War leider nichts mit Pause ! Wir müssen weiter. Vielleicht nochmal 1400 Seemeilen durch die Inselkette der Aleuten bis in den Golf von Alaska. Leider – wir haben gerade überhaupt keine Lust mehr. Sind ziemlich erschöpft und hatten noch gar keine Zeit zum Entspannen. Auch die Homepage hinkt chronisch hinterher. Keine Zeit, kein Internet, aber es gibt Wichtigeres. Winterlager für die Walkabout wird dann hoffentlich in Kodiak sein. Oder am Festland in Seward oder in Homer. Es soll überall voll sein, wie wir von mehreren Leuten gehört haben.
Wir verlassen den Hafen von Nome am Samstag, den 23.09. mit dem Ziel Nunivak. Diese Insel liegt in 340 Seemeilen Entfernung. Bis dahin gibt es keinen Ankerplatz, keine Möglichkeit, um Schutz zu finden. Offenes Feld sozusagen, eine Strecke durch die Bering See, die allen Seglern Respekt abverlangt. Der Wetterbericht gibt grünes Licht. Für die nächsten 3 Tage scheint der Wind okay zu sein, aber das kann sich in diesen Breiten innerhalb von 12 Stunden komplett ändern. Wir dürfen keine Zeit verschwenden, der Winter naht. Selbst die einheimischen Fischer fahren im Oktober nicht mehr raus. Wir haben uns sehr willkommen gefühlt und wären gerne in Nome geblieben. Schade, schade. 🙁
Bei der Ausfahrt aus dem Hafen glänzen die imposanten Berge der Brooks Kette im Hintergrund. Die Brooks Range zieht sich von der Bering See im Westen bis zur Beaufort See im Nord-Osten über rund 1100 Kilometer durch Alaska bis ins Yukon-Territorium. Schneebedeckt – ob noch vom letzten Winter oder ob das schon Neuschnee ist ? Es sieht auf jeden Fall sehr kalt aus. Draußen erwarten uns gleich wieder fiese Wellen schräg von vorne. Auf unserer linken Seite liegt der Norton Sound, aus dem eine Strömung quer zu unserer Fahrtrichtung läuft. Es ruckelt sich etwas ein, nachdem wir Groß und Genua gesetzt haben. Walkabout läuft ganz ordentlich zwischen 4,5 und 5,5 Knoten. Holprig wegen des kabbeligen Seegangs, aber das nehmen wir gerne in Kauf. Wir ziehen es doch vor, zu segeln und den Motor schweigen zu lassen. Nach wenigen Stunden lässt leider der Wind nach, und wir werden immer langsamer. Die Strömung will uns nach Westen versetzen. Schon wieder muss die Maschine an, weil die Geschwindigkeit unter 3 Knoten fällt. Mit Motor-Unterstützung kommen wir auf ein gutes Tempo und werden unsere geplante Tagesdistanz schaffen. Unbequem ist die Bering See auf jeden Fall, egal ob mit oder ohne Wind.
Saint Lawrence Island rechts, auf der linken Seite liegt das Festland Alaskas. Klare Nacht. Ein Dreiviertel Mond in leuchtendem orange, dazu funkeln Millionen Sterne. Tagsüber gibt es teilweise Sonne und einzelne Wolken, wie wir sie von zu Hause kennen. Am Abend bildet sich ein breiter Regenbogen zwischen den Wolken und dem tiefblauen Wasser. Der allgegenwärtige Nebel der Arktis ist anscheinend Vergangenheit. Der Himmel sieht hier anders aus, irgendwie vertrauter. Oder ist das nur Einbildung ?
Alle 6 Stunden holen wir per Iridium Go die neuesten Wetterberichte ein. Inzwischen laden wir sogar jedes Mal zwei verschiedene Modelle herunter, die wir dann miteinander vergleichen. Immer wieder dieselbe bange Frage : Was macht der Wind ? Wohin zieht das Tiefdruckgebiet ? Hält es sich an die letzten Vorhersagen, oder wird es früher hier sein und uns erwischen ? Am Donnerstag soll es ein kleines Stürmchen aus Süd geben. Freitag dann Wetter-Beruhigung für etwa 12 Stunden, anschließend Winddreher. Danach geht es erst richtig los, da sollte man besser nicht unterwegs sein. Ein fetter Sturm aus Nord-Ost fegt in voller Breite über die Aleuten und unser Gebiet hinweg. Mindestens 3 Tage sollten wir in Deckung bleiben, soweit reicht unsere Vorhersage. Bedeutet für uns Plan-Änderung : Nunivak würden wir am Dienstag erreichen, aber dann ist es noch zu früh zum Verstecken. Macht keinen Sinn, wir dürfen keine ruhigen Tage verschenken. Also vorbei an Nunivak bis zur 200 Seemeilen weiter entfernten Hagemeister Insel. Das ist ein Umweg von 60 Seemeilen in Bezug auf den False Pass, der vor uns liegt. Trotzdem haben wir auf diese Weise ein bisschen Strecke gewonnen und werden den schlimmsten Sturm an einem geschützten Ankerplatz aussitzen. Wenn alles so bleibt, wie es im Moment gerade aussieht …. Und wenn wir vernünftig vorwärts kommen. Das bedeutet, wir müssen den Motor wieder zur Hilfe nehmen, falls die Walkabout aufgrund der Gegenströmung zu langsam wird.
Wir entscheiden uns für die Durchfahrt der Etolin Strait zwischen dem Festland und der Insel Nunivak. Diese Wasserstraße sollte wegen der durchweg geringen Tiefe nur bei guten Bedingungen durchfahren werden, da sich sehr schnell steiler Seegang aufbaut. Wir haben kaum Wind, trotzdem laufen hohe Wellen von achtern. Walkabout kommt manchmal ins Surfen, das ist ein wenig unheimlich. Wassertiefe 10-14 Meter, es scheint okay zu sein.
Gleich drei AIS-Signale auf dem Bildschirm, als ich um 4.00 Uhr früh meine Morgenwache beginne. Ich freue mich über jedes Anzeichen von Zivilisation, habe wirklich genug von der Einsamkeit und dem Gefühl von “ hier darf nichts passieren“. Zwei Tanker ankern direkt bei der Insel in 5 Seemeilen Entfernung. Einer davon ist 200 Meter lang und hat Fest-Beleuchtung an. Eine ganze Reihe von verschieden farbigen Lichtern blinkt, es sieht aus wie ein ganzer Straßenzug.
Stück für Stück arbeiten wir uns vorwärts, mal schneller und mal quälend langsam. Walkabout kämpft gegen undurchschaubare Strömungen. Viel zu wenig Wind, um richtig in Fahrt zu kommen. Ändern können wir da gar nichts, es nützt auch kein Jammern. Wie gerne hätten wir die Bering See schon hinter uns und wären auf der anderen Seite der Aleuten ! Die Thindra ist glücklich auf Kodiak Island angekommen. Im Golf von Alaska. Da möchten wir auch hin, aber es ist ein harter Weg. Der False Pass liegt vor uns, und wir machen uns schon seit Tagen verrückt mit Wetter, Gezeiten, fehlenden Ankerplätzen. Stimmt unsere Uhrzeit an Bord überhaupt mit der Zeit im Tidenkalender überein ? Haben wir genug Diesel, um notfalls motoren zu können ? Thomas wünscht sich 3 Nächte ruhigen Schlaf, ohne sich Sorgen machen zu müssen, wenn wir da durch sind.
Zwischen der engen Etolin Strait und unserem anvisierten Ankerplatz liegt eine weit offene Bucht, die Kuskokwim Bay. Auch hier herrschen wieder ganz verrückte Strömungen. Als ich mich um Mitternacht in die Koje verziehe, da machen wir 5,8 Knoten Fahrt über Grund. Die Frühwache um 4.00 Uhr beginne ich mit weniger als 3 Knoten auf der Logge. Und dann diese wahnsinnigen Entfernungen ! Die Distanzen sind einfach riesig. Was bei der Planung auf der elektronischen Seekarte nur ein Zentimeter ist, das entpuppt sich im Tagesverlauf als stundenlanges Geduldsspiel. Es nimmt einfach kein Ende. Wie monotones Autofahren auf dem schnurgeraden Highway. Willkommen in Amerika.
Mittwoch können wir ausnahmsweise den ganzen Tag segeln. Geschwindigkeit und Kurs stimmen. Fein. Das war in den letzten 3 Monaten eher die Ausnahme. Macht Spaß. 🙂 Mit Vollzeug halten wir auf Cape Newenham zu. Das wird unser letztes Kap auf der Nordseite der Aleuten sein. Danach folgt nur noch die große Bristol Bay bis zum False Pass. Allerdings müssen wir uns vorerst in Geduld üben. Die derzeitigen Prognosen geben uns keine 3 Tage Wetter-Beruhigung, um auf die andere Seite zu schlüpfen. Wir müssen uns vor einem mehrtägigen Sturm aus Nord-Ost verstecken und haben dafür die Hagemeister Insel ausgewählt. Am Abend soll es zunächst Starkwind aus Süd geben. Man merkt bereits um 16.00 Uhr, dass Wind und Wellen zunehmen. Wahrscheinlich wird es bald Zeit zum Reffen. Heute Nacht fahren wir durch bis zum ersten Ankerplatz der Hagemeister Insel, um den Südwind dort abzuwarten. Wenn der vorbei ist, dann möchten wir ein paar Meilen weiter zu einem anderen Unterschlupf, um den heftigen Nord-Ost durchziehen zu lassen. Kann ein paar Tage dauern, auch wenn es uns nicht gefällt. Der Golf von Alaska ist schon ganz nah, aber davor liegt der knifflige False Pass. Wir können erst aufatmen und uns entspannen, wenn wir auf der anderen Seite der Aleuten im Pazifik sind.
Uns erreichte gestern spät noch eine Nachricht von Victor, dem kanadischen Berater : Auf gar keinen Fall weiter zum False Pass ! Wir sollen uns verkriechen. Der nächste Sturm soll heftig werden. Ja, danke, das war unser Plan. 😉
Die Anfahrt zum Ankerplatz erweist sich als ziemlich nervtötend. Kurs-Änderung um Mitternacht, wir halten auf die schmale Rinne zwischen Insel und Festland zu. Diese Passage ist 16 Seemeilen lang. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen : Wir brauchen nicht die halbe Nacht, sondern es dauert tatsächlich den ganzen Rest dieser Nacht, bis wir da sind. Die Windsteuerung schafft es nicht gegen Wellen und Strömung. Wir sitzen am Steuerrad und versuchen, in der Spur zu bleiben, dabei müssen wir gegen harten Ruderdruck arbeiten. Beim Wachwechsel um 4.00 Uhr zeigt die Logge unter 3 Knoten an. Viel Wind von achtern, der Motor läuft zur Unterstützung, und trotzdem kommen wir fast nicht von der Stelle. Es bleibt ein harter einsamer Kampf. Die Freiwache verzieht sich sofort in die Koje, es werden nicht viele Worte gewechselt. Schlechte Laune. 🙁 Nach 3 Stunden läuft es besser, zwischen 4 und 5 Knoten Fahrt. Muss also Tide gewesen sein. Aber wie soll man das so exakt planen ? 5 Tage und 5 Nächte hindurch waren wir unterwegs, da kann man nicht auf die Stunde genau vor dem Eingang stehen. Seit Nome sind wir knapp 500 Seemeilen weiter, haben dabei aber einen Umweg von 60 Seemeilen in Kauf nehmen müssen, um bei der Hagemeister Insel in Schutz zu gehen. Die Gesamtstrecke zum False Pass wären 600 Seemeilen gewesen, aber leider nicht in einem Rutsch zu schaffen, weil ein Tief das nächste jagt. Etwas frustrierend, so kurz vor dem endgültigen Ziel ( = Winterlager ) hier gefangen zu sein.