Am Sonntag, den 30.07., verlassen wir Sisimiut. Schade eigentlich. Dieses Städtchen ist wirklich schön, man könnte es hier gut länger aushalten. Aber so langsam läuft uns die Zeit davon, weil der Wind an Grönlands Westküste selten passend ist. Wir haben zwar keinen festen Termin, aber doch ein sehr knappes Zeitfenster für unser Vorhaben. Zu viel Bummelei können wir uns nicht erlauben. Deswegen möchten wir uns weiter hoch nach Norden bewegen, um am Startpunkt bereit zu sein, wenn sich das Eis in der Baffin Bay öffnet.
Am Tank-Steg ist eine Menge los. Links und rechts von uns legen kleine Motorboote an, um für den Wochenend-Ausflug zu tanken. An den kleinen Flitzern hängen Außenborder mit 225 PS. Auf der Walkabout arbeitet ein Motor mit 36 PS. Wir sind nicht das schnellste Boot im Rennen. 😉
Anfangs ist es diesig, später umhüllt uns dichter Nebel. Wir haben einen Eisberg im Umkreis von einer halben Seemeile, das ist der erste seit längerer Zeit. Kalt ! Die Temperatur im Deckshaus bewegt sich im 1-stelligen Bereich. Viele Untiefen zu beiden Seiten der Kurslinie, außerdem liegen ein paar Steine im Weg und ein Wrack. Stellenweise sehr starke Strömung, es zieht uns mal nach Osten, dann wieder nach Westen. Magnetische Abweichung bei 40°, die ist für uns aber nicht relevant, da wir keinen elektrischen Autopiloten haben. Nachts bei 5° Celsius vier Stunden im Steuerhaus sitzen ist gar nicht gemütlich, da zieht die Kälte trotz Faserpelz und 3 Paar Handschuhen übereinander bis in die Knochen.
Auch tagsüber klettert die Temperatur nicht viel höher. Grauer Himmel, ein bisschen Regen, der sofort auf den Scheiben gefriert. Putzige Seerobben lassen sich auf dem Rücken treiben und beobachten uns. Die schwarzen Köpfe tauchen flink unter Wasser, wenn wir uns nähern. In der Ferne ist der Blas von einem Wal zu sehen. Die Höhe der Fontäne lässt auf ein größeres Exemplar schließen, aber man kann nichts weiter von ihm sehen.
Wir kommen an einem gestrandeten Eisberg vorbei und fahren dicht heran. Er sitzt fest auf einem blauen Flecken, der in der Seekarte mit 10 Metern Tiefe angegeben wird. Wir schätzen die Höhe des weißen Riesen auf 80 – 100 Meter. Der wird hier nie wieder wegkommen, außer er zerbricht in Einzelteile oder schmilzt in der Sonne. Drumherum gibt es einige Felder mit Eisschollen und kleineren Brocken, die wir relativ leicht umfahren können. Von nun an sehen wir immer mehr Eisberge zu beiden Seiten. Das wundert uns jetzt nicht, kommen wir doch der Disko Bucht und dem Eisfjord von Ilullisat immer näher.
Unser Ziel ist Aasiaat, auf einer Insel an der Südküste der Disko Bucht gelegen. Sehr geschützt durch ein Labyrinth an Inseln, allerdings auch etwas schwierig in der Anfahrt.
Im Hafen von Aasiaat ist kein einziger Mast zu sehen, kein Segler weit und breit. Wieder gibt es nur Fischerboote an der Kaimauer und die kleinen Motorflitzer im flacheren Wasser. Nach 30 Stunden sind wir 140 Seemeilen weiter Richtung Norden.
Morgens beim Aufstehen zeigt das Thermometer 7° im Salon. Man möchte eigentlich viel lieber in der Koje liegen bleiben, aber gemeinsam schaffen wir es. 😉 Nur zwei Fischerboote zwischen uns und der Kaimauer, das Von-Bord-Kommen ist also erfreulich leicht. Eine Schubkarre voll mit rohem Fleisch steht am Steg der Einheimischen. Riesige Stücke dunkles Fleisch mit Knochen so groß, wie ich sie noch nie gesehen habe. Das kann sich ja eigentlich nur um einen zerlegten Wal handeln. Niemand in der Nähe, den wir fragen können.
Der Ort Aasiaat hat 3000 Einwohner, ist also ziemlich überschaubar. Hier sehen wir die ersten Glas-Container und Sammelbehälter für Verpackungen, Kunststoff, Dosen. Das ist ja richtig fortschrittlich. Hoffentlich gibt es bald mehr davon. Leider ist Grönland in Sachen Müll-Sortieren sehr hinter dem Mond. Wir suchen die Polizei-Station zum Abmelden. Die ist nur wenige Stunden am Tag geöffnet, und die Zeit passt gerade. Eigentlich muss das hier noch gar nicht sein, aber wenn wir ausgecheckt haben, dann sind wir freier in unseren Entscheidungen. Eine Sekretärin und eine Polizistin besetzen die Wache. Die Dame in Uniform ist deutscher Abstammung, in Grönland geboren und mit einem Schweizer verheiratet. Was für eine interessante Mischung – auf jeden Fall die erste Person in Grönland, die mit uns deutsch redet. Und freundlich sind sie, wie alle Menschen, mit denen wir in Kontakt kommen.
Der Tag bleibt neblig trüb und verlockt nicht zu einem längeren Spaziergang durch die Stadt. Deswegen starten wir bereits am Nachmittag auf die nächste Etappe. Kaum haben wir abgelegt, da nimmt die Eisdichte zu. Der Ilulissat-Eisfjord ist ganz nah, voller Eisberge, die vom Sermeq Kujalleq kalben. Das ist der sich am schnellsten bewegende Gletscher der Welt (40 Meter pro Tag). Der Sermeq Kujalleq ist 6 Kilometer breit und ungefähr 55 Kilometer lang. Er grenzt direkt ans Inlandeis und produziert 10% aller Eisberge in Grönland, die ihren Weg dann durch den Fjord in die Disko Bucht nehmen. Um die Inseln herum sitzen etliche gestrandete Eisberge fest. Da bewegt sich gar nichts mehr, deren Reise ist am flachen Uferrand zu Ende. Manchmal kippen kleinere Growler wie in Zeitlupe mit einem lauten „Platsch“ um und verursachen eine Welle.
Unser Versuch, den Ofen auch während der Fahrt auf kleiner Flamme brennen zu lassen, scheitert leider. Es dauert keine 10 Minuten, da ist der Ofen ausgegangen und die ganze Bude voll mit beißendem Qualm. Wird wohl nichts mit der Gemütlichkeit unterwegs, wir müssen weiter frieren oder noch etwas mehr anziehen. Mein Problem dabei ist nur, dass ich mich mit so viel dicken Klamotten kaum bewegen kann. Auch der Gang zur Toilette wird mit jeder weiteren Schicht lästiger. Inzwischen schlafen wir mit Faserpelz ( genannt „Strampelanzug“ ) im Daunen-Schlafsack, darüber die Bettdecke ( genauer gesagt zwei zusammengenähte Bettdecken ) und eine zusätzliche Wolldecke drüber. Mit Mütze und Handschuhen ins Bett, Wärmflasche für die Füße nicht vergessen ! Wir können immer noch auftoppen, denn unsere Überlebens-Anzüge sind bisher nicht in Gebrauch gewesen. Gegen 18.00 Uhr klart es auf. Die Flanken der Eisberge leuchten in der Sonne. Auch hinter den flachen Inseln glitzert es überall weiß. Eisberge in bizarren Formen treiben um uns herum. Man braucht nicht viel Fantasie, um irgendwelche Figuren zu erkennen. Schönes Licht zaubert eine tolle Abendstimmung.
Ruhige Nacht. Segeln leider unmöglich, der Motor muss schon wieder ran. Einmal westlich um die Disko Insel herum und dann stramm nach Norden, so ist der Plan. Um 9.30 Uhr heißt es plötzlich „Maschine Stopp“. Die Temperatur ist angestiegen, hinten kommt kein Kühlwasser heraus. Da stimmt etwas ganz gewaltig nicht. 🙂 Die Motorkühlung ist ausgefallen. Es passiert zum Glück zum richtigen Zeitpunkt. Null Wind, die See ist spiegelglatt. Sogar die Eis-Konzentration hat abgenommen. Mechaniker Müller schaut sich die Sache an und weiß sofort, was los ist. Ein Problem, welches wir schon einmal hatten, deswegen ist der Fehler schnell gefunden. Der Käpt’n kennt seinen Motor ziemlich gut. Eine Schraube außen am Pumpengehäuse ist abgebrochen, ein kleines Stück davon steckt noch im Kamm-Gewinde. Wir haben eine Ersatzpumpe an Bord, aber die hat eine größere Fördermenge. Ob man die so einfach austauschen kann ? Thomas bastelt. Mit einer Messing-Gewindeschraube und zwei Muttern wird der Kamm befestigt. Die Reparatur gelingt. 90 Minuten später läuft der Motor wieder mit Kühlwasser. Eine Anfrage per e-mail an den Motor-Fachmann unseres Vertrauens bezüglich der Ersatzpumpe wird binnen einer Stunde beantwortet. Klasse ! Toller Service. Liebe Grüße in die Oderstraße. 🙂
Im Frühjahr 2021 hatte Marc in La Restinga ein paar Löcher im Rumpf der Walkabout geschweißt. Super Arbeit ! Jetzt schickt er uns regelmäßig die neuesten Eiskarten. Auch das ist eine große Hilfe. 🙂 Henning vom Kompetenzzentrum Hamburg verfolgt weiterhin unsere Route. Der weiß immer genau, wo wir sind. Er schaut nach dem Wetter und neuerdings auch nach Eis. Wir sind froh darüber, dass wir so gute Leute mit im Boot haben. 🙂
Herzlichen Dank an Alle !
Wir haben die schneebedeckten Berge der Disko Insel hinter uns gelassen. Dort leben auf einer Gesamtfläche von 8600 Km² nur 850 Menschen. Schwer vorstellbar, diese Einsamkeit. Bei uns ist auch nichts los während der Nacht, nur ein Fischerboot, das mich mehrere Stunden ärgert. 45 Meter lang, also viel stärker als wir. Fischer bei der Arbeit mit Schleppnetzen erfordern ständige Aufmerksamkeit. Ungefähr 15 Seemeilen lang habe ich immer wieder den Kurs geändert, bin ausgewichen und habe dem signalisiert, dass wir Platz machen. Als wir schon beinahe mit ausreichend Abstand vorbei sind, da dreht das Fischerboot und richtet seinen Bug wieder genau auf die Walkabout. Grrrr. 🙁 Was rege ich mich überhaupt auf ? Thomas wäre einfach auf Kurs geblieben und ohne Stress weitergefahren, da wäre bestimmt auch nichts passiert.
Und auf einmal sind sie wieder da ! Auf Höhe von Kap Cranstown treiben Eisberge zu allen Seiten um uns herum. Zumindest zeigt das der Bildschirm vom Radar an. Man sieht draußen gar nichts. Slalom-Fahren im Nebel. Wir befinden uns jetzt in der Baffin Bay, wo es noch breite Gürtel von Packeis gibt. Der Weg nach Westen ist in großen Bereichen blockiert, da gibt es kein Durchkommen für unsere kleine Walkabout. Also warten wir weiter und üben uns in Geduld. Mittags fahren wir knapp an einem rot eingekreisten Flecken vorbei. „Explosiv“ steht in der Seekarte, keine näheren Erläuterungen. Wir fragen uns, was das wohl sein könnte.
Später am Tage frischt der Wind auf und kommt von vorne. Das ist doch wie verhext hier. Wind steht gegen den West-Grönland-Strom. Es bilden sich steile, hackige Wellen mit Schaumkronen. Schon wieder werden wir ausgebremst. Die letzten 70 Seemeilen werden länger dauern. Hart am Wind kreuzen wir gegenan, der Kurs nicht optimal, Geschwindigkeit lässt auch zu wünschen.
Auf einmal wird es spannend. Auf dem Plotter geht der AIS-Alarm los. Der Bildschirm zeigt einen Konvoi von Frachtschiffen, drei rote Pfeile in Reihe, die inzwischen als „gefährliches Schiff“ eingestuft werden. Kollisionskurs. Jedes hat 230 Meter Länge, aber der Nebel ist so dicht, dass ich keins sehen kann. Die gehören eindeutig zusammen, selbst die Namen ähneln sich. Fahren dicht hintereinander und kommunizieren bei jeder Änderung von Kurs oder Geschwindigkeit über Funk miteinander. Ich hoffe mal, dass die aufmerksam sind und uns sehen. Dann kann man eigentlich davon ausgehen, dass die Frachter ihren Kurs geringfügig ändern, damit wir gut aneinander vorbei kommen. Ist ja für die nur ein Schnipp mit dem kleinen Finger, während ich unter Segeln gerade nicht so einfach ausweichen kann. Aber nichts passiert, die fahren ihren Kurs einfach weiter. Begegnung in einer Stunde in weniger als einer Viertel Seemeile Entfernung – das ist mir entschieden zu wenig. Wir fahren eine Wende.
Der Weg entlang der Küste nach Norden ist mühsam. Aber die Kulisse ist wirklich traumhaft. Was für eine wilde Landschaft ! Die Berge sind hier im Norden noch deutlich höher und imposanter als im Süden. Kein Grün zu sehen, nur schroffes Gestein. Senkrechte Felswände, die steil ins Wasser abfallen. Wir pirschen uns näher heran und versuchen, eine Beilage für’s Abendessen zu fangen. Komische Wasserhühner schwimmen um uns herum, die haben wir vorher noch nirgends gesehen. Kein Angel-Glück. Thomas holt nacheinander 3 Seeskorpione aus dem Wasser. Nicht immer denselben, sondern in unterschiedlichen Größen. Nein, die möchten wir nicht essen. Sie werden sofort wieder in die Freiheit entlassen.
Ankunft 18.00 Uhr in Upernavik, einem Ort mit 1100 Einwohnern. Hübsch am Hang gelegen, die bunten Häuschen leuchten in der Sonne. Eine Stunde vor Niedrigwasser haben wir beim Anlegen 2,40 Meter unter dem Kiel. Der Tidenhub liegt hier bei 2 Metern, die Walkabout braucht 1,70 Meter. Wir können den Grund sehen, offensichtlich sandiger Boden, keine Steine. Sollte passen. Gleich nach dem Festmachen bekommen wir Besuch. Oben an der Kaimauer steht eine Frau, die sehr interessiert ist und eindeutig zum Plaudern aufgelegt ist. Sie lädt uns für abends zum Tanzen im Dorf ein, aber ich glaube, das lassen wir lieber. 😉 Ein Junge und ein Mädchen möchten gerne zu uns an Bord. Die Spundwand ist zu hoch, deswegen holt Thomas eine Leiter aus der Backskiste, damit die Kinder herunterklettern können. Denen gefällt es offensichtlich auf der Walkabout. Nach einer ausgiebigen Boots-Besichtigung werden die Zwei richtig heimisch. Viola hat nicht ganz so viel Ausdauer und verschwindet nach einer halben Stunde. Ihr Bruder Alexander bleibt länger, er schaut in alle Ecken und will alles genau wissen. Ich bin erleichtert, als sein Telefon klingelt und er nach Hause zitiert wird. Es dauert aber gar nicht lange, da ruft es erneut von oben. Viola und Alexander stehen bereit für die nächste Runde auf dem Abenteuer-Spielplatz. Ein Apfel, ein Glas Saft, ein Bonbon später….. Was ist dies ? Was ist das ? Die bekommen einfach nicht genug.
Kaum haben wir Alexander und Viola hinaus komplimentiert, da meldet sich der nächste Besuch an. Drei Mädels würden sich gerne das Boot angucken. Natürlich dürfen sie auch noch kurz an Bord, setzen sich brav im Salon an den Tisch und trinken ihren Saft. Nette Mädels, höflich und zurückhaltend. Die sind zum Glück nicht so wild wie die Geschwister vorhin, aber trotzdem wird es mir nach einer Weile zu anstrengend. Immerhin waren wir 3 Tage und Nächte unterwegs, ich bin müde. Wirklich liebe Mädchen. Eva und ihre Cousinen sind angenehme Gäste, sie verlassen uns bei der ersten Aufforderung. Aber um 21.00 Uhr steht Alexander schon wieder an der Kaimauer. Diesmal möchte er einem Freund unser Boot zeigen. Oh nein ! Heute nicht mehr, wir haben Feierabend. Thomas muss mehrmals nach draußen gehen und den Jungen in die Schranken weisen. Endlich hört das Geschrei über uns auf, und es kehrt Ruhe ein.
Der Wasserstand ist in der Nacht bis auf 1,70 Meter gefallen. Passt die gerade. Mussten nur einmal die Leinen verlängern, damit sich das Boot nicht aufhängt. 😉
Morgens früh beim Kaffee hören wir eine bekannte Stimme rufen. Alexander ist wieder da. Diesmal mit mit seiner Mutter, die auch gerne unser Boot besichtigen würde. Wir möchten gerne den Ort erkunden und haben einige Dinge zu erledigen. Unser Dorf-Rundgang findet zu Viert statt. Am Geländer eines Balkons hängt der Kopf eines Moschusochsen, noch mit ordentlich Fleisch und Fell dran. Sehr befremdlich, ich find’s eklig. Wie kommt man bloß dazu, sich so ein stinkendes Ding vor die Tür zu hängen ? Anscheinend ist das eine Trophäe, die den Nachbarn zeigen soll, was für ein guter Jäger im Haus wohnt.
Bemerkenswert ist der Friedhof mitten im Ort. Schlichte weiße Holzkreuze, kein Grabschmuck, keine Blumen. Viele Kinder sind bereits in sehr jungen Jahren gestorben, auch das Durchschnittsalter der Erwachsenen ist nicht hoch. Das zeigt wieder einmal mehr, wie hart die Lebensbedingungen für die Menschen in der Arktis sind. Irgendwann verabschiedet sich die Mutter, aber Alexander werden wir nicht mehr los.
Anker auf um 19.00 Uhr. Die Zeit spielt keine Rolle, weil es die ganze Nacht hindurch hell ist. In Mittel-Grönland geht die Sonne von Ende Mai bis Ende Juli nicht unter. Mitten in der Nacht spielen Kinder auf der Straße. Kleine Motorboote tuckern aus dem Hafen hinaus. Gruppen von Menschen sitzen hier und da auf den Bänken und genießen das gesellige Leben. Es wird gegrillt wie anderenorts im Sommer auch. In den kleinen Siedlungen herrscht bis spät in die Nacht Leben. Wir möchten in eine nur 10 Seemeilen entfernte Ankerbucht verholen. Draußen treiben große Eisberge mit der Strömung nach Norden. Im Fjord schwimmen viele Growler herum, in einem Seitenarm scheint eine Eis-Barriere über die ganze Breite zu blockieren. Die Luft ist klirrend kalt. Imposante Steilwände ragen zu beiden Seiten fast bis in den Himmel. Unser Weg durch den Fjord wird immer enger, Wassertiefe 80 bis 100 Meter. Es wird etwas unheimlich …. Wo soll man denn hier ankern ? Plötzlich endet der Fjord in einer gut geschützten Bucht. Dort liegen bereits die Ugly Betty, das Ruderboot Hermione, Seabelle, Thindra und zwei weitere Segler. Alle möchten dieses Jahr in die Nordwest-Passage, je früher, umso besser. Sie warten darauf, dass sich die geschlossene Eisdecke in der Baffin Bay auflöst. Auch wir gesellen uns dazu. Wir sind nicht zu spät. Wir sind zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Upernavik wäre der Startpunkt, um den Bug nach Westen zu richten, aber bisher ist noch kein Durchkommen. Wir geben uns eine weitere Woche Zeit. Wenn sich das Eis bis dahin nicht öffnet, dann drehen wir um. Wir sind privilegiert, wir können das Vorhaben für dieses Mal aufgeben und es in einem besseren Jahr erneut angehen. Also vielleicht entlang der Westküste zurück Richtung Süden fahren und Plan B, C oder D aktivieren. Zu spät möchten wir nicht in die Nordwest-Passage, denn wir haben keine Lust auf die bösen Herbststürme im Oktober.
In der Ankerbucht werden wir mit lauten Tuten vom Horn, Winken und Rufen begrüßt. Am Ufer spielen zwei Polarfüchse. Einer ist dunkelbraun, der andere trägt noch sein helles Winterfell. Das sind bisher die einzigen wild lebenden Säugetiere, die wir in Grönland sehen. Zu kalt, zu karg, zu lebensfeindlich ist diese Landschaft.
Nachts um 1.30 Uhr gibt es ganz großes Kino. Die Ugly Betty bekommt Stress mit einem Eisberg, welcher sich in unseren Fjord verirrt hat. Der hat angeklopft und liegt jetzt direkt vor ihrem Bug. Zwei unerschrockene und dick eingepackte Männer steigen ins Beiboot. Stark motorisiert, mit ihren vielen Pferdestärken und Eis-Poles schaffen sie es, den Eisklotz an die Seite zu schieben. Das ist natürlich keine Garantie für eine ruhige Nacht, denn er könnte genauso mit der Strömung wieder zurück driften, wenn die Tide kentert. Anschließend kommt das Dingi zu uns, die Männer fragen, wie viel Wassertiefe das Echolot anzeigt. Wir liegen zwar in der Gefahrenzone, aber der Eisberg wird wahrscheinlich nicht bis zur Walkabout treiben, sondern vorher auf Grund festsitzen. Sehr beruhigend. Die Ugly Betty ankert tiefer, die bleiben in Alarm-Bereitschaft. Auch die Crew von der Thindra macht noch unangenehme Bekanntschaft mit diesem Eisklotz. Sie haben etwa 12-15 Meter Wassertiefe unter dem Kiel. Das Eis kommt ihrem Boot gefährlich näher, und dann setzt sich der Koloss über deren Ankerkette. Aufmerksam Wache gemacht, gut reagiert. Durch geschicktes Manövrieren haben sie den größten Schaden abgewendet. Es hätte leicht das Ankergeschirr kosten können.
Am nächsten Morgen macht sich die Ugly Betty mit den Ruderern längsseits im Schlepp auf den Weg. Zwei weitere Segelboote verlassen die Bucht, so dass wir uns den Ankerplatz nur noch mit der Seabelle und der Thindra teilen. Wir lassen unser Dingi zu Wasser und machen einen Landausflug. Es ist ein gutes Gefühl, mal wieder die Hiking-Schuhe anzuziehen. Der Himmel ist klar, die Sonne scheint. Tolle Wanderung über die Berge, wo gerade erst der Schnee geschmolzen ist. Bei der Bewegung kommen wir tatsächlich ins Schwitzen, an Land ist es deutlich wärmer als auf dem Boot. Abends sind wir bei Sonia und Calin zum Dinner eingeladen. Lecker Essen und sehr nette Runde. 🙂
Upernavik soll unsere letzte Station in Grönland sein. Diese Insel aus Granit-Gestein liegt nördlich des 72. Breitengrades und ist der Startpunkt für die Nordwest-Passage. Eine gute Adresse für Dusche, Waschmaschine und Trockner finden wir in Gina’s Gästehaus. Sie ist eine Philippinin, die bereits seit 28 Jahren in Grönland lebt. Eine quirlige Frau voller Energie, gleichermaßen fleißig und redselig. Natürlich ist sie auch Geschäftsfrau, wir zahlen den stolzen Preis von 200,- Dänischen Kronen für ihren Service. Wert ist es das auf jeden Fall, wir sind froh darüber. Wahrscheinlich ist es die letzte Gelegenheit für eine Komplett-Reinigung für längere Zeit. Es gibt gute Unterhaltung, Kaffee und Königskrabben ( zum Frühstück 😉 ) gratis dazu.
Dann folgt noch ein letzter Einkauf im Supermarkt, um die übrig gebliebenen Dänischen Kronen unter die Leute zu bringen. In Zukunft werden wir in Kanada Dollar bezahlen. Nachmittags ist Alexander schon wieder da. Auf dem Fischerboot neben uns brummt den ganzen Tag ein Generator, und die Funke plärrt, obwohl anscheinend Niemand an Bord ist. Irgendwann haben wir genug von dieser Geräuschkulisse und legen uns in der Nähe des Hafens vor Anker.
Das Bild in der Bucht bzw. die Eis-Situation ändert sich täglich. Mehr und mehr dieser weißen Riesen treiben gemächlich vorbei. Wir werten dieses als gutes Zeichen, denn es lässt vermuten, dass die Lücke in der Baffin Bay breiter wird. Böse Winde sind laut Vorhersage in den nächsten Tagen auch nicht zu erwarten. Also los.
Mittwoch tanken wir alles voll, was wir mit Diesel befüllen können. Dann sind auch wir bereit, die Passage über die Baffin Bay zu wagen. Unsere Grönland-Flagge kann bald abgenommen werden. Die sieht sowieso reichlich zerschlissen aus. Falls wir noch einmal nach Grönland wiederkommen, dann muss eine neue Gastland-Fahne her. Mitten in der Baffin Bay verläuft die Grenze zwischen Dänemark und Kanada. Auf zu neuen Ufern. Etwa 500 Seemeilen weiter, dann erreichen wir Dundas Harbour am Beginn des Lancaster Sounds.
Das nächste Mal melden wir uns aus der Kanadischen Arktis. Allerdings werden wir uns dort mehr auf’s Vorwärtskommen als auf die Suche nach Internet konzentrieren.
Denn druecke wir mal ganz feste die Daumen. Alles erdenklich Gute fuer die Passage. Haltet die Ohren steif, aber lasst sie euch nicht abfrieren. Liebe Gruesse aus Down Under, die meerbaeren.