Wir segeln und wandern durch die Welt

Atlantik-Überquerung 3. Woche

18. Breitengrad Nord. Unsere Passat-Besegelung steht unverändert. Funktioniert erstaunlich gut, obwohl beide Segel eigentlich nicht optimal sind. Die Genua haben wir auf El Hierro gebraucht gekauft, sie ist eigentlich etwas zu klein für unser Boot. Auf der anderen Seite fahren wir einen alten Klüver, den uns der Schweizer Segelmacher abgeändert hat. Walkabout läuft wie auf Schienen, nicht schnell, aber stetig unserem Ziel entgegen. Der Frisch-Proviant geht zur Neige. Möhren, Birnen, Bananen sind alle, die letzten sind über Bord gegangen. Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch sind noch in ausreichender Menge vorhanden. Äpfel, Orangen und Zitronen haben wir noch für mindestens eine Woche. Außerdem gibt es natürlich Reis, Nudeln, Hülsenfrüchte, Konserven und andere haltbare Lebensmittel. Tagsüber hängt die Angel draußen. Ein heftiger Ruck lässt auf einen größeren Brocken schließen. Ein ganzer Schwarm von Sturmtauchern verfolgt uns und stößt immer wieder ins Wasser. Thomas holt die Angel ein, aber da ist nichts mehr dran. Die Vögel haben uns unseren großen Fisch geklaut.

1500 Seemeilen liegen in unserem Kielwasser. Immer noch alles gut an Bord. Wir leiden ein bisschen unter der Hitze. Haben unseren südlichsten Punkt der Reise erreicht, ab jetzt fahren wir den Bogen wieder hoch gen Nord-Westen. Es darf gerne etwas kühler werden. Mäßiger Wind, sanfte Atlantik-Dünung. Dritte Woche entspanntes Nichtstun, Lesen, Schlafen. Und immer noch kein Schiff weit und breit, nur ein paar Seevögel und Fische sind unsere ständigen Begleiter. Gleich morgens früh haben wir einen kleinen Bonito an der Angel. Dann passiert den ganzen Tag nichts. Kurz vor knapp, also 5 Minuten bevor die Angel eingeholt wird, noch ein Biss. Wieder ein silbrig-glänzender Bonito. Der hat jetzt einfach Pech gehabt, zur falschen Zeit am falschen Ort. Unser Labskaus zum Abendessen ist schon so gut wie fertig. Dazu isst man ja gewöhnlich Matjes, bei uns gibt es gebratenes Fischfilet als Beilage. Helle Nacht. Ein perfekter halber Mond steht am Himmel und gibt viel Licht. Das Wasser glitzert mit den Sternen um die Wette.

Der Wind hat auf Nord-Ost gedreht und soll auch die nächsten Tage aus dieser Richtung anhalten. Mit unserer Schmetterlings-Besegelung können wir den Kurs nicht mehr halten. Vom ersten Tag an sind wir mit achterlichem Wind und ausgebaumten Segeln bequem unterwegs gewesen. Aber jetzt wird es Zeit für einen kompletten Umbau der Besegelung, damit es wieder besser läuft. Beide Vorsegel müssen herunter, eine Seite wird ausgefädelt und verstaut. Die Spi-Bäume samt Toppnanten, diverse Niederholer, Leinen etc. werden abmontiert und sicher festgelascht. Unsere Genua kommt ohne Baum und ungerefft auf die Backbord-Seite. Dazu setzen wir das Großsegel, welches wir bisher auf diesem Törn noch gar nicht benutzt haben. Walkabout sieht jetzt nicht mehr aus wie ein Fischkutter, sondern wie ein ganz normales Segelboot. Aufklaren an Deck dauert etwas länger – was für ein Chaos ! Einstellen der Aries-Windsteuerung auf den neuen Kurs klappt auch nicht sofort im ersten Versuch. Nach zwei Stunden Arbeit haben wir es dann soweit geschafft, dass wir auf der neuen Kurslinie zum nächsten Wegpunkt ziehen. Ganz nebenbei haben wir noch ein Körnerbrot gebacken, weil wir keine Lust haben auf weitere 3 Wochen Haferflocken-Pampe zum Frühstück. Bleibt nur noch die Frage, was da drauf soll ….. Viel Auswahl gibt es nicht. Marmelade …. die rote oder die gelbe Sorte. 😉

Endlich handiger Wind von 5-6 Bft. – genau richtig für unser schwerfälliges Boot. Allerdings kein typischer Passat-Wind aus Ost, sondern es bleibt hartnäckig bei der Nord-Ost-Variante. Macht nichts, darauf haben wir uns durch den Segelwechsel eingerichtet. Es läuft gut. Zwischen 5 und 6 Knoten Geschwindigkeit auf Kurs 280°. Zur Stärkung gibt es ein verspätetes Frühstück mit selbstgebackenem Brot und Rührei. Ein Ei ist faul und fliegt über Bord. Riecht übel, aber mein Koch merkt das natürlich, bevor das ganze Essen versaut ist. Auch die Kartoffeln fangen an zu müffeln, die müssen dringend durchgeguckt werden. Einige sind tatsächlich schon schlecht und werden aussortiert. Abends gibt es Erbsensuppe. In Ermangelung von Möhren haben wir den Eintopf mit Weizen-Sprossen aufgepeppt. In der Nacht wird es immer rumpeliger, auch der Seegang hat zugenommen. Die Genua wird etwas verkleinert, dazu das Großsegel im ersten Reff …. immer noch schnell genug. Rauschende Fahrt durch eine tiefschwarze Nacht.

Wir haben die Uhr schon wieder umgestellt, eine Stunde zurück, eine Stunde länger schlafen. Um 9.00 Uhr früh sitze ich am Salontisch, um unsere Position in der Seekarte einzutragen. Eine schwarze Wolkenwand nähert sich mit hoher Geschwindigkeit von hinten. Thomas geht zum Mast, um ein weiteres Reff ins Groß zu binden. Keine Sekunde zu früh, denn kurz darauf fallen heftige Sturmböen über uns her. Auf einmal müssen ganz viele Dinge gleichzeitig gemacht werden : Großschot lösen, Fockschot bedienen, Genua einrollen, die Aries ausklinken und schnell ins Deckshaus ans Steuerrad springen. Ach ja, und Tür zu, damit der Regen draußen bleibt. Dicke Tropfen pladdern gegen die Scheiben. Schlechte Sicht, der Himmel ist bleigrau. Im Nu haben sich steile Wellen gebildet, Walkabout wird in dem konfusen Seegang hin und her geworfen. Die Aries kann das Schiff nicht mehr auf Kurs halten, wobei uns der Kurs gerade sowieso ziemlich egal ist. Wir laufen ab. Thomas steuert von Hand, um die Wellen im schrägen Winkel von achtern zu nehmen. Geschwindigkeit zwischen 8 und 9 Knoten, das ist mir entschieden zu schnell. Um uns herum tobt es wie in einem Hexenkessel. Weiße Schaumkronen, soweit das Auge reicht. Eine Stunde dauert der Spuk, dann hat sich die Lage stabilisiert. Innen ist alles trocken, keine Leckstellen. Alles an Ort und Stelle, nichts ist durch die Gegend geflogen. Die verbleibenden zwei Stunden meiner Freiwache dauert es, bis der Adrenalin-Pegel wieder normal ist. Etmal : 128 Seemeilen in 24 Stunden. Die nächste Attacke gibt es um 14.00 Uhr. Nicht ganz so heftig wie am Vormittag, aber schlimm genug, dass ich Thomas aus der Koje hole. Das muss ich nicht alleine durchstehen, da hole ich mir doch lieber Unterstützung. Beide nehmen wir eine Tablette gegen Seekrankheit ein.Es folgen drei weitere Überfälle um 16.00 Uhr, um 19.30 Uhr und 21.30 Uhr. Bei letzten Mal wecke ich den Käpt’n schon wieder, denn bei Dunkelheit ist dieser unkontrollierbare Wind noch unheimlicher. Thomas birgt das Großsegel, während ich versuche, das Boot möglichst ruhig zu steuern. Jetzt steht nur noch ein kleines Stück Genua am Vorstag. Mit diesem Fetzen Tuch machen wir immer noch 6 Knoten Fahrt. Das sieht nach einer schnellen Überfahrt Richtung Karibik aus. Kann ich aber gerne drauf verzichten, da bummel ich lieber und komme eine Woche später erst an. Die Sturm-Perioden sind kurz, aber erstaunlich böse. Auf jeden Fall machen sie uns das Leben schwer. Nirgends war das so angesagt, es scheint sich um ein lokales Wettergeschehen zu handeln. Zwischendurch verhält sich der Wind einigermaßen normal, so dass man an Entspannung denken könnte. Dann geht es jedoch wieder von vorne los mit dem Budenzauber. Mir reicht’s, ich habe gerade wirklich genug davon. Das Gute daran : Ergiebiger Regen hat die Salzkruste abgewaschen, das Boot ist nun wieder sauber.

Nachtrag : Inzwischen wissen wir, dass diese Dinger einen Namen haben. Nach Fallböen, Squalls und Williwaws haben wir eine neue Sorte kennengelernt. „Tropische Böenwalzen“ oder „Line Squalls“, auf deutsch Linienböen, weil ihre Unterseite zunächst aus einer geraden Linie besteht. Das sind brutale Starkwind-Attacken, die überwiegend im Atlantik unterhalb von 20° Nord auftreten und in den Wetterkarten nicht voraussehbar sind. Also nützt diesbezüglich auch die beste Vorhersage nichts, nur die Lichtblitze am Himmel sind Vorboten dieser Naturgewalt.

Unentspannte Morgenwache. Rauer Seegang, der Wind heult im Rigg. Aufstehen und Anziehen sind schon anstrengend genug, weil es so rumpelig ist im Schiff. Steile Wellen von allen Seiten sorgen für ordentlich Bewegung. Wer das nicht ausgleichen kann, bei dem sind blaue Flecken vorprogrammiert.Walkabout hopst und holpert durch die aufgewühlte See. Das Boot schlägt sich prima. Nur die Menschen müssen ebenfalls mitmachen und dürfen ihre gute Laune nicht verlieren. Morgenwache ab 4.00 Uhr beginnt bei mir mit Kaffee. Heute passiert es zum ersten Mal, dass der Wasserkessel aus der Topf-Halterung springt. Dabei kippt er um, rutscht nach hinten und ergießt seinen heißen Inhalt hinter den Herd. Ich bin ziemlich fassungslos und richtig genervt. Also nochmal von vorne ….. Wasser gibt zum Glück keine Rotwein-Flecken. 😉 Ab 7.00 Uhr morgens scheint es ruhiger zu werden. Keine schwarze Wolkenwand mehr, allerdings Wetterleuchten zu mehreren Seiten. Der Wind weht beständig mit 6 Bft. aus Ost. Wir machen 5-6 Knoten Fahrt nur mit der gerefften Genua. Reicht. Immer noch hohe Wellen, das dauert, bis sich der Seegang glättet. Ab und zu erwischt uns ein unerwarteter Querschläger von der Seite. Zweimal bekommen wir Spritzwasser durch das Luk über dem Salontisch herein. Selber schuld. Ja, man sollte das Luk auf See nicht öffnen, aber die tropische Hitze ist einfach nicht auszuhalten. Was ist noch passiert ? Die Spüli-Flasche war nicht richtig an ihrem Platz festgeklemmt. Natürlich ist sie umgekippt und mit der Öffnung nach unten in ein Regal mit Küchen-Utensilien gefallen. Der Inhalt einer halben Flasche Spüli ist ausgelaufen und hat sich in das Regal darunter verteilt. Gibt Schlimmeres. Mehr Schäden haben wir nicht zu beklagen. 🙂 Alles gut überstanden. In der Intermar-Funkrunde hören wir, dass sich nördlich von uns ein Tiefdruck-Gebiet ausgebildet hat. Vielleicht haben wir die Ausläufer davon zu spüren bekommen ? Am Nachmittag, während ich draußen im Cockpit sitze, kann ich das Segeln schon wieder genießen. Sitze in der Sonne, schaue auf’s Wasser und freue mich über die wilde Natur ringsum.

Duschen an Deck gestaltet sich allerdings zur Turnübung, denn es ist doch noch ziemlich wackelig auf dem schwankenden Boot. Um 20.00 Uhr zeigt das Thermometer im Salon immer noch 30° an. Wer soll denn dabei schlafen können ? Zunächst wird sowieso noch gearbeitet. Im Laufe des Tages wurde der Wind immer schwächer, zur Abendessens-Zeit schleichen wir mit 2,5 Knoten dahin. Für die Nacht muss also eine bessere Lösung her. Segelwechsel im Dunkeln auf dem rollenden Vorschiff. Nicht so mein Ding. Ich habe wackelige Beine, bekomme Schweiß-Ausbrüche, mir ist schlecht. Weiß nicht, ob ich gleich brechen oder heulen muss. 🙁 Keins von beiden, der Zustand geht vorbei. Letztendlich macht Thomas fast die ganze Arbeit alleine, ich halte höchstens hin und wieder mal eine Leine oder bediene die Schot. Beide Spi-Bäume mitsamt des Leinen-Wirrwarrs werden gesetzt, die Genua auf die andere Seite geschiftet, auf die Backbord-Seite kommt unsere alte Fock, aber frei fliegend. Während dieser Aktion tauchen plötzlich mehrere Delfine auf und tummeln sich eine Weile neben dem Boot. Ich sehe sie nicht, sondern höre nur die Geräusche. Habe da gerade keinen Sinn für, weil ich mich krampfhaft festhalte und gar nicht zur Seite gucken mag. Thomas ist total begeistert von der Vorstellung der Delfine. Gegen 22.00 Uhr sind wir fertig, unsere Schmetterlings-Besegelung steht wieder. Dummerweise hat gerade der Wind auf Nord gedreht – völlig untypisch. So können wir keinen direkten Kurs fahren, aber immerhin geht es nach Westen. Da ist noch Platz für mehr als 1000 Seemeilen, bevor wir deutlich die Richtung wechseln müssen. Schneller geworden sind wir. Die Segel schlagen nicht mehr, sondern stehen gut. Also lassen wir das Boot so durch die Nacht laufen und sich seinen Weg selber suchen.

2 Kommentare zu “Atlantik-Überquerung 3. Woche

    1. 871385 Autor des Beitrags

      Liebe Ingrid !
      Ja, kannst du. Es hat geklappt.

      Wir wünschen dir ein schönes Weihnachtsfest !

      Thomas und Frauke