Wir segeln und wandern durch die Welt

Atlantik-Überquerung 2. Woche

Während der Nachtwache bewundere ich die Milliarden von Lichtern über uns, ein Sternenhimmel, wie es ihn wohl nur über dem Meer gibt. Walkabout gleitet ruhig durch’s Wasser. Es scheint so, als wären wir alleine in der Weite des Ozeans. Dabei sind die Kapverdischen Inseln gerade nur 250 Seemeilen entfernt, und dort müssten sich jetzt eigentlich die Teilnehmer der Mini Transatlantik Ralley drängeln.Am Nachmittag, während wir im Deckshaus Kaffee trinken, entdecken wir eine Libelle draußen auf der Winschkurbel. Wo die wohl herkommt ? Ob das eine afrikanische Libelle ist ? Weiter Weg, die muss sich bestimmt ausruhen …. Aber sie bleibt nur 5 Minuten dort sitzen, dann fliegt sie weiter. Nach Afrika ? Eine Woche sind wir jetzt unterwegs, haben 700 Seemeilen seit Teneriffa zurückgelegt. Das ist nur ein Bruchteil der Strecke, die noch vor uns liegt. Die Dauer spielt dabei überhaupt keine Rolle, Tage und Nächte plätschern so dahin. Das Wetter ist durchweg schön. Wir segeln mit einer gemütlichen Reisegeschwindigkeit von 4-5 Knoten. Das Schiff benimmt sich anständig, alles funktioniert wie gewünscht. Essen ist gut, wir bekommen ausreichend Schlaf, der Crew geht es bestens. Langfahrt bedeutet für uns „Lese-Marathon“. Endlich haben wir ungestört Zeit für dicke Wälzer. Tagsüber lesen wir richtige Bücher auf Papier, während der Nachtwachen vertreiben wir uns die Zeit mit dem beleuchteten e-book-Reader. Keine Langeweile.

Morgens um 8.00 Uhr beim Wachwechsel ist es noch zappenduster. Eigentlich egal, ob ich Thomas um 5.00 oder um 8.00 Uhr wecke. Gefühlt ist es noch tiefste Nacht, der Himmel ist rabenschwarz. Zu Beginn der zweiten Woche sind wir völlig tiefenentspannt. Nach wie vor gibt es nichts zu tun auf der Walkabout. Segeln zur richtigen Jahreszeit auf der Barfuß-Route. 🙂 Das ist doch sehr viel besser als Ende November durch den Englischen Kanal oder im Dezember durch die Biskaya zu segeln. Geht alles, aber auf dem aktuellen Törn genießen wir einfach eine rundum gelungene Passage. Das macht Lust auf mehr. Wir beobachten einen großen Schwarm Fliegender Fische und sind froh, dass die nicht an Bord gelandet sind. Es reicht schon, wenn Thomas auf seinem Kontrollgang einzelne Exemplare findet und wieder zurück ins Wasser befördert. Die verbreiten nämlich einen extremen Fisch-Geruch. Nord-westlich der Kapverden müssen wir den Kurs ändern und einen Bogen segeln. Walkabout macht das ganz automatisch. Das Boot wird stramm nach Westen gedrückt, ohne dass wir die Windsteuer-Anlage anfassen. Der Wind hat weiter auf Ost gedreht und weht inzwischen ganz beständig mit 5-6 Bft. – Ist das etwa schon der Passat ?

Es ist heiß. Wir sind eindeutig in den Tropen. Tagsüber ist es kaum auszuhalten im Salon, weil wir die Luken nicht öffnen können. Wie gut, dass wir auf Teneriffa noch einen kleinen 12-Volt-Ventilator besorgt haben. Das verschafft wenigstens der Freiwache ein kleines bisschen Erleichterung, wenn die sich tagsüber einmal hinlegen möchte. Von den Kanaren aus sind wir bisher rund 1000 Seemeilen stur nach Süden gesegelt. Damit haben wir ungefähr ein Viertel der Gesamtstrecke zurückgelegt. Am 10. Tag unserer Reise erreichen wir den 19. Breitengrad Nord. Der Wind kommt immer östlicher, unser Bug dreht immer weiter nach Westen ein. Wir segeln mit einer konstanten Geschwindigkeit von 5,5 Knoten und laufen in gerader Linie einen Wegpunkt nach dem anderen ab. Besser könnte es nicht sein, bitte die nächsten 4 Wochen weiter so ! Zumindest bis zur Karibik sollten die Bedingungen eigentlich günstig sein. Allerdings reizt uns die Karibik überhaupt nicht, sondern wir werden noch etwa 1000 Seemeilen dranhängen, um entlang der Ostküste USA bis nach North Carolina zu kommen.

Der Wind schläft ein, es fängt an zu regnen. Ungewohnt, denn wir haben seit Wochen keinen Regen mehr gehabt. Das ist eine gute Gelegenheit zum Duschen im Cockpit. Nach etwa einer Stunde ist der Schauer vorbei, der Wind stellt sich wieder ein, allerdings vorübergehend mit leichtem Süd-Anteil. Kurze Störung im System, bald darauf geht es weiter mit rauschender Fahrt auf Kurs 270°. Abends beobachten wir Wetterleuchten an steuerbord voraus, also im Westen. Blitze zucken, und der Horizont wird kurzzeitig erleuchtet. Im Pazifik bedeutet das : Schlechtes Wetter im Anmarsch, allerdings immer mit einem Tag Verzögerung. Man kann es sich kaum vorstellen, denn hier sieht alles friedlich aus. Die Wetterkarten und Kompetenzzentrum Hamburg sagen dasselbe. Alles gut, weiter so. Henning kann zu Hause auf seiner Wetterstation die Gruppe von Segelbooten auf den Kapverden erkennen. Er nennt sie „den Mückenschwarm“. Wir sind offensichtlich alleine in dieser Wasser-Wüste. Seit einer Woche haben wir kein Schiff mehr gesehen, kein Licht, kein AIS-Signal. Nichts. Die Tage ähneln sich, ganz normale Bord-Routine Wir haben diesmal schnell unseren Rhythmus gefunden. Nur das Logbuch zeigt uns, welcher Tag ist und wie lange wir schon unterwegs sind. Gegen Mitternacht geht der Zirkus los. Der Wind legt beständig zu, weswegen wir bei Wachwechsel die Segelfläche verkleinern wollen. Wir haben zwei Segel in der Nut der Rollreff-Anlage eingefädelt und stellen jetzt fest, dass die sich nicht so einfach zusammen einrollen lassen. Blöd, denn inzwischen bläst es heftig. Walkabout rennt immer schneller, und wer weiß, wie sich das weiter entwickelt. Thomas geht nach vorne und zieht ein Segel ganz herunter. Es steht nur noch die Genua auf steuerbord, nachdem er das schlagende Tuch an backbord gebändigt hat. Diese wird um die Hälfte eingerefft, mit der verkleinerten Segelfläche ist die Geschwindigkeit um 2 Knoten reduziert. Allerdings läuft das Boot jetzt unruhiger, und der Kurs liegt nicht mehr so gut an. Egal, morgen bei Tageslicht werden wir eine bessere Lösung finden. Es geht die ganze Nacht weiter mit Wetterleuchten in Minuten-Abständen, jetzt nicht mehr nur westlich, sondern es blitzt überall um uns herum. Das Gewitter scheint immer näher zu kommen, bzw. wir fahren direkt darauf zu. Unheimlich.

Kaum ist es am nächsten Morgen hell, da machen wir uns zu zweit an die Arbeit auf Deck. Ziel ist es, beide Segel an der Rollreff-Anlage zu fahren. Sie müssen zusammen am oberen Fallwirbel befestigt werden, damit man beide gleichzeitig verkleinern kann. Große Baustelle, denn ganz so einfach ist das nicht. Zunächst müssen beide Segel herunter, dann gleichzeitig in die Nut eingeführt und hochgezogen werden. Ziemlich mühsam, wenn einem dabei das große Tuch von beiden Seiten um die Ohren schlägt. Gerade fast fertig, da stellen wir fest, dass das Vorsegel auf backbord zu kurz ist. Oben muss eine Verlängerung angebracht werden, damit wir es parallel mit der Genua fahren können. Also beides wieder hinunter, mit einem Tampen auf die richtige Länge binden und nochmal zusammen hochziehen. Das ist ein ziemlicher Kraftakt auf dem rollenden Vorschiff. Die ganze Aktion dauert knapp zwei Stunden, die halbe Freiwache ist um. Beiden steht der Schweiß auf der Stirn. Schon wieder ( oder immer noch ) ist tiefes Grollen im Westen zu vernehmen. Himmel bedeckt, es sieht nach Regen aus. Kurz nachdem wir unsere Segel und die Aries richtig eingestellt haben, da fängt der Wind erneut an zu spinnen. Er wird immer weniger, irgendwann nur noch ein kaum wahrnehmbarer Hauch, aber dafür kommt der jetzt aus allen Richtungen. Die Windsteuerung kann unseren Kurs nicht halten, der Bug richtet sich mal nach hier und mal nach da. So haben wir uns das aber nicht vorgestellt. Ein bisschen frustrierend nach all der Plackerei in der Frühe. Inzwischen donnert und blitzt es steuerbord am Himmel. Das Unwetter bringt ein paar Tropfen Regen und nimmt uns den Wind. Es scheint näher zu kommen, aber wir haben Glück. Bleiben noch zwei weitere Stunden angespannt gemeinsam im Cockpit sitzen und warten ab, was passiert. Nichts – irgendwann ist der „normale“ Wind zurück und Walkabout läuft wieder in der Spur. Etwa 15 Stunden hat dieses Intermezzo gedauert. Ein guter Schnitt, verglichen damit, dass wir 10 Tage lang die Segel nicht anfassen mussten. Jetzt ist die Situation um uns herum fast wie vor der Störung. Die Luft ist rein, der Himmel klar, kein Donnergrollen mehr. Ein bisschen langsam sind wir noch, aber was soll’s …. Konnten heute den neuen Kurs abstecken auf unseren nächsten Wegpunkt vor den Karibischen Inseln. Entfernung laut unserem Kartenplotter : 1700 Seemeilen. Let’s go west !

Wir haben die Bordzeit um eine Stunde zurück gestellt. Damit wird es jetzt morgens um 8.00 Uhr gerade hell. Ein Tropic-Vogel fliegt seine Kreise über uns. Hübsches Tier, schneeweiß und elegant mit der typischen langen Schwanzfeder. Und wir bekommen Besuch von einem kleineren grauen Vogel mit auffällig spitzem Schnabel. Der Bursche sieht ganz mager und erschöpft aus. Zum Ausruhen werden verschiedene Positionen auf dem Schiff probiert. Ängstlich ist er nicht, aber als Haustier an Bord wohl auch nicht geeignet. Nach ein paar Stunden verlässt uns der grau-gefiederte Gast wieder. Westlich von uns tobt ein Sturmtief, dessen Farbspiel am Himmel wir stundenlang beobachten können. Der Subtropische Sturm „Wanda“ hängt immer noch auf Höhe der Azoren fest. Rund um die Balearen ist es gerade richtig ungemütlich. Schlechte Bedingungen für Segler. Und im Golf von Mexico ist ebenfalls ordentlich was los, da bedroht ein Hurricane die südliche Küste der USA inclusive Florida. Wir segeln irgendwo dazwischen und bekommen nur die Nebenwirkungen zu spüren, also ein paar Stunden wechselnde Winde oder Flaute. Unser Wetter-Berater Henning passt auf, dass wir nicht in richtig böses Wetter segeln. Bisher sind wir sehr gut durchgekommen. Es ist ruhig. Sehr ruhig sogar. Wir dümpeln mit knapp 2 Knoten vorwärts, während heute zur Abwechslung auf der anderen Seite der Himmel erleuchtet wird. Blitze zucken, Donner grollt in der Ferne – mehr bekommen wir davon nicht mit. Nach 16 Stunden Schwachwind-Phase meldet sich der Passat zurück und schiebt uns weiter in Richtung Karibik.

Auch am nächsten Tag bleibt der Wind unbeständig. Im Laufe des Vormittags zieht eine Regenfront durch. Einreffen. Ausreffen. Plötzlich kommt der Wind aus Norden, Walkabout steuert umgehend Richtung Süden. Was soll das denn ? Nachmittags leichtes Dahingeplätscher mit nur 2,5 bis 3 Knoten. Am Abend gibt es noch einmal Nordwind, der unseren Bug stramm nach Süden lenkt. Um 22.30 Uhr dreht der Wind wieder auf Ost, so sollte es sein. Dabei nimmt er plötzlich kräftig zu, ein bisschen mehr als erwünscht. An backbord begleitet uns eine schwarze Wolkenwand, von achtern kommen dunkle Wolken immer näher. Regenschauer mit starken Böen. Die Geschwindigkeit steigt schnell von 5 auf 6 und auf 7 Knoten. Wird das noch mehr ? Ich fühle mich nicht gut damit und hole Thomas aus der Koje. Der ist – wie immer – sofort zur Stelle. Beide Vorsegel werden eingerefft, danach ist die Lage deutlich entspannter. Endlich den ganzen Tag über Passat-Wolken vom Feinsten. Hoffentlich ist das ein gutes Zeichen, und hoffentlich weiß der Wind das auch. 😉 Drei Sturmvögel bieten uns eine abendliche Flug-Show. Lange Zeit kreisen sie um die Walkabout, steigen hoch in die Luft und stürzen sich wieder hinab ins Wasser. Sehr schöner Anblick vor einem tiefroten Himmel, wo gerade die Sonne untergeht. Wir wundern uns, dass sich die Vögel so weit draußen aufhalten, denn schließlich sind wir hier irgendwo im Nirgendwo. Die größtmögliche Entfernung zum Land nach Osten und nach Westen, wir befinden uns gerade ziemlich genau in der Mitte des Nord-Atlantiks.  Zwei Wochen sind wir nun unterwegs. Etwa ein Drittel der Gesamtstrecke liegt hinter uns. Haben 1350 Seemeilen bei guten Bedingungen mit überwiegend leichtem Wind zurückgelegt, weitere 1350 Seemeilen sind es bis zum nächsten gesetzten Wegpunkt nord-östlich der Karibik. Dann erst wird unser Kurs wieder geändert, um weitere 1000 ( plus ? ) Seemeilen die Ostküste der USA hoch zu segeln.