Wir segeln und wandern durch die Welt

Atlantik-Überquerung 4. Woche

Vollmond. Genau voraus steht eine helle Scheibe am Himmel. Das Wasser glitzert. Es sieht aus, als ob vor uns eine Straße beleuchtet ist.
Der Wind bleibt unbeständig, er kommt aus Nord, Nord-Ost, Ost und dreht dann wieder zurück. Wir segeln in Schlangenlinien. Manchmal zeigt unser Bug Richtung Süden und lässt sich einfach nicht zurück auf Kurs bringen. Dann wieder hängen wir in einer Flaute und kommen nur dank der Strömung voran. Blödes Gerolle in der alten Dünung. Regenschauer. Den ganzen Tag geht es so weiter, der Wind macht einfach nicht, was er soll. Am Nachmittag haben wir die Faxen dicke. Die ganze Aktion von gestern Abend wird rückgängig gemacht, aus unserem Fischkutter wird wieder ein Segelboot mit Groß und Genua. Nicht perfekt, aber Kurs und Geschwindigkeit sind besser geworden. Ein riesiger Tuna von etwa 1,50 Metern Länge springt aus dem Wasser, offensichtlich auf der Jagd. Bunt schillernd, prächtig anzusehen. Wie gut, dass wir die Angel nur für kleine Fische präpariert haben.
Nach ungefähr 2 Wochen Einsamkeit zeigt unser AIS ein Schiff an. Wir werden mit 2 Seemeilen Abstand überholt. Der Frachter ist auf dem Weg von Griechenland in die Karibik, da könnte man sich ja jetzt eigentlich anhängen.
2000 Seemeilen haben wir inzwischen seit Teneriffa nur unter Segeln zurückgelegt, keine einzige Motorstunde. Die See hat sich beruhigt.
Bis zur Ansteuerung von Morehead City liegen weitere 1900 Seemeilen ( oder auch etwas mehr ) vor uns. Halbzeit = Bergfest. 🙂

Wir können nicht mehr geradeaus fahren. Auf unserem Plotter erkennt man ganz deutlich die Schlangenlinien. Korrigieren nützt immer nur für wenige Minuten, dann läuft Walkabout wieder aus dem Kurs. Ich habe es während der Nacht auf den unbeständigen Wind geschoben. Thomas übernimmt um 8.00 Uhr die Morgenwache und experimentiert stundenlang mit verschiedenen Segel-Stellungen. Zum ersten Mal kommt auch unser Sturm-Klüver zum Einsatz, der wird in Ermangelung einer passenden Fock als 3. Segel am inneren Vorstag gesetzt. Bringt schön Geschwindigkeit, und das Boot liegt damit stabiler in den Wellen. Für die Kurs-Genauigkeit nützt es leider gar nichts. Um 12.00 Uhr möchte ich übernehmen und wundere mich, dass Thomas im Deckshaus am Steuerrad sitzt. Er ist zu der Erkenntnis gekommen, dass etwas mit der Windsteuer-Anlage nicht stimmt. Hat schon die Windfahne abgenommen und leichtes Durcheinander in der Plicht angerichtet. Ich muss das Steuern übernehmen, während der Käpt’n sich an die Reparatur macht. Aber wie ? Wo ist das Problem ? Die zündende Idee fehlt bisher. Super-Gau ! Wir sind noch 1800 Seemeilen von unserem Ziel entfernt. Tag und Nacht von Hand steuern, bei allen Wetter- Bedingungen, und das noch knapp 3 Wochen lang …. Den Gedanken mag ich mir gar nicht zu Ende vorstellen. Das Ding muss funktionieren.
Zunächst einmal möchten wir Ruhe ins Schiff bekommen. Wir drehen bei und lassen uns treiben. Platz genug ist da, keine Küste und keine anderen Schiffe in Sicht. Thomas bastelt an der Windsteuerung. Beim Zusammensetzen der Aries verabschiedet sich die Flügelschraube, mit welcher die Windfahne an der Anlage befestigt wird. Ab in die Tiefen des Atlantiks …. und tschüss. Wie lange das wohl dauert, bis die auf dem Meeresgrund ankommt ? Ich bin total erschrocken, weil ich denke, dass dieses wichtige Ding unersetzlich ist. Halb so schlimm, wir haben zwar kein Original-Ersatzteil, aber es findet sich eine passende Schraube ohne Flügel. Gerade als wir nach 2-stündiger Unterbrechung wieder Fahrt aufnehmen wollen, da bemerkt Thomas ein langes Seil im Wasser neben unserem Boot. Das können wir uns nun gar nicht erklären, denn bei uns scheinen alle Leinen ordentlich an Bord zu sein. Haben wir uns da etwas unter dem Kiel eingefangen ? Auf jeden Fall muss das da weg. Wir versuchen es mit dem Bootshaken, aber kommen nicht dran, der Weg ist zu weit. Kurzentschlossen steigt Thomas auf die Badeleiter am Heck. Ich finde es ziemlich gruselig, dass er mitten im Atlantik „aussteigen“ will, aber natürlich ist er mit Gurt an der Leiter gesichert. Als er die Leine endlich am Haken hat, da staunen wir nicht schlecht, denn es ist unsere eigene Angelschnur. Durch das Beidrehen ist sie wohl mehrmals unter unserem Schiff durch oder wir sind drüber getrieben, dabei hat sie sich irgendwo festgehängt. Kleine Nachlässigkeiten werden an Bord sofort bestraft, größere dürfen gar nicht erst passieren. Die Wasser-Brechung, der tiefblaue Ozean und die Sonneneinstrahlung haben die Perspektive so verändert, dass unsere dünne Angelschnur wie eine Festmacher-Leine aussah. Wie doof kann man sein ? 😉 Die Angel wird aufgedröselt, ein Stück davon abgeschnitten, dann gleich wieder ausgeworfen. Es dauert keine 10 Minuten, da gibt es einen heftigen Ruck, der auf einen größeren Brocken schließen lässt. Das gibt’s doch nicht – wir stecken noch mitten im Chaos und sind noch nicht fertig mit Aufräumen. Aber nun ist er dran, ein dicker Mahi-Mahi von etwa 50 Zentimetern Länge. Das Abendessen ist gesichert. Unser Fisch wird sofort ausgenommen und in Filets zerlegt. Danach muss alles abgewaschen und die Plicht geputzt werden. Es dauert lange, bis an Deck wieder aufgeklart ist. Freiwache ist fast zu Ende.
Dafür gibt es abends leckeres Fisch-Ragout in Kokosmilch mit Früchten und Reis. Lecker. 🙂
Was für ein Tag !

Der Mond am 19.11. ist eine dunkle Scheibe mit klar umrissenen Konturen. Darin befindet sich ganz unten links eine schmaler gelber Streifen als Mondsichel. Der Schatten der Erde zieht über den Mond. Wir erleben die längste partielle Mondfinsternis des Jahrhunderts auf See.
Am Vormittag Schlechtwetter voraus. Dichte Wolkenmassen mit Regenschleier, dazwischen blitzt kurz die Sonne auf. Es bildet sich ein schöner doppelter Regenbogen. Etwas später können wir beobachten, wie sich der Himmel an steuerbord verfärbt. Bunte Pastellfarben am Horizont, wie aus einem Tuschkasten. So etwas haben wir auch noch nie gesehen, die Natur ist immer für Überraschungen gut. 🙂
Das Wettergeschehen ist und bleibt sehr dynamisch. Seit knapp einer Woche kämpfen wir mit Starkwind-Feldern, die sich durch dunkle Wolken von achtern ankündigen. Manchmal haben wir ein paar Stunden Ruhe, so dass man gerne mehr Segel setzen möchte. Dann wiederum kommen die Attacken in kurzen Abständen, so alle 10-15 Minuten etwa. Sehr anstrengend für Mannschaft und Material. Nach 2300 Seemeilen am Stück machen sich einige Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Die Genua schlägt unkontrollierbar und lässt sich nicht richtig dichtholen. Thomas sieht sofort, dass die Führung der Genuaschot nicht mehr vorhanden ist. Ein Rollenblock an backbord ist glatt gebrochen. Das Einholen der Genua geht untypisch schwer. Wenn es so hakt, dann stimmt da etwas nicht. Die letzten Umdrehungen der Reffleine haben sich unterhalb der Profurl-Trommel um das Vorstag gewickelt. Was es alles gibt – das hätten wir auch nicht für möglich gehalten ! Wir müssen das Segel noch einmal ein Stück herausholen zum Klarieren, dann wird der Holepunkt für die Leine verändert. Die Großschot beginnt sich wieder zu vertörnen. Vorerst nur ganz leicht, noch kein Handlungsbedarf, aber das sollten wir genauer beobachten. Eigentlich dachten wir, dieses Problem sei seit Tazacorte gelöst. Die Aries tut ihren Dienst, zwar widerwillig, aber es geht. Man muss die Windsteuer-Anlage regelrecht überreden. Es dauert ewig, bis ein Kurs so eingestellt ist, dass er gehalten wird. Thomas hat den Fehler vermutlich gefunden : Die beiden Zahnkränze, die Ruder und Windfahne miteinander verbinden, liegen falsch übereinander. Das kann durch einen heftigen Ausschlag passiert sein. Mit Zerlegen und neu Zusammensetzen ist es wahrscheinlich wieder zu richten. Das geht allerdings nicht auf See. Daumen drücken, dass unser bestes Teil an Bord die nächsten 1500 Seemeilen durchhält.   

Der neue Tag fängt sehr gut an. Roter Sonnenaufgang, keine Starkwind-Felder in Sicht. Wir haben die Uhr schon wieder umgestellt, ich darf eine Stunde länger schlafen. 🙂 In der Ferne sehen wir einen doppelten Regenbogen. Bizarre Wolkengebilde gibt es zu bestaunen. Über uns ist der Himmel klar.
Mittags weht ein schwaches Lüftchen von 3-4 Beaufort. Endlich kann das Sturmsegel weg, wir können Vollzeug setzen. Beide Reffs aus dem Großsegel, dazu die volle Genua, so laufen wir zwischen 4 und 5 Knoten. Ist wirklich nicht viel Wind, und der schläft am Nachmittag dann ganz ein. Knapp zwei Stunden Flaute, danach meldet sich ein zarter Hauch aus Süd. Stand so auch nicht in der Wettervorhersage, aber ist ganz okay. Nun stört das Großsegel, zu wenig Winddruck, also wieder runter damit. Nur mir der Genua können wir gut Kurs halten. Etwas langsam, um die 4 Knoten, aber wir genießen die Ruhe. Und so kommen wir auch an, vielleicht 2-3 Tage später, aber ausgeruht.
Die Karibischen Inseln lassen wir links liegen. Etwa 500 Seemeilen westlich von uns befinden sich die Virgin Islands mit Antigua, Barbuda, Dominica, Saint Lucia und wie sie alle heißen. Der Schiffsverkehr nimmt zu.
Die letzten Eier müssen weg, es gibt Pfannkuchen.
Wir freuen uns auf eine entspannte Nacht.

Alles friedlich geblieben. Sanftes Geschaukel und ungestörte Nachtruhe. Henning schreibt, dass es ein paar Grad weiter nördlich gerade sehr ungemütlich ist. Und er hat für Donnerstag ein Tief in unserem Gebiet angekündigt. Das heißt ja noch nichts, sind ein paar Tage bis dahin, vielleicht zieht es vorbei. Wir sollen auf jeden Fall im Moment nicht weiter hoch nach Norden segeln. Danke an unsere zuverlässige Wetter-Beratung ! Es ist schön, wenn Jemand zu Hause einen Überblick auf das Gesamtgeschehen hat.
Den ganzen Vormittag schwacher Wind aus Süd. Nicht aus Ost oder Nord-Ost, wie sich das laut der Wetterkarten gehört …. Nein, immer noch aus Süd. Wir holen die Genua von backbord auf steuerbord, um nicht zu weit nach Norden abgedrängt zu werden. Bummelfahrt mit 3,5 Knoten – aber auch so kommt man an. Schätzungsweise in knapp 2 Wochen werden wir wieder Land unter den Füßen haben.
Um 15.00 Uhr nur 2,5 Knoten Geschwindigkeit. Bisschen wenig, denn bis zur Ziel-Ansteuerung sind es noch etwa 1400 Seemeilen. Wir ändern den Kurs, damit wir das Großsegel setzen können. Der Wind wird immer weniger und dreht weiter auf West. Mit ungerefftem Groß und voller Genua werden wir nur unwesentlich schneller. Ohne Wind kann man einfach nicht segeln. Vor uns sieht es nach Schlechtwetter aus. Am frühen Abend sind wir mittendrin. Ein Wolkenbruch, wie wir ihn bisher selten erlebt haben. Wind bringt der auch mit, aber weniger als erwartet, also durchaus moderat. Aber sintflutartigen Regen, das kann man sich gar nicht vorstellen, wie es bei uns auf’s Dach klatscht. Das Wasser um uns herum wird regelrecht platt gedrückt. Es ist, als ob sich das Boot vor dem Unwetter duckt. Wir können nur reingehen und die Tür schließen.
Eine Stunde später ist der Regen vorbei, die Segel schlagen, wir dümpeln in der Flaute. Thomas legt sich schlafen. Ich beobachte den Windanzeiger, die Aries und unseren Kurs. Traue meinen Augen nicht, denn jetzt geht der Wind weiter herum auf Nord. Und noch einmal bricht die Hölle los mit Starkwind und Regen, Regen, Regen. Ich schaffe es gerade noch, die Genua zu verkleinern, das Großsegel zu öffnen und die Windsteuerung auf Schongang einzustellen. Dann verziehe ich mich nach Drinnen zum Abtrocknen, Umziehen und kurzem Gespräch mit dem Käpt’n. Sein Kommentar : „Da kann man nichts machen. Abwarten.“ Okay, ich gehe wieder zur Wache ins Deckshaus und schaue auf den Kartenplotter. Der zeigt mir mittlerweile Ostwind an. Wir haben eine volle Drehung um die Kompassrose gemacht und fahren jetzt zurück nach Süd-Osten. Das ist ja völlig verrückt hier !

Rumpelige Nacht. Erst gegen Morgen hat sich der Wind beruhigt und weht nur noch mit 5 Bft. aus Süd. Dazu gibt es Schwell aus Nord-Ost. Es hat sich eine unangenehm hohe Dünung gebildet, die unsere Walkabout hin und her wirft. Innen hört es sich schlimmer an als es draußen tatsächlich ist. Es klatscht laut gegen die Bordwand, manchmal scheint das ganze Schiff zu vibrieren. Die Segel reißen an den Leinen, der Großbaum macht hässliche Geräusche, Rollen und Blöcke klappern. Und wenn es einen Moment zu ruhig wird, dann hört man das Wasser im Wassertank laut schwappen und unter den Deckel knallen. Kurz gesagt : Kaum geschlafen, fühle mich wie gerädert. Ich brauche Urlaub. 😉
Bei Tageslicht hat sich die Lage normalisiert. Wolken, viele dunkle Wolken am Himmel. Grau ist es, fast wie an der Nordsee. Und es regnet schon wieder. Was ist bloß mit dem Wetter los hier ? Auf jeden Fall ist dieser ständige Wechsel zwischen Flaute und Starkwind ziemlich anstrengend. Die Stimmung an Bord schwankt ebenso.
Mal gucken, was der neue Tag uns bringt …..
Ein Wal direkt neben unserem Boot ! Weiße Flossen,  nicht besonders groß, die Walkabout ist länger. Thomas hört zunächst nur den Blas, bevor er das Tier sieht. Dann laufen wir Beide nach vorne und schauen vom Bug aus dem Wal beim Reisen zu. Laut Bestimmungsbuch wird es ein Zwergwal gewesen sein, der einsam durch den Atlantik zieht.
Um 10.00 Uhr verabschiedet sich der Wind wieder. Gerade mal zwei Stunden ist es gut gelaufen, jetzt schleichen wir so mit 2 Knoten dahin. Die Genua holen wir ein, die schlägt nur herum und bringt im Moment gar nichts. Um 13.00 Uhr darf sie wieder mitmachen, 3 Knoten schaffen wir auf diese Weise. Es ist und bleibt mühsam. Das Etmal in 24 Stunden : 84 Seemeilen, und davon sind wir unserem Ziel seit gestern nur 73 Seemeilen näher gekommen, weil wir Schlangenlinien und einen lustigen Kreis gefahren sind. Insgesamt 2500 Seemeilen seit Teneriffa, das entspricht ungefähr zwei Drittel der Gesamtstrecke.

Die letzte Nacht verlief ohne böse Überraschungen, entspanntes Vorwärtskommen mit 4-5 Knoten.  Mäßiger Wind aus Süd mit 4 Bft. – sehr angenehm nach den ständigen Segel-Wechseln der letzten Tage. Schönwetter-Wolken rings um uns herum. Wir genießen einen perfekten Segeltag. Könnte ewig so weitergehen. Wird es wohl aber nicht, denn ab morgen oder übermorgen ist strammer Nord-Wind angesagt. Also von vorne, aber wir haben Platz genug, ein paar Tage den Kurs zu ändern.
Zum Abend hin brist es tüchtig auf. Schnelle Fahrt. Es wird gleich etwas schaukeliger an Bord. Vorsorglich kommt noch bei Tageslicht ein Reff ins Großsegel, das sorgt für eine ruhigere Wache. Um 20.00 Uhr ist es bereits stockdunkel. So eine schwarze Nacht hatten wir lange nicht mehr. Zwei Stunden später leuchtet ein Lichtermeer von Sternen am Himmel.
Heute entdeckt : Die große Winsch auf der Steuerbord-Seite hat einen Defekt, muss also mit Vorsicht behandelt und demnächst auseinander genommen werden. Und der UV-Schutz der Genua löst sich an einigen Stellen. Das sollte so schnell wie möglich genäht werden, damit das eingerollte Segel nicht unter der Sonneneinstrahlung leidet. Unsere neue ToDo-Liste wird länger, es gibt wieder Einiges zu erledigen auf dem Boot.