolger hinter uns, und die 9.00 Uhr-Gruppen sind bereits im Abstieg. Wir haben den Piquino einen Moment ganz für uns, und es ist noch nicht einmal kalt hier oben. Zur Belohnung öffnen wir eine Dose Pfirsiche und erinnern uns an Just Jim. Den haben wir 2012 auf dem AT kennengelernt, und er erzählte uns damals, dass er Pfirsiche auf jeden besonderen Gipfel schleppt. 🙂
Unter uns liegt eine Krater-Landschaft mit dicht bewachsenen grünen Kegeln. Die werden wir in den nächsten Tagen auf einer Wanderung mit Zelt genauer erkunden. Für den Weg nach unten legt Thomas vorsichtshalber seine Knie-Bandage an, denn inzwischen spüren wir die Höhenmeter doch etwas in den Knochen. Wieder sind wir froh über die Stöcker, ohne möchten wir so einen langen Abstieg nicht machen. Etwa eine halbe Stunde unterhalb des Gipfels bekommen wir das dynamische Wetter-Geschehen hautnah mit. Von einer Sekunde auf die andere wird es deutlich dunkler und kalt, als sich eine Schlechtwetter-Wolke vor die Sonne schiebt. In nächsten Moment laufen wir durch Nebel und Nieselregen, es wird kühl. Stehenbleiben, wärmere Sachen anziehen und weiter geht’s. Der ganze Spuk dauert nur ein paar Minuten, dann ist die graue Wolke vorbei, die Sonne kommt durch, und es wird heiß.
Insgesamt 6 Stunden für 1200 Höhenmeter rauf und runter, darin enthalten sind nur zwei kleine Pausen von je einer Viertelstunde. Keine besonders große Anstrengung, wir konnten einfach laufen, ohne ins Schwitzen zu kommen. Das macht Hoffnung für unseren nächsten Long-Trail. Während unserer Segel-Passagen und dem Luxus-Lotter-Leben auf dem Boot fühlen wir uns nämlich immer alles andere als gut in Form. Zum Abschluss bekommen wir ein Zertifikat, welches besagt, dass wir den Gipfel des Pico bestiegen haben. Etwas albern, aber wir nehmen es trotzdem mit. 😉 Im Nachhinein war es die richtige Entscheidung, den Termin um eine Woche zu verschieben. Ein toller Tag, das Wetter war viel besser als wir zu hoffen wagten. 🙂 Zu Hause auf der Walkabout gibt es nur Dosen-Ravioli, zu mehr reicht die Energie nicht. Nach dem Abwasch springen wir vom Boot ins Wasser, schwimmen eine Runde im Hafen und duschen uns danach an Deck mit Süßwasser ab. Feierabend.
Kein Muskelkater, uns geht es richtig gut am nächsten Tag. Dann kann der höchste Berg Portugals ja nicht so schwierig gewesen sein. 😉 Immer noch haben wir die Sache mit der Impfung im Sinn. Der nette Hafenmeister gibt uns zwei Telefonnummern vom Hospital in Madalena. Wir hängen in der Warteschleife, werden weiter verbunden, bekommen eine weitere Nummer vom Gesundheitszentrum in Lajes. Dort meldet sich eine nette Empfangsdame und fragt sich schlau. Wir sollen am nächsten Tag mit unseren Papieren, Reisepässen, Europäischer Versicherungskarte ( haben wir nicht ) bei der Ambulanz vorstellig werden. Gesagt, getan, unsere Daten werden aufgenommen. Allerdings ist der Impfstoff nicht vorrätig, er muss bestellt werden, was zwei Wochen dauern könnte. Wir werden sehen ….
Schlechtwetter-Tag. Wir besuchen das „Museo dos Baleeiros“ im ehemaligen Bootshaus. Es zeigt eine sehr liebevoll eingerichtete Ausstellung. Absolut lohnenswert. Im Jahre 1987 wurde auf den Azoren der letzte Pottwal auf traditionelle Art und Weise gefangen. In einem kleinen Auditorium wird der Film „The last Whalers“ gezeigt. Damit wird der Bedeutung der hundertjährigen Waltradition auf den Azoren Tribut gezollt. Pro Woche wurden 1-2 Wale erlegt. Verwerflich ? Das ganze Dorf hat mitgearbeitet und davon gelebt. In krassem Gegensatz dazu steht der kommerzielle Walfang, der diese riesigen Meeressäuger beinahe ausgerottet hat. Wir sehen einen beeindruckenden Dokumentarfilm über die „guten alten Zeiten“ und die damit verbundene lebensgefährliche Knochenarbeit. Besonders faszinierend ist der Gedanke, wie diese Aufnahmen damals entstanden sind. Der Film stammt aus dem Jahr 1970.
Thomas wird am nächsten Tag vom Hafenmeister José zu einer Segeltour mit einem der traditionellen Walfänger-Boote eingeladen. Das Rigg ist total einfach, alles wird von Hand geführt, Länge etwa so die Walkabout. Dieses Schätzchen ist mindestens 50 Jahre alt, denn damit sind tatsächlich früher Wale gefangen worden. Es wurde sehr liebevoll restauriert und bemalt, echt schön anzusehen. Die Männer behandeln ihre Traditionsboote wie rohe Eier. Es ist ordentlich Wind, gibt viel Wasser von allen Seiten, und die Dinger kippeln leicht. Die Truppe besteht aus 8 Männern ( Jungs ), die sich zunächst mit Paddeln aus dem Windschutz des Hafens arbeiten. Thomas ist der einzige „Fremde“ unter Einheimischen. Er erlebt einen wilden Ritt mit einer Spitzen-Geschwindigkeit von 11,8 Knoten. Wir sind froh, wenn wir mit unserem Boot nur halb so schnell sind.
Nach nur einer Woche in Lajes do Pico fühlen wir uns hier bereits fast so zu Hause wie in La Restinga auf El Hierro. Wir sind schon total vernetzt. Die Einheimischen sind sehr aufgeschlossen und sprechen in der Regel gutes Englisch, weshalb wir auch ohne Portugiesisch-Fortschritte leicht in Kontakt kommen.
Freitag fahren wir mit dem Bus nach Ribeirinha und nach einem Umstieg weiter bis Cais do Pico. Eine mehrtägige Tour über die Kraterseen steht auf dem Programm. Die Runde verläuft auf einem alten Verbindungsweg vom Norden zur Mitte der Insel und dann weiter auf einer Höhenroute bis an die Ostküste. Es fängt damit an, dass wir die richtige Haltestelle verpassen und zu spät aussteigen. Müssen über die Hauptstraße ein Stück zurück, aber dadurch entdecken wir eine hübsche Kirche aus dem Jahr 1670. Eine gusseiserne Glocke hängt auf dem Kirchplatz, Thomas läutet, aber Keiner kommt. 😉 Bald darauf passieren wir die Höhle „Gruta das Canárias“. Davon hatten wir uns etwas mehr versprochen. Die Taschenlampen sind griffbereit, aber die Höhle ist verriegelt und verrammelt. Durch die Löcher der Gitter wachsen bereits Äste, da ist wohl schon lange Niemand mehr eingestiegen. Ab in den Wald, auf schmalem Pfad geht es steil bergauf. Im Wanderführer wird diese Tour umgekehrt beschrieben, also mit dem Auto zum höchsten Punkt und dann abwärts. Wir sind froh, dass wir aufsteigen können. Der Weg auf feuchter Erde, über runde Felsen und mit Moos bewachsene Wurzeln ist wirklich steil und sehr rutschig. Das können wir viel besser bergauf. Die ganze Zeit werden wir von lautem Vogel-Konzert begleitet. Wir kommen an einer Ziegenfarm vorbei. Etwas später blockieren ein paar Rinder den Weg. Die sind anscheinend ausgebüxt, auf jeden Fall befinden die sich auf der falschen Seite des Zauns. Vier junge Bullen, die sich ziemlich stark fühlen und uns frech anschauen. Zum Schluss zeigen sie dann doch Respekt vor uns bzw. unseren Stöckern und lassen uns vorbei.
Je höher wir steigen, umso feuchter wird es. Nebel, Nieselregen …. ohne geht es hier auf den Azoren wohl nicht. Unser Pfad durch den Wald wird immer matschiger. In den Senken haben sich zum Teil richtige Tümpel gebildet, die man irgendwie umgehen muss. Gegen 18.00 Uhr erreichen wir unser geplantes Tagesziel. Hier endet die erste Tour aus dem Wanderführer. Der „Lago do Capitão“ liegt bereits auf 850 Höhenmetern. Das Wetter lädt gerade nicht zur Pause ein. Aber auch sonst ist dieser Kratersee eher eine Enttäuschung. Es gibt keine Tische und Bänke, keine Mülleimer, kein Trinkwasser, Zelten ist verboten. Verschiedene Arten von Enten und sonstiges Vogel-Volk fühlen sich anscheinend sehr wohl hier am See. Nach kurzem Aufenthalt laufen wir weiter …. und weiter. Kommen an einigen kleineren Seen vorbei, alle eher unscheinbar. Schließlich haben wir den „Lagoa do Caiado“ zu unserer Linken. Ein Abbieger auf eine Schotterstraße und 1 Kilometer extra, nur um festzustellen, dass es auch hier weder Picknick-Tische noch einen gescheiten Zeltplatz gibt. Auf der rechten Seite der Straße liegt noch der „Lagoa Seca“, ein hübscher kleiner See – allerdings so tief unterhalb, dass wir keinen Versuch unternehmen, näher an sein Ufer zu kommen. Ein Stückchen abseits der Straße entdecken wir einige Bäume, dort bauen wir unser Nachtlager in Ermangelung einer besseren Alternative auf der nassen Wiese auf. Hohe Gräser mit reifen Ähren, die rund ums Zelt wachsen. Es dauert gar nicht lange, da macht sich mein Heuschnupfen bemerkbar.
Unheimlich ruhige Nacht. Alle Vögel schlafen, man hört keinen Pieps. Null Wind, noch nicht einmal die Blätter der Bäume rascheln. Keine befahrenen Straßen in der Nähe, keine Verkehrsgeräusche, nur absolute Stille. Es tropft in regelmäßigem Abstand von der Decke. Nebel und Kondensation, dazu die vom Tau nasse Wiese ringsum, dabei bleibt unser Leichtgewicht-Zelt nicht trocken. Aber halb so schlimm, selten so gut geschlafen, Start erst um 9.00 Uhr morgens. Wir marschieren den ganzen Tag entlang einer wenig befahrenen Straße durch sanfte Hügel-Landschaft. Die „Traversal das Lagoas“ verläuft über den Hochland-Kamm von der Mitte der Insel in Richtung Osten. Unzählige Krater, mit dichtem Grün bewachsen, prägen diesen Teil der Insel. Anfangs gibt es noch einige durchziehende Nebelschwaden, aber gegen Mittag kommt die Sonne heraus. Wir machen eine lange Pause, während der wir Zelt und Schlafsäcke zum Trocknen über einen Zaun hängen. Glückliche Kühe weiden an den Hängen, verblühende Hortensienhecken oder Naturstein-Mauern begrenzen die Felder. Links ein großer See, rechts ein kleiner Tümpel …. wie Perlen an einer Schnur reihen sich die mit Wasser gefüllten Krater aneinander. Bereits um 14.30 Uhr erreichen wir den Miradouro da Terra Alta, von wo es einen schönen Panoramablick auf die Nachbarinsel São Jorge gibt. Hier endet unsere zweite Route, die lange 27-Kilometer-Tour zwischen Vulkankesseln und Kraterseen. Es hört sich spektakulärer an als es ist. Die Azoren sind einfach nur ländlich und idyllisch. Pico ist die gebirgigste aller 9 Inseln, aber trotzdem sind wir wieder viel zu schnell fertig. Endlich dürfen wir die Straße verlassen und auf einen unebenen Pfad in den Wald absteigen. Vereinzelte Brombeeren sind schon reif und schmecken wunderbar süß. Die meisten Sträucher brauchen allerdings noch etwas Zeit und Sonne, bis man die Früchte essen kann. Wilde Pfefferminze wächst am Rand, es riecht intensiv und würde bestimmt einen leckeren Tee geben. Ein Abstecher durch unwegsames Gelände endet am Aussichtspunkt Alto dos Cedros. Schon wieder Pause – wir sind zu früh dran.
Im Zentrum von Ribeirinha kehren wir in einem urigen Café ein, wo wir uns mit leckerem Latte Macchiato stärken. Eine offene Verbindungstür führt zum angrenzenden Tante-Emma-Laden, in dem man ein paar Kleinigkeiten einkaufen kann. Den Mittelpunkt des Dorfes bildet – wie immer – die Kirche, vor der sich eine elegante gekleidete Menschenmenge versammelt hat. Lange Kleider, Stöckelschuhe, schicke Anzüge bei den Herren, ein ganz ungewohnter Anblick in dieser ländlichen Gegend. Wir laufen an der glücklichen Hochzeits-Gesellschaft vorbei und weiter in Richtung Wasser. Eine schmale Spur führt hinunter zur Badestelle „Baixa da Ribeirinha“, wo am späten Nachmittag noch ordentlich was los. Wir machen nur kurze Trink-Pause und marschieren weiter. An der Küste entlang, steil bergauf ins nächste Dorf, im Bogen wieder hinunter ans Wasser. Badestelle und Hafen von Calhau kennen wir schon von einer früheren Wanderung. Es beginnt zu nieseln, nach einer Weile regnet es sich richtig ein. Die letzte Stunde wandern wir zwischen Steinmauern auf einem engen Pfad. Nichts für dicke oder breite Menschen, da bleibt nicht viel Platz zu beiden Seiten. Aber es ist eindeutig der urwüchsigste und spannendste Teil des Tages. Der Regen wird hartnäckig. Wir folgen weiter den Wanderzeichen bis zum Ende der dritten Tour. Piedade war unser geplantes Ziel nach etwa 50 Kilometern. Morgen Mittag würde ein Bus zurück nach Lajes fahren, aber so lange möchten wir nicht warten. Wir essen in einer kleinen Bar an der Straße und fahren dann mit dem Taxi nach Hause. Immerhin haben wir unsere Tour diesmal nicht abgebrochen, sondern sind nur einen halben Tag früher als erwartet in Piedade. Macht aber in Anbetracht des Wetters gar nichts, auf der Walkabout schlafen wir gut und trocken. Der ständige Regen auf den Azoren ist echt lästig.
Für die Besteigung des Pico und unsere Kraterseen-Wanderung haben wir die schönsten Tage der ganzen Woche erwischt. Das war natürlich anhand verschiedener Wetter-Prognosen sorgfältig geplant, aber eine gehörige Portion Glück gehört auch dazu. 🙂 Ansonsten bleibt es „grau in grau“. Keine Sicht, immer wieder waschen Regenschauer das Boot sauber. Untypischer Wind aus Süd bringt viel Schwell in den Hafen und Bewegung ins Boot. Uns ist es relativ egal, wir fühlen uns wohl in Lajes und auf der Walkabout. Mit dem Impfen wird es hier wohl nicht mehr klappen, denn wir sind auf dem Sprung. Sobald der Wind auf Nord dreht, nach aktueller Vorhersage am Dienstag in der Tagesmitte, werden wir ablegen mit dem Ziel „Santa Maria“. Das ist die südlichste Insel der Azoren in ca. 200 Seemeilen Entfernung.
Liebe Frauke, lieber Thomas,
wie immer bin ich mit euch gewandert! 😀
Danke für die eindrucksvollen Fotos und die Berichte der verschiedenen Tage.
Für mich eine wunderschöne Abwechslung zu den katastrophalen Berichten, die täglich in der Zeitung stehen, im Fernsehen gezeigt werden….
Genießt die Zeit in der Natur und einem netten Umfeld!
Liebe Grüße! Eure Reisebegleiterin aus Thüringen
Ingrid