Wir segeln und wandern durch die Welt

700 Seemeilen bis Tuktoyaktuk

Es schneit. Während der Nacht hat der Wind kräftig zugelegt und pfeift ums Boot. Wetter-Download hat endlich geklappt, diesmal mit meinem Handy. Es soll noch heftiger werden, ab Mittag ist die Grafik bei Cape Alexander dunkelrot. Das sind mindestens 8 Windstärken, in den Böen auch mehr. Wir müssen hier weg, wenn wir nicht noch zwei weitere Tage festsitzen wollen. Weiter westlich in der Dease Strait soll es ruhiger werden.
Start bei 6 Beaufort aus Süd-Ost. Tendenz zu mehr Wind, aber die Richtung stimmt. Nur mit der gerefften Genua auf Steuerbord sind wir schnell. Die Windsteueranlage nimmt unsere Einstellung von 245° sofort bereitwillig an. Das Schiff hält schön den Kurs, wir machen stetig 5,5 bis 6 Knoten Fahrt. Das Wellenbild sieht beängstigend aus. Schneeregen draußen, aber im Deckshaus ist alles entspannt.
Zum Abend hin nimmt der Wind zu statt ab. Es wird ungemütlich. Aufgewühlte See, weiße Schaumkronen um uns herum. Wir surfen auf den Wellen mit bis zu 8 Knoten. Hin und wieder erwischt uns eine Breitseite, dann wird das Boot total aus dem Kurs geworfen. Die Genua steht manchmal back und kommt nur mit viel Überredungskunst zurück auf die richtige Seite. Walkabout wird tüchtig durchgeschüttelt. Wir auch. Zu viel. Zu schnell. Unentspannt. 🙁
Vorbei an Cape Franklin wird die Straße breiter, wir haben etwas Hoffnung auf Besserung. Aber Starkwind von 7-8 Beaufort und die konfuse See bleiben uns noch eine Weile erhalten. Wüster Ritt durch die Nacht. Wir rollen wie blöd, an Schlaf ist nicht zu denken. Die Wellen sehen zum Fürchten aus. Besser nicht hingucken. 😉 Da kann man nur hoffen, dass die Windsteueranlage nicht aussteigt. Aber unser Helferlein verrichtet zuverlässig seinen Dienst.

Am nächsten Morgen beruhigt sich das Wetter. Der Wind hat nachgelassen auf 5-6 Beaufort. Wir können die Genua ausreffen und machen flotte Fahrt. Die Wellen sind allerdings immer noch grob und unberechenbar. Unser Kurs lässt sich nicht mehr halten, die Windsteuerung reagiert nicht, wie sie sollte. Von 6.00 Uhr bis 8.30 Uhr steuere ich von Hand. Beim Wachwechsel wird das Großsegel im 2. Reff gesetzt. Thomas entdeckt, dass sich bei der Windsteueranlage die große Schraube gelöst hat, an der die Steuerleinen befestigt sind. Deswegen ließ sich der gewünschte Kurs nicht halten. Zum Glück nicht verloren, sie hängt noch an den Bändseln. Tribut an eine anstrengende Nacht, die Mensch und Material stark beansprucht hat.

Die Passage durch den schmalen Edinburgh Channel ist bei moderaten Bedingungen kein Problem. Etwas knifflig ist es schon, viel Kurverei, zu beiden Seiten flach. Heftige Tidenströme laufen hier. Bei Sturm kann so eine Engstelle richtig gefährlich werden. Wir haben Wind 4-5 Bft. schräg von vorne. Mit Motor-Unterstützung sind wir innerhalb von 2 Stunden durch.
Nachmittags ist die Lage endlich so ruhig, dass wir komplett ausreffen können. Mit vollem Groß und Genua segeln wir durch den Coronation Gulf, vorbei an mehreren schönen Ankerplätzen. Wir halten nicht an, wir möchten durchziehen, soweit das Wetter mitspielt. Tuktoyaktuk wäre unser Wunschziel und der letzte Ort in Kanada, wo wir ausklarieren müssen.
Das Kreuzfahrt-Schiff Ocean Endeavour mit Ziel Gjøa Haven kommt uns entgegen. Genau auf unserer Linie. Kurzer Funk-Kontakt, damit wir weiter auf unserem Kurs segeln können und die uns nicht platt machen.

Die „Bellingshausen“ überholt uns um 4.00 Uhr in der Frühe. Mehr als doppelt so lang wie die Walkabout und doppelt so schnell. Die sind mit uns zusammen aus Cambridge Bay abgefahren, aber haben wohl auch zwischendurch ein paar Ankerplätze besucht.
Wir sind unterwegs in der Dolphin and Union Street, das ist eine 123 Seemeilen lange Wasserstraße. Die Segelanweisungen schreiben dazu, dass man sie möglichst nur bei Tageslicht durchfahren sollte. Starke Tide, Strömungsversatz nach Süd-Osten, mehrere enge Passagen zwischen den Inseln. Uns erscheint sie breit und wenig gefährlich, aber das liegt natürlich an den moderaten Außenbedingungen. Der Wind ist gnädig mit uns, wir kommen ganz geschmeidig durch. Thomas hat sehr gut vorbereitet und alle wichtigen Koordinaten aus der Navionics App auf unseren Kartenplotter übertragen. So müssen wir einfach nur einen Wegpunkt nach dem anderen abfahren. Das klappt auch im Dunkeln.

Den ganzen Tag begleitet uns fieser Schneeregen. Der Himmel hat eine neue Abstufung von grau angenommen, und es sieht nach noch mehr Schnee aus. Eindeutig Herbst. Es wird Zeit, dass wir hier wegkommen. Inzwischen haben wir ungefähr 1500 Seemeilen der Nord-West-Passage zurückgelegt, das ist knapp die Hälfte der offiziellen Strecke. Also liegt noch ein weiter Weg vor uns. Auch dann sind wir noch lange nicht in sicheren Gewässern. Wir werden in Zukunft nur noch anhalten, wenn es das Wetter erfordert. Alles an Wind wird gerne genommen außer Sturm und Gegenwind.
Wir hören ein Funkgespräch auf Kanal 16 mit. Die Bellingshausen und die Hayat liegen zusammen in Bernhards Harbour. Noch sind wir nicht das Schlusslicht, aber die größeren Boote werden uns bestimmt in den nächsten Tagen einholen.
Schlechte Nachricht von Calin via Iridium : Die Seabelle hat einen Motorschaden durch Seeschlag. Die Maschine hat in Salzwasser gebadet und sagt keinen Mucks mehr. Sie sind jetzt auf dem Weg nach Tuktoyaktuk und können bis dahin nur noch segeln. Oh Mann, was für ein Pech ! Das tut uns sehr leid. Es könnte das „Aus“ für die diesjährige Nord-West-Passage der Seabelle bedeuten. 🙁

Sonntag Nachmittag Kurs-Änderung auf 225°, Genua kommt auf die andere Seite. Raus aus der Dolphin and Union Strait und rein in den Amundsen Gulf. Der ist bekannt für seine starken Strömungen entgegen dem Uhrzeigersinn, die einem westwärts fahrenden Segelboot gar nicht gut in den Kram passen. Wir halten uns ganz nahe entlang der Küste. Walkabout wird langsamer. Nur noch 3,7 Knoten, mehr geht nicht. Voraus ist eine tiefhängende dunkle Wolkenwand zu sehen. Unter normalen Verhältnissen würde ich sagen : Schlechtwetter-Front, die viel Wind mitbringt. Ist aber nicht so, hier gelten wohl andere Gesetze.

Der Amundsen Gulf ist eine riesige Wasserfläche. Links von uns befindet sich das nordamerikanische Festland. Keine Inseln weit und breit. Dazu wenig Wind, also fast ein bisschen langweilig. Der Höhepunkt des Tages ist der Moment, als die Hayat uns überholt. Sie kommen ganz nahe und bieten uns eine kleine Show-Einlage. Einer der polnischen Jungs zieht sich aus bis auf die Unterhose und duscht an Deck mit der Pütz. Hinter unserem Boot schaut ein Walross aus dem Wasser, als ob es gucken will, was da los ist.

Schönes Wetter, klare Sicht. Mit einem Kuchen im Backofen plus Sonneneinstrahlung erwärmt sich das Deckshaus am Nachmittag kurzfristig auf 16°. Juchhu ! 🙂
Thomas kümmert sich um die Motor-Wartung. Der alte BUKH ist noch nie so stark beansprucht worden. Der darf uns hier nicht im Stich lassen.
Abends fahren wir dem Sonnenuntergang entgegen. Alles sehr friedlich um uns herum. Tolle Stimmung. 🙂 Beeindruckende Kulisse mit den Konturen Kanadas in nur 7-8 Seemeilen Entfernung. Bis hierhin haben wir es auf eigenem Kiel geschafft.

Eine ganze Nacht hindurch und den folgenden Tag läuft es und läuft und läuft. So macht das richtig Spaß. Konstanter Wind von 6 Beaufort aus Süd-Süd-West treibt die Walkabout schnell in Richtung Tuktoyaktuk. Der Kurs stimmt. Es könnte gerade nicht besser sein. Leider geht das nicht ewig so weiter.
Mit Umrundung von Kap Parry dreht der Wind auf West, kommt also immer mehr von vorne. So bleibt es die nächsten Stunden. Wir werden immer langsamer, der Kurs wird schlechter. Es scheint auch noch eine Gegenströmung mit im Spiel zu sein. Mühsames Vorankommen. 🙂
Ein Walross und mehrere Seerobben schwimmen bzw. treiben vorbei. Die haben solche Probleme nicht, sie sind anscheinend völlig in ihrem Element.

Am nächsten Morgen geht es zunächst flott weiter.  6 Windstärken aus Süd, in Böen auch mehr. Ruppige Fahrt, aber wir freuen uns über die Geschwindigkeit.
Kap Bathurst und die Baillie Inseln voraus, damit liegt der Amundsen Gulf hinter uns. Vor uns haben wir jetzt die Beaufort See. Das Meer sieht nicht besonders einladend aus. Respekteinflößendes Gebiet. Die Küste ist erstaunlich flach. Wassertiefen fallen abrupt von 50 Meter auf 3-4 Meter, dadurch entstehen unangenehme Wellen. Unsere Seekarten zeigen viele Hindernisse wie verlassene Öl-Plattformen, Muschelbänke oder die Pingos. Bis zum Kap Bathurst kommen wir mühelos voran, dann ist es leider schon wieder vorbei. Auf der anderen Seite erwartet uns Gegenwind. Großsegel und Fock werden dicht geknallt, der Motor muss zur Unterstützung wieder ran. Mit schönem Segeln hat das hier nichts zu tun. Es geht nur darum, Strecke zu schaffen. Auch in der Beaufort See sind wir nicht sicher davor, dass der weitere Weg vom Eis versperrt wird.

Gegen 2.00 Uhr früh muss das Großsegel geborgen werden. Wind aus Nord platt von achtern. Nur mit der Genua entsteht ein nervtötendes Rollen und Klappern an Bord. Kein guter Schlaf, und davon auch zu wenig.
Steuerbord liegt ein weites Sperrgebiet mit vielen, vielen Achtung-Zeichen. Wofür ? Keine Ahnung. Auf jeden Fall sollte man da nicht hineingeraten, schon gar nicht während der Dunkelheit. Schwierig zu umfahren, die Walkabout wird immer wieder wie magnetisch dorthin gezogen. Thomas versucht es mit einer Wende auf den anderen Bug, aber das nützt nicht lange. Der Kurs wird sofort schlechter in Richtung Sperrgebiet, sobald die Selbststeuer-Anlage übernehmen soll. Die halbe Nacht schaffen wir nicht mehr als 3,5 Knoten pro Stunde. Zäh. Jetzt auch noch Gegenströmung ? Auf jeden Fall sind wir zu langsam. Steile Wellen laufen wild durcheinander und machen es uns zusätzlich unbequem. Das ist wirklich ein mühsames Geschäft hier in der Nord-West-Passage.

Das Gebiet um Tuktoyaktuk herum ist bekannt für seine Pingos, die sich aus dem Permafrost ausbilden. Das sind merkwürdige Hügel, die in Seen, Fluss-Mündungen oder aus dem Meeresboden entstehen, jedes Jahr wachsen und sich verändern. Damit stellen diese frostigen Inseln eine große Gefahr für die Navigation dar. Wir vertrauen darauf, dass die neueste Ausgabe unserer elektronischen Seekarte korrekt anzeigt.
Komplette Bewölkung, der Himmel ist grau. Eine gefühlte Ewigkeit fahren wir nach Süden in die Bucht von Tuktoyaktuk hinein. Das Ziel scheint einfach nicht näher zu kommen. Eigentlich hatten wir auf Ankunft am Nachmittag gehofft, aber unser Schneckentempo der letzten 2 Tage und Nächte hat einen Strich durch diese Rechnung gemacht. Wird also wieder spät.

Bei der Einfahrt in die Bucht sehen wir zum ersten Mal seit langer Zeit wieder grüne Büsche und Bäume. Außerdem staunen wir über eine Menge Treibholz am Ufer, die vom Mackenzie River angespült werden. Um 21.00 Uhr fällt unser Anker zwischen der Seabelle und der Hayat.
716 Seemeilen von Cambridge Bay bis Tuktoyaktuk, unserer letzten Station in Kanada.

3 Kommentare zu “700 Seemeilen bis Tuktoyaktuk

  1. Thomas Bogdain

    Gratulation zur Durchfahrt der Nordwestpassage . Die Berichte sind toll geschrieben und sehr unterhaltsam. Wir waren nach Eurem letzten Bericht aus Grönland schon sehr gespannt wie es weitergeht.

    Liebe Grüsse aus Lazarote,
    SY Noe
    Thomas und Christine

    1. 871385 Autor des Beitrags

      Hallo Christine und Thomas,
      vielen Dank. Das ist ja eine große Überraschung. Ihr seid jetzt mit eurer Noe auf den Kanaren ?
      Ich erinnere mich gut daran, dass euer Boot noch in Emden in der Halle stand, als wir mit unserer Walkabout in die zweite Runde gestartet sind. Wann war das ? Muss 2018 gewesen sein.
      Der Covid-Pandemie seid ihr ja zum Glück rechtzeitig ausgewichen und habt eine tolle Zeit mit Segeln und Klettern in Norwegen verbracht. Sehr guter Schachzug !
      Nun wird das wohl wieder nichts mit Hinterhersegeln und Treffen, weil wir die Kanaren letztes Jahr verlassen haben. 😉
      Herzliche Grüße von Thomas und Frauke

      1. 871385 Autor des Beitrags

        Anfang 2020 war’s.

        Vielleicht können wir ja doch irgendwann mal den Ankerplatz teilen.
        Die Welt ist klein und rund.