Wir segeln und wandern durch die Welt

AT 2. Woche Lincoln – Gorham / New Hampshire

Der Ruhetag in Lincoln hat gut getan, auch wenn es im Zimmer ziemlich kühl war. Heizung gab es nicht, normale Gäste kommen erst später im Jahr. Alles ist wieder sauber, wir sind ausgeruht und voller Energie. Es wird schon um 5.00 Uhr morgens hell, der Wetterbericht ist okay, deswegen hält es uns auch nicht länger im Motel. Schon früh stehen wir an der Straße, halten den Daumen raus und werden fast umgehend mitgenommen. Unser Fahrer arbeitet bei Search & Rescue, also beim örtlichen Rettungsdienst. Er war bei der Suche nach dem vermissten Studenten am Mount Mooselauke dabei und bestätigt die unglaubliche Geschichte. In Turnschuhen gestartet, am Berg verlaufen, ganze zwei Tage und Nächte im verschneiten Wald unterwegs …. Der junge Mann wurde tatsächlich barfuß und beinahe unverletzt gefunden. Glück gehabt !

Wir haben herrliches Wetter beim Start in die White Mountains. Die Sonne lacht. Vor uns liegen zunächst 600 Höhenmeter Aufstieg zum Mount Wolf. Bereits nach einer Stunde stapfen wir  schon wieder durch den Schnee. Hinunter wird der Wald immer wilder. Viele umgestürzte Bäume versperren den Weg, dazu eine Menge Kleinholz vom vergangenen Winter. Drüberklettern oder drumherum gehen, und dabei dürfen wir den ursprünglichen Trail nicht aus den Augen verlieren. Ich bleibe beim Übersteigen eines dicken Baumstammes an einem Ast hängen und hole mir einen langen Kratzer am Bein. Weiter unten wird aus Schnee Matsch. Der Weg ist verschwunden, nur noch Sumpf mit Wurzeln und Steinen durchsetzt. Die Schuhe und Strümpfe sind nass, aber das war ja zu erwarten.

Auf dem feuchten Weg sind ganz deutliche Elch-Spuren zu erkennen. Unser Ziel am ersten Tag ist die Eliza Brook Shelter, wo wir um 16.30 Uhr ankommen. Ein junges Paar hat sich bereits dort eingerichtet. Wir überlegen kurz, ob wir noch eine Etappe weitergehen sollen, aber das scheint uns in diesem anspruchsvollen Gelände nicht besonders klug zu sein. Der Wald ist durch und durch matschig, da wäre es schwierig, einen trockenen Platz für’s Zelt zu finden. In 6,5 Kilometern gibt es eine Shelter zum Übernachten, aber dazwischen liegt ein hoher Berg. Also machen wir früh Schluss und bleiben. Zwei ältere Männer kommen später noch dazu, so dass wir zu sechst im Unterstand schlafen. Nicht besonders angenehm, aber wir sind doch froh über unsere Entscheidung. Es regnet die ganze Nacht.

Gleich am nächsten Morgen stehen wir vor einer unangenehmen Überraschung. Aus dem kleinen Bach, der ganz in der Nähe das Wasser für die Shelter liefert, ist durch den vielen Regen ein quirliger Fluss geworden. Gestern haben wir überhaupt nicht darüber nachgedacht, dass diese Wasserquelle morgens ein Hindernis darstellen könnte. Aber heute ist ein Überspringen auf den Trittsteinen trockenen Fußes unmöglich. Kaum sind wir losgelaufen, da müssen wir schon wieder anhalten und die Rucksäcke absetzen. Schuhe und Strümpfe aus, Hose hochkrempeln und ab durch die kühlen Fluten. Auf der anderen Seite nochmal stoppen, um die Füße abzutrocknen, danach die Socken und Wanderschuhe wieder anziehen. Das ganze ungeplante Manöver kostet uns eine Viertelstunde Zeit. Der Eliza Brook verfolgt uns den halben Vormittag. Der wilde Strom verläuft viele Kilometer neben uns auf der linken Seite. Manchmal stauen sich die Wassermassen aus Regen und Schneeschmelze, um in einem breiten Wasserfall über die Felsen nach unten zu stürzen. Schön anzusehen, aber eigentlich haben wir gar keinen Blick dafür. Wir möchten vorankommen. Ein stetiger Aufstieg bringt uns auf den Gipfel des South Kinsmann Mountain. Oben am Gipfelkreuz hängt eine Plastiktüte mit Geschenken für die Wanderer, die den Top erreichen. Es gibt süße Bisquit-Kuchen und Müsli-Riegel. Trail Magic ganz oben auf dem Berg – tolle Überraschung. Wir brauchen eigentlich nichts, denn wir haben auf halbem Wege gut gefrühstückt. Aber man freut sich doch über so eine nette Geste und nimmt natürlich etwas mit für später.

Dem Süd-Gipfel folgt ein kurzer Abstieg, danach geht es weiter mit Schwung auf den Nord-Gipfel. Alles bei allerbestem Wetter, was ja nicht selbstverständlich ist in dieser Höhe. Wir sind glücklich, dass wir bei Sonne und klarer Sicht hier oben stehen. In 2012 haben wir nur gefroren und sind schnell weiter gerannt. Über uns entdecken wir einen Segelflieger, der die Thermik nutzt und geräuschlos seine Runden dreht. Nun geht es erstmal nur noch bergab. Wir klettern immer tiefer, bis sich die Landschaft wieder in einen Sumpf verwandelt. An den schlimmsten Stellen sind Bretterstege verlegt, aber auch die stehen unter Wasser. Von Stein zu Stein hüpfend oder auf Baumstämmen balancierend versuchen wir, die Füße trocken zu halten. Das ist lästig und dauert lange. Zu viel Regen ist gar nicht gut für den Trail, das verschlechtert die Lauf-Bedingungen ungemein und drückt auf’s Tempo. Zwischendurch immer mal wieder Schnee, der uns zusätzlich ausbremst. Thomas scherzt : „Der AT bietet heute wirklich alles, da fehlt jetzt nur noch eine Fluss-Durchquerung.“ Am späten Nachmittag machen wir einen kleinen Umweg zur Kinsmann Pond Shelter, wo wir eigentlich bleiben wollten. Aber es scheint noch zu früh zu sein für den Feierabend. Kurze Pause, Besprechung, dann laufen wir weiter. Es geht supersteil über kantige Steine in die Tiefe. Und wir müssen tatsächlich durch fließendes Wasser nach unten klettern, also noch einen Deut schlimmer als einfach nur durch den kalten Bach auf die andere Seite. Eiskalt läuft es über die Felsen, die wir für unseren Abstieg benötigen. Aber besser jetzt als morgens früh gleich nach dem Aufstehen. Unsere erste Hütte des AMC ( Appalachian Mountain Club ) kommt in Sicht, die Lonesome Lake Hut. Viele Wanderwege laufen hier zusammen. Es ist Memorial Day, ein wichtiger Feiertag in den USA. Viele Menschen nutzen das verlängerte Wochenende für einen Ausflug, dementsprechend voll ist es in und um die Hütte herum. Wir empfinden die Menschenmassen auf den kurzen Wegen um den See als sehr störend. Thomas holt nur schnell frisches Trinkwasser aus dem Gebäude, dann flüchten wir und suchen uns einen Zeltplatz in ausreichender Entfernung. Bis dahin haben wir allerdings noch zwei weitere überquellende Flüsse vor uns, den Cascade Brook und den Whitehouse Brook. Bei normalen Bedingungen kein Problem, einfach auf dicken Steinen drüber hüpfen ….. Heute allerdings führen beide Ströme weit mehr Wasser als üblich. Wir ziehen wieder Schuhe und Strümpfe aus, um ans andere Ufer zu gelangen. Beim zweiten Fluss ziehen wir sogar die langen Hosen aus. Das Wasser reicht gut bis zum Po, Unterhosen und Pullis werden nass. Die Rucksäcke konnten wir zum Glück hoch genug halten und somit retten. Eine Hauptstraße liegt auf dem Weg, die Franconia Notch. Eigentlich hatten wir gehofft, dass wir hier eine flache Stelle zum Zelten finden, aber es ist so laut durch den vielen Verkehr, dass wir schnell vorbei hetzen. Noch knapp 4 Kilometer weiter möchten wir, das sollte vor Einbruch der Dunkelheit zu schaffen sein. Allerdings ist schon bald wieder ein breiter Strom im Weg, der aufhält. Thomas schafft es halbwegs trocken auf die andere Seite. Ich versuche, die fehlenden zwei Meter auf einem Baumstamm sitzend zu überbrücken, aber das klappt nicht so gut. Irgendwie hänge ich fest, schaffe es nicht auf die sicheren Steine, ohne mit einem Fuß im Wasser zu landen. Egal, wir müssen weiter. Mal eben noch zur Liberty Spring Campsite …. Geht nicht so einfach und schnell, wie wir uns das gewünscht hätten. Ein knackiger Aufstieg liegt vor uns, damit hatten wir am Abend nicht gerechnet. Den letzten Kilometer steigen wir im Schnee weiter auf, was unendlich lange dauert. Meine Blutblase vom Spinnenbiss schien heute endlich etwas besser zu sein, ich habe kein schützendes Pflaster mehr drauf, um Luft dran zu lassen. Dumm ist nur, dass ich mir beim Hinfallen die gerade kleiner werdende Wunde wieder aufreiße. Also lieber wieder ein Pflaster drauf und Handschuhe drüber zum Schutz. Um 20.00 Uhr erreichen wir endlich unser Ziel. Die Liberty Spring Campsite wird vom AMC unterhalten. Ein sehr netter junger Mann, Ryan, kassiert 10,- Dollar pro Person. Dafür bekommen wir eine saubere Plattform aus Holzbrettern und einen AT-Hiker-Pass, mit dem die nächsten Übernachtungen dann nur noch die Hälfte kosten werden. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit steht das Zelt endlich. Wir sind todmüde, es war mehr als genug. Insgesamt waren wir 11 Stunden unterwegs, davon nur 1,5 Stunden Pause. Meine Schultern und Nackenmuskeln schmerzen vom langen Tragen des Rucksacks. Trotzdem sind wir sehr froh, so weit gekommen zu sein. Es war ein harter Kampf. Was für ein anstrengender Tag ! 

Eisig kalt war es in der Nacht. Gegen 23.00 Uhr kamen dann noch Leute, die auf der Plattform direkt neben uns ihr Zelt aufgestellt haben. Natürlich ohne zu bezahlen, morgens um 6.00 Uhr waren sie schon wieder weg. Ist mir ja eigentlich egal, ob die sich durchschummeln, aber deren nächtliche Unterhaltung, das Geklapper und Geknister haben meinen Schlaf empfindlich gestört. Unser Zelt ist floddernass vom Nebel. Beim Zusammenpacken in der Frühe finde ich eine große Spinne auf meiner Seite. Ob es die ist, der ich meine offene Stelle an der Hand verdanke ? Sie ist auf jeden Fall ziemlich groß und tot, einfach platt gelegen. Einige hohe Berge warten auf uns. Zunächst haben wir den Mount Lincoln vor uns, insgesamt 1600 Höhenmeter Aufstieg von unserem Zeltplatz aus. Viel Schnee auf dem beschwerlichen Weg nach oben. Da kommt gleich wieder der Gedanke auf, ob wir nicht vielleicht doch zwei Wochen zu früh dran sind ?

Wir können ganz deutliche Bärenspuren erkennen. Gleich dahinter liegt der Mount Lafayette, das sind weitere 250 Höhenmeter bergauf. Beide Gipfel sind mehr als 5.000 Fuß hoch und liegen oberhalb der Baumgrenze. Nackte Felsen, keine Pflanzen. Über uns gleitet wieder der Segelflieger und betrachtet die Presidential Range aus der Luft. Wir erhaschen einen ersten Blick auf Mount Washington, der in den nächsten Tagen bezwungen werden will. Der höchste Berg im Nord-Osten der USA hat noch viel Schnee zu bieten. Nachmittags verläuft der Trail stetig nach unten ins Tal, wo wir wieder das Vergnügen mit Schneematsch und Sumpf haben. Thomas hört das Schnauben und Knacken eines Elches im Unterholz. Ein weiteres Mal schrauben wir uns hoch hinauf bis auf den Mount Garfield – so langsam reicht es. Die Beine sind müde.

Ein paar Regentropfen fallen. Kurz nach diesem letzten Gipfel für heute liegt die Garfield Ridge Shelter. Dunkel und eng ist es dort. Zwei Männer haben bereits die besten Plätze außen belegt und ihr Nachtlager eingerichtet. Wir hauen wieder ab, da gefällt es uns nicht. Es sind nur 3,5 Kilometer bis zur nächsten Hütte, das schaffen wir sicher vor der Dunkelheit. Allerdings bietet das Gelände noch einmal Alles an Gemeinheiten, was man sich vorstellen kann. Zunächst müssen wir beinahe senkrecht durch einen Bach absteigen, dann gibt es Sumpf und schließlich wieder Schnee. Da liegen auf dem Trail mal eben 1,5 Meter hohe Schneewälle, die aber jetzt zum Abend hin gut tragen. Es heißt ja auch Frost Trail, wo wir gerade laufen. Der Name passt genau. Erst spät erreichen wir die Galehead Hut und fragen, ob wir dort übernachten dürfen. Der AMC unterhält insgesamt 8 Hütten unterschiedlicher Größe in den White Mountains. Die Übernachtungen inklusive Vollpension werden nur von gutbetuchten Gästen gebucht, weil sie sehr teuer sind. Allerdings hat sich der AMC eine gute Alternative ausgedacht, mit der auch nicht so zahlungskräftige Wanderer die Chance auf ein Dach über dem Kopf haben. Für AT-Hiker gibt es das Modell „work for stay“ – man hilft in der Hütte mit und bekommt dafür kostenlos Essen und einen Schlafplatz auf dem Boden. Offiziell sind die Hütten gerade wegen Grundreinigung für 3 Tage geschlossen, bevor die neue Saison losgeht. Eingelassen werden wir natürlich trotzdem. Da sitzen 5 junge Mädels, die ab morgen saubermachen werden. Heute gibt es noch nichts zu tun, also keine Arbeit für uns. Essen gibt es auch nicht, weil ja eigentlich gar nicht für Gäste geöffnet ist. Aber wir werden herzlich willkommen geheißen und dürfen uns eine Ecke auf dem Boden einrichten. Heißes Wasser gibt es zum Kochen und für Tee, wir können ganz zivilisiert am Tisch sitzen. Zwei Männer waren schon vor uns da und bleiben ebenfalls. Aber die trinken Whisky, kiffen und sind laut, auch als wir schon im Schlafsack liegen. Später geht das dann in Schnarchen über. Nicht schön, aber dafür bleiben wir diese Nacht warm und trocken. 

Früh wach, weil der Rummel in der Hütte losgeht. Um 7.00 Uhr gibt es über Funk den neuesten Wetterbericht für die White Mountains. Eine Kaltfront ist angesagt. Brrrr ! Dazu vereinzelte Schauer, damit können wir leben. Wir starten bereits um 7.45 Uhr mit Daunenjacken und frösteln in der Winter-Luft. Aber das dauert nicht lange, denn es geht sofort steil bergauf. Schon nach einer halben Stunde können wir mehrere Schichten Kleidung ausziehen. Der erste Gipfel vor uns ist der South Twin Mountain mit knapp 5000 Fuß. Kurz oben einen Blick in die Runde werfen, dann steigen wir genauso steil wieder ab.

Traverse am Berg, wir bleiben nun eine ganze Weile auf derselben Höhe. Aber was ist das ? Schnee ! Viel Schnee. Mehrere Kilometer liegen vor uns. Zum Glück ist er so früh am Morgen noch fest und gut begehbar. Aber an schnelles Vorankommen ist mal wieder nicht zu denken. Geduld ist angesagt, und kleine Ziele stecken. Nach drei Stunden unterwegs fängt es an zu schneien, zunächst nur kleine zarte Flöckchen, dann heftiger. Eigentlich wären wir dran mit Pause, aber die verschieben wir einvernehmlich. Unser Weg führt weiter bergab. Je weiter wir nach unten kommen, umso nasser wird das Zeug. Aus Schnee wird Schneeregen, aus Schneeregen wird Regen, der immer stärker wird. Zuerst können wir das noch gut gelaunt hinnehmen nach dem Motto „Das gehört dazu.“ Aber nach einigen Stunden sind wir total durchgeweicht und kalt bis in die Knochen. Wir hatten auch immer noch kein richtiges Frühstück. Wer möchte sich schon bei so einem Sauwetter in den nassen Wald setzen und frieren ? Nur durch Bewegung können wir uns einigermaßen warm halten. So kommt es, dass wir 6 Stunden durchlaufen ohne Essen und Trinken. Das ist sehr lange, normalerweise setzen wir uns nach 2-3 Stunden und ruhen uns aus. Geht heute leider gar nicht, Kälte und Regen treiben uns weiter vorwärts.

Es geht vorbei an einigen Seen, aber wir haben keinen Blick dafür. Der Boden ist schon wieder durchgeweicht, nur Pfützen und Sumpf, durch den wir weiter stolpern. Unser Ziel ist die Zealand Falls Hut, da können wir trocken Pause machen. Auch diese Hütte ist offiziell geschlossen, deswegen ziehen wir unsere nassen Klamotten schon draußen auf der Veranda aus und warten, bis man uns hinein bittet. Natürlich dürfen wir das Bad benutzen, selbstverständlich bekommen wir auch Wasser zum Kochen unserer Haferflocken und für heiße Schokolade. Es geht uns schon sehr viel besser, nachdem wir trockene Kleidung angezogen und etwas Warmes im Bauch haben, dazu noch eine Wolldecke um die Beine gewickelt. Eine Stunde Pause ist um. Der Regen will nicht aufhören. Wir warten noch eine weitere Stunde, aber es sieht leider gar nicht nach Wetter-Besserung aus. Hier bleiben wollen wir nicht. Die Leute sind irgendwie komisch, nicht gut drauf, alle sehr hektisch, überhaupt kein Teamgeist. Es ist 15.30 Uhr. Wir beschließen, dass wir noch weiter bis zur nächsten Shelter laufen werden. Dafür ziehen wir unsere triefnasse Kleidung wieder an, eisig kalt, weil wir das Zeug draußen haben hängen lassen. Alles Andere macht keinen Sinn, denn wir müssen zum Feierabend und für die Nacht unbedingt noch eine Garnitur trockener Kleidung haben. 5 Meilen, das sind mehr als 8 Kilometer, rennen wir durch den strömenden Regen. Vorbei am Abzweiger zu den berühmten Wasserfällen, die etwas abseits liegen und uns gerade überhaupt nicht interessieren. Die haben wir 2012 schon gesehen, heute wäre allerdings sicher mehr Wasser zu bestaunen. Nach endlos erscheinenden drei Stunden sehen wir endlich das Schild zur Ethan Pond Shelter. Noch einmal müssen wir durch einen kleinen Fluss. Diesmal gleich mit Wanderschuhen, denn es ist sowieso alles durch. Wir sind nur noch nass und kalt. Die Shelter ist schwer zu finden, sie liegt abseits vom AT und ist anscheinend noch nicht stark frequentiert. Nichts zu sehen. Der angrenzende See ist über die Ufer getreten und hat den Weg komplett überspült. Dann noch ein riesiger Schneeberg, über den wir klettern müssen. Schließlich sehen wir den Holz-Unterstand zwischen umgestürzten Bäumen versteckt. Sind erleichtert, dass wir angekommen sind …. und enttäuscht, weil wir selbst an diesem schwer zugänglichen Ort nicht alleine sind. Ein sehr junges Pärchen hat sich wohnlich eingerichtet und liegt bereits in den Schlafsäcken. Was Besseres kann man wohl auch nicht machen bei diesem Wetter. Wir tun es den Beiden gleich. Heißer Tee, Essen kochen und ab in den Schlafsack.

Es hat die ganze Nacht heftig auf das Dach der Shelter geprasselt. Dabei haben wir wunderbar geschlafen. Von unseren Sachen, die an Nägeln aufgehängt sind, trieft es immer noch. Bei dieser Temperatur und Luftfeuchtigkeit trocknet rein gar nichts. Selbst die Rucksäcke stehen in einer Wasserlache. Ein Blick in den Wald vor uns zeigt tropfende Bäume und Nebel. Wir sind nicht besonders motiviert und noch nicht ganz sicher, ob wir unter diesen Bedingungen weiterziehen oder besser 1-2 Tage aussteigen sollen. Ein Zimmer mit Dusche und Heizung wäre sehr verlockend, da würden wir auch unser Zeug wieder trocken bekommen. Im Moment sind 5 Paar Socken, 3 Paar Handschuhe, die komplette Hiking-Bekleidung inclusive Regenhose, Regenjacke und Schuhen durch und durch nass. In 5 Kilometern kreuzt eine große Straße, wo wir weiter entscheiden werden, ob wir diese Etappe unterbrechen. Kommt man dort gut weg ? Wohin – in die eine oder in die andere Richtung ? Wie groß sind die Orte ? Wie teuer wird die Unterkunft in dieser Touristen-Gegend sein ? Erstmal rein in die feuchten Klamotten und warmlaufen …. Es geht nur bergab. Schuhe sind sowieso nass, da können wir einfach durch Pfützen und Sumpf hindurch. Relativ schnell stehen wir an der Crawford Notch. Kaum zu glauben, aber hier gibt es sogar eine Haltestelle für einen Shuttle-Bus vom AMC. Kurze Pause, Umziehen, dann geht es uns schon wieder so gut, dass wir weiter möchten. Vor uns liegen knapp 1000 Höhenmeter Aufstieg, dabei wird es schon warm werden. Knapp über uns liegt eine dichte Nebelwand.

Schon nach einer halben Stunde bergauf tauchen wir ein in die grauen Wolken und kommen auch den ganzen Tag nicht mehr heraus. Schade, denn es liegt eine sehr schöne Etappe mit vielen Aussichtspunkten vor uns. Egal, in welche Richtung der Ausblick zeigt, man sieht einfach nichts. Das ist aber für uns völlig in Ordnung, weil wir genau dieses Stück damals bei Sonne und blauem Himmel erlebt haben. Wir sind froh, dass es nicht regnet. Kein Wind, daher erscheint es uns relativ mild. Zudem haben wir bisher ALLE hohen Gipfel in schön und trocken erlebt, so ein Glück hatten wir 2012 nicht. Da kann man also nicht meckern. Wir sind froh, dass wir nicht abgebrochen haben und genießen eine lange Pause im Nebel auf den Webster Cliffs. Stundenlang klettern wir über diese hellen Klippen mit ihren dicken Felsen. Diese Etappe macht richtig Spaß.

Wir laufen den ganzen Tag nur im Nebel, aber es ist warm. So warm, dass der vor uns liegende Schnee zu weich wird. Die weiße Pracht sackt in sich zusammen, dadurch sinken wir wieder ständig ein und stolpern eher vorwärts als dass wir gehen. Unten im Tal erwartet uns Sumpf. Es gibt Bretterstege durch das Feuchtgebiet, aber die nützen gerade gar nichts. Entweder liegen die Holzbretter unter dem Schnee versteckt, oder sie sind komplett unter Wasser versunken. Wir latschen einfach durch. Die Mizpah Spring Hut ist unser Ziel für die Nacht, denn dort soll es einen angrenzenden Zeltplatz geben. Auch diese Hütte hat offiziell geschlossen wegen Reinigung, aber trotzdem werden wir nett empfangen. Das Team besteht aus 6 jungen Leuten, die uns herzlich begrüßen. Es ist gerade Abendessen-Zeit. Wir bekommen einen Teller heiße Suppe mit Brot. Reicht natürlich nicht für unseren Riesenhunger. Danach kochen wir noch ganz normal unsere Abend-Mahlzeit. Toilette, Waschbecken, Tisch und Bänke …. Sehr komfortabel. Wir stellen im dichten Nebel unser Zelt auf einer der angrenzenden Plattformen auf. Bezahlen brauchen wir nicht, weil auch auf diesem Platz die Saison noch nicht begonnen hat. Finde meine Brille nicht, die habe ich wahrscheinlich bei der Pause an den Webster Cliffs liegen gelassen. Die Hütten-Crew hat uns angeboten, dass wir alle unsere Sachen drinnen ausbreiten dürfen. Das nutzen wir sehr gerne, belegen alle Garderobenhaken und breiten die nassen Klamotten im Vorraum aus. Auch die Rucksäcke und der Proviantbeutel bleiben während der Nacht im Trockenen. Es ist arschkalt, auch in dieser Hütte wird nicht geheizt. Somit kann man nicht davon ausgehen, dass wir morgen in trockene Kleidung steigen können. Aber trotzdem wird es viel angenehmer sein als das nasse Zeug im Zelt zu lagern. Große Hilfe ! Vielen Dank. 

Am nächsten Morgen klingelt der Wecker schon früh um 6.00 Uhr. Wir haben viel vor. Insgesamt sind es 20 Kilometer Anstieg zum Mount Washington, wovon wir knapp die Hälfte gestern schon geleistet haben. Mit 6288′ Fuß ist dieser Berg der höchste Gipfel im Nord-Osten der USA. Ohne Frühstück geht es sofort wieder steil nach oben. Es dauert nicht lange, dann stapfen wir durch Schnee. Die mickrigen Nadelbäume werden immer kleiner, bis sie Bonsai-Format haben. Hin und wieder wachsen ein paar Flechten auf den Steinen oder einige winzige Blümchen auf einem Moosbett. Dann verschwindet auch der letzte Rest an Vegetation. Wir erreichen die Baumgrenze und befinden uns ab jetzt für den Rest des Tages in der hochalpinen Zone. Die Vögel haben anscheinend den Frühling eingeläutet. Wunderbare Sänger sind dabei, die uns mit ihren Melodien begleiten. Je näher wir dem Gipfel kommen, umso besser wird das ausgebaute Wege-System. Mehrere Wanderwege führen zu verschiedenen Zielen,     mannshohe Steinmännchen markieren unseren Trail.

Nur 3 Kilometer unter dem Gipfel befindet sich die „Lakes of the Clouds Hut“. Hier kehren wir kurz ein für die Frühstückspause. Es gibt heißes Wasser, frisch gebackenes Brot, Kaffee haben wir selber. In dieser Hütte ist schon richtig was los. Viele Tages-Wanderer sind heute unterwegs, weil man auch mit dem Auto oder Bahn bis auf den Gipfel fahren kann. Die Lakes of the Cloud macht ihrem Namen alle Ehre – oberhalb dieser Hütte liegen zu beiden Seiten des Trails zwei Gletscher-Seen. Ein großes gelbes Schild warnt vor dem kommenden letzten Anstieg. Dort steht, dass man den Weg nur bei guten Bedingungen gehen soll und bei eventueller Wetter-Verschlechterung sofort umdrehen muss.

Heute sieht es gut aus. Der Himmel ist zwar noch bedeckt, aber es verspricht ein schöner Tag zu werden. Eine halbe Stunde Ausruhen, dann kämpfen wir uns schwitzend die letzten 400 Höhenmeter bis auf den Gipfel. Oben gibt es ein Info-Center, einen Souvenir-Laden und – was viel wichtiger ist – ein einfaches Restaurant. Chili Bowl ist der Klassiker bei den Wanderern, eine Schüssel Chili con Carne, hat viele Kalorien und ist wirklich lecker zubereitet. Thomas reicht es nicht, der wird nicht satt von einer Portion und bestellt sich gleich noch eine weitere Schüssel. Der höchste Gipfel in der Presidential Range ist bekannt für das angeblich schlechteste Wetter der Welt. Im Durchschnitt gibt es  300 Tage Nebel, dazu meistens Wind-Geschwindigkeiten von Sturm bis Orkanstärke. 2012 hatten wir hier oben 8 Windstärken, in den Böen auch 10, so dass es uns manchmal glatt umgeweht hat. Heute dagegen ist es normal windig, 4-5 Beaufort. Angeblich soll man an klaren Tagen über 150 Kilometer weit sehen können und dabei ringsum 5 Bundesstaaten sowie Canada erkennen. Es gibt zwar für uns wegen Nebel keine Aussicht, weder aus den Fenstern noch draußen, aber dafür ist die Temperatur ganz angenehm. Wir sind zufrieden. Knapp zwei Stunden bleiben wir, dann gehen uns die vielen Leute auf den Keks. Außerdem liegen mindestens 10 Kilometer Abstieg vor uns, die wir unbedingt heute noch schaffen müssen. Den Weg nach unten haben wir in sehr schlechter Erinnerung. Stundenlang geht es über wackelige Steine und Geröll bergab. Total anstrengend, weil man sich so stark konzentrieren muss, damit jeder Tritt sitzt. Wir haben damals bei Sturm und Regen fast 5 Stunden hinunter gebraucht. Heute lässt es sich viel leichter laufen, denn die Steine sind trocken. Auch die Sicht wird immer besser. Wir können unser Glück kaum fassen, als sich die Wolken immer mehr zur Seite schieben und den Blick auf die umliegenden Berge freigeben. Wie gut, dass wir nicht abgebrochen haben !

Das Wetter hier oben ist sehr dynamisch. Es kommt und geht so schnell, das kann man eigentlich gar nicht zwei Tage im Voraus planen. Umso mehr freuen wir uns. Alles richtig gemacht. Wir erleben einen wunderbaren Nachmittag mit vielen Wolkenlücken, blauem Himmel und Sonnenschein. Zwei ausgedehnte Schneefelder an den Flanken müssen überquert werden, aber durch die Mittagssonne ist der Schnee schön griffig geworden. Vorsichtig setzen wir Schritt für Schritt hintereinander und folgen der schmalen Spur am Berghang. Nicht besonders schwierig, aber es erinnert stark an unsere Schnee-Passagen auf dem CDT. Und man darf nicht nach rechts blicken, denn dort fällt der Abhang steil nach unten ab. Ohne Netz und doppelten Boden, ohne Bäume, die einen auffangen, würde man hier bei einem Sturz gefährlich weit nach unten abschmieren.

Knapp 4 Stunden brauchen wir für den mühsamen Abstieg vom Mount Washington bis zur Madison Spring Hut. Als wir dort ankommen, ist es genau18.30 Uhr und eigentlich genug gewesen. Diese Hütte hat heute den ersten Abend Gäste-Betrieb. Es ist gerade Zeit für’s Abendessen. Im Gemeinschaftsraum sitzen etwa 30 junge Wanderer an gedeckten Tischen. Schade, wir hatten gehofft, dass noch nichts los ist. An der Theke, wo wir nach Trinkwasser fragen, wird uns „work for stay“ angeboten. Wir könnten für die Nacht hier bleiben, ein bisschen mithelfen und dafür auf dem Boden übernachten. Nein, danke. Das ist uns zu unruhig, da kommt man vor 23.00 Uhr nicht zum Schlafen. Kaufen noch 4 Snickers, weil uns langsam der Proviant ausgeht und verabschieden uns. Da suchen wir uns lieber einen abgeschiedenen ruhigen Platz im Wald. Vorher müssen wir jedoch noch einmal alle Kräfte mobilisieren und über den Mount Madison steigen.

Eine anstrengende Kletterpartien über dicke Steine auf der einen Seite, dann auf der anderen Bergflanke genauso wieder herunter. Das ist eine mühsame Kraxelei, es geht viel langsamer voran als erwartet. Es zwickt in den Beinmuskeln, viel mehr geht nicht. Gute zwei Stunden später haben wir endlich Felsen und Geröll hinter uns gelassen. Sind jetzt etwa 700 Höhenmeter tiefer als der Mount Washington, so dass die Temperatur in der Nacht erträglich sein müsste. Wir sind froh, als das Gelände ebener wird und die ersten Büsche auftauchen. Ein kleines Nadel-Wäldchen liegt vor uns. Der erste halbwegs brauchbare Platz ist unser. Schaffen es gerade noch, beim letzten Tageslicht das Zelt aufzustellen. Passt nicht so gut. Etwas schief und krumm, an meiner Seite drücken ein Baum und ein Felsen hinein. Aber egal, wir sind nur noch müde. Morgen geht es in die Stadt. Wir brauchen einen off-day, um uns von der ersten Woche in den White Mountains zu erholen. 

Letzter Tag im Wald, wir werden schon um 5.00 Uhr von munterem Vogelgezwitscher geweckt. Nur ca. 10 Kilometer trennen uns vom Visitor Center an der Pinkham Notch. Es geht durch relativ einfaches Gelände nur noch bergab. Zunächst etwas holperig über Steine und Wurzeln, dann wird der Pfad immer besser. Drei kleine Flüsse können wir trockenen Fußes überspringen. Der Peabody River auf halber Strecke präsentiert sich als wilder Strom, auf einer Hängebrücke gelangen wir schnell ans andere Ufer.

Die letzte Stunde laufen wir über einen immer breiter werdenden Waldweg. Schon um 11.00 Uhr stehen wir an der vielbefahrenen Straße, wo wir recht schnell wegkommen. Eine Frau ist schon so gut wie vorbeigefahren, macht aber dann eine Vollbremsung und wartet auf dem Randstreifen. Nicole und ihr Mann Jack sind ein alterndes Hippie-Pärchen. Zuerst fragen sie uns, ob wir Pot rauchen. Als wir verneinen, reicht uns der Typ einen Flachmann nach hinten. Thomas lehnt dankend ab. Vor Mittag trinken wir keinen Schnaps. Der Inhalt des Fläschchens sieht aus wie Likör, es ist aber ein Whisky mit schlappen 50 Prozent Alkohol. Wir sollen den guten Tropfen behalten und später trinken. Okay. Beim nächsten Liquor Store halten die Beiden an und kaufen noch so ein Fläschchen für mich. Auch gut. Der ganze Wagen ist vollgemüllt mit ausgetrunkenen Flachmännern und leeren Zigarettenschachteln. Uns soll es egal sein. Nicole und Jack scheinen nüchtern zu sein und sind ziemlich cool. Sie fahren nach Gorham, da wollen wir hin. Außerdem sind sie so nett und bringen uns direkt bis zum Walmart, der etwas außerhalb liegt. Dort gibt es Essen, Trinken und Internet. Wir suchen uns ein nettes Zimmer für die nächsten zwei Nächte und freuen uns auf die Annehmlichkeiten, die für andere Leute selbstverständlich sind.

Die Waschmaschine funktioniert, der Trockner leider zur Zeit nicht. Aber wir haben diesmal ein besseres Motel gebucht, da wir weder in Glencliff noch in Lincoln heizen konnten und selbst im Zimmer gefroren haben. Nun gibt es eine Heizung, die auf Knopfdruck sofort warm wird und damit auch unsere Wäsche schnell trocknen lässt. Welch ein Luxus !

Bilanz dieser zweiten Woche auf dem Appalachian Trail : Etwa ein Dutzend hoher Gipfel, dazu unzählige weiterer kleiner Berge. Fünf Tage mit durchweg schönem Wetter, ein Tag Nebel, nur ein Tag Regen. 

Der Rucksack von Thomas hat auf der letzten Etappe ordentlich einen mitgekriegt. Beim Klettern und Turnen zwischen den Bäumen hindurch bleibt man öfter mal hängen, so dass jetzt beide Außentaschen riesige Löcher haben. Da passt schon eine Wasserflasche hindurch. Mit Zahnseide genäht sieht das zwar nicht besonders schön aus, ist aber sehr stabil repariert und erfüllt weiterhin seinen Zweck.

Meine alten Mückenstiche sind alle verheilt. Die Wunde mit der Blutblase ( Spinnenbiss ? ) ist deutlich kleiner geworden und endlich geschlossen. Dafür habe ich eine neue Quaddel auf dem Rücken. Ein großer roter Flatschen, der brennt und juckt, weil sowohl der Hosenbund als auch der Hüftgurt vom Rucksack daran scheuern. Ein Mückenstich oder vielleicht mehrere nebeneinander ? Duschen und saubere Laken werden wahrscheinlich für Linderung sorgen. Thomas seine Blasen an den Fersen sind auf dem Wege der Besserung. Das Hühnerauge wird weiter verarztet. Thomas spürt seine Knie, aber das ist nach den Anstrengungen der letzten Tage kein Wunder. Nichts, was uns beunruhigt, alles ist im grünen Bereich. 

Ein Kommentar zu “AT 2. Woche Lincoln – Gorham / New Hampshire

  1. Steinfisch

    Liebe Frauke, lieber Thomas,
    für so viel Mut, diesen beschwerlichen Weg zu laufen, kann ich Euch nur bewundern.
    Sehr schöne Fotos und spannende Berichte! Für mich am Computer eine Freude! 😀

    Ich wünsche Euch weiterhin viel Kraft, alle Hindernisse gut zu überstehen.

    Viel Glück und alles Gute wünscht Euch Ingrid