Wir segeln und wandern durch die Welt

Pond Inlet

An der Nordküste von Baffin Island liegt Pond Inlet. Die Siedlung mit 1600 Einwohnern gehört zum Territorium Nunavut. Es gelten besondere Rechte für die dort lebenden Inuit, die ungefähr 93 % der Bevölkerung ausmachen. Baffin Island ist die zweitgrößte Insel der nördlichen Hemisphäre. Schon bei der Anfahrt sieht man die massiven mit Eis überzogenen Gipfel und spürt die frostige Luft. Der kleine Hafen soll 3 Monate im Jahr eisfrei sein, dieses Jahr vermutlich weniger, denn vorige Woche war hier noch kein Zugang möglich. Die Durchschnitts-Temperatur beträgt etwa 15° Minus, im Winter kann es durchaus 50° kalt werden. Bis zu 2 Meter dick liegt dann der Schnee über dem Ort, und das ein Dreiviertel Jahr lang. Ich möchte lieber nicht in der Kanadischen Arktis überwintern.

Unruhige Nacht, das Schiff rollt am Anker hin und her. Es regnet, der Himmel ist grau, und es will gar nicht richtig hell werden. Habe keine große Lust, nach draußen zu gehen. Insgesamt bin ich im Moment etwas sperrig und „gegen Alles“ eingestellt, denn ich wollte ja gar nicht nach Pond Inlet. Die Angaben im Buch und die im Reiseführer für Kreuzfahrer erwähnten „Sehenswürdigkeiten“ sind nicht besonders verlockend. Jammern nützt aber nichts. Wir müssen los und das Büro der Royal Canadian Mounted Police ( RCMP ) suchen, um uns in Kanada anzumelden.

Wir fragen einen Einheimischen nach dem Weg zur Polizei-Station. Der sitzt im T-Shirt auf der Veranda und putzt voller Hingabe sein Gewehr. Wirklich ein seltsames Bild, allein dafür hat sich der Gang durch den Regen gelohnt. Wir sind dick vermummt mit Jacke, Mütze und Handschuhen, heute noch mit Regenhosen und Gummistiefeln dazu. Der Mann bittet uns gleich herauf, und es entwickelt sich ein längeres Gespräch. Er scheint sich über die Abwechslung zu freuen, und auch für uns ist diese Unterhaltung mit einem Ur-Einwohner der kanadischen Arktis interessant. Ganz nebenbei erfahren wir, dass wir schon wieder eine Verschiebung der Zeitzone um 2 Stunden verpeilt haben.

Einchecken gestaltet sich relativ aufwändig. Zunächst stellen wir uns bei einer netten Polizistin vor und geben unsere Reisepässe ab. Eine weitere Dame in Uniform gibt die Daten in ihren Computer ein, danach wird mit irgendeiner Behörde telefoniert. Was machen die bloß so lange ? Ist aber eigentlich auch egal, wir haben viel Zeit. Das Wetter ist mies, so können wir wenigstens trocknen und uns aufwärmen. Zoll und Immigration werden angerufen, damit sie uns abfertigen können. Die erscheinen kurze Zeit später zu Dritt und stellen viele Fragen nach Reisezweck und Ziel, geplanter Dauer des Kanada-Aufenthaltes. Wir bekommen eine Belehrung über die Alkohol-Problematik. Ja, wissen wir, das ist allgemein bekannt und überall nachzulesen. Im Territorium Nunavut herrscht die „Null Toleranz – Politik“. Alkohol darf nicht verkauft werden. Offensichtlich angetrunkene Personen dürfen z.B. den Supermarkt nicht betreten und müssen des Grundstücks verwiesen werden. Wie viel Alkohol haben wir auf dem Schiff ? Fast gar nichts mehr, es ist alles weg. 😉 Zigaretten ? Drogen ? Tiere ? Weitere Personen an Bord ? Die Prozedur dauert ungewöhnlich lange. Wir beschäftigen mit unserer Anmeldung gleich 5 Leute von Polizei, Immigration und Zoll. Vielleicht sind die auch froh, dass es endlich etwas zu tun gibt, weil sonst nicht viel passiert im Dorf. Anschließend müssen wir ein Formular ausfüllen und darin die Daten unseres Gewehrs angeben, unter anderem eine Seriennummer. Die wissen wir nicht, also noch einmal zurück zur Walkabout. Die Knarre haben wir natürlich nicht dabei, nur ein paar Fotos auf dem Handy. Mit Eintragung der Seriennummer und nach Zahlung einer Gebühr von 25,- Kanadischen Dollar wird Thomas als rechtmäßiger Benutzer registriert. Damit darf er jetzt ganz legal mit der Waffe herumlaufen. Verrückt.

Die Herrschaften vom Zoll sind anfangs sehr diensteifrig und wollen unbedingt das Boot inspizieren. Wir haben nichts zu verbergen, die dürfen gerne kommen. Aber der Weg auf die Walkabout ist unbequem und könnte nass werden. Wir haben kein schickes Schlauchboot, sondern nur das wackelige Banana-Boot, welches uns seit 2011 gute Dienste leistet. Außenbord-Motor gibt es nicht, bei uns muss gepaddelt werden. Die Vorstellung, das Dingi bei Schwabbelsee mit 4 erwachsenen Personen bis zum Ankerplatz der Walkabout zu bringen, erheitert uns. Nach Sichtung der Lage nehmen die Offiziellen jedoch Abstand von einer gründlichen Untersuchung und verzichten auf das Abenteuer. 😉 So sind wir wieder einmal als „unverdächtig“ eingestuft worden und hätten ALLES schmuggeln können. Alkohol, Drogen, Menschen, Tiere. Sigurd und Johanna erzählen uns, dass die Thindra 20 Minuten lang vom Zoll durchsucht wurde. Dabei durfte die Crew nicht anwesend sein, sondern musste an Land warten. Seabelle liegt zusammen mit zwei anderen Segelbooten sicher in der Arctic Bay. Alles wartet darauf, dass sich das Nadelöhr Bellot Strait öffnet.

Bergauf stapfen wir durch den Matsch zum Einkauf im Co-Op. Witzig : Kaffee gibt es gratis für über 60- jährige Menschen. In Kanada und in den USA bekommen wir inzwischen bereits Seniorenrabatt. 😉 Kartons mit Cola sind gerade im Super-Sonder-Angebot. Das nehmen wir doch gerne mit, denn eine Dose pro Person gönnen wir uns während jeder Nachtwache. Die Kassiererin weist uns darauf hin, dass das MHD bereits abgelaufen ist, deswegen der günstige Preis. Soll uns egal sein, die Cola schmeckt trotzdem noch. Das Lesegerät für Bezahlung mit Kreditkarte funktioniert nicht. „Internet broken“ sagt die Dame an der Kasse entschuldigend. Wundert uns jetzt nicht besonders hier in einem Dorf am Rande der Welt. Wir haben vorgesorgt und genug Kanadische Dollar in bar mitgenommen.

In Pond Inlet findet man keine betonierten Straßen, denn der Permafrost würde das Pflaster gleich wieder zerstören. Im Sommer nach dem Auftauen gleicht der Ort einer Schlammwüste. Kinderwagen werden offensichtlich nicht benutzt, damit würde man auch nicht weit kommen. Babys und Kleinkinder werden im Tuch auf dem Rücken getragen. Das ist ein ungewohnter Anblick, aber es sieht sehr praktisch aus, und die Kleinen fühlen sich offensichtlich wohl.

Auf dem Rückweg hält ein Wagen an, darin sitzt ein junges Paar aus dem Ort. Ob wir mitfahren möchten ? Ja klar, gerne. Der Weg durch den Schlamm ist nicht attraktiv, und der Einkauf ist schwer. Wir werden bis zum Hafen gebracht, wo wir unsere Sachen im Dingi verstauen und uns dann gleich auf den Weg machen zum Besucherzentrum. Dort gibt es eine Präsentation für die Segler, die demnächst in Tay Bay stoppen möchten. Diese Ankerbucht liegt im Sirmilik Nationalpark. Man braucht eine Genehmigung und muss eine Gebühr entrichten, wenn man dort übernachtet. In Tay Bay soll es eine hohe Population an Polarbären geben. Vieles ist uns schon bekannt, dennoch hören wir diesem interessanten Vortrag gerne zu. Am besten gefällt uns die Begeisterung des Nationalpark Rangers, der mit leuchtenden Augen über sein Revier erzählt. 🙂

Am späten Nachmittag kommt Bewegung in die Boote. Ein oder zwei Segler machen sich auf den Weg, bevor der nächste Starkwind kommt. So wird Platz an der Kaimauer frei, dadurch können wir aufrücken. Der Ankerplatz vor dem Strand ist unruhig, da rutschen die Tassen auf dem Tisch. Außerdem brauchen wir Diesel, dafür müssten wir sowieso an die Kaimauer verholen. Die Thindra wird morgen ein Stück weiter bis zur Tay Bay segeln, deswegen möchten sie ganz außen liegen. Das gibt ein lustiges Boots-Mikado, bis alle an einem neuen Platz festgemacht haben. Wir möchten einen Kreis fahren und unser Schiff drehen, damit es mit dem Bug im Wind liegt. Es herrscht Niedrigwasser, das Wasser im Hafen ist flach. Viel Platz ist da nicht. Mehrmals setzt die Walkabout auf, aber in Zeitlupe und auf Sand passiert da gar nichts. Wir machen die Leinen nach der Umsortierung in der dritten Reihe neben „Hayat“ fest, die ebenfalls durch die Nordwest-Passage fährt. Ganz außen liegt „NuliaJuk“, ein ehemaliges Fischerboot. Inzwischen gehört die NuliaJuk der Regierung von Nunavut und wird im Norden Kanadas als Mehrzweck-Forschungsschiff eingesetzt.

Abends wird das Wetter etwas besser. Beim Spaziergang am Strand entlang staunen wir über die vielen Schlitten, die hier abgestellt sind. Verschiedene Formen und Größen, unterschiedliche Verwendungszwecke. Es gibt sogar „Reiseschlitten“ mit zwei Aufbauten aus Sperrholz. Damit fahren ganze Familien zum Angeln oder in die Sommerfrische. Schutz und Unterkunft haben sie so immer dabei. Nach diesem Strand-Abschnitt folgt ein gruseliges Stück, das mich an den „Friedhof der Kuscheltiere“ erinnert. Überall liegen tote Robben, Überreste von Walen, Knochen, Schädel, Felle, Skelette von Walrossen, verwesendes Fleisch von Irgendwas. Man muss höllisch aufpassen, dass man nicht auf etwas Weiches tritt. Igitt ! Ich glaube, mir wird schlecht. Mehr als ein Dutzend Schlittenhunde lungern am Strand herum. Die werden anscheinend mit den Resten dieser Kadaver gefüttert. Andere Länder, andere Sitten, das muss ich nicht schön finden.

Wir laufen weiter entlang der Küste, und das deprimierende Bild ändert sich. Weniger Müll und tote Tiere, dafür grüne Wiesen. Wir sehen zwei Zelte entlang des Strandes, außen mit vielen Gegenständen des täglichen Lebens umgeben, aber zur Zeit offensichtlich unbewohnt. Immer mehr Zelte in unterschiedlichen Variationen tauchen auf. An diesem Abschnitt befindet sich offensichtlich das Sommer-Camp der Inuit.

Eine Fahrspur im Matsch führt vermutlich zurück nach Pond Inlet. Wir probieren diese Variante für den Heimweg. Ein Auto kommt uns entgegen und hält an. Der Opa am Steuer heißt uns herzlich willkommen in Kanada. Er möchte wissen, woher wir kommen, wohin wir gehen, wie wir heißen, ob wir verheiratet sind. 😉 Daneben sitzt ein junger Mann, der ebenfalls sehr interessiert ist. Großvater Kent und sein Enkel Polusi sind unterwegs auf ihrer abendlichen Spritztour. Ob sie unser Boot besichtigen dürfen ? Warum nicht. Wir sollen einsteigen, der Wagen dreht, zusammen fahren wir zum Hafen. Beim Aussteigen bekomme ich einen gehörigen Schrecken. Der Opa braucht einen Krückstock zum Gehen. Der wird doch wohl nicht …. ? Man muss über zwei Boote klettern, um auf die Walkabout zu gelangen. Zwischen der Kaimauer und NuliaJuk klafft bei aktuellem Wasserstand ein Spalt von ca. 1 Meter Breite. Dahinter liegt die Hayat, und erst dann kommt die Walkabout, also muss man noch zwei weitere Male über die Reling steigen. Insgesamt ist jetzt bei Niedrigwasser ein Höhenunterschied von etwa 3 Metern zu bewältigen. Großvater Kent ist klug. Er besieht sich die Sache und schüttelt dann den Kopf – sehr zu unserer Erleichterung. Nein, er möchte diese Kletterpartie zum Glück nicht wagen. Aber sein Enkel darf mitkommen zur Boots-Besichtigung, während Opa im Auto wartet. Polusi ist voller Begeisterung dabei. Leuchtende Augen, er ist hin und weg. Im Gegensatz zu den üblichen Sperrholz-Hütten und mit Fellen bedeckten Zelten der Inuit kommt ihm unser bescheidenes Einraum-Boot vermutlich vor wie ein Luxus-Appartement.

Während unseres Spazierganges hat ein weiterer Segler nebenan festgemacht. Die „Arctic Solitaire“ ist das 4. Boot in unserem Päckchen. Paul lebt in den USA. Er ist von Neufundland gekommen und hatte eigentlich den Plan, Devon Island zu besuchen. Dieses Jahr hat er sein Ziel nicht erreicht, weil das Eis an der Küste zu dick war und ihn nicht durchgelassen hat. Jetzt segelt er zurück nach Neufundland, und das ganz alleine.

Abends muss ich zugeben, dass es insgesamt doch ein guter Tag war. Trübes Wetter und ein hässlicher Ort, trotzdem gar nicht langweilig. Es steht und fällt mit den Menschen, die wir treffen. Nette Kontakte zu den Einheimischen und gute Gespräche sind das Salz in der Suppe. Außerdem haben wir eine tolle Segler-Gemeinschaft um uns herum, für die alleine sich der Weg schon gelohnt hat. Das sind ganz besondere Menschen, die alle dasselbe Ziel haben.

Frühes Aufstehen am Dienstag, weil der Wecker klingelt. Das ist ganz ungewohnt. Der Tankwagen ist bestellt und kommt pünktlich. Es klappt reibungslos. Diesel ist teurer als in Grönland, aber immer noch gut bezahlbar. Dafür kosten 1,5 Kilo Kartoffeln im Co-Op umgerechnet 7,- Euro. Einmal in der Woche kommt ein Versorgungsschiff, sofern der Hafen zugänglich ist. Anlegen ist an der kleinen Pier nicht möglich, zum Entladen wird ein kleineres Boot eingesetzt. Den größten Teil des Jahres erfolgt die Versorgung mit Waren per Flieger. Hohe Preise sind aufgrund der komplizierten Belieferung also absolut gerechtfertigt. Die neuesten Eiskarten zeigen eine positive Entwicklung. Das Eis in der Bellot Strait ist fast ganz weg und macht endlich den Weg frei. Allerdings besteht inzwischen eine Sturm-Warnung für den Lancaster Sound. Nach mehrmaligem Durchspielen aller Wettermodelle und Beratung mit den anderen Seglern steht fest, dass wir wohl noch ein paar Tage festhängen werden. Diesmal nicht wegen Eis, sondern wegen zu viel Wind. Niemand möchte in einen arktischen Sturm geraten. Die Arktis ist kein Kinderspielplatz, dieses Gebiet ist unerbittlich.

Wir suchen und finden das einzige Hotel im Ort. Eine Dusche wäre fein ( und dringend nötig ). Außerdem würden wir uns über eine Stunde Rumdaddeln im Internet freuen. Unser schlaues Buch sagt dazu : „Fragt im Hotel nach Dusche und WLAN“. Okay, das machen wir. Leider bieten sie diesen Service für Segler nicht mehr an. Sehr schade. Nun hält uns nichts länger in Pond Inlet. Die Leute vom Forschungsboot ganz außen haben angekündigt, dass sie gegen Mitternacht ablegen möchten. Deswegen machen wir schon am späten Nachmittag die Leinen los und kehren wieder an unseren bewährten Ankerplatz zurück. Abends pfeift der Wind im Rigg, sehr viel Wind und mehr als angesagt. Die Walkabout schaukelt ordentlich. Aber es bläst ablandig, der Ankergrund besteht aus Sand, Ankeralarm ist eingestellt. Kein Grund zur Sorge. Wir liegen auf 5 Meter Wassertiefe. Die großen Eisberge können uns nicht gefährlich werden, denn die würden vorher festsitzen. Morgen möchten wir im Schutz der Inseln ein kleines Stück weitersegeln bis Cape Hatt.

Zack – schon wieder ist ein Tag um ! 

Ein Kommentar zu “Pond Inlet

  1. Rainer Huenerfauth

    Schon ma Kanada, Glueckwunsch. Und weiter so. Ihr seid schon wieder unterwegs kann man auf Predictwind sehen. Viel Spass weiterhin und gutes Gelingen.
    Liebe Gruesse aus Down Under.
    Die meerbaeren