Wir segeln und wandern durch die Welt

AT 1. Woche Hanover – Lincoln / New Hampshire

Wir haben uns vorgenommen, die Bundesstaaten New Hampshire und Maine von Süden nach Norden zu durchlaufen. Das ist der Rest von meiner im August 2014 abgebrochenen Wanderung und sogar noch ein bisschen mehr. Start in Hanover, der erste Abschnitt ist mit kleinen Tages-Etappen zum Eingewöhnen geplant. Insgesamt liegen 450 Meilen oder 725 Kilometer Strecke auf dem Appalachian Trail vor uns. Der Weg führt über die wunderschönen White Mountains, auf denen aktuell noch Schnee liegt, durch die 100-Mile-Wilderness bis auf den Gipfel des Mount Katahdin im Baxter State Park. 

Unsere erste Woche auf dem Appalachian Trail ist um. Bilanz dieses Abschnitts von Hanover bis nach Lincoln : Ein Bär, eine Schlange, ein Turkey, 4 Zecken und zwei Nacktschnecken. Thomas ist mit neuen Schuhen von Keen gestartet, dasselbe Modell wie immer. Trotzdem musste er direkt bei der ersten Frühstückspause seine Blasen an den Fersen verpflastern. Außerdem kommt bei ihm ein Hühnerauge vom CDT 2017 sofort wieder durch. Auch meine Schuhe sind neu, bzw. gebraucht bei eBay gekauft. Halbhoch, etwas schwerer als meine bisherigen Schuhe. Seit 2012 habe ich etwa 10 Paar Salomon Trail-Runner durchgelatscht. Nun bin ich angenehm überrascht von meinen neuen Keen, keine Druckstellen an den Zehen, keine Scheuerstellen an den Fersen, die sind einfach nur angenehm weit und gemütlich. Dafür leide ich schon vom ersten Tag an unter den verschiedensten Insekten. Moskitos und Black Flies haben gerade Hochsaison und fallen über jeden freien Zentimeter Haut her. Leider reagiere ich ziemlich heftig auf die Stiche, es bilden sich dicke Quaddeln und Blutergüsse. Jucken, Anschwellen, Brennen, Aufkratzen …. Das fängt ja gut an. Bei Thomas hat sich seit dem steilen Aufstieg zum Mount Mooselauke das rechte Knie bemerkbar gemacht. Seitdem trägt er seine Knie-Bandage. Ich hatte kurzzeitig nach einem Sturz im Schnee eine dicke Lippe, die bereits schon wieder gut aussieht. Anfangsschwierigkeiten, alles normal, alles gut. 

Gleich am ersten Morgen haben wir unsere erste Bären-Begegnung, so nahe, wie man sich das gar nicht wünscht. Wir haben beschlossen, auf dieser Etappe noch nicht so viele Meilen zu laufen, also spät zu starten. Während wir noch mit dem zweiten Kaffee im Schlafsack liegen, sehe ich einen Bären in etwa 5 Meter Entfernung vor dem Zelt stehen. Ein Schwarzbär, noch nicht ganz ausgewachsen, wir schätzen ihn auf zwei Jahre. Was tun ? Hoffen, dass er uns nicht bemerkt und von selber abhaut ? Fehlanzeige ! Spätestens beim Blickkontakt mit dem Bären wird klar, dass er uns sehr wohl gesehen hat und wir reagieren müssen. Thomas steht auf und versucht es zunächst mit lautem Schreien, dann mit der schrillen Bärenpfeife. Beides beeindruckt das Tier überhaupt nicht, dieser Bär scheint schwerhörig zu sein. Erst als ich ebenfalls nach draußen gehe und meinen Schlafsack in Richtung Bär ausschüttele, da weicht er ein paar Schritte zurück. Mir fallen die Stöcker ein, die ich hoch erhebe und mehrmals gegeneinander schlage. Das macht Eindruck. Der Bär ist nicht scheu, er hat gar keine Angst, aber er trollt sich langsam. Wir sind erleichtert, denn jetzt im Frühjahr ist die Winterruhe gerade vorbei. Die Bären sind hungrig, mit denen ist im Moment bestimmt nicht zu spaßen. Deswegen haben wir auch erst ein Foto gemacht, nachdem Meister Petz einige Meter zurückgewichen ist und wir uns sicher fühlten. 

Der Wald präsentiert sich noch ziemlich nackt. Die Vegetation ist hier oben Mitte Mai etwa soweit wie beim Start meines Solo-Hikes Mitte März 2014 im Süden der USA. Kahle Bäume, kaum grün, einige kleine Knospen sind an den Sträuchern zu sehen. Auf dem Weg liegt eine dicke Schicht herbstlich gefärbter Blätter, platt gepresst und gut konserviert. Hier ist der Schnee noch nicht allzu lange weg. Dafür wagen sich bereits vereinzelt Frühjahrsblumen durch das Unterholz. Ladyslipper blühen in dunkel-lila oder weiß, dazwischen stehen hellgrüne Pflänzchen mit gelben Blüten wie kleine Osterglocken.  

Der Pfad ist kaum zu erkennen, weil er in diesem Jahr noch nicht viel begangen wurde. Alles dauert etwas länger, wir müssen den Trail suchen und so manches Mal umdrehen und ein Stück zurück laufen, bis wir einen „White Blaze“ sehen. Diese Markierung in Form eines weißen senkrechten Balkens zieht sich über den gesamten Appalachian Trail, allerdings ist die Farbe nach dem Winter oft abgeplatzt, verblichen oder wegen umgestürzter Bäume gar nicht mehr vorhanden.

Drei mittelschwere Anstiege liegen vor uns, ein gutes Training zum Beginn. Das Balancieren auf morschen Baumstämmen fühlt sich noch etwas ungewohnt an, aber so bleiben die Füße beim Überqueren der zahlreichen Ströme trocken. An der Moose Mountain Shelter machen wir kurz Pause, um das ausliegende Register zu studieren. Bisher sind im Buch von 2019 erst 8 Einträge, ausnahmslos Tages- oder Wochenend-Wanderer. Wir sind wohl wirklich die ersten AT-Hiker in diesem Jahr. Der Aufstieg zum Doppel-Gipfel Moose Mountains ist so steil, dass an einer besonders schrägen Felsplatte ein Bergsteiger-Seil angebracht ist, an dem man sich festhalten und hochziehen kann. Es geht immer höher, zunächst auf den Süd-Gipfel, dann Abstieg, Gegenanstieg, über den Nord-Gipfel, wieder bergab bis auf 300 Höhenmeter und noch einmal hinauf zur Holts Ledge. Steiler Fels-Abbruch, tolle Aussicht, beeindruckende Kulisse. Wir sparen uns das Zelt-Aufbauen und übernachten in der Trapper John Shelter, die nach dem Ausfegen recht sauber aussieht. Sie liegt etwas abseits vom Trail, macht hin und zurück einen Kilometer zusätzlich. Zunächst sind wir alleine, aber während des Abendessens erscheint noch ein junger Mann, der auf einer 3-Tage-Tour unterwegs ist. Der Typ ist nett und müde, er quatscht uns nicht lange voll. Das kann man nach einem anstrengenden Tag nämlich nicht gebrauchen, da wollen wir nur unsere Ruhe haben. Um 20.00 Uhr liegen wir bereits in den Schlafsäcken, obwohl es noch hell ist.

Wunderbar geschlafen, kein Schnarchen gehört. Nur eine kleine Maus hat in der Nacht ihr Unwesen getrieben. Das freche Tierchen ist putzmunter durch die Shelter getobt und hat unsere ausgebreiteten Sachen inspiziert. Ich meine sogar, dass ich einmal etwas in meinem Schlafsack gespürt habe, war aber zu müde, um das genauer zu untersuchen. Pech für die Maus, wir haben keinen Krümel übrig gelassen und den Proviantbeutel aufgehängt.  

Eine knappe Stunde entfernt von unserem Nachtlager kommen wir an einem Seitenweg vorbei, der zum Haus von Bill Ackerly führt. Wir haben diesen Hiker-Freund, der immer Eis und kalte Getränke für vorbeikommende Wanderer bereithält, schon 2012 besucht. Zufällig hat er an jenem Tag seinen 85. Geburtstag gefeiert, er müsste also jetzt im 92. Lebensjahr sein. Wir überlegen kurz und sparen uns dann den Abstecher. Kurze Zeit später queren wir eine Straße und treffen dort auf einen Mann mit einem süßen Hundewelpen. Freundliches Grüßen, ein bisschen Smalltalk …. so sind die Amis eben. Der Hunde-Papa bestätigt uns, dass wir sehr früh dran sind in der Saison. Er geht jeden Morgen hier mit dem Puppy Gassi, aber hat in diesem Jahr noch keine AT-Hiker getroffen. Danach wird unser Weg deutlich schwieriger. Hilfestellung geben Holzleitern und Eisensprossen, die an besonders ausgesetzten Stellen angebracht sind. Immer öfter sehen wir Haufen von Elch-Kötteln. Viele, sehr viele …. Sind wir schon im Land der „Moose“ ? Eigentlich hatten wir Elche erst im Bundesstaat Maine erwartet, soweit wir uns erinnern können. Aber diese Hinterlassenschaften sprechen eine deutliche Sprache, da werden wir wahrscheinlich gerade von Elchen beobachtet.  Kröten hüpfen unbeholfen über den Trail. Man muss aufpassen, dass man nicht drauf tritt. Um die Mittagszeit erreichen wir bei bestem Wetter den Gipfel des Smarts Mountain. Dort oben gibt es einen Feuerturm, den man über eine steile Treppe erklimmen kann. Offene Stufen, alles etwas wackelig und sehr viel Wind dort oben.

Natürlich lassen wir es uns nicht nehmen, diesen Feuerturm zu besteigen und die Aussicht aus schwindelerregender Höhe zu genießen. Durch eine hölzerne Klappe kann man bis auf die Aussichts-Plattform steigen. Theoretisch könnte man sogar hier oben schlafen, aber uns ist etwas mulmig zumute. Wir sind noch nicht soweit, dass wir diese offene Konstruktion und den Wind, der daran zerrt, entspannt hinnehmen können. Ringsherum unter uns sind nur kahle Bäume zu sehen, der Wald ist quasi nackt in dieser Höhe. Berge zu allen Seiten, wohin man auch blickt. Das wird unser Weg und unsere Aufgabe in den nächsten paar Wochen sein. Hinuntersteigen gestaltet sich schwieriger als hinauf. Wir sind noch nicht ganz schwindelfrei und froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.

Ganz in der Nähe steht die Fire Wardens Cabin, eine private Hütte, die aber von den netten Besitzern immer für Wanderer offen gelassen wird. Auch dieses Jahr finden wir die Tür unverschlossen. Innen hängt ein Schild mit einer wichtigen Information für alle AT-Hiker. Bill Ackerly, genannt der Icecream Man, ist leider im Mai dieses Jahres verstorben. Da haben wir wohl das richtige Gefühl gehabt, als wir morgens früh an seinem Haus vorbei gegangen sind. Oben auf dem Gipfel des Smarts Mountain gibt es kein Wasser, deswegen steigen wir ab und schlagen unser Zelt 7 Kilometer weiter am South Jacobs Brook auf. Es ist erst 18.00 Uhr, der Himmel verdunkelt sich bereits. Gewittergrollen kommt immer näher. Unser Lager ist noch nicht ganz fertig eingerichtet, da fängt es an zu regnen. Schnell werden alle Sachen ins Zelt geschmissen, keine Minute zu spät, denn der Himmel öffnet seine Schleusen. Ein Wolkenbruch geht hernieder, dass einem Angst und Bange wird. Kurz vor dem Schlafengehen findet Thomas eine ziemlich große Zecke an seinem Bein. Das Gewitter kommt und geht relativ schnell, aber der Regen bleibt hartnäckig. Die ganze Nacht hindurch pladdert es auf’s Zelt, es schüttet ununterbrochen wie aus Kübeln. 15 Stunden Dauerregen. 

Morgens regnet es immer noch. Wir sind trocken geblieben, allerdings haben die Schlafsäcke ziemlich viel Feuchtigkeit aufgenommen. Aus alter Gewohnheit werfe ich einen Blick in meine Crocs, bevor ich die Schlappen anziehe. Igitt – keine Schlange drin, aber eine fette Nacktschnecke. Diese schleimigen Dinger finde ich echt eklig. Beim Zusammenrollen des Zeltes habe ich dann gleich noch einmal das Vergnügen. Eine weitere dicke Nacktschnecke hat sich am Zeltboden festgeklebt. Brrrr ! 

Der neue Tag beginnt mit einem Bach, der durch den Regen der letzten Nacht zum reißenden Strom angeschwollen ist. Damit haben wir nun wirklich nicht gerechnet. Normalerweise könnte man auf Trittsteinen oder Baumstämmen trockenen Fußes auf die andere Seite balancieren, aber heute ist alles komplett überspült. Wir suchen kurz in beiden Richtungen, ob es eine gute Stelle zum Überqueren gibt, aber es herrscht überall Hochwasser. Also ziehen wir unsere Wanderschuhe und langen Hosen aus, gehen barfuß in die Crocs und waten durch die kalte Strömung ans gegenüberliegende Ufer. An der tiefsten Stelle reicht es hoch bis zum Oberschenkel. Unter normalen Umständen hätten wir diesen Bach gar nicht zur Kenntnis genommen. Bei diesem erhöhten Wasserstand kostet uns die Geschichte etwa eine Stunde Zeit. Über den nächsten Wasserlauf können wir auf Holzbohlen balancieren. Die Stämme sind nass und sehen glatt aus. Ich traue mich erst nicht hinüber. Thomas geht vor. Naja, ich dann zögerlich hinterher. Muss ja ….. fliegen kann ich nicht. Die Bohlen sind rutschig und wackelig. Nicht schön, aber sehr langsam und konzentriert gelange auch ich schließlich auf die andere Seite. Der heftige Regen hat den Trail in einen Sumpf verwandelt. Das ist genau das richtige Klima zum Schlüpfen für Salamander. Die durchscheinend orange-roten Baby-Salamander krabbeln blind und unbeholfen durch den Matsch.

Wir entdecken deutlich ausgepägte Elch-Spuren vor uns auf dem Weg. Unser nächster Berg ist der Mount Cube . Eine anstrengende Kletterei über dicke Felsen bringt uns immer höher. Pause oben auf dem Gipfel. Dabei entdecke ich eine Zecke auf der Kappe von Thomas. Weg damit, bevor sie sich in den Haaren festsetzt. Das Wetter hat sich beruhigt, eine halbe Stunde leichter Regen, sonst ist es überwiegend schön. Am Nachmittag haben wir eine weitere Fluss-Überquerung vor uns. Wir machen es wie am Morgen, Schuhe und Strümpfe aus, Hosen hochgekrempelt und durch. Auch diese Hürde wird in den Planungs-Unterlagen nicht erwähnt, der Bach ist nur durch die Wolkenbrüche der letzten Nacht so stark angeschwollen. Also noch einmal Schuhe aus, die Crocs an und durch das kalte Wasser ans andere Ufer waten. Die Strömung ist erstaunlich stark. 

Auch unser nächster Wandertag bleibt nass, obwohl die Sonne scheint. Schmelzwasser und Regen haben den Wald in einen Morast verwandelt. Der Matsch macht es nicht einfacher. Wir turnen und balancieren um die tiefsten Tümpel herum. Gegen das uns von oben entgegenkommende Wasser auf dem Trail kann man nichts machen, die Schuhe sind komplett durchgeweicht. Unsere heutige Etappe bietet einige schöne Kletterpartien. Es geht über den Ore Hill und den Mount Mist, beide Hügel sind einfach zu bewältigen.

Im Wald um uns herum riecht es nach wilden Tieren, aber weder Bär noch Elch lassen sich blicken. Dafür sehen wir einen frischen Haufen Bärenkot mitten auf dem Weg vor uns. Mittags finde ich beim Ausziehen meines durchgeschwitzten T-Shirts eine weitere Zecke am Bauch. Die hat sich bereits festgekrallt, Thomas kann sie jedoch leicht herausdrehen. Später am Nachmittag zieht sich der Himmel zu, ein paar Tropfen Regen kommen herunter, es wird kühl. Im feuchten Laub liegt eine Schlange. Eine Gardener Snake, ca. 50 Zentimeter lang, völlig ungefährlich. Die Schlange ist ziemlich apathisch und macht keine Anstalten, vor uns zu flüchten. Abends krabbelt schon wieder eine Zecke im Zelt. Die müssen wir wohl mit unseren Klamotten hereingebracht haben. Der beste Schutz dagegen ist lange Kleidung und jeden Abend eine gründliche Zecken-Inspektion.

Den letzten Morgen, bevor wir aus dem Wald herauskommen, sind wir immer besonders früh wach und auf den Beinen. Schon um 7.00 Uhr sind wir unterwegs und genießen die tolle Morgenstimmung. Vögel zwitschern in allen Tonlagen. Die Luft ist sehr frisch und prickelt auf der Haut. Automatisch laufen wir schneller, um nicht zu frieren. Bereits um 11.00 Uhr morgens erreichen wir das Hikers Welcome Hostel, welches nur einen Kilometer östlich an der Straße liegt. Eigentlich hatten wir gar nicht damit gerechnet, dass es bereits geöffnet hat, denn die Saison hat noch nicht begonnen. Es sind kaum Hiker unterwegs, die bei diesen niedrigen Temperaturen mehr als einen Tagesausflug machen. Wir haben Glück, dass der Betreiber des Hostels zufällig vor der Tür steht und uns willkommen heißt. „Packrat“ ist selber ein begeisterter Thru-Hiker und kann sich mit der Triple Crown schmücken, das heißt, er ist bereits den AT, den PCT und den CDT komplett gelaufen. Wir bekommen sofort einen Platz für die Nacht angeboten, obwohl er noch gar nicht auf Gäste eingerichtet ist. Er ist heute zum ersten Mal nach der Winterpause wieder hier, um Haus und Garten aufzuräumen. Natürlich braucht er Hilfe, da kommt Thomas gerade recht. Möbel schleppen, Picknick-Tische und Bänke im Garten aufstellen, es gibt viel zu tun. Dafür müssen wir gar nichts für unsere Übernachtung bezahlen. Die Waschmaschine funktioniert nicht, auch das Internet ist noch nicht angeschlossen. Wir fahren per Anhalter in den nächstgelegenen Ort Warren. Klappt gut, schon bald hält ein kauziger Opa, der so klein ist, dass er kaum über’s Lenkrad gucken kann. Er trägt eine viel zu weite Jeans-Latzhose, in der er total verloren aussieht. In Warren ist so gar nichts los. An einer Tankstelle können wir ein paar Lebensmittel einkaufen, außerdem gibt es dort freies Internet, um das Wetter zu checken. Eine Frische-Theke in der Ecke bietet ein kleines Angebot an Sandwiches und Snacks an. Aufgrund der sehr beschränkten Auswahl bestellen wir uns jeder ein Ham & Cheese-Sandwich. Teuer, aber warm, fettig und super lecker. Zurück kommen wir schneller als erwartet, weil uns direkt an der Tankstelle ein älterer Herr anspricht, ob er uns irgendwo hinbringen kann. Wiederum ein cooler Opa – die Leute, die uns beim Trampen mitnehmen, sind immer sehr interessant. Der Mann erzählt uns, dass am letzten Wochenende ein Student auf einer Wandertour am Mount Mooselauke verloren gegangen ist. Er soll angeblich zwei Tage und Nächte im Schnee herumgeirrt sein, bis er schließlich gefunden wurde – lebend, aber barfuß ohne Schuhe. Gruselige Vorstellung ! Der Mooselauke liegt direkt vor uns und ist auch ohne Schnee schon sehr anspruchsvoll. 

Wir schlafen im Nebenhaus des Hiker Hostels – ohne Wasser und noch ohne Elektrizität. Küche, Toilette und Dusche dürfen wir in den privaten Räumen von Packrat nutzen. Der erfahrene Hiker schaut sich meine Wunden an. Bei der Blutblase an der rechten Hand, die inzwischen die Größe eines 5-Mark-Stückes erreicht hat, tippt er auf einen Spinnenbiss. Igitt ! Abends hilft Thomas ihm noch ein paar Stunden beim Fußboden verlegen. Inzwischen ist eine junge Frau mit ihrem Wagen vorgefahren, die den Mount Mooselauke in umgekehrter Richtung und ohne großes Gepäck laufen möchte. Dafür lässt sie sich von Packrat zum nördlichen Startpunkt bringen und müsste uns morgen eigentlich entgegen kommen. 

Der Mount Mooselauke mit seinen 4802′ Fuß Höhe ist eine Tagesaufgabe, das wissen wir noch vom letzten Mal. Steiler Aufstieg über 8 Kilometer, auf der anderen Seite ein sehr schwieriger Abstieg über Geröll, der mich 2012 fast den letzten Nerv gekostet hat. Diesmal kommt noch der Schnee erschwerend hinzu. Kann dauern, wir planen viel Zeit dafür ein. Am Anfang des Trails steht ein großes Warnschild. Auch unser Buch sagt, man soll diese Route nur mit viel Erfahrung und nicht bei Regen machen. Die Wettervorhersage ist gut, es soll ein sonniger Tag werden. Kaum sind wir von der Straße in den Wald eingebogen, da flattert ein großer Turkey vor uns über den Weg. Der Truthahn ist ungefähr einen Meter hoch, es handelt sich um ein männliches Tier. Bereits nach zwei Stunden haben wir mit dem ersten Schnee zu kämpfen. Es geht hinauf und immer weiter – 1150 Höhenmeter Anstieg bis zum Gipfel. Die Bäume werden kleiner, irgendwann gibt es gar keine Vegetation mehr, nur noch Felsen. Der Gipfel des Mount Mooselauke liegt über der Baumgrenze. Es ist sehr windig und rattenkalt. Aber die Aussicht mit Weitblick auf die umliegenden Berge ist einfach phantastisch.

Beim letzten Mal hatten wir schauriges Wetter mit Sturm, Nebel, Regen. Dafür hat es sich schon gelohnt, diesen Gipfel noch einmal zu bezwingen. Lange halten wir es dort oben nicht aus, sondern begeben uns wegen der eisigen Temperaturen gleich auf den Abstieg. Dauert nicht lange, dann haben wir wieder das volle Winter-Programm. Viel mehr Schnee als erwartet …. Dabei hatte ich nach unserem CDT im Jahr 2017 echt genug davon. Anscheinend sind wir doch noch etwas zu früh auf dem Trail, zwei Wochen weiter wäre das Laufen deutlich schneller und entspannter. Natürlich liegt am Nordhang des Berges viel mehr Schnee als auf der Südseite, besonders zwischen den Bäumen, wo die Sonne nie hinkommt. Der Trail ist nicht zu erkennen, alles weiß, keine Fußspuren, die das Finden des Weges erleichtern. Also tapsen wir ziemlich orientierungslos zwischen den Bäumen hindurch und versuchen dabei, die ungefähre Richtung beizubehalten. Dieser Schnee ist richtig blöd. Er ist zu weich, als dass man ordentlich drauf laufen könnte. Das hat zur Folge, dass er bei Belastung zusammenfällt und wir bei jedem zweiten Tritt einen halben Meter tiefer einsacken. Manchmal stecken wir bis zum Oberschenkel fest und haben Mühe, uns wieder aus dem Tiefschnee zu befreien. Auch die Stöcker bleiben andauernd stecken und sind sehr widerspenstig. Wir kommen nur unendlich langsam vorwärts. Das permanente Einsacken in den Schneelöchern ist sehr belastend für die Knie und Gelenke. Echt nervig. Aber da müssen wir nun durch. Die Entfernung von einer Meile scheint eine Ewigkeit zu dauern. Nein, das macht keinen Spaß.  Endlich erreichen wir unser selbstgewähltes Ziel für die Nacht, die Beaver Brook Shelter. Das ist ein Holz-Unterstand mit Dach, zu drei Seiten durch Bretterwände geschützt. Wir sind alleine. Es sieht auch nicht so aus, als ob in dieser Saison bereits Jemand hier übernachtet hätte. Wir haben einen relativ frühen Feierabend und machen es uns gemütlich. Nur wenige Meilen geschafft, aber mehr hatten wir uns bei diesem anstrengenden Berg auch gar nicht vorgenommen. Die Frau, die diese Route heute andersherum wandern wollte, haben wir nicht getroffen. 

Am nächsten Tag liegen nur 3 Kilometer Abstieg bis zur Straße vor uns. Dummerweise geht es gleich weiter mit dem Schnee. Dieser ist jedoch am frühen Morgen hart gefroren und vereist. Wir brechen nun nicht mehr im Schnee ein, sondern haben Mühe, dass wir nicht auf dem glatten Weg ausrutschen. Einmal stürze ich unglücklich, was mir eine angeschwollene Lippe einbringt. Nicht schlimm, der Schmerz lässt schon nach einer Stunde wieder nach. Ansonsten geht alles gut. Langsam und konzentriert setzen wir einen Fuß vor den Anderen, bis wir schließlich die Straße erreichen, von wo aus wir nach Lincoln trampen möchten. Klappt wunderbar, schon das zweite Auto hält an und bringt uns in die Stadt. Von dort ruft Thomas als erstes im Hiker Hostel bei Packrat an, um ihm zu sagen, dass wir die Frau, die alleine unterwegs war, nicht gesehen haben. Wir erfahren, dass diese gar nicht bis zum Gipfel gekommen ist, sondern auf halbem Wege wieder umgedreht ist. Sehr schlau. Ich hätte diese schwierige Passage im Schnee auch nicht ohne Begleitung machen wollen. Packrat ist froh, dass wir gut durchgekommen sind und ihm noch einige Informationen zum Zustand des Trails für die nachfolgenden Wanderer geben können. Dann suchen wir uns ein günstiges Motel. Es liegt 5 Kilometer außerhalb, aber wir laufen ja gerne. Auch im Lincoln Motel funktioniert die Waschmaschine nicht, weil die Saison noch gar nicht angefangen hat. Also müssen wir unser Zeug von Hand waschen, aber das sind wir ja von La Restinga gewöhnt. Warme Dusche, ein weiches Bett, Essen, Trinken, Ausruhen, Einkauf für die nächsten 5-7 Tage. Mehr passiert nicht, wenn wir einen Ruhetag im Zimmer einlegen.

Beim Organisieren unserer nächsten Etappe stellen wir leider fest, dass unser Proviantbeutel noch bei der letzten Shelter hängt. Wir waren so auf den vor uns liegenden schwierigen Abstieg fixiert, dass wir ihn glatt vergessen haben. Um das bisschen Proviant ist es nicht schade, aber der Verlust des Beutels inklusive Wurfband und Säckchen schmerzt doch etwas. Dieses geniale Teil der Marke ZPack ( wie auch unser Zelt ), ist nur über online-Bestellung mit Wartezeit zu bekommen und kostet mal eben 50,- Dollar. Grrrr ! Da freut sich ein nachfolgender Wanderer über so einen tollen Packsack mit Zubehör. 

Wir haben 85 Kilometer auf dieser ersten Etappe zurückgelegt. Eine Nacht mit 15 Stunden Dauerregen gut überstanden, das Zelt hat dicht gehalten. Am Tage dann insgesamt noch weitere 3 Stunden Regen, ansonsten hatten wir sehr schönes Wetter, zwar kalt, aber mit viel Sonnenschein.