Wir segeln und wandern durch die Welt

Baffin Bay – Upernavik bis Pond Inlet

Start am Nachmittag des 9. August bei dichtem Nebel. Die Eis-Konzentration ist moderat. Einiges an Kleinzeug vor dem Bug, welches man aber mit ständiger Aufmerksamkeit umfahren kann. Calin hat uns die Koordinaten gegeben, an der die Seabelle vor zwei Tagen eine Lücke im Packeis gefunden hat. Diesen Wegpunkt steuern wir an, obwohl die  Eiskarten gestern und heute schon wieder ein ganz anderes Bild zeigen. Erstmal drauf zufahren und dann weitersehen, wo wir einen Weg durch die Barriere finden. Unsere erste Nacht verläuft völlig ruhig. Der Wind passt, 3-4 Beaufort aus süd-westlicher Richtung mit zunehmender Tendenz. Endlich segeln wir mal wieder richtig schön. Es könnte fast nicht besser sein, abgesehen vom Nebel ringsherum. Ein riesiger Eisberg taucht aus dem Dunst auf. Auf dem Radar habe ich ihn schon länger beobachtet, überrascht hat er mich also nicht. Aber ich kann den weißen Koloss erst sehen, als er nur noch eine Viertel Seemeile entfernt ist und querab liegt. Kurz darauf passieren wir eine Eisscholle, die mindestens so groß ist wie ein Fußball-Feld. Das sind dann wohl die, mit denen die Polarbären auf Reise gehen. Unsere Windsteueranlage arbeitet perfekt. Manchmal müssen wir kurz aushängen und von Hand steuern, um Hindernisse zu umschiffen. Der Wind frischt mehr und mehr auf. Zunächst wird die Genua verkleinert, bald kommt auch schon das erste Reff ins Groß. Aber fein, wir machen gute Fahrt.

Radar, Plotter und die Funke sind 24 Stunden am Tag angestellt. Das führt dazu, dass unser Strom-Haushalt nach mehreren Tagen ohne Sonne nicht mehr in der Balance ist. Wir müssen den Motor anstellen, um die Batterien zu laden. Hinten aus dem Auspuff kommt viel mehr Qualm als sonst. Das ist nicht normal. Müssen wir uns jetzt Sorgen machen ? Thomas beschäftigt sich eine Weile mit dem BUKH Motor-Handbuch und findet gleich mehrere mögliche Ursachen. Eine davon ist zu kaltes Wasser oder Umgebungstemperatur. Ja, das klingt logisch. Im Cockpit herrschen 5° Celsius, die Wasser-Temperatur beträgt nur 1°. Das Kühlwasser-Thermostat wird gereinigt und mit Kontaktspray eingepflegt, außerdem noch der Luftfilter sauber gemacht. Motor läuft jetzt ohne zu viel Rauch, es scheint wieder normal zu sein. Um Mitternacht ist ein geschlossener Eisgürtel im Westen zu sehen. Zwei Stunden später sind wir da und suchen die Lücke. Thomas steuert wegen der besseren Sicht draußen mit der Pinne. Dabei kommt der Überlebensanzug zum Einsatz. Es ist bitterkalt in der Nacht, die eisige Luft schneidet mir den Atem ab. Ich habe es gut, habe mich zwar einsatzbereit gemacht, aber darf aus dem Deckshaus heraus agieren.

Von 2.00 Uhr bis 4.30 Uhr manövrieren wir durch das gebrochene Eisfeld. Lose Eisschollen in unterschiedlichen Formen und kleine Growler, dazwischen wippen harte Eisbrocken in der aufgewühlten See. Schlangenlinien. Kurs ist egal. Hauptsache, wir finden den Weg hindurch. Unsere zurückgelegte Fahrspur sieht aus, als ob der Kapitän besoffen ist. Auf dem Radar blinkt es ununterbrochen in rot und gelb. Der immer noch dichte Nebel macht’s nicht leichter. Anstrengend und aufregend ist es. Wir machen zu zweit Wache, schlafen können wir später. Ab 5.30 Uhr sind wir sicher durch, lediglich ein paar große Eisberge im 3-Seemeilen-Radius. Die Windsteueranlage wird eingestellt, ab jetzt segeln wir entspannt mit 4 Knoten auf Kurs 320°. Wunderbar, so kann es bleiben. Der Käpt’n darf in die Koje.

Weiterhin dichter Nebel. Der Wind bleibt leider nicht auf unserer Seite. Wir können den Kurs zum Eingang des Lancaster Sounds immer schlechter halten. Zudem zeigt die neueste Wetter-Prognose eine Starkwind-Warnung ab Montag für unser Gebiet. Bis zu 40 Knoten Wind ( 8 Beaufort ) aus Ost sind angesagt, die dann direkt in den Lancaster Sound fegen und dort das Eis aufmischen werden. Da sollte man besser nicht hineingeraten. Wir ändern unseren Kurs und steuern Pond Inlet an, wo wir rechtzeitig am Sonntag ankommen und das angekündigte Tief aussitzen können. Die Thindra ist bereits dort, um den Sturm abzuwarten. Die Crew von der Seabelle versucht, sich nach Arctic Bay durchzuschlagen, um dort Unterschlupf zu finden.

Im Lancaster Sound blockiert noch sehr viel dickes Eis. Die Situation ist gar nicht gut, es scheint ein schwieriges Jahr für die Nordwest-Passage zu sein. Allen läuft die Zeit davon, wenn wir es nicht bald durch die Bellot Strait schaffen. Wir denken bereits über mögliche Alternativen nach, falls wir umkehren müssen. Am Abend legt der Wind tüchtig zu, Walkabout wird immer schneller und luvt an. Raus aus der Koje, rein in den Faserpelz. Thomas bindet gleich zwei Reffs ins Großsegel. So kommen wir gut durch die dritte Nacht. Vereinzelte Eisberge im Umkreis, auf dem Radar deutlich zu erkennen und leicht auszuweichen. Wir sind etwas unzufrieden, weil unser Plan nicht funktioniert. Eigentlich wollten wir gar nicht nach Pond Inlet, sondern schon ein ganzes Stück weiter im Lancaster Sound sein. Blöde Sache mit dem Wind. 🙁

Nachricht von Calin : Auf dem Weg in die Arctic Bay ist es auch gerade nicht toll.

Grauer Himmel, schlechte Sicht und Graupel-Schauer. Auch die Wind-Vorhersage ist bescheiden. Morgens segeln wir noch mit 2,5 Knoten Schleichfahrt, mittags nehmen wir die Maschine zur Unterstützung dazu. Unsere Passage über die Baffin Bay dauert länger als erwartet. Vor der Einfahrt nach Pond Inlet haben wir gleich mehrere Schiffe auf dem AIS. Alles Frachter, je 225 Meter lang, die dort fast unbeweglich liegen. Warteposition. Aber warum ? Entweder hat das Eis die Einfahrt nach Pond Inlet verschlossen, oder die Tide passt nicht, oder die Frachter sind einfach zu groß für den Hafen. Thomas fragt über Funk und bekommt zur Antwort, dass der Hafen überfüllt ist. Kein Platz mehr für diese großen Pötte, für die Walkabout wird sich aber bestimmt noch ein Eckchen finden.

Zum Abend hin totale Flaute. Das Wasser ist glatt wie mit Öl begossen. Stundenlanges Motoren. Süd-setzende Strömung bremst. In der abendlichen e-mail von Henning erfahren wir, dass es im Lancaster Sound bereits heute mit 35 – 40 Knoten bläst. Wir hoffen, dass die Seabelle rechtzeitig in den Schutz gekommen ist. Nördlich von uns in 2-3 Seemeilen Entfernung erscheinen dicke Eisberge, zumindest auf dem Radar-Schirm, ansonsten nicht auszumachen. Immer noch dichter Nebel, Sichtweite nur 100 – 200 Meter. So langsam werde ich etwas trübsinnig. Es ist Sommer, es wird 24 Stunden nicht dunkel, aber wir haben seit einer Woche keine Sonne mehr gesehen. Außerdem machen mir die niedrigen Temperaturen zu schaffen. Ich habe das Gefühl, dass mir die Kälte jegliche Energie raubt.

Geweckt werde ich mit den Worten : „Ich sehe Kanada“. Na, das hebt die Stimmung. Cool ! 🙂 2019 sind wir zu Fuß auf dem CDT von den USA über die Grenze gelaufen. Und jetzt erreichen wir Kanada von Osten kommend mit dem eigenen Boot. Hört sich gut an, mein Frust von gestern ist vergessen. Tatsächlich hat sich der Vorhang gerade gelichtet und gibt den Blick frei auf die gewaltige Bergkette von Bylot Island. Vor uns sehen wir viel höhere Berge und viel mehr Schnee als in Grönland. Stellenweise kommt sogar die Sonne raus, lässt die Eisberge glitzern und die Gipfel leuchten. Fantastisch. 🙂 Die Kanadische Flagge wird gesetzt, darunter die gelbe Quarantäne-Flagge. Erik Harbour liegt an backbord querab, darüber haben wir gestern noch als möglichen Platz für die Nacht geredet. Aber besser nicht. Ein Gletscher mündet in den Fjord und füllt das Ende der Ankerbucht in seiner ganzen Breite aus. Der Wind legt plötzlich kräftig zu. Das war so nicht in der Vorhersage, aber damit muss man hier immer rechnen. Das Großsegel kommt herunter, nur mit der Genua sind wir flott unterwegs. Schnell baut sich eine hohe See auf, die Wellenkämme werden weiß, und damit sind Eisstücke noch schwieriger auszumachen. Thomas sichtet eine merkwürdige Erscheinung im Wasser. Es sieht aus wie ein Eisfeld, wird aber vom Radar nicht erfasst und ist im nächsten Moment wieder verschwunden. Unsere Fahrt wird immer rasanter. Entweder wird der  Wind hier im Schlauch kanalisiert, oder es treiben uns Fallwinde von den hohen Bergen vorwärts. Nicht so angenehm. Beide sind wir froh, als wir um 23.30 Uhr den Anker auf 5 Meter Wassertiefe versenken können. Die ersten 430 Seemeilen unserer Nordwest-Passage von Upernavik über die Baffin Bay sind geschafft.

Ein Kommentar zu “Baffin Bay – Upernavik bis Pond Inlet