Wir segeln und wandern durch die Welt

Atlantik-Überquerung 1. Woche

Abfahrt von San Miguel im Süden Teneriffas am Donnerstag, 28.10. um 14.30 Uhr. Gute Wetter-Bedingungen, zwischen den Inseln Wind 5-6 Bft. aus Nord-Ost. Wir sind bestens vorbereitet und haben einen entspannten Start. Lassen es langsam angehen, nur mit der Genua auf steuerbord segeln wir mit etwa 5 Knoten auf Kurs 230°. Schon bald passieren wir die Insel Gomera, rechts dahinter liegt La Palma. Wir sehen einen bedrohlichen grauen Wolkenpilz vom speienden Vulkan.
Am späten Nachmittag turnen wir zu zweit auf dem Vordeck herum – natürlich angeleint mit Rettungsweste und Sicherungsgurt. Beide Spi-Bäume werden gesetzt, so dass wir Schmetterling segeln können. Der Wind von achtern wird uns vermutlich lange erhalten bleiben, auch wenn er gerade deutlich nachlässt. Der alte Sturmklüver, den wir auf backbord gesetzt haben, ist eigentlich zu klein, aber mit den Alternativen werden wir uns morgen beschäftigen. Erstmal möchten wir uns akklimatisieren und an das Leben auf einem rollenden Schiff gewöhnen. Wir haben in den nächsten Wochen genug Zeit, um verschiedene Segelstellungen auszuprobieren.
Befinden uns jetzt in Patera-Gebiet, auf der Route, wo die Flüchtlinge von Afrika zu den Kanaren unterwegs sind. Das ist kein gutes Gefühl. Wir haben schon zu viele überfüllte Pateras in La Restinga anlanden sehen. Sehr traurig. Wir können diesen armen Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben nicht helfen, sondern lediglich einen Funkspruch mit der Position durchgeben. Die Walkabout kann keine 50 Personen an Bord nehmen. Starker Wind und raue See in der letzten Woche, da darf man wohl hoffentlich davon ausgehen, dass keine Holzboote von Afrika losgeschickt wurden.
Wunderschönes Abendrot, sensationeller Sonnenuntergang. Der ganze Horizont scheint zu glühen. Während der Nacht bewundern wir das Lichtermeer am Himmel. Sternschnuppen fallen in regelmäßigem Abstand. Wir haben El Hierro vor uns bzw. an steuerbord liegen. Die Silhouette dieser Insel ist uns so vertraut ! Wir wissen ganz genau, welche Lichter zu welchem Dorf gehören. Schöne Erinnerungen. Vergangenheit. So schnell werden wir nicht wieder hierher kommen. Auf zu neuen Ufern !

Der erste Sonnenaufgang auf See ist genauso beeindruckend wie der gestrige Sonnenuntergang. Was für eine Freude ! Wir sind glücklich, endlich wieder „richtig“ unterwegs zu sein. Haben genug von kurzen Passagen und mehr als genug von Marina-Aufenthalten. Endlich Strecke machen und in einer ganz anderen Welt ankommen …. Lange haben wir auf diesen Absprung gewartet. Nun ist es soweit, und die Stimmung an Bord könnte nicht besser sein. 🙂
Wenig Wind, wir eiern mit 2-3 Knoten und schwankendem Kurs dahin. Um 9.00 Uhr morgens gibt es eine sportliche Aktion an Deck, denn wir möchten die Segelfläche vergrößern. Dafür muss das zu kleine Tuch herunter, dann die größere Fock auf der Backbord-Seite gesetzt werden. Diese haben wir im Dezember vom Schweizer Segelmacher ändern lassen, damit sie in die neue Rollreff-Anlage passt. Es sind keine Stagreiter mehr dran, sondern wir haben einen Keder annähen lassen. Jetzt müssen wir das Segel neben der Genua in die zweite Nut einfädeln, was ein bisschen Geduld erfordert. Spi-Bäume, viele lange Leinen, Fallen und Schoten wollen gebändigt werden. Klappt ganz gut, nach einer knappen Stunde Arbeit sind wir zufrieden mit dem Ergebnis. Walkabout sieht jetzt aus wie ein Fischkutter. Bringt etwas mehr Fahrt und sieht auch viel besser aus, weil das Größenverhältnis der Segel zueinander passender ist. Zwei Stunden später ist es allerdings vorbei, der Wind schläft ganz ein. Wir stehen. Nein, wir treiben mit etwa einem Knoten nach Süd-Westen. Das ist immerhin die richtige Richtung. Es kommt uns so vor, als wenn unser Bug magisch von La Restinga angezogen wird. Wahrscheinlich hat es etwas mit der Strömung zu tun, unsere kleine Lieblingsinsel will uns einfach nicht loslassen. Entspanntes Flauten-Leben. So ein sanfter Start hat eindeutig seine Vorzüge. Wir sind nicht seekrank. Ich schaffe es sogar, heute schon stundenlang zu lesen. Die Segelstellung mit den zwei fest installierten Spi-Bäumen erweist sich als optimal bei nahezu null Wind von hinten. Das Großsegel haben wir noch gar nicht gebraucht, der Großbaum ist noch festgezurrt. Nichts klappert und schlägt und nervt. Selbst die Aries tut so ihren Dienst und schiebt uns auf der Kurslinie weiter. Thomas verbringt viel Zeit an der Funke, was ihm bei schlechten Bedingungen zu Anfang regelmäßig Übelkeit verursacht. Heute kein Problem. Er versucht, mit Fidi auf Norderney zu funken, bringt sich in die Intermar-Runde ein und schreibt mit Henning. Kompetenzzentrum Hamburg ist wieder aktiv. Henning verfolgt unseren Weg, beobachtet großräumig das Wetter und passt auf, dass wir nicht in „etwas Dickes“ hineingeraten. An dieser Stelle herzlichen Dank für die Ratschläge und Gute-Nacht-Geschichten. 🙂
Um 21.00 Uhr weht endlich wieder ein laues Lüftchen. Es kommt Bewegung in die Sache, Walkabout nimmt leichte Fahrt auf. Immerhin 3 Knoten auf Kurs 240°, so kommen wir langsam frei von den Kanarischen Inseln.

Im Morgendunst verschwindet El Hierro achteraus, die westlichste Insel der Kanaren und der äußerste Punkt Europas. Die spanische Gastlandflagge kann abgenommen werden. Von nun an haben wir nur noch Wasser vor uns ….. viel Wasser. Keine Menschen, kein Corona, keine Nachrichten, keine Politik, kein Internet, kein Stress, einfach nur Ruhe und Frieden. 🙂
Mittags zeigt unser AIS gleich acht Segelboote dicht beieinander an backbord, offensichtlich alle auf dem Weg zu den Kapverden. Die Mini-Transatlantik-Ralley ist unterwegs.
Vereinzelte Fliegende Fische springen hoch und landen erst viele Meter weiter im Wasser. Das sind nur die Vorboten, demnächst werden wieder Dutzende davon an Deck oder im Cockpit landen.
Der Wind hat auf Ost gedreht, aber es ist immer noch unheimlich ruhig. Gute Gelegenheit, mein erstes Körnerbrot auf See zu backen. Das einzig Dumme daran ist, dass die Waage offensichtlich nicht für Schaukel-Bewegungen gemacht wurde. Die Anzeige springt ständig hin und her, so dass die Mengen der verschiedenen Zutaten eher geschätzt als gewogen werden. Wir sind gespannt auf das Ergebnis. 
Während der Nacht steht eine schmale Mondsichel waagerecht am Himmel und leuchtet in sattem Gelb. Da fehlt jetzt nur noch „der Mann im Mond“, das kleine Männchen, wie es in Kinderbüchern dargestellt wird.  

Das Brot nach Rezept von Hermann-Pacifico ist absolut gelungen, sieht gut aus und schmeckt lecker. Die ersten Etmale zeugen von unserem gemütlichen Törnbeginn : innerhalb von 24 Stunden haben wir nur 72 Seemeilen, dann 68 und am dritten Tag 75 Seemeilen zurückgelegt. Beide haben wir leichten Muskelkater von den Schiffs-Bewegungen, ansonsten fühlt sich die Crew pudelwohl. Wir schleichen uns weiterhin in Richtung des gesetzten Wegpunktes, der noch mehr als 1000 Seemeilen entfernt ist. Irgendwo dort werden wir hoffentlich den Passat finden und unseren Kurs in Richtung USA ändern.
Der Ozean ist unwahrscheinlich klar, das Wasser schimmert tiefblau in der Sonne. Einige Fische schwimmen ganz dicht neben der Walkabout und begleiten uns nach Süden. Die Angel hängt draußen. Eigentlich passiert da nie etwas, wir baden immer nur den Köder. Aber auf diesem Törn ist anscheinend alles anders, tatsächlich haben wir schon am Nachmittag einen kleinen Mahi-Mahi ( Goldmakrele ) dran. Die Rolle für die ganz dicken Fische haben wir wohlweislich nicht in Benutzung, denn wir möchten nur so viel, wie wir auch bei einer Mahlzeit essen können. Unsere Hülsenfrüchte zum Abendessen sind bereits eingeweicht, deswegen gibt es heute Bohnensuppe mit Fischfilet als Einlage. Etwas ungewöhnlich, aber mein bester Koch meint, man kann das so essen. 😉

Das Frischzeug muss kontrolliert und aussortiert werden. Die Ware vom Bauernmarkt ist von sehr guter Qualität. Möhren, die so richtig nach Möhren schmecken …. Mehrere Kisten mit Obst und Gemüse stehen unter dem Salontisch, abgedeckt mit feuchten Tüchern, damit es uns möglichst lange erhalten bleibt. Kann mich nicht genau erinnern, aber ich glaube, auf der Überfahrt von Chile nach Französisch Polynesien ist unser Frisch-Proviant ungefähr 4 Wochen in gutem Zustand geblieben. Wir haben unser Salzwasser-Seeventil für die Pantry geöffnet und benutzen während dieser langen Passage den Salzwasser-Hahn zum Vorspülen und Putzen. Süßwasser wird wohl kein Problem werden, unser Wassertank fasst 500 Liter, aber trotzdem sollte man es nicht verschwenden.
Drei volle Tage und Nächte haben wir gebraucht, um uns frei zu strampeln. Sonntag ab 20.00.Uhr gibt es endlich Wind, der sich richtig und beständig anfühlt. Wir segeln mit 5 Knoten, wenig später 6, dann 6,5 Knoten. Reicht ! Sonst müssten wir gleich über’s Reffen nachdenken. So, jetzt läuft’s. Schätze mal, dass wir in 6 Wochen da sein werden. Unser neues Etmal sind 118 Seemeilen in 24 Stunden. Na bitte, geht doch. 🙂

Kontrollgang an Deck ergibt : Alles in Ordnung. 🙂 Herrliches Segeln ! 🙂
Viel gibt es nicht zu tun. Selbst im Salon ist es aufgeräumt und sauber, weil wir bis jetzt auf diesem Törn von der Seekrankheit verschont geblieben sind. Unser Müll muss sortiert und zerkleinert werden. Oberstes Prinzip ist natürlich die Müll-Vermeidung, also möglichst wenig Verpackung mit auf’s Boot nehmen. Das kennen wir ja vom Trail, da wird auch direkt nach dem Einkauf ausgepackt, bevor die Sachen in den Rucksack kommen. Auf langen See-Passagen sammeln wir große Dinge wie Flaschen und Dosen draußen in der Backskiste. Der Bio-Müll geht direkt über Bord. Plastik und Papier wird mit einer Schere zerschnipselt und in große Wasserflaschen gestopft. Unglaublich, was da reingeht. Sauber, riecht nicht, und die gefüllten Flaschen werden beim nächsten Landgang entsorgt.
Abends gegen 21.00 Uhr sichte ich beim Rundum-Blick ein grünes Licht an steuerbord achteraus. Es scheint zu blinken, genau wie eine beleuchtete Steuerbord-Tonne. Aber das ist ja Quatsch, hier gibt es doch nichts außer Wasser ! Unser Plotter zeigt kein AIS-Signal an. Dann ist das grüne Licht plötzlich wieder weg. Ausgestellt ?  Thomas hat es auch deutlich wahrgenommen. Vielleicht ein Fischer oder Segler, der nicht gesehen werden möchte ? Sehr merkwürdig.

Nördlich der Kanarischen Inseln hat sich der subtropische Sturm „Wanda“ ausgebreitet. Keine Gefahr für uns, der zieht in Richtung westliche Azoren weiter. Wir befinden uns jetzt etwa 130 Seemeilen westlich unserer alten Kurslinie von den Kanaren zu den Kapverden im November 2011. Meine Güte – was ist das lange her ! Nur mit dem Unterschied, dass wir die Kapverdischen Inseln dieses Mal nicht anlaufen, sondern nonstop Richtung USA segeln werden.
Walkabout läuft wie auf Schienen. Kein Geschwindigkeitsrekord, aber schön geschmeidig und ohne unser Zutun. Die Segel stehen unverändert seit dem zweiten Tag, die Aries hält den Kurs, die Schiffs-Bewegungen sind gleichmäßig. Könnte gar nicht besser sein. So kann es die nächsten 5-6 Wochen gerne bleiben. Die ersten 500 Seemeilen liegen hinter uns. Haben seit drei Tagen kein Schiff mehr gesehen, auch die AIS-Warnliste zeigt im Umkreis von 50 Seemeilen nichts an. Selten so eine ruhige Zeit auf dem Boot gehabt, einfach nur entspanntes Segeln, Sonne und blaues Meer. Wir lieben lange Passagen, je weiter, umso besser. Küstensegeln ist gar nichts für uns, kurze Strecken und Hafen-Hopping empfinden wir als Stress.
Wieder ein Biss an der Angel, nochmal ein kleiner Mahi-Mahi als Bereicherung des Speiseplans. Die Linsensuppe steht allerdings bereits auf dem Herd und kocht. Da ich mich beim letzten Fang etwas skeptisch geäußert habe ( der Fisch gehört doch nicht in den Eintopf ), bekomme ich heute mein Filet gebraten als Vorspeise.

Bereits um 8.30 Uhr in der Frühe hat Thomas wieder einen Mahi-Mahi von 30 Zentimeter Länge an der Angel. Es ist noch gar nicht ganz hell, das Tageslicht verschiebt sich jeden Tag mehr. Insgesamt werden wir durch 6 Zeitzonen segeln, da sollte man die Uhr an Bord irgendwann mal umstellen. Unser Zielhafen liegt in North Carolina, dort gilt die  „Eastern Standard Time“. Knapp zwei Stunden später der nächste Biss, noch ein Mahi-Mahi von gut 50 Zentimetern. Angel-Stopp ! Dagegen können wir ja nicht essen.

Unsere Toilette macht Ärger, es lässt sich fast nicht mehr abpumpen. Da besteht Handlungsbedarf, und zwar bevor das Problem wirklich akut wird. An den Segeln gibt es nichts zu tun, draußen ist es ruhig, Zeit haben wir auch genug. Thomas nimmt die Pumpe auseinander, reinigt jedes einzelne Teil, ebenso die Schläuche. Dauert ein paar Stunden, dann baut er das Ding wieder zusammen. Die Pumpe verrichtet wieder tadellos ihren Dienst, allerdings leckt es jetzt etwas. Also nochmal ran, bis die Reparatur zufriedenstellend abgeschlossen ist.
Nachmittags nutzen wir eine ruhige Phase für ausgiebige Körperpflege an Deck mit ein paar Eimern Salzwasser und einem Liter Süßwasser zum Abspülen. Der Atlantik kommt uns warm vor. Später legt der Wind wieder zu, und wir machen flotte Fahrt.
Heute Abend gibt es gebratenes Fischfilet mit Kartoffeln und Rote-Beete-Salat. Aber dann reicht es auch erstmal, die Angel wird die nächsten Tage unbenutzt bleiben.