Wir segeln und wandern durch die Welt

Tuktoyaktuk

Wir haben Nunavut verlassen. Tuktoyaktuk ist eine Ortschaft in Kanadas Nordwest-Territorium mit 900 Einwohnern. Einfach mal loslaufen, so bekommt man einen ersten Eindruck vom Ort. Ich habe kein gutes Gefühl, bei mir macht sich eher Unwohlsein breit. Es sieht nicht nach Wohlstand aus, Armut und Alkoholismus sind wohl eher an der Tagesordnung.
Unsere Idee, über Nacht am Tank-Steg zu liegen, lassen wir fallen. Die Kassiererin im Supermarkt warnt uns vor ungezogenen Kindern oder Jugendlichen, die Steine auf die Boote werfen. Das brauchen wir nun wirklich nicht. Guter Schlaf ist uns sehr wichtig. Am Ankerplatz haben wir unsere Ruhe. Besuch kommt trotzdem, aber nur eingeladene Gäste.

Apropos Supermarkt …. 1,5 Kilo Kartoffeln kosten umgerechnet 10,- Euro. Auch darauf können wir verzichten. Obst, Salat, Kekse, Fleisch, Chips, Orangensaft ….. Wir kaufen nichts. Alles unfassbar teuer. Da fragt man sich wirklich, wie die Einheimischen das Nötigste für’s tägliche Leben bezahlen.

Tanken steht ganz oben auf unserer Liste. Wichtig, damit wir für die nächsten 1100 Seemeilen genug Sprit haben. In der Beringstraße müssen wir mit 3-4 Knoten Strömung gegen uns rechnen. Mit 36 PS ist die Walkabout relativ schwach motorisiert, da sollte unser Durchkommen nicht daran scheitern, dass wir beim Diesel sparen müssen.
Alles ist kompliziert, nichts funktioniert wie erwartet. Der Pier ist so marode, dass kein Tankwagen an den Steg fahren kann. Vor dem angrenzenden Supermarkt stehen zwei Zapfsäulen, die sogar den Preis anzeigen, aber keine Möglichkeit zur Kartenzahlung bieten. Im Laden bekommen wir die Auskunft, dass man den Sprit dort bezahlen muss. Das geht nur während der Öffnungszeiten, heute nicht mehr und Samstag erst ab 11.00 Uhr. Okay, dann müssen wir wohl eine weitere Nacht in Tuktoyaktuk bleiben. Wir laden Sonia und Calin von der Seabelle zum Abendessen auf die Walkabout ein. Sehr schön, bei Kürbissuppe und Ingwer-Tee etwas Zeit mit den Beiden zu verbringen. 🙂

Am nächsten Morgen stehen wir früh auf und sind mit 25 Kanistern pünktlich zur Stelle. Klappt aber nicht, die Auskunft von gestern war wohl ein Missverständnis. Die beiden Zapfsäulen draußen sind außer Betrieb, was aber nicht ersichtlich ist. Diese Tankstelle hat bereits seit 1,5 Jahren geschlossen. Es gibt eine weitere am Ortseingang, die jedoch nur mit dem Auto zu erreichen ist. Das Tanken entwickelt sich so zu einer nervenaufreibenden Geschichte. Zu guter Letzt zahlen wir 30 Dollar dafür, dass ein Truck Thomas mit den Kanistern abholt und wieder zurück zum Boot bringt. Auf frisches Wasser verzichten wir. Das Füllen des Wassertanks würde unverschämt viel Geld kosten. Auch die Kanister aus dem Supermarkt sind uns zu teuer. Wir öffnen ein stillgelegtes  Seeventil unter der Spüle und aktivieren den zweiten Wasserkran. Ab jetzt können wir per Fußpedal Salzwasser pumpen und zum Abwaschen etc. benutzen.

Der zweitwichtigste Punkt auf unserer Liste ist das Ausklarieren bei der RCMP, denn mit dem morgigen Ablegen werden wir Kanada verlassen.
Auf dem Weg zur Polizei-Station hält ein Radfahrer an. Der etwas heruntergekommen aussehende Mann fragt uns, ob wir getrocknetes Karibu-Fleisch kaufen möchten. Nein danke – lieber nicht.
Mehrere Telefongespräche sind nötig. Niemand weiß genau, wie das Prozedere ist. Sehr merkwürdig, denn wir sind doch nicht die ersten Menschen, die mit eigenem Boot über die Grenze wollen.
Der Officer, der unsere Abmeldung begleitet, trägt den interessanten Namen „WHYNOT“ – Warum nicht ? 😉
Für Kanada eingecheckt haben wir in Pond Inlet bei einer Miss „LABELLE“ – Die Schöne. 🙂
Tolle Sache ! Diese Beiden werden wir schon alleine der auffälligen Namen wegen nie vergessen.

Ein besonders aufgeräumtes Grundstück sticht uns ins Auge. Das ist ein eher ungewöhnlicher Anblick in der Arktis. Ein Schild an der Straße trägt den Hinweis für Autofahrer, dass hier Kinder wohnen. Verschieden große Fahrräder, Rutsch-Utensilien und andere Spielzeuge lassen auf mehrere Kids in verschiedenen Altersstufen schließen.

Vor einem anderen Haus steht eine Menge Gerümpel auf dem Grundstück. Die Krönung ist ein echter Eisbären-Kopf. Was soll das denn ? Furchtbar. Die Menschen hier sind …. Komisch darf ich nicht sagen, so ein Urteil steht mir ja gar nicht zu …. Fremde Welt, sehr fremd.

An zwei Orten fragen wir nach Internet-Zugang, aber das können wir wohl vergessen. Duschen klappt auch nicht, wir finden keinen Ort und keine Möglichkeit. Dann eben nicht. Wir haben es inzwischen aufgegeben, uns die Hacken abzurennen nach Dingen, die nicht wirklich wichtig sind. Das wird alles überbewertet und muss warten, bis wir wieder in der Zivilisation sind.

Der Friedhof liegt mitten im Ort an der Hauptstraße. Ein eingezäuntes Areal mit den bekannten schlichten Holzkreuzen und verblassten Plastikblumen. Soweit kennen wir dieses Bild bereits seit Grönland. Auf diesem Friedhof werden die Menschen jedoch zum Teil überirdisch zur Ruhe gebettet. Die Leichname werden in Plastiksäcken oder Folien wie aus dem Baumarkt eingewickelt und zu Füßen des Kreuzes hingelegt, dann ein bisschen Plastik-Schmuck darüber und fertig. Zehn Monate im Jahr unter Schnee, da gammelt nichts, da stinkt es auch nicht. Die arktische Beerdigungs-Kultur hat sicherlich ihre Gründe, und die Menschen hier kennen es nur auf diese Weise. Es ist vielleicht nicht anders möglich wegen Permafrost, aber ich finde den Anblick einfach nur gruselig.

Wir kommen an einer Torf-Hütte vorbei. Solche Behausungen haben wir in Grönland auf dem Außengelände des Museums gesehen. Diese scheint sogar noch in Benutzung zu sein, denn sie ist mit einer nagelneuen Tür und glänzenden Schlössern verriegelt.

Die Kanadische Arktis ist für meinen Geschmack eher bescheiden, unauffällig, wenig ansprechend. Wir haben lediglich drei Orte kennengelernt, die ich alle nicht noch einmal besuchen möchte. Sowas muss man mögen. Ich habe genug von dieser Ödnis, freue mich schon auf eine richtige Stadt mit Geschäften, Cafés und Restaurants. Kaum zu glauben, dass wir theoretisch in zwei Wochen in Nome sein könnten. Wäre ja zu schön, wenn das Wetter uns gnädig ist und wir einfach die nächsten 1100 Seemeilen durchfahren könnten.

Wir bekommen zum Abschied ein sehr nützliches Geschenk : Scheinwerfer, die man vorne am Bug installieren kann. Die Stunden der Dunkelheit nehmen zu. Es erwarten uns stockschwarze Nächte und die potentielle Gefahr von Krabben-Körben, die in der Bering See ausgebracht sind. Wir haben bisher noch nicht drüber nachgedacht ( typisch 😉 ), aber es ist sicherlich besser, wenn man gute Fernsicht auf dem Wasser hat.
Das Beste an Tuktoyaktuk war eindeutig unser Wiedersehen mit Sonia und Calin, die vermutlich aufgrund ihres Motorschadens in der Arktis überwintern müssen. Wir haben die Beiden sehr ins Herz geschlossen. Bei mir fließen ein paar Tränen, als wir vorbeifahren und sie winkend an Deck der Seabelle stehen. Es ist so traurig, dass Sonia und Calin hier stranden. Sie hatten diesen Traum der Nord-West-Passage 2023, aber die Reparatur wird nicht so schnell erledigt sein, dass sie den weiteren Weg in diesem Jahr noch vor dem neuen Eis schaffen können. 🙁