Herrliches Segeln war gestern, heute gegen 1.00 Uhr in der Nacht zerstört eine unerwartete Front die Idylle. Ohne Ansage, also völlig unerwartet, haben wir plötzlich 8 Windstärken aus Süd. Null Sicht, graue Brühe, das Wasser brodelt um uns herum. Mit 3 Reffs im Groß und einem winzigen Fetzen Vorsegel brausen wir durch die Dunkelheit. Wir werden ordentlich durchgeschüttelt. Während meiner Freiwache lege ich mich 3 Stunden in die Koje, aber an Schlaf ist nicht zu denken. Lautes Getöse im Rigg, dazu das Geheule, wenn eine neue Windböe über uns herfällt. Nicht schön. 🙂 Um 6.00 Uhr früh tobt es immer noch, dazu pläddert jetzt heftiger Regen auf’s Schiff. Das tut dem Wind aber keinen Abbruch. Mal sehen, wie lange das diesmal andauert ….
Und ab morgen sollen wir dann Starkwind aus Nord bekommen, also von vorne. Das hört sich auch nicht gerade geschmeidig an. Die Idee, mit dem eigenen Boot zum Trail zu segeln, ist auf jeden Fall kein Kindergeburtstag. Dagegen war unsere 3-wöchige Atlantik-Überquerung 2011 nach Brasilien ein Zuckerschlecken.
Bis zum Mittag bleibt alles wie gehabt, ein Grundwind von 6 Bft. aus Süd, garniert mit heftigen Böen und Starkregen. Zur Abwechslung gibt es jetzt noch Donnergrollen dazu, ein Gewitter rollt von achtern an. Wir drehen bei. Thomas stellt den Hauptschalter aus, zieht Antennenstecker von AIS und Splitter, kein Strom mehr. Den folgenden Wolkenbruch beobachten wir trocken aus dem Deckshaus heraus. Abwarten. Was sonst ? Zwei Stunden totale Flaute, wir treiben durch die Gegend. Elendes Geschaukel in der aufgewühlten See. Früher als erwartet weht es aus Norden. Aber es bläst viel zu viel wütender Wind, um unseren Kurs weiter zu verfolgen. Wir messen 8 Beaufort mit dem Hand-Messgerät, und das nicht nur ein paar Minuten während der Böen, sondern fast ohne Unterbrechung. Da muss man nicht gegenan wollen. Vor uns auf dem direkten Weg ist nur Schlechtwetter zu erwarten. Henning empfiehlt uns, einen Ansteuerungspunkt auf Höhe von Florida, und von da aus sollen wir uns nahe der Küste hochschleichen. Das wären mal eben 800 Seemeilen mehr ! Würde für uns bedeuten, noch etwa 3 Wochen unterwegs zu sein. Im Moment haben wir beide keine Lust mehr. Müde sind wir, die Muskeln schmerzen, hätten jetzt gerne eine Erholungspause.
Ein Salzwasser-Schwall ergießt sich durch’s Luk in den Salon. Es war zwar geschlossen, aber nicht fest genug mit Schrauben und Zange von innen angezogen. Ein Brecher hat uns von der Seite erwischt und ist über’s Deck gewaschen. Wasser findet immer seinen Weg. Viel nass. 🙁
Den neuen Kurs können wir nicht vernünftig anlegen. Stattdessen segeln wir nur mit 3-fach gerefftem Groß mit 6 Knoten Geschwindigkeit zurück nach Süden. Das war nicht unsere Absicht, völlig kontra-produktiv. Um 20.00 Uhr drehen wir erneut bei. Was Gescheiteres fällt uns gerade nicht ein, so kommen wir am schonendsten durch die Nacht. Beigedreht treiben wir mit 2 Knoten zurück und befinden uns gegen Mitternacht am Wegpunkt unseres Tages-Etmals von 14.30 Uhr. Das ist schon etwas frustrierend. 🙁
Seit 3.00 Uhr in der Frühe segeln wir wieder. In der Nacht lagen wir 7 Stunden beigedreht und sind dabei 12 Seemeilen nach Nord-Ost abgetrieben, also dahin, wo wir herkommen. Immer noch viel Wind, leider nicht rein aus Nord, sondern jetzt ist eine westliche Komponente mit drin. Bei einer Stärke von 6 Bft. werden wir nicht Am-Wind-Kurs fahren, sondern segeln zurück nach Süden. Dreifach gerefftes Groß und allerkleinstes Stückchen Genua, trotzdem noch mit einer Geschwindigkeit von 6 Knoten. Wenn man das in die gewünschte Richtung umsetzen könnte, dann wäre es gut, aber so ist es etwas unbefriedigend. Egal, erstmal müssen wir hier durch, die Kosmetik kann bis später warten. Kommunikation mit unserer Wetter-Zentrale Henning läuft jetzt täglich. Nördlich von uns sitzt ein dickes Tief. Schlechtes Wetter haben wir hier schon genug, wir möchten wirklich nicht noch mehr Wind haben. Macht also gar keinen Sinn, jetzt weiter in diese Richtung zu fahren, auch wenn es die Entfernung zum Ziel verringern würde. Besser ist es, wir daddeln noch ein bisschen im Süden herum und warten auf bessere Wetter-Bedingungen. Das verlängert natürlich unsere Strecke um etliche Seemeilen, sowohl die Distanz als auch die Dauer der Reise. Aber was soll’s …. Zeit haben wir genug. Geduld ist gefragt.
Meine Morgenwache ab 4.00 Uhr besteht nur aus schwarzen Wolken ringsum. Dem kann man nicht ausweichen. Egal, wohin wir uns wenden, wir geraten immer in Schietwetter. Der Atlantik präsentiert sich in verschiedenen Grau-Tönen. Es regnet wie aus Kübeln und drückt dabei das Wasser platt. Sehr schlechte Sicht. Laut AIS zieht ein 300 Meter langer Frachter in 2 Seemeilen Entfernung an backbord vorbei, aber es sind weder Lichter noch Umrisse zu erkennen.
Mit Hellwerden scheint das Gröbste durchgezogen zu sein. Ab 10.00 Uhr wird es deutlich ruhiger. Endlich sieht die Welt wieder normal aus. Drei Tage und Nächte hatten wir die Segel wegen der Sturmböen auf kleinste Tuchgröße gerefft. Jetzt ist es an der Zeit, endlich wieder volle Segelgarderobe zu setzen. Der Wind dreht auf Nord und wird immer schwächer. Ab Mittag kommen wir nur noch mit 2 Knoten vorwärts, wir bummeln ganz langsam Richtung Westen. Dann Flaute …. Herrje, immer dieses Extreme ! Geht es auch mal normal ? Kann dauern – ich glaube, diese Reise verlängert sich etwa um eine Woche.
2900 Seemeilen nur unter Segeln. Am 30. Tag auf See kommt endlich der Motor zum Einsatz. Nach den Schlechtwetter-Fronten zieht nun ein dickes Hochdruckgebiet von Westen auf uns zu und wird weitere 2-3 Tage mit schwachem Wind bringen. Wir möchten endlich ein Stück vorankommen, raus aus diesem Gebiet mit seiner unvorhersehbaren Wetterküche. Morgens um 4.00 Uhr starten wir die Maschine. Null Wind, und das schon seit vielen Stunden, keine Wellen, der Ozean ist glatt wie ein Ententeich. So lässt es sich gut steuern. Mit 4 Knoten bewegen wir uns direkt auf der Kurslinie in Richtung USA. Immer noch sind es 1000 Seemeilen bis zur Ansteuerung von Moorhead City. Die letzten Tage sind wir eher zurück gefahren bzw. getrieben.
Die Welle quietscht, die Wellendichtung wird heiß. Schwarze Flüssigkeit unten in der Motor-Bilge. Das Getriebe leckt. Maschine wieder aus, Motor Müller eilt zur Inspektion. Es gibt Fett für die Wellendichtung und Öl für’s Getriebe. Kein Problem, kann weitergehen.
Nach wie vor regt sich kein Lüftchen. Ab 20.00 Uhr ist es stockdunkel. Unter Motor brausen wir durch die schwarze Nacht. Man sieht nichts, wir folgen stur unserer roten Kurslinie auf dem Kartenplotter. Ohne sich vom Fleck zu bewegen und ohne e-book sind die Nachtwachen ganz schön zäh. Schwierig, für 4 Stunden eine bequeme Sitz-Position am Steuerrad zu finden. Aber das sind Luxus-Probleme. 😉
Die ganze Nacht durch stumpf am Steuerrad gesessen und motort. Gegen 7.00 Uhr bildet sich ein graues Wolkenband über dem Ozean. Es könnte Wind geben. Und wie ! Zuerst klappert die Windfahne der Aries hinten am Heck, was mich schon ein bisschen irritiert, weil die Windsteuerung gar nicht eingehängt ist. Dann klappert es über mir bzw. über dem Deckshaus. Das Geräusch kann ich gar nicht einordnen. Ein Blick nach draußen zeigt, dass das am Baum aufgerollte Großsegel ordentlich in Bewegung ist. Mir wird es unheimlich, ich rufe Thomas aus der Koje. Und schon geht der Zirkus wieder los – plötzlich und unerwartet. Die Genua wird sofort eingeholt, das Großsegel geöffnet, dann Tür zu. Verdammt viel Wind auf einmal, heftige Böen schütteln das Schiff. Das Ganze natürlich in Begleitung eines heftigen Regenschauers – kennen wir ja jetzt schon. Dauert ungefähr eine Stunde, dann ist wieder Ruhe. Um 9.00 Uhr ist der Wind völlig eingeschlafen. Segel runter, Maschine wieder an. Nächster Versuch dann um 11.00 Uhr, weil wir eine leichte Brise aus West verspüren. Motor aus, wir setzen die Segel. Die Aries funktioniert zum Glück erstaunlich gut. Der Kurs wird gehalten, aber die „Geschwindigkeit“ lässt zu wünschen übrig. Wir beginnen mit 1,7 Knoten, dann 1,5 und 1,2 …. Wir geben auf. 25 Stunden ist der Motor jetzt schon gelaufen, da werden wohl noch ein paar mehr hinzu kommen. Ohne Wind kann man nicht segeln.
3000 Seemeilen liegen in unserem Kielwasser, das sind ungefähr Dreiviertel der Gesamtstrecke. Heute haben wir unsere Kurslinie zum letzten Wegpunkt geändert. Demnach sind es auf direkter Strecke noch 900 Seemeilen bis Morehead City in North Carolina, wo wir einklarieren möchten.
Nachts um 2.00 Uhr werden die Segel gesetzt. Es gibt Wind aus Süd, zunächst nur zaghaft, aber wir sind mit 2,5 Knoten zufrieden, weil jetzt die Aries endlich wieder arbeiten kann. 4 Stunden während der Nachtwache am Steuerrad sind langweilig und ermüdend, weil man nichts sieht und nur nach Kompass fährt. Da hilft auch Musik aus dem MP3-Player wenig. Im Laufe des Vormittags nimmt der Wind zu, kommt weiterhin aus Süd mit 5 Beaufort. Schönes Segeln nur mit der Genua auf steuerbord, 5 bis 6 Knoten genau auf Kurs. Super – das können wir gerade gut gebrauchen. Da macht es auch nichts, dass wir gleich wieder hin und her geworfen werden. Innerhalb weniger Stunden hat sich eine hohe Dünung aufgebaut, dazu kommt Schwell aus Nord-Ost. Gestern und vorgestern lag der Nord-Atlantik da wie mit Öl überzogen, und heute tanzen weiße Schaumkronen auf den Wellen. Faszinierend, wie schnell sich das Bild ändert.
Delfine begleiten uns für kurze Zeit, relativ große Exemplare. Aber diese hier sind völlig ungesellig. Vielleicht mögen sie die Farbe von unserem Boot nicht ? Vielleicht hat die leuchtend blaue Walkabout früher mehr zum Spielen animiert ? Auf jeden Fall schwimmen die Tiere immer nur kurz nebenher, überholen dann und sind weg.
Immer stärker bläst es, so dass wir am Nachmittag die Segelfläche verkleinern. Unseren Kurs können wir auch nicht länger halten, denn der Wind dreht von Süd auf West und vermutlich noch weiter rum. Einmal um die Kompass-Rose …. oder „Karussell“ – wie Henning dazu sagt. Rasende Fahrt durch die aufgewühlte See, dazu Brecher von der Seite, die immer öfter das Deck überspülen. Bis zum Mittag lief es wunderbar …. bis zum Mittag ist aber nur knapp ein halber Tag. Das ist hier wie verhext mit dem Wetter. Entweder zu viel Wind, falsche Richtung oder totale Flaute. Abends fahren wir schon wieder mit dem 3. Reff im Großsegel. Und das ist auch gut so, denn um 22.30 Uhr erleben wir die nächste Attacke. Eine Sturmwalze ohne Vorankündigung, nicht vorher zu sehen, weil der Himmel total schwarz ist. Der Wind fällt über uns her, im selben Moment prasselt schon der Regen vom Himmel. Ich öffne das Großsegel, Thomas springt aus dem Niedergang und holt das letzte Stückchen Genua ein. Unglaublich, was da gerade passiert ! So ungefähr stelle ich mir den Weltuntergang auf dem Ozean vor. Es pfeift mit 9 Windstärken um uns herum, die Wellen spielen verrückt. Das Boot wird herumgeworfen und mal hierhin, mal dorthin gedrückt. Natürlich laufen wir total aus dem Kurs, segeln zuerst nach Norden, dann nach Osten, und das mit einer Geschwindigkeit von 5-6 Knoten. Der Wind springt im Uhrzeigersinn immer weiter. Nach etwa einer Stunde wagen wir es, mit Motor-Unterstützung auf den anderen Bug zu gehen. Nach dieser Wende hat sich unsere Geschwindigkeit halbiert …. warum auch immer. Die Nase zeigt jetzt nach Süd-Westen, also fahren wir wieder zurück. Soll uns gerade egal sein. Hauptsache, es kommt etwas Ruhe ins Schiff, und wir kriegen die Nacht gut um. Wir bekommen Wasser durch’s Vorluk in die Schlafkoje, obwohl es mit Zange dichtgeballert und zusätzlich mit Tape verklebt war. Der Schraubstock in der Werkstatt löst sich aus seiner Verankerung ( die wirklich gut schien ) und landet auf dem Boden. Zum Glück zerschmettert er nur eine kleine Lampe, es ist nichts Schlimmeres passiert. Aber schwer ist das Teil und braucht nun einen neuen sicheren Platz. Aufräumarbeiten während der Nacht bei Wind und Wellen sind nicht förderlich für die Moral. Dazu kommt eine beängstigende Geräuschkulisse. Der Anker vorne hört sich fürchterlich an, wenn der Bug mit Schwung in die Wellen eintaucht. Das Wasser klatscht ungebremst unter den waagerecht angebrachten Anker, und es gibt dann jedes Mal einen hässlichen Knall. Völlig ungefährlich, aber nicht gut für die Nerven. Solche Bedingungen hatten wir noch nie mit diesem Schiff. Der Großbaum quietscht, die Schoten klappern, irgendwo fällt wieder ein Teil aus den Schapps auf den Boden. Thomas legt sich eine Stunde hin, danach gehe ich in die Koje. Situation um 3.00 Uhr in der Nacht : Flaute, absolut kein Wind mehr, dabei aber konfuser Seegang. Motor an. Das ist wirklich zum Abgewöhnen. 🙁
Auch am nächsten Tag wird es wieder hell, die Welt sieht dann gleich ganz anders aus. Nach wie vor kein Wind. Einer von uns sitzt ständig am Steuerrad, die Maschine läuft. Wenigstens machen wir auf diese Weise ein paar Seemeilen in die richtige Richtung. Ein Segler kreuzt unseren Kurs, vermutlich in Richtung Bermuda. Dabei kommt mir der Gedanke, dass wir uns ja jetzt gerade im berühmt-berüchtigten Bermuda-Dreieck befinden. Dieses Gebiet wird ja nicht umsonst unter Seglern auch „Teufels-Dreieck“ genannt. Vielleicht deswegen diese harte Nacht ? Am 30. November ist offiziell das Ende der Hurricane-Zeit. Muss ja nicht sein, dass die Stürme sich dran halten, aber bis jetzt sind wir gut durchgekommen. Das Kompetenz-Zentrum Hamburg hat uns auf dem gesamten Weg begleitet und mit aktuellen Wetterdaten versorgt. Danke an Henning für seine zuverlässige Betreuung. 🙂 Und jeden Morgen dieselbe beruhigende Nachricht, wenn Thomas die Funk-mails abruft : No tropical storms expected during the next 5 days. Es werden während der nächsten 5 Tage keine tropischen Stürme erwartet. 🙂
Unser Boot hat ordentlich Schläge einstecken müssen auf dieser Passage. Walkabout hat sich prima bewährt, die kann was aushalten. Wir sind froh, dass wir ein stabiles Stahlschiff haben. Neue Drähte, alles überdimensioniert. Kompromisslos für raue Gewässer eingerichtet. Seetüchtig. Sicherheit kommt vor Schönheit. Die letzten 3 Wochen und besonders vergangene Nacht wurde das Material hart beansprucht. Heute gibt es deswegen eine gründliche Kontrolle. Am Gestänge der Aries hat sich eine Sicherungsschraube herausgedreht. Die Mutter auf der gegenüberliegenden Seite ist bereits weg. Thomas klettert mit Werkzeug am Heck auf die Badeleiter, um größeren Schaden zu verhindern. Natürlich kommt er nicht trocken wieder an Bord, denn auch ohne Wind plätschert der Seegang ganz munter weiter. Ein Beschlag am Großbaum sieht aus, als wäre er in Mitleidenschaft gezogen worden. Aktuell nicht wirklich schlimm, aber auch nicht astrein. Das sollte bei nächster Gelegenheit besser geschweißt werden.
Abends weht endlich ein beständiger Wind mit 4 Bft. aus Nord. Wir gehen auf West-Kurs Richtung US-Küste, Geschwindigkeit 4-5 Knoten. Hoffentlich bleibt die Nacht ruhig.