Wir segeln und wandern durch die Welt

Cambridge Bay und Cape Alexander

Cambridge Bay liegt im Süden von Victoria Island. Hier leben ungefähr 1700 Einwohner, die meisten davon sind Inuit. In den befahrbaren Monaten laufen täglich Kreuzfahrt-Schiffe ein. Der Ort hat Geschichte. An genau dieser Kaimauer hat Arved Fuchs 2003 mit seiner „Dagmar Aaeen“ überwintert. Die „Maud“ , das dritte Schiff von Roald Amundsen, ist 1930 in der Bucht von Cambridge Bay gesunken. Norwegische Wissenschaftler haben das Schiff vor wenigen Jahren vom Meeresgrund geborgen. 2017 wurde die Maud nach Grönland überführt und im Jahr 2018 zurück ins Heimatland Norwegen geschleppt. 

Es gibt nur einen Kaffee nach dem Aufstehen, dann schwärmen wir aus, um unsere Erledigungen zu machen. Cambridge Bay bekommt keinen Schönheitspreis, ganz ähnlich wie Pond Inlet. Der erste Eindruck ist nicht besonders einladend, was vielleicht auch am Wetter liegt. Nass und kalt und matschig ist es. Wer schlammige Wege mag, der ist hier genau richtig. Regenhose und Gummistiefel sind Pflicht, innerhalb von Minuten ist man schmutzig.

Wir fragen im Visitor Center nach einer Dusche. Ja, das ist möglich. Nicht sofort, denn es muss erst geputzt werden, aber nach einer halben Stunde Wartezeit werden wir eingelassen. Dazu bekommen wir noch die Ansage „nicht länger als 10 Minuten“. Okay. Wir genießen das saubere Badezimmer und warmes Wasser für kurze Zeit.
An der Pier steht ein Auto, darin sitzt ein älteres Paar. Die Frau erzählt, dass sie 9 Enkelkinder haben, davon sind 7 Mädchen. Heute machen sie einen Ausflug mit der zweitjüngsten Kensey, und die hat offensichtlich Spaß mit Oma und Opa. Thomas fragt den Fahrer nach einer Werkstatt. Hilfsbereit, wie wir es oft unterwegs erleben, bietet er sofort an, uns dorthin zu bringen. Die Werkstatt liegt tatsächlich etwas außerhalb. Ich sitze derweil mit Kensey auf der Rückbank und habe viel Freude an der Kleinen. Ich vermisse meine Enkelkinder. 🙁

Die gewünschten Ersatzteile gibt es nicht, deswegen werden wir noch zu einer anderen Stelle kutschiert. Total nett. Ein Mechaniker fährt sogar extra mit Thomas zum Boot, um sich das Problem vor Ort anzusehen. Leider ebenfalls ohne Erfolg. Es bleibt wie es ist, die Gänge müssen weiterhin unten direkt am Motor geschaltet werden. Ich bin also die Schalt-Frau auf der Walkabout. Thomas steht im Steuerhaus und gibt das Kommando, ich lege im Keller den Hebel um. Geht alles.

Das Tanken gestaltet sich komplizierter als erwartet. Wenn der Tankwagen an den Steg bestellt wird, um Diesel direkt in den Tank zu füllen, dann kostet dieser Service 500,- Kanadische Dollar, umgerechnet 350,- Euro. Die sind ja wohl wahnsinnig ! Das können sich vielleicht die Super-Yachten und Kreuzfahrer leisten, aber bestimmt nicht die kleinen Segler. Es gibt zum Glück eine Alternative. Wenn man Diesel in Kanistern selber ein- und umfüllt, dann bezahlt man nur einen Aufpreis von umgerechnet 42,- Euro dafür. Bedeutet jetzt für Thomas, die kostbare Flüssigkeit zuerst in unseren Haupttank zu schütten, bis der voll ist. Danach mit 25 leeren Kanistern zur Tankstelle, diese füllen und zurück damit zum Hafen. Von der Kaimauer über die Bellingshausen, die schweren Kanister über die Reling auf die Walkabout hieven und zum Schluss noch seefest verstauen. Eine Menge Extra-Arbeit, aber dafür haben wir viel Geld gespart. Die Anlieferung von Trinkwasser mit dem Truck kostet 100 Kanadische Dollar, etwa 70 Euro. Brauchen wir zum Glück nicht, weil wir bei Cape Hatt noch per Kanister unseren Wasservorrat aus der Natur aufgefüllt haben.

Internet wäre fein. Im Touristen-Büro versuchen wir unser Glück, jedoch gibt es dort leider kein WLAN. Danach probieren wir es in der High School, in der Bücherei und im einzigen Hotel am Platze. Wir ernten nur Absagen und bedauerndes Schulterzucken, egal wo wir es versuchen. Kein Internet-Zugang. Ich hätte ja schon sehr gerne ein bisschen Kontakt zu den Lieben zu Hause, aber das gestaltet sich in der Arktis schwierig bis unmöglich.

Kleiner Einkauf im Supermarkt. Alles irrsinnig teuer, deswegen belassen wir es bei Kartoffeln, Möhren und Eiern. Ladenleiter Peter ist nett und quatscht offensichtlich gerne. Es entwickelt sich ein längeres Gespräch, in dessen Verlauf sich Carsten dazu gesellt. Der stammt aus Oldenburg, ist sportlich sehr aktiv, verfolgt dabei ganz besondere Projekte. Seit einigen Jahren ist er regelmäßig mit einem Kanu in den Hohen Breiten unterwegs. Wir laden Carsten für abends zum Essen ein. Ein interessanter Gesprächspartner, wir entdecken viele Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel die langsame Art zu reisen, die Fortbewegung zu Fuß oder auf dem Wasser. Carsten ist im Süden Chiles gereist und 2012 die „Dientes de Navarino“ im Schnee gewandert. Wir sind dort Anfang 2013 ein paar Tage unterwegs gewesen und haben im Schnee gezeltet. Damals haben wir uns also knapp verpasst. Carsten kennt den Yacht-Club Micalvi in Puerto Williams, in dem wir 3 Wochen zu Gast waren. Er ist auch schon auf dem Yukon gepaddelt, genau wie Thomas. So Jemanden trifft man nicht alle Tage, und wir finden uns zufällig im Supermarkt von Cambridge Bay. Toll ! 🙂
Es erscheint noch mehr Besuch, für mich etwas überraschend. Thomas hat die Mechaniker aus der Werkstatt zur Boots-Besichtigung eingeladen, und tatsächlich kommen zwei der Männer spontan vorbei. Einer bringt sein 3-jähriges Töchterchen mit. Leider fasst die Kleine an das heiße Ofenrohr, fängt an zu weinen und lässt sich so schnell nicht mehr beruhigen. Damit ist dieser Besuch beendet. Carsten bleibt, und das ist auch gut so. Wir trinken Ostfriesen-Tee, den kennt und mag ein Oldenburger auch.

Alles erledigt. Die freundlichen Nachbarn haben uns sogar ein paar Stunden Internet ermöglicht, da sie auf ihrem Boot über Starlink ständig Zugang haben. Große Hilfe nach 3 Wochen Abstinenz. Zum Abschied bekommen wir dann noch ein Glas Sauerkraut und Kaffee geschenkt. Vielen Dank ! 🙂
Wir verlassen Cambridge Bay gegen 11.30 Uhr mit dem Ziel Tuktoyaktuk. Bis dahin sind es etwa 700 Seemeilen, die wir liebend gerne an einem Stück durchfahren würden, wenn es das Wetter zulässt.
Bellingshausen legt direkt nach uns ab, überholt natürlich bald und verschwindet aus unserem Sichtfeld. Dafür kommt uns die Hayat entgegen, gerade bei der Einfahrt in die Bucht. Wir begegnen uns ganz dicht Seite an Seite. Lautes Jubeln und Winken bei der 6-köpfigen Crew. Super Stimmung, die freuen sich auf zwei Pausentage in Cambridge Bay.

Über Funk hören wir, dass am Ufer gerade ein Eisbär spazierengeht. Den haben wir leider verpasst. Auf eine Begegnung am Strand sind wir nicht besonders scharf, aber Tier-Kino vom Boot aus wäre spannend gewesen.

Steuerbord paddelt ein Kayakfahrer. Wir staunen ein wenig, aber nach Carstens Geschichten gestern wundert uns gar nichts mehr. Jedem das Seine. 😉

Mit unbeständigem Wind segeln wir durch die Dease Strait mit ihren vielen Untiefen. Um 21.00 Uhr empfangen wir den neuesten Wetterbericht, und der schmeißt alle unsere schönen Pläne über den Haufen. Demnach würden wir morgen um diese Zeit an einer Engstelle zwischen den Inseln sein. Es sind 7 Windstärken angesagt. Da ist die Rede von gefährlichen Strömungswellen und nur etwa eine halbe Seemeile Platz. Dem Käpt’n ist das zu heikel. Auf dem Weg dorthin liegen überhaupt keine brauchbaren Ankerplätze. Nach einigem Diskutieren kehren wir um und fahren 10 Seemeilen zurück bis Cape Alexander. Die Einfahrt zu dieser kleinen Bucht ist so schmal, dass sie erst kurz vor knapp zu erkennen ist. Wo ist denn hier die Lücke ? Stockdunkel ist es und unheimlich, weil man weder das Ufer noch die Umrisse der Inseln sieht. Um 23.30 Uhr geht der Mond auf. Vollmond – was für ein Glück. Er leuchtet uns das letzte Stück des Weges. Um Mitternacht fällt der Anker in Cape Alexander auf 4 Meter Wassertiefe. Wir sind nur 30 Seemeilen Luftlinie von Cambridge Bay entfernt. Waren den ganzen Tag unterwegs, sind aber nur ein winziges Stück weiter gekommen. Etwas frustrierend ist das schon.

Donnerstag klappt unser Wetter-Empfang gar nicht. Es war gestern schon sehr schleppend. Wetter und Eiskarten sind das Wichtigste überhaupt auf unserer Passage. Das muss funktionieren. Stundenlang versuchen wir, die neuesten Daten über „PredictWind“ zu laden. Nervig. 🙁
Frisch gebackener Schokoladenkuchen soll meine Laune etwas aufhellen. Ganz nebenbei ist das eine hervorragende Verwendung für unsere abgelaufene Hershey’s Schokolade aus den USA.
Nachmittags lassen wir das Dingi zu Wasser und paddeln an Land. Schönes Wetter, blauer Himmel und Sonnenschein. Genau richtig, um auf andere Gedanken zu kommen. Es scheint Niedrigwasser zu sein. Am Flutsaum sind zahlreiche Tierspuren zu erkennen. Es gibt hier also Wild, wir sehen es nur nicht.

Zunächst laufen wir mit Gummistiefeln durch Sumpf. Von überall rinnt Wasser in die Bucht, der Boden taut jeden Tag mehr auf. Wir wandern um die Landzunge, auf der eine Hütte steht. Sehr gepflegt, das wirkt ziemlich wohnlich. Die Besitzer haben sogar ihren Müll gesammelt und auf einen Reiseschlitten geladen, wahrscheinlich um ihn irgendwann abzutransportieren. Das ist hier eigentlich nicht üblich, weder in Grönland noch in der kanadischen Arktis. Normalerweise wird der Sperrmüll einfach liegen gelassen und die meiste Zeit des Jahres mit Schnee bedeckt. Neben dem Häuschen befindet sich eine Grabstelle. Ein Holzkreuz mit Name, Datum und Foto eines glücklichen Ehepaares. Der Mann ist erst in diesem Jahr verstorben. Was für ein exklusiver Ort für eine Bestattung !

Karibu-Geweihe sind in einem wilden Haufen aufgestapelt. Wenn die alle hier geschossen wurden, dann gibt es bestimmt nicht mehr viele Tiere in diesem Gebiet. Da liegt sogar ein Karibu-Geweih komplett mit Kopf, Fell und Fleisch dran. Brrrr – ich könnte gerne zum Vegetarier werden.

Etwas höher wächst kurzes Gras, ein paar Moose und Flechten. Typische Tundra-Vegetation. Man kann ganz genau die verschiedenen Stufen erkennen, die das Eis in die Landschaft gegraben hat.

Auf der anderen Seite vom Strand steht ein Quad. Da laufen wir hin, den möchten wir uns angucken. Auf den ersten Blick wirkt das Vehikel noch fahrbereit. Aus der Nähe betrachtet sieht es dann doch nicht mehr so gut aus. Scheint schon etwas länger hier zu stehen. Der Rost hat seine Spuren hinterlassen, und die Reifen auf der rechten Seite sind tief im Sand eingegraben.

Alles sehr friedlich hier. Kaum zu glauben, dass wir gestern umgedreht sind, weil heute an einer bestimmten Stelle zu viel Wind sein soll. Über Nacht soll es stärker wehen, und für morgen früh sind 30 Knoten angekündigt, das sind 7 Windstärken. Die können wir gut nehmen, weil es von achtern kommt. Entscheidend ist, dass wir bei guten Bedingungen an der Engstelle mit den gefährlichen Strömungswellen sind.